Die Weihnachtszeit hat ihre ganz eigenen Lieder. Manchmal finde ich es erstaunlich, welche frommen Inhalte wir in diesen Wochen rund um Weihnachten, vor Weihnachten und an Weihnachten im Radio und Fernsehen hören. Ich meine damit natürlich nicht Lieder wie „Jingle Bells“ oder „Santa Claus is Coming to Town“.
Es gibt wirklich gute Inhalte, zum Beispiel das Lied „Mary’s Boy Child“ von der Gruppe Bonnie M. Dieses Lied läuft jedes Jahr in der Weihnachtszeit im Radio. Darin singen sie unter anderem: „Oh mein Herr, du hast deinen Sohn gesandt, um uns zu retten.“ Und weiter heißt es – ich übersetze es gleich: „Du hast dich selbst für uns gegeben, damit uns die Sünde nicht mehr versklavt und die Liebe aufs Neue regieren kann.“ Das ist evangelistisch, oder?
An Heiligabend spielen die Sender oft sogar die alten, noch tiefgründigeren Kirchenlieder. Zum Beispiel „O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit. Welt ging verloren, Christ ward geboren.“ In der zweiten Strophe heißt es: „Christ ist erschienen, uns zu versühnen.“
Doch obwohl viele Menschen diese Lieder in diesen Tagen hören und manche sogar fröhlich mitsingen, bleibt es für viele nur Kultur, ein bisschen Folklore rund um Weihnachten, um schöne Gefühle zu haben. Den Inhalt haben viele gar nicht verstanden.
Wir schauen uns heute ein Lied an, das der Prophet Jesaja aufgeschrieben hat. Es ist ein Lied, das uns wirklich erklärt, warum Jesus an Weihnachten in diese Welt gekommen ist. Ein Lied, das uns erklärt, was er getan hat, wozu er gekommen ist und auch, was das mit uns zu tun hat.
Es mag gut sein, dass jemand diese Predigt hört oder dieses Lied heute hört und sagt: „Eigentlich habe ich das noch gar nicht verstanden, warum Jesus als Baby an Weihnachten gekommen ist.“ Dieses Lied ist eine Einladung, das wirklich besser zu verstehen, zu begreifen, warum er gekommen ist.
Für jeden von uns, der das schon versteht und schon weiß, ist es eine Erinnerung. Es soll unseren Glauben vertiefen und uns besser erklären, uns tiefer verstehen lassen, warum es so nötig war, dass Jesus gekommen ist und warum wir ihn so sehr brauchen.
Es ist ein ganz wertvoller Text, auch für uns Christen. Wir haben uns in den letzten Wochen schon die anderen Gottesknechtslieder im Buch Jesaja angeschaut. In der Übersetzung sieht das im Jesajabuch gar nicht aus wie ein Lied, aber im Hebräischen ist es poetische Sprache. Es sind wirklich Lieder, die der Prophet aufgeschrieben hat. Deshalb heißen sie Gottesknechtslieder, weil sie alle von einem Knecht erzählen, den der Herr, Gott, in diese Welt senden wird.
Dieser Knecht – das ist kein Geheimnis – ist Jesus Christus. Bei vielen Prophezeiungen spekulieren wir ein bisschen und wissen es nicht genau. Manches bleibt rätselhaft und ein Geheimnis. Bei diesen Prophezeiungen ist es anders. Wir können ganz sicher wissen, dass dieser Gottesknecht wirklich Jesus ist, weil Jesus es selbst gesagt hat.
Jesus hat selber Bezug genommen auf dieses Lied. Er sagt zum Beispiel in Lukas 22,37, dass dieses Lied von ihm zeugt. Auch die Apostel und Evangelisten haben immer wieder Bezug auf dieses Lied genommen und gesagt, Jesus habe es erfüllt. Es ist kein Geheimnis, wer dieser Gottesknecht ist: Es ist Jesus Christus.
Ich möchte mit uns dieses Lied Strophe für Strophe anschauen. Es hat insgesamt fünf Strophen, und jede Strophe besteht aus drei Versen. Lasst euch nicht von der Kapiteleinteilung irritieren. Diese ist nicht vom Heiligen Geist inspiriert, sondern kam erst sehr viel später dazu, damit wir uns besser in der Bibel zurechtfinden und orientieren können.
Es hätte sicher Sinn gemacht, das Kapitel schon bei Vers 13 in Kapitel 52 beginnen zu lassen, aber es ist wirklich ein Lied.
Bevor wir mit der ersten Strophe beginnen, möchte ich beten, dass der Herr unseren Glauben dadurch stärkt oder Glauben weckt:
Vater im Himmel, wir danken dir für dein kostbares Wort, für dein lebendiges Wort! Wir danken dir für die Propheten und heute ganz besonders für den Propheten Jesaja, dem du diese kostbare Botschaft anvertraut hast. Du hast ihn sehen lassen, dass siebenhundert Jahre bevor Jesus kam, dieser Knecht, dein Knecht, in diese Welt kommen wird.
Wir beten, dass wir diese Botschaft, dieses Lied, verstehen und dass es uns ermutigt und stärkt. Dass wir begreifen, wer der Gottesknecht ist und was er für uns Großartiges getan hat.
Herr, so bitten wir, dass du zu uns redest durch dein Wort. Amen.
Jesaja 52, Verse 13 bis 15:
Siehe, meinem Knecht wird es gelingen. Er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein. Wie sich viele über ihn entsetzten, weil seine Gestalt hässlicher war als die anderer Leute und sein Aussehen als das der Menschenkinder, so wird er viele Heiden besprengen, sodass auch Könige ihren Mund vor ihm zuhalten werden. Denn denen, denen nichts davon verkündet ist, die werden es nun sehen, und die, die nichts davon gehört haben, die werden es merken.
Das Lied des Gottesknechts erklärt uns längst noch nicht alles, was er tut, aber drei Dinge werden hier schon ganz am Anfang ganz klar.
Erstens: Die Mission dieses Gottesknechts wird erfolgreich sein, ganz sicher. Vers 13 sagt: „Siehe, meinem Knecht wird es gelingen, er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein.“ Wer sagt das? Gott selbst. Gott sagt, es gibt ein Happy End. Dieser Knecht wird seine Mission erfüllen, seid euch ganz sicher.
Warum ist es wichtig, das gleich am Anfang zu hören und zu wissen? Weil es erst einmal ganz anders aussehen wird. Auch das sehen wir schon hier am Anfang, in Vers 14. Die Mission wird zunächst nicht erfolgreich aussehen, alles andere als das. Dieser Gottesknecht tritt nicht auf wie ein siegreicher Held. Wir lesen in Vers 14, dass er hässlich ist, eine hässliche Gestalt hat. Viele werden sich über ihn entsetzen, heißt es da. Ein jämmerlicher Typ, dem Anschein nach, kein Siegertyp, wie wir ihn uns vorstellen – durchtrainiert, sportlich, gut aussehend, mit charismatischem Auftreten – alles andere als das.
Und doch sagt Jesaja: Genau dieser Mann wird die Mission erfüllen. Er wird Gottes Mission erfüllen, mit Konsequenzen nicht nur für Israel, sondern für die ganze Welt.
Das ist das Dritte, was wir am Anfang sehen: Die Mission dient Menschen auf der ganzen Welt. Vers 15 sagt: „Er wird viele Heiden besprengen.“ Das ist Opfersprache. Es war ein ganz zentraler Teil des Gottesdienstes Israels, dass Blut von Tieren vergossen wurde und dass der Altar, verschiedene Gegenstände und sogar Menschen mit diesem Blut besprengt wurden. Es war ein Bild dafür, dass Menschen Schuld gegenüber Gott haben und nicht einfach zu ihm kommen können. Ein Bild dafür, dass Blut fließen muss, dass es ein Opfer geben muss, damit die Beziehung zu Gott heil werden kann.
Jesaja sagt hier schon am Anfang in diesem Lied: Der Gottesknecht wird besprengen. Er wird das tun, es bleibt noch geheimnisvoll wie, aber er wird die Beziehung zwischen Menschen und Gott heil machen. Zwischen dem Volk Israel – aber es geht noch weiter, sagt er. Er wird viele Heiden besprengen. Die Heiden sind alle anderen Völker ringsherum, die nicht an den lebendigen Gott glauben, die nicht zu ihm gehören. Auch für sie kommt er, und er wird sie besprengen, er wird die Beziehung zu Gott heil machen.
Es ist also das Thema dieses Liedes ganz am Anfang: Der Gottesknecht erreicht seine Mission, er schafft das, wozu er gesandt ist. Er tut es auf eine völlig überraschende Weise, nämlich durch Leid und Verachtung. Und er tut es zum Segen für die Welt, für die Heiden, nicht nur für Israel.
Und wem das gelingt, entfaltet Jesaja jetzt in diesem Lied die nächste Strophe. Ich lese aus Strophe zwei die Verse eins bis drei:
„Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des Herrn offenbart? Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg. Darum haben wir ihn für nichts geachtet.“
Jesaja beschreibt diesen Gottesknecht genauer und sagt, wie er auf Menschen wirkt.
Vers 2: „Er schoss auf wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich.“ Das ist ein Bild für seine Herkunft: Erdreich, unspektakulär, eine Wurzel, keine Pflanze, die man sich in die Wohnung stellt, die schön aussieht, sondern etwas ganz Banales, etwas Unspektakuläres.
So ist Jesus wirklich in diese Welt gekommen. Er ist so groß geworden, nicht als Königskind in einem Palast, sondern als Sohn einfacher Leute – Maria und Josef, ganz einfache Leute. Ein Sohn, ein uneheliches Kind, geboren in einem Stall, weil sie keinen besseren Ort fanden, um diesen Jungen zur Welt zu bringen. Der Vater hatte ein ganz einfaches Handwerk, war Zimmermann, Jesus ist in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, völlig unspektakulär.
Weiter heißt es: „Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte.“ Egal, was uns Filme und Serien über Jesus so vor Augen malen: Oft wird er als Schönling mit langem braunem Haar und gut durchtrainiert dargestellt. So war Jesus nicht. Eher ein Durchschnittstyp. In der Schule wahrscheinlich nicht der Schülersprecher, vielleicht der, den man beim Sport als Letztes in die Mannschaft wählte. Keiner, der großes Aufsehen erregt hätte in Nazaret, wo er groß geworden ist. Unspektakulär, ja sogar verachtet.
Das merken wir, wenn wir etwas weiter schauen, als Jesus seinen öffentlichen Dienst beginnt und zu predigen anfängt. Er tut das auch in Nazaret, dem Ort, wo er groß geworden ist. Er sagt schon sehr früh, dass er ein Gesandter des Herrn ist, dass er von Gott gesandt wurde, und macht das deutlich anhand der Prophetien aus Jesaja, die er auf sich selbst auslegt. Die Leute sind fassungslos und sagen: „Hat der Mann sie noch alle? Wir wissen doch genau, wer das ist. Das ist doch Jesus, Josefs Sohn, der bei uns groß geworden ist. Wir haben gesehen, wie er hier aufgewachsen ist. Der ist doch nichts Besonderes. Meint er wirklich, er sei hier was Besseres?“ Sie konnten nicht glauben, was Jesus über sich selbst gesagt hat. Sie verachteten ihn und wollten ihn sogar töten, wie wir in Lukas 4 lesen.
Jesaja sah diese Ablehnung, die Jesus erfahren würde – und zwar 700 Jahre bevor Jesus geboren wurde. Ist das nicht erstaunlich? Er sah noch mehr: Er sieht, dass dieser Gottesknecht, Jesus, schrecklich leiden wird. Vers 3: „Er war der allerverachtetste und unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg.“
Ein Ausleger hat einmal gesagt, die Worte klingen so, als wären sie direkt unter dem Kreuz von Golgatha geschrieben worden. Jesus hängt dort am Kreuz, ringsherum tobt die Menge, die Soldaten machen ihre Witze, alle verachten ihn. Er hängt nackt und elend da, eine Dornenkrone gepresst – ein Zeichen des Spotts, aber auch des großen Schmerzes. Das Blut klebt ihm im Gesicht, von den Dornen, die ihm die Haut aufgerissen haben. Sein Rücken ist geschunden von den vielen Peitschenhieben, die er vorher bekommen hat. Durch seine Hände und Beine sind riesige Eisennägel getrieben.
Viele wenden sich ab, weil das ein furchtbarer Anblick ist. Es ist hässlich, ekelhaft – eine Kreuzigung ist ekelhaft. Ich habe mir den Film „Die Passion Christi“ nie angetan, aber manche von euch haben ihn bestimmt gesehen. Ihr habt etwas von den Schmerzen einer Kreuzigung gesehen, vom Hohn und Spott, der rings ums Kreuz war, von der Verachtung, die Jesus dort trägt.
Das sieht nicht nach einer erfolgreichen Mission aus, überhaupt nicht. Darum sagt Jesaja: Wegen seiner Herkunft, wegen seiner äußeren Erscheinung, seiner Stellung in der Gesellschaft und wegen dieses Leids am Kreuz, dem ganzen Schmerz, haben wir ihn für nichts geachtet. Jesaja nimmt sich selbst mit hinein: Wir alle haben nicht erkannt, wer er ist.
Und wenn wir mal alles, was wir schon über Jesus wissen, zur Seite legen, ist das denn so verwunderlich? Versetzt euch nach Golgatha, ans Fuß dieses Kreuzes: Da hängt Jesus. Dieses Jahr haben wir verschiedene Gerichtsprozesse in unserem Land erlebt. Boris Becker wurde verurteilt wegen Insolvenzbetrugs, der Koch Alfons Schubeck wegen Steuerhinterziehung, vor kurzem die Helfer bei dem Attentat in Nizza. Wir lesen diese Nachrichten und sagen: Was hat das mit uns zu tun? Wir schauen auf die Verbrecher vielleicht herab, haben vielleicht ein bisschen Mitleid, aber auf jeden Fall denken wir nicht, dass diese Verurteilung uns betrifft. Sie bezahlen für ihre Schuld, sie bekommen ihre gerechte Strafe.
Genauso waren die Leute auf Golgatha: Sie schauten auf das Kreuz und sagten, das hat er verdient. Er hängt da, weil er einen Fehler gemacht hat, hat sich aufgespielt, wollte Gott spielen, hat Gott gelästert. Er hat nichts anderes verdient. Und wenn Gott uns nicht die Augen öffnet für das, was da wirklich passiert ist, dann schauen wir genauso auf das Kreuz und sagen: „Das hat nichts mit mir zu tun.“
Das klingt so töricht, dass dieser Mensch da am Kreuz irgendwem helfen will, geschweige denn helfen kann, dass sich in seinem Leid der Arm des Herrn offenbaren soll, wie Jesaja in Vers 1 sagt. Der Arm des Herrn ist ein Bild für Gottes Stärke, für seine Kraft, mit der er sein Volk rettet und seine Feinde richtet. Das soll sich am Kreuz zeigen? Das sieht doch gar nicht danach aus.
Und doch ist es so, und es hat alles mit uns zu tun, das zeigt uns die nächste Strophe. Ich lese ab Vers 4:
„Fürwahr, er trug unsere Krankheit, und er lud auf sich unsere Schmerzen, wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen; die Strafe lag auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg; aber der Herr warf unser aller Sünde auf ihn.“
Warum litt der Gottesknecht, warum litt Jesus dort am Kreuz auf Golgatha für uns? Das ist die Kernbotschaft, das Zentrum dieses Liedes, ganz mittendrin die dritte Strophe: Er ist gekommen für uns.
Vers 4: „Er trug unsere Krankheit, er lud auf sich unsere Schmerzen.“ Vers 5: „Er ist um unserer Missetat willen verwundet.“ Vers 6: „Er ist um unserer Sünde willen zerschlagen.“ Vers 6 weiter: „Der Herr warf unser aller Sünde auf ihn.“
All die Schmerzen, all die Verachtung, die Ablehnung, das Leid am Kreuz – nicht, weil Jesus das verdient hat, sondern weil wir das verdient haben. Es kann so schlimm sein, dass wir das verdient haben sollen.
Jesaja sagt uns mit verschiedenen Worten in dieser Strophe immer wieder: Der Punkt ist, was Jesus da trägt, was der Gottesknecht trägt, schuld daran ist die Sünde. Er trägt die Sünde.
Wir haben von der Sünde manchmal ganz komische Vorstellungen. Das zeigt sich schon daran, wie wir über Sünde reden. Wir sagen zum Beispiel, wenn wir zu viel Schokolade gegessen oder ein Glas Wein zu viel getrunken haben: „Ich habe gesündigt.“ Oder jemand, der im Straßenverkehr zu schnell fährt, ist ein Verkehrssünder.
Diese Sprache ist nicht hilfreich, sie verschleiert, was Sünde wirklich ist. Es ist viel zu wenig, Sünde so zu verstehen, als ob man mal einen Fehler macht. „Hab halt mal was falsch gemacht, dann zahle ich mein Bußgeld oder faste ich jetzt halt mal ein bisschen Alkohol und Schokolade, dann kriege ich das schon wieder geradegebogen.“
Nein, Sünde ist viel mehr, Sünde ist viel schlimmer. Sie hat zwar mit dem zu tun, was wir tun, aber es geht viel tiefer. Sünde umfasst unser ganzes Leben, unseren ganzen Lebenswandel, unseren Lebensstil, unser Denken – die Art, wie wir denken und was wir denken. Unsere Gefühle sind durchsetzt von der Sünde, denen können wir nicht vertrauen. Unser Wille, das, was wir haben wollen und tun wollen, ist belastet von der Sünde, ganz durchdrungen.
Jesaja beschreibt das mit einem hilfreichen Bild, einem der besten Bilder für Sünde, Vers 6: „Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg.“ Das ist eine sehr gute Beschreibung von Sünde: Ein jeder sah auf seinen eigenen Weg, jeder ging den Weg, den er für richtig hielt.
Es ist kein Zufall, dass Jesaja hier von Schafen spricht. Er hätte alle möglichen Tiere als Beispiel wählen können, etwa die Schlange, den Wolf oder das Reh. Aber er spricht von Schafen, weil Schafe etwas anderes haben als diese Tiere: Schafe brauchen einen Hirten, damit es ihnen gutgeht.
Wenn ein Schaf allein unterwegs ist, dann wird es früher oder später nicht gut ausgehen, eher früher als später. Das Schaf überlebt nicht lange allein in der Wildnis. Wir Menschen sind wie Schafe, sagt Jesaja, wir brauchen einen Hirten.
Dieser Hirte ist Gott selbst. Er hat uns gemacht, er weiß, was wir brauchen, er weiß, wo es uns gutgeht. Aber anstatt das anzuerkennen, hat jeder Einzelne von uns gedacht: „Ich weiß aber besser, was ich brauche, wo es mir gutgeht und was ich haben will.“ Ein jeder sah auf seinen eigenen Weg – das ist Sünde. Ich gehe meinen eigenen Weg, ich denke, ich weiß es besser als Gott. Ja, ich will an der Stelle des Hirten sein. Ich denke, ich bin der bessere Hirte als der gute Hirte.
Und wie bei den echten Schafen endet das auch bei uns schlecht, endet tödlich. Es ist die logische und gerechte Konsequenz, dass wir sterben, wenn wir diesen Weg gehen.
Jesaja nimmt sich da auch mit hinein, er redet nicht über andere, sondern auch über sich selbst. Er sagt: „Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, alle miteinander.“
Aber jetzt sagt er uns auch das andere – und das ist die gute Botschaft in dieser Strophe: Der Gottesknecht kam für diese verlorenen Schafe, er litt für uns.
Er weist uns hin auf Jesus, der von sich selbst gesagt hat: „Ich bin der gute Hirte.“ Und er sagt noch mehr: „Ich bin der gute Hirte; der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“
Genau das beschreibt Jesaja hier so eindrücklich: Der Gottesknecht gibt sein Leben, er leidet stellvertretend für verirrte Schafe.
Manche verstehen das, was Jesus am Kreuz getan hat, einfach als ein Vorbild für Nächstenliebe. Er hat sich da aufgeopfert, und so wie Jesus sich hingegeben hat, sollen wir uns auch für andere hingeben und seinem Beispiel folgen.
Aber wenn wir das so verstehen, dann macht das Leid, das Jesus getragen hat, überhaupt keinen Sinn.
Ich möchte, dass uns das allen klar ist: Als Vorbild, als Beispiel für Nächstenliebe macht das keinen Sinn. Ich habe euch schon mal erzählt, ich komme von der Schwäbischen Alb, einer der schönsten Gegenden, die man sich vorstellen kann auf diesem Planeten. Drei Kilometer von meinem Elternhaus ist der Albtrauf, ein steiler Abhang, mit wunderschönem Panorama. Ich habe das schon mal erzählt, und neulich hat mir jemand gesagt: „Da muss ich mal hinfahren, das will ich mir anschauen.“ Macht es!
Stellt euch vor, ich gehe da hin, an diesen Felsabhang, es geht wirklich ganz steil runter. Ich gehe da hin mit meiner Frau und sage ihr: „Ruth, ich liebe dich so sehr.“ Dann gebe ich ihr einen intensiven Kuss und sage: „Mein Schatz, ich möchte dir jetzt wirklich zeigen, wie sehr ich dich liebe.“ Und dann springe ich den Fels runter und sterbe.
Was glaubt ihr, wie sehr wird sich Ruth von mir geliebt fühlen? Super Beispiel, super Vorbild für meine Aufopferung für meine Frau, oder? Nein, absolut absurd! Der Tod bringt meiner Frau überhaupt nichts, sie hat nichts von diesem Liebesbeweis, überhaupt nicht.
Und genau so ist es am Kreuz, wenn wir glauben, Jesus opfert sich auf und zeigt uns etwas über Nächstenliebe, ohne dass er wirklich etwas für uns tut. Das ist absurd, das ist Blödsinn. Glaubt solchen Blödsinn nicht, sonst ist er umsonst gestorben.
Nein, das Leid hat nur Sinn, wenn er wirklich das tut, was Jesaja hier beschreibt: dass er unsere Sünde trägt. Das zeigt uns Gottes Liebe erst, wenn er wirklich unsere Last abnimmt. Und Gott sei Dank hat Jesus das getan.
Das Lied, das Jesaja singt, wird uns in den Evangelien bestätigt, in jedem einzelnen, auch von den Briefschreibern: Jesus hat die Schuld getragen, er litt an unserer Stelle.
Jesaja führt das noch weiter aus, jetzt in den Versen sieben bis neun:
„Als er gemartert war, da litt er doch willig, und er tat seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen; wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Land der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volkes geplagt war. Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemandem Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Mund gewesen ist.“
Ich finde es wunderbar, wie Jesaja hier von Gott gezeigt bekommt, schon so viele Jahrhunderte vorher, bis ins Detail, wie dieser Gottesknecht, Jesus, leidet. Wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, das nicht aufmuckt, das diesen Weg geht.
Wir lesen das in den Evangelien, wie Jesus sich nicht rechtfertigt, wie er diesen Weg treu geht, wie er es mit sich machen lässt, wie er den Spott erträgt und nicht zurückspottet, nicht zurückschlägt. Wie er sogar noch den Soldaten heilt. Petrus will ihn verteidigen, aber Jesus sagt: „Weg mit dem Schwert!“ und heilt das Ohr des Soldaten. Jesus ist absolut liebevoll und geht diesen Weg. Er litt willig, wie wir hier sehen.
Er litt bis in den Tod, Vers 8: „Er wurde aus dem Land der Lebendigen weggerissen.“
Jesaja beschreibt hier, dass er begraben wurde in einem Grab, das nicht sein eigenes war, in einem Grab „bei Gottlosen und Übeltätern“. Man kann es aber auch übersetzen mit „bei Reichen“, und das ist die bessere Übersetzung. Der reiche Joseph von Arimathäa gab sein Grab her, das er sich gekauft hatte für den Tag, an dem er stirbt, und sagte: „Da soll Jesus begraben werden.“
Das Wichtigste aber: Er litt unschuldig, das betont Jesaja hier noch einmal in dieser vierten Strophe. Er war für die Missetat meines Volkes geplagt, „wiewohl er niemandem Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Mund gewesen ist.“
Das ist der Grund, warum Jesus für uns bezahlen kann: seine eigene Unschuld. Wenn du hoch verschuldet bist, minus hunderttausend auf dem Konto, kannst du nicht deine eigene Schuld bezahlen und erst recht nicht die Schuld von jemand anderem. Aber weil Jesus keine Schuld hatte, weil er wirklich nach dem Willen des Vaters gelebt hat, in jedem einzelnen Augenblick, kann er die Schuld von Sündern bezahlen.
Jesaja verwendet in dieser vierten Strophe wieder das Bild vom Schaf, vom Lamm – es ist wieder Opfersprache. Wir dürfen sehen, was Jesaja uns hier zeigt: Diese ganzen Opfer in Israel, dieser ganze Opferkult, war von Gott angeordnet, aber nicht, weil diese Tiere retten konnten, sondern weil sie ein Bild waren, die darauf hinwiesen, dass einer kommen würde, der wirklich die Schuld bezahlen kann.
Tiere können nicht die Schuld von Menschen bezahlen, aber der Menschensohn, der Knecht Gottes, Jesus Christus, der kann das.
Wir könnten noch länger darüber nachdenken. Im Neuen Testament wird das immer wieder entfaltet, vor allem im Hebräerbrief: Das Blut von Tieren kann nicht retten, aber das Blut des Sohnes Gottes.
Das bringt uns zur letzten Strophe. Was ist das Ziel? Was will er damit erreichen? Das malt uns Jesaja in der letzten Strophe vor Augen. Ich lese Verse zehn bis zwölf:
„So wollte ihn der Herr zerschlagen mit Krankheit. Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und das Vorhaben des Herrn wird durch seine Hand gelingen. Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben, und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden. Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben, und er soll die Starken zum Raub haben, dafür, dass er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten hat.“
Das ist die letzte Strophe. Am Anfang sahen wir: Die Mission wird erfolgreich sein. Und hier die Bestätigung: Jawohl, sie wird erfolgreich sein.
Was hier als Erstes ins Auge springt, ist, dass der ganze Weg des Gottesknechts vom Anfang bis zum Ende der Plan Gottes war. Gott wollte das so. Es war kein Unfall, kein Unglück, dass Jesus gekreuzigt wurde. Es war auch nicht in erster Linie das Werk böser Menschen, auch wenn sie einen gewichtigen Anteil an der Umsetzung dieses Plans hatten. Sie haben ihn ans Kreuz gebracht, aber in letzter Instanz lesen wir hier in Vers 10: „So wollte ihn der Herr zerschlagen mit Krankheit.“ Der Herr wollte das tun, es war sein Plan, um Sünder zu retten.
Das lesen wir noch einmal in Vers 10: „Das Vorhaben des Herrn wird durch seine Hand gelingen.“ Es lag allein in der Hand Gottes, allein in der Hand dieses Gottesknechts.
Jesus sagt es an anderer Stelle: „Niemand nimmt das Leben von mir, ich gebe es freiwillig aus Liebe für Sünder.“ Weil er das Ziel im Blick hat, weil er weiß: Wenn ich das tue, werde ich selbst auferstehen, ich werde nicht im Grab bleiben, ich werde überwinden, ich werde auch wieder auffahren.
Wir haben es gerade im Glaubensbekenntnis bekannt: Er ist aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur Rechten Gottes, er ist wirklich erhöht, er ist siegreich, er hat das Leben in Ewigkeit.
Und mit sich nimmt er ganz viele Nachkommen, das sagt uns Jesaja: Er wird viele Nachkommen haben, die mit ihm leben in die Länge, in die Ewigkeit.
Wer sind die Nachkommen? Alle, die dem Gottesknecht vertrauen, die an ihn glauben, die glauben, was Jesaja hier besingt: dass er wirklich gekommen ist, um unsere Schuld zu tragen, die glauben, dass das wirklich passiert ist.
Deshalb ist es ein ganz persönliches Lied und auch eine ganz persönliche Frage: Verstehst du, wozu der Gottesknecht gekommen ist? Wozu Jesus an Weihnachten in diese Welt gekommen ist?
So wie es in dem Lied heißt: „Christus ist erschienen, uns zu versöhnen, um Frieden zu machen zwischen Gott und Menschen.“ O mein Herr, du hast deinen Sohn gesandt, um uns zu retten.
Jeder, der das glaubt, gehört zur Familie Gottes, der ist ein Nachkomme, ein geliebter Sohn, eine geliebte Tochter des Vaters.
Es ist wichtig, dass du das für dich persönlich klärst: Wo stehe ich da? Vertraue ich dem Gottesknecht?
Wenn du das tust, dann nimm dir dieses Lied zu Herzen. Das ist ein Lied, das man in Dauerschleife hören kann, das sollte man in Dauerschleife hören – ein Ohrwurm, ein Lied, das sich lohnt, auch auswendig zu lernen, weil es uns zeigt, wie sehr uns Gott liebt.
Das ist das, was dieses Lied vom Anfang bis zum Ende sagt: Gott liebt verlorene Menschen so sehr, dass er alles für sie gibt – sein Bestes, seinen geliebten Sohn.
Jesus liebt uns so sehr, dass er sich so hingibt, dass er sich so aufopfert.
Viele Probleme, die wir im Alltag haben, hängen damit zusammen, dass wir das nicht genug begriffen haben, dass wir es uns nicht genug zu Herzen nehmen.
Deshalb muss Gott es immer wieder mit uns durchbuchstabieren, was er für uns getan hat, wie sehr er uns liebt.
Wenn dich Menschen mobben oder verachten, links liegen lassen oder schlecht über dich reden, dann ist das schlimm. Aber es kann dir nicht den Boden unter den Füßen wegziehen, wenn du weißt, dass die wichtigste Person im Universum dich liebt, für dich da ist, alles für dich gibt.
Wenn du krank bist, vielleicht sogar schwer, dann tut das weh, das will ich überhaupt nicht kleinreden. Und doch kann es dir nicht die Freude nehmen, wenn du weißt, was der Sohn Gottes für dich durchlitten hat, welche Schmerzen er auf sich genommen hat, damit deine größte Krankheit – die wirklich schlimmste aller Krankheiten, die Sünde – ein für alle Mal heil werden darf und du in Ewigkeit bester Gesundheit erfreuen wirst. Sei dir dessen sicher.
Wenn dir Zweifel kommen: Bin ich denn überhaupt gerettet? Und ich weiß, manche von uns haben diese Frage: „Bin ich denn überhaupt dabei?“ Dann kann es deine Seele plagen, aber nur solange, bis du auf dieses Lied hörst, nur solange, bis du dir diese Worte hier zu Herzen nimmst.
Denn wenn du wieder in Jesaja 53 gehst und das liest, dann merkst du: Das, was ich tue, das kann mich nicht trennen.
„Wir gingen alle in die Irre wie Schafe“, und wir gehen immer noch, immer mal wieder, verloren.
Aber Gott sei Dank: „Der Herr warf unsere Sünde auf ihn.“ Und das reicht, das reicht.
Gott sei Lob, Preis und Ehre dafür.
Lasst uns beten:
Vater, wir danken dir so sehr für dieses Wunder, dass die Propheten – und hier Jesaja – das Kommen des Menschensohnes, das Kommen Jesu, schon vorausschauen durften. Dass es uns so klar zeigt: Das war dein guter Plan, schon lange bevor Jesus dann wirklich an Weihnachten gekommen ist.
Wir danken dir so sehr, dass du uns in unserer Not gesehen hast, dass du unsere Sünde gesehen hast und dich nicht abgewandt hast, so wie wir von dir, sondern dass es dich bekümmert hat und dass du alles in Bewegung gesetzt hast, um das heilzumachen, was wir nicht selber heilen konnten.
Danke, dass Jesus unsere Krankheit, unseren Schmerz, unsere Sünde ans Kreuz getragen hat und dass wir frei sind, weil du sie ihm aufgeladen hast.
Jesus, wir danken dir, dass du diesen Weg bis ans Ende gegangen bist und über die Sünde triumphiert hast.
Wir wollen beten für unseren Alltag, für all die Sorgen, all die Probleme, die wir erleben, dass du uns diese Perspektive schenkst, den Blick auf dich, dass du mächtig bist, dass du absolut gut bist, liebevoll und treu für uns sorgst und dass wir lernen, unsere Probleme und Sorgen in deinem Licht zu sehen.
Und wir wollen beten, gerade in dieser Weihnachts- und Adventszeit, für alle, die Jesus noch nicht kennen, die auch dieses Jahr Weihnachten zwar feiern, aber gar nicht begriffen haben, warum.
Herr, öffne Herzen, schenke Glauben in unseren Familien, in den Nachbarschaften, bei den Freunden, die dich noch nicht kennen, damit es für viele wirklich Weihnachten wird und sie wirklich begreifen: Christus, der Retter, ist da.
Amen.
Lest uns ab Vers vier: „Fürwahr, er trug unsere Krankheit, und er lud auf sich unsere Schmerzen; wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre.“
Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe lag auf ihm, damit wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.
Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg; aber der Herr warf unser aller Sünde auf ihn.
Warum litt der Gottesknecht? Warum litt Jesus dort am Kreuz auf Golgatha für uns? Das ist die Kernbotschaft und steht im Zentrum dieses Liedes. Ganz mittendrin, in der dritten Strophe, heißt es: „Ist gekommen für uns.“
Vers vier: „Er trug unsere Krankheit, er lud auf sich unsere Schmerzen.“
Vers fünf: „Er ist um unserer Sünde willen zerschlagen.“
Vers sechs: „Der Herr warf unser aller Sünde auf ihn.“
All die Schmerzen, all die Verachtung, die Ablehnung und das Leid des Kreuzes – nicht weil Jesus das verdient hat, sondern weil wir das verdient haben. Es kann kaum schlimmer sein, als dass wir so etwas verdient haben sollen.
Jesaja sagt es uns mit verschiedenen Worten in dieser Strophe immer wieder: Der Punkt ist, dass Jesus das trägt, was der Gottesknecht trägt – und schuld daran ist die Sünde. Er trägt die Sünde.
Wir haben von der Sünde manchmal ganz merkwürdige Vorstellungen. Das zeigt sich schon daran, wie wir über Sünde sprechen. Wir sagen zum Beispiel: „Ich habe gesündigt“, wenn wir zu viel Schokolade gegessen oder ein Glas Wein zu viel getrunken haben. Oder jemand, der im Straßenverkehr zu schnell fährt, wird ein Verkehrssünder genannt.
Diese Sprache ist nicht hilfreich. Sie verschleiert, was Sünde wirklich ist. Es ist viel zu wenig, Sünde so zu verstehen, als ob man mal einen Fehler macht. „Ich habe halt mal etwas falsch gemacht, dann zahle ich mein Bußgeld oder faste jetzt halt mal ein bisschen Alkohol und Schokolade, dann kriege ich das schon wieder geradegebogen.“
Nein, Sünde ist viel mehr und viel schlimmer. Sie hat zwar mit dem zu tun, was wir tun, aber sie geht viel tiefer. Sünde umfasst unser ganzes Leben, unseren Lebenswandel, unseren Lebensstil, unser Denken – die Art, wie wir denken und was wir denken.
Unsere Gefühle sind durchsetzt von der Sünde, denen können wir nicht vertrauen. Unser Wille, das, was wir haben wollen und tun wollen, ist belastet von der Sünde, ganz durchdrungen.
Jesaja beschreibt es mit einem hilfreichen Bild, einem der besten Bilder für Sünde. In Vers 6 heißt es: „Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg.“ Das ist eine ganz gute Beschreibung von Sünde: Jeder sah auf seinen eigenen Weg, jeder ging den Weg, den er für richtig hielt.
Es ist kein Zufall, dass Jesaja hier von Schafen spricht. Er hätte alle möglichen Tiere als Beispiel wählen können: die Schlange, den Wolf, das Reh – die machen das auch. Aber er redet von Schafen, weil Schafe etwas anderes haben als diese Tiere. Schafe brauchen einen Hirten, damit es ihnen gut geht.
Wenn ein Schaf allein unterwegs ist, wird es früher oder später nicht gut ausgehen – eher früher als später. Das Schaf überlebt nicht lange allein in der Wildnis.
Wir Menschen sind wie Schafe, sagt Jesaja. Wir brauchen einen Hirten. Dieser Hirte ist Gott selbst. Er hat uns gemacht, er weiß, was wir brauchen, wo es uns gut geht und wie es uns gut geht.
Aber anstatt das anzuerkennen, hat jeder Einzelne von uns gedacht – da kann sich keiner rausnehmen –, „Ich weiß aber besser, was ich brauche, wo es mir gut geht und was ich haben will.“ Ein jeder sah auf seinen eigenen Weg. Das ist Sünde.
Ich gehe meinen eigenen Weg, ich denke, ich weiß es besser als Gott. Ja, ich will an der Stelle des Hirten sein. Ich denke, ich bin der bessere Hirte als der gute Hirte.
Und wie bei den echten Schafen endet es auch bei uns schlecht – es endet tödlich. Es ist die logische und auch gerechte Konsequenz, dass wir sterben, wenn wir diesen Weg gehen.
Jesaja nimmt sich dabei auch mit hinein. Er redet nicht nur über andere, sondern auch über sich selbst. Er sagt: „Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, alle miteinander.“
Aber jetzt sagt er uns auch das andere – und das ist die gute Botschaft in dieser Strophe: Der Gottesknecht kam für diese verlorenen Schafe, er litt für uns.
Er weist uns auf Jesus hin, der von sich selbst gesagt hat: „Ich bin der gute Hirte.“ Und noch mehr sagt er: „Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“
Genau das beschreibt Jesaja hier so eindrücklich: Der Gottesknecht gibt sein Leben, er leidet stellvertretend für verirrte Schafe.
Manche verstehen das, was Jesus am Kreuz getan hat, einfach als ein Vorbild für Nächstenliebe. Er hat sich aufgeopfert, und so wie Jesus sich hingegeben hat, so sollen wir uns auch für andere hingeben und diesem Beispiel folgen.
Aber wenn wir das so verstehen, dann macht das Leid, das Jesus getragen hat, überhaupt keinen Sinn.
Ich möchte, dass uns das allen klar ist: Als Vorbild, als Beispiel für Nächstenliebe macht es keinen Sinn.
Ich habe euch schon mal erzählt, ich komme von der Schwäbischen Alb, einer der schönsten Gegenden, die man sich vorstellen kann auf diesem Planeten. Drei Kilometer von meinem Elternhaus entfernt ist die Alb, da geht es steil runter, man kann ein wunderschönes Panorama sehen.
Ich habe das schon mal erzählt, und neulich hat mir jemand gesagt: „Da muss ich mal hinfahren, das will ich mir selber anschauen.“ Macht es!
Stellt euch vor, ich gehe an diesen Felsabhang, es geht wirklich ganz steil runter. Ich gehe dort hin mit meiner Frau und sage ihr: „Ruth, ich liebe dich so sehr.“ Dann gebe ich ihr einen intensiven Kuss und sage: „Mein Schatz, ich möchte dir jetzt wirklich zeigen, wie sehr ich dich liebe.“ Und dann springe ich den Fels hinunter und sterbe.
Was glaubt ihr, wie sehr wird sich Ruth von mir geliebt fühlen? Ein super Beispiel, ein super Vorbild für meine Aufopferung für meine Frau, oder?
Nein, das ist absolut absurd. Der Tod bringt meiner Frau überhaupt nichts, sie hat von diesem Liebesbeweis nichts, überhaupt nichts.
Und genau so ist es am Kreuz: Wenn wir glauben, Jesus opfert sich auf und zeigt uns etwas über Nächstenliebe, ohne dass er wirklich etwas für uns tut, dann ist das absurd.
Das ist Blödsinn. Glaubt solchen Blödsinn nicht! Dann ist er umsonst gestorben.
Nein, das Leid hat nur Sinn, wenn er wirklich das tut, was Jesaja hier beschreibt: dass er unsere Sünde trägt.
Es zeigt uns Gottes Liebe nur dann, wenn er wirklich unsere Last abnimmt. Und Gott sei Dank hat Jesus das getan.
Das Lied, das Jesaja singt, ist das, was uns die Evangelien bestätigen – jedes einzelne. Es ist das, was uns die Briefschreiber sagen: Jesus hat die Schuld getragen, er litt an unserer Stelle.
Und das führt Jesaja noch weiter aus. In den nächsten Versen, in Versen sieben bis neun, heißt es: „Als er gemartert war, da litt er doch willig, und er tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen, wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Land der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volkes geplagt war. Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemandem Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Mund gewesen ist.“
Ich finde es so wunderbar, wie Jesaja hier von Gott gezeigt bekommt – so viele Jahrhunderte vorher und bis ins Detail – wie dieser Gottesknecht, also Jesus, leidet. Wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, das nicht aufmuckt, das diesen Weg geht.
Wir lesen das auch in den Evangelien. Dort zeigt sich, wie Jesus sich nicht rechtfertigt, sondern diesen Weg treu geht. Er lässt mit sich machen, er erträgt den Spott, ohne zurückzuspottet oder zurückzuschlagen. Er heilt sogar noch einen Soldaten. Als Petrus ihn verteidigen will, sagt Jesus: „Weg mit dem Schwert!“ und heilt das Ohr des Soldaten. Jesus ist absolut liebevoll und geht diesen Weg.
Er litt willig, das sehen wir hier. Er litt willig und bis in den Tod. Vers 8 sagt, dass er aus dem Land der Lebendigen weggerissen wurde. Dann beschreibt Jesaja, dass er begraben wurde in einem Grab, das nicht sein eigenes war. Es heißt hier, bei Übeltätern wurde er begraben. Man kann es aber auch mit „bei Reichen“ übersetzen, und das ist die bessere Übersetzung.
Der reiche Joseph von Arimathäa gibt sein Grab her, das er sich für den Tag gekauft hat, an dem er stirbt, und sagt, dort soll Jesus begraben werden.
Das Wichtigste aber ist: Er litt unschuldig. Das betont Jesaja hier noch einmal in dieser vierten Strophe. Er war für die Missetat meines Volkes geplagt, obwohl er niemandem Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Mund gewesen ist.
Das ist der Grund, warum Jesus für uns bezahlen kann: seine eigene Unschuld. Wenn du hoch verschuldet bist – minus hunderttausend auf dem Konto –, dann kannst du deine eigene Schuld nicht bezahlen und erst recht nicht die Schuld von jemand anderem. Aber weil Jesus keine Schuld hatte und wirklich nach dem Willen des Vaters in jedem einzelnen Augenblick gelebt hat, kann er die Schuld von Sündern bezahlen.
Jesaja verwendet in dieser vierten Strophe wieder das Bild von dem Schaf, von dem Lamm – es ist wieder Opfersprache. Wir dürfen sehen, was Jesaja uns hier zeigt: Diese ganzen Opfer in Israel, dieser ganze Opferkult, waren von Gott angeordnet. Aber nicht, weil diese Tiere retten konnten, sondern weil sie ein Bild waren, das darauf hinwies, dass einer kommen würde, der wirklich die Schuld bezahlen kann.
Tiere können nicht die Schuld von Menschen bezahlen, aber der Menschensohn, der Knecht Gottes, Jesus Christus, der kann.
Wir könnten noch länger darüber nachdenken. Im Neuen Testament wird das immer wieder entfaltet, vor allem im Hebräerbrief, dass das Blut von Tieren nicht retten kann, aber das Blut des Sohnes Gottes.
Das bringt uns zur letzten Strophe. Was ist das Ziel? Was will er damit erreichen? Jesaja malt uns das in der letzten Strophe vor Augen. Ich lese uns die Verse 10 bis 12:
"So wollte ihn der Herr zerschlagen mit Krankheit. Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und lange leben, und der Plan des Herrn wird durch seine Hand gelingen. Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, vielen Gerechtigkeit schaffen, denn er trägt ihre Sünden. Darum will ich ihm viele zur Beute geben, und er soll die Starken zum Raub haben, dafür, dass er sein Leben in den Tod gegeben hat, den Übeltätern gleichgerechnet ist, ihre Sünde getragen hat und für die Übeltäter gebeten hat."
Das ist die letzte Strophe. Am Anfang sahen wir, dass die Mission erfolgreich sein wird, und hier bestätigt sich das: Jawohl, sie wird erfolgreich sein.
Was hier als Erstes ins Auge springt, ist, dass der ganze Weg des Gottesknechts vom Anfang bis zum Ende der Plan Gottes war. Gott wollte das so. Es war kein Unfall, kein Unglück, dass Jesus gekreuzigt wurde. Es war auch nicht in erster Linie das Werk böser Menschen, auch wenn sie einen gewichtigen Anteil an der Umsetzung dieses Plans hatten. Sie haben ihn natürlich ans Kreuz gebracht, aber in letzter Instanz lesen wir hier in Vers 10: "So wollte ihn der Herr zerschlagen mit Krankheit." Der Herr wollte das tun. Es war sein Plan, um Sünder zu retten.
Das lesen wir noch ein bisschen später in Vers 10: "Der Plan des Herrn wird durch seine Hand gelingen." Es lag allein in der Hand Gottes, allein in der Hand dieses Gottesknechts.
Jesus sagt es an anderer Stelle: Niemand nimmt das Leben von mir, ich gebe es freiwillig aus Liebe für Sünder, weil er das Ziel im Blick hat. Er weiß: Wenn ich das tue, werde ich selbst auferstehen. Ich werde nicht im Grab bleiben, ich werde überwinden, ich werde auch wieder auffahren.
Wir haben es gerade im Glaubensbekenntnis bekannt: Er ist aufgefahren in den Himmel, sitzt zur Rechten Gottes, ist wirklich erhöht, siegreich und hat das Leben in Ewigkeit.
Und mit sich nimmt er viele Nachkommen mit. Das sagt uns Jesaja: Er wird viele Nachkommen haben, die mit ihm lange leben, in Ewigkeit.
Wer sind diese Nachkommen? Alle, die dem Gottesknecht vertrauen, die an ihn glauben, die glauben, was Jesaja hier besingt, dass er wirklich gekommen ist, um unsere Schuld zu tragen, die glauben, dass das wirklich passiert ist.
Deshalb ist es ein ganz persönliches Lied und auch eine ganz persönliche Frage: Verstehst du, wozu der Gottesknecht gekommen ist? Wozu Jesus an Weihnachten in diese Welt gekommen ist?
So wie es in dem Lied heißt: "Christus ist erschienen, uns zu versöhnen, um Frieden zu machen zwischen Gott und Menschen." O mein Herr, du hast deinen Sohn gesandt, um uns zu retten.
Jeder, der das glaubt, gehört zur Familie Gottes, ist ein Nachkomme, eine geliebte Tochter oder ein geliebter Sohn des Vaters.
Es ist wichtig, dass du das für dich persönlich klärst: Wo stehe ich da? Vertraue ich dem Gottesknecht?
Wenn du das tust, dann nimm dir dieses Lied zu Herzen. Das ist ein Lied, das man in Dauerschleife hören kann, ein Ohrwurm, ein Lied, das sich lohnt, auch auswendig zu lernen. Es zeigt uns, wie sehr uns Gott liebt.
Das ist es, was dieses Lied vom Anfang bis zum Ende sagt: Gott liebt verlorene Menschen so sehr, dass er alles für sie gibt – sein Bestes, seinen geliebten Sohn.
Jesus liebt uns so sehr, dass er sich hingibt und sich aufopfert.
Viele Probleme, die wir in unserem Alltag haben, hängen damit zusammen, dass wir das nicht genug begriffen haben, dass wir uns das nicht genug zu Herzen nehmen.
Deshalb muss Gott es immer wieder mit uns durchbuchstabieren, was er für uns getan hat und wie sehr er uns liebt.
Wenn dich Menschen mobben, verachten, links liegen lassen oder schlecht über dich reden, dann ist das schlimm. Aber es kann dir nicht den Boden unter den Füßen wegziehen, wenn du weißt, dass die wichtigste Person in diesem Universum dich liebt, für dich da ist und alles für dich gibt.
Wenn du krank bist, vielleicht sogar schwer, dann tut das weh, und das will ich überhaupt nicht kleinreden.
Doch es kann dir nicht die Freude nehmen, wenn du weißt, was der Sohn Gottes für dich durchlitten hat, welche Schmerzen er auf sich genommen hat, damit deine größte Krankheit – die wirklich schlimmste aller Krankheiten, die Sünde – ein für alle Mal geheilt werden darf und du in Ewigkeit bester Gesundheit erfreuen wirst.
Sei dir dessen sicher.
Wenn dir Zweifel kommen: Bin ich denn überhaupt gerettet? Ich weiß, manche von uns haben diese Frage: Ja, bin ich denn überhaupt dabei?
Dann kann das deine Seele plagen, aber nur solange, bis du dieses Lied hörst, nur solange, bis du dir diese Worte hier zu Herzen nimmst.
Denn wenn du wieder in Jesaja 53 gehst und das liest, dann merkst du: Was ich tue, das kann mich nicht trennen.
Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, und wir gehen immer noch, immer mal wieder verloren.
Aber Gott sei Dank warf der Herr unsere Sünde auf ihn, und das reicht. Das reicht.
Gott sei Lob, Preis und Ehre dafür.
Lasst uns beten.
Vater, wir danken dir so sehr für dieses Wunder, dass die Propheten – und hier besonders Jesaja – das Kommen des Menschensohnes, das Kommen Jesu, schon vorausschauen durften. Das zeigt uns so klar, dass es dein guter Plan war, schon lange bevor Jesus dann wirklich an Weihnachten gekommen ist.
Wir danken dir, dass du uns in unserer Not gesehen hast, dass du unsere Sünde erkannt hast und dich nicht abgewandt hast, so wie wir uns oft von dir abwenden. Stattdessen hast du dich bekümmert und alles in Bewegung gesetzt, um das zu heilen, was wir selbst nicht heilen konnten.
Wir danken dir, dass Jesus unsere Krankheit, unseren Schmerz und unsere Sünde ans Kreuz getragen hat und dass wir frei sind, weil du ihm diese Last aufgeladen hast. Jesus, wir danken dir, dass du diesen Weg bis ans Ende gegangen bist und über die Sünde triumphiert hast.
Wir wollen für unseren Alltag beten – für all die Sorgen und Probleme, die wir erleben. Schenke uns die Perspektive, den Blick auf dich. Lass uns erkennen, dass du mächtig bist, absolut gut, liebevoll und treu für uns sorgst. Hilf uns, unsere Probleme und Sorgen in deinem Licht zu sehen.
Besonders in dieser Weihnachts- und Adventszeit wollen wir beten für alle, die Jesus noch nicht kennen. Für diejenigen, die auch in diesem Jahr Weihnachten feiern, aber nicht verstanden haben, warum. Herr, öffne ihre Herzen und schenke Glauben – in unseren Familien, in unseren Nachbarschaften und bei den Freunden, die dich noch nicht kennen.
Lass es für viele wirklich Weihnachten werden und dass sie begreifen: Christus, der Retter, ist da. Amen.