Guten Abend, ich begrüße alle herzlich. Wir befinden uns im ersten Kapitel des Titusbriefes und lesen gleich Vers 5.
Darf ich bitten, dass jemand von Vers 5 bis zum Ende des Kapitels vorliest?
Deswegen ließ ich dich in Kreta zurück, damit du das, was noch fehlte, in Ordnung bringst und in jeder Stadt Älteste einsetzt, wie ich dir geboten hatte. Ein Ältester soll untadelig sein, Mann einer Frau, mit gläubigen Kindern, die nicht eines ausschweifenden Lebens beschuldigt oder aufsässig sind.
Denn der Aufseher muss untadelig sein als Gottesverwalter. Er darf nicht eigenmächtig, nicht jähzornig und nicht dem Wein ergeben sein. Er soll kein Schläger sein und nicht schändlichem Gewinn nachgehen. Stattdessen soll er gastfrei sein, das Gute lieben, besonnen, gerecht, heilig und enthaltsam. Außerdem muss er an dem zuverlässigen Wort festhalten, das der Lehre entspricht. So ist er fähig, sowohl mit gesunder Lehre zu ermahnen als auch die Widersprechenden zu überführen.
Denn es gibt viele Aufsässige, hohe Schwätzer und Betrüger, besonders unter denen, die beschnitten sind. Ihnen muss man den Mund stopfen, denn sie kehren ganze Häuser um, indem sie um schändlichen Gewinnes willen lehren, was sich nicht gehört.
Einer von ihnen, ihr eigener Prophet, hat gesagt: „Kreter sind immer Lügner, böse, wilde Tiere, faule Bäuche.“ Dieses Zeugnis ist wahr. Deshalb weise sie streng zurecht, damit sie im Glauben gesund bleiben und nicht auf jüdische Fabeln und Gebote von Menschen achten, die sich von der Wahrheit abwenden.
Den Reinen ist alles rein, den Befleckten und Ungläubigen aber ist nichts rein. Vielmehr sind sowohl ihre Gesinnung als auch ihr Gewissen befleckt. Sie geben vor, Gott zu kennen, verleugnen ihn aber in ihren Werken. Sie sind abscheulich, ungehorsam und zu jedem guten Werk ungeeignet.
Wir haben beim letzten Mal gesehen, dass der Titusbrief einer der spätesten Briefe von Paulus ist. Er wurde nach den vier Missionsreisen geschrieben, die in der Apostelgeschichte beschrieben werden.
Die Apostelgeschichte endet mit der ersten Gefangenschaft von Paulus in Rom, die etwa von 60 bis 62 nach Christus dauerte. Danach wurde Paulus wieder freigelassen und reiste umher. In dieser Zwischenzeit kam er übrigens bis nach Spanien. Das war schon lange sein Wunsch gewesen: einmal bis nach Spanien zu reisen. Er besuchte auch Orte, die mit dem Titusbrief übereinstimmen.
Die geografischen Angaben im Titusbrief passen nicht zu den vier Missionsreisen, sondern zu dieser Zwischenzeit. Später wurde Paulus erneut verhaftet, nach Rom gebracht und kam in die Todeszelle. Aus dieser Zelle schrieb er dann seinen letzten Brief, den zweiten Timotheusbrief.
Den Titusbrief und auch den ersten Timotheusbrief schrieb Paulus hingegen in dieser Zwischenzeit. In Titus 1,5 lesen wir: „Deswegen ließ ich dich in Kreta zurück.“ Das zeigt, dass Paulus nicht nur in Spanien war, sondern auch in Kreta.
Dort ließ er Titus zurück, damit dieser anderswo dienen konnte. Er gab ihm einen wichtigen Auftrag: In allen Ortschaften, in denen es Gemeinden gab – damals in Kreta – sollten Älteste eingesetzt werden.
Und das hatte einen ganz bestimmten Grund, beziehungsweise einen besonders wichtigen Grund, nämlich aus dem, was wir jetzt gelesen haben. Eigentlich sind es zwei Gründe.
Ein Grund betrifft die Lehrer, die in Vers 10 als zügellos, Schwätzer und Betrüger bezeichnet werden. Der zweite Grund ist, dass er sie zurechtweisen muss – und zwar streng. Dafür braucht man Führer, die eine klare Linie vorgeben.
Die Kreter waren damals durch einen besonderen Volkscharakter gekennzeichnet, der sehr schwierig war. Deshalb war eine gesunde Führung notwendig, die die gesunde Lehre vermittelte. In Vers 9 haben wir von dieser gesunden Lehre gelesen. Die Ältesten sollten unter anderem dadurch gekennzeichnet sein, dass sie dem zuverlässigen Wort nach der Lehre anhängen. So sind sie fähig, sowohl mit der gesunden Lehre zu ermahnen als auch die Widersprechenden zu überführen.
Diese gesunde Lehre ist sehr wichtig. Wir sehen dann auch in Kapitel 2 – es ist ein bisschen laut, noch ein ganz kleines Runterschrauben, danke! – dass es heißt: „Du aber rede, was der gesunden Lehre geziemt.“
Im Titusbrief steht diese Lehre noch mehr im Vordergrund. Gesunde Lehre bringt nämlich auch Gesundheit im Glauben. Diese sollte durch eine gesunde Führung gefördert werden.
Nun fangen wir also ein bisschen hinten an. Bevor wir uns die achtzehn moralischen Eigenschaften von Ältesten anschauen, betrachten wir zunächst das Problem mit dem Volkscharakter der Kreter. Worauf gründet Paulus diese Beschreibung? In Vers zwölf sagt er ja, Kreter seien immer Lügner, böse, wilde Tiere, faule Bäuche.
Epimenides? Aber ich habe nichts von Epimenides gelesen. Wie kommst du darauf?
Er hat das gesagt, und zwar um sechshundert vor Christus. In Athen ließ er sogar eine Statue aufstellen.
Epimenides wird hier zwar nicht erwähnt, aber dieses Zitat ist aus der griechischen Literatur bekannt. Es geht tatsächlich auf einen gewissen Epimenides aus Kreta zurück, der, wie gesagt, um sechshundert vor Christus lebte. Paulus sagt, es habe einer von ihnen, ihr eigener Prophet, das gesagt. Tatsächlich erwähnt auch Platon Epimenides in seinen Schriften und nennt ihn einen göttlichen Mann. Weitere antike Autoren wie Cicero, ein römischer Schriftsteller, und Apuleius sprechen ebenfalls von Epimenides als einem Propheten.
Paulus sagt nicht, dass Epimenides ein Prophet gewesen sei, sondern dass er ihr eigener Prophet war, der diese Worte sprach. Das war wichtig, denn Paulus macht keine allgemeine Behauptung über die Kreter oder ihren Volkscharakter, sondern stützt sich auf einen Kreter, der über seine eigenen Leute sprach. Epimenides war ein Kreter und sagte über die Kreter: „Kreter sind immer Lügner, böse, wilde Tiere, faule Bäuche.“
Dieser Satz ist ein Vers, genauer gesagt ein Hexameter. Falls jemand nicht weiß, was ein Hexameter ist: Es handelt sich um ein Versmaß, das in der Antike im Griechischen und Lateinischen eine wichtige Rolle spielte. Der Hexameter besteht aus sechs Versfüßen, typischerweise fünf Daktylen (ein Dreivierteltakt) und einem verkürzten sechsten Fuß. Dieses Versmaß wurde verwendet, um die Poesie abwechslungsreich und nicht langweilig zu gestalten.
Ich kann den Rhythmus mal vorlesen: „Kretes Aei Psois Dei Kaka Terria Gasteres Argei.“ Man merkt den Rhythmus deutlich, mit einem verkürzten Versfuß am Schluss.
Also stammt dieser Vers nicht von Paulus, sondern er zitiert Epimenides und sagt dann in Vers 13: „Dieses Zeugnis ist wahr.“ Paulus hat also selbst auf Kreta erlebt, wie der Menschentyp dort ist.
Das ist keine rassistische Aussage, sondern eine Beschreibung eines Volkscharakters. Wo ich gerade herkomme, aus Brasilien, sagen die Leute dort oft etwas Ähnliches, wenn man irgendwo hinkommt. Wir haben ja gleich angesprochen, dass die Straßen sauber sind. Die Schweizer machen alles sehr sauber, wissen aber genau, dass es viele Schweizer gibt, die gar nicht sauber sind. Trotzdem charakterisiert das eine Eigenschaft der Allgemeinheit.
Auch Deutsche gelten als gründlich. Natürlich gibt es viele Deutsche, die ungründlich sind. Aber diese Charakterzüge haben Einfluss auf die Wirtschaft, zum Beispiel auf den Autobau mit Opel, Ford und BMW. Diese Werke sind so erfolgreich geworden, weil diese Gründlichkeit dort vorhanden ist.
Nun sagt Paulus also: „Dieses Zeugnis ist wahr.“ Da könnte jemand logisch einwenden: Wie kann das sein? Er sagt ja, Kreter sind immer Lügner. Und dann sagt er von diesem kretischen Zeugnis: „Dieses Zeugnis ist wahr.“ Das klingt nicht logisch. Wenn ein Lügner das gesagt hat, nämlich dass Kreter immer lügen, dann müsste er selbst ja gelogen haben.
Das ist das Problem: Viele verstehen Sprache nicht richtig. Meine Sprache sei exakt das Gleiche wie Mathematik, wird manchmal gesagt. Das ist sie aber nicht. Wenn man zum Beispiel sagt: Im Zweiten Weltkrieg wurde Dresden bombardiert, so dass kein Stein mehr auf dem anderen stand, könnte jeder sagen, das stimme nicht, denn am nächsten Tag lag noch ein Stein auf dem anderen. Aber das ist eine übertriebene Ausdrucksweise, mit der gesagt wird, dass die Stadt gründlich zerstört wurde.
Das ist auch in der Bibel wichtig. Manchmal sagen Leute: „In der Bibel steht, wenn dich deine Hand ärgert, musst du sie abhauen.“ Sie merken nicht, wie Sprache aufgebaut ist. Sprache hat verschiedene Stilformen, und manchmal wird etwas krass ausgedrückt. Jeder, der gesund denkt, merkt sofort, dass nicht gemeint ist, die Hand tatsächlich abzuhauen. Vielmehr soll man gegen das, was eine Versuchung ist, radikal und gründlich im Leben vorgehen.
So ist es auch mit dem Satz: „Kreter sind immer Lügner, böse, wilde Tiere, faule Bäuche.“ Das ist im Allgemeinen so. Aber ein Kreter wie Epimenides konnte auch mal die Wahrheit sagen.
Epimenides spielt eine weitere Rolle im Neuen Testament. In der Apostelgeschichte 17 wird berichtet, dass Paulus nach Athen kommt. Er muss dort auf seine Freunde warten. Was macht ein Evangelist, wenn er warten muss? Er geht in die Stadt und schaut sich um.
Paulus ist entsetzt und innerlich bewegt, als er all die Götterstatuen sieht. Schließlich wird er verhaftet und vor den Areopag gestellt. Dort hält er eine Rede, die in Apostelgeschichte 17 ab Vers 22 beschrieben ist. In Vers 16 besucht er die Stadt und führt Diskussionen auf dem Marktplatz mit verschiedenen Leuten. In Vers 22 steht er vor dem Areopag und sagt:
„Männer von Athen, ich sehe, dass ihr in jeder Beziehung den Göttern sehr ergeben seid, denn als ich umherging und eure Heiligtümer betrachtete, fand ich auch einen Altar, an dem die Aufschrift war: 'Einem unbekannten Gott'. Was ihr nun, ohne es zu kennen, verehrt, das verkündige ich euch.“
Paulus konnte also sagen, dass er in der Stadt umhergegangen ist und einen Altar mit der Aufschrift „Agnosto Theo“ – dem unbekannten Gott – entdeckt hat. Diesen Gott verkündigt er den Menschen.
Warum konnte Paulus das sagen? Weil er die Hintergrundgeschichte kannte. Schon im Titusbrief zitiert er Epimenides, was zeigt, dass er sich in der griechischen Literatur und Geschichte gut auskannte. Wenn man das Evangelium Menschen bringen will, ist es wichtig, sich für ihre Lebensweise, ihr Denken, ihre Kultur und ihre Geschichte zu interessieren. Nur so kann man sie richtig ansprechen.
Paulus kannte diese Geschichte: Um 600 v. Chr. erlebte Athen eine schwere Seuche – nicht Covid, sondern die Pest. Die Menschen starben wie die Fliegen. Sie opferten allen Göttern, doch es half nichts. Aus der Antike wird berichtet, dass es einfacher war, in Athen einem Gott als einem Menschen zu begegnen – eine übertriebene Redeweise, aber sie zeigt die Verzweiflung der Menschen.
Der Areopag schickte daraufhin eine Gesandtschaft nach Kreta zu Epimenides. Er wurde geholt, stand vor dem Areopag und hielt eine Rede. Er sagte: Ihr habt allen Göttern geopfert, doch es hat nichts genützt. Ihr habt aber nicht dem Gott geopfert, der über diese Pest herrscht. Deshalb schlage ich vor, Altäre zu errichten und darauf „dem unbekannten Gott“ zu schreiben. Opfert Lämmer für diesen Gott.
Das wurde damals gemacht, und die Pest hörte auf.
Stellen wir uns nun vor: Mehr als ein halbes Jahrtausend später kommt Paulus nach Athen. Er findet noch einen archäologischen Überrest aus jener Zeit – den Altar mit der Inschrift „dem unbekannten Gott“. Paulus sagt: Diesem Gott verkündige ich euch.
Das war für ihn eine Rettung. Einige Jahrhunderte zuvor lebte Sokrates, ein Philosoph in Athen. Die Eltern seiner Schüler waren ihm feindlich gesinnt und verleumdeten ihn, er würde fremde Götter nach Athen bringen. Das war eine Lüge. Dennoch wurde er vor den Areopag gestellt, zum Tod verurteilt und starb durch den Giftbecher.
Über 400 Jahre später kommt Paulus nach Athen. Er redet mit den Leuten auf dem Markt. Einige sagen in Vers 18, er sei ein Verkündiger fremder Götter – genau der gleiche Vorwurf, der auch gegen Sokrates erhoben wurde.
Paulus steht vor dem Areopag und sagt: Ich habe einen Altar gefunden, der dem unbekannten Gott gewidmet ist. Diesem Gott verkündige ich euch. Damit war er aus der Gefahr befreit.
Das war möglich, weil Paulus die Geschichte mit Epimenides kannte und auch das archäologische Schaustück, den Altar in Athen, für die Verkündigung des Evangeliums nutzen konnte. Durch diese Rede kamen Menschen zum Glauben.
Auch hier zeigt sich, dass Paulus die Kreter kannte und den Beleg aus der Literatur. Nicht nur Epimenides, sondern auch andere antike Schriftsteller wie Platon, Polybios, Ovid und Kallimachus beschrieben den Charakter der Kreter ähnlich. Es war keine Privatmeinung, sondern eine weit verbreitete Einschätzung, dass die Kreter schwierige Leute waren.
Paulus wirkte dort, Gemeinden entstanden, Menschen bekehrten sich. Doch nun erhält Titus den Auftrag, Älteste einzusetzen, weil es in diesen Gemeinden oft schwierig zugeht.
Dabei ist Folgendes wichtig zu beachten:
Schlagen wir 2. Korinther 5,17 auf. Liest du das vor, Benjamin?
Dort steht: „Wenn jemand in Christus ist, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden.“ Ja, der Mehrheitstext sagt sogar „alles ist neu geworden“. Noch stärker, oder? Du zitierst offensichtlich aus der Elberfelder Bockhaus-Ausgabe, nicht wahr? Und die CSV hat das leider auch so. Aber weil es ein Mischtext ist, müsste es eigentlich heißen: „alles ist neu geworden“, genauso wie es in Offenbarung 21 steht, wo es um die Neuschöpfung geht – um neue Himmel und eine neue Erde.
Ist das nicht etwas Wunderbares? Jeder, der zum Glauben kommt, darf sich auf 2. Korinther 5,17 berufen: „Ich bin eine neue Schöpfung.“
Jetzt könnte aber jemand auf die Idee kommen: Da steht ja „Ich bin eine neue Schöpfung“, aber in meinem Leben erlebe ich einige Probleme. Ich habe das Gefühl, es ist gar nicht so. Irgendwie stimmt das bei mir nicht.
Ja, es ist eben ganz wichtig: Wenn wir einen Vers anschauen, müssen wir auch sehen, was andere Stellen dazu sagen. Erst dann bekommen wir das vollständige Bild dessen, was der Herr sagen will.
Zum Beispiel sollten wir Römer 7 aufschlagen. Nicht wahr, als der Teufel begann, die Bibel zu zitieren – in Matthäus 4 zitiert er aus den Psalmen –, sagte Jesus: „Es steht wiederum geschrieben.“ Der Teufel hatte den Bibelvers falsch angewendet und wollte damit beweisen, man könne eine Show abziehen, vom Dach runterspringen, und Gott würde einen bewahren. Das hat aber nichts mit Psalm 91 und der Bewahrungsverheißung zu tun.
Da sagt Jesus: „Es steht wiederum geschrieben.“ Und da müssen wir jetzt eben auch Römer 7 aufschlagen. Dort spricht der Apostel Paulus über die Zeit nach seiner Bekehrung. Offensichtlich war er damals nicht viel allein, gerade in der Zeit, als er in Arabien war, und da hat er plötzlich gemerkt: In mir stimmt etwas nicht.
Nehmen wir Römer 7, Vers 14: „Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft. Denn was ich vollbringe, erkenne ich nicht; denn nicht, was ich will, das tue ich, sondern was ich hasse, das übe ich aus. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, so stimme ich dem Gesetz bei, dass es gut ist. Nun aber vollbringe ich nicht mehr es, sondern die in mir wohnende Sünde. Denn ich weiß, dass in mir, in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt; denn das Wollen ist bei mir vorhanden, aber das Vollbringen des Guten nicht. Denn das Gute, das ich will, übe ich nicht aus, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, so vollbringe nicht mehr ich es, sondern die in mir wohnende Sünde. Ich finde also das Gesetz, dass bei mir, der ich das Gute tun will, nur das Böse vorhanden ist. Denn ich habe nach dem inneren Menschen Wohlgefallen am Gesetz Gottes, aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meines Sinnes widerstreitet und mich in Gefangenschaft bringt unter das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. Ich elender Mensch, wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes? Ich danke Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn. Also diene ich nun selbst mit dem Sinn dem Gesetz Gottes, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde.“
Stellen wir uns vor: Der Apostel Paulus spricht hier über seine Erfahrung, wie er nach der Bekehrung völlig enttäuscht von sich selbst war – obwohl er eine neue Schöpfung geworden war. Aber eben, das ist nur ein Teil der Wahrheit.
Wenn jemand in Christus ist, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden.
Es ist eigentlich so wie in einem Anatomiebuch: Dort wird auf einer Seite schemenhaft der menschliche Körper mit allen Blutgefäßen dargestellt. Die inneren Organe wie Leber, Milz usw. werden weggelassen, also nicht detailliert beschrieben – nur so, wie es gerade mit den Blutgefäßen im Zusammenhang steht.
Man sagt, das ist eine abstrakte Beschreibung. Abstrakt heißt, man lässt andere Dinge weg und konzentriert sich auf etwas Bestimmtes. So ist es oft in der Schrift: Verse konzentrieren sich auf etwas Spezielles, nämlich darauf, dass wir durch die Bekehrung und Wiedergeburt ganz neue Menschen geworden sind.
Aber wir erfahren aus anderen Stellen, dass wir auch nach der Bekehrung, nachdem wir ewiges Leben bekommen haben, immer noch das Fleisch in uns tragen. Und das Fleisch meint hier nicht den Körper, sondern in Römer 7 die böse Natur, die wir von Adam geerbt haben. Diese wird von Generation zu Generation weitergegeben.
Diese sündige Natur in uns ist also eine Kraft, die uns zum Falschen hinzieht. Und so entsteht eben dieser Konflikt in Römer 7. Einerseits haben wir das ewige Leben, und das ist nicht etwas Abstraktes. Jesus sagt in Johannes 14,6: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Das ewige Leben ist er selbst, und er ist die Kraft in uns, um gottgemäß leben zu können.
Aber wir haben noch das andere. Darum ist es jeden Tag eine Entscheidung, wem wir folgen.
Die sündige Natur beschreibt Paulus in Römer 7, Vers 18: „Denn ich weiß, dass in mir, in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt.“ Er ist so enttäuscht über sich, dass er in Vers 24 sagt: „Ich elender Mensch!“ Das ist schon krass.
Doch der Apostel Paulus zeigt auch auf, wie man praktisch überwinden kann. Es ist also nicht einfach ein Schicksal.
Darum ist es wichtig: Wenn man sich bekehrt hat, heißt das nicht, dass man nicht mehr fällt. Es ist sogar so, dass Jakobus, der wirklich ein treuer Mann war – bekannt als gerechter Mann in Israel, was auch außerbiblisch belegt ist –, in Jakobus 3,1 schreibt: „Brüder, seid nicht viele Lehrer, denn wir alle straucheln oft.“
Wie kann er das sagen? Nun, es ist jeden Tag eine Entscheidung.
Dazu kommt noch etwas: Nicht nur die sündige Natur, die wir alle haben, sondern auch unsere Erziehung, Prägung und Gewohnheiten – und jetzt sind wir beim Thema Volkscharakter – spielen eine Rolle.
Das muss berücksichtigt werden, wenn man Gemeindebau betreibt. Und genau das ist jetzt in Titus 1 das besondere Thema.
Diese Gewohnheiten sind immer noch da, obwohl die Leute, die sich bekehrt haben, eine neue Schöpfung geworden sind. Darum sollten sie mit gesunder Lehre gesund gemacht werden.
Man könnte sagen: Jeder Bekehrte ist wie der Mann im Gleichnis in Lukas 10 vom guten Samariter, der von Räubern gefallen ist. Der gute Samariter bringt diesen Halbtoten in die Herberge, und dort wird er gesund gepflegt.
Diese Herberge ist ein Bild der Gemeinde, wo Menschen auch mit ihrem Volkscharakter gesund gepflegt werden müssen. Und das geschieht durch gesunde Lehre.
Anhand des Wortes muss man erkennen, dass diese Art zu leben – wie sie auf Kreta vorherrschte – das Problem war: Lügen, Faulheit und der Hang zu Gewalttätigkeit. Das ist für Gläubige nicht akzeptabel.
Lügen ist keine Option, ein No-Go für Gläubige. Ebenso wenig Faulheit oder Macho-Gehabe.
Darum braucht es Älteste, die das Kennzeichen haben, „anhängend dem zuverlässigen Wort nach der Lehre“, damit sie fähig sind, sowohl mit gesunder Lehre zu ermahnen als auch die Widersprechenden zu überführen (Titus 1,9).
Man muss solche ermahnen, die es eigentlich schon wissen, aber eine Erinnerung brauchen. Und solche, die es gar nicht einsehen, muss man anhand des Wortes überführen.
Beide Fähigkeiten müssen vorhanden sein, um den Volkscharakter zu überwinden und in der Gemeinde einen Kontrast zur Gesellschaft zu schaffen – so wie es damals in Kreta dringend nötig war.
Ja, aber jetzt können wir wieder zurückgehen zu Vers 5. Titus hat den Auftrag, Älteste einzusetzen. Interessant ist, dass er nicht sagt, die Gemeinde solle Älteste wählen. Warum sagt er das nicht? Weil Titus apostolischer Autorität unterstand. Er hatte diese Autorität. Titus bekam von dem Apostel Paulus als Vertreter den Auftrag und vertrat damit die apostolische Autorität, mit der er Älteste einsetzte. Aber eben interessant: Nicht die Gemeinde wählt die Ältesten.
Gibt es noch weitere Stellen, die sich mit dem Einsetzen von Ältesten beschäftigen? In 1. Timotheus 3 geht es um Älteste, und dort werden siebzehn Kennzeichen aufgezählt, die Älteste haben sollen. Hier sind es achtzehn. Siebzehn plus achtzehn, aber sechs Kennzeichen kommen in beiden Stellen vor. Also kann man siebzehn plus achtzehn minus sechs rechnen, und so haben wir insgesamt mit beiden Stellen – 1. Timotheus 3 und Titus 1 – neunundzwanzig Kennzeichen für einen Ältesten.
Aber dort geht es nicht ums Einsetzen. Siehst du, was der Unterschied ist? Die Kennzeichen sind dort, aber die Einsetzung nicht.
Kommt dir noch eine andere Stelle in den Sinn? Apostelgeschichte. Jawohl. Und zwar an zwei Stellen. Fangen wir vorne an: Apostelgeschichte 14, Vers 23. Kapitel 13, Vers 14 beschreibt die erste Missionsreise des Paulus. Dort liest du: „Als sie ihn aber in jeder Gemeinde Älteste gewählt hatten, beteten sie mit Fasten und befahlen sie dem Herrn, an den sie gläubig geworden waren.“
Danke. Wer ist „sie“? Welche Apostel? Paulus? Und Barnabas? Ja, wobei zu sagen ist, Barnabas war nicht einer der Zwölf, aber Paulus war ein Apostel Jesu Christi. Dieser Ausdruck „Apostel Jesu Christi“ wird nämlich nur für die Zwölf verwendet, die der Herr mit einer ganz besonderen Autorität in Bezug auf die zwölf Stämme Israels eingesetzt hat, und Paulus, der als Apostel für die nichtjüdischen Völker der Welt eingesetzt wurde.
Ganz wichtig: Dieser Apostel hat nie Nachfolger eingesetzt. Mit ihrem Tod endete das Apostelamt nicht einfach, aber der letzte Apostel war Johannes. Er schrieb noch das Johannes-Evangelium, die drei Johannesbriefe und auch die Offenbarung, mit der die Bibel abgeschlossen wird. Dann ist er gestorben im ersten Jahrhundert. Es gab keine apostolische Sukzession.
Das war eine spätere Erfindung der katholischen Kirche, die behauptete, der Papst von Rom, also der Bischof von Rom, gehe in ununterbrochener Abfolge zurück auf Petrus, Apostel Jesu Christi. Und dass so die Autorität quasi in Sukzession, also in Folge, bis heute übertragen worden sei – bis Franziskus. Aber das ist vollkommen gegen die Schrift.
Sie haben keine Nachfolger eingesetzt.
Epheser 2, Vers 20 sagt ja, dass die Gemeinde als geistliches Haus Gottes gegründet sei auf die Grundlage der Apostel und Propheten. Also die Apostel Jesu Christi haben die Grundlage gelegt, zusammen mit Propheten, die von ihnen anerkannt waren, wie Markus, Lukas, Jakobus, Judas, die auch Bibelbücher geschrieben haben, als Propheten, aber keine Apostel Jesu Christi waren.
So war Paulus als Apostel Jesu Christi zusammen mit Barnabas unterwegs. Andere werden auch Apostel genannt, zum Teil, aber das Wort „Apostel“ heißt einfach Gesandter und wird manchmal im Sinn von Missionar gebraucht.
Wenn es aber heißt „Apostel Jesu Christi“, dann ist das etwas ganz Besonderes. Das ist nicht einfach ein Missionar, sondern jemand, der diese grundlegende Autorität zur Grundlegung der Gemeinde hat, nach Epheser 2, Vers 20.
Jetzt sehen wir Paulus zusammen mit Barnabas, wie sie Älteste wählen. Auch hier wird – wie in Titus – die Autorität von oben eingesetzt.
Es gibt auch noch eine weitere Stelle in der Apostelgeschichte zum Einsetzen: Apostelgeschichte 20. Paulus hat die Ältesten von Ephesus zusammengerufen und ihnen eine Abschiedsrede gehalten, eine zu Herzen gehende Abschiedsrede. Dort sagt er zu diesen Ältesten in Vers 28: „Habt Acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in welcher der Heilige Geist euch als Aufseher eingesetzt hat, die Gemeinde Gottes zu hüten, die er sich erworben hat durch das Blut seines eigenen Sohnes.“
Vers 17 macht klar, dass er zu den Ältesten der Gemeinde spricht. Diese Ältesten nennt er hier in Vers 28 Aufseher. Das griechische Wort ist „episkopos“: „epi“ heißt darauf, „skopos“ schauen, also genau hinschauen. Ein Ältester muss die Augen offen haben und sich so die Übersicht immer wieder erarbeiten über die Geschwister und ihre Bedürfnisse.
Aus dem Wort „episkopos“ ist später im Deutschen das Wort „Bischof“ entstanden. Ich muss das mal aufschreiben: „Episkopos“ – das „E“ streichen wir mal ab, denn der Vokal fällt oft weg. Dann bleibt „piskop“. Die griechische Endung „os“ wird auch weggelassen. Dann bleibt „biskop“. Das „p“ verschiebt sich schnell zu einem „v“ oder „f“. Darum sagen wir auf Deutsch „Bischof“, auf Französisch „Évêque“. Das „p“ ist ein Lippenlaut, der sich leicht verschiebt. So entstand das Wort „Bischof“ aus dem Griechischen.
In der langen Rede kurzer Sinn: Älteste sind relativ alt. Das griechische Wort „presbyteros“ ist ein Komparativ. Wir haben ja gelernt: gut, besser, am besten. „Presbyteros“ bedeutet „relativ alt“. Also nicht ein Junge, sondern jemand, der eine gewisse Reife hat.
„Aufseher“ bedeutet jemand, der sich wirklich um die Geschwister kümmert und offene Augen für ihre Bedürfnisse und Anliegen hat.
Wir sehen auch, wie Paulus sich selbst diesen Ältesten gegenüber beschreibt: als jemand, der ihnen wirklich einzeln nachgegangen ist und sie sogar unter Tränen ermahnt hat, als innerlich mitgegangen ist – nicht einfach wie ein Psychiater, der seinen Job erfüllt.
Paulus sagt: „Habt Acht auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist als Aufseher gesetzt hat.“ Also: Wer setzt ein? Der Heilige Geist.
Jetzt haben wir also alle drei Stellen. Mehr gibt es nicht über das Einsetzen.
Wir sehen, es gibt kein Einsetzen durch Wahl. Das ist uns natürlich völlig fremd, denn wir sind so aufgewachsen und erzogen worden – wir sind durchwegs demokratisch erzogen worden. Alles muss quasi von der Masse bestimmt sein. Das ist eine Staatsform, aber es gibt auch andere.
Gott hat die Gemeinde anders eingerichtet, nicht als demokratisches System, sondern die Autorität wird von oben her eingesetzt.
Der Herr Jesus hat die zwölf Apostel eingesetzt, also Gott, der Sohn Gottes. Auch den Apostel Paulus hat er vor den Toren von Damaskus zur Bekehrung geführt und als Apostel eingesetzt.
Apostel wiederum haben Älteste eingesetzt, die Verantwortung über die Gemeinde tragen.
Jetzt haben wir vielleicht ein Problem: Wenn es keine Apostel mehr gibt, kann es eigentlich auch keine Ältesten mehr geben. Wer setzt sie dann ein?
Der Punkt ist: Das ist nur die halbe Wahrheit. Apostel müssen einsetzen – die sind nicht mehr da – aber der Heilige Geist ist immer noch da. Er wohnt in der Gemeinde seit Pfingsten und wird bleiben, bis zur Entrückung. Wenn er weggeht, sagen der Geist und die Braut: „Komm“ (Offenbarung 22). Dann wird der Heilige Geist auch wieder gehen.
Das heißt, Pfingsten wird bei der Entrückung umgekehrt: Pfingsten bedeutet, der Heilige Geist ist gekommen, und die Entrückung bedeutet, der Heilige Geist geht weg.
Er hat diese Ältesten eingesetzt und setzt immer noch ein.
Aber wie soll das praktisch gehen?
Nun, einer kann sagen: „Der Heilige Geist hat mir gesagt, ich soll Ältester hier in der Gemeinde sein.“ Nun erwartet er natürlich, dass man das ernst nimmt. Aber das kann ja jeder sagen, denn man sieht nicht, was der Heilige Geist hineingesetzt hat.
Darum haben wir hier diese Liste mit 1. Timotheus 3, Vers 5 bis 9, mit 18 Kennzeichen. Zum Beispiel Vers 6: Der Mann einer Frau, der gläubige Kinder hat, der nicht eines ausschweifenden Lebens beschuldigt wird und zügellos ist. Dann drittens: Der Aufseher muss untadelig sein, und so weiter. 18 Punkte.
Wie gesagt, in 1. Timotheus 3 sind 17 Punkte, sechs kommen in beiden Listen vor, also insgesamt 29 Kennzeichen.
Die Gemeinde muss schauen, ob sie etwas von diesen Kennzeichen bei jemandem sieht.
Dann müssen wir noch 1. Thessalonicher 5 lesen. Dort heißt es in Vers 12 und 13: „Wir bitten euch aber, Brüder, dass ihr die anerkennt, die unter euch arbeiten und euch vorstehen im Herrn und euch zurechtweisen, und dass ihr sie ganz besonders in Liebe achtet um ihres Werkes willen.“
In deiner Übersetzung stand „anerkennen“, in der LOV der CSV heißt es „erkennen“. Was ist richtig? Beides. Das Wort bedeutet sowohl kennen, erkennen als auch anerkennen. Aber es läuft in Stufen ab.
Der Apostel Paulus spricht hier in Thessalonich von Brüdern, die bereits eine Arbeit als Hirten aufgenommen haben, die unter euch arbeiten, euch vorstehen im Herrn und euch zurechtweisen. Das sind eigentlich Arbeitsbereiche eines Ältesten.
Sie haben nicht vorne gestanden und gesagt: „Ab heute bin ich Ältester“, sondern sie haben die Arbeit einfach gemacht, weil sie ein Anliegen für die Geschwister hatten und sie weiterbringen wollten.
Man kann einen Ältestendienst tun, ohne offiziell als Ältester anerkannt zu sein. Aber man tut die Arbeit.
Diese Arbeit ist herausfordernd. Es braucht Kraft, Energie, Überzeugung und Durchhaltevermögen. Man wird mit vielen Hindernissen und Angriffen konfrontiert.
Paulus sagt: „Erkennt die, die unter euch arbeiten.“ Der nächste Schritt ist dann das Anerkennen.
Wenn die Kennzeichen prägend sind, muss der Schluss kommen: „Aha, dann hat der Heilige Geist diesen Menschen eingesetzt.“ So geht das auch heute noch, ohne Apostel.
Es ist nicht demokratisch, und trotzdem hat die ganze Gemeinde eine wichtige Funktion darin.
Zurück zu Titus: Er bekommt die Aufgabe, auf Kreta Älteste einzusetzen. Er hat sie nicht irgendwo aus dem Ausland geholt, sondern es waren Kreter, ein Volk, von dem ihr eigener Prophet Epimenides gesagt hat: „Kreter sind immer Lügner, böse, wilde Tiere, faule Bäuche.“
Diese Menschen haben sich bekehrt und sind eine Neuschöpfung geworden. Sie haben erkannt, wie Paulus sagte: „Ich weiß, dass in mir, das ist mein Fleisch, nichts Gutes wohnt.“ Aber sie haben Fortschritte im Glauben gemacht und begannen, diese Dinge zu überwinden.
Sie haben auch gemerkt, dass sie durch Gewohnheit und Erziehung in ihrer Gesellschaft einige falsche Dinge übernommen hatten und sich dagegen entschieden. Darum konnten sie die Kennzeichen aufweisen, und Titus konnte diese Kreter einsetzen.
Wenn wir rein nach Vers 6 und Vers 5 gehen: „In jeder Stadt Älteste anstellen“ – das ist das Wort „presbyteros“, relativ alte Männer.
In Vers 7 heißt es: „Denn der Aufseher muss untadelig sein“ – das ist das Wort „episkopos“, Bischof.
Daraus folgt: Im Neuen Testament ist ein Ältester ein Bischof, und ein Bischof ist ein Ältester. Das haben wir auch schon in Apostelgeschichte 20 gesehen.
Das ist wichtig, weil das das einzige Amt ist, in dem das Neue Testament zeigt, wo Autorität ausgeübt wird.
Zweitens sehen wir, dass diese Ältesten für örtliche Gemeinden angestellt wurden. Sie hatten keine überörtliche Autorität, sondern ihre Verantwortung war örtlich beschränkt.
Aber was ist im zweiten Jahrhundert geschehen? Also gar nicht lange nach dem Tod des letzten Apostels Johannes, etwa um das Jahr 100. Wenn man die Schriften aus dieser Zeit liest, insbesondere die der sogenannten apostolischen Väter und der Apologeten, dann handelt es sich um Schriftsteller im zweiten Jahrhundert. Später spricht man von den Kirchenvätern. Ich mag diesen Ausdruck nicht besonders, weil der Herr Jesus in Matthäus 24 seinen Jüngern sagt: „Lasst euch niemand Vater nennen“, im geistlichen Sinn. Vater in der Familie ist natürlich erlaubt, aber geistlicher Vater nicht.
Im zweiten Jahrhundert gab es bereits viele Abweichungen vom Neuen Testament, und das ist unglaublich. Schon in der Lehre gab es zahlreiche Abweichungen, die sich mit den späteren Kirchenvätern noch verschlimmerten. Es ist sehr wichtig, das zu erkennen. Ich werde auf diesen Punkt noch einmal zurückkommen.
Jetzt möchte ich jedoch die Entwicklungslinie verfolgen. Im zweiten Jahrhundert wurde plötzlich ein Unterschied gemacht zwischen Ältesten und Bischöfen beziehungsweise Aufsehern. Einer wurde als Oberältester bezeichnet, und nur dieser wurde Bischof genannt. Im Neuen Testament ist das anders: Dort sind alle Ältesten gleichzeitig Bischöfe beziehungsweise Aufseher. Ich benutze den Begriff „Bischof“ ungern, weil er oft mit falschen Vorstellungen verbunden wird. Aber eben, Aufseher.
Es entstand also ein Unterschied: Ein Oberältester wurde zum Bischof. Eine weitere Entwicklung war, dass dieser Oberälteste beziehungsweise Bischof plötzlich über mehrere Gemeinden, also über Bezirke, zuständig war. Das ist völlig unbiblisch. Es gibt keine Stelle, die Älteste nennt, die für mehrere Gemeinden verantwortlich sind.
Die Entwicklung ging noch weiter: Bischöfe in besonderen Städten wurden als Oberbischöfe über diese Bezirksbischöfe angesehen. Solche Städte waren Rom, Alexandria in Ägypten, Jerusalem im Land Israel oder Konstantinopel im heutigen Türkei-Gebiet.
Im Jahr 440 erklärte der Bischof von Rom, der Oberälteste dort, mit eigenen Worten: „Ich bin der Oberbischof über alle Bischöfe, auch die in Alexandria, Jerusalem und Konstantinopel. Sie sind mir unterstellt.“ Damit war das Papsttum geboren.
Diese Entwicklung begann also beim biblischen Ältestenamt, wurde dann aufgesplittet und über mehrere Gemeinden ausgeweitet, bis man schließlich einen Oberbischof hatte, der quasi zum Papst wurde. „Il Papa“ auf Italienisch bedeutet „Vater“. Doch Jesus sagt: „Lasst niemanden euch Vater nennen“ (Matthäus 23,9). In Johannes 17 nennt Jesus Gott den Vater im Himmel den „Heiligen Vater“. Dieser Name Gottes wurde von einem Mann in Rom geraubt. Das ist unglaublich – das Wegreißen der Ehre Gottes, das An-sich-Reißen der Ehre Gottes.
Nun muss ich noch etwas sagen: Wie kam diese Entwicklung zustande? In nur wenigen Jahrhunderten, eigentlich aus guten Absichten. Das zeigt, dass gut gemeint manchmal das Gegenteil von gut ist.
Wir haben gesehen, dass es im ersten Jahrhundert viele Irrlehren gab, besonders die Gnostiker. Sie behaupteten, Jesus Christus sei nicht im Fleisch gekommen, sondern nur ein Scheinmensch gewesen. Diese Sekten schossen wie Pilze aus dem Boden und beeinflussten die Gemeinden.
Daraufhin sagte man: „Wir müssen eine starke Abwehr haben.“ So wurde es eingerichtet, dass ein Mann in einer Gemeinde alles abwehrt, ein Mann in einem Bezirk alles abwehrt und ein Mann in einem Überbezirk alles abwehrt. Schließlich gibt es einen, der alles weltweit abwehrt – den Papst, der das Lehramt weltweit kontrolliert.
Das war gut gemeint, doch mit dieser guten Absicht entfernte man sich Schritt für Schritt von der Schrift. So wurde das Papsttum gegründet und dieser Mann als Stellvertreter Christi bezeichnet. Das ist eine Gotteslästerung, denn der Ausdruck „Antichrist“ in 1. Johannes 2,18 lautet: „Viele Antichristen sind schon jetzt in die Welt hinausgegangen.“ Das Wort „Antichristos“ bedeutet „gegen Christus“ oder auch „an Stelle von Christus“, also jemand, der sich an die Stelle Christi setzt.
Genau das geschieht mit dem Stellvertreter Christi: Er reißt sich seine Stelle hier auf der Erde an. Das ist eine antichristliche Sache.
Alles begann gut gemeint, aber es war nicht biblisch. Das war mir ein großes Anliegen, diese Entwicklung zu zeigen. Ich habe ja auch gesagt, ich komme noch einmal darauf zurück.
Schon im zweiten Jahrhundert gab es ein starkes Abweichen vom Neuen Testament und von der Bibel. Es ist sehr wichtig, das zu erkennen. Heute gibt es manche, die plötzlich katholisch werden und sagen: „Diese katholischen Lehren findet man ja schon im zweiten Jahrhundert bei den apostolischen Vätern.“
Die Apologeten sagen, das sei falsch, das sei nicht biblisch, aber sie erkennen nicht, dass es schon im zweiten Jahrhundert solche Lehren gab, die typisch katholisch sind. Man sagt: „Ja, natürlich, sie waren damals schon abgewichen.“ Der einzige Maßstab ist die Heilige Schrift, und daran müssen wir uns orientieren. Wir dürfen nicht sagen: „Früher war es noch nicht so.“ Nein, dort, wo es dem Neuen Testament nicht entspricht, gab es schon im zweiten Jahrhundert eine Verwässerung.
Gut, jetzt gehen wir diese 18 Punkte einmal durch. Den ersten Punkt hatten wir eigentlich schon besprochen, als wir den ersten Timotheusbrief Kapitel 3 durchgenommen haben, wo es heißt, dass jemand untadelig sein soll. Das Wort bedeutet auch unangreifbar. Es ist also wichtig, dass man sich keine Angriffsflächen gibt.
Der zweite Punkt lautet: Der Mann einer Frau. Das heißt, er muss verheiratet sein. Für viele ist das eine Enttäuschung. Sie fragen sich, warum sie als Ledige kein Ältester sein können. Doch hier liegt eine falsche Überlegung zugrunde. Man denkt, es gäbe nur zwei Möglichkeiten: Entweder man ist kein Ältester, oder man ist Ältester. Aber tatsächlich gibt es viele andere Aufgaben in der Gemeinde. Diese Aufgaben reichen von eins bis tausend. Dabei meine ich mit den Zahlen nicht den Wert, sondern die verschiedenen Aufgaben, also alle Zwischenaufgaben. Das älteste Amt allerdings kann man als Lediger nicht ausüben.
Warum ist das so? Das wird im Anschluss erklärt: Der Älteste soll gläubige Kinder haben, die nicht eines ausschweifenden Lebens beschuldigt werden oder zügellos sind. Im ersten Timotheusbrief haben wir damals gelesen, dass ein Ältester seine Familie wohlvorsteht. Das ist wichtig, denn wenn man Ältestendienst tun will, hat man es oft mit jungen Familien zu tun, die Kinder haben, die manchmal ziemlich schwierig sind. Ab zwölf oder dreizehn Jahren beginnt oft eine sehr verändernde Entwicklung, die Eltern an den Rand der Verzweiflung bringen kann. Man fragt sich dann: Was mache ich? Wie soll ich das schaffen?
Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass es am einfachsten war, als man gar keine Kinder hatte. Kinder zu erziehen ist eine große Herausforderung. Das zweite Kind zu erziehen ist anders als das erste, und das dritte nochmals ganz anders. Man reagiert immer wieder neu, ohne einen Kurs zu haben, wie man das zweite oder dritte Kind erzieht. Es ist eine unglaubliche Herausforderung. Wenn ein Ältester sagen kann: „Das haben wir alles auch erlebt, und wir haben das so gemacht“, ist das etwas ganz anderes, als wenn jemand kommt, der keine eigenen Kinder hat.
Ich habe auch erlebt, dass Leute, die verheiratet sind, aber keine Kinder haben, ganz genau wissen, wie man erziehen muss, und ganz genau wissen, was Eltern alles falsch machen. Das geht nicht. Deshalb ist es für die Aufgabe des Ältesten – die aber nur eine von vielen Aufgaben ist, von denen das Neue Testament spricht – wichtig, verheiratet zu sein. So weiß man auch, was die Schwierigkeiten in einer Ehe sind. Und auch darin lernt man ein Leben lang dazu.
Dann kommt der Punkt mit den Kindern. Hier wird betont: Der Älteste soll gläubige Kinder haben. Bedeutet das, wenn jemand vier Kinder hat und eines nicht gläubig ist, kann er kein Ältester sein? Wieso nicht? Es heißt: „Der gläubige Kinder hat.“ Das Wort „Kinder“ steht im Plural, also mindestens zwei. Die Formulierung ist nicht „dessen Kinder gläubig sind“, was bedeuten würde, dass alle vier gläubig sein müssen, sondern „der gläubige Kinder hat“. Das heißt, mindestens zwei Kinder müssen gläubig sein.
Natürlich haben Eltern eine wichtige Rolle dabei, dass Kinder sich bekehren. Aber die Bekehrung liegt bei jedem Menschen allein. Jeder Mensch hat von Gott einen eigenen freien Willen bekommen. Wie war das bei Samuel? Bei Eli, dem Hohenpriester, in 1. Samuel? Eli hatte Söhne, die wirklich eine Katastrophe waren. Man sieht, dass Eli nicht konsequent war. Aber Samuel war von Kindheit an ein treuer Mann, der dem Herrn voll hingegeben war. Trotzdem wandelten seine beiden Söhne nicht auf seinen Wegen (1. Samuel 8). Das war furchtbar für Samuel, aber man kann nicht sagen, das sei sein Problem gewesen. Die Schrift stellt ihn von seiner Kindheit bis ins Alter als treuen Mann dar.
Es ist also nicht einfach, die Verantwortung der Eltern zu beurteilen. Nur weil nicht alle Kinder gläubig sind, heißt das nicht, dass etwas mit den Eltern nicht stimmt. Diese Schlussfolgerung ist falsch. Aber das Problem ist: Der Älteste hat eine repräsentative Aufgabe. Wenn alle Kinder ungläubig sind, kommt die Frage auf, ob da nicht doch etwas schiefgelaufen ist. Deshalb wird diese Forderung gestellt, um eine höhere Glaubwürdigkeit zu schaffen.
Weiter heißt es in Vers 7: Der Aufseher muss untadelig sein. Das wird also zweimal erwähnt. Das macht deutlich, dass wir hier 17 Punkte haben, wie im ersten Timotheusbrief Kapitel 3. Zusammen sind das 28 Punkte, wenn man 17 plus 17 minus 6 rechnet. Ich hatte vorhin 29 gesagt, aber eigentlich müssen wir von 28 sprechen, weil hier inhaltlich noch einmal erwähnt wird, dass er unangreifbar sein soll, als Verwalter Gottes, der nicht eigenmächtig handelt.
Eigenmächtig ist jemand, der eigenwillig und völlig unbeugsam ist. Das geht nicht. Er soll auch nicht zornmütig sein. Wenn jemand seine Emotionen nicht in Schranken halten kann, ist das problematisch. Außerdem soll er nicht dem Wein ergeben sein. Ein Problem mit Alkohol ist ein absolutes No-Go, eigentlich für alle Gläubigen (vgl. Epheser 5,18). Hier wird es nochmals betont, gerade auch auf diesem Gebiet soll er ein Vorbild sein.
Er soll kein Schläger sein, was wieder mit Zornmütigkeit zusammenhängt. Ein Machotyp, der sich vor anderen aufbaut, geht gar nicht. Auch soll er nicht schändlich im Gewinn nachgehend sein, also kein Problem mit Geldliebe haben.
Er soll gastfrei sein, also ein offenes Haus haben, das Gute liebend. Das fällt mir immer wieder auf, wenn ich unterwegs bin, zum Beispiel auf Flügen. Man lernt die Leute kennen, die neben einem sitzen. Manche schauen Filme, und ich merke schnell, ob sie das aushalten. Gerade hatte ich wieder jemanden neben mir. Als wir uns begrüßten, fragte er mich, was ich gemacht habe. Ich erklärte, ich war auf einer Israel-Konferenz, bei der es auch um die Aktualitäten ging, was die Bibel dazu sagt. Er antwortete auf Französisch: „Oui, c’est un sujet difficile, c’est compliqué.“ – „Ja, das ist ein schwieriges, kompliziertes Thema.“ Ist es wirklich kompliziert? Oder will er einfach nicht den Unterschied erklären zwischen Theorismus und einem Rechtsstaat, der seine Bürger schützen muss? Das ist kompliziert? Okay.
Dann lief wieder ein Gewaltfilm nach dem anderen. Ständig werden Leute zusammengeschlagen. Und andere Leute finden das unterhaltsam. Wenn es wenigstens ein schöner Naturfilm wäre! Das ist das Gute liebend. Wirklich das Schöne suchend. Das Gute sieht und erkennt, dass all das Üble keinen Unterhaltungswert haben darf in unserem Leben.
Der Älteste soll also das Gute liebend sein, ein Vorbild, besonnen und wohlüberlegt, gerecht und unparteiisch, fromm oder heilig, enthaltsam, also selbstbeherrscht. Er soll anhänglich sein dem zuverlässigen Wort nach der Lehre. Das heißt, jemand, der die Bibel liebt und an der Lehre hängt. Das ist so wichtig. Und zwar nicht einfach an der Bibel, sondern an der Lehre.
In meiner Bibel habe ich die letzten zwei Buchstaben von „Lehre“ unterstrichen, weil es sich lohnt, mit einer Konkordanz im Neuen Testament nachzuschauen, wo über Lehre gesprochen wird. Wenn es um gute, gesunde Lehre geht, steht das Wort immer im Singular. Bei falschen Lehren steht es im Plural. Warum? Weil das Wort Eindeutigkeit hat. Es bedeutet nicht zehn verschiedene Dinge.
Wenn jemand sagt: Zu diesem Punkt gibt es zehn verschiedene Auslegungen, und ich finde Auslegungen zwei, sieben und neun eigentlich ganz toll. Aber was gilt jetzt? Das wäre hochmütig zu sagen, das bedeutet es. Nein, hochmütig ist es zu behaupten, das Wort sei nicht eindeutig, und ich sei so gescheit, dass ich alle zehn Möglichkeiten kenne. Demütig wäre es, zu sagen: „Mir ist nicht klar, was dieser Abschnitt sagt, aber ich behaupte nicht, dass andere das nicht wissen.“
Man betont, dass das Wort Eindeutigkeit und Klarheit hat und eine richtige Auslegung besitzt, nicht zehn verschiedene, die einander widersprechen. So haben wir hier das „Anhängende zuverlässige Wort nach der Lehre“. Das ist ihm ein Herzensanliegen: das, was das Wort wirklich sagt. Wenn er einen Abschnitt nicht versteht, sagt er: „Ich verstehe es nicht, muss ein anderer erklären.“ Aber er anerkennt, dass das Wort eine Bedeutung hat und nicht zehn widersprüchliche.
Das führt dazu, dass er fähig sein soll, mit der gesunden Lehre – es gibt also auch eine kranke Lehre, die krank macht, und die gesunde Lehre, die gesund macht – zu ermahnen und die, die widersprechen, zu überführen. Das heißt nicht einfach zu sagen: „So ist es, und wir haben es immer so gelehrt, fertig.“ Nein, überführen bedeutet, wie ein Richter die Argumente aufzuzeigen: „Schau, da steht so geschrieben, hier so, und die Schrift sagt auch da, und daraus folgt diese Bedeutung.“ So überführt man das Gewissen.
Damit wollen wir für heute einen Punkt setzen. Beim nächsten Mal fahren wir mit den zügellosen Schwätzern fort und gehen dann zu den letzten Versen des Kapitels, wo es heißt: „Den Reinen ist alles rein, den Befleckten und Ungläubigen ist nichts rein.“ Dort werden wir auch ganz wichtige praktische Lektionen lernen im Umgang mit dem, was Gott an Freude in die Schöpfung und Natur hineingelegt hat. Diese Freude können wir entweder missbrauchen, dann ist sie unrein, oder richtig gebrauchen, dann ist sie rein.
Vielen Dank an Roger Liebi, dass wir seine Ressourcen hier zur Verfügung stellen dürfen!
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