Einführung: Die messianischen Verheißungen im Alten Testament
Das Thema heute Morgen lautet: Der Messias im Buch der Psalmen. Ich hatte das Thema wie folgt umschrieben: Der Auferstandene machte den Jüngern alle messianischen Verheißungen im Alten Testament verständlich – im Gesetz Mose, in den Propheten und in den Psalmen (Lukas 24,44-45).
Die Psalmen malen ein ergreifendes Bild der Herrlichkeit des verheißenden Erlösers. Diese alten Tempelgesänge beschreiben den Messias sowohl in den unfassbaren Abgründen seiner Leiden als Opfer am Kreuz als auch in seiner majestätischen Erhöhung zur Rechten Gottes und als künftigen Weltherrscher auf dem Thron Davids.
Zu Beginn möchte ich ganz kurz etwas zur Stellung des Psalmenbuches innerhalb des Kanons des Alten Testaments erklären. In Lukas 24,44-45 erklärte der Herr Jesus alle messianischen Prophezeiungen im Gesetz Mose, in den Propheten und in den Psalmen. Diese Einteilung ist im Judentum bekannt und teilt das Alte Testament in drei Blöcke.
Das Gesetz, hebräisch Tora, umfasst die fünf Bücher Mose. Dann folgen die Propheten, hebräisch Nevi'im, die in vordere und hintere Propheten unterteilt sind. Das mag den deutschen Leser überraschen: Die vorderen Propheten sind Josua, Richter, Samuel und Könige. Danach folgen die eigentlichen prophetischen Bücher Jesaja, Jeremia, Hesekiel und die zwölf kleinen Propheten von Hosea bis Maleachi.
Der dritte Teil sind die Psalmen. Dieser Ausdruck bezeichnet den dritten Teil, der im Judentum normalerweise als Ketuvim, die Schriften, bekannt ist. In den Qumran-Handschriften habe ich eine Stelle gefunden, an der genau die gleichen Namen verwendet werden: Gesetz, Propheten und die Psalmen. Dabei umfasst „die Psalmen“ den gesamten dritten Teil, weil die Psalmen als erstes Buch am Anfang der hebräischen Einteilung der Schriften stehen.
Zu diesem dritten Teil gehören neben den Psalmen auch Sprüche, Hiob, das Hohe Lied, Rut, Klagelieder, Prediger, Esther, Daniel, Esra, Nehemia und zum Abschluss die Erste und Zweite Chronik.
Was wir daraus ableiten, ist, dass das Buch der Psalmen in der hebräischen Bibel eine ganz besondere Position einnimmt. Es führt gewissermaßen den dritten Teil, die Ketuvim, die Schriften, an.
Bedeutung und Herkunft des Psalmenbuches
Etwas zum Namen Psalmen: Das Wort „Psalm“ ist griechischen Ursprungs. Es stammt vom griechischen Wort „psalmos“ ab, das „Loblied“ bedeutet. Dieses leitet sich wiederum vom Verb „psallo“ ab, was „seitenrupfen“ oder „zur Laute singen“ heißt.
Im Neuen Testament kommt das Wort „psalmos“ in 1. Korinther 14, Epheser 5 und Jakobus 5 vor. Der hebräische Name für die Psalmen ist „Tehillin“, was so viel wie „Lobpreisungen“ bedeutet. Dieses Wort stammt von dem Tätigkeitswort „Hillel“ ab, das „loben“ heißt. Dies kennen wir sehr gut aus dem bekannten Ausruf „Halleluja“, was „lobt den Herrn“ bedeutet. Dieser Ausruf findet sich in den Psalmen 146 bis 150 besonders häufig.
Wenn in den einzelnen Psalmen im Alten Testament eine Überschrift steht, zum Beispiel „Ein Psalm von David“, dann steht dort nicht das Wort „Tehillim“, sondern „Mizmor“. Dieses Wort bedeutet einfach „ein Gesang mit instrumentaler Begleitung“.
Ein Wort zu den Autoren des Psalmenbuches: David werden 73 Psalmen zugeschrieben. Im Neuen Testament werden zwei weitere Psalmen David zugeschrieben. Das bedeutet, dass mindestens 50 Psalmen von David stammen. Es könnten auch mehr sein, doch ist dies nicht mit Sicherheit überliefert.
Die Bibel selbst sagt uns ausdrücklich, dass es insgesamt 75 Psalmen von David gibt. Weitere Schreiber sind Salomo, Asaph, die Söhne Korahs, Ethan, Heman und Mose.
Das bringt uns auf die erstaunliche Zahl von genau sieben Autoren oder Autorengruppen – eine Zahl, die oft als Zahl der Vollkommenheit gilt.
Aufbau und Struktur der Psalmen
Gut, und jetzt noch ein Wort zur Struktur und zum Aufbau.
Die Psalmen sind in fünf Bücher geteilt. Wenn man Psalm 1 aufschlägt, sieht man dort – vielleicht nicht in allen Bibelausgaben, aber im Grundtext – dass es das erste Buch der Psalmen ist. Dieses erste Buch umfasst die Psalmen 1 bis 41 und endet mit einem Refrain.
Der letzte Vers, Psalm 41, Vers 13, ist ein Refrain, der in Abwandlungen immer wiederkehrt. Er erscheint auch am Ende des zweiten Psalmenbuches, das von Psalm 42 bis 72 reicht, am Ende des dritten Buches, das von Psalm 73 bis 89 geht, und am Ende des vierten Buches, das von Psalm 90 bis 106 reicht.
Am Ende des fünften Buches, das von Psalm 107 bis 150 reicht, findet sich dieser Refrain nicht mehr. Dort ist es ohnehin klar, dass das Buch abgeschlossen ist. Der Refrain dient nämlich dazu, die Einschnitte zwischen den einzelnen Büchern zu markieren.
Das Erstaunliche daran – obwohl das heute nicht unser Thema ist – ist, dass diese fünf Bücher der Psalmen eindrückliche Parallelen zu den fünf Büchern Mose aufweisen. Aus diesem Grund werden die Psalmen auch als „Pentateuch von David“ bezeichnet. Pentateuch bedeutet „Fünfbuch“ und steht im Gegensatz zum Pentateuch von Mose.
Ich habe hier auf dem Blatt noch etwas zur hebräischen Poesie im Alten Testament notiert. Darauf möchte ich jetzt aber nicht eingehen, sondern vielleicht später in Verbindung mit konkreten Beispielen. Möglicherweise auch heute Nachmittag, wenn wir uns mit dem Buch Hiob beschäftigen, denn dort spielen dieselben Gesetze eine wichtige Rolle.
Die Themen im Buch der Psalmen
Lieber jetzt gleich zu den Themen im Buch der Psalmen. Die Psalmen drücken auf einzigartige Weise die Gefühle und Empfindungen der Erlösten zu allen Zeiten der Heilsgeschichte aus. Genau das ist der Grund, weshalb dieses Bibelbuch die Gläubigen im Allgemeinen so direkt anspricht. Sie sprechen einem förmlich aus dem Herzen heraus.
Das ist auch der Grund, warum man oft, wenn man nur das Neue Testament herausgibt, wenigstens noch die Psalmen hinten anhängt. Es ist wohl eines der am meisten gelesenen Bibelbücher überhaupt. Und es zeigt uns, wie Gott das Gefühlsleben von uns Menschen ernst nimmt, ihm Bedeutung beimisst und uns versteht.
Zweiter Punkt: Die Psalmen umfassen Lobpreis, Bitten, Flehen, Demütigung, also Bußgebete, aber auch Belehrungen und – was überrascht – auch Geschichte und Prophetie. Die Psalmen sind von Prophetie geradezu gekennzeichnet. Das mag überraschen, aber im Zusammenhang mit dem Thema des Messias im Buch der Psalmen ist diese Bemerkung besonders wichtig.
Man kann sagen, die Psalmen sprechen über die Konflikte und Triumphe des Gläubigen. In prophetischer Hinsicht ist der Sche'ar Israel, der Überrest Israels, der in den Propheten immer wieder erwähnt wird, ein Überrest aus Israel, der sich in der Endzeit vor dem Kommen des Messias in Herrlichkeit bekehren wird. Dieser Überrest zeichnet sich durch besondere Treue und Hingabe aus.
Dieser Überrest spielte eine ganz große Rolle im Buch der Psalmen. Er wird beschrieben mit seinen Gefühlen und Empfindungen in der Zeit des Antichristen, in der großen Drangsal und dann schließlich im messianischen Königreich. Man kann die Psalmenbücher demgemäß einteilen.
Das erste Buch der Psalmen beschreibt den Überrest aus Israel, wie er noch im Land ist, zur Zeit, in der der dritte Tempel gebaut ist. Das zweite Psalmenbuch zeigt den Überrest auf der Flucht. Nach Matthäus 24 werden sie flüchten müssen ins Ausland, wenn der Antichrist den dritten Tempel entweiht. Die Gefühle der Flüchtenden werden im zweiten Psalmbuch beschrieben.
Das dritte Psalmenbuch hat besonders die zwölf Stämme Israels im Auge, das vierte die Nationen aus aller Welt, also auch die nichtjüdischen Völker. Das fünfte Buch ist eine Zusammenfassung. Es zeigt Gottes Heilswege von Anfang an bis zum messianischen Königreich und endet dann mit den sogenannten Halleluja-Psalmen.
Durch alle Psalmenbücher hindurch haben wir das Thema des Messias, seine Leiden und seine Herrlichkeit.
Historischer Hintergrund und heutige Anwendung der Psalmen
Wichtig ist beim Lesen der Psalmen, dass man, sobald man die Prophetie darin entdeckt hat, nicht vergisst, die geschichtlichen Aspekte zu beachten. Zum Beispiel zeigt der Titel von Psalm 3, unter welchen Umständen dieser Psalm entstanden ist. Man sieht genau, was damals geschah. David hat Psalm 3 aus ganz bestimmten historischen Umständen heraus verfasst.
Der geschichtliche Hintergrund, also die Verankerung im Leben beziehungsweise der Sitz im Leben, darf nicht vergessen werden. Das ist wichtig. Gleichzeitig darf man aber auch die Anwendung für heute nicht außer Acht lassen. Es ist wichtig, dass man vor lauter Prophetie oder Geschichte nicht vergisst, dass das Buch der Psalmen für uns heute geschrieben ist.
Das wird besonders deutlich in Hebräer 13,6. Dort wird aus dem Psalmenbuch zitiert – und zwar mit einer Selbstverständlichkeit wird Psalm 118 auf unser persönliches Leben angewandt. Es heißt dort: „Der Herr ist mein Helfer, vor wem sollte ich mich fürchten?“ Es wird nicht gesagt: „Ja, dieser Psalm wurde natürlich in einer bestimmten Situation geschrieben und bezieht sich nur auf diese Person.“ Es steht auch nichts davon, dass dieser Psalm sich nur auf Israel in der Zukunft bezieht. Stattdessen wird der Psalm ganz direkt auf uns bezogen.
Die Psalmen sind also unmittelbar für uns geschrieben. Dies stimmt auch mit Römer 15,4 überein, wo gesagt wird, dass alles, was früher geschrieben wurde, zu unserer Belehrung geschrieben worden ist.
Das war nun eine kurze Einleitung in die Psalmen. Doch wir wollen nun zum Hauptthema kommen: den messianischen Psalmen.
Begriffserklärung: Messias und seine Bedeutung
Zunächst einmal einige Worterklärungen: Das Wort „Messias“ muss erklärt werden. Auf Hebräisch sagt man „Messias“ Maschiach. Dieses Wort kommt zum Beispiel in Daniel 9, Vers 25 vor. Es bedeutet „der Gesalbte“, also jemand, der mit Olivenöl gesalbt wurde.
Die Griechen konnten Maschiach nicht aussprechen, weil es im Griechischen keinen Sch-Laut gibt. Das merkt man noch heute, wenn man zum Beispiel einen Mitschüler hat. Mein Sohn hat einen Mitschüler, der Grieche ist. Der sagt, er isst nie Fisch, sondern immer nur „Fiss“. So entstand die griechische Aussprache von Maschiach als Messias, was uns heute vertrauter ist.
Der Begriff Messias kommt auch in Johannes 1, Vers 41 vor. Dort wird gleich erklärt, dass Messias, dieses hebräische Wort, eben griechisch ausgesprochen, die Übersetzung von „Christos“ ist. Christus ist also nichts anderes als Messias – es ist ein Titel.
Besonders im Neuen Testament, wenn manchmal „Jesus Christus“ oder „Christus Jesus“ genannt wird, klingt das für deutsche Ohren fremd. Es bedeutet jedoch nichts anderes als „der Messias Jesus“. Es hilft beim Lesen des Neuen Testaments, wenn man ab und zu anstatt „Christus“ das Wort „Messias“ einsetzt. So bekommt man mehr das Gefühl dafür, wie es damals empfunden wurde.
Der Ausdruck Maschiach, Messias, Christus wird im Alten Testament verwendet für einen gesalbten König, Priester oder Propheten. Ich habe hier einige Stellen aufgeführt, wo man Beispiele für jede dieser Klassen findet.
Der Maschiach sollte jedoch nicht irgendein Priester, König oder Prophet sein, sondern die Bezeichnung für den von Gott verheißenen Erlöser, der alle drei Ämter in sich vereinen sollte: König, Priester und Prophet.
Im Alten Testament gab es die Gewaltentrennung. Das ist sehr wichtig. Diese Trennung ist also keine Erfindung der französischen Revolution, sondern wurde von Gott schon längst eingeführt. Könige mussten nach Gottes Gesetz aus der Familie Davids, aus dem Stamm Juda, stammen. Priester kamen aus dem Stamm Levi.
Darum war es nach dem Gesetz eigentlich unmöglich, Königtum und Priestertum in einer Person zu vereinen. Menschen mit einer sündigen Natur sind immer in Gefahr, Macht zu missbrauchen. Deshalb gab es diese Trennung.
Der Messias jedoch sollte einmal alle drei Ämter – König, Priester und Prophet – in einer Person sein. Als Prophet sollte er kommen, um Licht in die Dunkelheit unseres Lebens zu bringen und uns von der Sünde zu überführen.
Als Priester sollte er sich selbst als Sündopfer opfern, um das Problem der Schuld zu lösen. Als König schließlich sollte er uns führen und leiten durch das Leben.
Diese drei Ämter hängen also ganz eng miteinander zusammen.
Die zwei Phasen des Messias
Ein weiteres Problem ergibt sich beim Lesen des Alten Testaments. Es gibt Stellen, die von einem herrschenden Messias sprechen, zum Beispiel Daniel 7,13-14. Dort erscheint der Messias, der Menschensohn, auf den Wolken des Himmels und übernimmt die Weltherrschaft.
Andererseits wird der Messias in Jesaja 53 als leidender Knecht beschrieben. Die alten großen Rabbiner verstanden Jesaja 53 als ein Kapitel, das vom Messias und seinen Leiden spricht. Das führt jedoch zu einem Problem: Wie kann man diese beiden Darstellungen miteinander verbinden?
Um diesen Konflikt zu lösen, findet man bereits im Talmud und auch in der späteren rabbinischen Auslegung die Theorie von zwei Messiasen. Es gibt den Maschiach ben David, den Sohn von David, der als herrschender Messias auftritt, und einen anderen, den Maschiach ben Joseph, den Sohn von Joseph, der als leidender Messias beschrieben wird. Dieser leidende Messias ähnelt Joseph, der einst von seinen Brüdern verworfen wurde.
Das Neue Testament lehnt diese Auslegung ab. Es sagt, dass es nur einen Messias gibt, der aber in zwei Phasen erscheint. Zuerst soll der Messias kommen, um zu leiden und als Priester das Opfer zu bringen. In einer späteren Phase wird er dann als König in Herrlichkeit herrschen.
Diese Erklärung gibt der Herr Jesus in Lukas 24,26. Dort macht er den Emmausjüngern den Vorwurf, dass sie das nicht schon längst verstanden hätten. Er sagt: Musste nicht der Messias dies leiden und dann in seine Herrlichkeit eingehen? Es handelt sich also um zwei Phasen.
Doch genau das war schwierig zu verstehen. Petrus schreibt in 1. Petrus 1,11, dass die Propheten selbst Mühe hatten, diese Dinge zu verstehen, die sie beschrieben. Sie versuchten zu deuten, auf welche Zeit sich das bezieht.
Übrigens ist es interessant, wenn man mit Juden spricht: Man kann erklären, dass Jesus von Nazaret der nachweisliche Nachkomme von David ist. Sein Stammbaum in Lukas 3 führt über Maria zurück bis auf David. Somit ist er der Maschiach ben David.
Gleichzeitig ist er juristisch Sohn von Joseph, der ihn adoptiert hat. Joseph stammt aus der Königslinie, die bis auf David zurückgeht. Daher hat Jesus juristisch das Anrecht auf die Königslinie und ist in diesem Sinne auch der Maschiach ben Joseph.
Es handelt sich dabei aber nicht um zwei verschiedene Messiasse, sondern um einen – genau wie Joseph. Joseph wurde zuerst von seinen Brüdern verworfen und den Heiden übergeben, stieg später aber zum Herrscher, zum Weltherrscher in Ägypten, auf.
Erst am Ende erkannten und bereuten seine Brüder, die ihn zuvor verworfen hatten. Das ist genau das Gleiche in zwei Phasen: Joseph war zuerst der Leidende und dann der Herrschende. Als er litt, wurde er von seinen Brüdern nicht erkannt. Als er dann Herrscher wurde, wurde er erkannt.
Diese Darstellung hilft, wenn man mit Juden spricht und diese Dinge so erklären kann.
Nächster Punkt.
Messianische Psalmen in der rabbinischen Tradition
Im Judentum wurden viele Psalmen, die im Neuen Testament auf den Messias bezogen werden, bereits von den Rabbinen messianisch gedeutet. Auf dem Blatt habe ich einige aufgelistet, es gibt jedoch noch viele weitere: Psalm 2, 16, 21, 22, 40, 45, 72, 80, 89, 110.
Besonders eindrücklich ist Psalm 22, den wir als Kreuzigungspsalm kennen. Er wurde bereits im rabbinischen Judentum auf den Messias bezogen. Auf Seite drei, wo der Titel steht „Psalm 22, der gekreuzigte und auferstandene Messias“, habe ich ein Zitat eingefügt. Die rabbinische Auslegung findet sich im Buch „Pesikta Rabbatti“ in der Parascha Schloschin Waschewa, also in der Parascha 37. Dort heißt es: Die Erzväter werden zu ihm sagen: „Ephraim, Messias, unsere Gerechtigkeit, obwohl wir deine Vorfahren sind, bist du größer als wir.“
„Weil du die Sünde unserer Söhne getragen hast, war deine Kraft vertrocknet wie ein Scherben“, und da wird Psalm 22, Vers 16 zitiert. All dies sei gekommen wegen der Sünde unserer Söhne. Es ist also sehr beeindruckend, dass in der rabbinischen Literatur Psalm 22 klar auf den leidenden Messias bezogen wird. Noch mehr: Es wird gesagt, er leidet für die Sünden Israels, obwohl in Psalm 22 selbst davon nichts steht. Dort geht es nur um seine Leiden, aber nicht um den Zweck. Dass der Messias für die Sünden anderer leidet, steht in Jesaja 53. Hier wird in der Auslegung Psalm 22 damit verbunden.
Da wir heute Morgen nur begrenzt Zeit haben, müssen wir uns auf einige Psalmen beschränken. Wie soll man aus der Fülle messianischer Psalmen eine gute Auswahl treffen? Ich habe das eingeschränkt: Wir gehen nur auf die Psalmen ein, die im Neuen Testament durch Zitate ausdrücklich auf den Messias gedeutet werden. Auch da können wir natürlich nicht jeden Vers kommentieren, denn dann würde ein Morgen nicht reichen. Wir könnten höchstens zwei oder drei Psalmen durchnehmen.
Wir betrachten die einzelnen Psalmen und greifen besonders die neutestamentlichen Bezüge sowie einige Besonderheiten auf, die viel zum Verständnis beitragen. Wir beginnen mit Psalm 2, den ich mit dem Titel „Der Sohn Gottes, Richter und Herrscher der Menschen“ überschrieben habe.
Psalm 2, Vers 1: Warum toben die Nationen und sinnen eitel die Völkerschaften? Es treten auf die Könige der Erde, und die Fürsten ratschlagen miteinander gegen den Herrn und gegen seinen Gesalbten: „Lasst uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile!“ Der im Himmel thront, lacht; der Herr spottet ihr.
Dann wird er zu ihnen reden in seinem Zorn, und in seiner Zornglut wird er sie schrecken. „Habe doch ich meinen König gesalbt auf Zion, meinem heiligen Berge! Vom Beschluss will ich erzählen: Der Herr hat zu mir gesprochen: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt. Fordere von mir, und ich will dir zum Erbteil geben die Nationen und zum Besitztum die Enden der Erde. Mit eisernem Zepter wirst du sie zerschmettern, wie ein Töpfergefäß sie zerschmeißen.“
„Und nun, ihr Könige, seid verständig, lasst euch zurechtweisen, ihr Richter der Erde! Dient dem Herrn mit Furcht und freut euch mit Zittern! Küsst den Sohn, damit er nicht zürne, und ihr umkommt auf dem Weg, wenn nur ein wenig entbrennt sein Zorn. Glückselig alle, die auf ihn trauen!“
Im Neuen Testament wird auf diesen Psalm Bezug genommen, und zwar in Apostelgeschichte 4,25. Wir sind nach der Kreuzigung und Auferstehung Jesu, und die ersten Christen, die messianischen Juden, haben begonnen, in ganz Jerusalem zu verkündigen, dass Jesus von Nazaret der Messias ist. Er ist am Kreuz gestorben, aber auch auferstanden. Das hat bei den Führern des Volkes großen Anstoß erregt, sodass sie vor Gericht geführt wurden. Es gab massiven Widerstand.
In dieser schwierigen Zeit, als Petrus und Johannes vor das Synedrium, den höchsten Gerichtshof, gestellt wurden, wurde ihnen gesagt, sie dürften nichts mehr davon sprechen. Danach wurden sie entlassen und gingen in die örtliche Gemeinde in Jerusalem. Ich lese ab Vers 23:
„Als sie aber entlassen waren, kamen sie zu den Ihrigen und verkündeten alles, was die Hohenpriester und die Ältesten zu ihnen gesagt hatten. Sie aber, als sie es hörten, erhoben einmütig die Stimme zu Gott und sprachen: ‚Herrscher, du bist der Gott, der den Himmel und die Erde und das Meer gemacht hat und alles, was in ihnen ist, der du durch den Mund Davids, deines Knechtes, gesagt hast: Warum tobten die Nationen und sannen Eitles, die Völker? Die Könige der Erde standen da, und die Obersten versammelten sich wider den Herrn und wider seinen Christus.‘“
Das Gebet geht weiter: „Denn in dieser Stadt versammelten sich in Wahrheit wider deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, sowohl Herodes als Pontius Pilatus mit den Nationen und den Völkern Israels, alles zu tun, was deine Hand und dein Ratschluss zuvor bestimmt hatte, dass es geschehen sollte.“
In dieser Situation wird Psalm 2 plötzlich sehr groß: Alle toben gegen diesen Jesus Christus. Das ist genau die Situation von Psalm 2. Die Nationen toben gegen Christus, gegen den Messias. Die Römer haben sich gegen ihn gewandt, das ganze römische Reich vermittelt durch Pontius Pilatus und Herodes Antipas, den damaligen Herrscher über Galiläa, und der jüdische Sanhedrin, also das jüdische Volk, das mit ihm verbunden war. Genau die Situation, in der gegen den Herrn und seinen Christus getobt wird.
Natürlich ist das nur ein Aspekt der Erfüllung, denn Psalm 2 geht auch noch bis in die Endzeit. Wir merken auch heute, wie Menschen sich gegen Jesus Christus auflehnen. Das erleben wir oft auch ganz direkt im Umfeld.
Was in Psalm 2, Vers 3 gesagt wird, ist besonders interessant: „Lasst uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile!“ Der Mensch ist durch ein Band mit Gott verknüpft, denn Gott ist der Schöpfer und wir sind sein Geschöpf. Gerade in unserer Kultur merken wir dieses Toben gegen Gott und seinen Christus daran, wie man versucht hat, dieses Band loszuwerden.
Ganz wesentlich hat dabei die Evolutionslehre getragen: Der Mensch ist ein Produkt des Zufalls, selbst entstanden aus der Natur, aber nicht das Werk Gottes. Das ist genau die Rebellion, sich von Gott loszumachen, diese Bande, die uns mit dem Schöpfer verbinden, zu zerreißen.
Gottes Antwort ist Vers 4: „Der im Himmel thront, lacht; der Herr spottet ihr.“ Das ist ein Vers, der tief unter die Haut geht. Im Gottesbild der meisten Menschen ist enthalten, dass Gott lacht – das ist erschreckend. Aber wenn Menschen sich in Vermessenheit und Rebellion gegen Gott wenden, dann lacht Gott. Das ist der Vorbote des Gerichts.
Wie bringt er das Gericht? Es wird erklärt: „Dann wird er zu ihnen reden in seinem Zorn, und in seiner Zornglut wird er sie schrecken. ‚Habe doch ich meinen König gesalbt auf Zion, meinem heiligen Berg! Vom Beschluss will ich erzählen: Der Herr hat zu mir gesprochen: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.‘“
Gerade dieser Vers 7 „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt“ wird an vielen Stellen im Neuen Testament zitiert. Ich habe das auf dem Blatt alles aufgeführt. Es gibt eine ganze Reihe von Stellen, die mit diesem Vers zusammenhängen. Der Messias ist von Gott gezeugt, Sohn Gottes. Das ist der alttestamentliche Hintergrund für die Geburt Jesu durch eine Jungfrau, gezeugt durch den Heiligen Geist (Matthäus 1, Lukas 1). Er hat also nicht einen menschlichen Vater, sondern nur eine menschliche Mutter, und Gott ist sein Vater.
Dies führt uns zum nächsten Psalm, Psalm 8, wo der Messias als „Sohn des Menschen“ genannt wird – ein Titel, der dutzende Male im Neuen Testament vorkommt. Er ist insofern interessant, als es nicht „Sohn der Menschen“ heißt, sondern in der Einzahl „Sohn des Menschen“, weil er nur von einem Menschen abstammt.
So haben wir in Psalm 2 Jesus Christus als Sohn Gottes und in Psalm 8 den Sohn des Menschen – eine sehr logische Weiterführung. Der nächste Psalm, der im Neuen Testament messianisch gedeutet wird, ist Psalm 8.
Unter Bemerkungen habe ich beim letzten Punkt notiert, was in Psalm 8, Vers 4 vorkommt: Der „Sohn des Menschen“ ist ein Titel für den von einer Jungfrau geborenen Messias. Der Gegensatz dazu steht in Markus 3,28 und Epheser 3,4, wo die Menschen als „Söhne der Menschen“ bezeichnet werden. Das ist ein normaler Ausdruck für Menschen schlechthin.
Wir alle hier sind „Söhne der Menschen“, denn wir haben einen Vater und eine Mutter, darum Plural. Aber der Messias ist der „Sohn des Menschen“, weil er nur eine Mutter hat.
Wir gehen also weiter zu Psalm 8, doch zuvor noch eine kleine Bemerkung: Der Messias wird kommen als Richter. Psalm 2, Vers 8 sagt: „Fordere von mir, und ich will dir zum Erbteil geben die Nationen und zum Besitztum die Enden der Erde. Mit eisernem Zepter wirst du sie zerschmettern, wie ein Töpfergefäß sie zerschmeißen.“ Dieser Vers wird im Neuen Testament aufgenommen, in Offenbarung 2, 12, in Offenbarung 12 und 19, und auf Jesus Christus als den kommenden Richter der Welt bezogen.
Wenn man dort genau liest, heißt es, er wird mit eisernem Zepter die Nationen weiden und nicht zerschmettern. Woher kommt dieser Unterschied? Das liegt daran, wie man den hebräischen Text liest. Hebräisch schreibt man nur mit Konsonanten, und je nach Lesart gibt es mehr als eine Möglichkeit.
In Psalm 2, Vers 9 kann das Wort, das mit „Du wirst sie zerschmettern“ übersetzt wird, auch als „du wirst sie weiden“ gelesen werden. Es steckt also eine Doppeldeutigkeit drin: Du wirst sie zerschmettern, du wirst sie weiden.
Beides ist richtig. Es gibt nur wenige Fälle, in denen ein Doppelsinn möglich ist; hier ist es ein klassisches Beispiel. Der Herr Jesus wird nämlich kommen und zunächst die Völker zerschmettern, aber dann im Tausendjährigen Reich wird er die Völker wie ein Hirte weiden. Der Doppelsinn liegt also darin.
Wir haben noch ein paar Minuten bis zur Pause und gehen darum zu Psalm 8, „Dem Vorsänger auf der Gittit, ein Psalm von David“:
„Ewiger, unser Herr, wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde, der du deine Majestät gestellt hast über die Himmel! Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge hast du Macht gegründet, um deiner Bedränger willen, um zum Schweigen zu bringen den Feind und den Rachgierigen. Wenn ich anschaue deinen Himmel mit deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: Was ist der Mensch, dass du sein gedenkst, und des Menschensohn, dass du auf ihn acht hast? Denn ein wenig hast du ihn unter die Engel erniedrigt, und mit Herrlichkeit und Pracht hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrscher gemacht über die Werke deiner Hände; alles hast du unter seine Füße gestellt.“
In diesem Psalm haben wir in Vers 4 den Titel „Sohn des Menschen“. Psalm 2 sagt „Du bist mein Sohn“, also Sohn Gottes, und hier „Sohn des Menschen“. Beides ergänzt sich, wie wir gesehen haben.
Es ist noch wichtig, folgende Bemerkung: Der Herr Jesus ist Sohn Gottes geworden, indem er Mensch wurde, aber in einem anderen Sinn ist er Sohn Gottes von Ewigkeit her. Als Mensch ist er Sohn Gottes geworden durch Zeugung, aber als Gott ist er von Ewigkeit her Gottes Sohn.
Diesen Aspekt findet man an anderen Bibelstellen, zum Beispiel Hebräer 7, wo über Melchisedek gesprochen wird, der ohne Anfang und ohne Ende ist und mit dem Sohn Gottes verglichen wird – Sohn Gottes ohne Anfang, ohne Ende. Das ist ein anderer Aspekt, der in Psalm 2 nicht vorkommt.
Auch in Sprüche 30 wird gefragt: „Weißt du den Namen Gottes, und weißt du den Namen seines Sohnes?“ Das ist ganz eigentümlich. Jahrhunderte vor Christi Geburt wird nach dem Namen des Sohnes Gottes gefragt. Dort geht es um den ewigen Sohn Gottes.
Jetzt hier, Psalm 8, der „Sohn des Menschen“. Diese Stelle wird im Hebräerbrief 2 ganz klar auf Christus bezogen.
Interessant ist, dass wir zweimal in Vers 4 das Wort „Mensch“ haben: „Was ist der Mensch, dass du sein gedenkst, und des Menschensohn, dass du auf ihn acht hast?“ Zweimal „Mensch“, aber auf Hebräisch sind es verschiedene Wörter. Auf dem Blatt steht zu Psalm 8, Vers 4: Das erste Mal ist „Enosch“, das bedeutet Mensch im Nebensinn sterblicher, sündiger, böser Mensch. Es kommt von der Wurzel „Anasch“, was sterblich und böse bedeutet.
Wenn es heißt „Sohn des Menschen“, dann ist es das Wort „Adam“. Er ist also nicht „Ben Enosch“, sondern „Ben Adam“. Allgemein wird gefragt: Was ist eigentlich der Mensch, wenn man das Universum, den Sternenhimmel anschaut? Und die zweite Frage lautet: Was ist der Menschensohn, der „Ben Adam“?
„Enosch“ ist eine Bezeichnung für den Menschen erst seit dem Sündenfall; es kommt zum ersten Mal vor als Eigenname in 1. Mose 4, Vers 26. „Adam“ ist die Bezeichnung für den Menschen schon vor dem Sündenfall. Darum wird hier in diesem Vers bereits eine Abgrenzung gemacht: Die Menschen sind sterblich und sündig, und dann gibt es den Menschensohn, der hier als Gegensatz zu dem sündigen Menschen, dem „Ben Enosch“, gestellt wird.
Die große Frage bleibt: Was ist der Mensch, was ist der Menschensohn, wenn man den Weltall anschaut? Das ist eine der tiefsten philosophischen Fragen.
Als Anekdote: Ein bekannter Philosoph saß in einem Park auf einer Bank, da kam die Polizei und fragte, wer er sei. Er antwortete: „Ach, wenn ich das wüsste.“ Dabei wollten sie nur seine Papiere sehen. Das zeigt, wie schwierig die Frage „Was ist der Mensch?“ ist.
Diese Frage ist nur beantwortbar, wenn man die Frage beantworten kann: Wer ist Gott? Die moderne Psychologie, die etwa hundert Jahre alt ist, hat darauf keine Antwort geben können. Man hat versucht, die Kruste zu durchdringen und immer mehr zum Zentrum zu kommen, aber es gibt keine psychologische Erklärung, die das Wesen des Menschen wirklich erfasst.
Was ist der Mensch? Das ist eine gewaltige Frage, gerade angesichts des gestirnten Himmels.
In der Autobiographie von Charles Darwin gibt es eine interessante Stelle: Er schreibt, dass ihn der Anblick des Sternenhimmels immer wieder wie eine Macht ergreift, die ihn glauben lässt, dass es einen Schöpfergott geben muss. Doch wenn er an das Leid in der Welt denkt, verschwindet dieser Gedanke wieder. Darwin lebte in diesem inneren Konflikt.
Wenn er den Sternenhimmel betrachtete, sah er die Macht Gottes. Die Frage bleibt: Was ist der „Enosch“, der sündige Mensch? Er ist an der Quelle des Leidens in der Welt. Es ist nicht Gottes Schuld, dass die Welt voller Leid ist. Die Frage müsste lauten: Was ist der „Enosch“, dass du auf ihn acht hast? Oder eben: Was ist der Menschensohn?
Vers 5 sagt weiter: „Denn eine kurze Zeit hast du ihn unter die Engel erniedrigt und mit Herrlichkeit und Pracht gekrönt.“ Im Hebräerbrief findet sich die Auslegung des Heiligen Geistes zu dieser Stelle. Dort wird erklärt, dass der Messias sterben musste. Dadurch, dass er in den Tod gegangen ist, hat er sich für eine kurze Zeit unter die Engel erniedrigt, denn Engel sterben nicht. Der Messias hat sich noch tiefer erniedrigt als die Engel, indem er als Mensch in den Tod ging.
Der Psalm sagt, es war nur für kurze Zeit, dass er unter die Engel erniedrigt wurde, und danach wurde er mit Herrlichkeit und Pracht gekrönt. Der Hebräerbrief bezieht dies auf die jetzige Stellung des Herrn Jesus zur Rechten Gottes im Himmel, als der Auferstandene.
Neben diesem Bezug im Neuen Testament wird noch ein Bezug auf Vers 2 gemacht: „Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge hast du Macht gegründet.“ In Matthäus 21, Vers 12-16 lesen wir, wie Jesus in den Tempel eintrat und die Händler hinausjagte. Dort heißt es:
„Es traten Blinde und Lahme in den Tempel zu ihm und er heilte sie. Als aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien und sagten: ‚Hosanna dem Sohn Davids!‘ wurden sie unwillig und sprachen zu ihm: ‚Hörst du, was diese sagen?‘ Jesus sprach zu ihnen: ‚Ja, habt ihr nie gelesen? Aus dem Mund der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet.‘“
Er verließ sie und ging hinaus außerhalb der Stadt nach Bethanien und übernachtete dort. An einer kritischen Stelle führte er also die zweite Tempelreinigung durch, in der königlichen Säulenhalle am Südende, die im Talmud „Chanuot“ genannt wird, was Kaufhaus bedeutet.
Bei der ersten Tempelreinigung am Anfang seines Dienstes (Johannes 2) sagte Jesus: „Macht nicht das Haus meines Vaters zu einem Kaufhaus.“ Das entspricht genau dem hebräischen „Chanuot“. Es war ein Angriff auf das oberste Priestertum, denn die Sadduzäer wollten das, um sich zu bereichern. Die Sadduzäer lebten im Luxus, wie Ausgrabungen im jüdischen Viertel zeigen. Dort wurden Häuser mit 600 Quadratmetern Grundfläche gefunden – ein unglaublicher Reichtum.
Jesus wandte sich dagegen, auch bei der zweiten Tempelreinigung, und stellte sich gegen den Hohenpriester und das Sanhedrin, die das erlaubt hatten. Damals hatten sie ihm noch nichts angetan; jetzt wiederholte er das Gleiche.
Dann kamen sogar noch Kinder, die im Tempel „Hosanna dem Sohn Davids“ riefen. Das machte die Szene noch dramatischer. Die Führer dachten: Was machen die Kinder hier? Jesus bezog sich gerade auf diesen Psalm 8, der deutlich macht, dass er der Sohn des Menschen ist, also der Messias.
Noch eine kleine Nebenbemerkung: Wäre Jesus ein ordinierter Rabbiner gewesen – damals wurden Rabbiner durch Handauflegung eines anderen Rabbiners ordininiert –, dann hätte er für diese Tempelreinigung die Todesstrafe verdient. Denn ein Auflehnen eines Rabbiners gegen das Sanhedrin bedeutete Todesstrafe. Jesus war jedoch kein ordinierter Rabbi. Er reiste zwar als Rabbi umher, hatte eine Schülerschaft (die Jünger), aber er war nicht ordiniert und hatte sich von niemandem die Hände auflegen lassen. Deshalb konnten sie ihm nicht die Todesstrafe bringen. Doch das Ganze war sehr ungemütlich für sie. Die Kinder verstärkten die Situation.
Psalm 8 war die Bestätigung aus dem Mund der Kinder und Säuglinge.
Es ist Zeit für eine Pause. Danach kommen wir zu Psalm 22.
Wir haben in Psalm 8 bereits eine Andeutung auf den Tod des Messias gefunden: „Du hast ihn ein wenig unter die Engel erniedrigt.“ Das wird jetzt im Psalm 22 ganz zentral ausgebreitet.
Vorher haben wir noch Psalm 16, die Auferstehung des Messias, so habe ich den Psalm betitelt. Dort wird der Tod bereits vorausgesetzt und auch konkret behandelt.
Psalm 16, Verse 7-11:
„Den Herrn werde ich preisen, der mich beraten hat; selbst des Nachts unterweisen mich meine Nieren. Ich habe den Herrn stets vor mich gestellt; weil er zu meiner Rechten ist, werde ich nicht wanken. Darum freut sich mein Herz und frohlockt meine Seele; auch mein Fleisch wird in Sicherheit ruhen, denn meine Seele wirst du dem Scheol nicht lassen, wirst nicht zugeben, dass dein Frommer die Verwesung sehe. Du wirst mir kundtun den Weg des Lebens; Fülle von Freuden ist vor deinem Angesicht, Lieblichkeiten in deiner Rechten immerdar.“
Psalm 16 ist ein Gedicht von David. Nun stellt sich die Frage: Hat David hier persönliche Erfahrungen beschrieben, wie in manchen Psalmen, oder spricht er über den Messias als Prophet?
An der Pfingstpredigt in Apostelgeschichte 2 erklärte Petrus vor der Volksmenge, die gerade zum Tempel gehen wollte. Es war neun Uhr morgens, der Moment, in dem das Morgenbrandopfer im Tempel geschlachtet wurde, und die Volksmasse am Pfingstfest hinaufzog, um das Ereignis mitzuerleben. Gerade da geschah das Pfingstwunder.
Petrus hält spontan eine Predigt und kommt auf Psalm 16 zu sprechen. Ich lese aus Apostelgeschichte 2, Vers 22:
„Männer von Israel, hört diese Worte: Jesus den Nazaräer, einen Mann von Gott an euch erwiesen durch mächtige Taten und Wunder und Zeichen, die Gott durch ihn in eurer Mitte tat, wie ihr selbst wisst. Diesen übergeben, nach dem bestimmten Ratsschluss und nach Vorkenntnis Gottes, habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geheftet und umgebracht. Den hat Gott auferweckt, nachdem er die Wehen des Todes aufgelöst hatte, wie es denn nicht möglich war, dass er von demselben behalten würde.“
Denn David sagt über ihn – jetzt kommt das Zitat:
„Ich sah den Herrn allezeit vor mir, denn er ist zu meiner Rechten, auf dass ich nicht wanke. Darum freute sich mein Herz, und meine Zunge frohlockte. Ja, auch mein Fleisch wird in Hoffnung ruhen, denn du wirst meine Seele nicht im Hades zurücklassen, noch zugeben, dass dein Frommer die Verwesung sehe. Du hast mir kundgetan Wege des Lebens; du wirst mich mit Freude erfüllen mit deinem Angesicht.“
Und jetzt kommt die Auslegung des Heiligen Geistes durch Petrus:
„Brüder, es sei erlaubt, mit Freimütigkeit zu euch zu reden über den Patriarchen David, dass er sowohl gestorben als auch begraben ist, und sein Grab ist unter uns bis auf diesen Tag. Da er nun ein Prophet war und wusste, dass Gott ihm mit einem Eid geschworen hatte, von der Frucht seiner Lenden auf seinen Thron zu setzen, hat er voraussehend von der Auferstehung des Christus geredet.“
Oder wenn wir zwischendurch wieder einmal Messias einsetzen für Christus: voraussehend von der Auferstehung des Messias geredet, dass er nicht im Hades zurückgelassen worden sei, noch sein Fleisch die Verwesung gesehen habe. Diesen Jesus hat Gott auferweckt, wovon wir alle Zeugen sind.
Die Argumentation ist absolut überzeugend. Petrus sagt: David hat den Psalm geschrieben, aber Davids Grab haben wir unter uns in Jerusalem, und wir können nachsehen, ob er verwest ist oder nicht. Also hat David nicht von sich gesprochen. Aber als Prophet hat er über seinen Nachkommen, den Messias, gesprochen, dass er die Verwesung nicht sehen würde. Der Messias stirbt, ja, aber erlebt keinen Verwesungsprozess und wird auferstehen. Seine Seele sollte nicht im Totenreich, im Scheol, bleiben.
Hier haben wir also in Vers 10, dass die Seele des Messias ins Totenreich, in den Scheol, geht, aber sein Körper sollte nicht verwesen.
Dazu einige Bemerkungen: Das hebräische Wort „Scheol“, das in Psalm 16, Vers 10 vorkommt, kommt von einer Wurzel „scha'al“, was „verlangen“ bedeutet. Der Scheol ist der Verlangende, der fordert und fordert. Seit Anbeginn der Menschheit fordert er nur Opfer, und all die Milliarden Menschen, die er schon verschluckt hat, sind ihm nicht genug.
Darum heißt es in Sprüche 30, dass es verschiedene Dinge gibt, die nie sagen „es ist genug“, und dazu wird der Scheol gezählt – in Anspielung auf die Wurzel „scha'al“, der Verlangende. Der Tod hat nie genug.
Im Neuen Testament, das auf Griechisch geschrieben ist, hat Petrus in seiner Rede das Wort „Hades“ verwendet für Scheol. Das bedeutet auf Deutsch „der Unsichtbare“, also ein gutes Wort, um den Bereich des Todes als unseren Sinnen unzugänglich zu beschreiben.
Im Alten Testament ist das Wort Scheol generell einfach der Bereich des Todes. Manchmal bezeichnet es schlicht das Grab, in das der Körper gelegt wird. An anderen Stellen ist der Scheol das Totenreich im Jenseits. Das kommt auf den Zusammenhang an; man muss unterscheiden, was gemeint ist.
Das Neue Testament verdeutlicht, dass sowohl der Scheol als auch der Hades – dieser unsichtbare Bereich des Todes – zwei verschiedene Bereiche umfassen.
Für Verlorene ist es nach Lukas 16, Vers 28 der Ort der Qual. Der reiche Mann in Lukas 16, der gestorben ist und dann an den Ort der Qual kam, ist noch nicht in der Hölle, er ist im Hades. Dort wird es so genannt, und es ist ein Ort der Qual.
Die Hölle kommt erst noch, sie ist zukünftig. In 1. Petrus 3, Vers 20 wird dieser Bereich als Gefängnis bezeichnet. Es ist eine Untersuchungshaft, die dauert, bis der große weiße Thron aufgerichtet wird in Offenbarung 20, nach dem Tausendjährigen Reich.
Erst dann kommt der Feuersee, die Hölle. Das ist das Gefängnis.
Für Gläubige ist der Scheol etwas Schönes. Für Gläubige und für Christus ist es nach Lukas 23, Vers 43 das Paradies. Der Herr Jesus sagt zu dem Mitgekreuzigten: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“
Wenn man 2. und 3. Korinther liest, spricht Paulus davon, wie er entrückt wurde in den dritten Himmel, und er sagt, er war entrückt ins Paradies.
Das Paradies ist gleich der dritte Himmel. In der Schöpfung gibt es zwei Himmel, die in 1. Mose 1 unterschieden werden: Der erste Himmel ist die Lufthülle, die Ausdehnung am zweiten Schöpfungstag, also die Atmosphäre, das, was wir am Tag als Blau sehen. Der zweite Himmel ist der Sternenhimmel, der Astralhimmel, das Universum wird auch als Himmel bezeichnet.
Dann gibt es noch einen dritten Himmel, das ist ein Bereich, der mit unserer Atmosphäre und dem Universum nichts zu tun hat. Das ist jenseits davon. Das ist das Paradies, und Paulus nennt das schlicht in Philipper 1, Vers 23 „bei Christus“. Nach Offenbarung 6, Vers 9 ist es der Ort des Tempels im Himmel, denn dort sieht Johannes die Seelen Verstorbener beim Altar am Fuß des Altars des Tempels im Himmel.
Das ist wichtig: Wenn Christus in den Hades gegangen ist, in den Scheol, bedeutet das nicht, dass er in den Bereich des Gefängnisses gegangen ist, an den Ort der Qual, sondern ins Paradies.
„Du wirst nicht zugeben, dass dein Frommer die Verwesung sehe.“ Das hebräische Wort „Schachat“ bedeutet Verschiedenes: Grab, Grube, Verderben, Verwesung.
Es gibt Bibelübersetzungen, die mit „Grab“ übersetzen: „Du wirst nicht zugeben, dass dein Frommer das Grab sehe.“ Das geht natürlich nicht, denn das würde bedeuten, dass Christus nicht sterben sollte.
Das Neue Testament übersetzt es eindeutig mit Verwesung, was gemeint ist.
Psalm 16 sagt also, dass auch die Seele in den Scheol geht. Das ist eine absolute Fehlübersetzung, wenn man sagt, „du wirst nicht zugeben, dass dein Frommer die Verwesung sehe“.
Im Alten Testament ist die Auferstehung schon ganz eindeutig dokumentiert, und dass Christus keine Verwesung erlebt. Seine Seele ging in den Hades, ins Paradies, sein Körper wurde ins Grab gelegt.
Man spricht oft, wenn man am Grab von jemandem steht, von seiner sterblichen Hülle. Aber der Körper ist wichtiger als das.
In Johannes 19 wird gesagt, dass Jesus ins Grab gelegt wurde. Es heißt dort ganz eigenartig nicht einfach „sein Körper“, sondern „sie legten Jesus“ (Johannes 19, Vers 41). Das zeigt, dass der Körper nicht irgendetwas Nebensächliches ist, sondern die ganze menschliche Person eine Einheit von Geist, Seele und Körper.
Darum war es auch so wichtig, dass der Leib Jesu keine Verwesung erlitt. Gott hat die fürchterlichsten Schändlichkeiten der Menschen bis zu seinem Tod erlaubt. Dann kam noch der Lanzenstich, der deutlich machte, dass er gestorben ist. Blut und Wasser haben sich getrennt, was ein medizinischer Beweis für den Tod ist.
Aber danach ließ Gott nichts mehr zu, keine Schändigung mehr. So wurde Jesus in das Grab eines Reichen gelegt. Der Körper sollte keine Verwesung erleiden. Gott hat nicht erlaubt, dass der Körper Jesu entwendet wird. Er hatte schon alles vorbereitet, wollte nach dem Sabbat kommen und das machen, aber Jesus war schon am dritten Tag auferstanden. Er brauchte keine Mittel gegen Verwesung.
Das zeigt die Wichtigkeit des Körpers. Es ist der wirkliche Leib Jesu, der wieder auferweckt wurde – nicht nur die Seele. Es wird immer nur vom Körper gesprochen. Es gibt keine Auferstehung der Seele, sondern die Auferstehung des Körpers.
Das gehört zur Vollständigkeit der Person und zeigt, wie falsch das Reinkarnationsdenken ist, das den Körper verachtet. Dort denkt man, die Seele sei das Wichtige, sie schlüpft aus dem Leib und geht in eine Sonnenblume, dann in einen Elefanten, dann in einen König – der Körper ist unwichtig.
Die Bibel spricht über die Auferstehung des Körpers. Jesus Christus ist nicht als Geistwesen auferstanden. In Lukas 24 sagt er, als die Jünger meinten, sie sähen einen Geist: „Seht, dass ich Fleisch und Knochen habe. Ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich habe.“ Der wirkliche Körper Jesu wurde auferweckt.
Das ist das Modell für die Auferstehung der Erlösten. Unser Körper wird auferweckt und verwandelt zu einem wunderbaren Körper, aber es ist derselbe Körper.
Die Griechen glaubten zwar an ein Weiterleben nach dem Tod, aber nicht an die Auferstehung des Körpers. Sie glaubten an den Hades, aber nicht an die Auferstehung. Darum lachten sie in Athen, als Paulus in Apostelgeschichte 17 am Schluss plötzlich über Auferstehung sprach. Die Rede wurde abgebrochen, denn das ging nicht in das griechische Denken hinein.
Im Christentum sind Geist, Seele und Körper wichtig und gehören zur Persönlichkeit. Nichts soll verachtet werden.
Wir gehen weiter zu Psalm 22, „Dem Vorsänger nach Hindin, der Morgenröte, ein Psalm von David“:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern von meiner Rettung, den Worten meines Gestöhns? Mein Gott, ich rufe des Tages, und du antwortest nicht, und des Nachts, und mir wird keine Ruhe.“
Der Psalm beginnt mit dem Schrei der Gottverlassenheit des Messias. Das ist der einzige Satz in der Bibel, der in allen drei biblischen Sprachen vorkommt: Hebräisch, Aramäisch und Griechisch. Ich habe das unter Bemerkungen aufgeführt.
Im Psalm 22 ist es auf Hebräisch: „Eli, Eli, Lama Azawdani.“ In Matthäus 27, Vers 46 und Markus 15 wird berichtet, dass Jesus diesen Satz auf Aramäisch geschrien hat. In Matthäus heißt es: „Eli, Eli, lama schabachtani?“ und in Markus etwas anders: „Elahi, Elahi, lama schabachtani?“ Man merkt, Hebräisch und Aramäisch sind fast gleich, nur das Verb ist unterschiedlich (Schabak für verlassen anstatt Asaw).
Im Griechischen wird es übersetzt mit „Hoteosmu eis ti enkatelipes me?“ Das macht deutlich, dass dieser Satz von gewaltiger Tiefe ist. Nur dieser Satz kommt in allen Sprachen vor: „Wozu oder warum hast du mich verlassen?“
Jeder Mensch, der zum Glauben kommt, muss diese Frage beantworten. Er muss sich mit dem Opfer Jesu Christi eins machen und sagen: Das war wegen mir, damit ich auf ewig von Gott verlassen in der Verdammnis sein muss. Darum hat Christus diese Gottverlassenheit am Kreuz erlebt.
Er hat gewissermaßen das ganze Gericht, das unser Teil gewesen wäre, im Feuersee in den drei Stunden der Finsternis am Kreuz erduldet. Da öffnen sich Dimensionen, die wir kaum begreifen können.
Darum hat Gott auch eine Finsternis über das ganze Land kommen lassen, damit niemand das entstellte Gesicht des Erlösers am Kreuz sehen sollte.
Schon die Kreuzigung ist der schrecklichste Schmerz, den es gibt, aber in den drei Stunden der Finsternis kam das Gericht Gottes über ihn hinzu. Erst da war er wirklich der Sündenträger, und darum musste Gott ihn verlassen.
Was dort geschehen ist, können wir nicht erfassen. Wenn es einen schlimmen Autounfall gibt und jemand tot ist, nimmt man sofort eine Decke, um die Leiche vor den Blicken der Schaulustigen zu verbergen.
Genau dieses Prinzip gilt hier. Gott brachte die Finsternis, damit niemand das Gesicht des Erlösers sehen sollte.
In Vers 2 und 3 sagt der Herr: „Mein Gott, ich rufe des Tages, und du antwortest nicht, und des Nachts, und mir wird keine Ruhe.“ Wir sehen hier zwei Phasen am Kreuz: drei Stunden Licht, drei Stunden Finsternis.
Das war keine Sonnenfinsternis, denn wir wissen, dass eine Sonnenfinsternis nur wenige Minuten dauert, im besten Fall sieben Minuten, und dann muss man am Nordpol sein. Drei Stunden Finsternis gibt es nicht.
Das ist nicht erst eine moderne Erkenntnis. Schon Julius Africanus schrieb im zweiten Jahrhundert über die Finsternis am Kreuz: Es war keine Sonnenfinsternis, denn zu Pessach gibt es keine Sonnenfinsternis. Pessach ist in der Mitte des Monats, und der jüdische Monat beginnt mit dem Neumond, also Mitte des Monats. Am 14. wird Pessach geschlachtet, Vollmond, da gibt es keine Sonnenfinsternis.
Julius Africanus berichtet, dass Tallus, ein Samaritaner aus dem Jahr 52, von dieser Finsternis sprach und behauptete, es sei eine Sonnenfinsternis gewesen. Wir haben also Bezeugungen bis ins erste Jahrhundert zurück, dass diese Finsternis stattfand, aber wie genau sie geschah, weiß niemand. Es war ein göttliches Eingreifen auf Golgatha.
In Vers 6 finden wir Spott und Hohn: „Ich aber bin ein Wurm und kein Mann, der Menschen Hohn und der vom Volke verachtete. Alle, die mich sehen, spotten meiner; sie reißen die Lippen auf, schütteln den Kopf: ‚Er vertraut auf den Herrn, der errette ihn, befreie ihn, weil er Lust an ihm hat.‘“
Dieser Spott wird uns in Matthäus 27,39-44 berichtet. Wortwörtlich wurde das aus Psalm 22 übernommen, wo der Herr verspottet wird.
Er nennt sich hier „ein Wurm und kein Mann“. Was ist das Bild des Wehrlosen schlechthin? Ein Wurm hat keine Zähne, um zurückzubeißen, keine Füße, um zu fliehen, keinen Pelz als Schutz – die Wehrlosigkeit schlechthin. Der Herr vergleicht sich mit einem Wurm.
Würmer spielten im Tempel eine große Rolle, denn eine der Farben des Scheidevorhangs, der bei der Kreuzigung zerrissen wurde, war aus Würmern hergestellt. Das rote Karmesin gab die vier Farben: Blau, roter Purpur, Karmesin und Weiß.
Karmesin wurde aus den Würmern der Kermes-Schildlaus hergestellt. „Karmesin“ kommt daher. Es ist die Farbe des arteriellen menschlichen Blutes.
Das hebräische Wort für Karmesin ist „To'alatschani“. „To'ala“ heißt Wurm. Man kann es also mit „Wurmkarmesin“ übersetzen. Genau dieses Wort verwendet der Herr hier: „Ich aber bin ein To'allah und kein Mann.“ Am Kreuz erniedrigt er sich, um das Erlösungswerk zu schaffen.
David beschreibt im Detail die Kreuzigung, Vers 14 (nach anderer Zählung Vers 15):
„Wie Wasser bin ich hingeschüttet, und alle meine Gebeine haben sich zertrennt; wie Wachs ist geworden mein Herz, es ist zerschmolzen inmitten meiner Eingeweide; meine Kraft ist vertrocknet wie ein Scherben, und meine Zunge klebt an meinem Gaumen; und in den Staub des Todes legst du mich.“
Die Kreuzigung bewirkt aus medizinischen Gründen einen unvorstellbaren Durst. Dieser Durst wird beschrieben mit „Meine Kraft ist vertrocknet wie ein Scherben, und meine Zunge klebt an meinem Gaumen.“
In der orientalischen Mittagssonne von neun Uhr bis zwölf Uhr hing Jesus als der Gekreuzigte. Es gab massive Schweißausbrüche: „Wie Wasser bin ich hingeschüttet.“ Durch das Hängen und das Eigengewicht des Gekreuzigten werden Gelenke ausgerenkt, und alle meine Beine haben sich zertrennt.
Das Allerdeutlichste in Bezug auf die Kreuzigung ist Vers 16: „Sie haben meine Hände und meine Füße durchgraben.“ Man muss sich das vorstellen: Tausend Jahre vor der Kreuzigung beschreibt David die Tötung durch Kreuzigung beim Messias.
Das wurde an dieser Stelle schon bestritten. Ich weiß nicht, welche Bibelübersetzung Sie gerade benutzen; vielleicht steht bei Ihnen nicht „durchgraben“, sondern etwas anderes. Eine moderne jüdische Übersetzung hat „Meine Hände und Füße wie ein Löwe“ übersetzt. Das ist kaum verständlich, denn Hände sehen nicht aus wie Löwenpfoten.
Warum wurde so übersetzt? Hier steht das Partizip „Ka'ari“, eine seltene Kurzform für „Ka'arim“. Es kommt von der Wurzel „kur“ und heißt „durchgraben“. Ich habe auf Benjamin Davidson verwiesen, einen großen Hebraisten, der in seinem „Analytical Hebrew and Chaldee Lexicon“ genau diese Spezialform erklärt und warum sie grammatikalisch eindeutig von „durchgraben“ kommt.
Das ist wichtig, wenn man mit Juden spricht, die ihre hebräische Bibel herausnehmen und dort „wie ein Löwe“ lesen. Da kann man sagen: „Ja, das ist Ka'ari, aber es kommt von ‚durchgraben‘.“ Die Vorfahren, die die Bibel ins Griechische übersetzten (dritte Jahrhundert vor Christus, Septuaginta), haben es ebenfalls so übersetzt, also „durchbohren“.
Wir bleiben also dabei.
In Vers 18 wird die Teilung und Verlosung der Kleider des Messias beschrieben, wie es sich in Johannes erfüllt hat.
Ganz besonders muss Vers 21 beziehungsweise 22 beachtet werden:
„Der Herr ruft: ‚Rette mich aus dem Rachen des Löwen! Ja, du hast mich erhört von den Hörnern der Büffel. Verkündigen will ich deinen Namen meinen Brüdern, inmitten der Versammlung will ich dich loben.‘“
Plötzlich ändert sich die Szene: Zunächst ein Schrei der Not „Rette mich aus dem Rachen des Löwen!“, dann ein Siegesruf: „Ja, du hast mich erhört von den Hörnern der Büffel!“
Der Messias wird aus der tiefsten Not heraus durch die Auferstehung gerettet.
Der Vers „Verkündigen will ich deinen Namen meinen Brüdern, inmitten der Versammlung will ich dich loben“ wird in Hebräer 2, Vers 12 auf den auferstandenen Christus bezogen, der heute in der Gemeinde das Lob der Gläubigen auslöst.
So haben wir in Psalm 22 sowohl den Tod als auch die Auferstehung des Erlösers.
Der letzte Vers endet mit: „Sie werden kommen und verkündigen seine Gerechtigkeit einem Volk, das geboren wird, dass er es getan hat.“ Nach Elberfelder und Schlachter heißt es am schönsten: „Dass er es vollbracht hat.“ So endet Psalm 22 gemäß dem Ruf des Erlösers: „Es ist vollbracht.“
Wir gehen zu Psalm 31. Es wäre natürlich interessant, auch wieder Vers für Vers zu betrachten, aber das können wir nicht. Darum verweise ich nur auf Vers 5:
„In deine Hand befehle ich meinen Geist.“
Das ist in Lukas 23, Vers 46 genau das letzte der sieben Worte des Erlösers am Kreuz. Die sieben Worte des Erlösers gibt es nicht in einem Evangelium, sondern man muss alle vier Evangelien zusammennehmen, dann bekommt man die sieben Worte.
Das war das allerletzte, das siebte Wort des Erlösers am Kreuz, das wir in den Psalmen finden.
Wir gehen weiter zu Psalm 40, ab Vers 6 wird zitiert in Hebräer 10:
„An Schlacht und Speisopfer hattest du keine Lust; Ohren hast du mir bereitet; Brand- und Sündopfer hast du nicht gefordert; da sprach ich: Siehe, ich komme!“
In der Rolle des Buches steht: „Von mir geschrieben: Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust, und dein Gesetz ist in meinem Herzen.“
Im Hebräerbrief wird erklärt, dass der Herr Jesus diese Worte gesprochen hat, als er in die Welt kam – als ewiger Sohn zu Gott. Er war ja Gott und Mensch in einer Person.
Wie kommt der Schreiber des Hebräerbriefes auf diese Deutung? Der Schlüssel liegt in Vers 6: „An Schlacht und Speisopfer hattest du keine Lust, Ohren hast du mir bereitet.“
Im Hebräerbrief ist es allerdings etwas freier übersetzt: „Einen Leib hast du mir bereitet.“ Man fragt sich, ob man so frei übersetzen darf. Das ist eine dynamisch äquivalente Übersetzung, ähnlich wie die Gute Nachricht Bibel.
Man darf so übersetzen, aber es ist gleichzeitig ein Kommentar. Das ist wichtig bei solchen dynamischen Übersetzungen. Man sagt heute wieder mehr, dass das keine reine Übersetzung ist, sondern eine kommentierte Übersetzung.
Eine Bibelübersetzung ist eine Übersetzung, ein Kommentar ist ein Kommentar. Hier wird beides vermischt.
Der Hebräerbrief übersetzt also kommentierend.
Wie kommt man darauf? „Ohren hast du mir bereitet“ – ich habe das unter Bemerkungen notiert: Wörtlich heißt es „Du hast mir Ohren gegraben“. Eigenartig – wurden uns Ohren gegraben?
Die Bildung der Gehörgänge beim Embryo gehört zu den ganz frühen vorgeburtlichen Ausgestaltungen. Zuerst sind wir eine ungeformte Masse, wie in Psalm 139 beschrieben: „Meinen Knäuel, meine ungeformte Masse sah dein Auge.“ Dann beginnen sich Furchen zu bilden, und schon ganz früh werden die Ohrkanäle „gegraben“.
Das ist eine schöne Umschreibung, wie Gott den Messias im Leib der Jungfrau gebildet hat.
Darum ist die Übersetzung „Einen Leib hast du mir bereitet“ ein Volltreffer. Es geht um die Ausgestaltung des Messias im Mutterleib.
Darum hat er gesagt, als er in die Welt kam: „Einen Leib hast du mir bereitet, Ohren, um auf dich zu hören.“
Was ist das Ziel? In Vers 7 heißt es: „Da sprach ich: Siehe, ich komme! In der Rolle des Buches steht von mir geschrieben.“
Der Messias ist in die Welt gekommen im vollen Bewusstsein, das Alte Testament, das hebräische Alttestament, zu erfüllen, was über ihn geschrieben steht. Er ist geboren worden, um zu sterben – der Weg von der Krippe zum Kreuz.
Zunächst heißt es in Vers 6: „An Schlacht und Speisopfer hattest du keine Lust; Brand- und Sündopfer hast du nicht gefordert.“ Gott hat das Opferwesen in 3. Mose eingerichtet. Viele Juden sahen darin die eigentliche Bedeutung, aber sie lagen daneben.
Die Opfer hatten symbolischen Hinweis auf den Messias. Darum sagt der Messias: Nicht das hast du eigentlich gewollt, jetzt hast du mir einen Leib bereitet, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun.
Im Hebräerbrief wird das Opfer des Messias, ausgehend von Psalm 40, überzeugend für messianische Juden entwickelt.
Das Lebensmotto des Herrn Jesus auf Erden war: „Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust.“ Wahrscheinlich steht in manchen Bibelübersetzungen statt „U“ ein „A“. Beim Herrn Jesus Christus war das anders: Er hat wirklich „U“ gelesen, es war seine Lust. Das war sein Ziel, dieses Opfer zu bringen.
Im gleichen Psalm lesen wir dann Vers 12:
„Denn Übel bis zur Unzahl haben mich umgeben, meine Ungerechtigkeiten haben mich erreicht, dass ich nicht sehen kann. Zahlreicher sind sie als die Haare meines Hauptes, und mein Herz hat mich verlassen.“
Jetzt kommt der Bibelleser in Konflikte. Das Neue Testament erklärt, Psalm 40 ist ein messianischer Psalm, aber diesen Vers können wir doch nicht auf den Messias beziehen. Er, der Schuldlose, sagt hier: „Meine Ungerechtigkeiten haben mich erreicht.“ Was sollen wir damit anfangen?
Hier haben wir die Bedeutung des Sündopfers. In Vers 6 sagt der Herr: Brand- und Sündopfer hast du nicht gefordert, jetzt komme ich, um das Sündopfer zu sein.
Das Sündopfer heißt auf Hebräisch „Chattat“, das ist dasselbe Wort wie „Sünde“. Es steckt nicht einmal das Wort „Opfer“ darin.
Das Sündopfer ist die totale Identifikation, Einsmachung mit der Sünde, mit der Schuld.
So wurde der Herr Jesus am Kreuz von Gott mit uns identifiziert, sodass es heißt in 2. Korinther 5, Vers 21:
„Den, der keine Sünde kannte, hat Gott für uns zur Sünde gemacht, damit wir die Gerechtigkeit Gottes würden in ihm.“
Der Herr Jesus hat unsere Schuld so auf sich genommen, als wäre es seine persönliche Schuld gewesen, und Gott hat sie ihm am Kreuz bekannt gemacht. Das finden wir auch später wieder, wenn wir noch zur letzten Seite kommen.
Wir schaffen nicht alles in den verbleibenden vier Minuten, darum beschränke ich mich auf das Wesentliche.
Psalm 69 wird an verschiedenen Stellen im Neuen Testament messianisch gedeutet. Ich verweise auf Psalm 69, Vers 4:
„Mehr als die Haare meines Hauptes sind der, die ohne Ursache mich hassen; mächtig sind meine Vertilger, die ohne Grund mir Feind sind. Was ich nicht geraubt habe, muss ich alsdann erstatten.“
In anderen Übersetzungen ist das Vers 5.
Dieser Vers macht deutlich: Der Messias ist schuldlos, er wird ohne Ursache gehasst.
Der nächste Vers: „Du, o Gott, weißt um meine Torheit, und meine Vergehungen sind dir nicht verborgen.“
Das ist eigenartig: Im Vers zuvor ist er unschuldig, im Vers danach schuldig (Psalm 69, 4 und 5 bzw. 5 und 6). Das ist das Geheimnis des Sündopfers.
Das Sündopfer musste ein unschuldiges Tier sein, das mit der Sünde identifiziert wurde.
So war der Herr Jesus als der Gerechte am Kreuz mit unserer Schuld identifiziert, sodass er sie Gott bekannt machte: „Du, o Gott, weißt um meine Torheit, und meine Vergehungen sind dir nicht verborgen.“
Das würden wir nicht wagen zu sagen, wenn die Bibel nicht ausdrücklich sagte, dass er zur Sünde gemacht wurde, juristisch von Gott erklärt, als wäre er die Ursache gewesen. Darum hat Gott ihn am Kreuz verlassen. Darum der Schrei der Gottverlassenheit in Psalm 22.
Kurz noch zu Psalm 41, der in Johannes 13 zitiert wird und auf den Verrat des Judas bezogen wird.
Im Psalm 45 wird der Messias von Gott angesprochen: „Dein Thron, o Gott!“ Das ist erstaunlich, dass Gott seinen Sohn mit „O Gott!“ anspricht. Hebräer 1, Vers 8 macht das deutlich.
Psalm 68, Vers 18, zitiert in Epheser 4,8, sagt die Himmelfahrt des Messias voraus und dass er geistliche Gaben für das Volk Gottes schenkt.
Psalm 102 wird im Hebräerbrief, Hebräer 1, zitiert. Ich lese Psalm 102, Vers 25:
„Du hast vormals die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk. Sie werden untergehen, du aber bleibst; und sie alle werden veralten wie ein Kleid. Wie ein Gewand wirst du sie verwandeln, und sie werden verwandelt werden; du aber bist derselbe, und deine Jahre enden nicht.“
Gott spricht seinen Sohn an und sagt: „Du hast damals in 1. Mose 1, Vers 1 Himmel und Erde erschaffen.“ Das ist erstaunlich. Es macht deutlich, dass der Sohn der ausführende Schöpfer war, der die Pläne des Vaters zur Schöpfung ausführte.
Dann wird ihm gesagt: „Du bist unveränderlich derselbe.“ Alles andere, die ganze Schöpfung, wird vergehen, du bist aber der Unveränderliche. Das heißt Yahweh, denn das ist die Bedeutung des Gottesnamens: der Unwandelbare, der Ewige.
Beachten wir den Zusammenhang in Psalm 102. Dort werden zunächst die Leiden des Messias ausführlich beschrieben. Er sagt in Vers 23:
„Er hat meine Kraft gebeugt auf dem Weg, hat verkürzt meine Tage. Ich sprach: Mein Gott, nimm mich nicht hinweg in der Hälfte meiner Tage.“
Mose hat in Psalm 90, Vers 10 erklärt: „Die Tage des Menschen sind siebzig, und wenn es hochkommt, so sind es achtzig.“ Die Hälfte von siebzig ist fünfunddreißig.
Jesus ist mit etwa 33 Jahren gestorben, also ungefähr in der Hälfte der erwarteten Lebenszeit eines gesetzestreuen Israeliten.
Er schreit: „Nimm mich nicht hinweg in der Hälfte meiner Tage!“
Dann kommt die Antwort: „Du hast vormals die Erde gegründet, die Himmel sind deiner Händewerk; sie werden untergehen, du aber bleibst.“
Hier werden Gottheit und Menschheit Christi dramatisch zusammengefügt. Als Mensch sagt er: „Nimm mich nicht hinweg in der Hälfte meiner Tage.“ Gott sagt: „Du bist der Ewige, der Unwandelbare, der Schöpfer von Himmel und Erde.“
In Psalm 109, Vers 8, zitiert in Apostelgeschichte 1, Vers 20, wird vorausgesagt, dass das Apostelamt, das Judas innehatte, weggenommen werden musste und ein anderer es bekommen sollte.
Psalm 110 ist einer meiner Lieblingspsalmen unter den messianischen Psalmen. Dort wird der Messias beschrieben als König und Priester zu Rechten Gottes. Hier wird deutlich gemacht, dass im Messias die beiden Ämter, die immer getrennt sein sollten – König und Priester – in ihm vereint sein würden.
Ich möchte noch mit Psalm 118, Vers 22 enden:
„Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Von dem Herrn ist dies geschehen, wunderbar ist es in unseren Augen. Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat; frohlocken wir und freuen uns in ihm. Bitte, Herr, rette doch! Bitte, Herr, gib doch Wohlfahrt! Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn! Von dem Haus des Herrn aus haben wir euch gesegnet.“
Dieser Psalm ist wichtig am Pessachfest, denn damals zur Zeit Jesu und auch heute noch werden während der Pessachfeier die Psalmen 112 bis 118 gelesen. Das gehört zum Pessachfest.
In Lukas 20, kurz vor der Kreuzigung, stand der Herr Jesus vor dem Hohenpriester und der Führerschaft. Es heißt dort ausdrücklich, dass er seine Augen auf sie gerichtet hat. Er schaute ihnen in die Augen und sagte: „Was ist dieses Wort? Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden.“
Sie wussten genau, was er meinte: Er ist der Stein, der von ihnen verworfen wird.
Das hat besondere Bedeutung, denn damals war „Bauleute“ eine rabbinische Bezeichnung für Gesetzesgelehrte. Man nannte sie so, wenn der Herr ihnen in die Augen schaute und sagte: „Was ist das? Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden.“
Sie wussten genau, was er gesagt hatte. Dann kam die Kreuzigung, genau zur Pessachzeit. Caiaphas las in seiner Familie die Worte aus Psalm 118 vor, wo es wieder heißt: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden.“ Er hat die Stelle garantiert nochmals gelesen, genau dann.
Was ist da durch ihn gegangen? Ein Baustein wurde von den Führern des Judentums verworfen, sollte aber zum Eckstein werden. Der Eckstein ist der Stein, den man als ersten bei einem neuen Bauwerk legt. Nach seinen Kanten wird alles ausgerichtet.
Dieser Vers gibt den Hinweis, dass nach der Verwerfung des Messias etwas ganz Neues, ein ganz neuer Tempel entstehen sollte. Das wissen wir aus dem Neuen Testament: Das sollte die Gemeinde sein. Alles wird nach Christus ausgerichtet, nicht nach menschlichen Bestimmungen oder Konzilien.
Das Wort „Stein“ heißt auf Hebräisch „Even“. Eine kurze Anekdote: Ein Jude in Israel, der zum Glauben kam, fand ein weggeworfenes Neues Testament auf Hebräisch, begann zu lesen und kam zum Glauben. Das führte zu starken Differenzen mit seinem Vater, denn er kam aus einer orthodoxen Familie.
In einer orthodoxen Familie sorgt der Vater für die richtige Frau und ein Haus, wenn sich ein Sohn richtig entwickelt, damit alles zukunftssicher ist. Der Vater wollte, dass er widerruft, doch der Sohn wollte nicht.
Dann kam Pessach und Psalm 118. Am Pessach müssen die Kleinkinder Fragen stellen. Der kleine Bruder fragte den Vater: „Was ist der Even, was ist dieser Stein?“ Keine Antwort. Der Vater antwortete nicht, musste aber antworten.
Der ältere Bruder sagte: „Das ist das, was zwischen Vater und mir ist.“ Das ist ein schönes Wortspiel, denn das Wort wird mit drei Konsonanten auf Hebräisch geschrieben. Die ersten zwei Konsonanten zusammen ergeben das Wort „Av“, Vater, und die zwei letzten, der dritte Konsonant, ergeben „Ben“, Sohn.
Das ist also das, was zwischen Vater und Sohn ist. Der Bruder wurde ein fruchtbarer Christ. So eine kleine Anekdote zu diesem Vers, der immer wieder jüdische Herzen bewegt hat.
Ich ende mit Vers 25:
„Bitte, Herr, rette doch! Bitte, Herr, gib doch Wohlfahrt! Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn!“
Das war der Ruf der Volksmenge, als der Herr Jesus auf einem Esel als Messias nach Jerusalem einzog. Sie riefen „Hosanna!“
Auf dem Blatt habe ich erklärt, dass „Hosanna“ hebräisch ist. Die griechische Aussprache, weil man das „S“ nicht sagen kann, ist „Hosanna“. Der Ausdruck „Gib doch Wohlfahrt“ heißt „Hatzlichanna“.
Der ganze Satz lautet: „Anna Adonai Hoschianna, Anna Adonai Hatzlichanna.“ Das war der Schrei, als der Herr nach Jerusalem einzog.
Unten riefen sie: „Gesegnet, Baruch haba!“ Das heißt einfach „Willkommen“, nicht „Gepriesen“, sondern „Willkommen, der da kommt im Namen des Herrn“, „Baruch haba b’schem Adonai.“
Das war der Begrüßungsruf für den Messias, der fünf Tage später gekreuzigt wurde.
Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden.
Psalm 2: Der Sohn Gottes als Richter und Herrscher
Wir beginnen mit Psalm 2, den ich mit dem Titel „Der Sohn Gottes, Richter und Herrscher der Menschen“ überschrieben habe.
Vers 1: Warum toben die Nationen und sinnen eitles die Völkerschaften? Die Könige der Erde treten auf, und die Fürsten ratschlagen miteinander gegen den Herrn und gegen seinen Gesalbten. Sie sagen: „Lasst uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile!“
Der im Himmel Throne lacht, der Herr spottet über sie. Dann wird er zu ihnen reden in seinem Zorn, und in seiner Zornglut wird er sie erschrecken. „Habe doch ich meinen König gesalbt auf Zion, meinem heiligen Berge!“
Vom Beschluss will ich erzählen: Der Herr hat zu mir gesprochen: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt. Fordere von mir, und ich will dir zum Erbteil geben die Nationen und zum Besitztum die Enden der Erde. Mit eisernem Zepter wirst du sie zerschmettern, wie ein Töpfergefäß wirst du sie zerschmeißen.“
Und nun, ihr Könige, seid verständig! Lasst euch zurechtweisen, ihr Richter der Erde! Dient dem Herrn mit Furcht und freut euch mit Zittern! Küsst den Sohn, damit er nicht zürnt, und ihr umkommt auf dem Weg, wenn nur ein Wenig entbrennt sein Zorn. Glückselig sind alle, die auf ihn vertrauen.
Im Neuen Testament wird auf diesen Psalm Bezug genommen, und zwar in Apostelgeschichte 4,25. Wir befinden uns also nach der Kreuzigung und Auferstehung Jesu. Die ersten Christen, die messianischen Juden, haben begonnen, in ganz Jerusalem zu verkündigen: Jesus von Nazaret ist der Messias. Er ist am Kreuz gestorben, aber auch auferstanden. Das hat bei den Führern des Volkes großen Anstoß erregt, sodass sie vor Gericht geführt wurden.
Es gab massiven Widerstand. In dieser schwierigen Zeit, als Petrus und Johannes vor das Synedrium gestellt wurden – den höchsten Gerichtshof –, wurde ihnen gesagt, sie dürften nichts mehr davon sprechen. Danach wurden sie entlassen und gingen in die örtliche Gemeinde in Jerusalem.
Ich lese ab Vers 23: „Als sie aber entlassen waren, kamen sie zu den Ihrigen und verkündeten alles, was die Hohenpriester und die Ältesten zu ihnen gesagt hatten.“ Sie aber, als sie es hörten, erhoben einmütig die Stimme zu Gott und sprachen:
Gebet in der Gemeinde: „Herrscher, du bist der Gott, der den Himmel und die Erde und das Meer gemacht hat und alles, was in ihnen ist, der du durch den Mund Davids, deines Knechtes, gesagt hast: Warum tobten die Nationen und sannen Eitles, die Völker? Die Könige der Erde standen da und die Obersten versammelten sich wider den Herrn und wider seinen Gesalbten.“
Das Gebet geht weiter: „Denn in dieser Stadt versammelten sich in Wahrheit wider deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, sowohl Herodes als auch Pontius Pilatus mit den Nationen und den Völkern Israels, alles zu tun, was deine Hand und dein Ratschluss zuvor bestimmt hat, dass es geschehen sollte.“
In dieser Situation wird Psalm 2 plötzlich sehr groß. Alles tobt gegen diesen Jesus Christus. Das ist genau die Situation von Psalm 2: Die Nationen toben gegen Christus, gegen den Messias. Die Römer haben sich gegen ihn gewandt – das ganze römische Reich vermittelt durch Pontius Pilatus und Herodes Antipas, den damaligen Herrscher über Galiläa – und der jüdische Sanhedrin, also das jüdische Volk, das mit ihm verbunden war.
Genau das ist die Situation: Sie toben gegen den Herrn und seinen Christus. Natürlich ist das nur ein Aspekt der Erfüllung. Denn dieser Psalm 2 geht auch noch bis in die Endzeit. Wir merken auch heute, wie Menschen sich gegen Jesus Christus auflehnen. Das erleben wir oft, auch ganz direkt in unserem Umfeld.
Was in Psalm 2, Vers 3 besonders interessant ist, lautet: „Lasst uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile!“ Irgendwie ist der Mensch durch ein Band mit Gott verknüpft, denn Gott ist der Schöpfer und wir sind sein Geschöpf. Gerade in unserer Kultur merken wir dieses Toben gegen Gott und seinen Christus daran, wie man versucht, dieses Band loszuwerden.
Ganz wesentlich hat dabei die Evolutionslehre mitgewirkt: Der Mensch sei ein Produkt des Zufalls, selbst aus der Natur entstanden, aber nicht das Werk Gottes. Das ist genau die Rebellion, sich von Gott loszumachen, diese Bande, die uns mit dem Schöpfer verbinden, zu zerreißen.
Gottes Antwort steht in Vers 4: „Der im Himmel thront, lacht, der Herr spottet über sie.“ Das ist ein Vers, der unter die Haut geht. Im Gottesbild der wenigsten Menschen ist enthalten, dass Gott lacht. Das ist erschreckend. Aber es ist so: Wenn Menschen sich in Vermessenheit und Rebellion gegen Gott wenden, dann lacht Gott. Und das ist der Vorbote des Gerichts.
Wie wird er das Gericht bringen? Es wird erklärt: „Dann wird er zu ihnen reden in seinem Zorn, und in seiner Zornglut wird er sie erschrecken. Habe doch ich meinen König gesalbt auf Zion, meinem heiligen Berg!“
Vom Beschluss will ich erzählen: „Der Herr hat zu mir gesprochen: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.“ Gerade dieser Vers 7 „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt“ wird an vielen Stellen im Neuen Testament zitiert. Ich habe auf dem Blatt eine ganze Reihe von Stellen aufgeführt, die mit diesem Vers zusammenhängen.
Der Messias ist von Gott gezeugt, der Sohn Gottes. Das ist der alttestamentliche Hintergrund für die Geburt Jesu durch eine Jungfrau, gezeugt durch den Heiligen Geist (Matthäus 1 und Lukas 1). Jesus hat also nicht einen menschlichen Vater und eine menschliche Mutter, sondern nur eine menschliche Mutter, und Gott ist sein Vater.
Das führt uns zum nächsten Psalm, Psalm 8, in dem der Messias „der Sohn des Menschen“ genannt wird – ein Titel, der dutzende Male im Neuen Testament vorkommt. Er ist insofern interessant, als es nicht heißt „der Sohn der Menschen“, sondern im Singular „der Sohn des Menschen“. Das bedeutet, dass er nur von einem Menschen abstammt.
So haben wir in Psalm 2 Jesus Christus als Sohn Gottes und in Psalm 8 als den Sohn des Menschen – eine sehr logische Weiterführung. Psalm 8 wird im Neuen Testament ebenfalls messianisch gedeutet.
Unter Bemerkungen habe ich beim letzten Punkt angeführt, was in Psalm 8, Vers 4 vorkommt: der Sohn des Menschen, ein Titel für den von einer Jungfrau geborenen Messias. Der Gegensatz dazu steht in Markus 3,28 und Epheser 3,4, wo die Menschen als „Söhne der Menschen“ bezeichnet werden.
Das ist ein normaler Ausdruck für Menschen schlechthin: Söhne der Menschen. Wir alle hier sind Söhne der Menschen, denn wir haben einen Vater und eine Mutter – darum Plural. Aber der Messias ist der Sohn des Menschen, weil er nur eine Mutter hat.
Psalm 8: Der Sohn des Menschen und seine Herrschaft
Wir kommen nun zu Psalm 8, doch zuvor eine kleine Bemerkung:
Der Messias wird als Richter kommen. In Psalm 2, Vers 8 sagt Gott zu ihm: „Fordere von mir, und ich will dir zum Erdteil geben die Nationen und zum Besitztum die Enden der Erde. Mit eisernem Zepter wirst du sie zerschmettern, wie ein Töpfergefäß wirst du sie zerschmeißen.“
Dieser Vers wird im Neuen Testament aufgegriffen, zum Beispiel in Offenbarung 2, 12 und 19, wo er auf Jesus Christus als den kommenden Richter der Welt bezogen wird. Wenn man jedoch genau liest, heißt es dort, dass er mit einem eisernen Zepter die Nationen weiden wird – und nicht zerschmettern. Woher kommt dieser Unterschied?
Das liegt daran, wie man den hebräischen Text liest. Hebräisch wird nur mit Konsonanten geschrieben, und je nach Lesart gibt es in manchen Fällen mehr als eine Möglichkeit, den Konsonantentext zu deuten.
Im Psalm 2, Vers 9 lautet das Wort, das übersetzt wird mit „du wirst sie zerschmettern“, im Hebräischen entweder „terro-äm“ oder „tir-äm“. Die erste Lesart bedeutet „du wirst sie zerschmettern“, die zweite „du wirst sie weiden“. Es steckt also eine Doppeldeutigkeit darin: „Du wirst sie zerschmettern“ und „du wirst sie weiden“.
Beides ist richtig. Solche Doppelsinne sind selten, doch hier ist es ein klassisches Beispiel. Der Herr Jesus wird zunächst kommen und die Völker zerschmettern. Im Tausendjährigen Reich wird er die Völker dann wie ein Hirte seine Herde weiden. Der Doppelsinn liegt also darin.
Wir haben noch ein paar Minuten bis zur Pause und wenden uns darum Psalm 8 zu. Es ist ein Psalm des Vorsängers auf der Gittit, ein Psalm von David:
„Ewiger, unser Herr, wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde, der du deine Majestät gestellt hast über die Himmel! Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge hast du Macht gegründet, um deiner Bedränger willen, um zum Schweigen zu bringen den Feind und den Rachgierigen.
Wenn ich anschaue deinen Himmel mit deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: Was ist der Mensch, dass du sein gedenkst, und des Menschensohn, dass du auf ihn Acht hast?
Denn ein wenig hast du ihn unter die Engel erniedrigt, und mit Herrlichkeit und Pracht hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrscher gemacht über die Werke deiner Hände. Alles hast du unter seine Füße gestellt.“
In diesem Psalm finden wir im Vers 4 den Titel „Menschensohn“. In Psalm 2 heißt es: „Du bist mein Sohn“, Gott spricht vom Sohn Gottes, und hier vom Sohn des Menschen. Beides ergänzt sich, wie wir gesehen haben.
Doch es ist wichtig, folgende Bemerkung zu machen: Der Herr Jesus ist Sohn Gottes geworden, indem er Mensch wurde. In einem anderen Sinn ist er Sohn Gottes von Ewigkeit her. Als Mensch wurde er Sohn Gottes durch Zeugung, aber als Gott ist er von Ewigkeit her Gottes Sohn.
Diesen Aspekt findet man an anderen Bibelstellen, zum Beispiel in Hebräer 7, wo über Melchisedek gesprochen wird, der ohne Anfang und ohne Ende dem Sohn Gottes verglichen wird – also Sohn Gottes ohne Anfang und ohne Ende. Das ist ein anderer Aspekt, der in Psalm 2 nicht vorkommt.
In Sprüche 30 wird gefragt: „Weißt du den Namen Gottes, und weißt du den Namen seines Sohnes?“ Das ist ganz eigentümlich, denn Jahrhunderte vor Christi Geburt wird hier nach dem Namen des Sohnes Gottes gefragt. Dort geht es um den ewigen Sohn Gottes.
Hier in Psalm 8 ist die Rede vom Sohn des Menschen. Diese Stelle wird im Hebräerbrief, Kapitel 2, ganz klar auf Christus bezogen.
Interessant ist, dass in Vers 4 zweimal das Wort „Mensch“ vorkommt: „Was ist der Mensch, dass du sein gedenkst, und des Menschensohn, dass du auf ihn Acht hast?“
Zweimal „Mensch“, aber auf Hebräisch sind es verschiedene Wörter. Das erste „Mensch“ ist „Enosch“ und bedeutet Mensch mit dem Nebensinn sterblicher, sündiger, böser Mensch. Es kommt von der Wurzel „Anasch“, was sterblich und böse sein bedeutet.
Wenn es jedoch heißt „Sohn des Menschen“, dann ist das das Wort „Adam“. Er ist also nicht der „Ben Enosch“, sondern der „Ben Adam“.
Es wird allgemein gefragt: Was ist eigentlich der Mensch, wenn man das Universum, den Sternenhimmel anschaut? Und die zweite Frage ist: Was ist der Menschensohn, der „Ben Adam“?
„Enosch“ ist eine Bezeichnung für den Menschen erst seit dem Sündenfall. Das Wort kommt zum ersten Mal als Eigenname in 1. Mose 4, Vers 26 vor. „Adam“ hingegen ist die Bezeichnung für den Menschen schon vor dem Sündenfall.
Darum wird hier bereits in diesem Vers eine Abgrenzung gemacht: Die Menschen sind sterblich und sündig, und dann gibt es den Menschensohn, der hier als Gegensatz zu dem sündigen Menschen, dem „Ben Enosch“, gestellt wird.
Doch die große Frage bleibt: Was ist der Mensch, was ist der Menschensohn, wenn man das Weltall anschaut? Das ist eine der tiefsten philosophischen Fragen: Was ist der Mensch?
Als Anekdote sei erwähnt: Ein Bekannter, ein Philosoph, saß einmal in einem Park auf einer Bank. Die Polizei kam und fragte ihn, wer er sei. Er antwortete: „Ach, wenn ich das wüsste.“ Dabei wollten sie nur seine Papiere sehen.
Das zeigt, wie schwierig die Frage „Was ist der Mensch?“ ist. Sie ist nur beantwortbar, wenn man auch die Frage „Wer ist Gott?“ beantworten kann.
Die moderne Psychologie, die etwas über hundert Jahre alt ist, konnte keine befriedigende Antwort geben. Man hat versucht, die Kruste zu durchdringen und immer mehr zum Zentrum vorzudringen, doch es gibt keine moderne psychologische Erklärung, die das Wesen des Menschen wirklich erfasst.
Was ist der Mensch? Das ist eine gewaltige Frage, besonders angesichts des gestirnten Himmels.
Ich habe in der Autobiographie von Charles Darwin eine interessante Stelle gelesen. Er schreibt, dass ihn beim Anblick des gestirnten Himmels immer wieder eine Macht ergreift, die ihn glauben lässt, dass es einen Schöpfergott geben muss.
Doch wenn er dann wieder an all das Leid in der Welt denkt, verschwindet dieser Glaube wieder. Das ist ganz eigenartig. Er lebte in diesem inneren Konflikt.
Wenn Darwin den Sternenhimmel betrachtete, sah er die Macht Gottes. Das führt zur Frage: Was ist der Mensch? Aber was ist der „Enosch“, der sündige Mensch? Er ist an der Quelle des Leidens in der Welt.
Es ist nicht Gottes Schuld, dass die Welt voll Leid ist. Man müsste vielmehr fragen: Was ist der „Enosch“, dass du auf ihn Acht hast? Oder eben: Was ist der Menschensohn?
Warum wird die Frage bezüglich des Menschensohnes gestellt? Vers 5 sagt: „Denn eine kurze Zeit hast du ihn unter die Engel erniedrigt und mit Herrlichkeit und Pracht gekrönt.“
Im Hebräerbrief finden wir die Auslegung des Heiligen Geistes zu dieser Stelle. Der Heilige Geist erklärt, dass dies darauf hinweist, dass der Messias sterben musste. Indem er in den Tod ging, erniedrigte er sich für eine kurze Zeit unter die Engel. Engel sterben nicht.
Dadurch hat sich der Messias noch tiefer erniedrigt als die Engel, indem er als Mensch in den Tod gegangen ist. Doch der Psalm sagt, dass dies nur für kurze Zeit geschah, und danach wurde er mit Herrlichkeit und Pracht gekrönt.
Der Hebräerbrief bezieht dies auf die jetzige Stellung des Herrn Jesus zur Rechten Gottes im Himmel, als den Auferstandenen, der mit Herrlichkeit und Pracht gekrönt ist.
Neben diesem Bezug im Neuen Testament wird noch ein weiterer Bezug auf Vers 2 gemacht: „Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge hast du Macht gegründet.“
Diesen Bezug finden wir in Matthäus 21. Dort heißt es:
„Und Jesus trat in den Tempel Gottes ein und trieb alle hinaus, die im Tempel verkauften und kauften. Die Tische der Wechsler und die Sitze der Taubenverkäufer stieß er um und sprach zu ihnen: ‚Es steht geschrieben: Mein Haus wird ein Bethaus genannt werden, ihr aber habt es zu einer Räuberhöhle gemacht.‘
Und Blinde und Lahme traten zu ihm in den Tempel, und er heilte sie. Als aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien und sagten: ‚Hosanna dem Sohn Davids!‘, wurden sie unwillig und sprachen zu ihm: ‚Hörst du, was diese sagen?‘
Jesus antwortete ihnen: ‚Ja, habt ihr nie gelesen? Aus dem Mund der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet.‘ Und er verließ sie und ging hinaus außerhalb der Stadt nach Bethanien und übernachtete dort.“
An einer ganz kritischen Stelle hat Jesus also die zweite Tempelreinigung durchgeführt, und zwar in der königlichen Säulenhalle am Südende, die im Talmud „Chanuot“ genannt wird – das Kaufhaus.
Bei der ersten Tempelreinigung am Anfang seines Dienstes, in Johannes 2, sagte Jesus: „Geht hinaus und macht nicht das Haus meines Vaters zu einem Kaufhaus!“ Das entspricht genau dem hebräischen Wort „Chanuot“.
Sie sollten also nicht aus dem Tempel ein Kaufhaus machen, in dem überhöhte Preise für Opfer verlangt wurden. Das war natürlich ein Angriff auf das oberste Priestertum, denn die Sadduzäer wollten das.
Dadurch konnten sie sich massiv bereichern. Die Sadduzäer lebten im Luxus und schwelgten förmlich darin.
Das zeigen auch Ausgrabungen im jüdischen Viertel, bei denen Sadduzäerwohnungen mit bis zu 600 Quadratmetern Grundfläche gefunden wurden – ein unglaublicher Reichtum.
Der Herr hat sich dagegen gewandt, auch bei der zweiten Tempelreinigung, und stellte sich damit gegen den Hohenpriester und das Synedrium, das dies erlaubt hatte.
Man muss sich vorstellen, dass sie ihm damals nichts anhaben konnten, und nun machte er das Gleiche noch einmal.
Dann kommen sogar noch Kinder, die im Tempel schreien: „Hosanna dem Sohn Davids!“ Das macht die ganze Szene noch viel dramatischer.
Unter den Führern entstand die Frage, was die Kinder hier machen, und der Herr antwortete: „Habt ihr nie gelesen?“ und zitierte Psalm 8: „Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge hast du dir Lob bereitet.“
Säuglinge wurden damals bis zu vier Jahren gestillt, sie konnten also schon singen – oder zumindest sprechen.
Der Herr bezieht sich also gerade auf diesen Psalm, der deutlich macht, dass er der Sohn des Menschen ist, also der Messias.
Übrigens noch eine kleine Nebenbemerkung: Wäre Jesus ein ordinierter Rabbiner gewesen – ordiniert wurden Rabbiner damals durch Handauflegung eines anderen Rabbiners – dann hätte er für diese Tempelreinigung die Todesstrafe verdient.
Denn ein Auflehnen eines Rabbiners gegen das Synedrium bedeutete Todesstrafe. Doch Jesus war kein ordinierter Rabbi.
Er reiste zwar als Rabbi umher und hatte eine Schülerschaft, die Jünger, aber er wurde von niemandem ordinierend die Hände aufgelegt. Darum konnten sie ihm nicht die Todesstrafe auferlegen.
Das Ganze war für sie sehr unangenehm, besonders als dann auch noch die Kinder hinzukamen.
Psalm 8 war die Bestätigung „aus dem Mund der Kinder und Säuglinge“.
Nun ist Zeit für die Pause.
Psalm 16: Die Auferstehung des Messias
Wir kommen jetzt zu Psalm 22. Bereits in Psalm 8 haben wir eine Andeutung auf den Tod des Messias gefunden. Dort heißt es, dass er ein wenig unter die Engel erniedrigt wurde. Diese Thematik wird nun im Psalm 22 ganz zentral ausgeführt.
Vor Psalm 22 haben wir noch Psalm 16, den ich „Die Auferstehung des Messias“ genannt habe. Dort wird der Tod bereits vorausgesetzt und ebenfalls konkret und ausführlich behandelt.
Wir lesen aus Psalm 16, Verse 7 bis 11:
„Den Herrn werde ich preisen, der mich beraten hat, selbst des Nachts unterweisen mich meine Nieren.
Ich habe den Herrn stets vor mich gestellt, weil er zu meiner Rechten ist, werde ich nicht wanken.
Darum freut sich mein Herz und frohlockt meine Seele.
Auch mein Fleisch wird in Sicherheit ruhen, denn meine Seele wirst du dem Scheol nicht lassen, wirst nicht zugeben, dass dein Frommer die Verwesung sehe.
Du wirst mir kundtun den Weg des Lebens, Fülle von Freuden ist vor deinem Angesicht, Lieblichkeiten in deiner Rechten immer da.“
Psalm 16 ist ein Gedicht von David, der auch der Autor ist. Nun stellt sich die Frage: Hat David hier persönliche Erfahrungen beschrieben, wie in manchen anderen Psalmen, oder spricht er als Prophet über den Messias?
In der Pfingstpredigt in Apostelgeschichte 2 erklärt Petrus vor der Volksmenge, die gerade zum Tempel ging. Es war neun Uhr morgens, der Moment, in dem das Morgenbrandopfer im Tempel geschlachtet wurde und die Volksmasse am Pfingstfest hinaufzog, um dieses Ereignis mitzuerleben. Gerade in diesem Augenblick geschah das Pfingstwunder. Petrus hält spontan eine Predigt und kommt auf Psalm 16 zu sprechen.
Ich lese aus Apostelgeschichte 2, Verse 22 bis 32:
„Männer von Israel, hört diese Worte: Jesus den Nazaräer, einen Mann von Gott an euch erwiesen durch mächtige Taten und Wunder und Zeichen, die Gott durch ihn in eurer Mitte tat, wie ihr selbst wisst.
Diesen übergeben, nach dem bestimmten Ratsschluss und nach Vorkenntnis Gottes, habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geheftet und umgebracht.
Den hat Gott auferweckt, nachdem er die Wehen des Todes aufgelöst hatte, wie es denn nicht möglich war, dass er von demselben behalten würde.
Denn David sagt über ihn – jetzt kommt das Zitat:
Ich sah den Herrn alle Zeit vor mir, denn er ist zu meiner Rechten, auf dass ich nicht wanke.
Darum freute sich mein Herz und meine Zunge frohlockte.
Ja, auch mein Fleisch wird in Hoffnung ruhen, denn du wirst meine Seele nicht im Hades zurücklassen, noch zugeben, dass dein Frommer Verwesung sehe.
Du hast mir kundgetan Wege des Lebens, du wirst mich mit Freude erfüllen mit deinem Angesicht.“
Und jetzt kommt die Auslegung des Heiligen Geistes durch Petrus:
„Brüder, es sei erlaubt, mit Freimütigkeit zu euch zu reden über den Patriarchen David, dass er sowohl gestorben als auch begraben ist, und sein Grab ist unter uns bis auf diesen Tag.
Da er nun ein Prophet war und wusste, dass Gott ihm mit einem Eid geschworen hatte, von der Frucht seiner Lenden auf seinen Thron zu setzen, hat er voraussehend von der Auferstehung des Christus geredet – oder wenn wir zwischendurch wieder einmal Messias einsetzen für Christus – voraussehend von der Auferstehung des Messias geredet, dass er nicht im Hades zurückgelassen worden ist, noch sein Fleisch die Verwesung gesehen hat.
Diesen Jesus hat Gott auferweckt, wovon wir alle Zeugen sind.“
Diese Argumentation ist absolut überzeugend. Petrus sagt: David hat den Psalm geschrieben, aber Davids Grab haben wir unter uns in Jerusalem, und wir können nachsehen, ob er verwest ist oder nicht. Also hat David nicht von sich gesprochen. Als Prophet hat er über seinen Nachkommen, den Messias, gesprochen. Dieser würde die Verwesung nicht sehen, das heißt, er würde sterben, aber keinen Verwesungsprozess erleben. Außerdem würde er auferstehen, denn seine Seele sollte nicht im Totenreich, im Scheol, bleiben.
Wir haben hier also in Vers 10, dass die Seele des Messias ins Totenreich, in den Scheol, geht, aber sein Körper sollte nicht verwesen.
Dazu einige Bemerkungen: Das hebräische Wort „Scheol“, das im Psalm 16, Vers 10 vorkommt, stammt von der Wurzel „scha'al“, was „verlangen“ bedeutet. Der Scheol ist der Verlangende, der fordert und fordert. Seit Anbeginn der Menschheit hat er nur Opfer gefordert, und all die Milliarden Menschen, die er schon verschluckt hat, sind ihm nicht genug.
Darum heißt es in Sprüche 30, dass es verschiedene Dinge gibt, die nie sagen „Es ist genug“, und dazu wird der Scheol gezählt – eben in Anspielung auf die Wurzel „scha'al“, den Verlangenden. Der Tod hat nie genug.
Im Neuen Testament, das ja auf Griechisch geschrieben ist, hat Petrus in seiner Rede das Wort „Hades“ für Scheol verwendet. Das bedeutet auf Deutsch „der Unsichtbare“ – ein gutes Wort, um den Bereich des Todes als unseren Sinnen unzugänglich zu beschreiben.
Im Alten Testament bezeichnet das Wort Scheol generell einfach den Bereich des Todes. Manchmal bezeichnet es schlicht das Grab, in das der Körper gelegt wird. An anderen Stellen ist der Scheol das Totenreich im Jenseits. Das kommt ganz auf die Stelle an. Man muss im Zusammenhang unterscheiden, was gemeint ist.
Das Neue Testament verdeutlicht, dass sowohl der Scheol als auch der Hades, dieser unsichtbare Bereich des Todes, zwei verschiedene Bereiche umfassen. Für Verlorene ist es nach Lukas 16, Vers 28 der Ort der Qual. Der reiche Mann, der in Lukas 16 gestorben ist und dann an den Ort der Qual kam, ist noch nicht in der Hölle, sondern im Hades – so wird es dort genannt. Und er bezeichnet das als Ort der Qual. Die Hölle kommt erst noch, sie ist noch zukünftig.
In 1. Petrus 3, Vers 20 wird dieser Bereich als „Gefängnis“ bezeichnet. Es ist also eine Untersuchungshaft, die dauert, bis der große weiße Thron aufgerichtet wird, wie in Offenbarung 20, nach dem Tausendjährigen Reich. Erst dann kommt der Feuersee, die Hölle.
Das ist also das Gefängnis.
Für Gläubige ist der Scheol etwas Schönes. Für Gläubige und für Christus ist es nach Lukas 23, Vers 43 das Paradies. Der Herr Jesus sagt zu dem Mitgekreuzigten: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“
Wenn man 2. Korinther 12 und 13 liest, spricht Paulus darüber, wie er entrückt worden war in den dritten Himmel, und er sagt, er war entrückt ins Paradies. Das Paradies ist gleich der dritte Himmel.
In der Schöpfung werden zwei Himmel unterschieden (1. Mose 1). Der erste Himmel ist eigentlich die Lufthülle, die Ausdehnung am zweiten Schöpfungstag – also die Atmosphäre, das, was wir als Blau am Tag sehen. Unterschiedlich davon ist der Sternenhimmel, der Astralhimmel, das Universum, das ebenfalls als Himmel bezeichnet wird.
Dann gibt es noch einen dritten Himmel, einen Bereich, der mit unserer Atmosphäre und dem Universum nichts zu tun hat. Jenseits davon liegt das Paradies. Paulus nennt das in Philipper 1, Vers 23 schlicht „bei Christus“. Nach Offenbarung 6, Vers 9 ist es der Ort des Tempels im Himmel, denn dort sieht Johannes die Seelen von Verstorbenen beim Altar, am Fuß des Altars des Tempels im Himmel.
Das ist wichtig, wenn es darum geht, dass Christus in den Hades, in den Scheol, gegangen ist. Das bedeutet nicht, dass er in den Bereich des Gefängnisses oder an den Ort der Qual gegangen ist, sondern ins Paradies.
„Du wirst nicht zugeben, dass dein Frommer die Verwesung sehe.“ Das hebräische Wort „Schachat“ bedeutet Verschiedenes: Grab, Grube, Verderben, Verwesung.
Es gibt Bibelübersetzungen, die mit „Grab“ übersetzt haben: „Du wirst nicht zugeben, dass dein Frommer das Grab sehe.“ Das geht natürlich nicht, denn das würde bedeuten, dass Christus nicht sterben sollte.
Das Neue Testament übersetzt das eindeutig mit „Verwesung“. Hier in Psalm 16 heißt es ja auch, dass die Seele in den Scheol geht. Also ist „Grab“ eine Fehlübersetzung. Es muss heißen: „Du wirst nicht zugeben, dass dein Frommer die Verwesung sehe.“
Wir haben im Alten Testament die Auferstehung schon ganz eindeutig dokumentiert und dass Christus keine Verwesung erlebt. Seine Seele ging in den Hades, ins Paradies, sein Körper wurde ins Grab gelegt.
Man spricht oft, wenn man am Grab von jemandem steht, dass das jetzt einfach noch seine sterbliche Hülle ist. Aber der Körper ist wichtiger als das.
In Johannes 19 wird gesagt, dass Jesus ins Grab gelegt worden ist – ganz eigenartig, nicht einfach sein Körper. Johannes 19, Vers 41:
„Es war aber an dem Ort, wo er gekreuzigt wurde, ein Garten, und in dem Garten eine neue Gruft, in welcher noch nie jemand gelegt worden war. Dorthin nun, wegen des Rüsttags der Juden, weil die Gruft nahe war, legten sie Jesus.“
Doch interessant: Nicht den Leib von Jesus, wie es an anderer Stelle so gesprochen wird, sondern hier legten sie Jesus. Das heißt, der Körper ist nicht einfach irgendetwas Nebensächliches, das gar nicht so wichtig ist. Die ganze menschliche Person ist eine Einheit von Geist, Seele und Körper.
Darum war es auch so wichtig, dass der Leib Jesu keine Verwesung erlitt. Gott hat die fürchterlichsten Schändlichkeiten der Menschen bis zu seinem Tod erlaubt. Dann kam noch der Lanzenstich, der deutlich machen sollte, dass er gestorben ist. Blut und Wasser haben sich getrennt, es gab also bereits eine Blutsenkung – das ist der medizinische Beweis für den Tod.
Aber danach ließ Gott nichts mehr zu, keine weitere Schändigung. So wurde er ins Grab eines Reichen gelegt, und der Körper sollte überhaupt keine Verwesung erleiden.
Darum hat Gott auch nicht erlaubt, dass es gelungen wäre, den Körper Jesu einzuwickeln. Er hatte alles bereits vorbereitet und wollte dann nach dem Sabbat kommen, um das zu tun, aber er war am dritten Tag schon auferstanden.
Er brauchte keine Mittel gegen Verwesung, das sollte sowieso nicht der Fall sein.
Das zeigt uns die Wichtigkeit des Körpers. Es ist der wirkliche Leib Jesu, der wieder auferweckt worden ist – nicht die Seele ist auferweckt worden, nicht die Seele ist auferstanden. Es wird immer nur vom Körper gesprochen.
Es gibt keine Auferstehung der Seele, sondern die Auferstehung des Körpers. Das gehört zur Vollständigkeit der Person.
Das zeigt uns auch, wie falsch das Reinkarnationsdenken ist. Das ist eine Verachtung des Körpers. Dort denkt man, die Seele sei das Wichtige, sie schlüpfe aus dem Leib und gehe in eine Sonnenblume, dann in einen Elefanten und schließlich in einen König. Der Körper ist nicht integraler Teil der Person, sondern nur ein Behältnis.
In der Bibel ist das ganz anders. Die Bibel spricht über die Auferstehung des Körpers. Jesus Christus ist nicht als Geistwesen auferstanden.
Darum sagt er in Lukas 24, als die Jünger meinten, sie sähen ein Gespenst: „Seht, dass ich Fleisch und Knochen habe. Ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich habe.“
Der wirkliche Körper Jesu wurde auferweckt, und das ist das Modell für die Auferstehung der Erlösten.
Unser Körper wird auferweckt und verwandelt zu einem wunderbaren Körper, aber es ist derselbe Körper.
Die Griechen glaubten zwar an ein Weiterleben nach dem Tod, so wie die meisten in der traditionellen Religion, aber sie glaubten nicht an die Auferstehung des Körpers. Sie glaubten an den Hades, aber nicht an die Auferstehung.
Darum haben sie in Athen gelacht, als Paulus in Apostelgeschichte 17 am Schluss plötzlich über die Auferstehung sprach. Die Rede wurde abgebrochen, denn das passt nicht in das griechische Denken hinein.
Ein weiteres Leben nach dem Tod ja, aber Auferstehung des Körpers – nein.
Im Christentum sind Geist, Seele und Körper wichtig und gehören zur Persönlichkeit. Nichts soll verachtet werden.
Psalm 22: Der leidende Messias
Ja, wir gehen weiter zu Psalm 22, dem Vorsänger nach Hindin der Morgenröte, ein Psalm von David.
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Du bist fern von meiner Rettung, von den Worten meines Gestöhns. Mein Gott, ich rufe des Tages, und du antwortest nicht, und des Nachts, und mir wird keine Ruhe.“
Der Psalm beginnt mit dem Schrei der Gottverlassenheit des Messias. Dies ist der einzige Vers in der Bibel, der in allen drei biblischen Sprachen vorkommt: Hebräisch, Aramäisch und Griechisch. Ich habe das unter Bemerkungen aufgeführt. Hier im Psalm 22 steht es auf Hebräisch und heißt: „Eli, Eli, Lama Azawdani“.
In Matthäus 27, Vers 46, und Markus 15 wird berichtet, dass der Herr Jesus diesen Satz auf Aramäisch geschrien hat. In Matthäus heißt es: „Eli, Eli, l’ma shabachtani“, und in Markus etwas anders: „Elahi, Elahi, l’ma shabachtani“. Man merkt, Hebräisch und Aramäisch sind fast gleich. Das Verb wurde ausgetauscht: „Shabak“ für „verlassen“ anstatt „Asaw“, aber „Eli“ ist genau gleich. Markus zufolge hat der Herr offensichtlich auch die andere Form für „mein Gott“, nämlich „Elahi“, verwendet.
Im Griechischen ist es übersetzt und angegeben als: „Hoteosmu, hoteosmu eis ti enkatelipes me“. Das macht deutlich, dass dieser Satz von gewaltiger Tiefe ist. Diesen Satz gibt es einzig in allen Sprachen: „Wozu“ oder „Warum hast du mich verlassen?“ Jeder Mensch, der zum Glauben kommt, muss diese Frage beantworten. Er muss sich mit dem Opfer Jesu Christi eins machen und sagen: „Das war wegen mir, damit ich auf ewig von Gott verlassen in der Verdammnis sein muss.“ Darum hat Christus diese Gottverlassenheit am Kreuz erlebt.
Er hat gewissermaßen das ganze Gericht, das unser Teil gewesen wäre, im Feuersee in den drei Stunden der Finsternis am Kreuz erduldet. Da merken wir, welche Dimensionen sich auf Golgatha auftun, von denen wir überhaupt keine Ahnung haben. Darum hat Gott auch eine Finsternis über das ganze Land kommen lassen, damit niemand das entstellte Gesicht des Erlösers am Kreuz sehen sollte.
Schon die Kreuzigung ist der schrecklichste Schmerz, den es überhaupt gibt. Aber in den drei Stunden der Finsternis kommt das Gericht Gottes über ihn dazu. Erst da war er wirklich der Sündenträger, und darum musste Gott ihn verlassen. Was dort geschehen ist, können wir überhaupt nicht begreifen.
Wenn es einen schlimmen Autounfall gibt und jemand tot ist, nimmt man sofort eine Decke, um die Leiche vor den Blicken der Schaulustigen zu bedecken. Genau dieses Prinzip gilt hier: Gott brachte die Finsternis, damit niemand das Gesicht des Erlösers sehen sollte.
In Vers 2 beziehungsweise 3 heißt es: „Mein Gott, ich rufe des Tages, und du antwortest nicht, und des Nachts, und mir wird keine Ruhe.“ Hier haben wir genau die zwei Phasen am Kreuz: drei Stunden Licht, drei Stunden Finsternis. Das war keine Sonnenfinsternis, denn wir wissen seit einigen Wochen, dass eine Sonnenfinsternis nur ein paar Minuten dauert, im besten Fall sieben Minuten – und dann muss man am Nordpol sein.
Drei Stunden Finsternis gibt es nicht. Aber das sind nicht erst die modernen Astronomen, die das herausgefunden haben. Schon Julius Africanus schreibt im zweiten Jahrhundert über die Finsternis am Kreuz: Das war keine Sonnenfinsternis, denn an Pessach gibt es keine Sonnenfinsternis. Pessach ist in der Mitte des Monats, und der jüdische Monat beginnt mit dem Neumond, also mit der ersten Sichel. Dort sind wir also Mitte des Monats. Am 14. wurde das Pessach geschlachtet, Vollmond – da gibt es keine Sonnenfinsternis!
Julius Africanus sagt, es war also keine Sonnenfinsternis, und dennoch gibt es ein Zeugnis von Tallus, einem Samaritaner aus dem Jahr 52, der von dieser Finsternis spricht und behauptet, es sei eine Sonnenfinsternis gewesen. Wir haben also Bezeugungen bis ins erste Jahrhundert zurück, dass es diese Finsternis gegeben hat, aber wie sie geschehen ist, weiß niemand. Es war ein göttliches Eingreifen sondergleichen auf Golgatha.
In Vers 6 finden wir den Spott und Hohn: „Ich aber bin ein Wurm und kein Mann, der Menschen Hohn und der vom Volke verachtete. Alle, die mich sehen, spotten meiner, sie reißen die Lippen auf, schütteln den Kopf: ‚Er vertraut auf den Herrn, der errette ihn, befreie ihn, weil er Lust an ihm hat.‘“
Genau dieser Spott wird uns in Matthäus 27,39-44 berichtet. Wortwörtlich wurde das aus Psalm 22 übernommen, wo der Herr verspottet wurde. Er nennt sich hier „ein Wurm und kein Mann“. Was ist das Bild des Wehrlosen schlechthin? Ein Wurm hat keine Zähne, um zurückzubeißen, keine Füße, um zu fliehen, und keinen Pelz als Schutz – also die Wehrlosigkeit schlechthin. Der Herr vergleicht sich mit: „Ich aber bin ein Wurm und kein Mann.“
Würmer spielten im Tempel eine große Rolle, denn eine der Farben des Scheidevorhangs, der ja bei der Kreuzigung zerrissen wurde, wurde aus Würmern hergestellt. Das rote Karmesin, das die vier Farben Blau, roter Purpur, Karmesin und Weiß ergänzte, wurde aus den Würmern der Kermes-Schildlaus gewonnen. Kermes, Karmesin kommt von dort und hat die Farbe des arteriellen menschlichen Blutes.
Der Bezug „Ich aber bin ein Wurm“ hat also eine tiefere Bedeutung. Das hebräische Wort für Karmesin ist To’alatschani. „To’ala“ heißt Wurm, also könnte man es mit „Wurmkarmesin“ übersetzen. Genau dieses Wort verwendet der Herr hier: „Ich aber bin ein To’allah und kein Mann.“ Am Kreuz wurde er erniedrigt, um das Erlösungswerk zu schaffen.
David beschreibt im Detail die Kreuzigung. In Vers 14 oder nach anderer Zählung Vers 15 heißt es: „Wie Wasser bin ich hingeschüttet, und alle meine Gebeine haben sich zertrennt. Wie Wachs ist geworden mein Herz, es ist zerschmolzen inmitten meiner Eingeweide. Meine Kraft ist vertrocknet wie ein Scherben, und meine Zunge klebt an meinem Gaumen. In den Staub des Todes legst du mich.“
„Denn Hunde haben mich umgeben, eine Rotte von Übeltätern hat mich umzingelt. Sie haben meine Hände und meine Füße durchgraben.“
Aus medizinischen Gründen bewirkt die Kreuzigung einen unvorstellbaren Durst. Dieser Durst wird hier beschrieben: „Meine Kraft ist vertrocknet wie ein Scherben, und meine Zunge klebt an meinem Gaumen.“ In der orientalischen Mittagssonne von neun bis zwölf Uhr hing der Herr Jesus als der Gekreuzigte dort. Es gibt massive Schweißausbrüche.
„Wie Wasser bin ich hingeschüttet.“ Durch das Hängen und das Eigengewicht des Gekreuzigten werden Gelenke ausgerenkt, und alle meine Beine haben sich zertrennt. Das Allerdeutlichste in Bezug auf die Kreuzigung ist Vers 16: „Sie haben meine Hände und meine Füße durchgraben.“
Man muss sich das vorstellen: Tausend Jahre vor der Kreuzigung beschreibt David die Tötung durch Kreuzigung beim Messias. Das wurde schon bestritten an dieser Stelle. Ich weiß nicht, welche Bibelübersetzung Sie gerade benutzen, vielleicht steht bei Ihnen nicht „durchgraben“, sondern etwas anderes. Eine moderne jüdische Übersetzung hat übersetzt: „Meine Hände und Füße wie ein Löwe.“ Man kann nicht viel damit anfangen, oder?
Warum hat man so übersetzt? Ich habe hier erklärt, es steht hier das Verb oder das Partizip „Ka’ari“, eine seltene Kurzform für „Ka’arim“, einfach noch das „m“ hinten anhängen. Das kommt von der Wurzel „kur“ und heißt „durchgraben“. Ich habe hier verwiesen, speziell auf Benjamin Davidson, einen großen Hebraisten, „Analytical Hebrew and Kaldilexikon“. Er erklärt genau diese Spezialform und warum sie grammatikalisch absolut deutlich vom Verb „durchgraben“ herkommt und so übersetzt werden muss.
Das ist vielleicht wichtig, wenn man mit Juden spricht. Dann nimmt man seine deutsche hebräische Bibel heraus, und da steht „wie ein Löwe“, da steht nichts von „durchgraben“. Da kann man sagen: Ja gut, das ist „Ka’ari“. „Ka“ wie „ari“ heißt auch Löwe, „ka’ari“ wie ein Löwe, aber es ergibt keinen Sinn. „Ka’ari“ ist die Kurzform für „ka’arim“ und kommt von „durchgraben“.
Übrigens haben eure Vorfahren, die die Bibel ins Griechische übersetzt haben, die Septuaginta, im dritten Jahrhundert vor Christus, es dort auch so übersetzt – also noch Jahrhunderte vor der Kreuzigung. Sie haben Psalm 22 mit „durchbohren“ übersetzt.
Gut, dann bleiben wir dabei.
In Vers 18 wird die Teilung und Verlosung der Kleider des Messias beschrieben, wie sich das in Johannes erfüllt hat.
Ganz besonders muss Vers 21 beziehungsweise 22 beachtet werden. Der Herr ruft: „Rette mich aus dem Rachen des Löwen! Ja, du hast mich erhört von den Hörnern der Büffel. Verkündigen will ich deinen Namen meinen Brüdern, inmitten der Versammlung will ich dich loben.“
Plötzlich ändert sich die ganze Szene. Zuerst noch ein Schrei der Not: „Rette mich aus dem Rachen des Löwen“, dann ein Siegesruf: „Ja, du hast mich erhört von den Hörnern der Büffel!“ Der Messias sollte aus der tiefsten Not durch die Auferstehung gerettet werden.
Der Vers „Verkündigen will ich deinen Namen meinen Brüdern, inmitten der Versammlung will ich dich loben“ wird in Hebräer 2,12 auf den auferstandenen Christus bezogen, der heute in der Gemeinde das Lob der Gläubigen auslöst.
So haben wir in Psalm 22 sowohl den Tod als auch die Auferstehung des Erlösers.
Der letzte Vers endet mit: „Sie werden kommen und verkündigen seine Gerechtigkeit einem Volk, das geboren wird, dass er es getan hat.“ Nach Elberfelder und Schlachter wurde das am schönsten übersetzt mit: „Dass er es vollbracht hat.“
So endet Psalm 22 gemäß dem Ruf des Erlösers: „Es ist vollbracht, dass er es vollbracht hat.“
Und so gehen wir zu Psalm 31.
Psalm 31: Das letzte Wort des Erlösers am Kreuz
Das wäre natürlich interessant, auch wieder Vers für Vers, aber das können wir nicht. Deshalb verweise ich nur auf Vers 5: „In deine Hand befehle ich meinen Geist.“
Dieses Wort findet sich in Lukas 23,46 und ist genau das letzte der sieben Worte des Erlösers am Kreuz. Danach ist er gestorben.
Die sieben Worte des Erlösers sind nicht in einem einzigen Evangelium zu finden. Man muss alle vier Evangelien zusammen betrachten, um die sieben Worte zu erhalten. Dabei lässt sich sogar die genaue Reihenfolge rekonstruieren.
Dieses letzte Wort ist das siebte und allerletzte Wort des Erlösers am Kreuz. Es wurde auch in den Psalmen gefunden.
Psalm 40: Das Opfer des Messias
Wir gehen weiter zu Psalm 40. Ab Vers 6 wird dort zitiert in Hebräer 10: "An Schlacht und Speisopfer hattest du keine Lust, Ohren hast du mir bereitet, Brand- und Sündopfer hast du nicht gefordert." Dann spricht der Psalm weiter: "Da sprach ich: Siehe, ich komme. In der Rolle des Buches steht von mir geschrieben: Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust, und dein Gesetz ist in meinem Herzen."
Im Hebräerbrief, Kapitel 10, wird in Vers 5 erklärt, dass der Herr Jesus diese Worte gesprochen hat, als er in die Welt kommt. Es heißt dort: "Als er in die Welt kommt, spricht er," und dann folgt das Zitat aus Psalm 40. Der Hebräerbrief bezieht diese Worte also auf die Geburt Christi, bei der der ewige Sohn zu Gott gesprochen hat. Jesus war ja Gott und Mensch in einer Person.
Aber wie kommt der Schreiber des Hebräerbriefes auf die Idee, diese Worte mit diesem Zeitpunkt in Verbindung zu bringen? Der Schlüssel liegt in Vers 6: "An Schlacht und Speisopfer hattest du keine Lust, Ohren hast du mir bereitet." Im Hebräerbrief wird dieser Vers allerdings etwas freier übersetzt. Dort heißt es: "Einen Leib hast du mir bereitet."
Man fragt sich, ob man so frei übersetzen darf. Das ist ja eine dynamisch äquivalente Übersetzung, ähnlich wie bei der "Guten Nachricht" und anderen modernen Übersetzungen. Ja, man darf so übersetzen, aber es ist gleichzeitig schon ein Kommentar. Das ist wichtig bei solchen dynamischen Übersetzungen: Man muss sagen, dass es sich nicht nur um eine reine Übersetzung handelt, sondern um eine kommentierte Übersetzung.
Heute kommt man in der Sprachwissenschaft wieder von dem Ideal der dynamischen Übersetzungen ab. Besonders jüdische Gelehrte üben starke Kritik daran. Sie sagen, dass man das nicht Übersetzung nennen darf, sondern kommentierte Übersetzung. Wenn man dann sagt, jede Übersetzung sei doch ein Kommentar, widersprechen sie und sagen: Nein, das stimmt nicht. Eine Bibelübersetzung ist eine Bibelübersetzung, und ein Bibelkommentar, zum Beispiel von Franz Delitzsch, ist ein Kommentar. Das ist nicht dasselbe. Ein Kommentar ist ein Kommentar, und eine Übersetzung ist eine Bibelübersetzung.
Was hier im Hebräerbrief gemacht wird, ist eigentlich eine Mischform. Das sollte man auch so benennen: Es ist eine kommentierte Übersetzung. Der Hebräerbrief übersetzt also und kommentiert zugleich.
Aber wie kommt der Autor darauf? "Ohren hast du mir bereitet" – ich habe das unter Bemerkungen als zweiten Punkt notiert. Wörtlich steht dort: "Du hast mir Ohren gegraben." Das klingt eigenartig: Sind uns tatsächlich Ohren gegraben worden? Ich erkläre das so: Die Bildung der Gehörgänge beim Embryo gehört zu den ganz frühen vorgeburtlichen Entwicklungen.
Zuerst sind wir ja eine ungeformte Masse, wie es in Psalm 139 heißt: "Meinen Knäuel, meine ungeformte Masse sahen deine Augen." Dann beginnt es, dass Furchen gebildet werden, und schon ganz früh entstehen die Ohrkanäle, die Furchen werden praktisch "gegraben". Das ist eine sehr schöne Umschreibung dafür, wie Gott den Messias im Leib der Jungfrau gebildet hat.
Darum ist die Übersetzung "Einen Leib hast du mir bereitet" ein absoluter Volltreffer. Es geht ja um die Ausgestaltung des Messias im Mutterleib. Deshalb hat er ihm das gesagt, als er in die Welt kommt: "Einen Leib hast du mir bereitet, Ohren, um auf dich zu hören."
Und was ist das Ziel? In Vers 7 heißt es: "Da sprach ich: Siehe, ich komme. In der Rolle des Buches steht von mir geschrieben." Der Messias ist in die Welt gekommen im vollen Bewusstsein, das Alte Testament, das hebräische Alttestament, zu erfüllen, was dort über ihn geschrieben steht.
Er ist geboren worden, um zu sterben. Das ist ein krasser Weg, der Weg von der Krippe zum Kreuz. Zunächst sagt er in Vers 6: "An Schlacht und Speisopfer hattest du keine Lust, Brand- und Sündopfer hast du nicht gefordert." Aber Gott hat doch in 3. Mose die Einrichtung des ganzen Opferdienstes gegeben.
Hier wird erklärt, dass das nicht der eigentliche Sinn ist. Wenn viele Juden darin die eigentliche Bedeutung in den Tieropfern selbst gesehen haben, dann lagen sie daneben. Diese Opfer hatten symbolischen Hinweis auf den Messias.
Darum sagt der Messias: "Nicht das hast du eigentlich gewollt. Jetzt hast du mir einen Leib bereitet. Ich komme, um deinen Willen, oh Gott, zu tun." Der Wille Gottes war, dass er kommt, um zu sterben als Opfer.
So wird im Hebräerbrief das Opfer des Messias ausgehend von Psalm 40 überzeugend für messianische Juden entwickelt. Das Lebensmotto des Herrn Jesus auf Erden war: "Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust." Wahrscheinlich steht in manchen Bibelübersetzungen anstatt "U" ein "A". Beim Herrn Jesus Christus war das anders. Er hat wirklich mit "U" gelesen: "Ist meine Lust." Das war sein Ziel, dieses Opfer zu bringen.
Im gleichen Psalm lesen wir dann Vers 12: "Denn Übel bis zur Unzahl haben mich umgeben, meine Ungerechtigkeiten haben mich erreicht, dass ich nicht sehen kann. Zahlreicher sind sie als die Haare meines Hauptes, und mein Herz hat mich verlassen."
Jetzt gerät der Bibelleser in Konflikte. Das Neue Testament erklärt, Psalm 40 sei ein messianischer Psalm. Aber diesen Vers können wir doch überhaupt nicht auf den Messias beziehen. Er, der Schuldlose, sagt hier: "Meine Ungerechtigkeiten haben mich erreicht." Was können wir damit anfangen?
Hier zeigt sich die Bedeutung des Sündopfers. In Vers 6 sagt der Herr: "Brand- und Sündopfer hast du nicht gefordert, jetzt komme ich, um das Sündopfer zu werden." Sündopfer heißt auf Hebräisch "Chattat". Das ist das gleiche Wort wie "Sünde". Es steckt nicht einmal das Wort "Opfer" darin.
Das Sündopfer bedeutet die totale Identifikation, das Einswerden mit der Sünde, mit der Schuld. So ist der Herr Jesus am Kreuz von Gott mit uns identifiziert worden. In 2. Korinther 5,21 heißt es: "Den, der keine Sünde kannte, hat Gott für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gottes Gerechtigkeit würden."
Das heißt, der Herr Jesus hat unsere Schuld so auf sich genommen, als wäre sie seine persönliche Schuld gewesen. So hat er sie Gott am Kreuz bekannt.
Das finden wir auch später wieder, wenn wir noch zur letzten Seite kommen. Wir schaffen das nicht in vier Minuten, darum werde ich mich auf das Wesentliche noch kurz beschränken.
Psalm 69: Der schuldlose Messias wird gehasst
In Psalm 69 wird dieser Psalm im Neuen Testament an verschiedenen Stellen messianisch gedeutet. Ein wichtiger Vers ist Psalm 69,4. In manchen Übersetzungen entspricht dieser Vers Psalm 69,5.
Der Vers lautet: „Mehr als die Haare meines Hauptes sind die, die ohne Ursache mich hassen; mächtig sind meine Vertilger, die ohne Grund mir Feind sind. Was ich nicht geraubt habe, muss ich alsdann erstatten.“
Dieser Vers macht deutlich, dass der Messias schuldlos ist, aber dennoch ohne Ursache gehasst wird.
Im nächsten Vers heißt es: „Du, o Gott, weißt um meine Torheit, und meine Vergehungen sind dir nicht verborgen.“
Das ist bemerkenswert. Im vorherigen Vers wird die Unschuld betont, im folgenden Vers jedoch wird eine Schuld eingeräumt. Es handelt sich um Psalm 69,4 und 5 beziehungsweise 5 und 6.
Dies ist das Geheimnis des Sündopfers: Das Sündopfer musste ein unschuldiges Tier sein, das jedoch mit der Sünde identifiziert wurde. So war auch der Herr Jesus als der Gerechte am Kreuz mit unserer Schuld identifiziert worden.
Er hat sie Gott bekannt gemacht: „Du, o Gott, weißt um meine Torheit, und meine Vergehungen sind dir nicht verborgen.“
Wir würden es nicht wagen, so etwas zu sagen, wenn die Bibel nicht ganz ausdrücklich sagen würde, dass er zur Sünde gemacht worden ist. Juristisch wurde er von Gott so erklärt, als wäre er die Ursache der Sünde gewesen.
Deshalb hat Gott ihn am Kreuz verlassen. Darum klingt auch der Schrei der Gottverlassenheit in Psalm 22 an.
Weitere messianische Psalmen und ihre Bedeutung
Ich möchte noch ganz kurz erklären: Psalm 41 wird in Johannes 13 zitiert und bezieht sich auf den Verrat des Judas.
Im Psalm 45 wird der Messias von Gott angesprochen: „Dein Thron, o Gott!“ Das ist erstaunlich, denn Gott spricht seinen Sohn mit „O Gott!“ an. Hebräer 1,8 macht das deutlich.
Im Psalm 68, Vers 18, der in Epheser 4,8 zitiert wird, wird die Himmelfahrt des Messias vorausgesagt und die Tatsache, dass er geistliche Gaben für das Volk Gottes schenkt.
Dann wird Psalm 102 im Hebräerbrief, Hebräer 1, zitiert. Ich möchte dazu Psalm 102, Vers 25 kurz lesen. Dort wird erklärt, dass Gott zu seinem Sohn spricht. Es heißt:
„Du hast vormals die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk. Sie werden untergehen, du aber bleibst, und sie alle werden veralten wie ein Kleid; wie ein Gewand wirst du sie verwandeln, und sie werden verwandelt werden. Du aber bist derselbe, und deine Jahre enden nicht.“
Gott spricht seinen Sohn an und sagt, dass er damals in 1. Mose 1,1 Himmel und Erde erschaffen hat. Das ist schon erstaunlich. Es macht deutlich, dass der Sohn der ausführende Schöpfer war, der die Pläne des Vaters zur Schöpfung ausgeführt hat. Ihm wird gesagt: „Du bist unveränderlich derselbe.“ Alles andere, die ganze Schöpfung, wird vergehen. Du aber bist der Unveränderliche, das heißt Yahweh, denn das ist die Bedeutung des Gottesnamens – der Unwandelbare, der Ewige.
Jetzt ist noch zu beachten, in welchem Zusammenhang das hier in Psalm 102 steht. Dort werden nämlich zunächst die Leiden des Messias ausführlich beschrieben. In Vers 23 heißt es: „Er hat meine Kraft gebeugt auf dem Weg, hat verkürzt meine Tage. Ich sprach: Mein Gott, nimm mich nicht hinweg in der Hälfte meiner Tage.“
Der Mensch Jesus auf Erden sagt also: „Nimm mich nicht hinweg in der Hälfte meiner Tage.“ Mose hat in Psalm 90, Vers 10 erklärt, dass die Tage des Menschen siebzig sind, und wenn es hochkommt, achtzig. Die Hälfte von siebzig sind fünfunddreißig. Jesus ist mit etwa dreiunddreißig Jahren gestorben, also gewissermaßen in der Hälfte der Lebenszeit, die ein gesetzestreuer Israelit erwartete.
Er schreit: „Nimm mich nicht hinweg in der Hälfte meiner Tage!“ Und dann kommt die Antwort: „Du hast vormals die Erde gegründet, die Himmel sind deiner Händewerk; sie werden untergehen, du aber bleibst.“ Hier werden Gottheit und Menschheit Christi dramatisch zusammengefügt. Als Mensch sagt er: „Nimm mich nicht hinweg in der Hälfte meiner Tage.“ Und Gott sagt: „Du bist der Ewige, der Unwandelbare, der Schöpfer von Himmel und Erde.“
Im Psalm 109, Vers 8, der in Apostelgeschichte 1,20 zitiert wird, wird erklärt, dass dort bereits vorausgesagt wird, dass das Apostelamt, beziehungsweise das Amt, das Judas weggenommen werden musste, ein anderer bekommen sollte.
Dann Psalm 110, über den ich gerne ausführlicher sprechen würde. Das ist einer meiner Lieblingspsalmen, einer der messianischen Psalmen. Dort wird der Messias beschrieben, der zu Rechten Gottes sitzt – und zwar als König und Priester. Hier wird ganz deutlich gemacht, dass in dem Messias die beiden Ämter, die immer getrennt sein sollten, König und Priester, in ihm einmal vereint sein würden.
Ich möchte noch mit Psalm 118, Vers 22 enden: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Von dem Herrn ist dies geschehen, wunderbar ist es in unseren Augen. Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat, frohlocken wir und freuen uns in ihm. Bitte, Herr, rette doch! Bitte, Herr, gib doch Wohlfahrt! Gesegnet der da kommt im Namen des Herrn! Von dem Haus des Herrn aus haben wir euch gesegnet.“
Dieser Psalm ist wichtig am Passafest. Damals zur Zeit Jesu und auch heute noch werden während der Passa-Feier die Psalmen 112 bis 118 gelesen. Das gehört zum Passafest dazu.
In Lukas 20, ganz kurz vor der Kreuzigung, stand der Herr Jesus vor dem Hohenpriester und vor der Führerschaft. Es heißt dort ausdrücklich, dass er seine Augen auf sie gerichtet hat. Er hat also in ihre Augen geschaut und dann gesagt: „Was ist dieses Wort? Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden.“
Die wussten genau, was er damit meint: dass er der Stein ist, der nun von ihnen verworfen wird. Das hat besondere Bedeutung, denn damals war der Ausdruck „Bauleute“ eine rabbinische Bezeichnung für Gesetzesgelehrte. Man bezeichnete sie als Bauleute.
Wenn der Herr ihnen in die Augen schaut und sagt: „Was ist das? Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden“, dann wussten sie genau, was er gesagt hat.
Dann kam die Kreuzigung, genau zur Passahzeit. Genau dann hat Caiaphas in seiner Familie die Worte vorgelesen: Psalm 118, dort kommt wieder: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden.“ Die Stelle hat er garantiert nochmals gelesen – genau dann.
Was ist da durch ihn gegangen? Ein Baustein wird verworfen von den Führern des Judentums, aber er sollte zum Eckstein werden. Der Eckstein ist der Stein, den man als Ersten bei einem neuen Bauwerk hinstellt. Nach seinen Kanten muss alles ausgerichtet werden.
Dieser Vers gibt den Hinweis, dass nach der Verwerfung des Messias etwas ganz Neues, ein ganz neuer Tempel entstehen sollte. Und das wissen wir aus dem Neuen Testament: Das sollte die Gemeinde sein. Alles sollte nach Christus ausgerichtet werden, nicht nach menschlichen Bestimmungen, Konzilien und so weiter, sondern alles nach Christus.
Das Wort „Stein“ heißt auf Hebräisch „even“. Eine kurze Anekdote dazu: Ein Jude in Israel, der zum Glauben gekommen ist, hat ein weggeworfenes Neues Testament auf Hebräisch gefunden. Er begann zu lesen und kam zum Glauben.
Das führte zu starken Differenzen mit seinem Vater, denn er kam aus einer orthodoxen Familie. In einer orthodoxen Familie sorgt der Vater, wenn sich ein Sohn richtig entwickelt, für die richtige Frau und für Haus und so weiter. Alles ist zukunftssicher. Der Vater wollte, dass er den Glauben widerruft, doch der Sohn wollte nicht widerrufen.
Dann kam Passa, Psalm 118. Am Passa müssen die Kleinkinder Fragen stellen. Der kleine Bruder fragte den Vater: „Was ist der Even, was ist dieser Stein?“ Keine Antwort. Der Vater antwortete nicht, er musste ja eigentlich antworten. „Papa, was bedeutet der Stein?“ Keine Antwort.
Dann sagte der ältere Bruder: „Das ist das, was zwischen Vater und mir ist.“ Das ist ein schönes Wortspiel, denn das Wort „even“ schreibt man mit drei Konsonanten auf Hebräisch. Die ersten zwei Konsonanten zusammen ergeben das Wort „Av“, was „Vater“ heißt. Die letzten zwei ergeben „Ben“, was „Sohn“ bedeutet.
So ist das, was zwischen Vater und Sohn steht – und der Sohn ist ein fruchtbarer Christ geworden. Nur so als kleine Anekdote zu diesem Vers, der immer wieder jüdische Herzen aufgewühlt hat.
Zum Schluss noch Vers 25, dort hören wir genau den Ruf, den die Volksmenge geschrien hat, als der Herr Jesus auf dem Esel als Messias nach Jerusalem einzog. Sie riefen Hosianna!
Ich habe auf dem Blatt erklärt: Psalm 118, Vers 25 – der Ausdruck „Rette doch!“ ist hebräisch „Hosianna“, die griechische Aussprache, weil man das „S“ nicht sagen kann, lautet „Hosianna“. Der Ausdruck „Gib doch Wohlfahrt“ heißt „Hatzlichanna“.
Jetzt können wir den ganzen Satz zusammenfügen. „Anna“ heißt übrigens „Bitte“. Also lautet der Vers: „Bitte, Herr, rette doch! Bitte, Herr, gib doch Wohlfahrt!“ Das ist „Anna Adonai Hoschi anna, anna Adonai Hatzlichanna“. Das war der Schrei damals, als der Herr nach Jerusalem einzog.
Unten haben sie gerufen: „Gesegnet, Baruch haba!“ Das heißt einfach „Willkommen“, nicht „gepriesen“, sondern „Willkommen, der da kommt im Namen des Herrn“, „Baruch haba b’schem Adonai“. Das war der Begrüßungsruf für den Messias, der aber fünf Tage später gekreuzigt wurde.
Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden.