Einführung in die geistigen Grundlagen Europas
Könnte man das Licht ausmachen oder ein bisschen dimmen? Ja, so ist gut.
Heute Morgen wollen wir uns mit dem Thema „Der moderne Mensch – sein Denken und Handeln“ beschäftigen. Dabei versuchen wir, innerhalb von zwei Stunden eine Übersicht über 2000 Jahre europäische Geistesgeschichte zu erhalten.
Wir beginnen mit Europas geistigen Wurzeln. Was ist die Basis, was sind die Ausgangsstellungen Europas? Zu nennen ist die Philosophie der alten Griechen aus vorchristlicher Zeit. Danach folgt die Kultur des alten Rom. Es ist so, dass die Römer die Philosophie der Griechen übernommen haben, ebenso ihre Religion.
Sie verbanden dies aber mit ihrer politischen Fähigkeit. Ihr ganzes Staatswesen, das sie aufgebaut haben, ist eingebettet in dieses griechische Denken. Auch das ist eine ganz wesentliche Ausgangsstellung für Europa.
Dazu kommt die Mythologie, also all die Göttergeschichten und Vorstellungen. Die Mythologie und die Religionen der Griechen, der Römer, der Germanen und der Kelten spielen dabei eine wichtige Rolle.
Dann kommt eine ganz neue Kraft hinzu, die wesentlich gewirkt hat in Europa: das Buch der Bibel. Wir gehen also zurück vor zweitausend Jahren, in die Zeit, als das römische Weltreich die ganze Mittelmeerwelt beherrschte – Nordafrika, den Nahen Osten, Europa bis hinauf nach England.
Wie gesagt, das römische Weltreich hat die griechische Philosophie in sich aufgenommen. Auch die griechische Götterwelt wurde zu einer römischen Götterwelt umgewandelt.
Es war eine Zeit, in der viele neue religiöse Ideen aus dem Osten in den Westen gekommen sind, darunter esoterische Geheimkulte. Dies führte zu einem Pluralismus der Religionen. Man konnte ganz verschiedene Religionen in diesem Weltreich antreffen, alle nebeneinander.
Wichtig war nur, dass man dem Kaiser göttliche Verehrung entgegenbrachte. Daneben konnte man aber jegliche Religion ausüben, die man wollte.
Die Geburt und Bedeutung Jesu Christi im römischen Weltreich
In diese Zeit hinein wurde Jesus Christus im östlichen Teil des Römischen Reiches geboren, in Bethlehem, in Juda, im Heimatland der Juden. Jesus Christus hat in seinem Leben über dreihundert Prophezeiungen aus dem Alten Testament erfüllt, die den kommenden Retter, den leidenden Messias, betreffen.
Entsprechend diesen Prophezeiungen wurde er schließlich auch von seinem Volk abgelehnt. Im Jahr 32 nach Christus wurde er der römischen Herrschaft übergeben. Diese ließ ihn auf dem Golgatha-Feld vor den Toren Jerusalems kreuzigen.
Aber auch gemäß den Schriften des Alten Testaments ist der Messias Jesus am dritten Tag auferstanden. Auf dem Ölberg hat er Abschied genommen vor seiner Himmelfahrt und den Auftrag für die Weltmission erteilt. Dieses Vier-Punkte-Programm steht in Apostelgeschichte 1,8: „Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist, und ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde.“
Das Evangelium, die frohe Botschaft von dem Erlöser, dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus, sollte in die ganze Welt getragen werden. Diese frohe Botschaft gelangte bereits im ersten Jahrhundert nach Europa.
Ganz wesentlich in dieser Verkündigung des Erlösers ist die Tatsache, dass die Bibel Gottes Wort ist. Hier finden wir den Ewigen, der zu uns spricht, zu uns Menschen spricht, in schriftlicher Form. In der Bibel wurde alles vorausgesagt in Bezug auf das Kommen des Erlösers. Es hat sich genau so erfüllt. So wurde die Bibel die Basis für diesen christlichen Glauben, der in alle Welt getragen werden sollte.
Die Bibel als Grundlage des christlichen Glaubens
Die Bibel als Basis des Christentums wird durch Paulus im zweiten Timotheusbrief 3,16 bezeugt. Dort heißt es: Alle Schrift, damit ist sowohl das Alte Testament als auch das Neue Testament gemeint, ist von Gott eingegeben. Deshalb ist alle Schrift nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung und zur Unterweisung in der Gerechtigkeit.
Das Ziel ist, dass der Mensch Gottes vollkommen sei und zu jedem guten Werk völlig geschickt ist.
Beachten wir den Ausdruck „eingegeben“ in diesem Vers. Im Griechischen lautet das Wort Theopneustos und bedeutet „von Gott gehaucht“. Das heißt, das Geschriebene hier ist Gottes direkte Rede in schriftlich fixierter Form.
Wenn wir sprechen, brauchen wir den Hauch; ohne den Hauch geht gar nichts. So spricht Gott also durch die ganze Schrift, sowohl im Alten als auch im Neuen Testament. Es ist Gottes direktes Sprechen.
Dabei ist nicht gemeint, dass die Schreiber lediglich inspiriert waren. Vielmehr wird hier mehr gesagt: Das Geschriebene selbst ist Gottes direkte Rede. Nicht nur die Schreiber waren inspiriert, sondern das geschriebene Wort selbst ist von Gott.
Sonst könnte man denken, die Propheten und Schreiber seien inspiriert gewesen, hätten aber bei der Abfassung eigene Gedanken hinzugefügt. Doch dieses urchristliche Zeugnis des Neuen Testaments bezeugt: Alle Schrift, das Geschriebene selbst, ist von Gott inspiriert.
Diese Botschaft verbreitete sich in einer heidnisch-römischen Welt. Das führte unweigerlich zu einer gewaltigen Konfrontation. Das Evangelium prallte auf Widerstand.
Widerstände gegen das Evangelium in der antiken Welt
Was waren die Festungsblöcke gegen das Evangelium?
Zunächst einmal die Götterwelt der Griechen und Römer. Weiter kam der Kaiserkult hinzu. Die ersten Christen weigerten sich, am Kaiserkult teilzunehmen, was ihnen große Probleme einbrachte. Sie hätten Religionsfreiheit gehabt, wenn sie diesen Kult einfach nebenbei praktiziert hätten. Doch das konnten sie nicht, denn es stand im Widerspruch zum ersten und zweiten Gebot des Gesetzes: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ und „Du sollst kein Bildnis anbeten“.
Ein weiterer Block war allgemein der Okkultismus und die Esoterik in der römisch-griechischen Welt. Zudem war da der religiöse Pluralismus – die Vorstellung, dass viele Ideen nebeneinander bestehen können. Wenn aber jemand so absolut ist und sagt, es gehe nicht, den Kaiserkult noch nebenbei zu praktizieren, dann wird er als intolerant angesehen. So war dieser religiöse Pluralismus ebenfalls eine gewaltige Festung gegen das Evangelium.
Weiterhin war die Philosophie der Griechen und Römer prinzipiell und fundamental im Widerspruch zu dem, was in der Heiligen Schrift steht. Auch das führte zu Widerspruch und Kampf.
Ganz abgesehen von den religiösen und philosophischen Bollwerken gab es auch ein moralisches Bollwerk, oder besser gesagt ein unmoralisches Bollwerk: die heidnische Unmoral und Perversion, die die alte Welt beherrschte. Diese stand in völligem Widerspruch zum Evangelium.
Die Auseinandersetzung des Apostels Paulus mit der antiken Philosophie und Moral
Illustrieren. In Apostelgeschichte 17, also in dem Buch, das die ersten drei Jahrzehnte der christlichen Mission beschreibt, von 32 bis 62 nach Christus, sehen wir unter anderem, wie der Apostel Paulus, der Heidenapostel, nach Athen kam. Athen war die Hochburg der Philosophie in der alten Welt.
Sie können das nachlesen in Apostelgeschichte 17. Paulus kam nach Athen, und es kam zur Auseinandersetzung, zur Konfrontation direkt mit den Epikuräern und den Stoikern, zwei Philosophenschulen in Athen. Paulus hielt dort eine Rede vor dem Areopag und ging auf das heidnische griechische Denken ein, auf die Götterwelt damals und auf die Philosophie der Griechen.
In dieser Rede werden viele verschiedene Punkte der Philosophie angesprochen, aber im Licht des Evangeliums. Paulus schreibt im Kolosserbrief, Kapitel 2, Vers 8, den jungen Christen: "Seht zu oder passt auf, dass nicht jemand euch als Beute wegführe durch die Philosophie." Griechisch heißt Philosophia etwas sehr Schönes: Liebe zur Weisheit. Aber die Bibel warnt: "Seht zu, dass nicht jemand euch als Beute wegführe durch die Philosophie und durch leeren Betrug, nach der Überlieferung der Menschen, nach den Elementen der Welt und nicht Christusgemäß."
Hier wird also der Widerspruch zwischen Evangelium und griechischer Philosophie ganz deutlich ans Licht gebracht.
Paulus besuchte später Korinth, wie wir in Apostelgeschichte 18 lesen. Korinth war in der alten Welt die Hochburg der Unmoral und der Perversion. Die Unmoral war in der alten Welt allgemein verbreitet und auch akzeptiert. Ehebruch, Hurerei, Prostitution, Homosexualität und Pädophilie waren damals akzeptiert. Da waren sie also schon einen Schritt moderner als unsere Gesellschaft. Aber das kommt noch, denn unsere Gesellschaft wird von Tag zu Tag moderner.
Man beachte besonders den Brief des Paulus, 1. Korinther 5-7, in dem ausführlich das Problem der vielfältigen Perversion und Unmoral angesprochen wird. Es wird auch erklärt, wie in der Gemeinde mit Gemeindezucht umgegangen werden muss.
Ich lese aus 1. Korinther 6,18: "Flieht die Hurerei." Das griechische Wort "Porneia" bezeichnet jeglichen Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe, also vor und daneben. Es meint nicht nur Prostitution, sondern jeglichen Geschlechtsverkehr außerhalb des von Gott gegebenen und geschützten Rahmens der Ehe. Es bezeichnet übrigens auch Homosexualität, also jeglichen Geschlechtsverkehr.
"Flieht die Hurerei. Jede Sünde, die ein Mensch begehen mag, ist außerhalb des Leibes. Wer aber hurert, sündigt gegen seinen eigenen Leib." Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt, den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört?
Die Konfrontation mit Okkultismus in Ephesus
Später, in Apostelgeschichte 19, kommt Paulus nach Ephesus. Ich wähle Ephesus als Beispiel der Konfrontation, weil diese Stadt die Hochburg des Okkultismus, der Magie und des Aberglaubens in der alten Welt war. Zwar war, wie in Korinth, auch der Okkultismus allgemein verbreitet, doch die Hochburg der alten Welt war Ephesus.
Noch ergänzend zu Korinth: Im Altgriechischen gab es ein Verb, das „korinthiazestai“ hieß. Es bedeutet „korinthisch leben“ und stand für ein unmoralisches Leben. Selbst für die unmorale alte Welt war Korinth wirklich der Inbegriff von Unmoral. Das entsprechende Pendant in Bezug auf Okkultismus galt für Ephesus.
Man lese Apostelgeschichte 19, wo Paulus in Ephesus ist, und man sieht dort den Artemiskult der Epheser. Dort fand ein Volksaufstand gegen das Evangelium statt, der in einem Theater abgehalten wurde, das wir hier sehen. Zwei Stunden lang war die Bevölkerung versammelt und schrie in Ekstase: „Groß ist die Artemis der Epheser!“ Dabei muss man wissen, dass die Artemis der Epheser eine Göttin des Todes war, eine Todesgöttin. Sie galt als die Göttin mit der stärksten Magie und wurde speziell in Ephesus verehrt.
In Apostelgeschichte 19 liest man auch, wie viele zum Glauben gekommen waren und ihre Zauberbücher brachten, um sie zu verbrennen. Der Wert der verbrannten Bücher betrug 50 Denare, also etwa 50 Arbeitstage. Das gibt einen Eindruck von der wirtschaftlichen Bedeutung des Okkultismus.
Dort findet sich auch eine ganz eigenartige Geschichte über Exorzismus, einen verfehlten Versuch, Dämonen auszutreiben – typisch für Ephesus. In seinem Brief an die Epheser schreibt Paulus in Epheser 2,2 über die Sünde: „In welchen ihr einst wandeltet nach dem Zeitlauf dieser Welt, nach dem Fürsten der Gewalt der Luft, des Geistes, der jetzt wirksam ist in den Söhnen des Ungehorsams.“
Paulus spricht im Brief überhaupt nicht über Artemis, sondern sagt, dass dahinter der Satan steht, der Fürst der Gewalt der Luft. Mit solchen Hochburgen mussten sich die ersten Christen auseinandersetzen. Ihre Basis war jedoch die Bibel und die Bibel allein.
Das Zeitalter der Apologeten im zweiten Jahrhundert
Im zweiten Jahrhundert erleben wir das Zeitalter der Apologeten. Apologie bedeutet die Verteidigung des christlichen Glaubens. Bis dahin kamen meist Menschen aus der Unterschicht zum Glauben. Im Allgemeinen waren es nur wenige gebildete Personen, die sich dem Evangelium zuwandten.
Die Apologeten waren Männer wie Quadratus, Aristides, Aristion von Pella, Justin der Märtyrer, Tatian, Athenagoras und Theophilus. Diese Männer versuchten, gegenüber den Gebildeten der antiken Welt den christlichen Glauben mit ihrer Ansicht nach guten Argumenten zu verteidigen. Sie wollten das Evangelium in der Sprache erklären, wie die Gebildeten damals dachten. Deshalb nutzten sie philosophische Argumente, um den christlichen Glauben zu erläutern und zu verteidigen.
Damit wollten sie dem schweren Vorwurf begegnen, dass Christen alles ungebildete Menschen seien. Wenn man 1. Korinther 1-2 liest, sagt Paulus zu den Korinthern: „Schaut auf eure Berufung, es sind nur wenige Edelleute oder Adlige dabei. Gott hat das, was verachtet ist, auserwählt.“ Das entsprach auch der Realität. Doch die Apologeten wollten diesem Vorwurf entgegenwirken.
Sie stellten den christlichen Glauben quasi als eine Philosophie dar. Dabei wollten sie klar machen, dass der christliche Glaube die beste Philosophie sei, die es gibt. Allerdings rückte in ihrer Verteidigungsarbeit das Kreuz immer mehr aus dem Zentrum. Evangelistisch wirkte ihre Arbeit daher nicht besonders stark.
Dennoch hatte ihre Arbeit Folgen. Durch sie drang die griechische Philosophie immer mehr in die Kirche und die Gemeinden ein. Deshalb ist das zweite Jahrhundert, das Jahrhundert der Apologeten, ganz entscheidend für die weitere Entwicklung des Christentums.
Die Wende im vierten Jahrhundert und ihre Folgen
Im vierten Jahrhundert änderte sich alles ganz gewaltig. Bis dahin waren die Christen hauptsächlich Menschen aus dem Sklavenstand und den unteren Schichten, nicht so sehr die Gebildeten. Sie wurden vom römischen Reich bis ins Jahr 312 ständig verfolgt.
Dann kam die Wende im vierten Jahrhundert mit Kaiser Konstantin, der sich äußerlich dem Christentum zuwandte. Durch diese Wende wurden viele Heiden Christen – allerdings nur in Anführungsstrichen, denn es brachte gesellschaftliche Vorteile, Christ zu sein. Früher war das ganz anders. Oft musste man einen hohen Preis zahlen, um Christ zu sein. Nun aber brachte die Zugehörigkeit zum Christentum Vorteile, weil man im äußerlich christianisierten römischen Reich Nachteile hatte, wenn man Heide blieb.
So wurden viele Menschen Christen, man könnte sagen, dass eine große Erweckung ausgebrochen war. Die Kirchen waren voll, sogar übervoll. Ja, das war eine Erweckung, aber mit katastrophalen Folgen für die weitere Kirchengeschichte. Denn dies führte zu einem massiven Eindringen von Heidentum, heidnischen Gedanken, Aberglauben und griechischer Philosophie – besonders der Ideenlehre Platons.
Der Herr Jesus hatte diese Entwicklung in seinen Himmelreichsgleichnissen vorausgesagt. In Matthäus 13 legte er dar, wie es kommen würde, wenn er, der Menschensohn, von dieser Erde weggehen würde. Dort heißt es:
„Ein anderes Gleichnis legte er ihnen vor und sprach: Das Reich der Himmel ist einem Menschen gleich geworden, der guten Samen auf seinem Acker säte. Während aber die Menschen schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut mitten unter den Weizen und ging hinweg. Als aber die Saat aufsproste und Frucht brachte, da erschien auch das Unkraut.“
Der Weizen steht für die wahren Christen von Anfang an. Doch dann kam ein Feind dazwischen, der Unkraut säte. Das griechische Wort bezeichnet eine bestimmte Unkrautart, den Lolch. Der Lolch ähnelt dem Weizen sehr und ist erst erkennbar, wenn sich die Ähre ausreift. Hier hatte der Herr also die Vermischung von echten und unechten Christen in großem Maß lange vorausgesagt.
Ab dem vierten Jahrhundert, als das römische Reich äußerlich christianisiert wurde, begannen die Christen, die Machtstrukturen des politischen römischen Reiches zu kopieren und in die Kirche zu übernehmen. So überrascht es nicht, dass genau in dieser Zeit die päpstliche Kirche aufgebaut wurde.
Der erste Papst, der den Vorsitz über alle Bischöfe der Welt beanspruchte, war Papst Leo I. um 440 n. Chr. Es entstand ein gewaltiger Machtapparat, der dem politischen römischen Machtapparat entsprach. Dieser Machtapparat ersetzte letztlich die Autorität der Schrift.
Es war nicht mehr die Frage, ob etwas der Schrift entsprach, sondern immer mehr, ob es der Auslegung des Machtapparates entsprach. Die Autorität der Schrift wurde nicht geleugnet, sie blieb bestehen, doch in der Praxis wurde sie durch den Machtapparat der Kirche ersetzt.
Die Entwicklung der Christenheit als Machtgebilde
Matthäus 13,31: Ein anderes Gleichnis legte er ihnen vor und sprach: Das Reich der Himmel ist gleich einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte.
Es ist zwar kleiner als alle Samen, doch wenn es gewachsen ist, wird es größer als die Kräuter und wird ein Baum, sodass die Vögel des Himmels kommen und sich in seinen Zweigen niederlassen.
Die Christenheit sollte sich so entwickeln: zuerst ganz klein und unscheinbar wie ein Senfkorn, doch dann würde sie sich zu einem Machtgebilde entwickeln, zu einem Baum. Manche größere Samen werden nur Kräuter, aber dieser ganz kleine Same wird ein Baum von mehreren Metern Höhe. Und so ist es gekommen.
Ich habe erklärt, wie die Philosophie Platons immer mehr, besonders ab dem vierten Jahrhundert, ins Christentum eingedrungen ist. Die Anfänge gehen jedoch schon zurück aufs erste Jahrhundert. Gerade mit der Gnosis, die im ersten Jahrhundert auf das Christentum einwirkte, findet man platonische Gedanken. Ab dem vierten Jahrhundert wurde dies dann sehr stark und allgemein.
Darum müssen wir uns nun mit der Philosophie Platons auseinandersetzen. Er gilt als der größte oder einer der größten Philosophen neben Aristoteles in der gesamten antiken Welt.
In dieser Zeit ging die Theologie, also das Studium der Heiligen Schrift mit allem Drum und Dran, eine Symbiose mit der Philosophie ein. Die Philosophie wurde nicht als Feind gesehen, sondern als eine wertvolle Ergänzung und Hilfe. Sie wurde zur Magd, die der Theologie beistehen sollte.
Wir werden nun sehen, dass die Philosophie Platons schließlich das christliche Denken während tausend Jahren beherrschte. Platons Philosophie wurde zum Korsett für das christliche Denken.
Platons Ideenlehre und das Höhlengleichnis
Nun wollen wir uns etwas der Philosophie und der Ideenlehre Platons zuwenden. Platon hat seine Ideenlehre im berühmten Höhlengleichnis sehr anschaulich dargestellt. Er betrachtet uns Menschen hier auf der Erde als Menschen, die in einer Höhle gefangen sind, angekettet, sodass wir nur auf eine Wand in der Höhle blicken können.
In der Höhle, weiter oben, brennt ein Feuer. Diese Höhle führt hinauf in die Oberwelt. Alles, was sich in der Oberwelt bewegt, wird durch das Feuer in der Höhle als Schatten an die Wand projiziert. Platon sagt, dass alles, was wir sehen und wahrnehmen, eigentlich nur Schatten sind. Das ist nicht die wahre Realität. Die Realität der Dinge befindet sich jenseits, oben.
Über den Ideen im Jenseits steht die Idee des Guten, das Eine, schlechthin das Göttliche. Alles, was wir hier unten haben, ist nur ein Schatten. Platon lebte von 428 bis circa 347 v. Chr.
Das Höhlengleichnis wird im Encaterlexikon folgendermaßen beschrieben: Im Höhlengleichnis schildert Platon Menschen, die tief im Innern einer Höhle festgebunden sind. Ihr Gesichtskreis ist so eingeschränkt, dass sie einander nicht sehen können. Das einzig Sichtbare ist die Höhlenwand, auf der die Schatten von Modellen oder Nachbildungen von Tieren und Gegenständen zu sehen sind, die an einem hell brennenden Feuer vorbeigetragen werden.
Einem der Gefangenen gelingt es, auszubrechen und sich aus der Höhle an das Tageslicht zu flüchten. Das Sonnenlicht macht es ihm nun möglich, zum ersten Mal die wirkliche Welt zu sehen. Er kehrt in die Höhle zurück und überbringt den anderen die Botschaft, dass alles, was sie bis dahin gesehen hätten, bloße Schatten gewesen seien. Die wirkliche Welt erwarte sie, wenn sie bereit seien, sich von ihren Fesseln zu befreien.
Die Schattenwelt der Höhle symbolisiert bei Platon die physische Welt der Erscheinungen, das, was wir sehen, hören und ertasten. Es ist also nichts Wirkliches, sondern nur die Welt der Erscheinungen. Der Ausbruch aus der Höhle in die sonnendurchflutete Außenwelt bedeutet den Übergang in die wirkliche Welt, die Welt des Vollkommenseienden, die Welt der Ideen – dem wahren Gegenstand der Erkenntnis.
Platon ging davon aus, dass die Seelen der Menschen schon früher eine Existenz hatten. Dort befanden sie sich in diesem Jenseits, wo sie die eigentlichen Urideen gesehen haben, zum Beispiel die Idee „Tier“. Diese Idee ist hier auf der Erde in Schatten ganz verschieden ausgeprägt, etwa in Pferden, Hühnern oder Krokodilen. Auch diese sind wieder ganz unterschiedlich, aber sie gehen alle zurück auf eine Uridee, die das Wirkliche ist – im Jenseits oben.
Der Mensch muss also versuchen, aus dieser Welt der Gefangenschaft und der Schatten auszubrechen, um das Wirkliche zu sehen.
Die Auswirkungen der platonischen Ideenlehre auf das Denken
Nun verstehen wir diese Grafik der Ideenlehre viel besser. Doch wozu führte dieses Denken? Es führte dazu, dass man alles, was hier auf Erden ist, das Irdische, verachtete. Letztlich galt der Körper als Gefängnis der Seele, denn der Körper ist Materie. Materie wird als Schatten angesehen, nicht als das Wirkliche.
Diese Verachtung des Diesseits und des Irdischen brachte die große Gefahr mit sich, dass der obere Bereich den unteren letztlich auffrisst. Platon glaubte, dass der Mensch in seinem Denken eine Erinnerung an das frühere Leben der Seele besitzt. Deshalb weiß er von diesen Ideen. Doch diese Erkenntnis stammt nicht aus der Forschung in der Natur. Darauf kommt man nicht durch äußere Beobachtung, sondern es ist eine im Denken eingepflanzte Erinnerung an das frühere Leben.
So sieht man, dass der Mensch in seinem Denken eine Erinnerung an das frühere Leben hat. Dadurch wird auch die Forschung verachtet, denn wahre Erkenntnis kommt aus dem Denken selbst, ohne die Wahrnehmung. Man erkennt, wie der Mensch hier gespalten wird: Das innere Denken wird von dem, was wir äußerlich aufnehmen können, abgespalten.
Man kann hier von einer Zwei-Welten-Lehre sprechen. Oben ist die Welt, die nur dem Geist des Menschen zugänglich ist – durch Erinnerung an eine frühere Seelenexistenz. Unten haben wir die Welt, die durch die Sinne – Augen, Ohren, Tastsinn usw. – wahrgenommen wird.
Wichtig in der Philosophie ist nun Folgendes: Über verschiedene Stufen soll sich der Mensch hinaufarbeiten, damit er das Wirkliche oben erkennen kann. Oben kann man umschreiben als Gut. Das ist der Bereich von Gott oder dem Göttlichen, der Bereich der Ideen, der Vernunft, des Geistes und der Seele. Unten kann man überschreiben mit schlecht oder minderwertig. Das ist der Bereich der Materie, des Körpers.
Das hat weitreichende Auswirkungen. Wie der Mensch denkt, so ist er, steht in den Sprüchen. Die Verachtung der Natur, des Körpers und des Irdischen schlechthin führt auch zur Verachtung der Sexualität in der Ehe. Was von Gott gegeben ist, wird so alles verachtet.
Vergleich von biblischem und platonischem Denken
Nun kann man natürlich sagen: Ja, aber Platons Gedanken sind doch gar nicht so daneben. Die Bibel selbst spricht doch darüber, dass der jüdische Tempel auf Erden ein Abbild war. Nach Hebräer 8 gibt es ein originales Urbild im Himmel. In Offenbarung 11,19 heißt es: „Der Tempel Gottes im Himmel wurde geöffnet.“
Wir haben also in der Bibel ein Urbild im Himmel und ein Abbild auf der Erde. Das Ganze weist als Sinnbild auf den Messias, Jesus, auf die Gemeinde und auf den einzelnen Erlösten hin. Im Neuen Testament wird das so dargestellt: Urbild, Abbild, Sinnbild.
Nun sind Platons Ideen sehr, sehr ähnlich. Man könnte sich natürlich sagen, vielleicht hatte er als Heide, der noch keinen Kontakt mit der Offenbarung Gottes durch die Bibel hatte, eine Offenbarung von Gott darüber erhalten – quasi als Vorbereitung aufs Evangelium.
Platon, das habe ich bei meinem Ethikprofessor gelernt, war ein Pädophiler. Er sagte: „Platon ist nicht gut, Platon ist nicht gut.“ Jetzt wisst ihr, wer das war, der so sprach. Ja, das war Huntemann. Er hat also ganz deutlich gezeigt, dass Platon kein Sprachrohr Gottes ist.
Woher hat Platon diese Grundidee? Nun, im Heidentum findet man eine teuflische Perversion. Woher kommt es, dass zum Beispiel die Tempel in aller Welt – in Ägypten oder bis nach Japan – so viele Ähnlichkeiten mit dem biblischen Tempel haben, den Mose auf dem Berg in einer göttlichen Vision gesehen hat?
Das hängt damit zusammen: Nach der Bibel, Hiob 1 und 2, hat auch Satan selbst Zugang zum Himmel. Er kennt das Urbild. Er weiß, dass der biblische Tempel auf Erden ein Abbild ist. Er weiß um die Bedeutung des Sinnbildes, denn das steht ja alles schon im Alten Testament – der Tempel sollte ein Sinnbild auf den Messias sein.
Zum Beispiel hat man eine hethitische Inschrift gefunden, in der ein Gott einem Hethiter erscheint und ihm Anweisungen gibt, wie er genau Tempelgeräte herstellen soll – also eine Kopie einer höheren Vorlage.
Geht es also auch bei diesen Urbildern oder bei der Archetypenlehre von Platon auf eine Kernwahrheit zurück, ist es letztlich doch etwas völlig anderes als das, was in Platons Ideenlehre dargestellt wird. Es gibt eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Realität, aber in der Bibel wird das Irdische nie verachtet.
Darum schauen wir uns an: Bibel kontra Platon. Bei Platon gibt es oben die Welt, die nur dem Geist des Menschen zugänglich ist, und unten die Welt, die durch die Sinne wahrgenommen wird – diese wird verachtet.
Schauen wir nun 1. Timotheus 4,4-6 an: Paulus schreibt: „Denn jedes Geschöpf Gottes ist gut und nichts ist verwerflich, wenn es mit Danksagung genommen wird; denn es wird geheiligt durch Gottes Wort und durch Gebet. Wenn du dies den Brüdern vorstellst, wirst du ein guter Diener von Christus Jesus sein, auferzogen durch die Worte des Glaubens und der guten Lehre, der du genau gefolgt bist.“
Hier wird ganz klar betont: Diese Lehre, dass jedes Geschöpf Gottes gut und nichts verwerflich ist, gehört zu den Worten des Glaubens und der guten Lehre, der man, wie Timotheus, genau folgen soll – nicht nur ungefähr.
Also wird dem platonischen Denken, dem Platonismus, hier der Kampf angesagt.
Oder lesen wir Hebräer 13,4: „Die Ehe sei geehrt in allem und das Bett unbefleckt.“ Das heißt, die Ehe darf nicht durch Ehebruch befleckt werden. Hurerei und Ehebruch werden von Gott gerichtet.
Die Ehe wird nicht verachtet. Die Ehe wird als etwas dargestellt, das in jedem Bereich geehrt werden soll – sei es in der Romantik, in der Sexualität oder im Familienleben, in der Beziehung zueinander, die gepflegt werden soll. Die Ehe ist ein riesiges Feld: „Die Ehe sei geehrt in allem.“
Schauen wir 1. Timotheus 3,2.4-5 an. Dort geht es um Anweisungen für Älteste und Aufseher. Das Wort „Aufseher“ (Episkopos) hat später im Deutschen das Wort „Bischof“ gegeben. Die Einheitsübersetzung übersetzt es auch an dieser Stelle mit „Bischof“.
Der Bischof muss untadelig sein, der Mann einer Frau, der dem eigenen Haus wohl vorsteht und seine Kinder in Unterwürfigkeit hält – mit allem würdigen Ernst. Wenn aber jemand dem eigenen Haus, das heißt der eigenen Familie, nicht vorzustehen weiß, wie wird er die Kirche Gottes besorgen?
Der Bischof ist also Mann einer Frau und hat Kinder. Was hat man daraus gemacht? Bereits im zweiten Jahrhundert wurde den Ältesten, also Bischöfen, der Rat gegeben, sie sollten sich, wenn möglich, nicht verheiraten. Man sah es als üblich an, dass ein Bischof in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag keinen Verkehr mit seiner Frau haben soll, damit er nicht befleckt sei für den Gottesdienst.
Woher kommt dieses Denken? Das ist überhaupt nicht biblisch. „Die Ehe sei geehrt in allem.“ So entwickelte sich stufenweise das Zölibat, bei dem erklärt wurde, dass der Amtsträger der Kirche nicht verheiratet sein darf. Erst dann sei er wirklich rein.
Das ist aber nicht biblisches Denken.
Dazu kommt im Denken Platons das Aufsteigen und die Selbsterlösung des Menschen eine große Rolle. Über verschiedene Stufen soll sich der Mensch hinaufarbeiten und sich befreien, bis er das wirklich Gute oben ergreift, das mit dem Materiellen nichts zu tun hat.
Nun verstehen wir, warum immer mehr der Gedanke in die Kirche kam: gute Werke, Ablassgelder, asketische Übungen usw., die den Menschen helfen sollten, hinaufzukommen, um das Wahre wirklich zu ergreifen.
Kolosser 2,9-10 sagt: „Denn in ihm, in Christus, wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig, und ihr seid vollendet in ihm.“ Der Christ hat durch den Glauben an den Herrn Jesus alles. Er ist mit Gott versöhnt, hat Frieden mit Gott, das ewige Leben und die volle Vergebung.
Es braucht keine Stufenentwicklung zu einer höheren geistigen Stufe. „Ihr seid vollendet in ihm.“ Christus ist vollkommen. Die ganze Fülle der Gottheit des dreieinen Gottes wohnt in ihm leibhaftig. Ihr seid in Christus vollendet und zum Ziel gebracht.
Keine Entwicklung! Keine nächste Stufe, die man erreichen muss. Du hast dich bekehrt, aber jetzt solltest du noch diese Stufe erreichen und dann die nächste.
Römer 3,23: „Denn es ist kein Unterschied: Alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes, und werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist.“ Der Mensch ist verunreinigt durch die Sünde, nicht dadurch, dass er körperlich ist, wie im Platonismus, sondern weil er gesündigt hat. Er kann sich nicht selbst zur Herrlichkeit Gottes hinaufarbeiten.
Diese Werkgerechtigkeit, die in die Kirche hineingekommen ist, stammt nicht aus der Bibel, sondern aus dem Platonismus.
1. Timotheus 4,1-3 schreibt Paulus im ersten Jahrhundert: „Der Geist aber sagt ausdrücklich, dass in späteren Zeiten, nicht in den letzten Zeiten, wie manche Bibeln übersetzen, sondern wirklich in späteren Zeiten etliche vom Glauben, das heißt vom Glaubensgut der Apostel, abfallen werden, indem sie achten auf betrügerische Geister und Lehren von Dämonen, die in Heuchelei Lügen reden und betreffend des eigenen Gewissens wie mit einem Brenneisen gehärtet sind, verbieten zu heiraten und gebieten, sich von Speisen zu enthalten, welche Gott geschaffen hat zur Annehmung mit Danksagung für die, welche glauben und die Wahrheit erkennen.“
Diese Dinge kamen in späteren Zeiten auf, nämlich besonders ab dem zweiten, dritten und noch mehr im vierten Jahrhundert. Da entstanden das Zölibat, der Gedanke, dass ein Amtsträger nicht heiraten soll, das Verbot zu heiraten und die ganze Askese.
Um 300 n. Chr. war das wie später einmal in der Geschichte das Hippieleben, dem viele einfach nachrannten. Damals war es das Mönchsleben. Wer „in“ sein wollte um 300, der ging in die Wüste als Mönch, als Eremit, als einsamer Einsiedler. Das war damals der Trend.
Die Bibel sagt: In späteren Zeiten werden sie vom Glaubensgut abfallen, sich von Speisen enthalten, die Gott geschaffen hat. Es ist gut, was Gott uns gegeben hat.
Aber woher kommen diese Gedanken? Von betrügerischen Geistern, die von Dämonen lehren. So drückt sich die Bibel aus.
Die Wiederentdeckung Aristoteles’ und ihre Auswirkungen
Platon beherrschte also die Christenheit über tausend Jahre oder sogar noch länger. Im dreizehnten Jahrhundert kam es jedoch zu einer Wende in der Philosophie: die Wiederentdeckung von Aristoteles. Aristoteles lebte von 384 bis 322 v. Chr. und war ein Schüler Platons. Allerdings lehnte er die Gedanken seines Lehrers ab und entwickelte eine andere Philosophie.
Nach dem Niedergang Roms im fünften Jahrhundert nach Christus gingen die Werke Aristoteles' im Wesentlichen im Westen verloren. Man verfügte zwar über die Werke Platons, aber die Schriften Aristoteles' waren nicht einfach zugänglich. In der arabischen Welt wurden die Werke Aristoteles' im neunten Jahrhundert ins Arabische übersetzt und in den Islam eingeführt. Islamische Denker beschäftigten sich intensiv mit Aristoteles und bewahrten seine Werke über die Jahrhunderte.
Die westliche Welt war jedoch von der islamischen Welt durch eine Kluft getrennt. Erst durch die Kreuzzüge, die die Christen in der islamischen Welt führten, wurde Aristoteles im dreizehnten Jahrhundert im Abendland wiederentdeckt. Die Kreuzfahrer drangen in die islamische Welt ein und brachten Aristoteles' Werke als Mitbringsel mit. Diese wurden aus dem Arabischen übersetzt, und plötzlich erkannte man, dass es Gedanken waren, die man zuvor nicht kannte. Aristoteles wurde zum neuesten Trend im Westen.
Aristoteles wandte sich gegen die Lehre Platons. Er lehnte die Ideenlehre Platons ab und betonte stattdessen die Bedeutung der irdischen Einzeldinge. Zum Beispiel das Pferd draußen auf der Wiese als einzelnes Wesen – das war für ihn wichtig. Ebenso das einzelne Haus oder der einzelne Mensch. Er konzentrierte sich also auf den unteren Bereich und lehnte damit den oberen Bereich sozusagen ab.
Diese Haltung hatte weitreichende Folgen. Durch die Entdeckung dessen, was unten ist, erwachte das Interesse an Natur, Forschung und Wissenschaft. Doch durch die Überbetonung des Sichtbaren kam es in den folgenden Jahrhunderten zunehmend zu einer Verachtung des Jenseitigen, des Übernatürlichen und des Göttlichen.
Bibel versus Aristoteles: Die Spannung zwischen Diesseits und Jenseits
Nun, wir haben vorhin den Gegensatz zwischen der Bibel und Platon betrachtet. Jetzt wollen wir auch die Bibel im Vergleich zu Aristoteles betrachten.
Matthäus 6,19-21 sagt: "Sammelt euch nicht Schätze auf der Erde, wo Motte und Rost zerstören und wo Diebe durch Graben und Stehlen einbrechen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Rost zerstören und wo Diebe nicht durch Graben noch Stehlen einbrechen. Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein."
Obwohl die Bibel das Irdische nicht verachtet, sondern als Geschöpflichkeit Gottes hoch achtet, wird doch betont, dass man sich nicht in den irdischen Dingen verlieren soll, indem man sich Reichtümer anhäuft. Stattdessen soll man sich Schätze im Himmel sammeln, die bleiben, denn das Irdische vergeht.
Im Zusammenhang mit Aristoteles muss man sagen: Achtung! Bei dieser Überbetonung des unteren Bereichs wird letztlich der obere Bereich aufgefressen.
Überblick über den Einfluss von Platon und Aristoteles auf das Abendland
Nun können wir also in der Übersicht sagen: Aristoteles kontra Platon.
Platon übte vom ersten bis zum dreizehnten Jahrhundert einen verheerenden Einfluss auf das Abendland aus. Daraus entstand dieses mystische, das Diesseits verachtende Denken und das ganze Selbsterlösungsdenken.
Aristoteles hingegen übte vom dreizehnten bis zum einundzwanzigsten Jahrhundert einen verheerenden Einfluss auf das Abendland aus. Sein Denken führte letztlich zu einem irdischen, materialistischen, das Jenseits verachtenden Denken.
Schauen wir uns noch dieses Bild an. Es ist ein Ausschnitt aus Raffaels Gemälde „Die Schule von Athen“, gemalt 1510, im Vatikanpalast zu bewundern.
Man sieht: Das ist Platon. Er zeigt mit dem Finger nach oben. Aristoteles zeigt mit der Hand nach unten. Er betont die Ideen oben, also das eigentlich Wirkliche. Aristoteles betont den unteren Bereich als das eigentlich Wahre.
Das ist eine ganz tolle Darstellung. Und diese Darstellung gibt den guten Einschnitt jetzt für die Pause.
