Guten Abend, ich möchte alle herzlich begrüßen. Wir stehen in Lukas 23,13. Das ist die letzte der sechs Prozessphasen und zugleich die letzte der drei heidnischen.
Wir haben gesehen, dass der Herr zuerst zu Pilatus gebracht wurde, dann zu Herodes Antipas und schließlich zurück zu Pilatus. Dort kommt es zur Verurteilung zur Kreuzigung.
Wir lesen ab Vers 13 bis zunächst Vers 34.
Die Unschuldsfeststellung und das Urteil Pilatus'
Pilatus rief die obersten Priester, die führenden Männer und das Volk zusammen und sprach zu ihnen: „Ihr habt diesen Menschen zu mir gebracht, als mache er das Volk abtrünnig. Siehe, als ich ihn vor euch verhörte, habe ich an diesem Menschen keine Schuld gefunden, die eine Anklage rechtfertigen würde.
Auch Herodes nicht, denn ich habe euch zu ihm gesandt. Doch siehe, es ist nichts von ihm verübt worden, was des Todes würdig wäre. Darum will ich ihn züchtigen und dann freilassen.“
Da musste er ihnen aber anlässlich des Festes einen Gefangenen freigeben. Die ganze Menge schrie jedoch: „Hinweg mit diesem! Gib uns Barabbas frei!“ Barabbas war wegen eines Aufruhrs in der Stadt und Mordes ins Gefängnis geworfen worden.
Pilatus redete noch einmal zu ihnen, weil er Jesus freilassen wollte. Doch sie riefen dagegen: „Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!“ Zum dritten Mal sprach Pilatus zu ihnen: „Was hat dieser denn Böses getan? Ich habe keine des Todes würdige Schuld an ihm gefunden. Darum will ich ihn züchtigen und dann freilassen.“
Sie hielten jedoch an mit lautem Geschrei und forderten, dass er gekreuzigt werde. Ihr Geschrei und das der obersten Priester nahmen Überhand. Da entschied Pilatus, ihrer Forderung nachzukommen. Er gab ihnen den frei, den sie begehrten, nämlich den, der wegen Aufruhrs und Mordes im Gefängnis war.
Jesus aber übergab er ihrem Willen.
Der Kreuzweg und die Reaktionen der Menschen
Und als sie ihn hinführten, ergriffen sie einen gewissen Simon von Kyrene, der vom Feld kam, und legten ihm das Kreuz auf, damit er es Jesus nachtrage.
Es folgte ihm aber eine große Menge des Volkes und dazu Frauen, die ihn auch beklagten und betrauerten. Da wandte sich Jesus zu ihnen und sprach: „Ihr Töchter Jerusalems, weint nicht über mich, sondern weint vielmehr über euch selbst und über eure Kinder.
Denn siehe, es kommen Tage, da man sagen wird: Glückselig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren, und die Brüste, die nicht gestillt haben! Dann wird man anfangen, zu den Bergen zu sagen: Fallt über uns! Und zu den Hügeln: Bedeckt uns!
Denn wenn man dies mit dem grünen Holz tut, was wird mit dem Dürren geschehen?“
Es wurden aber auch zwei andere hingeführt, Übeltäter, um mit ihm hingerichtet zu werden. Und als sie an den Ort kamen, den man Schädelstätte nennt, kreuzigten sie dort ihn und die Übeltäter, den einen zur Rechten, den anderen zur Linken.
Jesu Gebet und die Spottreden der Umstehenden
Jesus aber sprach: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Sie teilten sein Gewand unter sich auf und warfen das Los darum. Das Volk stand dabei und sah zu.
Auch die Obersten verspotteten ihn zusammen mit den anderen und sagten: „Andere hat er gerettet, er rette nun sich selbst, wenn er der Christus ist, der Auserwählte Gottes.“
Auch die Kriegsknechte verspotteten ihn. Sie traten zu ihm heran, brachten ihm Essig und sagten: „Bist du der König der Juden, so rette dich selbst!“
Über ihm war außerdem eine Inschrift angebracht, in griechischer, lateinischer und hebräischer Schrift: „Dieser ist der König der Juden.“
Die Begegnung mit den Mitgekreuzigten und Jesu Verheißung
Einer der gehängten Übeltäter aber lästerte ihn und sprach: „Bist du der Christus, so rette dich selbst und uns.“
Der andere aber tadelte ihn und sprach: „Fürchtest auch du Gott nicht, da du doch im gleichen Gericht bist? Wir empfangen gerechterweise, was unsere Taten wert sind. Dieser aber hat nichts Unrechtes getan.“
Dann sprach er zu Jesus: „Herr, gedenke an mich, wenn du in deiner Königsherrschaft kommst.“
Jesus antwortete ihm: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“
Die besondere Darstellung Jesu im Lukasevangelium
Der Ausdruck „ein Galiläer“ wirkt etwas befremdlich, wenn man bedenkt, dass es sich um einen Menschen handelt. Auffällig wird das besonders in Vers 14, wo Pilatus zu ihnen sagt: „Ihr habt diesen Menschen zu mir gebracht.“ Am Ende des Verses fügt er hinzu: „Ich habe ihn vor euch verhört und an diesem Menschen keine Schuld gefunden.“
Das fällt im Lukasevangelium besonders auf. Man muss jedoch bedenken, dass das Lukasevangelium die Hauptbotschaft hat, Jesus als den wahren und vollkommenen Menschen vorzustellen. Genau das zeigt sich an solchen Details: Jesus wird als der wahre und sündlose Mensch dargestellt.
In diesem Zusammenhang ist auch die Prozessphase bei Herodes Antipas wichtig. Diese wird nur im Lukasevangelium berichtet. Dort erfahren wir, dass Jesus zum Spott ein glänzendes Gewand tragen musste (Vers 11). Das haben wir bereits beim letzten Mal erklärt: Es handelt sich um eine toga candida, ein weißes Kleid, das Bewerber um ein Staatsamt im Römischen Reich trugen. Herodes wollte Jesus damit verspotten. Er wollte sagen: „Seht, dieser Mann aus Galiläa möchte gerne König der Juden sein.“ Das war aber nur eine Aspiration, ein Wunsch, denn er konnte es nicht wirklich sein.
Das glänzende Gewand kann also auch als weißes Gewand übersetzt werden. Die toga candida wird nur im Lukasevangelium erwähnt, wo Jesus als der vollkommene Mensch vorgestellt wird.
In diesem Zusammenhang ist die Unschuldsfeststellung in Vers 14 besonders wichtig. Herodes sagt zu Pilatus dreierlei bezüglich der Unschuld, was wir gleich zusammenfassen können. Pilatus drückt sich folgendermaßen aus:
Er hat keine Schuld gefunden. Doch er sagt noch mehr: Zweitens findet er keine Schuld, die der Anklage entspricht. Und drittens auch Herodes findet keine Schuld, denn Pilatus betont: „Ich habe euch zu ihm gesandt.“ Damit gibt es ein zweites Zeugnis für die Unschuld Jesu. Pilatus findet nichts, Herodes findet nichts.
Zusätzlich betont Pilatus ausdrücklich: „Siehe, nichts Todeswürdiges ist von ihm getan worden.“
Die vielfachen Unschuldszeugnisse im Lukasevangelium
Dreifache Unschuldsbezeugung
Wir hatten bereits früher eine Unschuldsbezeugung. Sieht das gerade jemand? Ja, Vers 4 in der ersten Prozessphase: „Ich finde keine Schuld an diesem Menschen.“ Jawohl, genau. Also, in der ersten Prozessphase keine Schuld, hier keine Schuld – und zwar dreifach ausgedrückt.
Und wo finden wir diese Bezeugung noch? Ja, so ausdrücklich die Unschuld. In Vers 20 sagt Pilatus ja, er will ihn freilassen, nicht wahr? Vers 22. Jawohl, das ist eine Frage, und dann beteuert er: „Ich habe keine Todesschuld an ihm gefunden.“ Ihm war klar, der Vorwurf von Aufruhr und der Wunsch, König der Juden zu sein, sind keine gültigen Argumente. Denn der Herr – das haben wir letztes Mal angeschaut – sagte ja direkt zu Pilatus, so berichtet Johannes 18: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wenn mein Reich von dieser Welt wäre, so hätten meine Diener gekämpft.“
So war für Pilatus klar: Das ist kein Aufrührer, der macht keine Revolution und versucht nicht, mit Gewalt gegen Rom vorzugehen. Darum auch hier wieder: „Ich habe keine Todesschuld an ihm gefunden.“ Hätte er nämlich einen Aufstand angestachelt, dann wäre nach römischem Recht die Todesstrafe darauf gestanden.
Und wo im Text haben wir die Unschuldsbezeugung nochmals gefunden? Im bisher verlesenen Text. Ja, der Mitgekreuzigte, der eine, in welchem Vers? Vers 41: „Und wir zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsere Taten wert sind. Dieser aber hat nichts Ungeziemnes getan.“ Das ist auch ein ganz klares Zeugnis.
Hätten wir noch weiter gelesen, so sagt der Hauptmann, also ein Offizier über hundert Soldaten, in Vers 47 nach dem Tod des Herrn am Kreuz: Er ist so überwältigt, dass er Gott verherrlicht und sagt: „Wahrhaftig, dieser Mensch war gerecht.“ Auch da, man beachte wieder: „Dieser Mensch war gerecht.“
Es geht wirklich im Lukasevangelium um den vollkommenen Menschen. Die Dinge sind hier etwas anders formuliert als in Matthäus, Markus oder Johannes. Indem man die besonderen Formulierungen besonders hervorhebt, erkennt man, was die spezielle Botschaft ist.
Nun, wie viele Unschuldsbezeugungen haben wir damit gefunden? Fünf Stellen? Nein, wir haben ja gesehen, bei Vers 14 und 15 sind es drei zu dieser einen Gelegenheit – also wenn du es durchzählst: Vers 4 einmal, dann Vers 14 zwei, 15 drei und vier, Vers 22 ist Nummer fünf, Vers 41 Nummer sechs und das Zeugnis des Hauptmanns im Vers 47 Nummer sieben.
Sieben – die Zahl der Vollkommenheit – bezeugt seine Unschuld und auch seine Gerechtigkeit. Mehr noch: Nicht nur unschuldig, sondern „nichts Ungeziemendes getan“, „Dieser Mensch war gerecht“.
Die Ungerechtigkeit der Freilassung Barabbas' und die Bedeutung des Namens
Ja, Leandro, das drückt einfach aus, dass sie betroffen sind über ihre Haltung. Das beinhaltet natürlich auch, dass sie sagen: Da ist etwas falsch gelaufen. Es ist zwar keine ausdrückliche Unschuldsbezeugung, aber es ist ein Hinweis darauf, dass sie merken: Das war offensichtlich etwas Falsches. Was haben wir da gemacht?
Gut, und das Verrückte, das Wahnsinnige an dieser ganzen Sache: Wir haben schon im jüdischen Prozess gesehen, wie viele offensichtliche Gesetzesbrüche dort geschehen sind. Aber was man jetzt hier feststellt, ist Folgendes: Es gab die Sitte, dass einer zum Passafest freigelassen wurde. Und sie fordern, dass eben nicht dieser Mann aus Galiläa freigelassen wird, von dem Pilatus klar sagt: „Ich kann ihn nicht verurteilen, da liegt keine Schuld vor.“ Den wollen sie nicht frei haben, sondern sie möchten Barabbas.
Aber Barabbas war wirklich jemand, der eine Übertretung begangen hatte. Sie haben den Herrn zu Unrecht angeklagt, denn Vers 19 sagt, Barabbas war wegen eines Aufruhrs im Gefängnis, also gab es einen Aufstand, verbunden mit Mord. Und genau diesen Mann wollen sie frei haben. Unglaublich, die Ungerechtigkeit erreicht hier die absolute, himmelschreiende Spitze.
Wenn man Barabbas betrachtet, was bedeutet dieser Name? „Sohn des Vaters“. Der Name besteht aus zwei Teilen: „Bar“ bedeutet „Sohn“ auf Aramäisch, im Hebräischen heißt es auch „Ben“. Im Hebräischen kommt „Bar“ zwar selten vor, aber es ist möglich. In Psalm 2 findet man sowohl „Ben“ („Du bist mein Sohn“) als auch „Bar“. Im Hebräischen ist beides möglich, aber „Ben“ ist das Übliche, während „Bar“ typisch aramäisch ist.
Und was bedeutet „Abbas“? Das ist „Abba“. Das heißt nicht nur „Vater“, sondern eher „Papa“. Warum das „s“ am Ende? Weil der Text griechisch ist, nämlich das Lukas-Evangelium. Im Griechischen wurden hebräische und aramäische Namen der griechischen Sprache angepasst. Das „s“ am Schluss wurde als männliches Zeichen empfunden. Deshalb sagt man auf Griechisch nicht „Jesaja“, sondern „Jesajas“, nicht „Mose“, sondern „Moses“, und „Elias“ immer mit einem „s“ am Ende. Ebenso „Jesus“ mit einem „s“.
Also: „Sohn des Vaters“. Wo wird Jesus in der Bibel so genannt? „Sohn Gottes“ findet man an vielen Stellen, aber „Sohn des Vaters“ ist ein besonders zärtlicher Ausdruck. Der zweite Johannesbrief, der Autor, der am meisten über den Sohn Gottes geschrieben hat, sagt in 2. Johannes 3: „Gnade, Barmherzigkeit und Friede sei mit euch von Gott dem Vater und von dem Herrn Jesus Christus, dem Sohn des Vaters in Wahrheit und Liebe.“ Normalerweise wird Jesus als „Sohn Gottes“ bezeichnet, aber hier haben wir diesen besonders liebevollen Ausdruck „Sohn des Vaters“. Also zwei Mal „Bar Abba“.
Der Herr Jesus hat den Vater „Abba“ genannt. Das sollte man im Judentum nicht tun; deshalb findet man in keinem Gebetsbuch die Anrede „Abba“. Aber im Garten Gethsemane betet Jesus, Markus 14: „Abba, Vater.“
Was heißt „Vater“ auf Hebräisch? Das Wort „Vater“, nicht „Papa“, sondern „Vater“, heißt „Av“. Zum Beispiel „Abraham“ oder „Avraham“ bedeutet „Vater einer Menge“. „Avi“ heißt „mein Vater“. Sehr oft sagt Jesus im Johannesevangelium „mein Vater“, also „Avi“. Die alten Rabbiner sagten, das solle man nicht sagen. Man soll nur kollektiv beten, auch wenn man persönlich betet: „Awinu“, unser Vater, aber nicht „Avi“ und eben nicht „Abba“. Das ist viel zu nah.
Aber der Herr Jesus hat gesagt „Abba, Vater“, Markus 14, als er in Gethsemane war: „Und wenn möglich, gehe dieser Kelch an mir vorüber.“
In Galater 4 lesen wir, dass Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt hat. Jetzt, nachdem das Werk vollbracht ist, ruft der Geist „Abba, Vater“. So sind wir in diese Nähe zum ewigen Vater hineingestellt worden, die der Herr Jesus von Ewigkeit her hatte. Auch Römer 8 betont das nochmals. Dort wie auch in Galater haben wir beide Begriffe. „Vater“ ist hier nicht einfach die Übersetzung, sondern das griechische „Pater“.
Während „Abba“ das ganz typische, zärtliche Wort ist, mit dem Kinder ihren Vater in Israel ansprechen, wenn viele Menschen dabei sind – da hört man oft „Abba, Abba“ –, ist „Av“ das distanziertere Wort, das mehr der offiziellen Bezeichnung „Vater“ entspricht. „Pater“ drückt diese Beziehung aus, aber mehr aus der Einsicht heraus. „Abba“ drückt die Nähe und Zärtlichkeit aus, „Pater“ die Erkenntnis der Beziehung. Beides zusammen wird oft verbunden: „Abba, Vater“.
Wie gesagt, im Judentum durfte man diese Nähe nicht so ausdrücken. Diese Nähe kannte man in diesem Glauben nicht, weil es einen geschlossenen Scheidevorhang gab. Die Wende kam für uns mit dem aufgerissenen Scheidevorhang – darauf kommen wir später in unserem Abschnitt. Dort ist der Zugang zum Herzen des Vaters geöffnet worden.
So erkennen wir den Herrn Jesus als den wahren „Bar Abba“. Hier stehen sie gegenüber: Bar Abba, der Mörder, und Bar Abba, das Leben. Der Herr Jesus konnte sagen, Johannes 14,6: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ In der Apostelgeschichte wird er „der Fürst des Lebens“ genannt. „Den Fürsten des Lebens habt ihr getötet“, Apostelgeschichte 3. Das ist der Sohn des ewigen Vaters.
Ein wunderbarer Ausdruck, aber hier zeigt sich die Bosheit des Menschen in absolutem Höhepunkt. Jeder Diktator, so verbissen und hartherzig er auch sein mag, spürt, wenn die Volksmenge tobt, dass das Wirkung hat. Wir wissen von Pilatus, dass er ein Mann war, der über die Gefühle der Menschen hinweggehen konnte. Er konnte sehr gewalttätig sein und wurde deswegen von Rom gerügt. Er hat viele Menschen umgebracht.
Jetzt aber war er überzeugt, dass keine Hinrichtung nötig ist. Doch in Vers 23 lesen wir: „Sie bedrängten ihn mit großem Geschrei.“ Je lauter man schreit, desto wirkungsvoller ist es. Die führenden Priester spielen hier eine wichtige Rolle. Deshalb wird betont: „Ihr und die führenden Priester.“ Das Geschrei nahm Überhand, und das führt dazu, dass der starke Mann schwach wird und urteilt, dass man einfach das macht, was sie wollen, obwohl er es selbst nicht will.
Der Mörder wird freigelassen, und der Herr wird gekreuzigt.
Simon von Kyrene und die Bedeutung des Kreuzes
Nun haben wir hier noch eine kurze Notiz, dass er weggeführt wurde. Dann ergriffen sie einen Simon von Kyrene (Vers 26) und legten ihm das Kreuz auf.
Wichtig ist das Wort Kreuz, auf Griechisch Stauros. Dieses Wort kann Verschiedenes bedeuten: Es kann einen Pfahl oder ein Kreuz meinen. Was bedeutet das nun genau? Die Zeugen Jehovas wollen unbedingt, dass es ein Pfahl ist. Doch das ist falsch, denn der Herr wurde an einem Kreuz befestigt.
Immer wenn es heißt, dass jemand das Kreuz zur Hinrichtungsstätte tragen musste, dann hat er nicht den Pfahl getragen. Der Pfahl wurde bereits an der Hinrichtungsstätte montiert. Der Verurteilte trug den Querbalken – das Patibulum auf Latein – zum Ort der Hinrichtung. Dieser Querbalken heißt auf Griechisch ebenfalls Stauros.
Stauros kann also das gesamte Kreuz oder nur den Querbalken bedeuten. Wenn jemand das Kreuz trägt, ist damit der Querbalken gemeint. Die Römer haben auf verschiedene Arten gekreuzigt. Sie banden die Verurteilten zum Beispiel mit Schnüren an, es konnte aber auch mit Nägeln geschehen.
Im Fall des Herrn Jesus wissen wir genau, wie es war: mit Nägeln. Denn in Johannes 20 zeigt Jesus den Jüngern die Nägelmale in Händen und Füßen. Es ist also ganz klar: Es war ein Kreuz, und Jesus wurde mit Nägeln befestigt.
Das ist durchaus möglich und wichtig, um den falschen Behauptungen entgegenzutreten, die ständig verbreitet werden. Wir können klar festhalten, dass es so war. Was die Tradition immer festgehalten hat, war korrekt. Nicht alles, was die Tradition sagt, ist richtig, aber wo sie richtig ist, muss man dazu stehen.
Simon von Kyrene – wo liegt Kyrene? Kyrene liegt in Nordafrika, genauer gesagt in Kyrenaika. Heute entspricht das Gebiet dem Land Libyen, nicht Marokko, nicht Tunesien, nicht Ägypten. Simon war also ein Jude aus Libyen, der ins Land eingewandert war.
Interessant ist, dass man 1941 im Kidron-Tal, wo es viele Gräber gibt, einige davon bis vor zweitausend Jahren zurückreichen, eine Grabkammer mit einer Reihe von Ossuarien entdeckte. Ossuarien sind kleine Kisten, in die die Knochen der Toten gelegt wurden. Darauf sind viele Inschriften.
Auf einem Ossuar steht der Name Simon, auf einem anderen Alexander. Diese Kombination ist interessant, denn Markus 15, Vers 21 verrät noch mehr. Dort heißt es: „Sie zwangen einen Vorübergehenden, der vom Feld kam, Simon von Kyrene, den Vater von Alexander und Rufus, ihm das Kreuz zu tragen.“
Markus gibt also weitere Details: Dieser Simon hatte zwei Söhne, Alexander und Rufus. Markus schrieb sein Evangelium in Rom, und es wurde speziell von Petrus bestätigt. Die ersten Leser des Markus-Evangeliums waren also Römer.
Interessant ist, dass im Römerbrief ein gewisser Rufus besonders gegrüßt wird. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es derselbe Rufus ist wie hier genannt. Rufus und Alexander werden ausdrücklich im Zusammenhang mit ihrem Vater Simon genannt.
Auf dem Ossuar Nummer neun im Kidron-Tal stehen die Namen Alexander und Simon. Auf dem Deckel steht ebenfalls Alexander, alles in griechischen Buchstaben, nicht in hebräischen oder aramäischen.
Daneben findet sich ein Wort in aramäischen Buchstaben, das man als Kyrenär oder Kyrenaisch lesen kann. Das passt sehr gut zu Simon von Kyrene und dem Namen Alexander.
Es ist also sehr wahrscheinlich, dass man sogar die originale Grabbox von dem Mann gefunden hat, der das Kreuz des Herrn getragen hat.
Unterschiede in den Evangelien zur Kreuztragung
Im Johannesevangelium wird nichts von Simon erwähnt, der das Kreuz getragen hat. Man muss sich vorstellen, dass Pilatus den Herrn zuerst geißeln ließ. Diese Geißelung bestand aus Lederriemen, die oft mit Widerhaken oder spitzen Metallgegenständen versehen waren. Solche Geißelungen rissen den ganzen Rücken auf und verwandelten ihn in eine blutige Masse. Prophetisch wird dies im Psalm beschrieben: „Sie haben Furchen gepflügt auf meinem Rücken.“ (Psalm)
Jesaja 52,14 sagt, dass er mehr entstellt war als alle Menschen und Menschenkinder. Diese Geißelung führte bei manchen Menschen bereits zum Tod, sodass sie gar nicht mehr gekreuzigt werden mussten. Danach musste der Herr diesen Querbalken tragen. Das ist unvorstellbar.
Es wird nirgends gesagt, dass der Herr zusammengebrochen ist. Das steht im Bibeltext nicht. Im Evangelium wird jedoch erwähnt, dass Simon von Kyrene das Kreuz übernehmen musste. Im Johannesevangelium wird Simon hingegen nicht erwähnt. Dort lesen wir in Johannes 19,17: „Und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur sogenannten Schädelstätte, die auf Hebräisch Golgatha heißt. Dort kreuzigten sie ihn und zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte.“
Im Johannesevangelium wird der Herr Jesus besonders als ewiger Gott und ewiger Sohn Gottes dargestellt. Deshalb wird dort weniger die menschliche Seite betont, wie es beispielsweise im Lukasevangelium der Fall ist. Dort sehen wir ihn vorgestellt, wie er sein Kreuz tragend durch das Stadttor hinausgeht Richtung Golgatha. Hier wird betont, mit welcher Entschiedenheit der Herr diesen Weg gehen wollte.
Im Lukasevangelium und im Markusevangelium, wo er als Mensch beziehungsweise als Knecht beschrieben wird, wird auch auf die Hilfe hingewiesen, die er erfahren hat. Übrigens finden wir diese Bemerkung nur im Lukasevangelium. Im Garten Gethsemane, wo der Herr in schwerem Gebetskampf war, kam ein Engel vom Himmel und stärkte ihn. Nur im Lukasevangelium, wo seine Menschheit besonders betont wird, wird dies so gezeigt.
Diese Unterschiede hat der Heilige Geist so gewollt, um für jedes Evangelium ein ganz besonderes Porträt einer Seite, eine besondere Seite der Herrlichkeit des Herrn Jesus, zu malen.
Die Reaktion der Frauen und die Ankündigung der kommenden Not
Und dann, in Vers 27, sehen wir diese große Volksmenge von Frauen, die ganz anders waren. Das ist schon eigenartig – es heißt speziell „große Volksmenge“ und dann eben auch, wird gesagt, „Frauen, die wehklagten und beweinten“.
Also die Härte der Männer kommt im Prozess des Herrn Jesus auf besondere Weise zur Geltung, und auf der anderen Seite sind es Frauen, die Erbarmen haben. Aber das reicht nicht, das macht der Herr ihnen klar. Er spricht sie dann an – mit welchem Titel? Ja, woran erinnert uns das? Die Töchter Jerusalems. Das ist Zacharja, jawohl, da ist aber Zion als eine Tochter, aber die Töchter Jerusalems – nein, Hoelit. Ständig werden die jungen Frauen von Jerusalem angesprochen als Töchter Jerusalems, Töchter Jerusalems.
So spricht der Herr Jesus, der Bräutigam, der hier von seinem Volk verworfen ist, die Töchter Jerusalems an und sagt, sie sollen nicht über ihn weinen. Das ändert nichts an seinem schweren Gang, aber über sich selber und über ihre Kinder sollen sie weinen. Er kündigt an, es kommt eine Zeit, die so schlimm sein wird, dass man sagen wird, die Frauen seien die Glücklichen, die nie Kinder gehabt haben.
Und das wurde Wahrheit mit dem Jahr 70 beziehungsweise schon ab dem Jahr 66, als der Aufstand in Galiläa begann und dann brutal von den Römern niedergeschlagen wurde – in Galiläa, in Judäa, auch in Transjordanien. Schließlich gingen die Armeen hinauf nach Jerusalem. Es kam zu dieser 140-tägigen Belagerung, und am Ende war Jerusalem am Boden zerstört – mehr als eine Million Tote.
Aber der Krieg ging weiter, denn einige konnten noch eine letzte Hochburg halten, nämlich Masada. Und die schafften es bis 73, dann fiel auch Masada. So dramatisch, dass ja am Vorabend, als klar wurde, die Römer würden Masada erobern, weil sie eine Rampe bauen konnten mit unzähligen Kriegsgefangenen Juden bis hinauf, und es war klar, am nächsten Tag würden sie die Stadtmauer, beziehungsweise das Stadttor, rammen.
Elazar hält diese Rede, die Josephus Flavius in seinen Büchern festgehalten hat: „Wir haben einen jüdischen Krieg“, und er sagt, „Wir wollen nicht in Sklaverei gehen und wir wollen nicht diese Schrecken erleben, sondern wir gehen selbst in den Tod.“
Dabei haben aber ganz wenige Personen – Frauen mit Kindern – überlebt, und das Ganze endete mit einem Massenselbstmord von etwa tausend Leuten. Also wirklich furchtbar, wenn der Mensch gar keinen Ausweg mehr sieht. Das kündigt der Herr hier an: Glückselige Tage kommen, da wird man sagen, es werden glücklich die Unfruchtbaren sein und die Leiber, die nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht genährt haben.
Dann werden sie anfangen, zu den Bergen zu sagen: „Fall auf uns!“ und zu den Hügeln: „Bedeckt uns!“ Und wenn die Berge einen nicht umbringen, dann haben sie sich selber umgebracht.
Es ist ja bekannt, dass man die Offiziere in Israel auf Masada vereidigt hat. Aber ich weiß nicht, ob das bekannt ist – das macht man heute nicht mehr. Ich habe von Anfang an gehört, dass man Masada vor einem Evangelium sieht, ja genau: Masada soll nicht mehr fallen. Das soll nie mehr geschehen. Genau. Aber man macht die Vereidigung auf Masada jetzt eben nicht mehr. Warum? Weil man festgestellt hat: Es geht eigentlich nicht, Selbstmord als etwas Positives hinzustellen. Das geht nicht, und darum ist man davon weggekommen.
Aber Masada steht wirklich für diese völlige Verzweiflung, auf die der Herr hinweist. Und dann sagt er in Vers 31: „Denn wenn man dies tut an dem grünen Holz, was wird an dem Dürren geschehen?“ Er vergleicht sich mit grünem, frischem, saftigem Holz. Und die Menschen, die Sünder sind, sind von Natur das dürre Holz.
Die Bedeutung von Nazareth und die Symbolik des grünen Holzes
Das ist interessant: Jesus war bekannt als der Nazaräer. Weiß jemand, woher das Wort Nazareth stammt? Es bedeutet „Spross“ und kommt von einer Wurzel, die „Näzer“ heißt. Näzer bedeutet „Spross“.
Diese Wurzel ist N-Z-R. Dabei handelt es sich um drei Konsonanten, was typisch für semitische Sprachen ist – nicht nur im Hebräischen, sondern auch im Aramäischen, Arabischen und anderen. Fast alle Wörter lassen sich auf solche drei Konsonanten zurückführen. Deshalb kann man bei den meisten Wörtern recht leicht nachvollziehen, warum sie so heißen.
Im Deutschen ist das nicht so einfach. Wenn man wissen möchte, warum ein Wort wie „Stier“ so heißt, muss man oft einen Etymologie-Duden zu Rate ziehen. Dort erfährt man dann die Wortgeschichte.
Im Hebräischen ist das viel einfacher. Zum Beispiel kommt das Wort „par“ von der Wurzel „prr“, was „niedertreten“ oder „annullieren“ bedeutet. Dadurch versteht man plötzlich den Zusammenhang: Am großen Versöhnungstag wurde ein Stier, also das große Opfer, für das Haus Aarons geopfert. In Hebräer 9, wo über den großen Versöhnungstag gesprochen wird, heißt es, dass Christus offenbar wurde zur Abschaffung der Sünde durch sein Opfer.
So kann man viele Wörter so durchleuchten, und es bringt einen enormen geistlichen Gewinn.
Das Wort „Nezer“ geht zurück auf die Wurzel „Nazar“. Man setzt immer ein „a“ ein, und so erhält man die Wurzel. Im Arabischen bedeutet das „grün sein“, also ein grüner Spross. Der Herr sagt hier: Wenn man das an grünem Holz tut, was wird dann am dürren Holz geschehen?
Interessant ist auch Jesaja 53. Können wir das kurz aufschlagen? Dort wird Jesus als dieser Spross, dieser Wurzelspross, beschrieben – ein Reis. Sascha, liest du Jesaja 53, Vers 2?
„Er wuchs vor ihm wie ein Schössling, wie ein Wurzelspross aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und keine Pracht; wir sahen ihn, aber sein Angesicht gefiel uns nicht. Von den Menschen war er ein Mann der Schmerzen und Mitleiden vertraut, wie einer, vor dem man das Angesicht verbirgt; so verachtet war er, und wir achteten ihn nicht.“
Und lass uns noch Vers 14 lesen, das habe ich ja vorhin erwähnt, die völlige Misshandlung des Herrn:
„Ja, gleichwie sich viele über dich entsetzten, so sehr war sein Angesicht entstellt, mehr als das irgendeines Mannes, und seine Gestalt mehr als die der Menschenkinder.“
Danke.
Hier lesen wir also von ihm, wie ein Reis vor ihm aufgeschossen, wie ein Wurzelspross. Auch das ist wieder ein Holz, oder? Ein Trieb von einem Baum. Aber es wird gesagt, er komme aus dürrer Erde. Das ist eigentlich ein gewisses Paradox, ein Widerspruch in sich: Etwas wächst aus einem Boden, der eigentlich nichts hervorbringen kann.
Das drückt genau aus, dass Jesus in einer Zeit aufgewachsen ist, in der das jüdische Volk durch tote Religiosität gekennzeichnet war. Dennoch war er von Anfang an stets in Gemeinschaft mit dem Vater. Wenn wir ihn als Zwölfjährigen im Tempel sehen, sagt er: „Ich muss in dem sein, was meines Vaters ist.“ Er war dieser Spross aus dürrem Erdreich – grün und saftig, aber seine Herkunft war eben dürr.
Rechtliche Verantwortung Pilatus' und seine Entscheidungsfreiheit
Christoph, hattest du etwas sagen wollen? Ich habe noch eine Frage, die ein bisschen zurückliegt. Ich wollte noch etwas zu Pilatus fragen.
Die Juden durften ja niemanden eigenmächtig hinrichten. Deshalb die Frage zu den Römern: War Pilatus nicht auch einer gewissen rechtlichen Grundlage unterworfen? Er konnte doch nicht einfach nach Belieben entscheiden. Wenn er sagte, es liegt keine Schuld vor, also es gibt eigentlich keinen Grund, jemanden hinzurichten, hat er dann nicht auch selbst etwas Illegales getan – auch im Sinne des römischen Rechts? Man musste ja Menschen hinrichten, die verurteilt wurden.
Ich wiederhole die Frage für den Livestream: Du sagst, die Juden hatten kein Recht auf Todesstrafe, deshalb mussten sie Jesus aus ihrer Sicht Pilatus übergeben. Deine Frage zielt aber auf Pilatus: Konnte er in einem gewissen Bereich frei agieren? War er nicht gegenüber Rom verantwortlich für das, was er tat, insbesondere wenn er einen Unschuldigen hinrichtete?
Als Landpfleger hatte Pilatus natürlich eine ziemlich große politische Autorität. Ihm waren 600 Soldaten unterstellt – die 600 Soldaten aus der Burg Antonia, die unter dem sogenannten Chiliachen standen. Dieser Offizier, der auch in der Apostelgeschichte erwähnt wird, hatte die Führung über tausend Soldaten. Diese standen Pilatus zur Verfügung.
Natürlich musste Pilatus für seine Handlungen gegenüber Rom Rechenschaft ablegen. Rom war allgemein sehr empfindlich, wenn der Vorwurf eines Aufruhrs erhoben wurde. Deshalb war es für Pilatus relativ einfach, sich gegenüber den höheren Stellen zu rechtfertigen, indem er sagte, die Masse sei überzeugt, dass Jesus ein Aufrührer sei und eine Gefahr für das römische Reich darstelle. Damit brachte er sich nicht unbedingt in Gefahr.
Ja, gehen wir weiter nach dem grünen Holz in Vers 31.
Die Kreuzigung am Ort der Schädelstätte und die Verbindung zu Abraham
Vers 32 berichtet, dass zwei weitere Personen gekreuzigt werden, diesmal Übeltäter, im Gegensatz zum Herrn. Anschließend kommen sie an den Ort, der Schädelstätte genannt wird. Wörtlich steht im Griechischen nur „Schädel“. Das Wort Golgatha ist einfach Aramäisch für „Schädel“ oder „Schädelstätte“. Dort wird der Herr gekreuzigt, zusammen mit den zwei Übeltätern neben ihm.
Dieser Ort ist interessant, weil er einfach nur als „der Ort“ bezeichnet wird. Das erinnert uns an 1. Mose 22, als Abraham bereit war, seinen Sohn zu opfern. Dort lesen wir, dass Gott den Glauben Abrahams testet, ob er bereit ist, das Liebste aus Liebe zu Gott zu geben. Der Vater ist bereit, seinen Sohn zu geben.
Nun zu 1. Mose 22: Am dritten Tag erhob Abraham seine Augen und sah den Ort von ferne. Nach drei Tagen sieht er also den Ort. Dort baut er einen Altar. Nachdem Isaak verschont wird und ein Widder an seiner Stelle geopfert wird, lesen wir in Vers 14: „Und Abraham nannte den Ort ,Der Herr wird dafür sorgen‘.“ So sagt man noch heute: „Auf dem Berg wird der Herr dafür sorgen.“
Auch hier gab Abraham dem Ort einen Namen, nachdem er ihn zuvor gesehen hatte. In unserem Text kommen sie an den Ort, der Schädelstätte genannt wird. Nun stellt sich die Frage: Wo wurde oder wo sollte Isaak damals geopfert werden? Was sagt die Tradition dazu?
Gott sagt in Vers 2: „Nimm doch deinen Sohn, deinen einzigen, den du lieb hast, Isaak, und geh hin in das Land Moria und bringe ihn dort zum Brandopfer, auf einem der Berge, den ich dir nennen werde.“ Wie gesagt, es ist ein Berg im Land Moria, den Gott ihm zeigen wird.
Die Tradition besagt, dass Moria der spätere Tempelberg war, wie 2. Chronik 3,1 bestätigt. Dort heißt es, der Herr wird versehen (Vers 14). Das ist eigentlich die Lösung: „Der Herr wird ersehen“, das heißt „der Herr hat ersehen“. Und der Herr ist Jesus, der auch als „Herr Felsen“ bezeichnet wird, weil Gott der Fels ist.
Du hast einige Zwischenglieder übersprungen. Jemand, der nicht weiß, was du sagen willst, könnte sagen: „Du behauptest etwas, aber was genau?“ Doch was du sagst, ist richtig. Schauen wir uns das der Reihe nach an: Gott sagt, er soll ins Land Moria gehen. Das heißt also in das Land, wo der Berg Moria steht. Moria war damals ein bekannter Berg, weil auf dem Südabhang die Stadt Salem lag, wo König Melchisedek herrschte – eine bekannte Königsstadt.
In diesem Bereich von Moria gab es viele Hügel, die nicht mit Namen bekannt waren. Darum sagt Gott: „Geh in das Land Moria und opfere ihn auf einem der Berge, den ich dir sagen werde.“ So käme als Ort natürlich auch ein Berg östlich vom Ölberg in Frage. Vom Tempelberg aus gesehen ist der Ölberg ein bekannter Hügel, daneben gibt es noch weitere Berge.
Man könnte sagen, es gibt Zion I und Zion II. Im Alten Testament ist der Berg Zion dasselbe wie der Berg Moria. Ab etwa 100 nach Christus nennt man den Nachbarhügel, den Südwesthügel der Altstadt von Jerusalem, ebenfalls Zion. Das führt bei Touristen oft zu Verwirrung: „Was ist Zion? Das ist ja nicht der Tempelberg.“ In der Bibel ist Zion der Tempelberg, also der Berg Moria.
Der Nachbarhügel, der Südwesthügel, war das urchristliche Quartier, dort fand Pfingsten statt. Heute wird dieser Hügel Zion genannt. Daneben gibt es noch einen weiteren Hügel, den Nordwesthügel. Dort liegt Golgatha. Gott sagte, Isaak sollte auf einem der Berge geopfert werden, den er ihm zeigen wird.
Philipp hat bereits erklärt, dass Abraham diesem unbekannten Berg einen Namen gab. In Vers 14 heißt es: „Abraham gab diesem Ort den Namen ,Der Herr wird ersehen‘ – Adonai Jireh.“ Das ist der Name dieses Berges: „Der Herr wird ersehen.“
Was bedeutet „ersehen“? Das hast du schon gesagt, aber noch einmal kurz: Wahrscheinlich konnte damals niemand genau nachvollziehen, was das heißt. Es gibt keine Stelle im Psalm, wo gesagt wird, dass der Herr als Opfer ersehen wird. Nur wenige Verse davor steht die Antwort des Sohnes, der fragt: „Wo aber ist das Schaf zum Brandopfer?“
Abraham antwortet: „Gott wird sich ersehen, das Schaf zum Brandopfer, mein Sohn.“ Und sie gingen beide miteinander. Abraham sagt also, Gott wird ein Lamm ausersehen. Das hat sich als prophetisches Wort erfüllt, denn der Widder wurde an Isaaks Stelle geopfert.
„Ein Brandopfer ersehen“ bedeutet, ein Opfer auszuwählen. Nachdem das Brandopfer dargebracht war, gab Abraham dem Ort trotzdem einen Namen. Er sagte nicht „Adonai ra'a“ (der Herr hat ausersehen), sondern „Adonai jir'e“ (der Herr wird ausersehen).
Mose erklärt im gleichen Vers 14b: „Daher wird heute gesagt: Auf dem Berg des Herrn wird ersehen werden.“ Dieser Berg war vorher ein unbekannter Berg im Land Moria, einer dieser Berge. Jetzt heißt er „Der Herr wird ersehen“. Mose sagt also, dass auf dem Berg des Herrn einmal das Opfer ersehen werden wird.
Damit wird klar: Der Messias muss als Opfer sterben, wie Jesaja 53 beschreibt. Das muss im Land Moria geschehen, auf einem der Berge dort. Der Herr Jesus ist genau auf dem Nachbarhügel des Tempelberges Moria gestorben. Damit ist klar, dass es sich um denselben Ort handelt.
Dieser Ort, von dem es heißt, dass Abraham ihn sah und ihm einen Namen gab, wird hier wieder erwähnt: „Als sie an den Ort kamen.“ Das ist wie ein Leitmotiv, ein musikalischer Begriff. Immer wenn das Leitmotiv wiederkehrt, erinnert es an eine frühere Station.
Hier ist das Leitmotiv der Ort, an dem Abraham bereit war, seinen Sohn als Vater zu geben. Und hier ist der himmlische Vater bereit, den ewigen Sohn auf Golgatha zu geben.
Möchte jemand etwas dazu sagen? Ich dachte, ich hätte nichts übersehen. Gut.
Dann finden wir in Vers 34 das wunderbare Gebet des Herrn. Sascha, liest du noch einmal vor? „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Die Soldaten teilen aber sein Gewand und werfen das Los darüber.
Der Herr betet also für seine Feinde. Wie ist das möglich, dass er um Vergebung betet, obwohl sie nicht bußfertig waren? Wie muss man das verstehen?
Die doppelte Dimension der Vergebung
Es gibt zwei Arten von Vergebung. Zum einen die Vergebung, die die Beziehung wiederherstellt, wenn auf der anderen Seite Einsicht vorhanden ist. Zum anderen die Vergebung, auch wenn keine Einsicht da ist.
Genau: Die Vergebung, wenn keine Einsicht da ist, und die Vergebung, wenn Einsicht entsteht und eine Sache bereinigt wird. Das sind zwei verschiedene Dinge, die oft miteinander verwechselt werden.
Es ist ganz tragisch, wenn man sagt: „Nein, ich vergebe nicht, weil der andere nichts einsieht.“ So kann man wirklich in ein Gefängnis der Bitterkeit geraten.
Das Wort Gottes macht uns jedoch klar: Wir müssen grundsätzlich im Herzen vergeben. Natürlich ist die Gemeinschaft nicht einfach wiederhergestellt, wenn etwas nicht geordnet ist. Aber sobald das geordnet ist, vergibt man so, dass alles, was trübt, alles, was wie Nebel oder Wolken ist, weg ist.
So ist es auch für einen Erlösten. Ein Erlöster darf wissen, dass der Herr Jesus alles am Kreuz für ihn getragen und gut gemacht hat.
In Kolosser 2,17 heißt es: „indem er uns alle Vergehungen vergeben hat.“ Das ist ein Aorist, eine punktuelle Handlung in der Vergangenheit.
Als Kind Gottes, wenn ich jetzt sündige, wird die Gemeinschaft mit dem Vater natürlich getrübt. Der Herr Jesus hat grundsätzlich alles gut getan, aber erst wenn ich das einsehe, Gott bekenne, nach 1. Johannes 1,9 bereue und die Vergebung in Anspruch nehme, wird die getrübte Gemeinschaft – oder im schweren Fall sogar die unterbrochene Gemeinschaft – wiederhergestellt.
So bittet der Herr Jesus für diese Menschen, dass sie zur Buße kommen und schließlich auch diese Vergebung erhalten.
Ganz traurig ist jedoch, dass im Nestle-Aland-Text – dem angeblich neuesten wissenschaftlichen Standard des griechischen Textes, auf dem heute die meisten modernen Bibelübersetzungen beruhen – dieser Vers als spätere Hinzufügung gekennzeichnet wird. Früher basierten viele Übersetzungen auf dem Mehrheitstext, also der Masse der Handschriften.
Die Masse der Handschriften bezeugt diesen Vers jedoch ganz klar. Wenn Nestle-Aland recht hätte, müsste man also das erste Wort des Erlösers am Kreuz streichen.
Ich habe in meiner Bibel am Rand „N-A“ durchgestrichen, denn durch die Handschriften ist es so klar bezeugt. Dadurch haben wir, wie viele Worte des Herrn am Kreuz? Sieben.
Haydn hat durch dieses Werk die sieben Worte des Erlösers komponiert. Und das ist das erste.
Die sieben Worte Jesu am Kreuz
Können wir das ganz kurz zusammenfassen? Was war dann das zweite Wort? Das ist nicht in Lukas. Ja, siehe dein Sohn, zu Maria, und siehe deine Mutter zu Johannes – das steht in Johannes 19. Das war das zweite Wort am Kreuz.
Dann das dritte Wort, das haben wir hier, nämlich Vers 43. Ja, das ist das dritte Wort. Und das haben wir auch nicht in Lukas.
Aber zum Beispiel in Matthäus steht: „Eli, Eli, Lama, Sabachtani?“ – „Mein Gott, mein Gott, weshalb hast du mich verlassen?“ Genau: „Eli, Eli, Lama, Sabachtani? Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Übrigens hat man bemerkt, dass in der Bibel „Eli, Eli, Lama, Sabachtani“ steht. Ich habe gelesen, dass man „Sabachtani“ auf Griechisch schreibt. In der griechischen Schrift wird Aramäisch geschrieben, aber im Griechischen gibt es nur ein S und keinen Sch-Laut. Deshalb muss man im Griechischen „Sch“ mit „S“ schreiben, also „Sa“. Viele sagen deshalb „Sabachtani“.
Das „Ch“, das griechische „Ch“, wurde früher als „K“ ausgesprochen, also „Sabak“ oder „Sabaktani“. Im Aramäischen ist es ein „K“. Daher heißt es „Warum hast du mich verlassen?“ Das war das vierte Wort.
Dann das fünfte: „Mich dürstet“ im Johannes-Evangelium. Und nochmals im Johannes-Evangelium, Kapitel 19, Vers 30: „Es ist vollbracht, es ist bezahlt.“
Das siebte Wort genau haben wir hier in Vers 46: Jesus rief mit lauter Stimme und sprach: „Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist.“ Damit haben sich die Worte aus Psalm 31, Vers 6 erfüllt.
So haben wir also drei der sieben Worte. Es gibt kein Evangelium, das alle sieben Worte bringt. Wir brauchen alle vier Evangelien, um das Ganze zu haben – eben die sieben Worte des Erlösers am Kreuz.
Das Gespräch mit dem reuigen Übeltäter
Und gerade jetzt zu diesem Ausspruch: "Heute wirst du mit mir im Paradiese sein." Ich habe das zum Schluss noch hier aufgezeichnet. Es ist unglaublich, was dieser Verbrecher in den Stunden am Kreuz erlebt hat.
Matthäus berichtet ja, dass beide gelästert haben. Aber Lukas macht klar, dass nur der eine zum Glauben kommt. Er sagt zu dem Mitgekreuzigten: „Was lästerst du? Was spottest du? Wir haben verdient, was unsere Taten wert sind.“ Das heißt, er erkennt, dass er am richtigen Ort ist.
Aber dieser andere hat nichts Ungeziemendes getan. Dann sagt er zum Herrn: „Gedenke meiner, Herr, wenn du in deinem Reich kommst.“ Er spricht den Mitgekreuzigten als Herr an. Als sie gelästert haben, haben sie ihn garantiert nicht Herr genannt. Er nennt ihn Herr und sagt „wenn“, also zeitlich: „wenn du in deinem Reich kommst.“
Er glaubte also, dieser Gekreuzigte sei der Messias, der jetzt stirbt, aber später wiederkommen wird. Das ist unglaublich. Wenn man an all die Gelehrten aus dem Sanhedrin denkt, die da spotten, und dieser Mann sagt: „Das ist der Messias, und er wird wiederkommen.“ Er war also überzeugt, dass er auferstehen und einmal in Herrlichkeit kommen wird. Und zwar, um das messianische Reich, das tausendjährige Friedensreich, aufzurichten.
Seine Bitte ist: „Gedenke meiner.“ Also so ganz von weitem, „Gedenke meiner.“ Aber der Herr gibt ihm dann Antwort und sagt: „Heute.“ Er sagt nicht „im tausendjährigen Friedensreich“, sondern „im Paradies“, im Himmel. Man muss nicht warten, bis das tausendjährige Friedensreich kommt. Jetzt geht es sofort in den Himmel.
Darum sagt er „heute“ und nicht erst im künftigen tausendjährigen Reich, sondern gerade in die Herrlichkeit des Himmels, ins Paradies. Und er sagt nicht: „Ja, ich werde deiner gedenken“, so von weitem, sondern in persönlicher, enger Gemeinschaft mit ihm. Also „mit mir“ ist jetzt nicht etwas Negatives, sondern einfach, damit man es unterscheiden kann: „Gedenke mit mir!“
So sieht man also, wie in jedem Teil der Aussage der Herr in seinem Satz eine Entgegnung gibt, eine wunderbare, überwältigende Entgegnung.
Einer hat mal gesagt: „Ja, also dieser Mann konnte ja keine Frucht mehr bringen.“ Als Gläubiger sollte man Frucht bringen. Da habe ich gesagt: „Was? Erstmal hat er Zeugnis abgelegt: Wir haben dieses Gericht am Kreuz verdient. Dieser hat nichts Ungeziemendes getan. Und übrigens, das ist der Messias, der wird wiederkommen in Macht und Herrlichkeit.“ Dann durfte er wissen, dass er mit dem Herrn persönlich zusammen sein wird, noch am gleichen Tag im Himmel.
Damit hat man auch gerade die nötige Munition, wenn man mit Zeugen Jehovas zu tun hat. Die sagen ja: „Nein, nein, nein, es gibt, wenn man stirbt, kein weiteres Leben im Paradies. Da ist man ausgelöscht. Erst später kommt dann die Auferstehung bei den Gläubigen, und die anderen sind einfach ausgelöscht.“
Aber dann schreiben sie in ihrer systematisch gefälschten Bibel: „Ich sage dir heute, du wirst mit mir im Paradies sein.“ Damit wird genau diese Dreierzuordnung zerstört. Der Satz sagt: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“
Und übrigens: In unserer Sprache müssen wir nicht sagen, wenn man heute spricht, „Ich sage dir heute“, oder? Das ist ja eh klar. Also man kann gleich sagen: „Du wirst mit mir im Paradies sein.“ Da muss man nicht sagen: „Heute sage ich dir, du wirst mit mir im Paradies sein.“ Wenn wir heute sagen, dann muss das eine besondere Bewandtnis haben.
In asiatischen Sprachen ist das ja anders. Im Thailändischen und auch im Chinesischen sind die Verben einfach Blöcke. Das ist toll, da muss man gar nicht verschiedene Formen lernen: Ich gehe, du gehst, er geht, wir gehen, ihr geht, sie gehen. Es ist alles derselbe Block. Aber es gibt auch keine Vergangenheitsform, Gegenwartsform oder Zukunftsform im Chinesischen.
Wie macht man das? Das merkt man, wenn sie Englisch sprechen: „Yesterday I go to Zurich.“ Was? „I go?“ Ja, ich habe ja gesagt „Yesterday“. Warum muss man da etwas ändern am Wort? Ich habe es ja gesagt. So sagt man eben mit Zusatzwörtern, dass man zeitlich verortet ist.
Im Griechischen ist die Sprache so reich: Es gibt vierundfünfzig Formen für ein Verb in dieser Richtung. Darum musste der Herr nicht sagen: „Ich sage dir heute“, sondern: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“
Dann wollen wir an dieser Stelle noch eine letzte Frage oder Ergänzung. Etwas, was mir jetzt aufgefallen ist: „Mit mir“ im Offenbarung 3,21, so eine schöne Verheißung. Da sagt er auch „mit mir“.
Eine Verheißung in Offenbarung 3, zum Schluss. Du meinst in diesem Fall das Sendschreiben an Laodizea? Jawohl. Und liest du gleich, Sascha?
„Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, so wie auch ich überwunden habe und mich mit meinem Vater auf seinen Thron gesetzt habe.“ (Offenbarung 3,21)
Hier geht es um den Thron Gottes im Paradies. Und der Herr sagt den Überwindern von Laodizea: „Mit mir!“ Und nicht nur im Paradies, sondern auf dem Thron Gottes, zwischen den Cherubim, über den Cherubim.