Einführung und Briefanrede
Fange ich einfach an: Ihr dürft mit mir aufschlagen bei 1. Timotheus, Kapitel 1. Ich werde es so machen, dass ich zunächst immer die Sinnabschnitte lese – das heißt, nicht immer ein ganzes Kapitel, sondern einen Abschnitt, damit wir den Zusammenhang besser vor Augen haben. Anschließend werde ich einige Worte zu den entsprechenden Abschnitten sagen.
Der erste Sinnabschnitt sind die Verse 1 und 2: Paulus schreibt: „Apostel Jesu Christi, nach dem Befehl Gottes, unseres Retters, und des Herrn Jesus Christus, der unsere Hoffnung ist, an Timotheus, mein echtes Kind im Glauben. Gnade, Barmherzigkeit und Friede sei mit dir von Gott, unserem Vater, und Jesus Christus, unserem Herrn.“
Das ist eine mehr oder weniger typische Briefeinleitung, wie wir sie bei Paulus häufiger finden. Mit einigen kleinen Abweichungen kommen hier bestimmte Worte vor, die ich gleich noch erwähne und die wir an anderer Stelle nicht haben. Grundsätzlich ist das typisch – nicht nur für Paulus, sondern generell für Briefe, die in der Antike geschrieben wurden. Zunächst stellt sich die Person vor, die schreibt, und wendet sich dann an die Person, der sie schreibt.
So haben wir das auch hier: Im ersten Vers sagt Paulus einiges über sich selbst, und im zweiten Vers spricht er seinen Briefempfänger an. Er bringt ihm einige Wünsche entgegen, also was er Timotheus wünscht.
In einer solchen Einleitung versucht die Person, die den Brief schreibt, sich darzustellen. Das ist manchmal auch heute noch so: Im Briefkopf eines Briefes stehen oft alle möglichen Titel und Meriten, die jemand gesammelt hat – zum Beispiel „Direktor von…“, „Doktor von…“, „Professor von…“ und so weiter. Das heißt, darin zeigt sich, wie die Person sich selbst sieht und einordnet oder welche Ehren sie erhalten hat.
Deshalb wirft diese Einleitung auch einen ganz typischen Blick auf Paulus – wie er sich versteht und einordnet. Zunächst nennt er sich Paulus, das ist klar. Dann spricht er von sich als „Apostel Jesu Christi“. Wir wissen aus dem Römerbrief und dem Galaterbrief, dass Paulus durchaus auch andere Bezeichnungen hätte nennen können. Er hätte sich zum Beispiel als Völkermissionar bezeichnen können, der in der ganzen Welt unterwegs ist. Oder als Pharisäer, der in Jerusalem studiert hat.
Damals gab es noch keine Doktor- oder Professorentitel, aber hätte es sie gegeben, hätte er sie vielleicht auch genannt. Das tut er hier nicht. Das bedeutet, dass das, was für ihn und seinen Dienst am wichtigsten ist, zuerst genannt wird: Apostel Jesu Christi.
Das Wort Apostel oder Apostolos auf Griechisch bedeutet so viel wie Botschafter oder Gesandter. Das gab es in verschiedener Hinsicht. Ein Botschafter konnte von einer Regierung in ein anderes Land geschickt werden, um dort die Interessen der Regierung zu vertreten. Es konnte aber auch der Abgesandte eines Geschäftsmannes sein, der an einem anderen Ort im Auftrag und in der Autorität dieses Geschäftsmannes Geschäftsabschlüsse tätigen kann – also eine Person, die nicht für sich selbst spricht, sondern in einem Auftrag, als Bote oder Gesandter von jemand anderem.
So sieht Paulus seine höchste Aufgabe darin, nicht seine eigenen Ideen oder seine eigene Theologie zu verbreiten, sondern das weiterzusagen, was er von Jesus Christus gehört hat und was ihm überliefert worden ist. Wahrscheinlich ist er Jesus sogar begegnet, denn wir wissen, dass er über Jahre hinweg in Jerusalem studiert hat. Das war auch in der Zeit, als Jesus dort gepredigt hat.
Apostelamt und Berufung
Jetzt stellt sich hier die Frage: Gibt es heute noch Apostel? Bei den Aposteln, weil er sich ja als Apostel vorstellt, fragen wir uns, ob es heute noch Apostel gibt. Es gibt einige Personen, die meinen, dass es heute, wie bei Paulus, auch noch Apostel geben müsse. Besonders verbreitet ist diese Ansicht zum Beispiel bei der Neuapostolischen Kirche.
Diese Kirche hat eine große Anzahl von Aposteln – ich weiß gar nicht mehr genau, wie viele –, sie sind längst nicht bei zwölf geblieben. Ihr könnt das im Internet nachschauen. Es sollen inzwischen weltweit über zweihundert Apostel unterwegs sein, an deren Spitze ein Stammapostel steht. Das ist übrigens seit vielen Jahren mal wieder ein Deutscher, der sogar aus Westfalen, also aus der Gegend hier, kommt und an der Spitze dieser Kirche mit etwa acht Millionen Mitgliedern steht.
Das gibt es dort, aber nicht nur dort. Es gibt auch andere Organisationen, die meinen, dass es heute noch Apostel gibt. Solche Aussagen finden wir auch bei Paulus. Er schreibt, dass die Gemeinde auf der Grundlage der Apostel und Propheten aufgebaut ist. Vielleicht kennt ihr diese Stelle.
Dabei habe ich den Eindruck, dass hiermit die von Jesus selbst berufenen Apostel gemeint sind – nicht irgendwelche Personen, die später in eigener Autorität als Apostel auftreten. Wir müssen uns immer die Frage stellen: Wodurch wurden sie denn wirklich berufen?
Paulus nimmt für sich in Anspruch, von Jesus selbst berufen zu sein. Wir lesen, dass, nachdem Judas gestorben war – er hatte sich das Leben genommen, nachdem er Jesus verraten hatte, aus Verzweiflung über seine Tat –, in Apostelgeschichte 1,21-22 die Jünger zusammenkamen und sagten, sie bräuchten einen zwölften Apostel.
Dort werden Kriterien genannt, die ausschlaggebend sind, wann überhaupt jemand Apostel werden kann. Es heißt: Von den Männern, die mit uns gegangen sind, die ganze Zeit über, in der Jesus unter uns ein und aus ging, von der Taufe des Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns weggenommen wurde, muss einer Zeuge seiner Auferstehung werden.
Sie stellten zwei Männer zur Auswahl: Joseph, genannt Barsabas, mit dem Beinamen Justus, und Matthias. Sie beteten und baten: „Herr, du kennst alle Herzen, zeige an, welchen von diesen beiden du erwählen willst.“ Die Geschichte geht noch weiter.
Deutlich wird, dass Apostel an dieser Stelle nur derjenige sein kann, der Augen- und Ohrenzeuge Jesu gewesen ist, der also persönlich dabei war. Denn ihr Auftrag war es, von dem zu berichten, was sie erlebt hatten. Jeder Christ soll natürlich von Jesus weitersagen, aber diese konnten nicht unmittelbar von ihm berufen sein.
Hier kommt also ein zwölfter Apostel zu den elf hinzu. Ob das ganz richtig war, wie sie entschieden haben, ist noch fraglich. Denn es steht nicht, dass sie das im Auftrag Gottes taten. Es heißt nicht, Gott habe ihnen deutlich gemacht, dass sie noch einen Apostel suchen müssten.
Manche Theologen vermuten, dass der eigentliche Zwölfte Paulus war, der später kam. Paulus nennt sich selbst einen spätberufenen Apostel. Er wurde berufen, als Jesus ihm vor Damaskus erschien und ihn persönlich berief.
Es wird erwähnt, dass ein Apostel Zeuge Jesu sein muss. Ich denke, wir können davon ausgehen – wie ich schon erwähnt habe –, dass auch Paulus ein Zeuge Jesu war. Zu dem Zeitpunkt war er allerdings noch kein gläubiger Christ, sondern Christenverfolger.
Wir wissen, dass er bei der Steinigung des Stephanus anwesend war und auf die Kleider der Leute aufpasste, die die Tat ausführten. Außerdem studierte er jahrelang zu Füßen des Gamaliel in Jerusalem. All das geschah zu der Zeit, als die Jünger und Jesus lebten.
Paulus war also ein Augen- und Ohrenzeuge Jesu. Später wurde er direkt von Jesus berufen und erhielt den Auftrag. Danach lesen wir von Aposteln erst einmal gar nichts mehr.
In der Urgemeinde, vom Ende des ersten bis ins zweite und dritte Jahrhundert, gibt es das Apostelamt als Amtsbezeichnung nicht mehr. Stattdessen finden wir Prediger, Bischöfe, Hirten, Diakone und andere Ämter, aber kein Apostelamt.
Wenn Paulus sagt, dass die Gemeinde auf der Grundlage der Propheten und Apostel aufgebaut ist, meint er nicht irgendwelche Apostel. Man könnte sagen: „Dann bauen wir auf diesen apostolischen Aposteln auf.“ Nein, es sind die Apostel gemeint, die von Jesus berufen wurden.
Genauso wie bei Petrus, als Jesus zu ihm sagte: „Du bist der Felsen, auf dich will ich meine Gemeinde bauen.“ Dabei ist nicht irgendein Nachfolger von Petrus gemeint, sondern Petrus selbst als der Anfang, durch den die Gemeinde entstehen soll. Genau das geschah ja zum Pfingstfest.
Auch heute sind wir natürlich auf diese Apostel aufgebaut, denn ihre Lehre bildet das, was wir im Neuen Testament lesen. Die meisten Schriften des Neuen Testaments stammen von den Aposteln Jesu, die uns diese Überlieferung hinterlassen haben.
Darauf sollen wir aufbauen – auf das, was die Propheten des Alten Testaments und die Apostel des Neuen Testaments überliefert haben.
Paulus betont hier noch einmal besonders, dass er berufen wurde. Er sagt, er sei Apostel „nach dem Befehl Gottes“. Das bedeutet, er wurde nicht aus eigener Überlegung Apostel. Er dachte nicht: „Das ist doch ein schöner Job, ich werde Apostel.“ Es gibt keine Bewerbung oder Ausbildung dafür.
Er beruft sich darauf, dass seine Berufung direkt von Gott kam. Wo lesen wir das? Zum Beispiel in Apostelgeschichte 22,10. Diese Berufung durch Gott finden wir mehrfach in der Apostelgeschichte beschrieben.
Paulus spricht auch davon, dass Gott, der ihn berufen hat, unser Retter ist. Er nennt sich „Apostel Jesu Christi, nach dem Befehl Gottes, unseres Retters“. Dass Gott als Retter bezeichnet wird, finden wir schon im Alten Testament, zum Beispiel in Psalm 24,5.
Dort wird Gott als Retter des Volkes angesprochen. Im Neuen Testament, besonders bei Paulus, wird Gott als Retter einzelner Menschen dargestellt – als derjenige, der dein persönlicher Retter sein kann oder bereits ist.
Das ist etwas Neues und Besonderes. Der griechische Begriff „Soter“ (Retter) wurde damals auch für siegreiche Feldherren verwendet. Ebenso wurde der griechische Heilgott Asklepios so bezeichnet.
Der Begriff war also nicht exklusiv für Gott reserviert. Retten bedeutete, jemanden aus einer Todesgefahr zu befreien – wie ein Feldherr, der ein Land vor der Eroberung schützt.
Der Heilgott wurde angerufen, wenn nichts mehr half, etwa bei schweren Krankheiten. Dieser Begriff wird hier auf Gott angewandt: Er ist derjenige, der uns in großer Not rettet und Heil bringt.
Was ist damit gemeint? Zunächst sind damit nicht nur irdische Probleme gemeint. Natürlich können wir auch mit irdischen Sorgen zu Gott kommen.
Doch das Wesentliche, worauf Gott abzielt – das lesen wir im weiteren Verlauf des Briefes –, ist unsere innere Rettung: die Rettung von Gottverlassenheit, von der Sünde und der Trennung von Gott.
Dafür will er uns befreien. Diesen Titel „Retter“ nennt Paulus hier als ersten Titel Gottes. Er geht davon aus, dass die Hauptperspektive, die wir auf Gott haben sollen, diese ist: Er ist unser Retter.
Er hat uns unsere Schuld und Sünde vergeben, sodass wir wieder Zugang zu ihm finden können.
Dann sagt Paulus: „und des Herrn Jesus Christus“. Hier ist eine Andeutung dessen, was wir heute Trinität nennen. Er stellt Gott, den Vater, als Retter und Jesus Christus auf eine Stufe.
Er sagt, er sei berufen durch den einen und den anderen. Er ist Apostel Christi nach dem Befehl Gottes, unseres Retters und des Herrn Jesus Christus.
Das bedeutet, beide stehen hinter seiner Berufung. Paulus bezieht sowohl Gott als auch Jesus auf seine Berufung. Er nennt Gott und Jesus gleichwertig.
Dies unterscheidet sich deutlich von anderen Sekten, wie den Zeugen Jehovas, die Jesus nur als normalen Menschen ansehen, der eine besondere Stellung von Gott erhalten habe, aber nicht Gott selbst sei.
Hier zeigt Paulus klar, dass Gott und Jesus für ihn gleichrangig sind.
Er erwähnt auch, dass Christus unsere Hoffnung ist. Das finden wir in anderen Bibelstellen wie Epheser 1,18 oder Kolosser 1,27 in ähnlicher Weise.
Was bedeutet das? Hoffnung brauchen wir, wenn wir in die Zukunft schauen.
Vor allem brauchen wir Hoffnung, wenn die Zukunft unsicher ist. Wenn wir nicht sicher wissen, wie es weitergeht, bauen wir auf Hoffnung.
Auf das, was wir in der Gegenwart haben, hoffen wir normalerweise nicht. Wenn dein Teller beim Abendessen voll ist, hoffst du nicht, dass etwas drauf ist – du weißt es.
Aber du kannst hoffen, dass es morgen früh wieder etwas zu essen gibt. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, aber nicht hundertprozentig sicher.
Es könnte zum Beispiel sein, dass die Küche in der Nacht abbrennt oder du krank bist und nichts essen kannst.
All das betrifft die Zukunft und ihre Unsicherheiten. Dafür brauchen wir Hoffnung.
Wenn hier steht, Jesus sei unsere Hoffnung, bedeutet das, dass unsere Zukunft ohne Gott und Jesus mit Unsicherheiten verbunden ist.
Aber das, worauf wir hoffen sollen, worauf wir bauen sollen, ist Jesus.
Nun stellt sich die Frage: Was ist genau unsicher an unserer Zukunft? Warum brauchen wir Hoffnung?
Natürlich könnten wir auf unsere Sünde und Schuld verweisen. Das ist ein wichtiger Aspekt.
Aber die Unsicherheiten können auch ganz irdisch sein.
Wenn ihr die Meldungen und Diskussionen der letzten Monate betrachtet, gibt es viele Beispiele: etwa die Ölpest in der Karibik, deren Auswirkungen bis heute nicht genau bekannt sind.
Über Wochen sind Millionen Tonnen Erdöl ins Meer gelangt. Man hat die Ausbreitung zwar etwas gebremst, aber es ist unklar, wie viele Fische gestorben sind.
Ihr habt vielleicht schon Hinweise zum Umweltschutz gesehen, die sagen, dass ein Tropfen Öl Tausende Liter Wasser verseuchen kann.
Rechnet man das hoch auf Millionen Tonnen, könnte das alle Ozeane vergiften, wenn das Öl nicht entfernt wird.
Es handelt sich um die größte Ölverseuchung, die es bisher gab, mit noch unbekannten Folgen.
Da braucht man Hoffnung – Hoffnung, dass Gott die Sache nicht entgleiten lässt.
Oder denkt an die Überbevölkerung in manchen Ländern, Deutschland zählt nicht dazu. Immer mehr Menschen, und wie wird das in Zukunft aussehen?
Vielleicht erinnert ihr euch an die Wirtschaftskrise, die lange Zeit als die schwerste seit 1930 galt. Auch da gibt es Unsicherheiten.
Vielleicht habt ihr auch persönliche Unsicherheiten erlebt: eine Krankheitsdiagnose mit unklarem Ausgang, oder ein Arbeitgeber, der nicht sicher sagen kann, ob er euch in sechs Monaten noch beschäftigt.
Oder ihr habt Kinder, bei denen ihr nicht genau wisst, wie es weitergeht, weil sie sich momentan nicht so verhalten, wie ihr es euch wünscht.
Das sind Beispiele aus dem persönlichen Leben und aus der Umwelt: politische, wirtschaftliche und ökologische Herausforderungen, bei denen wir Hoffnung brauchen.
Diese Hoffnung ist keine blinde Hoffnung. Als Christen glauben wir, dass Jesus die Welt in der Hand hat, dass er eingreifen wird und zu seinem Versprechen steht.
Gott hat gesagt, es wird nicht aufhören Saat und Ernte, Sommer und Winter, bis Gott es anders bestimmt.
Trotz aller Eingriffe der Menschen hält Jesus die Welt in seiner Hand, hält unser Leben, das Leben unserer Kinder und unseres Staates in seiner Hand.
Darauf sollen wir unsere Hoffnung setzen – auf Jesus.
Das bedeutet nicht, dass wir uns zurücklehnen und nichts mehr tun sollen. Das ist kein Wort für Faulpelze.
Es ist ein Wort für Menschen, die sich viele Sorgen machen, die die Probleme sehen – nicht erfunden, sondern real – und merken, dass sie an ihre Grenzen kommen.
Auch alle anderen Menschen stoßen an Grenzen.
In solchen Situationen müssen wir unser Vertrauen auf Gott setzen, auf Jesus Christus, der unsere Hoffnung ist.
Die persönliche Beziehung zu Timotheus
An Timotheus, meinem echten Kind im Glauben.
Paulus spricht Timotheus hier besonders an mit der Bezeichnung „mein echtes Kind“. Was meint er damit? Tatsächlich ist Timotheus nicht sein leiblicher Sohn, denn Paulus war unverheiratet. Mit „mein Echtes“ meint er vielmehr „mein wahres“ oder „mein wirkliches“ Kind, also ein geistliches Kind.
Timotheus war der engste Mitarbeiter von Paulus. Wir lesen davon in Apostelgeschichte 16,1, wo Paulus ihn beruft und ihn bereits als „Kind“ bezeichnet. Auch in 1. Korinther 4,17 wird Timotheus als sein wahres Kind genannt. Er ist Paulus’ Lieblingsschüler, mit keinem anderen steht er in so inniger Verbindung.
„Echtes Kind“ könnte auch bedeuten, dass Paulus ihm Mut machen will, indem er sagt: „Du bist vollwertig!“ Später im Brief sagt Paulus auch: „Niemand verachte dich wegen deiner Jugend.“ Offenbar gab es Leute, die Timotheus angegriffen haben, und Paulus stellt hier klar: Du bist mein echtes Kind.
Der Begriff „echt“ könnte sich auch darauf beziehen, dass Paulus nach damaligen jüdischen Vorstellungen nicht als vollwertiger Jude galt. Ein großer Teil der Christen damals waren Judenchristen, und Timotheus wurde von manchen von ihnen abgelehnt. Warum? Seine Mutter war Jüdin, sein Vater Grieche. Aus Sicht der Juden war das problematisch.
Seine Mutter, Eunike, wird im 2. Timotheus 1,5 vorgestellt; sie kommt aus Lystra, wo auch Timotheus geboren wurde. Seine Großmutter heißt Lois. Der Vater wird nicht namentlich erwähnt. Das liegt nicht daran, dass er verachtet wird, sondern weil er für die Gemeinde keine Rolle spielt. Möglicherweise war er nicht gläubig oder zum Zeitpunkt, als Timotheus zu Paulus kam, bereits verstorben. Wir wissen es nicht genau.
Auf jeden Fall war er kein Jude, und deshalb wurde Timotheus von manchen Juden als weniger wert angesehen. Paulus möchte ihm deshalb zusprechen: Du bist mein echtes Kind, egal was andere von dir denken. Er steht zu ihm – als Ermutigung für das, was noch kommt.
Timotheus wird häufig als Mitarbeiter Paulus’ erwähnt und oft als Bote geschickt. Als Paulus in Athen war, schickte er Timotheus als Boten nach Mazedonien und Korinth, um dort einen Streit in der Gemeinde zu schlichten. Später wird er nach Thessalonich gesandt, um die Gemeinden zu beraten. Als Stellvertreter Paulus’ ist er in Philippi und spricht dort mit den Gemeinden. Manchmal überbringt er auch Briefe. Timotheus ist also viel für und mit Paulus unterwegs.
Paulus schreibt: „Gnade, Barmherzigkeit und Friede sei mit dir.“ Diese Grußformel findet sich häufig in seinen Briefen.
„Gnade“ stammt vom griechischen Wort Charis, das „Gnadengabe“ bedeutet – alles, was Gott schenkt. „Barmherzigkeit“ zeigt, dass Gott uns nicht einfach laufen lässt, sondern uns immer wieder nachgeht. „Friede“ ist hier das umfassende Wohlsein, der vollkommene Friede Gottes, der nach jüdischer Vorstellung erst in der Gegenwart Gottes vollständig erfahrbar ist. Paulus wünscht, dass Timotheus bereits einen Abglanz davon erfährt.
Interessant ist, dass Paulus zwischen Gnade und Friede die Barmherzigkeit stellt. Das macht er nicht in jedem Brief. Warum hier?
Ich sehe zwei Gründe: Zum einen will Paulus deutlich machen, dass Gott unser Retter ist, wie er es im ersten Vers sagt. Gott übt Barmherzigkeit mit uns, und das wünscht Paulus auch Timotheus. Zum anderen wünscht er Timotheus diese Barmherzigkeit auch für andere Menschen. Ein großer Teil des ersten Timotheusbriefes beschäftigt sich mit Irrlehrern, die die Gemeinde in die Irre geführt haben. Paulus sagt, man soll streng mit ihnen umgehen, wo nötig, aber auch barmherzig, damit sie zurückgewonnen werden. Diese Haltung steckt hier mit drin.
Paulus schließt den Gruß mit den Worten: „Sei mit dir von Gott, unserem Vater, und Jesus Christus, unserem Herrn.“ Hier werden Gott, der Vater, und Jesus Christus, der Herr, auf eine Stufe gestellt. Das ist ein Hinweis auf ihre Gleichwertigkeit.
Der Titel „Vater“ ist typisch neutestamentlich. Im Alten Testament wird Gott nur selten als Vater bezeichnet, und dann meist als Vater des Volkes Israel. Im Neuen Testament ist Gott der individuelle Vater jedes Gläubigen.
Soweit zu den einleitenden Worten.
Warnung vor Irrlehren und Anweisungen für Timotheus (Verse 3–11)
Und dann haben wir den nächsten Abschnitt, der von Vers 3 bis Vers 11 reicht:
„Ich habe dich ja bei meiner Abreise nach Mazedonien ermahnt, in Ephesus zu bleiben, damit du gewissen Leuten gebietest, keine fremden Lehren zu verbreiten und dich auch nicht mit Legenden und endlosen Geschlechtsregistern zu beschäftigen, die mehr Streitfragen hervorbringen als göttliche Erbauung im Glauben. Das Endziel des Gebotes aber ist Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben. Davon sind einige abgeirrt und haben sich unnützem Geschwätz zugewandt. Sie wollen Lehrer des Gesetzes sein und verstehen doch nicht, was sie verkündigen und als Gewiss hinstellen. Wir wissen aber, dass das Gesetz gut ist, wenn man es gesetzesgemäß anwendet und berücksichtigt, dass einem Gerechten kein Gesetz auferlegt ist, sondern Gesetzlosen und Widerspenstigen, Gottlosen und Sündern, Unheiligen und Gemeinen, solchen, die Vater und Mutter misshandeln, Menschen töten, Unzüchtigen, Knabenschändern, Menschenräubern, Lügnern, Meineidigen, Oreidigen und was sonst noch der gesunden Lehre widerspricht. Nach dem Evangelium der Herrlichkeit des glückseligen Gottes, das mir anvertraut worden ist.“
Paulus beginnt in Vers 3: „Ich habe dich ja bei meiner Abreise nach Mazedonien ermahnt, in Ephesus zu bleiben, dass du gewissen Leuten gebietest“ und so weiter.
Die Ausgangsposition ist: Paulus war in Ephesus gewesen und ist dann abgereist auf seiner weiteren Missionsreise, um in Mazedonien zu predigen. Weil in Ephesus noch einige Dinge zu regeln waren, hat er Timotheus zurückgelassen und gibt ihm jetzt Anweisungen, wie er sich dort weiter verhalten soll.
Als Erstes wird uns gesagt, dass er gewisse Leute ermahnen soll. Das Wort „gewisse Leute“ klingt schon ein bisschen ominös. Man kann sich die Frage stellen, warum Paulus diese gewissen Leute nicht beim Namen nennt. Ich habe den Eindruck, dass es sich auf Leute bezieht, die wir auch im weiteren Verlauf des ersten Timotheusbriefes noch erwähnt finden. Dort spricht Paulus darüber, dass er diese selbst auch ermahnen musste, zum Beispiel am Ende von Kapitel 1, Vers 20. Zu ihnen gehören Hymenäus und Alexander, die er dem Satan übergeben hat.
Was das mit dem Satan bedeutet, wird hier nicht geklärt, das kommt später dran. Aber offenbar gab es einige wenige Leute in der Gemeinde, die Unruhe gestiftet haben. „Gewisse Leute“ heißt ja eine kleinere Gruppe, nicht die Mehrheit und auch nicht die ganze Gemeinde. So erleben wir das heute häufig auch: Die Leute, die in der Gemeinde Unruhe bringen, sind meistens einige wenige.
Das Wichtige ist, darauf zu achten und diese nicht zum Sprecher der Gesamtheit werden zu lassen. Genau dafür wird Timotheus aufgerufen: Achte besonders auf jene, die Unruhe in die Gemeinde hineinbringen, eben diese Irrlehrer. Hier werden zwei mit Namen genannt. Warum? Weil sonst die ganze Gemeinde Schaden nehmen kann.
Auf der anderen Seite – und das wird im ersten Timotheusbrief deutlich – soll man sie zurechtweisen, wie es im Folgenden noch kommt. Danach soll man sich aber der eigentlichen Gemeindearbeit widmen.
Mit diesen Irrlehrern, mit den Leuten, die Probleme in der Gemeinde machen, gibt es zwei falsche Verhaltensweisen. Die eine ist, ihnen gar keine Aufmerksamkeit zu schenken, in der Hoffnung, das regelt sich von selbst. Aber das passiert meistens nicht.
Was machen diese Leute? Es wird im Folgenden erwähnt, was für Leute das sind, zum Beispiel, dass sie sich als Lehrer aufspielen. In Vers 7 steht: „Sie wollen Lehrer des Gesetzes sein und verstehen doch nicht, was sie verkündigen.“ Das heißt, sie treten öffentlich auf und behaupten, Gott habe ihnen etwas offenbart. Sie sind nicht still und leise mit ihrer Lehre, sondern werben damit und ziehen andere mit sich.
Wenn man als Gemeindeleiter nicht aufpasst, kann es sein, dass ein großer Teil der Gemeinde irgendwann abwandert oder irregeführt wird. Eine falsche Verhaltensweise ist es, die Sache einfach zu ignorieren und zu hoffen, das geht von selbst vorbei.
Die andere Gefahr ist, diesen Leuten zu viel Aufmerksamkeit zu widmen, sich nur noch auf sie zu konzentrieren, sich wochenlang oder monatelang mit ihnen zu treffen und zu diskutieren, ohne einen Punkt zu setzen, an dem man sagt: Jetzt ist Schluss.
Manche Irrlehrer nutzen das bewusst, um alle Kräfte der Gemeinde zu binden, sodass man sich nicht mehr der guten Lehre widmen kann. Dann widmet man alle Zeit nur einer kleinen Gruppe, und die anderen 90 Prozent der Gemeinde gehen leer aus. Das ist genauso falsch.
Was Paulus hier deutlich macht, ist: Zeig ihnen klar, wo es langgeht, und widme dich dann wieder deiner eigentlichen Aufgabe. Es scheint, als ob diese Leute auch aus der Gemeinde ausgeschlossen werden, also eine Art Gemeindezucht stattfindet.
Auch wenn wir nicht im Detail wissen, was „dem Satan übergeben“ bedeutet, scheint es deutlich zu sein: Wer Gemeindemitglied ist und in der Nähe Gottes, kann nicht dem Satan übergeben werden. Hier sind offenbar Leute gemeint, die von der Gemeinde abgeschnitten werden, sowohl zu ihrer eigenen Korrektur als auch zum Schutz der Gemeinde.
Ganz Ähnliches lesen wir am Anfang des zweiten Korintherbriefes, wo Paulus einige Irrlehrer unter Gemeindezucht stellt und später sagt, dass diese eingesehen haben, dass es falsch war, bereut haben und wieder mit Liebe aufgenommen werden.
Das Ziel jeder Gemeindezucht ist also nicht Bestrafung, sondern nach Möglichkeit die Umkehr des anderen.
Was soll Timotheus tun? Er soll gewissen Leuten gebieten. Der Begriff „gebieten“ ist eigentlich militärisch. Das heißt, wie ein Offizier im Militär, der einen Befehl gibt: „Los, Angriff, Marsch!“ Paulus sagt: Du sollst mit diesen Leuten nicht lange diskutieren, denn diese selbsternannten Lehrer diskutieren endlos und nicht heimlich, sondern öffentlich.
Du sollst auftreten, denn du hast die Autorität von Gott, nutze sie und sage ihnen: „Schweig!“ Wenn sie noch etwas sagen wollen, sage: „Ich habe alles gehört, die Sache ist falsch, entweder schweigen oder gehen.“
Das heißt nicht, dass Paulus zu Beginn mit ihnen streitet. Er kannte sie offenbar schon, hatte mit ihnen zu tun, aber irgendwann muss man sagen: Schluss, jetzt ist vorbei.
Manchmal diskutieren diese Leute endlos, und Paulus will das nicht. Wichtig ist, dass diese Anweisung nicht für Machtmenschen gedacht ist, die jede Diskussion im Keim ersticken wollen. Es geht hier um Irrlehrer, die keine Leitungsverantwortung haben, sondern Unruhe stiften und falsche Lehren verbreiten.
Das ist keine Aufforderung zum Machtmissbrauch in der Kirche oder Gemeinde, das gibt es nämlich auch. Aber wenn es um Irrlehre geht, soll man klar eingreifen.
Was sollen sie nicht tun? Sie sollen keine fremden Lehren verbreiten. Was ist mit fremden Lehren gemeint? Das sind Lehren, die nicht der Lehre Jesu entsprechen.
Ähnliche Ermahnungen finden wir in Kapitel 6, Vers 3, wo es heißt: „Wenn jemand fremde Lehre verbreitet und nicht die gesunden Worte unseres Herrn Jesus Christus annimmt und die Lehre der Gottesfurcht entspricht, so ist er aufgeblasen, versteht nichts und so weiter.“
Da geht es um dieselben Irrlehrer. Dort wird deutlich gemacht, was diese fremde Lehre ist: Sie entspricht nicht den gesunden Worten Jesu Christi. Das ist die fremde, die andersartige Lehre.
Diese treten auf und verkünden Lehren, die mit der Bibel nichts zu tun haben, sich aber fromm anhören. Das ist die Gefahr der Irrlehrer: Wenn sie von vornherein vollkommen absurde Sachen reden würden, hätten sie wahrscheinlich weniger Anhänger.
Die Gefahr ist, dass sie fromm reden, vieles richtig ist, aber im Kern eine fremde Lehre vertreten, die nicht mit Jesus übereinstimmt.
Was tun diese Irrlehrer noch? Sie beschäftigen sich mit Legenden und endlosen Geschlechtsregistern. Das wollen sie auch nicht tun, aber sie tun es.
Was kann mit Legenden gemeint sein? Es könnten Leute sein, die aus dem griechischen Hintergrund kommen. Dort gab es viele Legenden über Göttergeschichten, was der eine Gott getan hat, was der andere getan hat, und diese Geschichten wurden teilweise auch auf Jesus angewandt.
Wir wissen, dass es solche Strömungen gab, zum Beispiel in der Gnosis. Die Gnosis ist eine Art frühchristliche Esoterik, die Elemente der Bibel und der Lehre Jesu aufgenommen hat, aber mit vielen Details und Einzelheiten ausgeweitet wurde.
Diese finden wir heute in sogenannten apokryphen Evangelien, die nicht in der Gemeinde entstanden sind, sondern in sektiererischen Strömungen der Gnosis.
Auch im Judentum gab es eine intensive Beschäftigung mit Geschlechtsregistern. Im Alten Testament finden sich zahlreiche Geschlechtsregister, die manchen Menschen zu einfach waren.
Deshalb haben sie, wie Paulus in Titus 1, Vers 14 schreibt, darüber spekuliert. Bis heute gibt es Gruppierungen in der Kabbala, die im späteren Mittelalter entstanden ist. Dort werden den einzelnen Aussagen der Bibel, besonders den Geschlechtsregistern, bestimmte Bedeutungen beigemessen.
Man sagt, das war nicht nur diese Person, sondern man muss genau hinschauen, was die Worte bedeuten. Die Worte könnten etwas über den Aufbau des Universums aussagen, oder Geister oder Götter mitgemeint sein, in verkürzter Form.
Häufig kommen noch Zahlenspekulationen hinzu. Diese Ideen findet man in der Kabbala, aber auch in der Gnosis. Diese behaupten, der normale Bibelleser sehe nur oberflächlich, was in der Bibel steht. Der Bibelleser mit der „wahren Erkenntnis“ erkenne die eigentliche Bedeutung dahinter.
Vor einigen Jahren gab es das Buch „Der Bibelcode“. Dort wurde gezeigt, wie die Bibel angeblich jedes Ereignis der Zukunft und Vergangenheit vorhersagt.
Ein jüdischer Journalist hatte alle hebräischen Buchstaben nacheinander aufgereiht und mit Computersystemen Worte, Namen und Daten herausgeholt. Er fand zahlreiche Ereignisse der Vergangenheit.
Das Problem war, dass die Voraussagen für die Zukunft nicht stimmten. Er korrigierte einige Fehler in einer zweiten Auflage, aber auch dort stimmte die Zukunft nicht.
Das zeigt, dass man in der Vergangenheit immer irgendetwas finden kann, wenn man nur sucht. Man kann Geschlechtsregister von vorne nach hinten oder umgekehrt lesen, oder quer, und irgendetwas finden, was scheinbar Bedeutung hat. Für die Gemeinde ist das aber sinnlos.
Vielleicht kennt ihr solche Leute, die ihr Lieblingshobby darin haben, solche Dinge zu studieren. Ich erinnere mich an jemanden in einer Gemeinde, der jedes Detail aus der Offenbarung deuten wollte. Er konnte stundenlang darüber reden, wer der „Gog von Magog“ ist, und nannte dafür zig Bibelstellen.
Welche Bedeutung hat das für das Leben? Keine. Aber es ist spannend.
Oder Leute, die sich ausmalen, wie es vor der Welt war, bevor Gott sie geschaffen hat. Zum Beispiel die Idee der Präadamiten, Menschen, die vor Adam gelebt haben sollen.
Manche sagen, die Erde war wüst und leer, und Gott ist ein Gott der Ordnung. Also muss vorher schon eine perfekte Welt existiert haben, mit Menschen, die alle gestorben sind. Das sind die Präadamiten, und danach kam die Schöpfung, wie wir sie heute kennen.
Wer sagt uns, ob das stimmt? In der Bibel steht nicht viel darüber, aber man kann darüber spekulieren.
Das waren nur zwei Beispiele. Wenn das euer Lieblingshobby ist, seid mir nicht böse. Ich will euch nicht aufs Korn nehmen. Wir können darüber gerne diskutieren.
Ich habe den Eindruck, dass solche und ähnliche Dinge bei Christen oft ein zu großes Gewicht bekommen. Das sind persönliche Überlegungen, die für die Gemeinde nicht relevant sind, selbst wenn man nicht eindeutig sagen kann, ob sie richtig oder falsch sind.
Hier wird ein Beispiel genommen: Legenden, also frei erfundene Göttergeschichten oder Details aus Geschlechtsregistern, die sonst niemand kennt.
Paulus sagt, warum man das nicht machen soll: Erstens, weil es nicht die Lehre Jesu ist, der sich damit nicht beschäftigt hat. Zweitens, weil solche Dinge mehr Streitfragen hervorbringen als göttliche Erbauung im Glauben.
Hier klingt für Paulus ein gewisser Pragmatismus durch. Die Bibel ist in gewisser Hinsicht positiv pragmatisch.
Man könnte sagen: Wenn es die Wahrheit ist, dass in den Geschlechtsregistern etwas steht, was bisher niemand erkannt hat, dann kann man ja eine Doktorarbeit darüber schreiben. Diese Doktorarbeit wird kaum jemand lesen, verstaubt im Schrank, aber man stört wenigstens niemanden damit.
Das Problem war, dass diese Leute herumdiskutierten und nur Unruhe in der Gemeinde stifteten, sonst nichts.
Paulus sagt: Diese Dinge bringen Streitfragen hervor, wo die Gemeinde sich einig sein könnte, wird sie durch Details gespalten.
Das gibt es bis heute. Ich weiß nicht, ob ihr in anderen Gemeinden unterwegs seid. Ich bin das, und manchmal ist das zum Haare ausreißen, worüber Gemeinden streiten.
Neulich war ich in einem intensiven Gespräch darüber, wie das mit dem heiligen Kuss der Liebe ist. Es gab eine große Diskussion: Ist das symbolisch oder wörtlich gemeint?
Die einen sagen, es ist nicht wörtlich gemeint, weil es unmoralisch wäre, wenn sich alle gegenseitig abschmatzen. Also muss es symbolisch sein.
Die anderen sagen, es ist ein Ausdruck besonderer Innigkeit und Liebe.
Da kann man trefflich streiten. Wenn ihr Streit vermisst, können wir das gerne machen: Pro und Contra, und am Ende umarmen und einen Kuss geben.
Nee, das geht nicht, denn die einen meinen, es sei nur symbolisch, die anderen meinen, es sei wörtlich.
In einer anderen Gemeinde war ich, da gab es großen Streit darüber, ob man beim Abendmahl Wein oder Saft nimmt. Einige spalteten sich sogar ab.
Diese Frage ist durchaus wichtig, und ich habe da auch meine Überzeugung, aber ich glaube nicht, dass man daraus einen Riesengemeindestreit machen sollte.
Über manche Sachen lohnt es sich zu streiten, aber das sind die Basics im christlichen Glauben, die darf man nicht einfach über Bord werfen.
Manche sagen: „Ach, du betest halt zu Buddha, ich bete zu Jesus, macht doch nichts, gestalten wir unseren Gottesdienst um, singen Mantras.“ Das gibt es tatsächlich, auch in deutschen evangelikalen Freikirchen.
Da muss man kämpfen. Es geht um den Kern: Ist Gott nun Gott? Gibt es verschiedene Wege zu Gott oder nicht? Da muss man kämpfen.
Aber bei anderen Sachen sollte man die richtige Stellung haben.
Paulus sagt: Diese Dinge bringen mehr Streitfragen hervor als göttliche Erbauung im Glauben.
Das bedeutet, die eigentliche Aufgabe in der Gemeinde ist die göttliche Erbauung im Glauben.
Wie wir das tun, erwähnt Paulus später noch. Aber wir sollen nicht unsere Privathobbys oder persönlichen Erkenntnisse in den Mittelpunkt stellen, sondern zur Erbauung der Gemeinde beitragen.
Sind die Ältesten und die Gemeindeleitung nicht dafür zuständig?
Hier steht: Das Endziel des Gebotes ist Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben.
Diese Gruppe, die dort gelehrt hat – Paulus bezieht sich später noch darauf – hat offenbar das Gesetz des Alten Testaments missinterpretiert.
Wir wissen, dass es das in der frühen Gemeinde häufig gab: Leute, die meinten, man müsse noch Gebote einhalten, um gerettet zu werden.
Davon warnt Paulus an dieser Stelle. Es geht nicht darum, Gebote einzuhalten, sondern um das Ziel des Gebotes: Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben.
Warum nicht einfach Liebe, wie manche meinen, wo man sich liebt, ist alles in Ordnung? Das wird heute manchmal argumentiert: „Wir lieben uns, das ist von Gott.“ Oder bei gleichgeschlechtlichen Paaren: „Wir lieben uns, das ist von Gott.“
Was die Liebe Gottes entspricht, müssen wir Gott selbst fragen.
Der Begriff hier ist die Agape-Liebe. Das ist nicht irgendeine sexuelle oder geschwisterliche Liebe, sondern die Agape-Liebe, die von Gott kommt.
Wie Gott diese Agape-Liebe definiert, können wir nicht selbst bestimmen, sondern müssen darauf schauen, wie Gott das tut.
Man kann sagen, sexuelle Liebe ist Liebe, aber das ist nicht die hier gemeinte Liebe.
Die Liebe Gottes ist eine ganz andere Ebene, die auch da ist, wo körperliche Anziehung nicht vorhanden ist.
Diese Liebe wird näher beschrieben: aus reinem Herzen, gutem Gewissen, ungeheucheltem Glauben.
Reines Herz bedeutet unbelastet von anderen Göttern. Das Herz ist die Willensinstanz. Wovon ist dein Wille geprägt? Hier ist er rein, also unvermischt, ganz auf Gott ausgerichtet.
Das Gegenteil wäre zwiespältig oder vermischt.
Das Gewissen bezeichnet die Moral. Hier hat man die Liebe mit gutem Gewissen, also im Einklang mit Gottes Willen.
Manche sündigen mit gutem Gewissen, weil ihr Gewissen abgestumpft ist. Aber hier ist ein empfängliches Gewissen gemeint, das Gottes Stimme hört und mit der Liebe übereinstimmt.
Als Drittes wird ungeheuchelter Glaube genannt, also echte Motive, keine falschen Beweggründe, um eigene Vorteile zu ziehen.
Diese Liebe ist ganz auf Gott ausgerichtet. Das ist das Ziel des geistlichen Lebens in der Gemeinde, nicht endlose Streitfragen über Details.
Von dieser positiven Liebe und Erbauung sind einige abgeirrt und haben sich unnützem Geschwätz zugewandt.
Abgeirrt heißt, sie haben sich vom wahren Glauben abgewandt.
Unnütz ist dieses Geschwätz, weil es den Glauben nicht voranbringt oder die Menschen näher zu Gott bringt.
Sie wollen Lehrer des Gesetzes sein. Hier ist das alttestamentliche Gesetz gemeint.
Das deutet darauf hin, dass es sich möglicherweise um jüdische Irrlehrer handelt.
Aber sie verstehen nicht, was sie verkündigen und als Gewiss hinstellen.
Sie reden etwas, aber im Kern verstehen sie nicht, worum es wirklich geht.
Warum wollen sie Lehrer sein? Hier ist nicht Lehrer an einer Schule gemeint, sondern Gemeindelehrer.
Wahrscheinlich sehen sie das Prestige, das Lehrer im jüdischen und teilweise auch im christlichen Umfeld damals hatten.
Im jüdischen Umfeld war das eine Ehrenbezeichnung, wie manche zu Jesus sagten: „Rabbuni, mein Herr, mein Meister.“
Im Christentum war das noch nicht so etabliert, aber diese Irrlehrer träumen davon, Anerkennung zu bekommen, dass man ihnen zuhört und sie bewundert.
Deshalb stellen sie sich auf und reden, obwohl sie das Evangelium nicht verstanden haben.
Wir wissen, dass das Gesetz gut ist, wenn es gesetzesgemäß angewandt wird.
Diese Irrlehrer reden viel über das Gesetz, aber wenden es nicht richtig an.
Paulus erwähnt in fast allen Briefen den richtigen Umgang mit dem Gesetz.
Es gibt damals und heute zwei extreme Gruppen: Die einen werfen das Gesetz ganz über Bord, nach dem Motto: „Wir sind frei, es gibt keine Grenzen mehr, wir können tun, was wir wollen.“
Das ist nicht, was Paulus oder Jesus predigen. Jesus sagt in der Bergpredigt: Wer eines der geringsten Gebote wegstreicht, wird der Letzte im Himmelreich sein.
Jesus ist nicht dafür, Gebote einfach abzuschaffen.
Die andere Gefahr ist, dass Leute gesetzlich werden und neue Gebote erfinden, die nicht in der Bibel stehen.
Es gibt zahlreiche Gruppen, die das tun.
Denkt an die Zeugen Jehovas: Dort darf man keine Bluttransfusionen, keine Geburtstage oder Weihnachten feiern, keine Karriere machen, keine Schriften außerhalb des Wachtturms lesen und vieles mehr.
Oder die Adventisten, die viele Speisegebote haben und nur am Samstag Gottesdienst feiern dürfen, nicht am Sonntag, sonst haben sie das Mal des Tieres und gehen verloren.
Dort gibt es viele Gebote, die man irgendwo in der Bibel zu finden glaubt.
Paulus sagt: Das Gesetz wird nicht gesetzesgemäß benutzt, sondern um Druck aufzubauen, um sich selbst besser dastehen zu lassen.
Manche Gebote stehen so gar nicht in der Bibel.
Ich kenne Gemeinden, wo es göttliches Gebot ist, dass Frauen Röcke tragen müssen.
Ein Gemeindeleiter sagte mir, eine Frau, die keinen Rock trägt, kommt nicht ins Himmelreich.
Das klingt fromm, ist es aber nicht.
Die Bibel sagt, ein Mann soll Mann bleiben und eine Frau Frau, aber Details werden nicht genau geregelt.
Wenn man solche Lehren aufbaut, gibt es Probleme.
Wir müssen uns selbst hinterfragen, denn wir erkennen die Gebote, die andere aufbauen, meist schneller als die, die wir selbst über den Glauben hinaus aufbauen.
Paulus sagt: Das Gesetz ist gut, aber nur, wenn es gesetzesgemäß angewandt wird.
Er berücksichtigt, dass dem Gerechten kein Gesetz auferlegt ist.
Das heißt: Wer durch Jesus gerettet ist, braucht das Gesetz nicht mehr, um sich zu rechtfertigen, weil er seine Unfähigkeit erkannt hat.
Das bedeutet nicht, dass das Gesetz keine Bedeutung mehr hat.
Das Gesetz zeigt uns, wie Gott denkt, wie Gott Liebe versteht und wie wir unser Leben führen sollen – aber nicht, um gerettet zu werden.
Das war offenbar das Hauptproblem dieser Irrlehrer.
Dann wird im Einzelnen gesagt, für wen das Gesetz ist.
Es ist nicht für die Gerechten, die wissen, dass sie Sünder sind, um Vergebung gebeten haben und diese bekommen haben.
Es ist für Gesetzlose, das heißt, für diejenigen, die gegen das Gesetz des Alten Testaments sind und dagegen kämpfen.
Dann sind die Widerspenstigen gemeint, die zwar wissen, worum es geht, aber innerlich dagegen sind.
Dann die Gottlosen, also Atheisten, die von Gott nichts wissen wollen.
Dann die Sünder, die Sünde tun.
Unheilige und Gemeine, die alles ablehnen, was in der Bibel als positiv erwähnt wird.
Dann folgen Beispiele, die den Zehn Geboten entsprechen.
Die Unheiligen, Widerspenstigen, Gottlosen verstoßen gegen die ersten Gebote: Du sollst keine anderen Götter neben mir haben, du sollst meinen Namen nicht missbrauchen usw.
Die weiteren Beispiele beziehen sich auf Sünden gegenüber anderen Menschen.
Da steht „gemein“, was auch Vater und Mutter misshandeln einschließt.
Manchmal frage ich mich, was für Leute damals in der Gemeinde waren. Heute geht es meist friedlich zu, aber damals gab es offenbar Menschen, die Vater und Mutter misshandelten.
Es gibt Berichte, dass manche Kinder ihre pflegebedürftigen Eltern quälen.
Vielleicht aus Rache oder weil sie genervt sind.
Damals gab es keine Pflegeeinrichtungen; die Alten lebten zu Hause.
Dass Paulus das erwähnen muss, zeigt, wie schwerwiegend das war.
Dann Menschen töten, also Mörder. Im Sinne Jesu ist schon jemand, der böse über seinen Bruder denkt, ein Mörder, aber hier ist der leibhaftige Mord gemeint.
Unzüchtige und Knabenschänder: Unzüchtig ist jeder Missbrauch der Sexualität über das von Gott gegebene Maß hinaus, besonders Ehebruch und Homosexualität.
Knabenschänder sind Erwachsene, die Minderjährige gleichen Geschlechts missbrauchen.
Menschenräuber waren damals weit verbreitet, Leute wurden gestohlen und in die Sklaverei verkauft.
Lügner und Meineidige, die vor Gericht falsch schwören.
Und was sonst noch der gesunden Lehre widerspricht.
Für all diese Menschen, die sich nicht nach Gottes Wort ausrichten, ist das Gesetz da.
Warum? Weil das Gesetz zuerst zeigt: Ich bin sündig, ich bin schuldig, ich kann es allein nicht schaffen.
Das Gesetz ist kein Mittel, selbstgerecht zu werden, sondern ein Spiegel, der uns vorgehalten wird: Schau dich an!
Deshalb heißt es: Für diese Menschen ist das Gesetz da, damit sie erkennen, dass sie auf dem falschen Weg sind und umkehren müssen.
Wenn hier von gesunder Lehre gesprochen wird, ist das wörtlich gemeint. Das griechische Wort heißt wirklich „gesund“, nicht nur „schön“ oder „angemessen“.
Gesund kann bedeuten: nicht krankhaft.
Krankhaft ist das, was uns krank macht und von Gott wegführt.
Gesund ist das, was uns geistlich, seelisch und körperlich gut tut.
Wer dauerhaft Gottes Ordnung überschreitet, wird auch körperlich krank.
Ich will nicht sagen, dass jeder Gläubige immer gesund ist, aber wer Gottes Regeln missachtet, wird oft körperlich oder psychisch krank.
Das ist eine Lebenserfahrung.
Wer seinen Körper nicht achtet, wird ihn zerstören.
Wer seine Schuld nicht loswird, wird innerlich krank oder hat Probleme mit anderen Menschen.
Hier endet der Abschnitt mit Vers 11: „Nach dem Evangelium der Herrlichkeit des glückseligen Gottes, das mir anvertraut worden ist.“
Die Lehre, die Paulus verkündet, ist eine gesund machende Lehre: geistlich durch Vergebung der Sünde, seelisch durch klare Maßstäbe für den Umgang mit anderen, körperlich durch Prinzipien für den Umgang mit dem eigenen Körper.
Zum Beispiel warnt die Bibel vor Alkoholismus.
Das ist die Botschaft Gottes, die uns weiterhilft und Perspektive gibt.
Das beachten die Irrlehrer nicht.
Bei ihnen sind Gesetz und Gebote nur Mittel zur Unterdrückung, um andere fertigzumachen und sich selbst als Lehrer zu feiern.
Abschluss und Ausblick
Machen wir hier einfach einmal einen Punkt für heute Abend, und an dieser Stelle machen wir morgen weiter.
Morgen setzt Paulus dem entgegen, wie er denn jetzt als Botschafter Jesu lebt, also wie ein Christ leben soll. Hier wurde beschrieben, so sind die Irrlehrer, das machen die falsch. Jetzt kommt dann morgen, wie Paulus meint, soll es denn richtig aussehen. Dann stellt er sein eigenes Leben dort ein bisschen als Maßstab dem gegenüber.
Ich hoffe, ihr könnt einige Sachen mitnehmen, gerade was unsere Beziehung angeht. Wir hatten ja gesagt, Botschafter Ein Christi statt, Jesus wird unsere Hoffnung sein, gerade in Schwierigkeiten, in denen wir auch im Alltag sein können. Dann haben wir diese Auseinandersetzung mit den Irrlehren, mit den endlosen Legenden, mit den Streitfragen, an denen man sich festbeißen kann, mit dem falschen Gebrauch der Liebe oder im richtigen Gebrauch der Liebe und dem falschen und richtigen Gebrauch der Gesetze und Gebote Gottes. Da ermahnt er uns.
Ich möchte an dieser Stelle gerne noch mit euch beten.
Herr Jesus Christus, vielen Dank für den ersten Timotheusbrief, über das, was wir da lesen können. Danke, dass sich daran manches widerspiegelt, was wir auch heute in unserer Umwelt miterfahren können und wo du uns hinweist auf Missstände in unserem eigenen Leben oder in unserer Gemeinde, in der wir sind.
Ich möchte dich bitten, dass du uns da Weisheit gibst, Weisheit, nicht im eigenen Auftrag aufzutreten, sondern wirklich auf dich zu hören und nur das weiterzugeben, was wirklich von dir kommt. Dass du uns davor warnst, eigene Ideen zu entwickeln und selbst in den Mittelpunkt stellen zu wollen oder irgendwelchen eigenen Hobbyideen, eigenen Lieblingsideen nachzugehen und statt geistlichem Wachstum nur Streit in die Gemeinde hineinzubringen.
Ich möchte dich bitten, dass du uns beibringst, richtig mit Liebe umzugehen, sie nicht zu missbrauchen und alles zu tun, was uns in den Sinn kommt, aber sie auch nicht zu unterdrücken und dann eben in eine Gesetzlichkeit hineinzukommen. Lasst uns auf der einen Seite erkennen, was dein Gesetz uns wirklich beibringen und sagen will, und auf der anderen Seite bewahre du uns davor, es zu benutzen, um andere Menschen zu unterdrücken.
Vielen Dank, dass du uns in dieser Situation nicht alleine lässt, sondern Weisheit gibst durch deinen Heiligen Geist. Amen.