Hanje lernt heute zu einem Thema, das mich seit Jahren sehr stark beschäftigt. Worum geht es?
Nächsten Samstag werde ich an einem Jugendevent mit jungen Erwachsenen teilnehmen. Ich freue mich sehr darauf, darüber zu sprechen, dass auch unsere Nachbarn säkular sind.
Ich verwende häufig die Begriffe Säkularismus, säkular und Säkularisierung. Wer näher wissen möchte, wie ich diese Begriffe definiere, dem empfehle ich das soziologische Werk von Charles Taylor, „Ein säkulares Zeitalter“.
Taylor beschreibt auf über tausend Seiten – ich bin selbst noch nicht ganz bei Seite tausend angekommen – wie sich die Gesellschaft gewandelt hat: von einer Gesellschaft mit einem offenen Universum, in der Gott selbstverständlich die oberste Größe war – das stelle ich jetzt mal so dahin –, hin zu einem Universum, in dem es viele Optionen gibt.
Dieses neue Universum ist für einen Menschen, der in Westeuropa aufwächst, prinzipiell geschlossen. Das heißt, er geht ohne die Denkannahme eines persönlichen, unendlichen Schöpfers aus, der ihn erschaffen hat und dem er Rechenschaft schuldig ist.
Wir wachsen also von klein auf in einer Umgebung auf, die im Denken und Handeln von der Annahme geprägt ist, dass es keinen Gott gibt. Oder, wenn doch, dann nur irgendeine unpersönliche Macht, die eigentlich nichts mit dem Leben und dem Alltag zu tun hat.
Das bedeutet, dass unsere innere Konfiguration, also unsere innere Schaltzentrale, eine zentrale Rolle spielt. Ich stelle mir das immer vor wie ein Schiff mit einer großen Leitzentrale, ausgestattet mit vielen Schaltern und Lämpchen, die aufleuchten. Diese geben ständig eine Vielzahl von Informationen weiter, verbunden mit einem Radar – einem inneren Radar.
So sieht auch unser Inneres aus. Wir haben unglaublich viele Erfahrungen, Erlebnisse, Situationen, Gefühle sowie Dinge, die wir bevorzugen oder ablehnen, in unserem Inneren gespeichert. Diese verdichten sich zu einer Gesamtsicht.
Wir sind zu 99 Prozent keine Menschen, die sich bei jeder kleinen Alltagshandlung überlegen, warum sie gerade ihren rechten Arm heben und wieder senken. Stattdessen sind wir Wesen, die automatisiert, also unbewusst, die ganze Zeit denken und mit diesen Denkvoraussetzungen unser Handeln steuern.
Das meine ich, wenn ich von innerer Konfiguration spreche. Die Bibel bezeichnet diese innere Konfiguration als Herz – als den Ort, von dem alle Entscheidungen ausgehen. Es geht dabei nicht nur um Gefühle, sondern um alles zusammen: unseren Verstand, unsere Gefühle und unseren Willen.
Es gibt also einen inneren Kommandoraum. Die kleinen Entscheidungen, die wir täglich, ja stündlich, ja fast jede Minute treffen, bestimmen unseren Langzeitkurs mit.
Das heißt, es geht nicht darum, dass wir an einem Tag mal etwas anders gelebt oder entschieden haben und dadurch unser Lebenskurs völlig umgekrempelt wird – es sei denn, es handelt sich um eine dramatische, einschneidende Erfahrung. Nein, so ist es nicht.
Aber unsere innere Konfiguration bestimmt unseren Langzeitkurs. So wie ein großes Schiff keine 180-Grad-Drehung machen kann, sondern wenn man den Kurs nur um ein Grad ändert, landet es nach zweitausend oder dreitausend Kilometern an einem völlig anderen Ort. Genau so ist es auch mit unserem Leben.
Nun stellt sich die Frage, wie unsere Konfiguration programmiert ist und von welchen Vorannahmen wir ausgehen. Dabei komme ich auf ein Thema zurück, das mich sehr beschäftigt: Wir werden doch von klein auf durch unsere Umgebung geprägt.
Wir wachsen in einem bestimmten Zeitgeist und in einem bestimmten Klima auf. Um dies zu veranschaulichen, möchte ich zwei Bilder verwenden.
Das erste Bild ist die Luft, die wir einatmen. Die Zusammensetzung der Luft nehmen wir zwar nicht bewusst wahr, aber wir atmen sie ein. Unsere Lunge ist ein sehr feines Organ in unserem Inneren. Sie hat eine Fläche, die, wenn man sie auseinanderlegt, der Größe eines Fußballfeldes entspricht. Je nachdem, welche Partikel die Lunge einatmet, bildet sich ein Film auf der Lunge. Das ist besonders deutlich bei Rauchern, die viele spezielle Stoffe einatmen, die ihre Lunge regelrecht „teeren“. Genauso nehmen wir mit dieser Luft den Zeitgeist und die Vorannahmen auf, die wir täglich in unsere Entscheidungen einfließen lassen.
Das zweite Bild ist das eines Stroms, eines Sogs. Sind Sie schon einmal in eine Strömung hineingesprungen und einfach mitgerissen worden? Wenn man sich nur eine Minute treiben lässt, merkt man plötzlich, dass man schon einen Kilometer oder zwei Kilometer weiter unten ist – oder zumindest einige hundert Meter. Dieses Bild beschreibt genau das, was ich sehe: Wir werden in den Strom unserer Zeit hineingeworfen. Wenn wir uns einfach darin ergeben und bedenkenlos von Tag zu Tag leben, werden wir von dieser Strömung mitgerissen. Wir werden von der Luft geprägt und vom Strom mitgetragen.
Das bedeutet, unsere innere Konfiguration, die sich über die Jahre, schon von klein auf, entwickelt, prägt unseren Lebensweg. Sie beeinflusst unser Denken und damit auch unser Handeln.
Nun ist es so, dass wir unsere innere Konfiguration praktisch kaum bewusst wahrnehmen. Hier gibt es einen guten Vergleich mit dem Auge selbst. Das Auge sieht sich ja nicht selbst, sondern hat die Funktion, nach außen zu sehen.
Wenn das Auge sich selbst sieht, ist das ein schlechtes Zeichen. Zum Beispiel, wenn ich Dinge an meinem Augapfel wahrnehme, sollte ich schnell zum Arzt gehen und prüfen lassen, ob etwas nicht in Ordnung ist, etwa eine Ablösung der Netzhaut. Normalerweise nimmt das Auge sich selbst nicht wahr.
Genau das sollten wir jedoch von Zeit zu Zeit mit unseren Denkvoraussetzungen, mit unserer inneren Konfiguration tun. Wir sollten sie in den Blick nehmen und uns fragen: Was sind die vielen Schalterchen beziehungsweise die Haupteinstellungen? Wie sind wir gefühlsmäßig, willensmäßig und verstandesmäßig geprägt? Und wie hat unsere Umgebung uns beeinflusst, wenn wir uns selbst betrachten?
Diese transzendierende Sicht auf uns selbst hat uns unser Schöpfer gegeben. Sie ermöglicht es uns, uns selbst zu betrachten, über uns zu reflektieren und nachzudenken.
Besonders Engpässe, Schwierigkeiten, Widerstände, Leiden, Probleme und Weggabelungen fördern diese Einstellungen ganz besonders zutage. Wenn Sie sich überlegen, wann Sie Ihre innere Konfiguration schon einmal richtig gespürt haben, dann war es meist in solchen Situationen: wenn Sie einen Verlust erlitten haben, wenn etwas nicht so gelang, wie Sie es sich vorgestellt hatten, wenn Sie krank wurden, einen Unfall hatten oder traumatische Einschnitte erlebten.
Dann kommen diese Grundeinstellungen plötzlich ans Licht, wie Ebbe und Flut. Der ganze Untergrund oder ein Teil davon wird sichtbar, und wir erschrecken vielleicht sogar über diese Grundeinstellungen.
Genau darum geht es: Diese Grundeinstellungen, diese innere Konfiguration einmal bewusst in den Blick zu nehmen. Dabei sollte man auf der einen Seite prüfen, was die wichtigsten Grundeinstellungen unserer säkularen Nachbarn sind. Wie sind sie programmiert? Wie sind sie eingestellt? Und wo unterscheiden sie sich von den christlichen Denkvoraussetzungen und von einer christlichen Konfiguration?
Ich glaube, dass wir, wenn wir das nicht bewusst tun, oft den Eindruck haben, wir seien ja Christen und denken sowie handeln christlich. Doch weil wir in dieser Strömung, in diesem Denkklima aufgewachsen sind, haben wir viele dieser Einstellungen automatisch in uns aufgenommen. Wir integrieren säkulare Denkvoraussetzungen in unseren christlichen Rahmen.
Ich würde sogar fast sagen, wir haben grundsätzlich einen säkularen Denkrahmen und einen säkularen Handlungsrahmen, in den nur einzelne christliche Elemente eingebettet sind. Manche dieser Elemente sind sogar fromm verziert, mit einem frommen Zuckerguss versehen. Das finde ich besonders gefährlich.
Darum fordert uns Paulus auch auf: Wir sollen unser Denken erneuern lassen. Interessanterweise hat dieser Prozess eine aktive und eine passive Komponente. Wir lassen unser Denken von Gott erneuern – das ist das Werk der Heiligung, das fortschreitende Neuprogrammieren unserer inneren Konfigurationen. Gleichzeitig ist es aber auch ein aktiver Denkprozess, der all unsere Kräfte in Anspruch nimmt.
Und genau darum wird es mir am Samstag gehen: dem Nachspüren dieser Konfigurationen und der Unterschiede zwischen einer säkularen Weltanschauung – das heißt, einer von einem geschlossenen Universum ausgehenden Denkweise – und einem theistisch-christlichen Welt- und Lebensbild.
Ich freue mich sehr auf diese Session und hoffe, dass Sie bereits jetzt von diesen Gedanken profitieren konnten.