Manchmal greife ich zu meinem Smartphone, um einer Person eine WhatsApp-Nachricht zu schreiben. In dem Moment sehe ich jedoch, dass ich inzwischen einige andere Nachrichten erhalten habe.
Bevor ich der Person dann tatsächlich schreibe, was eigentlich mein ursprüngliches Ziel ist, beantworte ich erst einmal all die anderen Nachrichten. Dabei bin ich gedanklich mit vielen anderen Themen beschäftigt. Am Ende, nachdem ich alles beantwortet habe, sitze ich da und frage mich: Was wollte ich eigentlich noch mal? Ich habe mich von meinem ursprünglichen Ziel ablenken lassen.
Vielleicht hat sich der eine oder andere auch schon einmal in einer solchen Situation wiedergefunden. Oder kennt ihr das Gefühl, auf der Autobahn eine Ausfahrt verpasst zu haben, obwohl das Navi an war? Da waren wir in Gedanken so sehr abgelenkt, dass wir die Ausfahrt und damit das Ziel verpasst haben.
Selbst in den kleinsten Alltagssituationen kann es passieren, dass wir das Ziel aus den Augen verlieren – sei es ein Teilziel oder ein kleines Ziel. Das ist oft ärgerlich, aber meistens nicht weiter tragisch.
Ich habe den Eindruck, dass wir manchmal nicht nur im Alltag unsere Ziele aus den Augen verlieren, sondern auch im Leben und in unserer Lebensweise das große Ziel oft übersehen.
Wir leben einfach so dahin, und das Leben gleicht einem Hamsterrad. Ein Tag vergeht nach dem anderen, eine Woche folgt auf die nächste, ein Monat geht vorbei. Mittlerweile ist Dezember, das Jahr neigt sich dem Ende zu. Da stellt sich die Frage: Wofür lebe ich eigentlich? Was ist das Ziel meines Lebens?
Ich ertappe mich selbst dabei, dass ich einfach nur so lebe. Wofür lebe ich eigentlich? Was ist das Ziel meines Lebens? Das Leben besteht doch nicht nur aus diesem Zyklus: Arbeiten, Schlafen, Essen. Arbeiten, Schlafen, Essen. Arbeiten, Schlafen, Essen. Montag arbeiten, Freitag Wochenende, Sonntag Gemeinde. Montag arbeiten, Freitag Wochenende, Sonntag Gemeinde.
Wofür leben wir? Was ist das übergeordnete Ziel in unserem Leben? Ich möchte uns heute alle einladen, ein zielgerichtetes Leben zu führen.
Das ist auch das Thema meiner Predigt: wie wir zielgerichtet leben können, wie wir bereits sehen können. Der Bibeltext stammt aus dem Philipperbrief, Kapitel 3, Verse 12 bis 21. Ich setze meine Reihe zum Philipperbrief damit fort.
Bevor wir zum Text kommen, möchte ich noch einmal ganz kurz etwas zum Zusammenhang sagen, zum unmittelbaren Kontext des heutigen Predigttextes. Ab Kapitel 3, Vers 1 beginnt Paulus, den Philippern einen Einblick in sein früheres Leben zu geben. Er sagt, dass er früher auf ganz andere Dinge gesetzt hat als heute.
Früher war ihm Erfolg total wichtig, sein geistliches Ansehen als Pharisäer war ihm sehr wichtig, ebenso sein Familienstammbaum. Doch dann kam Jesus in sein Leben. Seit dem Tag, an dem Jesus auf einer Straße, die nach Damaskus führte, in sein Leben trat, bewertet Paulus alle Dinge neu.
Alles, was ihm früher wichtig war, erachtet er jetzt für Dreck – genau dieses Wort verwendet Paulus. Er hält alles für Dreck, weil es ihn nicht gerecht macht und ihn nicht wirklich näher zu Gott bringt.
Paulus hat Christus kennengelernt. Christus übertrifft alles. Christus übertrifft in seiner Schönheit alles, in seinem Wert alles und in seiner Liebe alles. Ab diesem Tag lebt Paulus nur noch für diesen Jesus.
Das ist der Zusammenhang, und genau da setzt unser Predigttext an. Paulus schildert uns, wie ein zielgerichtetes Leben für Jesus aussieht.
Mein erster Punkt von zweien lautet: die volle Konzentration auf das Ziel.
Ich lese mal die Verse zwölf bis sechzehn an einem Stück vor:
Es ist also nicht so, dass ich das alles schon erreicht hätte oder schon am Ziel wäre. Aber ich setze alles daran, ans Ziel zu kommen und von diesen Dingen Besitz zu ergreifen, nachdem Jesus Christus von mir Besitz ergriffen hat.
Geschwister, ich bilde mir nicht ein, das Ziel schon erreicht zu haben. Eins aber tue ich: Ich lasse das, was hinter mir liegt, bewusst zurück, konzentriere mich völlig auf das, was vor mir liegt, und laufe mit ganzer Kraft dem Ziel entgegen, den Siegespreis zu bekommen — den Preis, der in der Teilhabe an der himmlischen Welt besteht, zu der uns Gott durch Jesus Christus berufen hat.
Wir alle, die der Glaube an Christus zu geistig reifen Menschen gemacht hat, wollen uns ganz auf dieses Ziel ausrichten. Und wenn eure Einstellung in dem einen oder anderen Punkt davon abweicht, wird Gott euch auch darin die nötige Klarheit schenken. Doch von dem, was wir bereits erreicht haben, wollen wir uns auf keinen Fall wieder abbringen lassen.
Paulus verwendet in diesen Versen ein Bild vom Sport. Das macht Paulus öfter. Ich habe den Eindruck, dass Paulus mit den sportlichen Aktivitäten seiner Zeit durchaus vertraut war. Er nimmt das Bild von einem Läufer und redet dementsprechend in den nächsten Versen — wenn wir genau zugehört haben beim Vorlesen.
Er verwendet immer wieder das Ziel, mindestens viermal. Sehen wir hier in diesem Text, dass Paulus von einem Ziel spricht. Das heißt, Paulus hat das Ziel ganz klar vor Augen.
Aber jetzt stellt sich uns als Leser und Zuhörer die Frage: Was genau ist das Ziel von Paulus? Was meint Paulus, wenn er sagt: „Ich strecke mich aus nach dem Ziel“?
Hier gibt es unterschiedliche Auffassungen in der Auslegung. Einige Ausleger denken, es sei die Gerechtigkeit, nach der Paulus sich ausstreckt. Ich denke jedoch nicht, dass es die Gerechtigkeit ist, weil er diese bereits in Christus hat. Ebenso glaube ich nicht, dass es direkt um den Himmel geht. Paulus macht den Philippern ja klar, dass er noch nicht am Ziel ist. Das müsste er nicht betonen, wenn das Ziel der Himmel wäre, denn dann wäre klar, dass Paulus noch nicht dort ist, da er ja noch lebt.
Deshalb denke ich auch nicht, dass es hier beim Ziel direkt um den Himmel geht. Das wirft jedoch die Frage auf: Wovon spricht Paulus dann? Was meint er, wenn er sagt, er will dem Ziel nachjagen? Was ist dieses Ziel?
Paulus spricht im vorherigen Kontext immer wieder davon, dass er Jesus erkennen möchte. Der unmittelbare Kontext gibt uns die Antwort darauf, was Paulus hier eigentlich meint, wenn er vom Ziel spricht. Es heißt in Philipper 3,10:
„Ihn, also Jesus, möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tod gleichgestaltet zu werden.“
Es geht Paulus um die Erkenntnis Jesu Christi. Was meint er damit? Paulus sagt, er möchte eine immer vertrautere Beziehung zu Jesus haben. Das ist sein großer Wunsch. Er sagt, er möchte Jesus immer näherkommen, ihm immer ähnlicher werden und ihn immer mehr erkennen.
Jesus ist nicht etwas, das man einfach so erfasst. Er übertrifft alles in seiner Schönheit, Größe und Herrlichkeit. Paulus weiß: „Da bin ich noch nicht.“ Er kann von sich noch nicht sagen, dass er die engstmögliche Beziehung zu Jesus hat. Er kann von sich noch nicht sagen, dass er Jesus wirklich total erkannt hat. Aber das ist sein Ziel.
Darf ich heute Morgen mal ganz direkt die Frage stellen: Was ist eigentlich dein Ziel im Leben? Lebst du ziellos dahin? Ich glaube nicht. Ich glaube, wir alle verfolgen mit unserem Leben irgendetwas. Aber vielleicht sind wir uns dessen nicht immer bewusst.
Stell dir mal die Aufgabe, dein Lebensziel, dein übergeordnetes Lebensziel in einem Satz zusammenzufassen. Was wäre das? Wofür lebst du? Was motiviert dich, morgens aufzustehen und in den Tag zu gehen? Woran denkst du als Erstes, wenn du wach wirst? Wofür lebst du?
Paulus lebt für Jesus. Er sagt, das größte Ziel in seinem Leben ist, ihm näherzukommen, weil Jesus alles für ihn ist. Er sagt in Kapitel 1: „Jesus ist mein Leben.“ Er sagt nicht: Jesus ist ein Teil meines Lebens, sondern: Jesus ist mein Leben.
Deshalb ist sein Lebensziel auch folgendes: „Ich will ihn immer mehr erkennen.“ Vielleicht denkst du jetzt: „Das hört sich gut an, das will ich auch.“ Und du weißt, dass es eigentlich richtig ist. Aber wie komme ich dahin?
Ich möchte uns drei Ratschläge aus dem Text geben, wie wir immer mehr dazu kommen, ganz fokussiert für Jesus zu leben.
Der erste Ratschlag aus dem Text lautet: Sei unzufrieden mit dem Status quo, sei unzufrieden mit dem Ist-Zustand, könnte man auch sagen. Paulus sagt hier in Vers zwölf einmal: „Es ist also nicht etwa so, dass ich das alles schon erreicht hätte oder schon am Ziel wäre.“ Da beginnt Vers 13 mit dem Satz: „Geschwister, ich bilde mir nicht ein, das Ziel schon erreicht zu haben.“
Schaut mal, Paulus gibt sich mit dem, was er bereits im Glauben erreicht hat, nicht zufrieden. Zu dieser Zeit ist Paulus bereits dreißig Jahre Christ. Und ich glaube, wir würden so ziemlich alle darin übereinstimmen, dass Paulus wahrscheinlich der vorbildlichste Christ ist, der je gelebt hat. Trotzdem sagt er: „Ich bin nicht zufrieden mit dem, was ich bisher in meinem Glauben erreicht habe.“ Er hält sich nicht für den Superchristen, der die höchste Stufe in Sachen Nähe zu Jesus erreicht hat.
Paulus ist sich dessen bewusst, dass das Erkennen Jesu Christi eine lebenslange Aufgabe ist. Deswegen schreibt er das, obwohl er schon dreißig Jahre Christ ist: Er sagt, er ist immer noch nicht damit fertig, Jesus in all der Tiefe zu erfassen. „Da bin ich noch nicht, ich habe noch nicht die volle Erkenntnis, aber ich möchte ihm immer näher kommen, jeden Tag. Je näher an Jesus, desto besser.“ Deshalb gibt Paulus sich nicht mit dem Ist-Zustand zufrieden.
Diese Unzufriedenheit – wir reden ja meistens eigentlich eher in der Gemeinde über Zufriedenheit und über Dankbarkeit – heute reden wir über eine heilige Unzufriedenheit. Diese Unzufriedenheit steht nicht im Widerspruch zur Freude und zur Dankbarkeit, denn dazu fordert Paulus im nächsten Kapitel auf. Das heißt, auf der einen Seite sind wir als Christen dankbar, so dankbar für das, was wir in Jesus haben. Wir können uns in jeder Lebenssituation darüber freuen, was wir in Jesus haben.
Auf der anderen Seite, weil wir ihn ein Stück weit erkannt haben, wollen wir immer mehr von ihm. Wir sind unzufrieden mit dem, was wir bisher erreicht haben. Es genügt uns noch nicht, wir wollen mehr von Jesus. Zu dieser heiligen Unzufriedenheit möchte ich uns einladen, denn es gibt auch so etwas wie eine gefährliche Zufriedenheit.
Es gibt eine heilige Unzufriedenheit und es gibt eine gefährliche Zufriedenheit. Eine Person – lasst uns das mal durchdenken – die mit ihrem geistlichen Zustand zufrieden ist, die wird stolz. Paulus kennt das aus seiner Vergangenheit als Pharisäer. Die Pharisäer waren stolz, sie haben sich selbst auf die Schulter geklopft. Sie waren vielleicht sogar stolz auf ihre Demut, die ja wirklich nicht vorhanden war.
Sie waren stolz auf ihr Gebetsleben, sie haben an öffentlichen Straßen lange Gebete gebetet. Sie waren stolz darauf, dass sie regelmäßig in der Tora lesen und viele Verse auswendig kannten. Sie dachten: „Wir sind geistlich gut dabei.“ Das war Paulus’ Vergangenheit. Und Paulus weiß: Wer mit seinem geistlichen Zustand zufrieden ist, wird stolz.
Aber das Ganze hat noch eine andere Auswirkung. Schaut mal: Wer mit seinem geistlichen Zustand zufrieden ist, verliert den Fokus auf das eigentliche Ziel, Christus. Der lehnt sich zurück. Wer zufrieden ist, verspürt keine Dringlichkeit mehr. Er lehnt sich zurück und lebt nicht mehr zielgerichtet.
Ich möchte euch mal ein Video zeigen. In diesem Video geht es um einen Lauf. Der Läufer an der ersten Stelle – auf den müsst ihr gleich achten – er ist an erster Stelle und fühlt sich so sicher, dass er als Erster durchs Ziel kommen wird. Er animiert die Zuschauer schon mal, ihm mehr zu applaudieren. Kurz vor dem Ziel wird er jedoch überholt. Das schauen wir uns mal kurz an.
Sich zufrieden zurückzulehnen, bevor man am Ziel ist, kann tragische Folgen haben. Vielleicht lehnst du dich manchmal geistlich zurück und sagst: „Ja, ich habe es. Schaut mal, ich bin getauft. Ich bin sogar Mitglied in einer Kleingruppe und mache viele Dienste hier in der Gemeinde. Eigentlich kann Gott mit mir zufrieden sein.“
Wenn das passiert, wenn du das denkst, wirst du geistlich stolz und hörst auf, fokussiert das Ziel zu erkennen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir unser Christsein nicht in Form einer Checkliste leben. Das habe ich, das habe ich, das habe ich – und deswegen bin ich zufrieden.
Es geht um Jesus, es geht um eine Beziehung. Und eine Beziehung definieren wir nicht über eine Checkliste. Eine Beziehung definieren wir über die Nähe zur Person. Und da sind wir noch nicht da, wo wir sein könnten. Selbst wenn Paulus sagt: „Ich bin noch nicht da“, glaube ich, da müssen wir uns alle eingestehen, dass wir alle noch viel Luft nach oben haben. Wenn Paulus es noch nicht erfasst hat, wir doch erst recht nicht.
Deswegen möchte ich dich wirklich einladen, in einer heiligen Unzufriedenheit zu leben – über das, was alles noch passieren kann in deiner Beziehung zu Jesus. Die Wahrheit ist doch: Je mehr du Jesus kennenlernst, desto mehr willst du ihn. Je mehr du Jesus kennenlernst, desto mehr willst du ihn. Weil er so gut ist, weil er unser Leben erfüllt, weil er alles für uns ist.
Schaut mal, der Schlüssel steht am Ende von Vers zwölf: Paulus sagt: „Aber ich setze alles daran, ans Ziel zu kommen und von diesen Dingen Besitz zu ergreifen, nachdem Jesus Christus von mir Besitz ergriffen hat.“
Das hört sich jetzt vielleicht ein bisschen an wie „Wir müssen, wir müssen uns anstrengen“, aber die Wahrheit ist doch: Christus hat die Initiative ergriffen in unserem Leben. Er ist in unser Leben gekommen, als wir noch nicht nach ihm gefragt haben. Da ist er in unser Leben gekommen. Paulus weiß genau: Das war die Straße nach Damaskus. Da hat Jesus Besitz von ihm ergriffen. Die Initiative liegt bei ihm.
Er hat uns geliebt, als wir noch Sünder waren. Paulus sagt: „Ja, jetzt bin ich von diesem Jesus ergriffen und all das, was ich tue, tue ich nicht, um gerettet zu werden. Ich bin gerettet, aber ich habe diesen Jesus erkannt. Und jetzt lebe ich für ihn, weil ich von ihm ergriffen bin. Alles, was ich tue, tue ich aus Dankbarkeit, weil ich ihm näherkommen will, nicht weil ich mein Heil sichern will.“ Das Heil hat er bereits. Das müssen wir richtig verstehen.
Ich möchte dich ermutigen, dass du mit voller Kraft das Ziel verfolgst. Ich möchte die Neugetauften heute ermutigen: Die Taufe ist noch nicht das Ziel, das wisst ihr sehr gut. Die Taufe ist der Anfang eines Laufes. Und ich möchte euch ermutigen, nie zu denken, dass man es jetzt geistlich geschafft hat. Das denkt ihr auch nicht, aber ich will es trotzdem noch mal in Erinnerung rufen: Wir alle haben noch sehr, sehr viel Luft nach oben.
Ich möchte einen zweiten Ratschlag weitergeben: Wie können wir zielgerichtet leben? Wie können wir konzentriert den Lauf laufen?
Der zweite Punkt ist: Lass deine Vergangenheit zurück, lass deine Vergangenheit zurück. Ich lese mal Vers 13 nochmal komplett:
„Geschwister, ich bilde mir nicht ein, das Ziel schon erreicht zu haben. Eins aber tue ich: Ich lasse das, was hinter mir liegt, bewusst zurück und konzentriere mich völlig auf das, was vor mir liegt.“
Um zielgerichtet leben zu können, dürfen wir nicht dauernd nach hinten schauen. Das darf ein Läufer im Wettkampf nicht, und das dürfen wir nicht im Leben. Paulus sagt: Ich lasse es ganz bewusst zurück. Andere Übersetzungen, wenn ihr eure Bibeln dabei habt, sagen: Ich vergesse, was da hinten ist.
Das kann manchmal missverständlich sein, denn die Vergangenheit können wir nicht immer vergessen, oder? Ich würde es mir manchmal wünschen, meine Vergangenheit vergessen zu können. Aber gewisse Dinge, die ich getan habe, kann ich nicht vergessen. Sie kommen immer wieder mal hoch – heute auf dem Weg in die Gemeinde, wieder etwas, was früher mal war, was Gott längst vergeben hat.
Wir können die Vergangenheit nicht immer vergessen. Aber „vergessen“ ist ja eigentlich auch etwas Negatives, etwas Passives: Ich habe es vergessen. Das, was das Wort hier meint, das in anderen Bibelübersetzungen mit „vergessen“ übersetzt wird, hat die neue Genfer Übersetzung, die ich hier verwende, sehr gut wiedergegeben: Sie übersetzt es mit „Ich lasse die Vergangenheit bewusst zurück“.
Es ist eine aktive Entscheidung. Ich lasse mich nicht von meiner Vergangenheit bestimmen. Da stellt sich uns die Frage: Was war das bei Paulus? Woran denkt Paulus hier, wenn er sagt, ich vergesse oder ich denke nicht mehr daran, was hinter mir liegt?
Ich weiß nicht, ob es euch auch so geht, aber ich dachte früher immer, dass Paulus damit nur das Negative meinte. Das vergesse ich. Aber wir haben hier keine Einschränkung im Text. Paulus sagt: Alles, was hinter mir liegt – das heißt all die geistlichen Erfolge und seine negative Vergangenheit als Pharisäer – alles lässt er hinter sich zurück.
Und ich glaube, das ist wichtig. Wenn wir ständig unsere geistlichen Erfolge gedanklich rekapitulieren – damals hat mich der Herr gebraucht – dann fangen wir irgendwann wieder an, geistlich zufrieden zu werden. Den Punkt hatten wir gerade.
Aber ich denke, was natürlich hier mit inbegriffen ist, ist die Vergangenheit von Paulus. Denn am Anfang von Kapitel 3 ist er auf sein altes Leben eingegangen, auf seine falsche Lebensausrichtung. Er hat die Gemeinde verfolgt. Wir müssen uns mal in Paulus hineinversetzen: Er hat Männer und Frauen ins Gefängnis geworfen, er hat bei der Steinigung von Stephanus unterstützende Hilfe geleistet. Heute nennt man das Beihilfe zum Mord. Das war die Vergangenheit von Paulus. Und Paulus hat sich mächtig schuldig gemacht.
Schaut mal: So eine Vergangenheit kann lähmen. So eine Vergangenheit hat das Potenzial, ihn mächtig zu lähmen. Deswegen hat Paulus sich entschieden: Ich lasse das hinter mir ganz bewusst zurück. Ich lasse die Vergangenheit nicht immer wieder hochkommen.
Luther hat mal gesagt: „Wir können nichts dafür, wenn uns ein Vogel auf den Kopf kackt, aber wir können sehr wohl etwas dafür, wenn er auf unserem Kopf ein Nest baut.“ So ist das mit unserer Vergangenheit. Manchmal kommt ein Gedanke an unsere Vergangenheit, da können wir nichts für. Aber wir können beeinflussen, ob wir die ganze Vergangenheit durchdenken, ob wir die Anschuldigungen wieder zulassen.
Darum geht es ja: Paulus sagt, ich lasse es nicht zu, weil ich mich nach vorne ausrichten möchte. Paulus verwendet hier das Bild von einem Läufer. In diesem Bild gesprochen versteht sich natürlich auch die Absolutheit der Aussage: Ein Läufer darf überhaupt nicht zurückschauen.
Auf Sachebene denke ich, meint Paulus vor allem: Ich lasse mich nicht von der Vergangenheit bestimmen. Denn manchmal schaut Paulus zurück. In den Briefen, zum Beispiel in 1. Korinther 15, sagt Paulus: „Ich war früher ein Verfolger.“ Aber er schaut immer zurück mit der Brille der Gnade. Er sagt: Ich war früher ein Verfolger, aber Gott war mir gnädig, er hat vergeben. Ich habe die Gemeinde verfolgt, aber jetzt bin ich durch Gottes Gnade, was ich bin.
Vielleicht kann man das mal mit einem Rückspiegel im Auto vergleichen. Wir alle gucken hier zwischendurch auch mal in den Rückspiegel. Ein kurzer Blick, aber das bestimmt doch nicht unsere Fahrt. Wenn wir die ganze Zeit in den Rückspiegel schauen würden beim Fahren, kämen wir nicht weit. Unser Hauptaugenmerk gilt der Windschutzscheibe. Wir schauen nach vorne als Christen, nur zwischendurch geht mal ein kurzer Blick zurück.
Und, ihr Lieben, genau darum geht es hier. Tony Evans, ein afroamerikanischer Pastor, den ich sehr schätze, hat ein gutes Zitat, das ich gerne weitergeben möchte. Tony Evans sagt: „Wenn du deine ganze Zeit damit verbringst, über die Erfolge und die Versagen von gestern nachzudenken, ruinierst du dein Morgen.“ Sehr, sehr wahr.
Ihr Lieben, wir dürfen uns nicht immer wieder von unserer Vergangenheit einholen lassen. Satan ist ein Verkläger, und Satan will uns gerne an unsere negative Vergangenheit erinnern, an Sünden, die wir längst bekannt haben, die Gott längst vergeben hat. Aber Satan holt sie immer und immer wieder gerne in unser Bewusstsein.
Und was ist das Resultat, wenn wir darauf eingehen, wenn wir diese Gedanken zulassen? Uns fehlt die Freude im Glauben, oder? Aber gerade die Freude am Herrn ist doch unsere Stärke. Wir richten unseren Blick von Christus weg, wir schmälern die Gnade, wir denken: Okay, das war wahrscheinlich doch so schlimm, dass der Herr nicht vergeben hat.
Und so glauben wir in dem Moment Lügen. Satan ist ein Vater der Lüge. Er hat eine zweifache Taktik. Einmal möchte Satan uns zur Sünde verleiten. Und wenn wir darauf eingehen und sündigen, dann bekennen wir die Sünde. Dann startet er seine zweite Taktik: Er will uns aber trotzdem, obwohl wir Buße getan haben, immer wieder an die Sünden erinnern. Das ist seine Masche.
Damit bringt er uns immer weiter von Gott weg. Wir schauen nicht mehr auf das Kreuz, wir verlassen uns nicht mehr auf die Gnade, wir sind mit uns beschäftigt und mit unserer Vergangenheit. Wir entfernen uns von Gott. Und genau in diesem Zustand sind wir fähig, weitere Sünden zu begehen.
So geht Satan immer wieder vor – jedenfalls bei mir, bei euch wahrscheinlich auch. Das ist seine Masche, und wir dürfen nicht auf Satan hören.
Ich möchte heute ermutigen: Wenn du als Christ diese Anfechtungen immer wieder erlebst, wenn immer wieder deine Vergangenheit hochkommt, glaube nicht der Lüge. Denn weißt du, was das Kreuz sagt? Das Kreuz sagt, dass deine gesamte Vergangenheit bereinigt ist.
Manchmal sagen Menschen: „Ich kann mir aber selbst nicht vergeben.“ Weißt du was? Das kann ein Zeichen von Arroganz sein. Denn wir glauben in dem Moment nicht, dass Christus einfach alles bereits getan hat. Wir denken, wir müssten irgendwie würdig sein, um die Gnade zu empfangen.
Müssen wir nicht! Das ist doch das Evangelium. Alles ist bezahlt, alles. Das ist die Schönheit des Evangeliums. Es gibt keine bessere Botschaft als diese. Wir können befreit nach vorne schauen, weil Jesus die Strafe für unsere Sünden getragen hat.
Aber vielleicht sitzt du heute morgen hier und hast das noch nicht für dich angenommen. Du warst noch nicht vor dem Kreuz und hast gesagt: Herr, ich glaube daran, dass ich ein Sünder bin, und ich glaube daran, dass du für mich gestorben bist und dass du mir alles vergeben möchtest. Ich glaube daran, dass ich neu anfangen kann bei dir.
Ich möchte dich einladen, diesen Schritt heute zu tun. Das ist das, was die vier Geschwister, die wir heute getauft haben, erlebt haben. Sie waren vor dem Kreuz und haben gesagt: Jesus, komm du in mein Leben, vergib du mir, ich will jetzt für dich leben.
Wenn du das noch nicht erfahren hast, dann sollst du heute wissen: Du musst nicht mit deiner Schuld aus dem Raum gehen. Du musst nicht mit diesem plagenden, schlechten Gewissen heute diesen Gottesdienst verlassen. Du kannst zu Jesus kommen im Gebet und sagen: Herr, vergib du mir meine Sünden, komm du in mein Leben, ich möchte jetzt auch für dich leben.
Wenn du das tun möchtest, kannst du gerne zurückbleiben. Jesus möchte dir alle Sünden vergeben.
Kreise gedanklich nicht in deiner Vergangenheit, sondern schau auf die Zukunft. Das führt uns zum dritten Schritt, zum dritten Ratschlag für ein zielgerichtetes Leben: Lauf mit ganzer Kraft auf das Ziel zu!
Dieser Schritt ist sehr wichtig. Wenn wir uns die ganze Zeit nur damit beschäftigen, dass wir nicht mehr in die Vergangenheit schauen dürfen, tun wir genau das Gegenteil: Wir beschäftigen uns mit der Vergangenheit. Wir müssen uns von der Vergangenheit abkehren und uns wirklich nach vorne ausstrecken. Das hat Paulus verstanden. Deshalb heißt es weiter im Text:
Ich lasse das, was hinter mir liegt, bewusst zurück, konzentriere mich völlig auf das, was vor mir liegt, und laufe mit ganzer Kraft dem Ziel entgegen, um den Siegespreis zu bekommen – den Preis, der in der Teilhabe an der himmlischen Welt besteht, zu der uns Gott durch Jesus Christus berufen hat.
Wenn man das Alte hinter sich lässt, braucht man auch eine neue Ausrichtung. Das hat Paulus verstanden. Er schaut nach vorne, und das ist die Blickrichtung, die wir Christen brauchen. Christen schauen nicht zurück, sondern nach vorne, denn unser Ziel liegt vor uns.
Paulus beschreibt das hier mit einem sehr eindringlichen Wort: Er sagt: „Ich jage dem Ziel nach.“ Es ist das gleiche Wort, das im Griechischen auch für „verfolgen“ verwendet wird. In Kapitel 3 ganz am Anfang benutzt Paulus das Wort, um seine negative Vergangenheit zu beschreiben. Er sagt, er war ein Verfolger der Gemeinde mit ganzem Eifer. Jetzt aber ist Jesus in sein Leben gekommen, und nun verfolgt er das Ziel mit ganzem Eifer. Jetzt lebt er für diesen Jesus.
Das Ziel hat er erst erreicht, wenn er im Himmel ist. Dann hat er Christus ganz. Deshalb sagt Paulus schon in Kapitel 1: „Ich würde lieber sterben als leben, weil ich dann bei Jesus wäre und ihn endlich ganz hätte.“ Er will Christus, und bei Jesus im Himmel zu sein, das ist der Siegespreis, über den er sich so sehr freut.
Bis dahin ist er noch auf der Erde. Und dem Ziel gilt jetzt seine volle Konzentration. Er möchte Jesus immer mehr erkennen. In den Versen 15 und 16 sagt Paulus:
Wir alle, die der Glaube an Christus zu geistig reifen Menschen gemacht hat, wollen uns ganz auf dieses Ziel ausrichten. Und wenn eure Einstellung in dem oder einem anderen Punkt davon abweicht, wird Gott euch auch darin die nötige Klarheit schenken. Doch von dem, was wir bereits erreicht haben, wollen wir uns auf keinen Fall wieder abbringen lassen.
Die volle Konzentration auf das Ziel ist ein Merkmal eines reifen Christen. Einen reifen Christen erkennt man nicht daran, dass er alles erkannt hat, sondern daran, dass er total konzentriert ist und auf das Ziel schaut. Diese zielgerichtete Haltung muss Gott in uns bewirken.
Paulus ist hier eigentlich optimistisch. Er sagt: „Ihr Lieben, vielleicht denken einige von euch anders, vielleicht sagen einige, das ist nicht das oberste Ziel, es ist zwar wichtig, aber in irgendeinem Punkt denkt ihr anders.“ Paulus ist in gewisser Weise entspannt und sagt, Gott wird euch auch das noch offenbaren.
Das hilft mir manchmal, ein bisschen entspannter mit anderen Christen umzugehen, die noch nicht alles erkannt haben, was Gott mir vielleicht offenbart hat. Paulus weiß ja, der Herr hat in Philippi angefangen das gute Werk, und der Herr wird es auch vollenden. Der Herr schenkt das Wollen und das Vollbringen, und Paulus verlässt sich ganz auf Gott.
Das ist eine gute Anwendung für uns: Wenn wir mit Menschen zu tun haben, die im Glauben noch einiges lernen müssen – und das sind wir selbst auch –, dann können wir dafür beten: „Herr, schenk du mir diese Erkenntnis.“ Vielleicht sitzt du heute Morgen hier und sagst: „Ja, das ist alles richtig, aber ich habe den Eindruck, ich bleibe trotzdem irgendwie stehen. Ich brauche so einen Ruck, vielleicht auch persönliche Erweckung.“ Dann bete dafür, dass Gott dir das offenbart. Paulus sagt, der Herr wird es euch zeigen.
Aber an dem, was wir bereits erkannt haben, sollen wir definitiv festhalten.
Paulus hat sich entschieden, fokussiert zu leben. Ich möchte noch einmal auf einen Schlüsselsatz aus Vers 13 zu sprechen kommen. Ich glaube, das ist das Geheimnis eines fokussierten Lebens. Paulus sagt hier: „Eins aber tue ich, eins tue ich.“ Ich glaube, das ist das Geheimnis des Paulus, dass er so fokussiert war auf das Eine.
Das ist das Geheimnis, warum Paulus in seinem Eifer für Jesus nie nachgelassen hat. Das ist das Geheimnis, warum Paulus sagen konnte: „Christus ist mein Leben.“ Das ist das Geheimnis, warum Paulus eine so tiefe Beziehung zu Jesus hatte. Er hat sich eben nur auf dieses Eine konzentriert.
Sportler vor einem Wettlauf konzentrieren sich völlig auf diesen Wettlauf und auf dieses eine Ziel. Ich habe mich da mal im Internet schlau gemacht: Das ganze Leben eines Sportlers in den Wochen vor dem Wettkampf richtet sich auf den Wettkampf aus. Der Tagesablauf eines Sportlers ist darauf ausgelegt, genügend Schlaf zu bekommen. Schlafrhythmen werden eingehalten. Alles wird auf diesen einen Lauf hin ausgerichtet.
Die Ernährung wird umgestellt, Fußpflege steht an, die Trainingseinheiten werden minutiös geplant. Wenn der Lauf losgeht, konzentriert sich ein Läufer nicht auf die Fans, nicht auf seine Familie, die vielleicht auch sitzt, nicht auf den Trainer. Er konzentriert sich nur auf das Ziel.
Sie sind nicht mit 50 Dingen beschäftigt, sondern mit einer einzigen Sache: Ich laufe mit allem, was ich kann, auf das Ziel zu.
Ihr Lieben, das Geheimnis des geistlichen Wachstums liegt in der Fokussierung: „Eins tue ich.“ Kannst du das heute sagen: „Eins tue ich“? Oder musst du sagen: „Fünfzig Dinge versuche ich“?
Wir stehen heute, glaube ich, stärker als je zuvor in der Gefahr, abgelenkt zu werden. Wir leben in einer Multioptionsgesellschaft. Es gibt heute so viel mehr Optionen als je zuvor, und dementsprechend sind wir viel eher in der Gefahr, vom eigentlichen Ziel abgelenkt zu werden.
Was lenkt dich ab in deinem Leben, von diesem einen Ziel, Christus näherzukommen? Ist es vielleicht der übermäßige Medienkonsum? Es können auch andere Dinge sein.
Wer sich für das Eine entscheidet, hat keine Zeit für 49 andere Dinge, die parallel laufen. Es müssen nicht immer Dinge sein, die falsch sind. Das Gute ist der Feind des Besten.
Wir sehen das bei Martha und Maria, das gleiche Prinzip: Martha war bemüht mit vielen guten Dingen, und Jesus sagt zu ihr: „Martha, Martha, du bist so beschäftigt mit vielem. Eins ist notwendig.“ Maria hat das Richtige erwählt. Sie sitzt bei Jesus und konzentriert sich auf ihn.
Das ist das, was ich dir heute mitgeben möchte – das, was ich mir selbst heute predige: Lasst uns fokussiert sein. Lasst uns uns nicht mit fünfzig Nebensächlichkeiten beschäftigen, sondern wie Paulus sagen: „Eins ist wichtig – meine Nähe zum Herrn.“ Das ist das Allerwichtigste. Ich möchte ihn immer mehr erkennen.
Billy Graham wurde am Ende seines Lebens gefragt, was er noch einmal anders gemacht hätte. Er sagte: „Ich hätte mir gerne viel, viel mehr Zeit einfach für die Gemeinschaft mit Jesus genommen.“ Selbst ein so großer Mann wie Billy Graham musste erkennen, wie viel mehr wir uns darauf konzentrieren sollten.
Ich möchte das mal ein bisschen konkreter machen: Nimm dir sehr konkret vor, mehr Zeiten für den Herrn einzubauen. Stell dein Handy mal wirklich offline. Geh in ein einsames Kämmerlein, nimm deine Bibel mit, und geh nicht eher raus, bis der Herr zu dir gesprochen hat.
Darum geht es doch: Das ist Fokussierung – dass uns nichts wichtiger ist.
Ich habe mir das am Anfang dieser Woche neu vorgenommen. Da habe ich mich ertappt: Ich stehe am Sonntag auf und bereite schon die Moderation vor – letzten Sonntag –, anstatt erst mal Zeit mit dem Herrn zu verbringen. Das passiert auch mir, dass ich mich so schnell von anderen Dingen ablenken lasse, die ja nicht schlecht sind und auch gemacht werden müssen.
Aber was ist das Eine in unserem Leben? Ich möchte dich ermutigen, vielleicht mal mehr zu fasten – nicht als religiöse Übung, sondern einfach, weil du sagst: „Ich will die Gemeinschaft mit dem Herrn, die Abhängigkeit von ihm leben. Deswegen will ich mich ganz auf ihn konzentrieren.“
Wir kommen zum zweiten Punkt, den ich etwas kürzer fasse: Was brauche ich, um zielgerichtet zu leben? Zweitens die richtigen Vorbilder auf dem Weg zum Ziel.
In Vers 17 ermutigt Paulus die Philipper mit den Worten: „Folgt alle meinem Beispiel, Geschwister, und richtet euch an denen aus, deren Leben dem Vorbild entspricht, das ihr an uns habt.“ Paulus fordert die Philipper auf, seinem Vorbild nachzufolgen. Das mag für uns im ersten Moment etwas befremdlich wirken. Lehnt sich Paulus hier nicht ein bisschen weit aus dem Fenster? Und ihr Neugetauften, ich glaube, euch hat keiner im Glaubensgrundkurs gesagt: „Folgt meinem Beispiel“, oder? Wahrscheinlich nicht. Paulus macht das aber.
Das möchte ich gerne etwas erklären. Es ist definitiv kein Stolz beim Apostel Paulus, denn er hat ja gerade im Text deutlich gemacht, dass er noch nicht da ist, wo er gerne wäre. Er hat auch noch Baustellen, er hat Luft nach oben. Das heißt, er sagt es hier nicht aus Stolz: „Ich habe es erkannt, folgt meinem Beispiel.“ Außerdem sagt er, sie sollen auch anderen Vorbildern folgen, die so leben wie Paulus.
Ich denke, wir können das besser verstehen, wenn wir an das Lehrer-Schüler-Verhältnis der damaligen Zeit denken, das gerade im Judentum sehr stark geprägt war. Wenn wir heute an ein Lehrer-Schüler-Verhältnis denken, dann denken wir meist nur an Wissensvermittlung. Ich weiß, wir haben hier viele Studenten im Raum. Hat euch euer Professor schon mal zu sich nach Hause eingeladen, um euch in sein Leben reinschauen zu lassen? Vielleicht vereinzelt, aber das machen die wenigsten. Wir verbinden Lernen einfach nur mit Wissensvermittlung im Hörsaal, theoretisch.
Die Bibel versteht das ganz anders. Paulus hat das anders verstanden, und die Philipper haben deswegen seine Worte direkt richtig verstanden. Die Bibel sieht Lernen immer als Wissensvermittlung, um mehr über Gott zu erfahren, aber auch als Lebensvermittlung: Wie setzen wir das Wissen über Gott wirklich in unserem Leben um? Und dafür braucht es ein Vorbild, das uns zeigt, wie man das als Mensch macht.
Jesus hat das so perfekt umgesetzt. Er hat sich zwölf Jünger genommen und sie drei Jahre lang in sein Leben reinschauen lassen. Es geht nicht nur um Auslegungspredigt, sondern auch um Auslebungspredigt. Es geht um beides: dass wir Wissen vermitteln, aber auch anderen Menschen zeigen, wie man den Glauben lebt. Deshalb haben wir auch die Taufpatenschaften eingeführt, damit man einen Eindruck bekommt, wie Christen eigentlich leben, und davon etwas abschauen kann.
Paulus war es so wichtig, dass man in sein Leben schauen kann. In 1. Thessalonicher 2,8 sagt er: „So in Liebe zu euch hingezogen waren wir willig, euch nicht allein am Evangelium Gottes, sondern auch an unserem eigenen Leben Anteil zu geben, weil ihr uns liebgewonnen wart.“ Wenn Paulus hier sagt: „Folgt meinem Beispiel“, setzt er ganz einfach voraus, dass Christen einander brauchen, um voneinander zu lernen.
Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum Paulus die Philipper auffordert, seinem Beispiel zu folgen: Es gibt viele Negativbeispiele. In den Versen 18 und 19 spricht er darüber. Viele leben nämlich ganz anders. Er sagt: „Ich habe euch schon oft vor ihnen gewarnt, und auch jetzt kann ich nur unter Tränen von ihnen reden. Sie sind die Feinde des Kreuzes Christi und enden im Verderben. Ihr Gott sind ihre eigenen Begierden, und sie sind stolz auf die Dinge, für die sie sich eigentlich schämen müssten. Das Einzige, was sie interessiert, ist diese irdische Welt.“
Paulus sagt also auch: „Folgt meinem Beispiel“, weil es so viele Negativbeispiele gibt. Er will nicht, dass die Philipper diesen folgen. Deswegen sagt er: „Folgt meinem Beispiel, damit ihr nicht auf die falsche Fährte geratet.“ Aber Paulus redet hier über die Negativbeispiele nicht in rechtgläubiger Überheblichkeit. Er weint, wenn er an diese Menschen denkt, die so auf dem Holzweg sind.
Er beschreibt sie vom Lebensstil her als Feinde des Kreuzes. In Vers 19 macht er vier Aussagen über sie:
Sie enden im Verderben – hier geht es um das Heil. Paulus sagt, sie mögen vielleicht Christen sein, aber sie sind keine Christen. Sie sind Feinde des Kreuzes.
Ihr Gott sind ihre eigenen Begierden. Andere Übersetzungen sagen: „Ihr Gott ist der Bauch.“ Hier wird das Bild vom Appetit verwendet, um die Begierden zu beschreiben. Sie folgen einfach ihren körperlichen Lüsten, wollen genießen und leben für die Lust. Das ist ihr Gott geworden.
Solche Negativbeispiele gibt es auch heute.
Drittens sind sie stolz auf Dinge, für die sie sich eigentlich schämen müssten. Sie suchen Ehre in beschämenden Dingen. Sie feiern die Sünde unter dem Deckmantel der Freiheit. Wer Freiheit als Freifahrtschein für die Sünde versteht, ist ein Feind des Kreuzes.
Schließlich interessiert sie nur diese irdische Welt.
Schaut euch den Kontrast an: Paulus ist auf Christus fokussiert, und viele Menschen, die sich Christen nennen, sind nur auf irdische Dinge aus. Sie haben einen anderen Fokus, einen anderen Gott, und leben für die Dinge dieser Welt. Das passt nicht zu einem Christen.
Der Kontrast wird noch deutlicher in den Versen 20 und 21: „Wir dagegen sind Bürger des Himmels.“ Wir sind also überhaupt nicht irdisch gesinnt, und das sollten wir auch nicht sein. Vom Himmel her erwarten wir unseren Retter, Jesus Christus, den Herrn. Er wird unseren unvollkommenen Körper umwandeln und ihm seinen eigenen Körper gleichmachen, der die Gottesherrlichkeit widerspiegelt. Er hat die Macht dazu, genauso wie er die Macht hat, das ganze Universum seiner Herrschaft zu unterstellen.
Paulus möchte deutlich machen: Folgt nicht diesen Negativbeispielen, die ihren Fokus auf diese Welt haben. Unser Bürgerrecht als Christen ist der Himmel.
Interessant ist, dass Paulus hier das Bürgerrecht erwähnt. Philippi wurde auch „Kleinrom“ genannt. Philippi war eine römische Kolonie, und viele Menschen dort hatten das römische Bürgerrecht, auf das sie stolz sein konnten. Paulus hatte es übrigens auch. Nach seinem Gefängnisaufenthalt erwähnt er das römische Bürgerrecht, weil man mit einem Römer so nicht umgehen durfte.
Gerade im Philipperbrief, wo die Leute vielleicht stolz auf ihr römisches Bürgerrecht sind, sagt Paulus: Unser eigentliches Bürgerrecht als Christen ist unser himmlisches Bürgerrecht.
Wir Christen warten – und daran denken wir ja auch in der Adventszeit, wie Jakob es bereits eingeführt hat. Wir sind Wartende, Fremde im Wartezimmer könnte man sagen. Wir suchen eine zukünftige Stadt, wir haben hier keine bleibende Heimat. Wir sind auf dieser Welt nur auf der Durchreise und warten auf Jesus.
Wenn er wiederkommt, wird er unseren Leib verwandeln, sodass wir endlich am Ziel sind. Dann fallen wir nicht mehr in Sünde, sondern haben einen vollkommenen Leib und eine vollkommene Gemeinschaft mit ihm. Das können wir anstreben und in Ewigkeit genießen.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir als Christen einen anderen Lebensfokus haben. Unser Fokus ist die Ewigkeit. Wir leben nicht für das Jetzt, sondern für das Dann.
Und wir brauchen alle Vorbilder, die uns das vorleben.
Ich möchte das mal mit dem Bergsteigen vergleichen. Ich weiß nicht, ob jemand von euch schon mal anspruchsvoll auf einen Berg gestiegen ist. Wenn wir Christus mit dem Gipfel vergleichen – das ist das Ziel ganz oben – dann ist der Weg beschwerlich und schmal. Wenn wir diesen Berg, diesen Gipfel zu Christus erklimmen wollen, brauchen wir einen Bergführer. Jemanden, der auch aus Fleisch und Blut besteht, aber etwas weiter ist und uns sagt, wo es langgeht.
Wir brauchen keinen, der mit dem Hubschrauber hochgeflogen oder mit einer Gondel hochgefahren ist und sagt: „Schaut mal, ich bin schon hier. Seht mal zu, wie ihr hochkommt.“ Wir brauchen einen Bergführer, der auch noch nicht am Ziel ist, aber genau weiß, wo es langgeht.
Das möchte ich mit geistlichen Vorbildern vergleichen, die wir brauchen. Wir brauchen jemanden, der aus Fleisch und Blut besteht wie wir, der Schwächen hat, aber zielgerichtet lebt. Auf ihn schauen wir und ihn oder sie ahmen wir nach.
Vielleicht fragst du dich jetzt: Ja, das leuchtet mir ein, aber es gibt ja so viele Vorbilder. Wir leben in einer Zeit, in der viele Stimmen Einfluss auf unser Leben nehmen wollen. Wem soll ich folgen? Jeder bei YouTube sagt etwas anderes, jeder Prediger. Ein bisschen übertrieben, aber irgendwie ist da was Wahres dran. Woran orientieren wir uns?
Der Text beantwortet die Frage: Orientiere dich an Vorbildern, die nur den Fokus darauf haben, Christus immer mehr zu erkennen. Orientiere dich an Vorbildern, die das himmlische Bürgerrecht ausleben, die warten und mit der Perspektive Ewigkeit leben.
Vor einiger Zeit wurde ich von einem jungen Mann gefragt: „Warum leben Christen eigentlich häufig so irdisch und häufen Reichtümer an?“ Diese Frage hat mich beschämt, weil er selbst suchend ist und erkannt hat, dass viele Christen nur für das Jetzt leben.
Wir lieben – lass uns für das Dann leben! Und lass uns auf Vorbilder schauen, die uns das vorleben.
Ich möchte hier noch ganz kurz praktisch werden: Wenn du ein Vorbild kennst, vielleicht hier in der Gemeinde oder in einer anderen Gemeinde, wenn du sagst: „Das ist so ein Mann oder so eine Frau, auf die kann ich hochschauen, wie vorbildlich er oder sie lebt“, dann zücke heute Nachmittag mal dein Handy, kontaktiere die Person und verabrede ein Kaffeetrinken.
Bereite dir einige Fragen vor, die du der Person konkret stellen möchtest. Zum Beispiel: Wie gestaltest du deine stille Zeit? Ich möchte von dir lernen.
Wir brauchen Vorbilder auf dem Weg zum Gipfel. Mach das doch mal ganz konkret: Wende dich an Vorbilder und sage: Können wir uns mal treffen? Ich möchte von dir lernen.
Ich persönlich habe hier auch sehr viel von Autoren gelernt. Ich habe Biografien gelesen, zum Beispiel von Bruder Andrew, die mich sehr fasziniert hat, oder von George Müller, der im Glauben Waisenhäuser gebaut hat. Das waren Vorbilder für mich, von denen ich lernen konnte.
Ich habe einige Bücher gelesen von William MacDonald, Francis Chan, David Platt – „Keine Kompromisse“. Ich möchte jetzt bei Instagram eine Reihe starten, in der ich Bücher vorstelle, die mein Leben geprägt haben. Denn ich glaube, es ist wichtig, dass wir Vorbilder haben, denen wir nacheifern können. Und häufig können das auch Autoren sein.
Die heutige Predigt soll uns ermutigen, zielgerichtet zu leben. Dafür sind zwei Dinge notwendig: eine volle Konzentration auf das Ziel, nämlich Christus, und die richtigen Vorbilder auf dem Weg dorthin. Amen.