Ron hat es gerade schon angesprochen: Am Gründonnerstag denken wir vor allem an das letzte Abendmahl, das Jesus mit seinen Jüngern gefeiert hat – kurz bevor er verhaftet wurde und ans Kreuz ging. Heute Abend feiern wir das Abendmahl gemeinsam und wollen dabei auch an etwas anderes denken.
Wir wollen an ein besonderes Gebet denken, das ebenfalls an diesem ersten Gründonnerstag stattgefunden hat und unmittelbar damit verbunden ist. Das Atemberaubende an diesem Gebet ist, dass Jesus nicht nur für die Jüngerschar betet, die mit ihm sitzt, isst und Zeit verbringt. Er denkt auch an uns. Er betet an diesem Abend für Christen und Jünger aller Zeiten.
Das wollen wir uns anschauen. Wir konzentrieren uns auf Johannes 17, Verse 20 bis 23, weil diese uns schon genug Stoff zum Nachdenken und Staunen geben – hoffentlich auch zum Umdenken und Handeln.
Ich möchte diesen Predigttext vorlesen:
Johannes 17, 20-23:
„Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, damit sie alle eins seien, wie du, Vater, in mir bist und ich in dir; so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind. Ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst.“
Ich möchte noch einmal beten:
Herr Jesus Christus, wir danken dir für dieses Gebet, das du an diesem ersten Gründonnerstag für deine Jünger um dich herum, aber auch für uns heute gebetet hast. Wir danken dir für deine atemberaubende Liebe, die sich auch in diesem Gebet ausdrückt. Wir beten, dass wir diese Liebe mehr verstehen und dass sie unser Miteinander in der Gemeinde prägt. Möge sie unsere Einheit fördern – eine echte Einheit, so wie du sie hier betest. Herr, lass uns diese Einheit tiefer verstehen. Das beten wir in deinem Namen, Jesus. Amen.
Worum geht es Jesus? Es geht ihm um Einheit – die Einheit seiner Jünger. Dafür betet er. Das ist sein großes Gebetsanliegen kurz bevor er sie verlässt. Gleich dreimal in diesen wenigen Versen betet er für dieses Ziel: In Vers 21 bittet er, damit sie alle eins seien, in Vers 22, damit sie eins seien, und in Vers 23, damit sie vollkommen eins seien.
Wenn heute viele feststellen, dass Streit, Unfrieden und Spaltungen unter Christen ein Problem sind, dann haben sie damit Recht. Das ist ein großes Problem, wenn die Gemeinde Jesu Christi zerstritten und zerspalten ist. Jesus betet für etwas ganz anderes. Er will, dass seine Jünger die Einheit suchen und fördern. Wo diese Einheit fehlt, da fehlt etwas ganz Entscheidendes in der Gemeinde.
Der Apologet Francis Schäffer sagt in seinem Buch „The Mark of the Christian – Das Kennzeichen des Christen“: Es fehlt das wesentliche Merkmal, wenn uns die Einheit, wenn uns die Liebe untereinander fehlt.
Aber wie sieht diese Einheit aus? Das lernen wir auch, und wir lernen etwas darüber in diesem Gebet. Welches Ziel hat diese Einheit? Ich möchte mit euch über drei ganz wesentliche Aspekte dieser Einheit nachdenken.
Wir sehen in diesem Gebet Jesu, dass die Einheit erstens zeitlos ist, zweitens sich über die gesamte Geschichte erstreckt, drittens geistlich ist und viertens zeugnishaft. Diese Einheit ist zeitlos, geistlich und zeugnishaft.
Fangen wir mit dem ersten Punkt an. Zeitlose Einheit sehen wir in Vers 20, wo Jesus nicht nur für die ersten Apostel betet, sondern für alle Christen – also auch für uns heute in Deutschland im Jahr 2023. Jesus sagt: „Ich bitte nicht allein für sie“, also die Jünger, die mit ihm sind, „sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, damit sie alle eins seien.“
Bisher, wie wir gerade in der Textlesung gehört haben, hat Jesus für sich selber gebetet und für diese ersten Apostel. Jetzt erweitert er den Fokus und betet für alle, die durch ihr Wort an ihn glauben werden. Das „ihr“ bezieht sich ganz eindeutig auf die Apostel, die dieses Wort weitergeben.
Jesus hat sie als Erste in die Nachfolge gerufen und in Gottes Plan eingeweiht. Sie durften seine Nähe erleben und aus nächster Nähe miterleben, was Gottes Kraft und Macht bewirken kann. Sie haben erlebt, wie Jesus Kranke heilte, die teilweise seit Jahrzehnten krank waren und niemand helfen konnte – aber Gott konnte.
Sie haben miterlebt, wie Dämonisierte von Dämonen befreit wurden, wie Jesus Tote auferweckte und wirklich die Macht Gottes offenbarte. Außerdem erhielten sie Leereinheit um Leereinheit von Jesus, erlebten seine Predigten öffentlich mit und bekamen auch Einzelunterricht, bei dem er nur die Jünger zu sich nahm, sie unterwies und in Gottes Plan einweihte.
Jesus hat ihnen gesagt, wozu er gekommen ist: Er ist gekommen, um die Verlorenen zu suchen und zu retten. „Dazu bin ich gekommen.“ Er hat ihnen auch immer wieder gesagt, dass er gekommen ist, um sein Leben zu geben und es hinzugeben. Sie wurden hineingenommen in diesen Auftrag und durften viel von ihm lernen.
Sie lernten, dass Jesus gekommen ist, um die Beziehung zwischen sündigen Menschen, die verloren sind, und dem Vater im Himmel zu heilen. Sie durften von ihm lernen, dass es nur einen Weg zu diesem Vater gibt. Jesus sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“
Jesus erklärte ihnen, wie das funktioniert. Er sagte: „Ihr müsst glauben, ihr müsst nichts selbst leisten, sondern auf mich vertrauen. So werdet ihr gerettet.“ Johannes 3,16 sagt: „Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben und auf ihn vertrauen, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“
Die Jünger haben das alles gehört, doch sie haben es noch nicht ganz verstanden. Das merken wir auch, wenn wir die Evangelien lesen: Der Groschen ist noch nicht ganz gefallen. Aber als Jesus stirbt und aufersteht und ihnen nach der Auferstehung wieder begegnet, beginnt das Verstehen.
In den Evangelien sehen wir, wie der Groschen fällt. Sie beginnen zu verstehen. Jesus erklärt es ihnen noch einmal, und sie begreifen – jetzt macht alles Sinn. Die Puzzleteile setzen sich zusammen, und sie erkennen das größere Bild.
Sie warten noch, bis sie den Heiligen Geist empfangen. Dann gehen sie hinaus, erfüllt vom Heiligen Geist, und predigen das Evangelium von Jesus Christus. Gleich zu Beginn kommen Tausende zum Glauben und finden Rettung bei Gott durch das Wort, das die Apostel verkünden.
Doch sie halten nicht nur Predigten, sondern beginnen auch, das, was sie gehört haben, aufzuschreiben. Sie teilen es mit anderen, und auch andere schreiben es auf. Gottes Plan zeigt sich darin, dass er nicht nur durch die Predigten der ersten Apostel wirkt, sondern ihnen auch den Auftrag gibt, das Wort aufzuschreiben.
So wird zum Alten Testament ein Neues Testament hinzugefügt. Wir dürfen heute das Wort der Apostel lesen. Es ist immer noch das Wort der Apostel, das im Neuen Testament überliefert ist. Ihre Lehre wurde weitergegeben, aufgeschrieben und von Generation zu Generation bewahrt.
Wir können das heute nachlesen. Wenn du heute hier bist und an Jesus Christus glaubst, dann auch, weil du das Wort der Apostel gehört hast, das aufgeschrieben wurde und dir jemand weitergegeben hat. Ohne dieses Wort wären wir nicht hier.
Deshalb sehen wir hier, dass Jesus für alle Christen betet – zu allen Zeiten und an allen Orten. Er bittet, dass sie durch dieses Wort gestärkt und zugerüstet werden und dass sie Einheit haben.
Wir lernen hier etwas ganz Zentrales über das Wesen dieser zeitlosen Einheit, für die Jesus betet: Sie ist wirklich im Wort begründet, in der Botschaft und Lehre der Apostel.
Von Anfang an waren diese Worte und Lehren umkämpft. Manchmal haben wir den Eindruck, heute sei der große Abfall, und früher sei alles besser gewesen. Aber das stimmt nicht.
Schon in der Urgemeinde gab es Streit. Manche sagten, der Glaube allein reiche nicht, man müsse noch etwas tun, etwas leisten. Sie verlangten von den Heiden, sich beschneiden zu lassen und bestimmte Regeln und Gesetze einzuhalten, sonst funktioniere die Beziehung zu Gott nicht.
Davon lesen wir auch in den Briefen. Die Apostel wendeten sich früh gegen solche falschen Lehren und sagten: „Nein, so nicht! Jesus hat uns etwas anderes gesagt.“
In der frühen Kirche gab es Streit um grundlegende Fragen. Wer ist Jesus eigentlich? Ist er wirklich Gott? Manche zweifelten und sagten, er sei ein ganz normaler Mensch gewesen, vielleicht ein bisschen heiliger, aber eben nur Mensch. Andere behaupteten das Gegenteil und sagten, er sei nur Gott, kein richtiger Mensch.
Es gab einen großen Streit um die Person Jesu. Es gab auch andere Streitigkeiten, zum Beispiel um die Frage, wie es bei uns Menschen ist: Können wir nicht anders als zu sündigen? Können wir es vielleicht doch schaffen, wenn wir uns anstrengen, so zu leben, dass es Gott gefällt? Gibt es eine Erbsünde?
Diese Streitigkeiten führten zu sogenannten Konzilien und Bekenntnissen, die formuliert wurden. Die Kirche schaute auf die Lehre der Apostel und formulierte Dinge neu, um die Einheit zu schützen – eine Einheit, die in der Lehre der Apostel ihr gutes Fundament hat.
Zum Beispiel entstand das apostolische Glaubensbekenntnis, das manche von uns als Jugendliche auswendig gelernt haben: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“ und so weiter.
Diese Formulierungen waren nicht engstirnig oder hartherzig. Die Apostel und die Kirche wandten sich dagegen, um eine echte Einheit zu bewahren – eine Einheit, die auf der Lehre Jesu gründet und über alle Zeiten Bestand hat.
Es ist wichtig, dass wir das erkennen: Wenn die Einheit nicht im Wort begründet ist, dann ist es keine echte Einheit.
Das bedeutet nicht, dass wir uns nicht in manchen Fragen auch streiten können. Es ist normal, dass wir manches nicht richtig verstehen oder unterschiedlich interpretieren. Aber es gibt grundlegende Wahrheiten, zum Beispiel: Wer ist Jesus? Wozu ist er gekommen? Wer sind wir vor Gott? Was hat Jesus am Kreuz getan?
Wenn wir in diesen Fragen unterschiedliche Ansichten haben, dann ist es um die Einheit schlecht bestellt.
Ganz neue Erkenntnisse gibt es heute wie damals. Diese stammen fast nie vom Heiligen Geist, sondern sind meist vom Zeitgeist geprägt – eine Anpassung an aktuelle Trends in der Gesellschaft.
Solche „Erkenntnisse“ zerstören die zeitlose Einheit der Kirche, für die Jesus hier betet.
Das bringt uns zum zweiten Punkt: die zeitlose Einheit, um die Jesus hier bittet. Diese Einheit ist eine geistliche Einheit.
Jesus betet weiter ab Vers 21: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins sind, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins sind.“
Wir sehen hier, dass echte Einheit so funktioniert oder darauf beruht, dass wir eng verbunden sind mit Gott, dem Vater, und Gott, dem Sohn. Die Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn sehen wir hier als Grundlage wahrer Einheit. Jesus sagt: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein.“ Das ist eine ganz enge Beziehung, die Jesus hier beschreibt – eine geistliche Beziehung.
Wir haben diese Beziehung durch den Heiligen Geist, den Gott uns schenkt. Natürlich kann man auch eine Einheit haben, bei der Gott keine Rolle spielt. Man kann auch auf andere Weise Einheit erzwingen oder herbeiführen. Das erleben wir immer wieder. Dann wird eine äußere Einheit bewahrt, aber die innere Einheit, die Einheit der Herzen, besteht nicht mehr.
Ich musste an unsere Gemeindegeschichte beziehungsweise an die Geschichte unseres Gemeindebundes denken. Ganz am Anfang stand ein Mann namens Hermann Heinrich Grafe, der die erste FEG gegründet hat. Bevor er in der FEG war, war er in der Landeskirche. Dort hat ihm ein Umstand große Not bereitet: Sie feierten dort immer wieder zusammen das Abendmahl, und er bemerkte, dass er eigentlich nicht mehr mitfeiern konnte. Viele kamen Sonntag für Sonntag, glaubten aber gar nicht an den Herrn Jesus Christus, folgten ihm nicht nach und nahmen dennoch das Abendmahl. Das brachte ihn in einen großen Konflikt.
Es gab noch andere Gründe, warum er dann die FEG gründete, aber das war ein Grund, der ihn wirklich belastete. Er sagte sinngemäß: „Wir sind hier zwar organisatorisch eine Einheit, aber keine geistliche Einheit.“ Er erkannte, dass das ein Problem war. Er wusste sich nicht anders zu helfen, als zu sagen: „Da muss ich raus.“ So kommt es leider immer wieder vor, dass eine Kirche sich nicht verändert und manche Menschen gehen.
Die Bedrohung, die er erlebt hat, gibt es bis heute. Es gibt nicht wenige Gemeinden, die äußerlich zwar zusammen sind, aber keine echte Einheit im Geist haben. Dort kämpfen verschiedene Interessengruppen gegeneinander, und man macht sich das Leben schwer. Ich staune immer wieder, wenn mir Freunde erzählen, die mit mir studiert haben: Man misstraut sich gegenseitig, versucht die Gemeinde zusammenzuhalten, aber eine echte geistliche Gemeinschaft ist nicht vorhanden.
Ähnlich erleben wir das in vielen Gemeindebünden dieser Zeit, egal ob bei den Methodisten, den Baptisten oder den freien evangelischen Gemeinden. In all diesen Gemeindebünden wird intensiv darüber gesprochen, dass Einheit gebraucht wird und man zusammenbleiben muss. Oft wird dabei auf Johannes 17 verwiesen, denn der Herr Jesus will, dass wir Einheit haben. Doch diese Einheit basiert oft nicht auf einer echten geistlichen Grundlage.
Ich habe das in den letzten Jahren immer wieder erlebt, wenn ich mit anderen Pastoren in unserem Gemeindebund gesprochen habe. Wenn wir darüber gesprochen haben, zum Beispiel: Wer ist Jesus? Was hat er getan? Wenn dann manche sagen, es gehe nur darum, an Jesus zu glauben, Umkehr zu tun, aber die Abkehr von der Sünde sei nicht so entscheidend oder wichtig, dann frage ich mich: Glauben wir an denselben Jesus?
Jesus hat gesagt: „Glaubt an mich!“ Aber er hat auch gesagt: „Tut Buße, kehrt um!“ Manche Pastoren behaupten, Jesus habe am Kreuz nicht ihre Sünden getragen. Sie sagen sogar, es sei ein grausames Gottesbild, dass Gott seinen Sohn am Kreuz sterben lässt, um Schuld zu bezahlen. So könne ein liebender Vater nicht sein. Dabei verkennen sie, dass Jesus selbst gesagt hat, das sei Gottes Weg und Plan. Die Lehre der Apostel überliefert uns etwas ganz anderes.
Wie soll auf so einer Basis wirklich geistliche Gemeinschaft stattfinden? Es ist unmöglich. Ich bin überzeugt, dass Jesus auch nicht für so eine Einheit betet. Wenn wir dieses Gebet Jesu ernst nehmen und tief studieren – Freunde, das habt ihr schon gehört – spricht er oft auch über die Wahrheit und wie wichtig sie ist.
Einheit braucht mehr, als nur zu sagen: „Bleiben wir zusammen, es geht nur um die Liebe.“ Es gibt ein tieferes Fundament. In unserer Gemeinde hier gibt es wirklich viel von dieser geistigen Einheit und herzlichen Gemeinschaft, die das fördert, wenn wir ein gutes gemeinsames Fundament haben.
Aber wer meint, er stehe, sollte aufpassen, dass er nicht falle. Viele Gemeinden, die heute in eine Schieflage geraten sind, waren mal richtig gut unterwegs. Ich sage das nicht, um mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern um uns zu mahnen: Lasst uns vor allem bei uns bleiben und darum ringen, an der Wahrheit festzuhalten, die unser Fundament ist – die Lehre der Apostel – und dass wir geistliche Gemeinschaft und geistliche Einheit haben.
Jeder Einzelne ist gefragt, denn jeder kann diese Einheit fördern. Jesus redet hier von dieser Beziehung und sagt, dass er diese Einheit möchte, so wie er die Einheit mit dem Vater hat. Jeder von uns kann diese geistige Gemeinschaft fördern, indem er sich eng an Jesus hängt und die Beziehung zu ihm zur obersten Priorität macht.
Wir sagen das oft, wir wollen das, aber wenn wir ehrlich sind, rückt Jesus oft doch etwas in den Hintergrund. Jesus an erster Stelle, eng an Jesus – dafür gebraucht er schöne Bilder. Er sagt zum Beispiel: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“
Eine Rebe, die auf dem Boden herumliegt, fruchtlos ist und keine Einheit mit dem Weinstock hat, ist so wie wir, wenn wir uns nicht eng an Jesus halten. Positiv gesprochen: Wenn wir bei ihm sind, sind wir mit ihm verbunden, das Leben fließt, und wir sind auch mit den anderen Reben verbunden – eine Einheit, eine organische Einheit.
Wer ein anderes Bild braucht, kann sich ein Dreieck vorstellen. Das wird oft für die Ehe verwendet, aber ich glaube, es passt für jede christliche Beziehung. Ein Dreieck, bei dem oben Gott steht und an den anderen Ecken jeweils ein Christ. Wenn beide sich näher zu Gott bewegen, kommen sie auch einander näher. Die Einheit wird enger und intensiver.
Wie suchen wir Gottes Nähe, die Nähe zu Jesus? Ich erzähle euch heute nichts Neues: Wir suchen seine Nähe, indem wir sein Wort uns zu Herzen nehmen, es selbst lesen, darauf hören in der Gemeinde und uns darüber austauschen – vielleicht in Kleingruppen oder Hauskreisen. So verinnerlichen wir es noch tiefer, nicht nur als Bildung, sondern als Herzensbildung. Das bedeutet, dass wir das, was wir in der Schrift erkannt haben, auch leben. Nur dann haben wir es wirklich erkannt.
Wir suchen seine Nähe auch im Gebet, indem wir darin wachsen, seine Nähe zu suchen, ihn zu loben, zu preisen und zu danken für das, was er ist und wie er mit uns umgeht. Seine Gnade für Sünder wie uns ist erstaunlich. Wir bekennen unsere Schuld ganz persönlich: „Es tut mir leid, dass ich immer noch so oft deine Gebote und Gesetze breche und an deinem Willen scheitere, den ich doch als gut erkannt habe. Bitte vergib mir, stell mich wieder her, hilf mir, einen Schritt weiterzukommen, damit ich dir nicht immer dieselben Sünden bringe. Hilf mir, verändere mich!“
Auch durch Fürbitte suchen wir Gottes Nähe, so wie Jesus es hier selbst tut: Er betet für sich und für seine Jünger. So suchen auch wir Gottes Nähe.
Als drittes schenkt Gott uns Gemeinschaft als Gnadenmittel, als großes Geschenk, durch das wir einander stärken und bestärken können. Wir können einander auch zurechtweisen. Heute hat das Wort „Gemeindezucht“ einen schlechten Klang, ich verstehe das. Aber man darf das nicht überbewerten. Eigentlich ist es ein Gespräch unter Brüdern und Schwestern, bei dem wir einander helfen, zu sehen, wie es anders aussehen kann, wie wir darin wachsen können, Gottes Willen mehr zu tun. Wir beten füreinander und sprechen uns Mut zu.
Wenn wir über dieses Gebet nachdenken, merken wir: Wenn ich mich nicht eng an Jesus hänge, entgeht mir ein großer Segen. Aber auch der Gemeinde entgeht ein großer Segen. Die Einheit leidet dann.
Andersherum kann man es positiv formulieren: Was für ein Segen, wenn viele Christen, viele Geschwister nah beim Herrn sind und sich in der Gemeinde einbringen. Dann können wir uns fröhlich unterstützen auf dem Weg in die himmlische Herrlichkeit.
Und es bringt mich zum letzten Punkt: So eine Einheit ist nicht nur für uns schön, sondern sie ist auch zeugnishaft.
Jesus bittet auch deshalb darum, weil diese Einheit der Welt etwas von Gottes Größe, von seiner Macht und von seiner atemberaubenden Liebe zeigt. Wenn die Welt erkennt, wie unsere Einheit durch das gestärkt ist, was Gott bei uns tut, dann wird Gottes Wirken sichtbar.
Das Dritte: Es geht hier um eine zeugnishafte Einheit. Jesus betet in Vers 21: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.“ Und dann in Vers 23: „Damit sie vollkommen eins sind und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst.“
Das heißt, dadurch, dass wir mit Gott verbunden sind und miteinander verbunden in der Gemeinde, soll die Welt erkennen, dass unser Herr Jesus Christus wirklich von Gott gesandt wurde. Er ist mit der Mission gekommen, uns Menschen zu zeigen, wie sehr Gott uns liebt.
Was Jesus hier betet, hat er schon zu Beginn dieses denkwürdigen ersten Gründonnerstags gesagt. In einer anderen Lehreinheit, die den ganzen Abend dauerte, hat er ihnen noch weitere Dinge mitgegeben. Schon in Johannes 13 sagt er:
„Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ (Johannes 13,34-35)
Da sehen wir auch: Das ist ein Gebot. Diese Liebe ist nicht optional. Sie beschränkt sich nicht auf die Menschen in der Gemeinde, die ich besonders sympathisch finde oder die gerade in meiner Lebensphase sind.
Manchmal versteht man sich in der Gemeinde auch als eine Art Leidensgemeinschaft: Eltern mit kleinen Kindern erzählen einander, wie schwierig das manchmal sein kann. Es gibt die Senioren in ihren Kreisen, die Singles unter sich, und so gesellen sich Gleichgesinnte gern zusammen. Aber es geht um viel mehr.
Ergänzend lesen wir in 1. Johannes 4,19-20: „Lasst uns lieben, denn er, also Jesus, Gott, hat uns zuerst geliebt. Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht. Und dieses Gebot haben wir von ihm, dass wer Gott liebt, auch seinen Bruder liebt.“
Ich füge hinzu: auch seine Schwester. Das ist oft gar nicht so einfach. Die, die ich sympathisch finde, die ich mag, die liebe ich noch einigermaßen leicht und bin für sie da. Aber alle zu lieben, die Gott mit mir in die Gemeinde hineingefügt hat – das kann schon herausfordernd sein.
Ich merke das, wenn ich darüber nachdenke. Ich merke auch, wie ich oft selbstsüchtig denke: „Ja, und wer liebt mich? Was tut ihr für mich? Habe ich mich nicht schon genug eingesetzt?“ Solche Gedanken kennt man vielleicht, zumindest in schwachen Momenten, wenn man sich wünscht, auch mal geliebt zu werden.
Aber das ist der falsche Ansatz. So funktioniert Gottes Liebe nicht. Mit Gottes Wort als Spiegel sehe ich, dass meine Liebe zu anderen, zu meinen Geschwistern in der Gemeinde und darüber hinaus, nicht davon abhängen soll, was sie für mich tun oder ob sie sich als würdig erweisen, dass ich sie zurückliebe.
Meine Liebe soll aus der Liebe fließen, die Gott mir gezeigt hat und immer wieder zeigt. Das nehmen wir morgen ganz besonders in den Blick und feiern es: Gott liebt uns so sehr bis ans Äußerste und darüber hinaus. Jesus schenkt sein Leben, lässt sich verspotten, bespucken, erträgt einen ungerechten Prozess, macht keinen Mucks, rechtfertigt sich nicht und lässt sich ans Kreuz schlagen für meine Schuld.
Gott hat bewiesen, dass er mich liebt. Er zeigt es mir immer wieder neu. Die Bibel sagt uns, das ist es, was unser Herz verändern soll, was uns prägen soll und was uns zu anderen treibt, sie zu lieben.
Wenn wir nicht lieben können, haben wir das noch nicht tief genug begriffen. Und ich glaube, keiner von uns hat das schon tief genug begriffen. Wir können alle noch deutlich wachsen, diese Liebe tiefer zu verstehen.
Ich möchte uns dazu herausfordern, nicht bei einem Standard-Liebesprogramm stehenzubleiben. Man kann für ein paar Menschen da sein, vielleicht auch für ein paar schwierigere. Aber es geht darum, erwachsen zu werden und es ernst zu nehmen. Jesus sagt: Es ist ein Gebot.
Jesus bittet um eine Einheit, die von dieser Liebe geprägt ist. Nicht nur Liebe zu Gleichgesinnten, zu Menschen, die so ticken wie ich – das ist leichter und kennt die Welt. Aber diese andere Liebe kennt die Welt eben nicht.
Wie oft habe ich schon gehört, dass Menschen, die neu in eine Gemeinde kommen, überrascht sind: „Was ist denn hier los? Warum haben die sich lieb?“ Das hört man immer wieder.
Ich habe das auch selbst erlebt, besonders wenn man in eine andere Stadt oder Gemeinde kommt. Da sind Christengeschwister, die laden dich zum Essen ein, und sie haben sich untereinander lieb. Das ist ein schönes Zeugnis.
Deshalb möchte ich ermutigen, sich von Gottes Liebe auch zu denen bewegen zu lassen, die einem nicht so leicht fallen. Zu denen, von denen man sich vielleicht bewusst fernhält, weil man sagt: „Die Art, die der hat, oder die Art, die die hat, mag ich nicht. Das passt nicht zu mir.“
Oder weil man manche politischen Überzeugungen nicht teilt. Das kam in den letzten Jahren immer wieder hoch. Wir sagen jetzt alle: Corona ist vorbei. Aber manche Wunden sind noch da. Manche meiden sich in dieser Gemeinde, weil es Streit gab in der Corona-Zeit, und gehen sich aus dem Weg. Aber das schadet der Einheit.
Vielleicht gibt es auch bewusst zweitrangige theologische Fragen, bei denen man lieber Abstand hält. Wir müssen aufpassen, dass uns nichts Zweitrangiges spaltet oder zerteilt.
Es ist ernst. Das Gebet Jesu ist ernst. Vielleicht gibt es auch Geschwister in dieser Gemeinde, die du zwar immer wieder siehst, aber deren Namen du nicht kennst und mit denen du noch nie gesprochen hast.
Ich möchte dich ermutigen: Geh diesen Schritt. Sei neugierig, neue Geschwister kennenzulernen.
Neulich hörte ich von einem Bruder: Nach dem Gottesdienst waren sie in einer größeren Gruppe noch zusammen essen. Einige kannten sich nicht so gut. Beim Essen erzählten sie sich ihre Zeugnisse, wie sie Jesus kennengelernt haben.
Er sagte, es war sehr ermutigend zu hören, wie unterschiedlich die Lebenswege und Biografien sind und wie Jesus bei jedem etwas anders wirkt. Doch sie merkten, dass sie alle eine gemeinsame Erfahrung haben: Jesus hat sich ihrer erbarmt, sie durften ihn erkennen und zum Glauben an ihn finden. Das verbindet sie. Jesus hat für uns alle bezahlt. Wir sind eins.
Diese Welt braucht Jesus. Wir sollten ihn verkündigen, unseren Herrn, gerade auch dadurch, dass wir das in unserem Miteinander sichtbar machen. Dass er unser Herr ist und wir seine Liebe verstanden haben.
Deshalb lasst uns mit Gottes Hilfe – und die brauchen wir wirklich, seinen Geist – unseren Egoismus, unsere Eitelkeit und auch unsere Streitereien, die es bei uns noch gibt, zur Seite legen.
Unsere Einheit ist Jesus so wichtig, dass er den Vater noch kurz vor der Verhaftung inständig darum bittet. Er sieht durch den Korridor der Zeit bis zu uns hier. Er sieht dich, er sieht mich, und er betet auch für uns:
„Vater, mach sie eins, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast.“
Lass uns dieses Gebet zu unserem eigenen Gebet machen und danach leben, dafür leben, dass dieses Gebet mehr und mehr auch Realität wird – auch in unserer Gemeinde.
Ich möchte beten. Jesus, wir wollen dich loben und preisen. Wir danken dir für deine atemberaubend große Liebe zu uns. Danke, dass du gekommen bist, um uns Verlorene zu suchen. Danke, dass du uns gefunden hast und uns erlöst hast. Du hast unsere ganze Schuld getragen und am Kreuz von Golgatha bezahlt. Durch dich sind wir frei. Wir dürfen geliebte Söhne und Töchter des Vaters im Himmel sein – eine Familie.
Wir bekennen, dass die Einheit, um die du bittest, auch bei uns oft noch nicht da ist. Wir haben noch unsere Streitereien und Zersplitterungen. Wir wollen beten, dass das anders wird. Hilf uns, wirklich in der Liebe zueinander weiterzuwachsen.
Wir danken dir für alles, was schon da ist. Es ist ein Wunder und wunderschön. Aber wir beten, dass das noch tiefer gehen darf. Hilf uns, den Egoismus in der Kraft des Geistes zu überwinden. Lass uns unsere Eitelkeit beiseitelegen und nicht streitsüchtig sein. Schenke uns den Mut, neue Geschwister kennenzulernen und den Schritt aufeinander zuzugehen.
Vater, wir beten, dass in dieser Gemeinde noch viele, die von außen dazukommen, deine Liebe wirklich erkennen dürfen. Dass sie daran erkennen, wie mächtig und liebevoll du bist. Mögen sie dich preisen für das, was du bist. Lass Menschen dir begegnen und zum lebendigen Glauben finden.
Danke für dieses Geschenk, mit dir leben zu dürfen. Danke für unsere Gemeinschaft. Wir befehlen dir den weiteren Abend an. Wir freuen uns, dass wir zusammen das Abendmahl feiern dürfen. So wird uns noch einmal vor Augen gestellt, was du, Jesus, für uns getan hast.
Wir loben dich und preisen dich. Amen.