
Gebete am Rande der Verzweiflung – dieses Oberthema muss ich für meine heutige Predigt eigentlich umformulieren. Nicht „Gebete am Rande der Verzweiflung“, sondern „Ein Gebet in der tiefsten Verzweiflung“.
Wir möchten uns heute Psalm 88 anschauen. Das Thema meiner Predigt lautet: „Wenn die Depression dein Licht ausmacht“.
Bevor wir zum Bibeltext kommen, einige Vorbemerkungen zu diesem Thema. Das Thema Depression ist sehr, sehr groß und komplex, zumal es viele verschiedene Ursachen für eine Depression geben kann. Der Seelsorger David Paulison listet einige Faktoren auf, die bei einer Depression mitwirken können:
Unsere Ohnmacht und unser Unvermögen als Menschen, körperliche Krankheiten, Hormonschwankungen, Allergien, Neigungen des Temperaments, Verluste und Enttäuschungen aller Art, vorsätzliche bewusste Sünden und unbewältigte Schuld, kaum wahrnehmbare und doch tiefgreifende Verzerrungen des Glaubens, des Gewissens, der Wünsche und Hoffnungen, die aus verbleibender Sündhaftigkeit entstehen, ehrliche Einschätzung der bitteren Realität, die ein erlöstes Gewissen mit sich bringt, Nebenwirkungen von Arzneimitteln, ganz alltägliche Unzufriedenheit und Selbstmitleid, Beschwerden und Weglagen des Glaubens, Erfahrungen von Grausamkeit, Verrat und Verletzung sowie der Zyklus der Jahreszeiten und Wetteränderungen.
Depression ist ein komplexes Problem. Es kann also sehr viele unterschiedliche Ursachen haben. Man muss vorsichtig sein, nicht zu schnell zum Beispiel auf Sünde im Leben des Depressiven zu schließen. Es kann sein, aber es muss nicht sein.
Dann sollten wir vielleicht auch kurz die Begrifflichkeit klären. Eine Depression, wie man sie psychiatrisch diagnostizieren würde, liegt vor, wenn mindestens fünf der folgenden neun Symptome mehr als zwei Wochen lang durchgängig vorhanden sind:
Depressive Verstimmung fast den ganzen Tag, vermindertes Interesse oder Freude an allen Aktivitäten fast den ganzen Tag, deutlicher Gewichtsverlust ohne Diät oder das andere Extrem, Gewichtszunahme, Schlaflosigkeit oder vermehrter Schlaf, durch andere beobachtbare psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung, Müdigkeit oder Energieverlust fast den ganzen Tag, Gefühl von Wertlosigkeit oder unangemessene Schuldgefühle, verminderte Denk- und Konzentrationsfähigkeit oder verminderte Entscheidungsfähigkeit, wiederkehrende Gedanken an den Tod oder wiederkehrende Suizidvorstellungen oder sogar Versuche.
Dabei muss eines der ersten beiden Symptome vorhanden sein. Wenn bei einer Person fünf von diesen neun Faktoren über einen Zeitraum von länger als zwei Wochen vorliegen, würde ein Psychiater die Diagnose Depression stellen.
Warum sage ich das? Die meisten von uns erleben auch schon mal depressive Verstimmungen. Wenn ich jetzt mal um Handzeichen bitten würde, würden vermutlich fast alle Hände hochgehen. Wir alle erleben mal kürzere Phasen von Schwermut in unserem Leben. Aber das ist noch nicht im eigentlichen Sinne eine Depression. Da müssen wir aufpassen.
Wer sich generell mehr mit dem Thema auseinandersetzen will, dem empfehle ich das Buch von Edward Welch mit dem Titel „Depression“, erschienen im 3L Verlag. Er geht das Thema auf biblische Weise an. Es ist ein sehr empfehlenswertes Buch.
Ich möchte hier heute keinen Fachvortrag zum Thema Depression halten, sondern eine Predigt über Psalm 88. Psalm 88 ist der düsterste Psalm der ganzen Bibel. Es gibt immer wieder Psalmen, und Matthias hat uns in der Andacht bereits einen Psalm vorgestellt, in dem es dem Beter sehr, sehr schlecht geht. Aber immer gibt es irgendwie doch noch Licht am Ende des Tunnels – nicht in Psalm 88.
In diesem Psalm gibt es kein Happy End. Psalm 88 schließt sogar wortwörtlich mit „Finsternis“. Das ist das letzte Wort in diesem Psalm. Das letzte Wort hat die Finsternis.
Das Wort Depression kommt zwar nicht in diesem Psalm vor, aber man kann anhand der Schilderungen auf eine schwere Depression schließen. Der Alttestamentler Timo Viola bezeichnet diesen Psalm zu Recht als ein Gebet eines Depressiven.
Ich bin dankbar, dass wir auch diesen Psalm in der Bibel haben, denn auch er ist Gottes Wort und möchte uns etwas sagen.
Ich möchte diesen Psalm einmal am Stück vorlesen und anschließend fünf Lektionen für uns heute daraus ableiten.
Ein Lied, ein Psalm von den Söhnen Korachs, dem Chorleiter, nach Machalazzo singen, ein Maskil von Heman, dem Esrachiter:
„Herr Gott meiner Rettung, des Tages habe ich geschrien und des Nachts vor dir. Es komme vor dich mein Gebet, neige dein Ohr zu meinem Schreien, denn satt ist meine Seele vom Leiden, und mein Leben ist nahe dem Scheol.
Ich bin gerechnet zu denen, die in die Grube hinabfahren, ich bin wie ein Mann, der keine Kraft hat, unter die Toten hingestreckt wie Erschlagene, die im Grab liegen, derer du nicht mehr gedenkst, denn sie sind von deiner Hand abgeschnitten.
Du hast mich in die tiefste Grube gelegt, in Finsternisse, in Tiefen. Auf mir liegt schwer dein Zorn, und mit all deinen Wellen hast du mich niedergedrückt.
Meine Bekannten hast du von mir entfernt, hast mich ihnen zum Abscheu gemacht. Ich bin eingeschlossen und kann nicht herauskommen. Mein Auge verschmachtet vor Elend, zu dir rufe ich her den ganzen Tag, ich strecke meine Hände aus zu dir.
Wirst du an den Toten Wunder tun? Oder werden die Gestorbenen aufstehen, dich preisen? Wird von deiner Gnade erzählt werden im Grab, im Abgrund von deiner Treue? Werden in der Finsternis bekannt werden deine Wunder und die Gerechtigkeit im Land des Vergessens?
Ich aber, Herr, schreie zu dir, und am Morgen möge dir mein Gebet begegnen. Warum verwirfst du meine Seele, Herr, verbirgst du dein Angesicht vor mir?
Elend bin ich und todkrank von Jugend auf, ich trage deine Schrecken, ich bin verwirrt, deine Zorngluten sind über mich gegangen, deine Schrecknisse haben mich vernichtet, sie umgeben mich wie Wasser den ganzen Tag, sie umringen mich allesamt.
Du hast mir entfremdet Freund und Nachbarn, meine Bekannten sind Finsternis.“
Dies ist ein düsterer Psalm, alles wirkt so hoffnungslos. Wir finden in diesem Psalm nicht den Refrain, von dem Matthias in seiner Andacht erzählt hat. Der ist in Psalm 42, aber nicht in Psalm 88.
Es herrscht eigentlich eine Monotonie, wie sie nicht selten bei einem Depressiven herrscht. Hier gibt es keine Achterbahn der Gefühle, denn bei einer Achterbahn geht es auch hoch. Hier ist man nur unten, über den ganzen Psalm hinweg.
Und ich möchte fünf Beobachtungen aus Psalm 88 mit Ihnen teilen. Die erste Beobachtung lautet: Eine Depression kann jeden betreffen.
Im ersten Vers erfahren wir etwas über den Autor. Wir finden die Wendung „von den Söhnen Korachs“, aber am Ende von Vers elf wird auch Heman genannt. Da stellt sich die Frage: Wer ist es denn jetzt? Wahrscheinlich gehörte Heman zu den Söhnen Korachs. Er wird mit den Nachkommen Korachs assoziiert und hat diesen Psalm in der Ich-Form geschrieben. Das heißt, Heman berichtet hier von seiner persönlichen Depression – und zwar mittendrin. Es ist kein Rückblick, er befindet sich noch immer in der Depression.
Heman gehört zwar nicht zu den prominentesten Charakteren in der Bibel, aber er ist nicht irgendwer. Schauen wir mal in 1. Könige 5,11: Dort heißt es über Salomo: „Und er, also Salomo, war weiser als alle Menschen, als Ethan, der Israchiter, und Heman, und Dada und Chalkol, die Söhne Marholz.“ Wenn hier gesagt wird, Salomo war sogar weiser als Heman, lässt das darauf schließen, dass Heman ebenfalls sehr weise war. Wenn wir diesen Vers so nehmen, gehörte Heman zu den Top fünf der weisesten Menschen seiner Zeit – und er ist in der Depression.
Eine Depression kann also jeden betreffen. Heman ist in der Bibel nicht allein. Wir finden weitere depressive Menschen, zum Beispiel Elija, Naomi, Hanna, den Propheten Jeremia, Jona, einige Psalmschreiber und weitere Personen, die ebenfalls Depressionen in ihrem Leben kannten.
Auch in der Kirchengeschichte finden wir prominente Beispiele. Martin Luther hat gerade auf der Wartburg, wo er das Neue Testament übersetzte – vielleicht das, das Sie heute in der Hand halten –, unter Depressionen gearbeitet. Über mehrere Monate war Martin Luther in Depressionen, auch später noch in seinem Leben.
Der berühmte Prediger Charles Haddon Spurgeon, der als einer der begnadetsten Prediger in die Kirchengeschichte eingegangen ist, litt immer wieder heftig an Depressionen. So sehr, dass seine Frau einmal schrieb: „Die Verzweiflung meines Geliebten war so tief und stark, dass die Herrschaft des Verstandes zu wanken schien. Bisweilen fürchteten wir, er würde niemals wieder predigen.“ Das ist Spurgeon.
Ich möchte Ihnen auch ein neueres Beispiel nennen: Andrew Brunson. In dem Buch „Geisel für Gott“ schreibt er von seiner Depression im Gefängnis. Er war mit seiner Frau Missionar in der Türkei, und durch Erdogan wurde er auf fiese Weise ins Gefängnis gebracht – über zwei Jahre lang. In diesem Gefängnis ging es ihm so schlecht, dass er sogar an Suizid dachte. Ein Mann Gottes, ein Missionar, zutiefst in der Depression.
Eine Depression kann jeden betreffen. Damit möchte ich keine Angst machen. Das ist überhaupt nicht meine Absicht. Vielmehr möchte ich den Betroffenen heute hier oder auch im Livestream, falls Sie diese Predigt im Nachhinein anhören, sagen: Ihr seid nicht allein. Ihr seid in Gesellschaft von Männern und Frauen, die Gott trotz ihrer Depression gewaltig gebraucht haben für sein Reich. In Schwachheit baut Gott häufig sein Reich.
Dass eine Depression jeden treffen kann, bedeutet aber auch, dass sie kein Tabuthema in der Gemeinde sein darf. Heman hat diesen Psalm öffentlich gemacht. Es ist ein Lied für den Chorleiter, es sollte gesungen werden. Deshalb ist es so wichtig, dass diejenigen, die unter Depression leiden, von uns hier vorne hören: Ihr müsst damit nicht allein bleiben. Depression ist kein Tabuthema in der Gemeinde.
Gemeinde ist ein Krankenhaus. Wenn du mit Depression zu kämpfen hast, heißen wir dich herzlich willkommen. Du bist genauso ein wertvoller Teil unserer Gemeinde wie die Menschen, die ständig ein Lächeln auf dem Gesicht haben. Gemeinde ist Krankenhaus, und das Thema Depression darf kein Tabuthema sein.
Wir wollen für dich beten und dir beistehen, wenn du darunter leidest. Denn wir wissen: Gott kann dich trotzdem massiv gebrauchen. Du stehst mit deiner Depression nicht auf Gottes Abstellgleis. Gott hat Menschen gewaltig gebrauchen können – auch in der Depression.
Eine zweite Beobachtung, die ich anhand von Psalm 88 mit euch teilen möchte: Eine Depression ist ein sehr großes Leid, ein großes Leid.
Kommt, wir hören mal rein, wie der Beter in Psalm 88 seine persönliche Situation beschreibt, ab Vers 4:
„Denn satt ist meine Seele vom Leiden, und mein Leben ist nahe dem Scheol. Ich bin gerechnet zu denen, die in die Grube hinabfahren, ich bin wie ein Mann, der keine Kraft hat.
Unter die Toten hingestreckt, wie Erschlagene, die im Grab liegen, derer du nicht mehr gedenkst, denn sie sind von deiner Hand abgeschnitten.“
Einige Ausleger rätseln hier, ob Hemann eine chronische, tödliche Krankheit hatte und die Depression deswegen noch einmal obendrauf kam. Das kann man nicht genau sagen, aber diese Aussagen sind so hoffnungslos. „Mein Leben ist nahe dem Scheol“ bedeutet: Ich bin fast tot. Ich denke mehr über den Tod nach als über das Leben.
Weiter spricht er hier von der Grube und dem Grab. Das geht alles in dieselbe Richtung: Das Grab ist ein Ort für Menschen, die nichts mehr tun können. Und genau so fühlt sich der Beter. Er sagt: „Ich bin wie ein Mann, der keine Kraft hat.“
Ich habe keinen Lebensmut, mir fehlt die Energie, mir fehlt die Kraft, um zu funktionieren, mir fehlt die Kraft, um irgendwie am Leben teilzunehmen. Diese Kraft habe ich nicht, kein Antrieb.
Weiter macht er in Vers 8 deutlich: „Auf mir liegt schwer dein Zorn, und mit all deinen Wellen hast du mich niedergedrückt.“ Das Wort Depression kommt ja aus dem Lateinischen, vom lateinischen „depressus“, und das bedeutet niedergedrückt. Das ist genau das Wort, wovon er hier auch spricht: Ich bin niedergedrückt.
Hinzu kommt die soziale Isolation, Vers 9: „Meine Bekannten hast du von mir entfernt, hast mich ihnen zum Abscheu gemacht.“ Vers 19 noch einmal: „Du hast mir entfremdet Freund und Nachbarn.“ Er ist einsam. Und wahrscheinlich ist die soziale Isolation die Folge seines Zustandes, denn hier steht: „Du hast mich ihnen zum Abscheu gemacht.“ Das war noch nicht immer so. Das ist die Folge möglicherweise der Depression.
Gerade da, wo er so dringend andere Menschen in seinem Leben braucht, kehren sie ihm den Rücken zu. Soziale Isolation und brutale Einsamkeit kennzeichnen auch heute noch das Leben von depressiven Menschen, nicht immer, aber immer wieder.
Weiter fühlt er sich hier wie im Gefängnis. Schaut mal Vers 9: „Ich bin eingeschlossen und kann nicht herauskommen.“ Es gibt keinen Ausweg, ich bin gefangen in meinem Kopf.
Vers 10: „Mein Auge verschmachtet vor Elend.“ Und dann ab Vers 16: „Elend bin ich und todkrank von Jugend auf, ich trage deine Schrecken, ich bin verwirrt. Deine Zorngluten sind über mich hingegangen, deine Schrecknisse haben mich vernichtet, sie umgeben mich wie Wasser den ganzen Tag, sie umringen mich allesamt. Du hast mir entfremdet Freund und Nachbarn, meine Bekannten sind Finsternis.“
Wir erfahren hier auch, dass dieser Zustand in seinem Leben schon so lange anhält. Er sagt „von Jugend auf“, also er leidet jahrelang. Ein Zustand, vor dem man sich eigentlich nur erschrecken kann, hält ihn fest. Er sagt: „Sie umgeben mich wie Wasser den ganzen Tag.“ Also keine Phase in seinem Leben, wo es mal besser ist, es ist immer da – seine Gedanken, die ihn runterziehen. Und dann hat auch noch die Finsternis das letzte Wort.
Auf ähnliche Weise beschreibt es eine junge Frau mit Anfang zwanzig in ihrem Tagebuch:
„Ich fühle mich so, als wenn ich heute sterben wollte. Ich bin überwältigt von meinen Gefühlen, die ich nicht verstehen kann. Ich weiß wirklich nicht, wie ich das aushalten soll. Ich bin verängstigt. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich kann keine Worte finden, um auszudrücken, was ich fühle. Ich bin jetzt total verzweifelt. Ich weiß, dass die Antwort irgendwo in Gott liegt, aber er scheint hoffnungslos weit weg zu sein. So sehr ich an ihm zweifle und wütend bin, kann ich ihn aber einfach nicht loslassen, ich kann nicht von ihm weggehen. Wenn ich das täte, würde ich sterben. Ich denke, dass jedem, der mir versucht zu helfen, die Ideen ausgehen. Wenn ich allein gelassen werde, werde ich es nicht schaffen. Ich fühle mich furchtbar.“
Ganz ehrlich, wenn wir das lesen, fühlt man sich auch bedrückt? Mir geht es so, wenn ich mit diesen Inhalten konfrontiert werde. Es zieht mich selber runter und vielleicht dich auch. Aber wie viel schlimmer geht es einer Person, die das selber wirklich in vollem Ausmaß durchlebt.
Bis hierhin sind wir in der Gemeinde eingeladen, einander die Lasten zu tragen. Eine Depression – und dafür muss man nicht viel argumentieren – ist eine große Last im Leben. Menschen, die beladen sind.
Ich möchte dich heute ermutigen, diese Menschen wahrzunehmen, damit sie nicht sagen: „Meine Freunde haben mich verlassen.“ Natürlich ist eine seelsorgerliche Ausbildung hilfreich, um effektiv weiterhelfen zu können. Aber das, was depressive Menschen auch manchmal einfach nur brauchen, ist ein Freund, der Mitgefühl hat. Ein Freund, der sagt: „Ich bleibe an deiner Seite, auch wenn du mir immer wieder dasselbe aus deinem Leben erzählst. Ich bleibe an deiner Seite, auch wenn das, was du mir erzählst, mich selber runterzieht. Aber mit Gottes Hilfe bleibe ich an deiner Seite.“
Auf diese Weise können wir Gottes Treue widerspiegeln. Schaut mal: Gott weicht nicht von unserer Seite, egal wie schwer es uns geht. Und wenn du dich entscheidest, einem depressiven Menschen beizustehen, zeigst du ihm, wie Gott ist: „Ich bin da, wenn du mich brauchst.“
So möchte ich dich ermutigen, Mitgefühl zu haben. Ron Harris bringt das wunderbar auf den Punkt. Er sagt: „Mitgefühl ist aktiv, scharfsinnig und kämpferisch. Mitleid mit dem depressiven Hilfesuchenden ist ein Schlag gegen Satans Angriffe, der die Person dazu bewegt, ein mürrischer Atheist zu werden, der völlig verschlossen ist. Dass wir Satan immer bei den depressiven Menschen erreichen, dass sie mürrische Atheisten werden.“
Dann heißt es weiter: „Mitleid ist bereit zu kämpfen. Mitleid stellt die Hauptfrage: Wie können wir unseren Blick auf Jesus richten, mitten im Leid des Hilfesuchenden?“
Liebe Gemeinde, ich möchte uns alle einladen, diese Form von Mitgefühl mit den Menschen zu haben – in der Gemeinde, am Arbeitsplatz –, die durch eine schwere Depression gehen, denn es ist ein großes Leid.
Wir kommen zur dritten Beobachtung, und das mag für einige vielleicht kontrovers klingen, aber es ist so: Gott hat etwas mit deiner Depression zu tun. Die Psalmen schildern uns immer wieder Anklagen oder besser gesagt Klagen gegenüber Gott. Der Beter in Psalm 88 macht Gott für seine Situation verantwortlich – und das nicht nur an einer Stelle, die man auch anders auslegen könnte, sondern gleich elfmal.
„Du hast mich in die tiefste Grube gelegt, auf mir liegt schwer dein Zorn, mit all deinen Wellen hast du mich niedergedrückt, meine Bekannten hast du von mir entfernt, du hast mich ihnen zum Abscheu gemacht. Warum, Herr, verwirfst du meine Seele, warum verbirgst du dein Angesicht vor mir? Ich trage deine Schrecken, deine Zornbluten sind über mich hingegangen, deine Schrecknisse haben mich vernichtet, du hast mir entfremdet Freund und Nachbarn.“
Das ist natürlich hier eine sehr klagende Art. Aber der Beter aus Psalm 88 hat klar vor Augen, dass Gott etwas mit seiner Depression zu tun hat. Er macht Gott sogar eins zu eins dafür verantwortlich.
Manchmal mag das der Fall sein. Ich würde hier eine Unterscheidung machen: Manchmal führt Gott eine Depression aktiv herbei, aber manchmal lässt er sie zu. Dann ist es nicht aktiv herbeigeführt, aber auch Dinge, die nicht aktiv von Gott herbeigeführt werden, müssen vorher über den Schreibtisch Gottes. Und das ist eigentlich eine gute Nachricht für dich: Dein Leben läuft nicht völlig aus dem Ruder in der Depression. Gott hat immer etwas damit zu tun. Entweder er hat es aktiv herbeigeführt oder er hat es zugelassen.
Gott führt zum Beispiel aktiv Depression herbei, wenn er uns zum ersten Mal oder wiederholt zu sich ziehen möchte. Das erleben wir ja immer wieder bei den Kennenlernabenden. Da ging es einer Person wirklich schlecht, sie sah keinen Sinn mehr im Leben, und dann hat sie angefangen, die Bibel zu lesen und ist zum Glauben gekommen. Solche Depressionen fügt Gott aktiv herbei, um den Menschen zu retten.
Manchmal lässt Gott Depressionen zu, in dem Sinne, wie er Krebs in unserem Leben zulässt. Aber es musste über den Schreibtisch Gottes gehen. Es ist nicht völlig losgelöst an Gott vorbei in deinem Leben passiert. Dann hättest du nämlich keine Hoffnung. Es musste über den Schreibtisch Gottes.
Ich möchte Hiob als Beispiel anführen. Von wem kam das Leid in Hiobs Leben – von Satan oder von Gott? Eigentlich ja von Satan, aber Gott hat es zugelassen. Die Frage mal anders formuliert: Wer hatte in Hiobs Leid die volle Kontrolle, Gott oder Satan? Gott. Und Gott hat etwas, was Satan gegen Hiob nutzen wollte, trotzdem zum Guten genutzt.
Paulus hatte ein Leiden in seinem Leben. Im 2. Korinther 12 spricht er von einem Dorn im Fleisch. Wir wissen nicht genau, was es war. Aber auch hier stellt sich die Frage: Kam das Leiden von Satan oder von Gott? 2. Korinther 12,7: „Darum, damit ich mich nicht überhebe, wurde mir ein Dorn für das Fleisch gegeben, das ist das Leiden, und jetzt sagt er, von wem es kommt: ein Engel Satans, dass er mich mit Füssen schlägt, damit ich mich nicht überhebe. Um dessen Willen habe ich dreimal den Herrn angerufen, dass er von mir ablasse, und er hat zu mir gesagt: Meine Gnade genügt dir.“
Mit anderen Worten: Nein. „Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft kommt in Schwachheit zur Vollendung. Sehr gerne will ich mich nun vielmehr meiner Schwachheiten rühmen, damit die Kraft Christi bei mir wohnt.“
Schaut mal: Selbst bei den Depressionen, die ein geistlicher Angriff sind, hat Gott alles unter Kontrolle. Paulus hat hier geistliche Angriffe von Satan erlebt, und Satan wollte damit bezwecken, dass Paulus aufgibt, dass er nicht mehr das Evangelium predigt. Und Gott verwendet das, was Satan in Paulus Leben zerstören will, für seine Zwecke zum Guten, damit Paulus nie stolz wird und sich disqualifiziert.
Auf diese Weise können wir sagen: Ja, entweder ist die Depression aktiv von Gott herbeigeführt oder sie ist zumindest vom Herrn zugelassen worden – aber immer mit einem guten Zweck.
Vielleicht sagt jetzt jemand: Was ist mit einer Person, die sexuellen Missbrauch erlebt hat in der Vergangenheit und deswegen in die Depression gefallen ist? Da möchte ich sagen: Der sexuelle Missbrauch ist etwas Böses, etwas, worüber Gott zutiefst zornig wird. Das ist nichts Gutes.
Aber selbst – und das werden wir nicht immer verstehen und nicht in jedem Fall – aber das ist das, was die Bibel lehrt: Selbst in den Dingen, die nicht gut gelaufen sind, kann Gott etwas Gutes daraus machen im Nachhinein. So wie Josef sagt in 1. Mose 50,20: „Ihr zwar hattet Böses gegen mich beabsichtigt, es war böse, was die Brüder gemacht haben, Gott aber hat es beabsichtigt, es zum Guten zu wenden.“
In dieser Weise gilt auch: Auch wenn es ein Geheimnis bleibt, Gott hat etwas mit deiner Depression zu tun. Und dann verfolgt er immer eine Absicht damit. Die Absicht ist uns nicht immer klar, aber Gott hat eine Absicht.
Ich bin im letzten Jahr mit einigen Personen durch eine Gegend auf der Insel Korsika gewandert, in der es ein paar Tage vorher einen Waldbrand gegeben hat. Wenn man so durch eine Gegend wandert, sieht man nicht viel Schönes. Es sieht ungefähr so aus wie auf dem Bild. Schönheit wurde zerstört auf dieser wunderschönen Insel. Alles ist nur noch schwarz, alles voller Russ, es riecht nach Rauch.
Wir gingen durch diese Gegend und hatten eine Biologiestudentin dabei. Sie sagte mir: „André, wusstest du schon, dass durch einen solchen Waldbrand neues Leben entsteht?“ Ich dachte: „Nee, wusste ich nicht.“ Sie sagte: „Weißt du, es gibt gewisse Samen, die unter der Erde schlummern, und diese Samen gehen nur bei enormer Hitze auf.“
Mit anderen Worten: Hier in dieser Gegend, die nur schwarz ist, wird es in ein paar Jahren wunderbare Pflanzen geben, die nie ohne den Waldbrand gewachsen wären.
Vielleicht ist deine Seele ziemlich ausgebrannt, vielleicht fühlst du dich innerlich so wie dieser Waldbrand auf diesem Foto, weil du durch das Feuer der Depression gehst oder gegangen bist. Du scheinst darin überhaupt keinen Sinn zu sehen. Schönheit wurde zerstört, das Leben ist für dich nicht mehr schön.
Aber dann sollst du wissen: Gott verwendet sogar dieses Feuer in deinem Leben nicht, um dein Leben zu zerstören, sondern um neue Pflanzen des Glaubens wachsen zu lassen, die ohne dieses Feuer in deinem Leben nie gewachsen wären.
Manchmal führt Gott Menschen durch eine Depression zum Glauben. Manchmal beabsichtigt Gott mit der Depression, dass sündige Verhaltensweisen, der Götzendienst ans Licht kommen und wir ihn allein anbeten.
Wenn ein Geschäftsmann beispielsweise seine Identität, seine Freude, sein Glück und seinen Halt im Leben nur von seinem beruflichen Erfolg abhängig macht, wird der Konkurs seiner Firma ihn vermutlich in eine Depression führen. Das, was sein Leben war – der berufliche Erfolg – ist weg, und er hat keinen Halt mehr.
Gott lässt diese Dinge zu, um deutlich zu machen: Du brauchst deinen Halt in mir. Lass deine Götzen im Leben. Wenn ich dein Leben bin, dann hast du wieder Halt im Leben.
Gott kann noch viel mehr mit einer Depression beabsichtigen, und manchmal beabsichtigt Gott mehrere Dinge auf einmal. Zum Beispiel, dass wir nicht mehr in unsere eigene Kraft vertrauen, dass wir nicht mehr denken: „Was bin ich doch für ein toller, begabter Christ.“ Dann lässt Gott dich durch so eine Zeit gehen, in der du morgens nicht weißt, wie du den Abend schaffen wirst, wie du den Tag überleben sollst. Und du stellst fest: Ich bin sowas von auf den Herrn angewiesen. Das ist eine gute Frucht, die aber nur durch diese Phase kommt.
Vielleicht bist du fähig, ganz anders mit Menschen mitzufühlen, die leiden, weil du selbst da drin warst.
Viele von euch kennen wahrscheinlich das Buch „Die Pilgerreise“ von John Bunyan. John Bunyan beschreibt die Kämpfe eines Christen so nah und so lebensnah. Aber wir müssen wissen: Er ist durch diese Depression gegangen, und nur deswegen konnte er es so aufschreiben, wie er es aufgeschrieben hat.
Eine Depression kann uns eine viel größere Freude auf den Himmel bewirken. Eine Depression kann viel, viel Gutes in unserem Leben tun – und das sage nicht nur ich, das sagt auch Martin Luther, der darunter gelitten hat.
Martin Luther sagt: „Ach, der Kummer ist das beste Buch in meiner Bibliothek, und das beste Blatt in diesem Buch ist das Blatt der Schwermut.“ Mit anderen Worten: Durch meine Depression habe ich am meisten gelernt.
Weißt du, wenn du an einer Depression leidest, möchte ich dich mit den Worten ermutigen: Gott hat alles in deinem Leben unter Kontrolle – alles. Und Gott ist so gut in seiner Souveränität, dass er all das Schlechte, das du erlebst, zum Guten wendet.
Nicht immer wirst du es hier auf der Erde erkennen, aber spätestens wenn wir bei ihm sind, werden wir sehen, wie wunderbar sein Plan mit unserem Leben war.
In dieser Souveränität Gottes darfst du ruhen. Du musst keine Antwort finden, aber du darfst ruhen in seiner Souveränität.
Wir kommen zur vierten Beobachtung: Eine Depression benötigt die richtige Reaktion. Es gibt sehr unterschiedliche Reaktionen auf eine Depression.
Manche Menschen greifen zu Drogen und Alkohol. Andere fangen an, sich selbst zu verletzen, zum Beispiel durch Ritzen. Denn wenn sie körperlichen Schmerz spüren, wird der seelische Schmerz für eine Weile ausgeblendet. Wieder andere wählen sogar den Ausstieg aus dem Leben.
Lass es mich ganz deutlich sagen: All das sind falsche und sündige Reaktionen auf eine Depression, die uns nur noch tiefer hineinstürzen. Es braucht die richtige Reaktion.
Die richtige Reaktion sehen wir hier in diesem dunkelsten Psalm des Psalters. Egal wie lange seine Depression schon anhält, Heman geht ins Gebet. Schaut mal ab Vers 2: „Des Tages habe ich geschrien und des Nachts vor dir, es komme vor dich mein Gebet, neige dein Ohr zu meinem Schreien.“
In Vers 10 heißt es: „Zu dir rufe ich ja den ganzen Tag, ich strecke meine Hände aus zu dir.“ Und in Vers 14: „Ich aber schreie zu dir, und am Morgen möge dir mein Gebet begegnen.“
Heman macht das einzig Richtige in der Depression: Er geht auf die Knie, er flieht ins Gebet, und das schon seit vielen Jahren.
John Goldingay, der Psalmausleger, sagt: Wahrer Glaube ist nicht die apathische Hinnahme dessen, was geschieht, sondern wahrer Glaube ist das Ringen mit dem Herrn im Gebet. Das ist wahrer Glaube.
Das größte Vorbild ist Jesus. Er hatte die größte Betrübnis, die ein Mensch überhaupt erleben kann. Ich will dir nicht zu nahe treten, aber egal wie schwer deine Depression ist: Christus hatte eine viel stärkere Beschwerde, eine viel stärkere Betrübnis im Garten Gethsemane.
Da heißt es in Matthäus 26: „Dann spricht er zu ihm: Meine Seele ist sehr betrübt bis zum Tod, bleibt hier und wacht mit mir.“ Und er ging ein wenig weiter, fiel auf sein Angesicht und betete.
Jesus reagiert in seiner Betrübnis richtig auf diese Depression: Er geht ins Gebet. Wenn deine Seele betrübt ist, geh ins Gebet. Das Gebet ist bereits ein Ausdruck deines Glaubens, auch wenn viele Restzweifel da sind.
Dieser Glaube kann dir helfen, Schritt für Schritt aus der Depression herauszukommen. Gott will dich an die Hand nehmen und dir helfen.
In diesem Sommer waren meine Frau und ich zusammen mit ihren Geschwistern in den Bergen Österreichs wandern. Es war herausfordernd: fünf Tage Wandern mit nur einem Rucksack dabei. Ich kann euch sagen: Wenn man so im tiefen Tal ist, ganz unten, dann ist der Gedanke an den Berggipfel, den man da ganz weit sieht, nicht immer ein ermutigender Gedanke.
Um aus dem Tal, aus dem tiefen Tal herauszukommen, braucht es viele Höhenmeter. Wir haben uns gegenseitig ermutigt mit einem Zitat des bekannten deutschen Bergsteigers Reinhold Messner: „Kopf runter und ein Fuß nach dem anderen.“ Das ist ein gutes Zitat, aber ich möchte es geistlich etwas umformulieren.
Wenn du im tiefen Tal einer Depression bist: Kopf nach oben und ein Fuß nach dem anderen. Kopf nach oben und ein Fuß nach dem anderen.
Um aus dem Tal herauszukommen, braucht es viele Höhenmeter. Aber diese Höhenmeter gehst du im Gebet. Die gehst du im Gebet.
Edward Welch, der Buchautor, dessen Buch ich heute hier empfohlen habe, schreibt: „Eine Depression ist eine Zeit, um sowohl unsere eigenen als auch Gottes Erwartungen an unser Gefühlsleben zu überdenken.“
Jetzt kommt etwas ganz Wichtiges: Es ist ein Märchen, dass der Glaube immer ein Lächeln im Gesicht hat. Die Wahrheit ist, dass sich der Glaube oft wie der ganz gewöhnliche Vorgang anfühlt, mühsam einen Fuß nach dem anderen zu setzen – in dem Wissen, dass Gott da ist.
Kopf hoch und ein Fuß nach dem anderen. Wie der Psalmist sagt: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, woher kommt meine Hilfe? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“
Deswegen möchte ich dich ermutigen: Halte durch und bleib im Gebet. Hör nie auf zu beten, und der Herr geht mit dir einen Schritt nach dem anderen – auch wenn es viele Höhenmeter sind.
Und damit komme ich zum letzten Punkt: Es gibt Hoffnung in deiner Depression. Vielleicht denkst du jetzt: „Andre, hörst du gerade auf, den Psalm auszulegen? Wo finden wir in Psalm 88 Hoffnung?“ Schaut mal in Vers 1.
Der Psalm beginnt mit einer wunderbaren Anrede: „Herr, Gott meiner Rettung!“ Was ich an dieser Anrede so besonders finde, ist, dass ich den Rest dieses Psalms kenne. Ich weiß, wie tief er ist, und hier sagt der Psalmist mit anderen Worten: Trotz allem, Herr, trotz meiner anhaltenden Leiderfahrung, trotz meiner schweren Depression weiß ich nicht nur, dass du ein rettender Gott bist, ich weiß, dass du der Gott meiner Rettung bist.
Auch wenn du deine Hilfe gerade nicht siehst, sollst du wissen, dass sie immer im Wesen Gottes verankert ist. Und wenn der Psalmist das im Alten Testament sagen konnte – „Gott meiner Rettung“ –, wie viel mehr kannst du es heute in der neutestamentlichen Zeit sagen: „Der Herr ist meine Rettung.“
Das sehen wir nicht immer, oder? Manchmal vernebelt uns die Depression, der Schwermut die Sicht für das Evangelium. Viele von uns nutzen ja die Wetter-App. Und die Wetter-App sagt uns immer, wie viele Sonnenstunden es gibt. Es gibt Tage mit dreizehn Sonnenstunden, Tage mit fünf Sonnenstunden und Tage, an denen es keine Sonnenstunde gibt.
Aber soll ich euch mal etwas sagen? Die Sonne scheint trotzdem. Auch wenn wir sie nicht sehen, scheint sie. Genauso ist es in deiner Depression: Du siehst dein Heil nicht, aber objektiv ist er trotzdem der Gott deines Heils, der Gott deiner Rettung.
Ich möchte dich ermutigen: Wenn die Depression dein Licht ausmacht, geh immer wieder neu zum Lichtschalter des Evangeliums. Das Evangelium ist das beste Antidepressivum.
Ich sehe so viele Parallelen zu Jesus im Psalm 88, die möchte ich euch mal aufzeigen. Im Psalm 88 klagt der Beter darüber, dass er den Menschen zum Abscheu geworden ist. Am Kreuz sehen wir, wie Jesus den Menschen auch zum Abscheu geworden ist. Sie spotten über ihn.
Im Psalm 88 klagt der Beter, dass Gott seine Bekannten und Freunde von ihm entfernt hat. Am Kreuz, in seiner schwersten Stunde, wird Jesus von seinen Freunden, von den Jüngern, verlassen. Seht ihr die Parallele?
Im Psalm 88 klagt der Beter: „Auf mir liegt schwer dein Zorn.“ Am Kreuz traf der Zorn Gottes Jesus im vollen Ausmaß. Er hat den Zornesbecher bis zum letzten Tropfen ausgetrunken.
Im Psalm 88 fragt der Beter Gott: „Warum verbirgst du dein Angesicht vor mir?“ Am Kreuz sagt Jesus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Gott hat wirklich sein Angesicht vor seinem Sohn verborgen, weil er in diesem Moment all unsere Sünde auf sich geladen hat.
Psalm 88 endet, das haben wir heute gesehen, mit Finsternis. Das Leben Jesu am Kreuz endet womit? Mit Finsternis. Niemand ist jemals tiefer gegangen als Jesus – für dich, für dich.
Aber soll ich euch mal etwas sagen? Es gibt einen sehr entscheidenden Unterschied zwischen Psalm 88 und Jesus Christus. Wenn der Psalmist in Psalm 88 die Frage stellt: „Wirst du an den Toten Wunder tun?“, geht er von einer verneinenden Antwort aus. Die Toten sind von Gottes Hand abgeschnitten.
Als Joseph von Arimathäa den Leichnam Jesu in sein Felsengrab legte und den schweren Stein davor rollte, entstand die Frage von Psalm 88 plötzlich ganz neu. Das war die Frage am Grab, als der Stein das Grab verschloss: „Gott, wirst du an den Toten Wunder tun?“
Diese Frage wurde am Karfreitag nicht beantwortet, sie blieb im Raum. Dann kam der Sabbat, der Samstag, und an diesem Morgen stellte sich die Frage ganz neu: „Wirst du an den Toten Wunder tun?“ Diese Frage blieb auch am Karsamstag unbeantwortet.
Aber dann kam der Sonntag. Und während die meisten Menschen noch schliefen, brach der schönste Morgen der Menschheitsgeschichte an – der schönste Morgen.
Am Ostersonntag beantwortet Gott die Frage aus Psalm 88: „Wirst du an den Toten Wunder tun?“ mit einer Antwort, die alles verändert – die alles verändert in deinem Leben: „Ja, werde ich.“
Und die Engel fragen die Frauen: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden.“
Mein lieber Freund, der du vielleicht gerade auch durch eine Phase der Depression gehst, das ist die entscheidende Antwort.
Mit dem Kreuz beantwortet der Herr die Schuldfrage, mit der Auferstehung beantwortet er die Sinnfrage. Das sind die zwei großen Fragen, die die meisten Depressionen auslösen: die Schuldfrage, die nicht geklärt ist, und die Sinnfrage, die nicht geklärt ist.
Wenn du heute hier sitzt und du hast noch nie dein Leben ganz bewusst Jesus anvertraut, möchte ich dir sagen: Du musst heute nicht mit bedrückender Schuld aus diesem Gottesdienst gehen. Du musst den PC nicht wieder ausmachen, denn Jesus sagt am Kreuz: „Ich habe es für dich getan.“ Du kannst mit deiner Schuld kommen und Befreiung erleben.
Vielleicht stellst du dir die Frage: Was ist denn nach dem Leben? 1,80 Meter unter der Erde und dann ist Schluss? Nein, der weggerollte Stein beantwortet die Sinnfrage in deinem Leben.
Und ich möchte dich auch noch mal ganz bewusst als Kind Gottes ermutigen: Freue dich immer am Evangelium. Das Evangelium ist das beste Antidepressivum.
Der Seelsorger Ed Welch schreibt: „Freude ist nicht das Gegenteil einer Depression, Freude ist tiefer als eine Depression. Dadurch können sie beides gleichzeitig erleben. Die Depression ist der unaufhörliche Regen, Freude ist der Fels, ob die Depression da ist oder nicht. Den Boden der Freude können sie immer unter den Füßen haben.“
Weißt du, dein Fels ist da, auch wenn es regnet. Die Sonne ist da in deinem Leben, auch wenn du sie nicht siehst. Sie scheint – sie scheint in all den Heilszusagen Gottes für dich. Sie scheint besonders in dem Wort: „Es ist vollbracht, mein Kind, ich habe alles getan, und dein Leben hat so viel Sinn.“
Ich möchte dich heute ermutigen, deine Hoffnung neu oder zum ersten Mal ganz auf Christus zu setzen. Und das wollen wir jetzt auch mit einem Lied tun als Antwort auf diese Predigt.
Lasst uns dazu aufstehen und ganz bewusst dem Herrn noch mal dafür danken, dass wir in ihm so viel Halt in unserem Leben haben.