Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Amen!
Wir wollen noch einmal beten: Ja, Herr, nun zeig uns dein königliches Walten. Bring Angst und Zweifel selbst zur Ruh. Du wirst allein ganz Recht behalten. Herr, mach uns still und rede du! Amen!
Liebe Gemeinde hier in Hannover und alle, die uns jetzt an anderen Orten zuhören,
die Wirklichkeit ist spannender als jeder Roman. Deshalb werden Filme und Bücher gern mit dem Zusatz versehen „nach einer wahren Begebenheit“. Sie kennen das: „Also, das ist wirklich passiert“, heißt es dann. Es hat nicht nur in der Phantasie des Autors oder Regisseurs stattgefunden. Das ist ein wichtiger Unterschied. Nur das Wirkliche kann uns am Ende in der Wirklichkeit helfen.
An einem Tag wie heute wird das besonders deutlich. Totensonntag steht in vielen Kalendern. Christen dagegen nennen ihn Ewigkeitssonntag. Den Unterschied macht Jesus Christus. Er ist der Herr über den Tod und damit auch über den Totensonntag. Er hat die brutale Macht des Todes besiegt durch seine reale Auferstehung, nachdem er vorher am Kreuz starb. So machte er uns den Weg zum ewigen Leben frei.
Er nahm für uns die Strafe auf sich, die wir verdient gehabt hätten. Diese Strafe hätte uns auf ewig in die Verdammnis geworfen. Aber er hat die Strafe bezahlt. Wer an ihn glaubt, bekommt das Versprechen: Du bist jetzt versöhnt mit Gott. Du darfst schon mitten in diesem Leben fest mit seiner Hilfe rechnen. Du gehörst zu ihm.
Und wenn dein letztes Stündlein hier auf dieser Erde geschlagen hat, dann wird dieser Tag für dich der Übergang in die Ewigkeit sein. Wir werden bei ihm sein alle Zeit. Das macht den Unterschied. Es kommt darauf an, dass es Wirklichkeitsbezug hat.
Klar, die Blumengeschäfte haben heute Konjunktur auf den Friedhöfen. Es herrscht Besuchsbetrieb. Aber was hilft an einem solchen Tag gegen diese Wirklichkeit? Eine willkürliche Selbstberuhigung, wie etwa die von Gottfried Benn, dem großen Lyriker, der übrigens auch aus Hannover kam?
In seinem letzten Brief 1956 auf dem Sterbelager schreibt Benn an einen Bekannten: „Jene Stunde wird keine Schrecken haben.“ Er meint damit seine Todesstunde. „Seien Sie beruhigt, wir werden nicht fallen, wir werden steigen.“ Wie hilflos!
Die Wuchtigkeit des Todes ist nur ertragbar in der Hoffnung auf seine Begrenzung. Aber hinter allen schönen Worten – auch wenn sie von Lyrikern kommen – lauert nur die Verzweiflung, die Hilflosigkeit der Heiden.
Oder wie es Arthur Schopenhauer, ein anderer Philosoph, zum Ausdruck brachte: „Das ist der Lebenslauf, dass der Mensch von Hoffnung genarrt dem Tod in die Arme tanzt.“ Das ist die ganze Ironie. Der Mensch wird genarrt, er wird getäuscht, weil er sich Hoffnungen macht. Am Ende bleibt ihm doch nichts anderes, als dem Tod in die Arme zu tanzen.
Darum brauchen wir etwas Wirkliches, um zu wissen, dass Gott wirklich da ist.
Deshalb bin ich so dankbar, dass auch die Geschichte von Josef fest in der Wirklichkeit verankert ist. Wir interpretieren hier Sonntag für Sonntag keine schönen Geschichten herum. Das kann man zwar mal machen, aber was hilft das? Stattdessen begegnen wir dem wirklichen Eingreifen Gottes. Darum geht es.
Diese Woche erschien in einer christlichen Zeitschrift, in idea, ein Artikel, der genau das Gegenteil behauptete. Die Autorin nahm den sechzigsten Todestag von C.S. Lewis zum Anlass, um ihn als Retter ihres Glaubens zu feiern. Sie schreibt dort: „Ohne Lewis hätte mein Glaube Schiffbruch erlitten.“
Nun ist das Interessante, dass sie dabei mit keiner Silbe auf die wichtigen apologetischen Veröffentlichungen verweist, in denen dieser fulminante Literaturwissenschaftler für die historische Zuverlässigkeit der Bibel eingetreten war – mit großartigen Argumenten. Ja, das kann einem helfen, im Glauben zu bestehen.
Nein, diese Autorin preist seine Narnia-Chroniken. Sie wissen schon, diese Serie von Fantasyromanen, in denen der Autor unter anderem auch christliche Inhalte verdeutlichen wollte. Er erfand Fabelwesen wie den Löwen Aslan, der eine starke Ähnlichkeit mit Christus hat.
Die Autorin bekennt: „Er, C. S. Lewis, schickte mich auf einem fliegenden Teppich ins Land der Fantasie, um mir dort Wahrheiten zu zeigen, die ich anders weder hätte sehen noch annehmen können.“ Sie schreibt also, ohne C. S. Lewis hätte Gott es nicht geschafft.
Wenn die Dame Recht hätte, dann hätten die Apostel völlig falsch mit ihrer Evangelisation gelegen. Denn die Apostel stützen sich bekanntlich auf die historischen Tatsachen und auf die reale Botschaft über Jesus. Für unsere Autorin war dieses normale Evangelium demnach nicht ausreichend.
Sie legt sogar noch nach und sagt, was keine Predigt, keine Kinderstunde je geschafft hatte, wurde jetzt durch die Fantasyromane von C.S. Lewis möglich: Er ließ mich die größte aller Wahrheiten im Herzen spüren – dass Jesus wirklich Gott ist.
Man fragt sich, wie sich die Gottheit Jesu im Herzen einer Autorin anfühlt. Die Apostel berufen sich jedenfalls auf Gottes objektive Offenbarung und die von Jesus geschaffenen Fakten. Deshalb hat der Apostel Johannes sein Evangelium auch mit den Worten zusammengefasst, die wir in Johannes 20,30-31 finden: „Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.“
Das sind die Tatsachen, die euren Glauben retten können – die hier in diesem Evangelium bezeugt sind. Und man fragt sich, wie sich die Gottheit Jesu im Herzen der Apostel sonst anfühlen soll.
Die Reformatoren haben es wie die Apostel gemacht. Sie klammerten sich nicht an ihre Herzensempfindungen, sondern an das, was sie das Extranos nannten – das, was außerhalb von uns objektiv feststeht: dass Jesus wirklich gelebt hat, dass Jesus wirklich gestorben ist, dass Jesus wirklich auferstanden ist, dass Jesus die Wunder wirklich getan hat, dass er wirklich lebt, dass er unsere Gebete wirklich hört und dass er für uns auch wiederkommen wird.
Neutestamentlicher Glaube bekennt seinen Grund nicht in einem christlich gewendeten Mystizismus. Neutestamentlicher Glaube wächst aus der Verkündigung des historischen Evangeliums – des Evangeliums, für das die Apostel und nicht irgendwelche Literaten als Garanten einstehen.
Deshalb hat es der Apostel Johannes auch in seinem ersten Brief von Anfang an betont, wo er sagt (1. Johannes 1,1-3): „Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen – also Extranos –, nicht was wir gefühlt haben in unserem Herzchen, sondern was wir gesehen haben mit unseren Augen, was wir betrachtet haben, was unsere Hände betastet haben vom Wort des Lebens. Und das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, das beim Vater war und uns erschienen ist, nämlich Jesus.“
So entsteht biblischer Glaube.
Und dieser Realismus, den wir im Angesicht des Todes erst recht brauchen, beginnt nicht erst im Neuen Testament. Er begegnet uns bereits hier im Alten Testament. Echter Glaube ist im besten Sinne historisch verankert, und darin lebt auch unsere Josefsgeschichte – eine reale Geschichte.
Letzten Sonntag hatten wir den Beginn von Josefs Aufstieg miterlebt. Dieser Aufstieg war so steil, dass er Josef aus dem Gefängnis, in das er durch eine Intrige geraten war, an die Spitze des Staates führte – als zweiter Mann hinter Pharao. Für ein Märchen wäre das nichts Besonderes, in der Realität dagegen schon.
Da sehen Sie schon den Unterschied. Ja, man kann viele Märchen vom Tellerwäscher erzählen, der irgendwann Präsident wird, aber hier ist es Realität. Ausgelöst wurde diese Bilderbuchkarriere durch einen Horrortraum des mächtigen Herrschers von Ägypten. Chronologisch befinden wir uns ja nach der ägyptischen Rechnung gewissermaßen im Mittleren Reich, also in der elften bis dreizehnten Dynastie.
Wir hatten gesehen, worum es in diesem Traum ging. Sie werden sich noch daran erinnern, sonst können Sie es noch einmal nachhören: Kapitel 41, Vers 1. Dort steht: Der Pharao steht am Nil und sieht, wie aus dem Wasser sieben schöne, fette Kühe steigen. Sie gehen auf der Weide im Gras. Dann sieht er, wie aus dem Wasser sieben hässliche, magere Kühe aufsteigen. Diese treten neben die sieben schönen Kühe am Ufer des Nils und fressen diese hässlichen Kühe auf. Daraufhin erwacht der Pharao.
Dann bekommt er noch einen ähnlichen Traum: Er sieht dicke Halme und dünne Halme, und die dünnen Halme fressen die dicken Halme auf und bleiben danach genauso dünn wie zuvor. Das war der Traum, der den Pharao aufgerüttelt hat.
Dieser Traum vom Nil und den Kühen war für ihn umso realistischer, weil die Abhängigkeit vom Nil und von der jeweiligen Höhe der Nilschwemme – wir hatten das gezeigt – wie ein Damoklesschwert immer über dem Land schwebte. Davon hing ab, ob es mit der Ernte gelang oder nicht, ob sie durchkamen oder nicht.
Und dann dieser Traum. Wir hatten letztes Mal gesehen, dass, nachdem die professionellen Traumdeuter versagt hatten, sich der Mundschenk an einen hebräischen Häftling erinnerte, der ihm vor zwei Jahren nachweislich einen Traum richtig gedeutet hatte. Pharao ließ ihn umgehend rufen.
Was Josef dann unter Berufung auf Gott als Erklärung präsentierte, hatten wir auch gesehen. Das leuchtete dem Herrscher unmittelbar ein. Besonders erstaunlich war, dass er sogar die metaphysische Begründung akzeptierte. Er nahm die weltanschauliche Begründung an, die Josef für seinen Durchblick angeführt hatte.
Ich erinnere noch einmal daran: In Vers 16 hatte Josef dem Pharao gesagt, dass die Deutung des Traums nicht bei ihm liege, sondern bei Gott – dem wahren Gott, Elohim. Dieser Gott würde dem Pharao Gutes verkünden. Und der Pharao akzeptierte das. Später nahm er darauf Bezug und sagte zu Josef: „Weil dir Gott dies alles kundgetan hat, ist keiner so verständig und weise wie du.“
Das war hocherstaunlich. Der Pharao nimmt die Situation an, und das ist klug von ihm. Es gibt keinen sinnvollen Kampf dagegen, sondern nur ein Rechnen mit Gottes Willen. Das war hier seine einzige Chance.
Dann übertrug er Josef eine enorme Machtfülle. John Lennox, der Mathematikprofessor, hat ebenfalls einen Text über Josef geschrieben. Er sagt, dass dies eine der bemerkenswertesten Beförderungen in der Geschichte überhaupt war, von der wir hier lesen.
Und nun würde in der Folgezeit alles davon abhängen, dass Josephs Deutung des Traumes dem Realitätscheck standhält – nicht den sogenannten Faktencheckern, sondern dem wirklichen Realitätscheck. Denn darauf war die gesamte ökonomische Strategie Ägyptens für die nächsten 14 Jahre aufgebaut.
Was das für eine Volkswirtschaft bedeutet, wenn die handelnden Politiker, allen voran der Wirtschaftsminister, ihre Weichenstellungen auf Illusionen und Träumereien statt auf Fakten und realistische Schlussfolgerungen aufbauen – nun ja, das wird uns Woche für Woche vor Augen geführt.
Wenn Ägyptens Wirtschaft nicht scheitern soll, wenn es den Menschen dort anders gehen soll, wenn der Pharao nicht scheitern soll, wenn Joseph nicht scheitern soll, dann hilft keine Flucht ins Land der Phantasie oder Ideologie. Dann müssen Josephs Aussagen den Test der Wirklichkeit bestehen. Und genau das betont unser Text mit allem Nachdruck, zu dem ein Text in der Lage ist.
Hören Sie ab Vers 47, wie das betont wird:
„Und das Land trug in den sieben reichen Jahren die Fülle, und Joseph sammelte die ganze Ernte der sieben Jahre, da Überfluss im Lande Ägypten war, und tat sie in die Stätte, was an Getreide auf dem Felde rings um eine jede Stadt wuchs, das tat er hinein. So schüttete Joseph das Getreide auf über die Massen, viel wie Sand am Meer, so dass er aufhütete zu zählen, denn man konnte es nicht zählen.“
Ankündigung A: sieben fette Jahre, verifiziert und bestätigt – der Text macht das mit aller Wucht deutlich.
Und wie steht es mit der Rückseite der Medaille? Ankündigung B, Vers 53:
„Als nun die sieben reichen Jahre um waren im Land Ägypten, da fingen die sieben Hungerjahre anzukommen, wie Joseph gesagt hatte. Und es ward eine Hungersnot in allen Landen, aber in ganz Ägypten war Brot. Als nun ganz Ägyptenland auch Hunger litt, schrie das Volk zum Pharao um Ägypten, und er sagte: Geht hin zu Joseph, was er euch sagt, das tut. Als nun im ganzen Lande Hungersnot war, tat Joseph alle Kornhäuser auf und verkaufte den Ägyptern, denn der Hunger ward je länger, je größer im Lande, und alle Welt kam nach Ägypten, um bei Joseph zu kaufen, denn der Hunger war groß in allen Landen.“
Sieben magere Jahre ebenfalls verifiziert, ebenfalls bestätigt. Der Text gibt sich alle Mühe, uns diesen Realitätstest vor Augen zu führen. Und der Pharao wird sich noch einmal zu seiner Personalentscheidung beglückwünscht haben. Es kam wirklich so – und das müssen wir erst einmal begreifen.
Diese Aufstiegsgeschichte ist kein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Sondern sie geschieht in der Realität. Deswegen sagt Vers 46 auch:
„Und Joseph war dreißig Jahre alt, als er vor dem Pharao stand, dem König von Ägypten.“
Und zu der Zeit – und das wissen wir ja, die wir das bis hierhin verfolgt haben – liegen hinter Joseph zum Teil dreizehn, zum Teil schlimme Jahre, wirklich schlimme Jahre, wie wir gesehen haben. Aber jetzt wird es sich zum Guten wenden.
Wir wollen nun genau nachsehen, was Gottes Wort uns durch diese Aufstiegsgeschichte lehrt – über Gott, über Joseph und hoffentlich auch über uns selbst.
Erfolg – und dann Erfolg? Was sind die Begleiterscheinungen, wohin kann uns Erfolg führen? Was macht Joseph mit seinem Erfolg, und was macht dieser Erfolg mit ihm?
Das Erste, was Joseph zuteilwird, ist unser erster Punkt – und alle Punkte heute beginnen mit einem E. Erstens: Ehre. Das sehen wir in den Versen 40 bis 45.
„Du sollst über mein Haus sein“, sagt der Pharao, „und deinem Wort soll all mein Volk gehorsam sein.“ Im Hebräischen steht hier das Wort für „küssen“, also dein Volk soll dein Wort küssen, soll es ehren und achten. „Allein um den königlichen Thron will ich höher sein als du.“ Weiter sprach der Pharao zu Joseph: „Siehe, ich habe dich über ganz Ägypten gesetzt.“ Er nahm seinen Ring von der Hand, gab ihn Joseph an die Hand, kleidete ihn mit kostbarer Leinwand und legte ihm eine goldene Kette um den Hals. Er ließ ihn auf seinem zweiten Wagen fahren und ließ vor ihm ausrufen: „Der ist des Landes Vater“ und setzte ihn über ganz Ägyptenland.
Der Pharao sprach zu Joseph: „Ich bin der Pharao, aber ohne deinen Willen soll niemand seine Hand oder seinen Fuß regen in ganz Ägyptenland.“ Und er nannte ihn Zafenad-Paneach.
Die Amtseinführung, wie sie beschrieben wird, ist ein weiterer Beweis für die historische Genauigkeit unserer Quelle. Man weiß, dass es in Ägypten tatsächlich das Amt des sogenannten Wesirs gab, das Luther hier mit „Landesvater“ übersetzt. Dafür existieren auch außerbiblische Belege. Die Stellung war vergleichbar mit der des Premierministers in Frankreich, der zwar dem Präsidenten untersteht, aber die politischen Geschäfte führt.
Der Historiker Berestelt schreibt in seinen „Ancient Records of Egypt“: „Man wird sehen, dass der Wesir der große politische Lenker Ägyptens zu jener Zeit war und dass er alle Regierungsaktivitäten unter seiner Kontrolle hatte. In der Tat gibt es keine wichtige Aktivität des Staates, die nicht seiner Autorität unterstellt ist.“
Die Insignien der Macht sind typisch: der Siegelring, die kostbare Leinwand, die goldene Kette und der zweite Wagen. Der Siegelring, den Joseph erhält, symbolisiert die Vollmacht des Kanzlers und Finanzministers. Mit diesem Siegelring kann man Verträge beglaubigen und dokumentieren – ein sichtbarer Beweis der eigenen Stellung.
Die kostbare Leinwand war eine edle Amtsrobe. Man kann sich das vorstellen wie die roten Roben der Verfassungsrichter bei uns, wenn sie ein Urteil sprechen. Josef trug eine solche Amtsrobe, vielleicht nicht in Rot, aber ähnlich.
Die goldene Kette des Kanzlers sieht man oft bei Oberbürgermeistern auf Gemälden, die zeigen, wie der Pharao damals bestimmte Männer für besondere Dienste auszeichnete – so wie wir heute Orden verleihen.
Der zweite Wagen ist ebenfalls interessant. Möglicherweise gab es anlässlich der Amtseinführung einen Umzug, bei dem Joseph im zweiten Wagen stand und vielleicht in die Menge winkte. Das kennen wir noch heute: Das Dienstfahrzeug des Bundespräsidenten trägt das Kennzeichen „0-1“, der Kanzler „0-2“, der Außenminister „0-3“, der Bundestagspräsident „0-1“. Joseph hatte also den Wagen „0-2“, den zweiten Wagen.
Dann sollte er mit einer Grußformel von den Menschen angerufen werden: „Abrek“, was Luther mit „Landesvater“ übersetzt. Man kann es auch übersetzen mit „Falt nieder“ oder „erweist Ehre“. Wenn der Wagen durchfuhr, hieß es also: „Achtung, der Wesir kommt, erweist Ehre!“
Das alles sollte Joseph zuteilwerden.
Der Alttestamentler Klaus Westermann schreibt dazu: „Eine solche Amtsführung eines Wesirs ist archäologisch herausragend bezeugt durch ägyptische Malereien, die uns überliefert sind, bis hin zu den Leingewändern. Man kann alles in den Museen wiederfinden: die Ringe, die goldenen Ketten, die Kriegswagen.“ Einer der Funde sind zum Beispiel die Wandmalereien am Grab in Tell el-Amarna. Dort findet sich auch die Amtsbezeichnung für den Wesir – sozusagen der höchste Mund im ganzen Land. Das war eine Amtsbezeichnung: Er spricht im ganzen Land mit der größten Autorität.
Dieser Name, diese Ehre, ist ein ganz markantes Zeichen von Josephs Erfolg. Das geht bis hin zum ägyptischen Ehrennamen, den der Pharao ihm verleiht: „Zafenad-Paneach“. Die Ausleger rätseln ein wenig, wie man das am besten übersetzt. Es kann „Erhalter des Lebens“ bedeuten oder „Gott spricht, er lebt“. Joseph ist also von Gott besonders ausgezeichnet und autorisiert. Er lebt, er ist erhalten.
Josephus übersetzt es mit „Entdecker des Verborgenen“, was auch passt, weil Joseph die verborgene Bedeutung des Traumes entdeckt hatte. In der lateinischen Übersetzung des Alten Testaments, der Vulgata, steht dort einfach „Salvator Mundi“, also „Retter der Welt“. Das ist eine sehr christianisierte Übersetzung dieses Begriffs.
Er bekommt jedenfalls einen Ehrennamen. Gottes Bote in diesem heidnischen Umfeld erfährt eine herausragende Ehre, und Gottes Wort macht das mit allen Mitteln deutlich. So wie er vorher ohne eigenes Verschulden die Schmach eines Häftlings erdulden musste, so ist auch diese Ehre von Gott gefügt.
Wieder einmal erweist sich hier, was später in 1. Samuel 2,30 als göttliches Prinzip beschrieben wird: „Wer mich ehrt, den werde ich ehren.“ Das führt nicht immer dazu, dass wir Ministerpräsident werden – Gott hat auch andere Wege.
Es gibt eine bewegende Szene in „Die Stunde des Siegers“. Sie schildert eine wahre Begebenheit. Eric Liddell, Sie erinnern sich vielleicht, verzichtete bei den Olympischen Spielen 1924 in Paris aus Gewissensgründen auf die 100 Meter, weil der Vorlauf an einem Sonntagvormittag stattfand. Sein Gewissen sagte ihm, dass er als Christ an diesem Tag nicht laufen kann. Darüber kann man theologisch debattieren, aber es war sein Gewissen, und er handelte entsprechend.
Er predigte stattdessen an diesem Sonntagvormittag in einer kleinen schottischen Freikirche. Die 100 Meter waren futsch, das war seine Spezialdisziplin. Nun trat er stattdessen über die 400 Meter an – und gewann überraschend, sogar mit Weltrekord (47,6 Sekunden). Er bekam den Spitznamen „The Flying Pastor“, der fliegende Pastor.
Im Film wird gezeigt, wie kurz vor dem Lauf ein anderer Athlet Liddell einen Zettel zusteckt, auf dem die Worte aus 1. Samuel 2 stehen: „Wer mich ehrt, den werde ich ehren.“ Eine der bewegendsten Szenen dieses Filmes.
So ähnlich hat Joseph das hier erfahren: „Wer mich ehrt, den werde ich ehren.“ Er hatte Gott immer wieder die Ehre gegeben. Denken wir daran, in der Stunde der Versuchung, als die Frau von Potiphar ihn zu sich locken wollte. Da weigerte er sich (1. Mose 39,9) mit der Begründung: „Wie sollte ich ein so großes Übel tun und gegen Gott sündigen?“ Er hat Gott die Ehre gegeben.
Auch gegenüber den Beamten im Gefängnis, denen er Träume auslegen konnte, sagte er: „Auslegen gehört zu Gott. Das ist nicht meine besondere Fähigkeit; Gott muss mir helfen.“ Er hat Gott die Ehre gegeben.
Wir sahen es auch gegenüber dem Pharao, als er in 41,16 auf die Frage, ob er Träume deuten könne, sagte: „Nein, das steht nicht bei mir. Gott aber wird dem Pharao Gutes verkünden.“ Joseph hat Gott immer wieder die Ehre gegeben.
Nur wer Gott die Ehre gibt, hat gute Aussichten, dass er auch von Menschen durch die Ehre, die sie ihm geben, nicht korrumpiert wird. Er kann Ehre von Menschen bekommen, aber nur wer Gott die Ehre gibt, bleibt davor geschützt.
Wie oft ist es doch passiert, dass Menschen durch die Ehre, die der Erfolg mit sich brachte, selbstgerecht wurden – ehrgeizig, abhängig von dieser Ehre. Sei es nur, dass ein Chauffeur vor der Tür wartete, wenn sie hinausgingen. Sie brauchten das irgendwann.
Viele waren bereit, um der eigenen Ehre willen faule Kompromisse mit der Wahrheit einzugehen.
Der Apostel Johannes erkennt darin den Grund, warum einige der jüdischen Führer, die eigentlich von Jesus angetan waren, es doch nicht wagten, sich öffentlich zu ihm zu bekennen. In Johannes 12,42 heißt es: „Doch auch von den Oberen glaubten viele an ihn, aber um der Pharisäer willen bekannten sie es nicht, um nicht aus der Synagoge ausgeschlossen zu werden.“ Die Begründung: „Denn sie hatten lieber Ehre bei den Menschen als Ehre bei Gott.“
Eine wichtige Testfrage für jeden von uns: Wessen Ehre ist mir wichtiger – die Ehre von Menschen oder die Ehre von Gott?
Ich denke an manchen ernsthaften Studienkollegen, missionarisch engagiert, mit echter Liebe zur Bibel, der irgendwann die Idee hatte, ein kirchliches Leitungsamt anzustreben, mindestens Superintendent. Früher machten wir darüber immer Witze. Nun wollte er es plötzlich ernsthaft.
Nach einigen Anläufen klappte es schließlich, sogar mit einem Fernsehgottesdienst im ZDF. Aber die Predigt, die daraus entstand, ließ den alten Kumpel kaum wiedererkennen.
Professor Eta Linnemann, eine großartige Neutestamentlerin, die zu Jesus fand, als sie schon mitten in ihrer akademischen Karriere stand, hat diesen Weg nüchtern analysiert. Sie sah darin eine große Gefahr des akademischen Betriebs. Sie sagte: „Das Prinzip des akademischen Betriebs lautet: Ehre geben und Ehre nehmen, Ehre geben und Ehre nehmen.“ Und sie warnte, wie schnell man davon abhängig werden kann.
Soweit wir sehen, hat Joseph sich von der Ehre des Erfolgs nicht korrumpieren lassen. Das ist schön, weil es ihm ein Herzensanliegen war, Gott die Ehre zu geben. Und weil der Herr ihn auch im Erfolg vor seiner Eitelkeit beschützte.
„Wer steht, möge zusehen, dass er nicht falle“, sagt Paulus in 1. Korinther 10,12.
Ich erinnere mich an einen Wirtschaftsprofessor in Köln, der eine Riesenkarriere machte und viele Jahre den berühmten Gutenberg-Lehrstuhl innehatte. Er gehörte zu den demütigsten und unverbogensten Persönlichkeiten, die mir je begegnet sind: Professor Theodor Ellinger.
Sein Ziel war es, in jedem Semester wenigstens einmal seinen Studenten das Evangelium zu erklären – in einer Vorlesung oder durch jemanden von den Gideons, die Bibeln verteilten. Einmal pro Semester sollte jeder Student, der bei ihm lernte, das Evangelium gehört haben.
Dann folgte bei Joseph eine weitere Weichenstellung, die für unsere persönliche Lebensausrichtung nicht überschätzt werden kann (Verse 45 und 46):
„Er nannte ihn Zafenad-Paneach und gab ihm zur Frau Asenat, die Tochter Potipheras, des Priesters zu On. Joseph war dreißig Jahre alt, als er vor dem Pharao stand.“
Das ist das zweite E, das sich hier mit Josephs Erfolg verknüpft: Ehe.
Offenbar sorgte der Pharao dafür, dass Joseph durch eine standesgemäße Frau hoffähig wurde. Ihr Name ist Asenat, Tochter des Potipheras – nicht des Potiphar, das ist ein anderer. Joseph ist nun wirklich mehr als rehabilitiert. Damals als Häftling hätte sich ihm diese Gelegenheit nie eröffnet.
Die Frage, wen wir heiraten, ist eine steile Klippe. Sie entscheidet maßgeblich darüber, wie unsere Lebensgestaltung auf lange Sicht aussieht. Wer uns beeinflusst, wie wir Prioritäten setzen, ob wir gute biblische Prioritäten setzen können, mit wem wir unsere Kinder erziehen.
Eine wahrhaftige Klippe.
Joseph bekommt Zugang zu einer der Topfamilien des Landes. Als Christ sieht man mit Sorge, aus welchem Stall seine Frau stammt – Tochter des Priesters zu On.
On war damals der volkstümliche Name für die Stadt Heliopolis, Sonnenstadt, etwa sechzehn Kilometer nordöstlich von Kairo gelegen. Joseph heiratet in diese Familie ein.
Man weiß nicht viel darüber, was dieser Priester verkündet hat, aber seiner Tochter gab er den ägyptischen Namen Asenat, was „Sie gehört zur Göttin Neit“ bedeuten kann. Es kann auch übersetzt werden mit „Sie gehört zu ihrem Vater“, was besser wäre.
Wir wissen nicht, ob Joseph zu dieser Ehe gedrängt wurde.
Seine Vorfahren Abraham und Isaak hatten dieses geistliche Problem – wir haben wiederholt darauf hingewiesen. Deutlich sieht man, dass eine Ehe mit einem Heiden problematisch ist.
Im Neuen Testament macht Gottes Wort zu diesem Thema eine klare Vorgabe: 2. Korinther 6,14 sagt Paulus: „Zieht nicht am fremden Joch mit den Ungläubigen.“ Und wo zieht man mehr unter einem Joch als in einer Ehe?
„Was hat die Gerechtigkeit mit der Ungerechtigkeit zu schaffen? Was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis? Zieht nicht am fremden Joch mit den Ungläubigen.“
Schon der Ehekurs, den Paulus uns in Epheser 5 gibt – dass Ehe bedeutet, sich gegenseitig zu ergänzen, um Gott die Ehre zu geben, einander zu dienen und gemeinsam für Gott zu leben – zeigt, dass ein Christ eine solche Ehe nur mit einem Christen führen kann. Das ist verbindlich von Gott her.
Für Joseph bekommen wir keine weiteren Hinweise, wie es mit seiner Ehe lief. Aber ein Lichtblick zeigt sich gleich noch zum Schluss bei der Namensgebung seiner beiden Söhne: Hebräische Namen mit einer klaren biblischen Botschaft.
Asenat hat offenbar mitgetragen. Vielleicht hat sie sich durch den Kontakt mit Joseph bekehrt. In der Fortsetzung wird nicht problematisiert, dass diese Frau problematische Einflüsse hineingebracht hätte.
Das ist ein gutes Zeichen, denn die Bibel spricht Probleme, die von Ehefrauen ausgehen, immer offen an – das haben wir auch bei anderen Patriarchen gesehen.
Aus der Kirchengeschichte wissen wir, was für ein Segen die richtige Ehefrau für den Dienst eines Mannes sein kann.
Was wäre Luthers Dienst in Wittenberg langfristig ohne seine Käthe von Bora gewesen, von der er sagte: „Ich wollte meine Käthe nicht um Frankreich noch Venedig hergeben. Da hätten Sie mir Frankreich und Venedig gegeben und dafür die Käthe gewollt, ich hätte es nicht gemacht.“
Wie dankbar war Charles Haddon Spurgeon, der größte Prediger des 19. Jahrhunderts, für seine kluge Susanna, die auch an seiner Literaturarbeit einen großen Anteil hatte, auch noch nach seinem Heimgang.
Wie litt Martin Lloyd-Jones an Heimweh, wenn er von Bethan Lloyd-Jones getrennt war. Wie wichtig war sie für seine innere Arbeitsruhe.
Und wie belastend war dagegen die stets nörgelnde und unzufriedene Frau von John Wesley, die immerhin förderte, dass er viel mit dem Evangelium unterwegs war.
Hat alles noch was Gutes.
Bei unserer Studie „Erfolg“ ist die Ehe ein Schicksalskapitel. Deswegen ist es für Christen so wichtig, erst den richtigen Menschen zu heiraten.
Und dann, wenn es gelaufen ist, wenn der Christ verheiratet ist, liegt eine Verheißung darauf, an der Ehe zu arbeiten und um die Ehe zu kämpfen, weil Gott uns dadurch stärken und segnen will.
Der Bericht führt uns zu einem dritten E: Erträge.
Diese Erträge sind wirklich sehr erfolgreich. Wir hatten das ab Vers 47 gelesen:
„Das Land trug in den sieben Jahren die Fülle, und Joseph sammelte die ganze Ernte der sieben Jahre, da Überfluss im Land war, und tat sie in die Städte. Was an Getreide auf dem Feld rings um jene Stadt wuchs, tat er, er schüttete das Getreide auf über die Massen, viel wie Sand am Meer.“
Joseph hat für sein Umfeld wirklich den Unterschied gemacht. Er wurde zu einem großen Segen für ganz Ägypten und später noch weit über Ägypten hinaus.
Der Text macht deutlich: Sein Leben war von Gott gesegnet. Er war sich seiner Vorbildfunktion bewusst. Er wollte dem Gott, zu dem er sich bekannte, Ehre machen.
Joseph hat seine Stellung nicht ausgenutzt, um sich persönlich zu bereichern. Sondern er hat – das lesen Sie hier – wirklich geschuftet, um in dieser Aufgabe seinem Land zu dienen.
Das dokumentieren die vielen Verben in diesen Versen, etwa 48 und 49: Er sammelte, er tat es in die Städte, er tat es hinein, er schüttete das Getreide auf.
In Vers 56 lesen wir: „Nun, da in ganz Ägyptenland Hungersnot war, tat Joseph alle Kornhäuser auf und verkaufte den Ägyptern.“
Er war wirklich höchst engagiert und einsatzbereit. Sein Management war rigoros. Er hat natürlich nicht alles selbst gemacht, aber er trug die letzte Verantwortung, hielt den Kopf hin und garantierte für das Ergebnis.
Gott hat Gelingen geschenkt. Das zeigt Vers 54 mit einem einzigen Satz: Ringsum herrscht Hunger, aber „in ganz Ägyptenland war Brot.“
Das war das Ergebnis von Josephs Arbeit und seiner Strategie, die Gott gesegnet hatte.
Als Schwierigkeiten auftraten, was erwartet worden war nach den ersten sieben Jahren, hat er sich nicht weggeduckt, sondern zugepackt.
Vers 55 und 56 zeigen das: „Als nun in ganz Ägyptenland auch Hunger herrschte, gingen die Reserven zu Ende. Das Volk schrie zum Pharao um Brot, aber der Pharao sprach zu den Ägyptern: Geht hin zu Joseph! Und was er euch sagt, das tut.“
Joseph meisterte die Situation, hatte vorgesorgt, und es waren Reserven da, die verteilt werden konnten.
Der Pharao wurde mehrfach darin bestätigt, den richtigen Mann ins Amt gehievt zu haben. Das war auch für ihn schön.
Was Gott Abraham schon versprochen hatte, nämlich dass durch seine Nachkommen einmal die ganze Welt gesegnet werden würde, auch die Heiden (1. Mose 12,3), leuchtet hier erstmals auf.
Liebe Leute, die Welt braucht den Beitrag, für den Gott dich gemacht hat.
Deine Familie braucht den Beitrag, für den Gott dich gemacht hat.
Eine Gesellschaft tut gut daran, Gottes Leute in Positionen kommen zu lassen, wo sie prägend wirken können – im Kleinen wie im Großen.
Eine Gesellschaft tut gut daran, Christen in Elternräte zu wählen.
Eine Gesellschaft tut gut daran, Christen Führungspositionen zu geben.
2006 erschien das Buch von Richard Koch und Chris Smith: „Suicide of the West“. Koch kommt aus dem Bereich Wirtschaft und Management. Er hat viel über das berühmte Pareto-Prinzip, das 80-20-Prinzip, publiziert.
Ich glaube nicht unbedingt, dass er Christ ist, aber er hat etwas erkannt. Er beschreibt in seinem Buch, worin der „Suicide“ besteht: Unter anderem im Herausdrängen des christlichen Menschenbildes aus dem öffentlichen Leben, im Herausdrängen der christlichen Anthropologie aus der Gesellschaft.
Er macht deutlich – und das ist historisch haltbar –, dass das Christentum ein wesentlicher Motivator für wissenschaftliche Forschung und das Ernstnehmen des Individuums war. Das lässt sich wissenschaftsgeschichtlich zeigen.
Darum hat das Christentum auch einen entscheidenden Anteil an der Erfolgsgeschichte der westlichen Zivilisation. Das hat ein berühmter Soziologe wie Max Weber immer wieder betont.
Folglich habe der ideologische Kampf gegen das christlich geprägte Weltverständnis der Entwicklung und Stabilität der westlichen Gesellschaft schweren Schaden zugefügt.
Das sehen wir Tag für Tag vorgeführt. Auch die Situation in unserem Land im Winter 2023 bestätigt Koch.
Wir müssen miterleben, was eine sogenannte Zivilreligion anrichtet, die sich als Gegenkonzept zum Menschenbild der Bibel positioniert. Sie positioniert sich pro Genderismus, pro Infragestellung der Schöpfungsordnung – das erleben wir.
Richard Koch nennt das „Suicide of the West“.
Das Gegenmodell ist Joseph. Pharao will sich und sein Land retten, und er tut gut daran, den Mann zu fördern, von dem er inzwischen sogar selbst sagt, dass der Geist Gottes in ihm war (41,38).
Es ist für uns so ermutigend zu sehen, wie Joseph als Einzelner einen so heilsamen Einfluss auf sein Umfeld gewinnen konnte.
John Lennox hat das gut beobachtet. Er schreibt, dass Joseph, obwohl ein einzelner Mensch, so von der Wahrheit der Botschaft überzeugt war, dass er die Zukunft einer ganzen Nation beeinflusste.
Lennox folgert richtig: Auch wir müssen so auf Gott und sein Wort vertrauen, um standhaft zu sein und den Verlust von Überzeugung und Authentizität umzukehren.
Das ist unser Auftrag.
Unser Auftrag ist nicht, an einer Klagemauer zu stehen und zu bejammern, wie schlimm alles wird.
Unser Auftrag ist, unseren Beitrag zu leisten, zu dem Gott uns befähigt.
Und wenn Gott das will, dann kann er seinen Leuten zu jeder Zeit, an jedem Ort und unter jedem Herrschaftssystem, sei es das des Pharaos, gute Erträge schenken.
Aber nun müssen wir am Schluss fragen: Was macht dieser Erfolg mit Joseph? Das müssen wir unbedingt noch klären.
Wir wissen doch, dass Erfolge für den Charakter meist noch eine größere Herausforderung darstellen als Niederlagen oder Notzeiten – nämlich dann, wenn der Charakter mit den Erfolgen nicht mitwächst. Und so fragen wir noch ein viertes Mal nach dem Erfolg und dann erstens nach der Ehre, zweitens nach der Ehe, drittens nach den Erträgen und viertens und letztens nach der Ehrfurcht.
Und das ist der entscheidende Punkt: Woran können wir das festmachen? Wir können es daran festmachen, dass Joseph bei dieser Erfolgsgeschichte nicht abhebt. Dass Joseph sich vom Trubel um seine Person nicht betrunken machen lässt. Er ist gerade dreißig, als das alles geschieht, was wir im Vers 46 lesen. Er ist gerade mal dreißig.
Wir sehen, dass er auf die Schmeicheleien, die es bestimmt gegeben hat – die es bestimmt zuhauf gegeben hat – nicht hereinfällt. Er erliegt auch nicht den Versuchen zur Selbstbereicherung. Er hätte so viel machen können, um in die eigene Tasche zu wirtschaften, aber er hat es nicht getan. Und er vergisst keine Stunde, wem er diesen Erfolg verdankt. Das ist Ehrfurcht.
Wir erkennen das ganz deutlich an einem klaren Punkt, nämlich an den Namen, die er seinen beiden Söhnen gibt. Das müssen wir uns zum Schluss noch anschauen. Das sind die Verse 50 bis 52. Hier sehen wir in sein Herz.
Da heißt es: Fünfzig und Joseph wurden zwei Söhne geboren, bevor die Hungerzeit kam. Die gebar ihm Asenath, die Tochter Potipharas, des Priesters. Den ersten nannte er Manasse, denn Gott, sprach er, hat mich vergessen lassen all mein Unglück und mein ganzes Vaterhaus. Den anderen nannte er Ephraim, denn Gott, sprach er, hat mich wachsen lassen in dem Lande meines Elends.
Diese Verse liefern den Schlüssel zu Josefs Charakter. Sie enthüllen uns, wie Josef seine gesamte Erfolgsgeschichte bewertet, und deswegen müssen Sie das unbedingt mitnehmen. Josef wählt die Namen gezielt. Er wählt sie sicher im Einverständnis mit seiner Frau. Er wählt diese Namen, um damit seine Situation selber zu deuten. Deshalb steht hier zweimal wörtliche Rede.
Luther versucht das zu übersetzen mit der Formulierung „sprach er“. Also schauen Sie: „Denn Gott, sprach er, hat mich vergessen lassen all mein Unglück“ und in Vers 52: „Denn Gott, sprach er, hat mich wachsen lassen in dem Land meines Elends.“
Vom Text her wird deutlich, dass jetzt wörtliche Rede kommt, und Luther macht das dadurch deutlich, dass er sagt „sprach er“. Also das ist seine Deutung, das ist nicht eine nachgeschobene Interpretation durch Dritte. Josephs eigene Sicht macht der Text glasklar.
Und dann der erstgeborene Manasse. Manasse bedeutet übersetzt „der Vergessenmachende“. Aber damit ist nicht gesagt, dass Manasse ihn vergessen hat – also noch die Mutter hat sich über das Söhnchen so gefreut, dass sie alles andere vergaß –, sondern dass Gott ihn durch Manasse vergessen lässt.
Mit diesem Namen macht Joseph etwas: Er blickt zurück. Er blickt zurück. Was lässt Gott ihn nämlich vergessen? Er sagt es: all mein Unglück und mein ganzes Vaterhaus. Und was heißt vergessen? Vergessen ist hier nicht oberflächlich gemeint, so nach dem Motto: meine Heimat interessiert mich nicht mehr, es ist mir egal, ich verdränge das einfach.
Dass Josef seinen Erstgeborenen so benennt, macht den Bezug zur Heimat ja gerade fest. Er macht mit diesem Namen den Bezug zur Heimat gerade fest. Das beweist, dass er nicht oberflächlich vergessen will im Sinne von „aus den Augen, aus dem Sinn“. Nein, vergessen meint etwas anderes.
„Vergessen all mein Unglück und mein ganzes Zuhause“ heißt: Ich will mich davon nicht deprimieren und entmutigen lassen. Das hat er damit gesagt. Gott hat mich vergessen lassen mein Unglück und mein ganzes Vaterhaus. Gott hat es mir geschenkt, dass es mich nicht entmutigt und deprimiert, was da alles geschehen ist: der Verlust der Heimat, der Verrat der Brüder, die Versklavung in Ägypten, die Kriminalisierung im Gefängnis.
Dieser Name, Manasse, ist wie ein Gedenkstein, den er dort aufrichtet – für uns, für alle Zeiten – und zugleich auch ein Bekenntnis. Er sagt: Gott hat mir diese innere Freiheit geschenkt, unter meiner Biografie nicht zu zerbrechen. Das sagt er damit.
Gott hat mir die Freiheit geschenkt, unter meiner schwierigen Biografie nicht zu zerbrechen, sondern im Gegenteil gestärkt daraus hervorzugehen – das meint er mit Manasse. Josef verdrängt und vergisst nicht, wo er herkommt. Josef tut nicht so, als wäre da nichts gewesen.
Aber – und das ist das Entscheidende – seine Vergangenheit hat keine Macht mehr über ihn. Seine Vergangenheit und all das Unrecht, was ihm dort angetan wurde, ist nicht wie ein inneres Gefängnis, wie ein Trauma, ist nicht ein psychologisches Schicksal, dem man nicht entkommen kann.
Sie hängt nicht wie eine seelische Determinante über seiner Existenz, sondern er sagt: Gott hat mich davon freigemacht durch seine Nähe und sein Erbarmen, auch hier in Ägypten. Manasse!
Und wissen Sie, das gehört zum Evangelium: Egal aus welcher Lebensgeschichte du kommst, Jesus hat die Vollmacht, dich freizusprechen – auch von den schlimmsten Verflechtungen deines Lebens. Die Evangelien sind voll von Menschen, die aus schlimmsten Verflechtungen heraus zu Jesus kommen, und er macht sie frei.
Gott macht dich frei von allem, was dir angetan wurde, vielleicht in deiner Kindheit. Gott macht dich aber auch frei von allem, was du angetan hast – durch deine Schuld, Gott und Menschen. Über all dem steht die Freiheitsansage des Auferstandenen, dass Jesus Christus gesagt hat: „Wen der Sohn Gottes freimacht, der ist wirklich frei.“
Wer zu Jesus kommt, der sich vor ihm als seinem Retter und Erlöser beugt, wer das neue Leben aus seiner Hand empfängt, wer Gottes Kind geworden ist, der ist nicht von da an ein psychologisches Supermonster, aber er ist frei – frei in seiner Bindung an Jesus.
Und deswegen konnte Paulus sagen, in Römer 8, Paulus hat das aufgenommen, dass Jesus sagt, dass er frei macht. Und wo der Geist des Herrn ist, schreibt Paulus in Römer 8, Vers 2: „Das Gesetz des Geistes, also dass Gott uns den Heiligen Geist schenkt, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich freigemacht, freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.“
Das heißt nicht, dass dein Leben in allem leicht ist, aber freigemacht. Und Paulus sagt dann später in 2. Korinther 3, Vers 17: „Wo der Geist des Herrn ist“, also da, wo ein Mensch mit Jesus lebt, bekommt er den Heiligen Geist, sagt die Bibel. Und wo der Geist des Herrn ist, sagt Paulus, da ist Freiheit.
Manasse – das ist hier gemeint. Neulich erzählte mir ein lieber Mitchrist seine schwere Lebensgeschichte, und da kam auch einiges zusammen über all sein Unglück und sein ganzes Vaterhaus. Aber am Ende dieses Berichts stand dieser Jubel, dieses befreite Manasse: „Jesus hat mich davon freigemacht, und er hat mich dadurch stark gemacht, und er hat mich durch diese Not, durch die ich da noch mal durch musste, umso fester an sich gebunden.“
Manasse! Und auch das schwingt in diesem Vaterhaus vergessen mit. Martin Luther hat das messerscharf erkannt. Luther sagt: Gott hat Joseph begreifen lassen, dass seine letzte Sicherheit und Geborgenheit eben nicht in einer menschlichen Heimat liegt.
So schön es ist, wenn wir uns für den Weg hier auf dieser Erde Geborgenheit geben können – und das wollen wir auch versuchen und tun –, aber da liegt nicht die letzte Sicherheit, sondern die letzte Sicherheit liegt allein bei ihm.
Und Luther schreibt in einer Predigt über unsere Stelle wörtlich: „Will also sagen“, typisch Luther, „will also sagen, ich sehe, dass mir Gott die Zuversicht hat wolle nehmen, die ich zu meinem Vaterhaus habe, denn Gott ist ein Eiferer und will nicht leiden, dass das Herz einen Boden habe, einen anderen Boden, darauf es sich verlasse und stöhne, denn allein auf ihm.“
Gott will nicht leiden, dass das Herz einen anderen Boden hat, auf den es sich verlässt und stöhnt, als allein bei ihm. Also Luther meint hier einen Anker, einen Anker, bei dem ich mich mit meiner ganzen Not sicher weiß, einen Anker, wo ich mich ausheulen kann, wenn mir danach zumute ist.
Und Gott duldet hier keine Konkurrenz. Gott will selber dieser letzte Anker sein, bei dem wir uns ausheulen und auf den wir uns verlassen. So sehr Gott uns dann als Menschen auch dazu gebrauchen will, einander zu helfen.
Und Luther sagt: Das, das wollte Gott dem Joseph deutlich machen. Es gibt keinen anderen Ort als den Herrn selbst. Manasse – Gott hat mich innerlich frei gemacht von allem Unglück, um ganz an ihm zu hängen. Und das ist Ehrfurcht.
Man hat sich gefragt, warum Joseph in den dreizehn Jahren seit der Verschleppung nicht irgendwann den Versuch gemacht hat, wieder Kontakt zu seiner Familie und vor allem zu seinem Vater aufzunehmen. Auch dazu haben wir keine Informationen.
Möglicherweise wollte er Gottes Plan nicht zuvorkommen. Möglicherweise wollte er nicht eigenmächtig die Verbindung zu seiner neuen Heimat lockern, nicht vorzeitig diesen Posten verlassen, auf den Gott ihn gesetzt hatte. Möglicherweise hätten sie versucht, ihn zur Rückkehr zu überreden.
Vielleicht wartete Joseph auch auf ein Signal, auf einen Anlass von Gott. Und der wird ja dann im nächsten Kapitel auch kommen, sehen wir nächsten Sonntag.
Und auch kurz zum zweiten Namen: Auch das ist ein Ausdruck von Josephs Ehrfurcht. Während Manasse zurückblickt, zielt Ephraim mitten in die Gegenwart. Doppelte Fruchtbarkeit heißt das, denn Gott, sprach er, hat mich wachsen lassen in dem Lande meines Elends.
Also es kommt wieder aus Josephs eigenem Mund: „Gott hat mich wachsen lassen im Land meines Elends.“ Und wieder wird sternenklar, dass Joseph sagt: Gott ist der Held meiner Geschichte. Gott ist der Held meiner Geschichte. Gott verdanke ich meinen ganzen Erfolg, Gott verdanke ich meine Ehre, meine Ehe, meine Erträge, verdanke ich alles – Gott.
Und, ihr Lieben, wenn Gott uns gnädig ist, dann lässt er auch alles, was uns gelingen darf, dazu dienen, dass es uns ehrfürchtiger macht vor ihm, dass es uns tiefer beugt, dass es uns dankbarer und froher macht vor ihm und im Übrigen, dass es uns auch bescheidener, liebevoller und behutsamer im Umgang mit unserem Nächsten macht.
Der Erfolg verklärt nicht Josephs Blick auf das heidnische Ägypten. Joseph sagt nicht: „Ja, hier unter den Heiden, da kann man richtig groß rauskommen“, sondern was sagt er? „Gott hat mich wachsen lassen im Land meines Elends.“
Ägypten bleibt das Land des Elends, Ägypten bleibt Exil. Aber selbst dort hat der allmächtige Gott ihn so überreich gesegnet. Und mit dem Namen seiner beiden Söhne – also nochmal: Manasse heißt eigentlich „Gott hat mich frei gemacht vom Horror meiner Vergangenheit“ und Ephraim heißt „Gott hat mich stark gemacht“.
Damit bekennt Joseph noch einmal ein ehrfürchtiges Ja, ein ehrfürchtiges Ja zu Gottes genialen Plänen. Er hat ihn nicht immer verstanden, er ist an diesen Plänen manchmal vielleicht auch fast verzweifelt. Aber es ist ein Ja zu Gottes Plänen: Manasse und Ephraim.
Helmut Frey kann Josefs Glück so richtig nachvollziehen. Er schreibt: „Die Kette der Sinnlosigkeiten seines Lebens“ – und Sinnlosigkeiten natürlich in Anführungszeichen – „Die Kette der Sinnlosigkeiten seines Lebens liegt beim Rückblick wohl zusammengefügt und eingeordnet in einem einzigen wunderbaren Plan da.“
Verstehen Sie? Die Kette der Sinnlosigkeiten seines Lebens liegt beim Rückblick wohl zusammengefügt und eingeordnet in einem einzigen wunderbaren Plan da. Und dieser Plan ist noch lange nicht zu Ende.
Die Perspektive, die wir nächstes Mal sehen, wird immer größer. Deswegen endet unser Text ja auch in Vers 57 mit dem Satz: „Und alle Welt kam nach Ägypten, um bei Joseph zu kaufen.“ Jetzt weitet sich die Perspektive noch mehr: Alle Welt kam nach Ägypten, um bei Joseph zu kaufen.
Gott hat noch viel mit Joseph vor, und Joseph ist bereit, mit seinem ganzen weiteren Leben Gott zur Verfügung zu stehen. Der ganze Erfolg, die Ehre, die Ehe, die Erträge haben ihn nicht stolz gemacht, sondern ehrfürchtig.
Und so lasst uns darum beten, dass es für uns auch so läuft. Lasst uns darum beten, dass wir auch für viele Menschen zum Segen werden, dass Gott unserem Dienst Gelingen schenkt und dass wir mit jedem Tag besser verstehen, wie sehr wir ihn brauchen.
Wer möchte dieses Gebet zu seinem eigenen machen, in das Charles Haddon Spurgeon sein ganzes Herz gelegt hat und das auch Joseph sicher mitgebetet hätte?
Herr, behüte mich auf allen Wegen. Behüte mich im Tal, damit ich nicht über meinen niedrigen Stand murre. Behüte mich auf dem Berg, dem Berg des Erfolgs, damit ich nicht schwindelig werde vor Stolz, so hoch erhoben zu sein.
Behüte mich in der Jugend, wenn meine Leidenschaften stark sind. Behüte mich im Alter, wenn ich mir auf meine Weisheit etwas einbilde und deshalb ein größerer Tor sein mag als manche Jungen.
Behüte mich, wenn es zum Sterben geht, damit ich dich nicht am Ende noch verleugne. Behüte mich im Leben, behüte mich im Sterben.
Behüte mich in der Arbeit, behüte mich im Leiden, behüte mich im Kampfe, behüte mich in der Ruhe, behüte mich überall, denn überall habe ich dich nötig, oh mein Gott!
Ja, allmächtiger Gott, wir wollen in dieses Gebet einstimmen und zugeben: Überall haben wir dich nötig. Umso mehr ehren und anbeten wir dich dafür, dass du da bist und dass du uns so nahe gekommen bist in deinem geliebten Sohn, unserem Herrn Jesus Christus.
Amen.