Wir haben das Vorrecht, in diesen Tagen gemeinsam das Buch Ruth zu studieren. Ich habe ihm den Untertitel gegeben: Erlösung führt zur Ruhe.
Dieser Titel ist nicht auf Anhieb verständlich, aber im Laufe der weiteren Betrachtungen wird er immer klarer und sogar kostbar werden: Erlösung führt zur Ruhe.
Bevor wir beginnen, wollen wir uns die ersten Verse des Buches zu Herzen führen. Anschließend beschäftigen wir uns mit einigen Einleitungsfragen.
Ruth 1,1:
Und es geschah in den Tagen, als die Richter richteten, dass eine Hungersnot im Land entstand. Ein Mann von Bethlehem-Juda zog hin, um sich in den Gebieten von Moab aufzuhalten. Er war mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen unterwegs.
Der Name des Mannes war Elimelech, der Name seiner Frau Naomi. Die Namen seiner beiden Söhne waren Machlon und Kiljon. Sie stammten aus Ephrata, aus Bethlehem-Juda. So kamen sie in die Gebiete von Moab und blieben dort.
Zunächst einmal: Immer wenn man sich mit dem Wie eines Buches beschäftigt, sollte man versuchen, bestimmte Fragen zu beantworten. Diese Antworten helfen, das Buch und auch die einzelnen Verse darin besser zu verstehen.
Eine wichtige Frage ist: Wer hat das Buch geschrieben? Wann ist das Buch entstanden? Dann kann man es in der Heilsgeschichte einordnen, denn wir haben es mit einem Gott zu tun, der wirklich da ist und in Raum und Zeit gehandelt hat, obwohl er ewig ist und über der Zeit steht.
Das Alte Testament wurde ab Mose verfasst. Der Auszug aus Ägypten fand 1606 vor Christus statt, nach der strikten Chronologie, die alle Zahlen der Bibel ernst nimmt, nichts verändert und sie in einem geschlossenen System vereint. Von Mose, etwa 1606 vor Christus, stammen die fünf Bücher Mose. Diese wurden in dieser Epoche von ihm verfasst. Auch das Buch Hiob wurde durch ihn Israel gegeben, und Psalm 90 stammt ebenfalls von ihm. Dieser Psalm ist der älteste und trägt die Überschrift „Gebet von Mose, dem Mann Gottes“.
Nun stellt sich die Frage: Wer hat das Buch Ruth geschrieben? Diejenigen, die schon dabei waren, als wir die Bücher Josua und Richter behandelt haben, wissen noch, dass in der jüdischen Überlieferung deutlich gemacht wird, dass Josua das Buch Josua verfasst hat.
Josua war durch Mose bestätigt worden, der seinerseits durch gewaltige Zeichen und Wunder in Ägypten von Gott als echter Prophet bestätigt wurde. Diese Zeichen und Wunder geschahen sowohl in Ägypten als auch in der Wüste. Mose legte Josua die Hände auf, das Zeichen der Identifikation (5. Mose 34), und erkannte ihn als Propheten an, der sein Werk fortführen sollte.
Darum sehen wir im Buch Josua, dass das ganze Volk Israel die Autorität Josuas anerkannt hat. Sie gehorchten ihm, wie es in Josua 1 beschrieben wird, genauso wie sie Mose gehorcht hatten.
So war der Kanon der Bibel bereits erweitert, und es bedurfte keines Konzils dafür. Die göttliche Bestätigung von Mose als Bibelschreiber und Prophet stand über jedem Konzil. Zusammengefasst: Die fünf Bücher Mose, das Buch Hiob, Psalm 90 und dann das Buch Josua gehören zum Kanon.
Und letztes Jahr hatten wir das Buch Richter behandelt. Dabei haben wir gesagt, dass nach dem babylonischen Talmud – dem wichtigsten theologischen Werk im Judentum nach der Bibel – Informationen über die Autoren des Alten Testaments gegeben werden.
Im Traktat Baba Batra, 14b und auch 15a, erfahren wir, dass Samuel das Buch Richter verfasst hat. Ebenso schrieb er das Buch Ruth und einen Teil von Samuel, nämlich 1. Samuel 1 bis 24. Danach wird sein Tod erwähnt.
Samuel, der nach 1. Samuel 10,25 ein Schreiber war, also ein gelernter Schreiber, übte seine Richterzeit nach strenger Chronologie aus. Diese Zeit erstreckte sich von 1116 bis 1096 v. Chr., also zwanzig Jahre lang.
Nun sehen wir auch den Zusammenhang: Wenn Samuel das Buch Richter geschrieben hat, überrascht es nicht, dass er auch das Buch Ruth verfasst hat. Denn in Ruth, Vers 1, lesen wir: „Und es geschah in den Tagen, als die Richter richteten.“
Warum wurde das Buch Ruth nicht direkt in das Buch Richter eingebaut? Das wird deutlich, wenn wir das Buch Ruth studieren. Es ist wie eine Perle in einem dunklen, fast schwarzen Umfeld. Im Buch Richter sehen wir eine Zeit des ständigen Abfalls von Gott. Siebenmal wird beschrieben, dass das Volk Israel von Gott abgefallen ist.
Doch Gott hat in seiner Gnade immer wieder einen Neuanfang und eine Wiederherstellung bewirkt. Ganz wichtig ist der Refrain, der am Schluss des Buches noch zu finden ist: Richter 21,25: „In jenen Tagen war kein König in Israel; jeder tat, was recht war in seinen Augen.“
Es war eine Zeit des totalen Relativismus. Man lebte nicht nach einer absoluten Wahrheit, sondern jeder hatte seine eigene Wahrheit. Wenn wir das sehen, klingt das eigentlich sehr modern. Oder besser gesagt: Das, was heute modern zu sein scheint, ist Schnee von gestern – uralt, aus dem zweiten Jahrtausend vor Christus.
Doch das Buch zeigt uns eine so schöne Geschichte von einer Frau mit Glaubensgehorsam, Glaubensenergie und Liebe zu dem einen wahren Gott der Bibel. Das ist etwas ganz anderes, und das mitten in einer schwierigen Zeit.
Darum hat Samuel, durch den Heiligen Geist getrieben, nicht nur ein Buch geschrieben, sondern das Buch Richter und dann das Buch Ruth für sich verfasst.
Ein paar Bemerkungen zu dem Buch Ruth und den Höhlen von Qumran
In den Jahren 1947 bis 1956 wurden nach und nach in elf Höhlen in der jüdischen Wüste am Toten Meer bei Qumran Schriftrollen gefunden. Diese Schriftrollen sind viel älter als die, die man bis dahin kannte. Sie sind zum Teil über tausend Jahre älter als die bisher üblichen Funde.
In den Höhlen von Qumran sind eigentlich alle biblischen Bücher belegt, zumindest in Fragmenten oder Überresten – mit Ausnahme des Buches Esther. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Buch Esther dort unbekannt war. Einige Bücher wurden sehr zahlreich gefunden, zum Beispiel mehrere Jesaja-Rollen, Daniel-Rollen und Rollen der fünf Bücher Mose. Andere Bücher, wie etwa die Chronik, sind nur sehr selten belegt, manchmal nur mit einem einzigen Fund. Der Unterschied zwischen null und einem Fund ist nicht so groß, dass man daraus schließen könnte, dass das Buch nicht bekannt war.
Vom Buch Ruth gibt es vier Überreste von Schriftrollen, die in Fragmente zerfallen sind. Diese stammen von vier ehemals vollständigen Schriftrollen. Sie wurden in Höhle zwei, genauer gesagt in den Höhlen zwei und vier, gefunden. Die Höhle vier ist die bekannteste, weil man sie vom Plateau der ehemaligen Qumran-Gemeinschaft aus direkt sehen kann. In dieser Höhle wurden die meisten Schriftrollenfragmente gefunden – Zehntausende von Fragmenten, darunter auch vom Buch Ruth.
Diese Rollen stammen alle aus dem ersten Jahrhundert vor Christus.
Das Buch Ruth spielt in der Zeit der Richter, einer Periode, die von Anarchie geprägt war. In dieser Zeit tat jeder, was recht war in seinen eigenen Augen. Doch die Situation war noch viel schlimmer als das.
Im Buch Ruth finden wir schreckliche Gräueltaten, die in Israel geschehen sind. Man muss sich fragen, wo da jeglicher Maßstab von Moral und Ethik geblieben ist. Es sind Dinge, die man bereits von Sodom und Gomorra kannte, aber nie hätte vermuten können, dass so etwas im auserwählten Volk Gottes passieren würde. Es gibt jedoch dramatische Parallelen zwischen den Ereignissen in Sodom und Gomorra und den Geschehnissen im Buch der Richter, die inmitten Israels beschrieben werden.
Das Buch Ruth bildet eine Brücke von der Zeit der Richter bis zur von Gott gewollten Einführung des Königtums unter David. Am Ende des Buches, in Kapitel vier, erfahren wir, wie Ruth zur Stammmutter von König David wurde. Damit wurde sie schließlich auch zur Stammmutter des Erlösers der Welt.
David wird im letzten Kapitel des Buches Ruth erwähnt, in einem kurzen Geschlechtsregister. Der letzte Vers lautet: „Obed, der Sohn von Ruth, zeugte Isai, und Isai zeugte David.“ So sehen wir die Verbindung von der anarchischen Zeit, die im letzten Vers des Buches Richter beschrieben wird – „In jenen Tagen war kein König in Israel; jeder tat, was recht war in seinen Augen“ – hin zu David, dem Mann Gottes. Gott sagt über ihn: „Ich habe David gefunden, einen Mann nach meinem Herzen, der all mein Wohlgefallen tun wird.“
Auf diese Weise verbindet das Buch Ruth die Zeit der Richter mit den Büchern Samuel, Könige und Chroniken.
Im Buch der Richter finden wir die Zeit der Richter, während in den Büchern Samuel, Könige und Chronik die Zeit der Könige dargestellt wird.
Auf diesem Schema sieht man eine Zeittabelle: Ägypten, sechzehnhundertsechs vor Christus, dann vierzig Jahre Wüstenwanderung. Anschließend kam unter Josua die Landnahme, die insgesamt sechs Jahre dauerte. Dies wird im Buch Josua berichtet.
Danach verging eine gewisse Zeit bis zum ersten Richter, und das waren vierzehn Jahre. Es folgte die Zeit der Richter, eine Periode von 450 Jahren. Diese Information entnehmen wir der Apostelgeschichte 13,20, wo Paulus dies in einer Predigt in der Synagoge von Antiochia in Pisidien darlegt.
Nach der Zeit der Richter kam die Königsherrschaft, zunächst vierzig Jahre unter Saul, der nach den Vorstellungen der Menschen König wurde. Nachdem diese Zeit mit einer Katastrophe endete – dem, was der Mensch wollte – führte Gott König David ein, den Mann nach seinem Herzen. David regierte ebenfalls vierzig Jahre.
In der Schlusszeit der Richterzeit spielt das Buch Ruth. Es bildet die Brücke von der Richterzeit hin zur Königsherrschaft, wie sie nach Gottes Gedanken unter David begann.
Ich versuche, das Buch Ruth in wenigen Sätzen zusammenzufassen. Die Geschichte Ruts zur Zeit der Richter ist wie eine Perle auf schwarzem Hintergrund, wie ich bereits gesagt habe. Das Buch Ruth zeigt, wie eine Familie aus dem Volk Gottes den von Gott angewiesenen Platz verließ und göttliche Verbote brach. Unweigerlich musste sie unter Gottes Zucht kommen. Dies wird in Kapitel 1 beschrieben.
Auf der anderen Seite erzählt das Buch die Geschichte einer jungen Frau, die eine Heidin war und den wahren Gott nicht kannte. Doch weil sie sich von ihren falschen Göttern abwandte und ihr Herz ganz dem Gott Israels weihte, kam sie unter den gewaltigen Segen des Herrn. Sie wurde im Volk Gottes aufgenommen, durfte eine glückliche Ehe mit Boas eingehen und wurde schließlich in Bethlehem Stammmutter des Königs David. Dies wird in Ruth 4,17-22 beschrieben, ganz am Schluss des Buches.
Damit wurde sie Stammmutter des Herrn Jesus Christus, sowohl über die Königslinie – das ist die Linie von Joseph, die über König David, Salomo, Rehabbam bis auf Jechonja und weiter bis auf Joseph, den Stiefvater des Messias, führt. Joseph wurde der juristische Vater, weil er die Jungfrau Maria heiratete.
Ruth ist aber nicht nur Stammmutter über diese königliche Linie von Joseph, sondern auch über die biologische Linie von Maria. Die königliche Linie wird in Matthäus 1,1-17 beschrieben, die Linie von Maria in Lukas 3,23-32. Dort wird gesagt, dass Jesus gesetzlich als Sohn des Joseph anerkannt war, nicht biologisch. Wir können das kurz in Lukas 3 nachschlagen. Es ist wichtig, dass dieser Vers sehr sauber übersetzt ist.
Lukas 3,23: „Und er, Jesus, begann, ungefähr dreißig Jahre alt zu werden und war, wie gesetzlich anerkannt war, ein Sohn Josefs.“ Dann folgen die Namen: Eli, Matat, Levi, Melchi usw., die bis auf David zurückgehen, in Vers 31: Matat, Nathan, David, Isai, Obed, Boas – und damit sind wir schon beim Buch Ruth.
Ganz wichtig: Es heißt hier „wie gesetzlich anerkannt war ein Sohn Josephs“. Zum Teil wird übersetzt „wie man meinte“, aber der griechische Ausdruck bedeutet unter anderem auch „gesetzlich anerkannt sein“. Das ist die beste Übersetzung. Denn mit den Geschlechtsregistern war klar nachweisbar, dass Joseph der Pflegevater war. Diese Geschlechtsregister waren zentral in Jerusalem gelagert. Im Jahr 70 wurden sie verbrannt.
Dieses Geschlechtsregister hat Matthäus in Matthäus 1 wiedergegeben, und das von Maria ist das, was Lukas in Lukas 3 noch vor dem Jahr 70 aufgezeichnet hat. Das konnte jeder überprüfen, denn es waren öffentliche Schriften – diese Geschlechtsregister.
Es heißt also „wie gesetzlich anerkannt war ein Sohn Josephs“, ohne Artikel, also nicht „ein Sohn des Josephs“, sondern „ein Sohn Josephs“. Danach folgen die Männernamen im Geschlechtsregister von Maria mit Artikel: des Eli, des Matat, des Levi. Joseph wird ohne Artikel genannt, als gesetzlich anerkannter Sohn Josephs, des Eli.
Nun, wer ist Eli? Da könnte jemand sagen, das ist der Vater von Joseph. Schauen wir in Matthäus 1: Dort steht in diesem Geschlechtsregister immer „X zeugte Y“. In Lukas fehlt das Wort „zeugen“, stattdessen wird mit dem Genitiv des Vaters die Abstammung angezeigt. Das Geschlechtsregister in Lukas geht rückwärts, von Eli bis Nathan, David und noch weiter zurück bis Adam.
Im Matthäusevangelium geht das Geschlechtsregister vorwärts, ab Abraham. Vers 1 und 2: „Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob, Jakob zeugte Juda“ usw. In Vers 16 heißt es: „Jakob zeugte Joseph, den Mann der Maria, von der Jesus geboren wurde, der Christus genannt wird.“ Jakob war also der biologische Vater von Joseph.
In Lukas 3 haben wir dagegen Eli, der nicht derselbe wie Jakob ist. Die ganze Linie ist anders. Jakob ist der wirkliche Vater von Joseph, Eli war der Vater von Maria. So haben wir die königliche Linie und die biologische Linie.
Es war sehr wichtig, dass Maria und Joseph heirateten. Wir wissen aus den Prophezeiungen des Alten Testaments, dass der Messias ein Nachkomme von König David sein sollte. Jeremia 23,5 sagt, dass ein Spross von David König sein wird – also ein biologischer Nachkomme Davids.
Joseph hätte jedoch niemals König werden dürfen, obwohl er aus der königlichen Linie von David, Salomo, Rehabbam stammte – der Linie der Könige von Juda. Warum nicht? Der letzte König in dieser Linie war Jechonja, zur Zeit der babylonischen Gefangenschaft. Er wird auch in Matthäus 1 erwähnt als Jechonja oder Konia.
Jechonja war so ein übler Mann, dass Gott durch Jeremia verkündete (Jeremia 22, letzter Abschnitt): Nie wird ein Same von Jechonja auf dem Thron sitzen. Diese königliche Linie wurde verflucht. Das heißt, ab dem letzten König in der Linie der jüdischen Könige durfte kein Nachkomme mehr auf den Thron gesetzt werden.
Joseph stammt aus dieser Linie. Nun hat er Maria geheiratet, die selbst Nachkommin von König David war, aber nicht aus der königlichen Linie. Wir haben gelesen, dass ihre Linie über Nathan, einen Halbbruder Salomos, verläuft und anders weitergeht.
Maria und Joseph waren also auf tausend Jahre zurück urverwandt mit König David. Doch dadurch, dass Jesus von der Jungfrau Maria geboren wurde, war er ein biologischer Nachkomme Davids, wie 2. Timotheus 2,8 sagt. So wurde die Prophetie erfüllt, dass er ein Spross Davids war, aber nicht aus der Königslinie.
Wie soll jemand, der nicht aus der Königslinie ist, ein Anrecht auf den Thron haben? Joseph heiratete Maria und Jesus erhielt dadurch juristisch Anspruch auf das Geschlechtsregister der Könige – als Mensch. Er war kein Same von Jechonja, und jeglicher Same von Jechonja durfte nicht auf dem Thron Davids sitzen.
Doch Jesus hatte ein legales Anrecht am Geschlechtsregister der Könige Judas und war biologischer Nachkomme Davids über Maria. Deshalb hatte er als Mensch das Recht, Messias zu sein und auf dem Thron seines Vaters David zu sitzen. So sagt es der Engel Gabriel in Lukas 1 zu Maria: Er wird auf dem Thron seines Vaters David sitzen und in Ewigkeit regieren.
Wir staunen über die Wege Gottes. Diese beiden – Maria und Joseph – mussten heiraten. Wenn man an den Moment zurückdenkt, als Joseph überzeugt war, dass Maria die Richtige ist, hätte er sicherlich verschiedene Gründe dafür angeben können. Ähnlich wie der Knecht Abrahams, der im Haus von Rebekka erzählen konnte, wie der Herr ihn geführt hatte und ihn überzeugte, dass sie die richtige Frau für Isaak war.
Joseph wusste jedoch nicht um Gottes Pläne. Er musste Maria heiraten, damit der Sohn der Jungfrau als Mensch das Anrecht auf die Königslinie erhielt. Im Judentum ist es immer ein Problem, wie der Messias ein Nachkomme Davids sein und gleichzeitig ein Anrecht auf den Thron haben kann, denn die Königslinie ist verflucht.
Das ist das Wunder, verbunden mit dem Wunder der Jungfrauengeburt. Und all das hängt zusammen mit Ruth. Ruth musste unbedingt Boas heiraten. Wie das geschah, war sehr verwoben. Wir werden sehen, dass sie zufällig auf das Feld von Boas kam – so beginnt alles.
Damit wurde sie Stammmutter des Erlösers. Das Wort „zufällig“ steht in der Bibel in Ruth 2,3: „Und sie ging hin und kam und auf dem Feld hinter den Schnittern her las sie auf, und sie traf zufällig das Feldstück des Boas, der aus der Familie Elimelechs war.“ Zufällig!
Herr Bresch, das ist wirklich das Wort für „zufällig“. Wir werden noch einiges über das Thema Zufall in der Bibel hören. Das wird unsere Freude am Wort Gottes und an seinen Plänen wecken.
Sehen wir, wie erhaben der ewige Gott über der Heilsgeschichte steht und wie alles geführt wurde mit Ruth in einer Zeit, die durcheinander, chaotisch und sogar anarchisch war. Und wie das schließlich zu König David und zum Heiland der Welt führt.
Weiter ist zu betonen, dass das Buch Ruth ganz eng mit der Ortschaft Bethlehem verbunden ist. Bethlehem spielt in diesem Buch eine sehr wichtige Rolle. Es wird bereits im Buch Richter erwähnt, und zwar auf eine ganz eigenartige Weise, wie es in den letzten Kapiteln des Buchs Richter eingeführt wird.
In diesem Zusammenhang spielt auch eine andere Ortschaft eine wichtige Rolle: Gibeah, die Stadt Sauls im Stamm Benjamin. Dort ereignet sich eine der schrecklichsten Geschichten im Buch Richter. Sie ist so schockierend, dass einem fast übel wird, wenn man liest, was dort geschehen ist. Die Bibel beschreibt die Bosheit des Menschen unverblümt, so wie sie ist.
Gibeah, die Stadt Sauls, wird später im Buch Samuel zur Stadt, aus der der König nach dem Herzen Gottes kommt: König Saul. Er führte Israel in eine absolute Katastrophe und in einen Krieg, der mit einer totalen Niederlage Israels endete. Dabei gingen große Landteile an die Feinde, die Philister, verloren – ein Verlust des verheißenden Landes.
Bethlehem spielt bereits im Buch Richter am Fluss eine Rolle. Der gleiche Autor, Samuel, nimmt diese Ortschaft im Buch Ruth wieder auf. Dort spielt Bethlehem eine zentrale Rolle in der schönen Geschichte von Ruth und Boas. Sie werden die Vorfahren von König David, der schließlich die Linie bis zum Erlöser weiterführt.
Bethlehem ist auch eng mit dem Kommen des Erlösers verbunden. Hier einige Ansichten von Bethlehem heute: Inzwischen ist es eine recht große Stadt geworden, mit zum Teil ganz modernen Gebäuden. Auch die Umgebung von Bethlehem zeigt sich heute anders, wie eine weitere schöne Ansicht zeigt.
Wir denken an Micha 5,2: Im achten Jahrhundert vor Christus sagt der Prophet: „Und du, Bethlehem-Ephrata, zu klein, um unter den Tausenden von Juda zu sein, aus dir wird mir hervorgehen, der Herrscher über Israel sein soll, und seine Ausgänge sind von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her.“
Es war klar, dass aus dieser Stadt, die schon im Buch Ruth eine so wichtige Rolle spielt, der Erlöser der Welt kommen wird. Doch warum heißt es hier Bethlehem-Ephrata? Weil es in der Bibel zwei Orte namens Bethlehem gibt. Ein anderes Bethlehem liegt in Galiläa, im Norden Israels. Zur Unterscheidung wird hier Bethlehem Ephrata genannt.
Jetzt verstehen wir auch, warum in Ruth 1,2 steht: „Der Name des Mannes war Elimelech und der Name seiner Frau Naomi und die Namen seiner beiden Söhne Machlon und Kilion, Ephratiter aus Bethlehem-Juda.“ Die Ortschaft Bethlehem war von einem Geschlecht im Stamm Juda bewohnt, das Ephratiter genannt wurde.
Damit wird klargestellt, dass hier nicht Bethlehem in Galiläa gemeint ist, sondern Bethlehem in Juda. Deshalb heißt es Bethlehem Ephrata. Es wird noch mehr betont, dass Bethlehem zu klein ist, um unter den Tausenden von Juda zu sein. Es war eine bescheidene, zurückhaltende Ortschaft innerhalb des Stammes Juda.
Doch das war kein Hindernis. Gott wählt oft gerade das Verachtete, das, was von den Menschen nichts gilt und zurücksteht. Darum wählte Gott König David, den achten Sohn Isais. Die ersten Söhne wurden abgelehnt; der Kleinste, der Jüngste, wurde erwählt.
Bethlehem selbst war keine großartige Stadt in Juda, aber der Prophet sagt: „Und du Bethlehem, Ephrata, zu klein, um unter den Tausenden von Juda zu sein.“ Der Stamm Juda war in Tausendschaften aufgeteilt, und Bethlehem war in seiner Tausendschaft eine sehr bescheidene Ortschaft.
Doch Gott sagt: Nein, gerade aus dieser Ortschaft wird der Herrscher über Israel hervorgehen. Dann wird erklärt: Der Mensch, der Messias, der ein Mensch sein wird, soll in Bethlehem geboren werden. Seine Herkunft aber ist von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her. Er ist Gott – Gott und Mensch in einer Person.
Wenn wir daran denken, bedeutet Bethlehem „Haus des Brotes“: Beth heißt Haus, Lechem heißt Brot – also Brot-Haus auf gut Deutsch. Ephrata, im Zusammenhang mit dem Geschlecht der Ephratiter, bedeutet Fruchtbarkeit. So wird das Brot mit der Fruchtbarkeit der Felder von Bethlehem in Verbindung gebracht.
Im Buch Ruth werden wir noch von der Fruchtbarkeit der Felder von Bethlehem hören. Der Erlöser sollte aus dem Brothaus kommen. Deshalb wird er später in der Synagoge von Kapernaum sagen: „Ich bin das Brot, das aus dem Himmel herabgekommen ist und der Welt das Leben gibt. Wer von diesem Brot isst, wird ewig leben.“
Jetzt noch etwas zum Aufbau des Buches. Ganz einfach kann man sich das merken: Nicht alle Bibelbücher sind so leicht verständlich wie das Buch Ruth. Es folgt klar den Kapiteln, wie wir sie als Hilfsmittel in unseren Bibeln haben. Die Kapitelleinteilung wurde erst im Mittelalter eingeführt.
Ruth trifft ihre Entscheidung in Moab – das ist das Thema von Kapitel eins. Im zweiten Kapitel dient Ruth auf den Feldern des Boas. Kapitel drei zeigt, wie Ruth Ruhe findet. Hier wird bereits deutlich, dass das Thema Erlösung zur Ruhe führt. Ruth findet Ruhe auf der Tenne. Das vierte Kapitel zeigt, wie Ruth belohnt wird, und zwar im Stadttor.
Um das noch besser zu veranschaulichen und sich die Inhalte leichter einzuprägen, helfen Bilder. Ruth entscheidet sich in Moab. Moab liegt in der Gegend um den Berg Nebo. Ein Blick von Nebo aus zeigt die Landschaft des Gebiets von Moab.
Zweitens dient Ruth auf den Feldern. Drittens findet Ruth Ruhe auf der Tenne. Hier sieht man auch, wie eine Tenne in biblischer Zeit ausgesehen hat. Schließlich wird Ruth im Stadttor belohnt. Das Stadttor war der Ort, an dem die Richter ihren Platz hatten.
Ein Beispiel dafür ist ein Stadttor aus biblischer Zeit in Tel Dan. Dort sieht man den alten Richtersitz, der ausgegraben wurde. An diesem Ort wurden die Angelegenheiten geklärt, zum Beispiel zwischen Ruth und Boas. Schließlich wurde die Ehe als öffentlich-rechtlicher Akt vollzogen.
An dieser Stelle würde ich sagen: Wir machen jetzt eine halbe Pause und hängen danach noch eine halbe Stunde an.
Wir fahren jetzt mit dem Buch Ruth weiter und fragen uns, wo innerhalb des Kanons der alttestamentlichen Bücher der Platz des Buchs Ruth zu finden ist. In unseren deutschen Bibeln haben wir eine andere Reihenfolge als in der hebräischen Bibel. Das ist nicht schlimm, das muss man einfach wissen.
Die deutschen Bibeln folgen der Reihenfolge der Bücher, wie man sie in der ältesten Bibelübersetzung findet, der Septuaginta. Das ist die erste Übersetzung, und zwar auf Griechisch, die im dritten Jahrhundert vor Christus in Alexandria von Juden dort angefertigt wurde. Sie wird „Übersetzung der Siebzig“ genannt, im Hebräischen Targumschivim. Nach der Überlieferung arbeiteten über 70 Männer an dieser Übersetzung.
In der Septuaginta sind die Bücher nach dem Prinzip des geschichtlichen Ablaufs eingereiht. Darum haben wir zuerst die fünf Bücher Mose, dann Josua, Richter und anschließend das Buch Ruth, weil es mit dem Buch Richter zusammenhängt. Danach folgen 1. Samuel, 2. Samuel, 1. Könige – alles schön im Ablauf der Geschichte. Spätere Geschichten, wie zum Beispiel Esra und Nehemia, kommen daher auch später in der Reihenfolge. Das letzte Buch im deutschen Alten Testament ist das Buch Maleachi, das wirklich das letzte Buch ist, das zeitlich um das Jahr 400 v. Chr. geschrieben wurde.
Die hebräische Bibel ist in drei Hauptteile eingeteilt. Der erste Teil heißt die Tora, das heißt das Gesetz, das Gesetz Moses. Das sind die fünf Bücher Mose. Dann spricht man von den Propheten. Dabei unterscheidet man die vorderen und die hinteren Propheten.
Die vorderen Propheten – und das überrascht uns vielleicht – sind Josua, Richter, Samuel und Könige. Das sind zwar Geschichtsbücher, aber sie wurden von inspirierten Bibelschreibern verfasst, die Propheten waren. Der Prophet Josua hat das Buch Josua geschrieben, der Prophet Samuel das Buch Richter und einen Teil von Samuel usw.
Die hinteren Propheten sind die Bücher, die wir als Propheten im engeren Sinn bezeichnen: Jesaja, Jeremia, Hesekiel und auch die zwölf kleinen Propheten.
Dann gibt es eine dritte Abteilung, die heißt die Schriften oder auch die Psalmen, weil in der hebräischen Bibel die Psalmen am Anfang dieses Teils stehen. Zu den Schriften gehören Psalmen, Hiob, Sprüche, Ruth, Hohelied, Prediger, Klagelieder, Ester, Esra, Nehemia und Chronika. Wir sehen also, dass das Buch Ruth im dritten Teil untergebracht ist.
Diese Dreiteilung hat der Herr Jesus anerkannt. Wir können dazu in Lukas 24 nachlesen, wo der Auferstandene über die Prophezeiungen im Alten Testament spricht, die auf ihn hinweisen. Dort sagt er in Kapitel 24, Vers 44: „Dies sind meine Worte, die ich zu euch redete, als ich noch bei euch war, dass alles erfüllt werden muss, was über mich geschrieben steht, im Gesetz Moses, in den Propheten und in den Psalmen.“ Dann öffnete er ihnen das Verständnis, die Schriften zu verstehen, und sprach zu ihnen: „So steht geschrieben, dass der Christus – griechisch für den Messias – leiden und am dritten Tag auferstehen sollte aus den Toten und in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden gepredigt werden sollten allen Nationen, anfangend von Jerusalem.“
Wir sehen also, dass der Herr Jesus genau diese drei Teile nennt: Gesetz Mose, Propheten und Psalmen, was eben für die Schriften steht.
Vielleicht noch ein paar Bemerkungen dazu: In den heutigen hebräischen Bibeln befindet sich das Buch Daniel auch unter den Schriften, im dritten Teil. Ich habe das hier aber in eckige Klammern gesetzt. Wie man sieht, steht Daniel nach Esther, Esra, Nehemia und Chronika. Wir haben jedoch Hinweise, dass das ursprünglich nicht der Platz von Daniel war, sondern dass er unter den Propheten eingereiht war. Ich habe das mit Klammern gemacht, also bei den hinteren Propheten: Jesaja, Jeremia, Hesekiel, Daniel und die zwölf kleinen Propheten.
Der Grund dafür ist, dass der Herr Jesus in Matthäus 24,15 in seiner Ölbergrede sagt: „Wenn ihr nun den Gräuel der Verwüstung seht an heiligem Ort“, und er fügt hinzu: „wovon Daniel der Prophet geredet hat.“ Er nennt Daniel also ausdrücklich „den Propheten“. Außerdem hat man in Qumran eine Handschrift gefunden, die wissenschaftlich „4Q174“ genannt wird. „4Q“ steht für Höhle 4, eine der bekannten Höhlen mit den Schriftrollen. In dieser Schriftrolle wird ebenfalls von Daniel, dem Propheten, gesprochen.
Warum wurde Daniel später in den dritten Teil verschoben? Man muss wissen, dass in der Synagoge an jedem Sabbat aus den fünf Büchern Mose gelesen wird. Zu den fünf Büchern Mose werden ganz bestimmte Abschnitte aus den Propheten gelesen. Daniel ist der Prophet, der ganz genau geschrieben hat, wann der Messias kommen soll. Wenn man die Jahrwochen in Daniel 9 durchrechnet, kommt man auf die Zeit der Evangelien, nämlich auf das Jahr 32 nach Christus, als der Herr Jesus am Palmsonntag nach Jerusalem einzog. Das ist der Hammer! Das ist ein schlagender Beweis, dass Jesus von Nazaret der Messias ist.
Die Rabbiner haben jedoch davor gewarnt, sich mit Daniel auseinanderzusetzen. Der bekannteste Rabbiner im Judentum ist Moses Maimonides, auch Mosche ben Maimon genannt. Er lebte im zwölften Jahrhundert und wird als der „zweite Mose“ bezeichnet, weil sein Einfluss so wichtig ist. Man sagt ja, wenn drei Juden im Raum sind, gibt es neun verschiedene Meinungen. Aber wenn man wirklich die Gegner zum Schweigen bringen will, dann muss man auf Mosche ben Maimon verweisen.
Dieser Mann hat einen Brief geschrieben an eine Gemeinde im Jemen, die im zwölften Jahrhundert ein Problem mit einem falschen Messias hatte. In dieser Schrift, die „Igeret Hateman“ (Jemenitischer Brief) heißt, sagt er: Daniel hat uns die Wissenschaft der Zahlen mitgeteilt. Doch weil diese Zahlen uns verborgen sind, haben die Weisen – gesegneten Andenkens – gesagt, man solle diese Zahlen nicht nachrechnen, weil man dem einfachen Volk eine Falle stellen würde. Wenn sie feststellen, dass diese Zeiten abgelaufen sind und der Messias nicht gekommen ist, merken sie, was da vorgeht.
Sie hätten gebetet, dass diejenigen, die es doch berechnen, dass ihre Rechnung zunichte werde und ihr Gemüt zerspringe. Ich fühle mich gut und habe einige Bücher über die Jahrwochen geschrieben. Aber ja, ein Fluch ist, so lesen wir im Buch der Sprüche, der nicht berechtigt ist, wie Vögel, die wegflattern – er trifft nicht ein.
Nur um zu sagen: Man hat mit Daniel ein großes Problem bekommen. Indem man ihn aus den Propheten in die Schriften verschoben hat, hören die meisten in der Synagoge nur die Lesung aus den Propheten und den fünf Büchern Mose. Die meisten lesen zuhause nicht das ganze Alte Testament durch. Das machen die wenigsten. Darum ist man manchmal erstaunt, selbst bei Orthodoxen, wie schlecht die Bibelkenntnis ist. Sie lesen mehr Kommentare als die Bibel selbst. So wurde Daniel gewissermaßen ausgelagert.
Noch etwas: Merken wir uns diese wunderbare Einteilung. Das Gesetz Mose, die Tora, umfasst fünf Bücher. Die Propheten, wenn wir Daniel mitzählen, ergeben zwanzig Bücher. Sonst wären es nur neunzehn. Die Schriften ergeben zehn Bücher, ohne Daniel wären es elf. Das wäre ein bisschen krumm. Neunzehn ist ein bisschen krumm, elf auch, aber so gelten es zwanzig und zehn.
Ich muss noch erklären, dass ursprünglich die Bücher Samuel ein Buch waren. Darum habe ich sie hier als Samuel aufgelistet. Später wurden sie getrennt in 1. und 2. Samuel. Ebenso bei den Königen. Man muss also einfach als ein Buch rechnen. Chronika ist ebenfalls ein Buch. Esra und Nehemia bildeten auch eine Schriftrolle. So ergibt sich diese Zählung von fünf, dann viermal fünf und zweimal fünf. Das sind alles Multiplikationen von der Basis der Bibel, der Tora. Alles andere baut darauf auf.
Jeder Prophet wurde auch immer getestet, ob er in Übereinstimmung stand mit den fünf Büchern Mose, mit dem Propheten, den Gott durch ganz besondere Zeichen und Wunder in Ägypten und der Wüste bestätigt hatte.
Jetzt sehen wir also das Buch Ruth im dritten Teil.
Auf Hebräisch sagt man für das Gesetz Mose „Torah“, für die Propheten „Nevi'im“ und für die Schriften „Ketuvim“. Nun versteht man, warum das Alte Testament im Judentum „Tanach“ genannt wird. Das Wort ist gebildet aus den Anfangsbuchstaben von Torah, Nevi'im und Ketuvim, also T, Na, Ch.
Warum „ch“ und nicht „k“? Weil man ein „k“ weich ausspricht, wenn ein Vokal vorausgeht. Darum sagt man „Tanach“, das „ch“ steht nach einem Vokal. Das ist einfach die Abkürzung.
Es ist wichtig, wenn man mit Juden spricht, nicht „Altes Testament“ zu sagen. Denn das wirkt für sie so, als wäre dieses Buch passé. Es ist alt und damit vorbei. Aber das bedeutet „Altes Testament“ nicht. Im Alten Testament selbst steht in Jeremia 31, dass Gott einen neuen Bund machen wird und damit den Bund vom Sinai alt macht.
Das Alte Testament wird „Altes Testament“ genannt, weil es die ganze Geschichte in Verbindung mit dem Bund vom Sinai beschreibt. Aber es ist nicht vorbei und nicht veraltet. Hoffentlich benutzen wir das Wort „Altes Testament“ im Gegensatz zum Neuen Testament im richtigen Sinn.
Juden können sich jedoch daran stören. Wenn man sie nicht unnötig anstoßen will, kann man einfach „Tanach“ sagen. Das bedeutet genau dasselbe. Man kann auch sagen – aber nicht auf Deutsch, sondern auf Hebräisch – „im Tanach steht so und so“. Dann versteht man das sofort.
Auf Hebräisch kann man auch „Mikra“ sagen. Das ist ein anderes Wort für Bibel, wörtlich „das Gelesene“. Das ist ganz neutral, denn „Mikra“ kann das Alte Testament bedeuten, aber auch das Alte und das Neue Testament zusammen. Das nennt man „HaMikra“.
Das war ein kleiner Exkurs in Bezug darauf, wie man mit Juden über den Messias spricht. Warum ich das alles erkläre, wird sich noch zeigen.
Es kommt eine Perle: Die Reihenfolge der Bücher Sprüche, Ruth und Hohelied findet man im Codex Leningradensis. Diese Reihenfolge mag auf den ersten Blick etwas kompliziert erscheinen, doch wir verfügen über etwa sechstausend hebräische Handschriften aus dem Mittelalter, die auf dem masoretischen Text basieren.
Der masoretische Text ist der beste Text, den es gibt. Er geht zurück auf den Tempeltext, also den Text der Bibel, der stets im Tempel in Jerusalem aufbewahrt wurde. Dabei handelt es sich um die besten Handschriften. Wenn man in Synagogen irgendwo im Land die Handschriften kontrollieren wollte, musste man sie auf den Tempelberg bringen, um sie dort mit den besten Vorlagen zu vergleichen.
Genau diesem Text aus dem Tempel entspricht der mittelalterliche Text, den das Judentum bewahren konnte: der masoretische Text. Der Codex von Leningrad ist der älteste Kodex, der alle Bücher des Alten Testaments umfasst. Es gibt zwar noch ältere Kodices, diese enthalten jedoch nur Teile des Alten Testaments. Der Codex von Leningrad enthält das gesamte Alte Testament. Deshalb ist er eine der wichtigsten Handschriften, die wir überhaupt besitzen.
Dort ist die Reihenfolge der Bücher klar: Die Psalmen stehen am Anfang. Das entspricht der Reihenfolge, wie der Herr Jesus sie in Lukas 24 zitiert. Der dritte Teil wird Psalmen genannt, weil die Psalmen am Anfang stehen. Danach folgen Sprüche, Ruth und Hohelied.
Worauf zielt das Buch der Sprüche am Schluss hin? Auf die tugendhafte Frau. Schlagen wir auf: Sprüche 31 beschreibt die Frau nach Gottes Gedanken. Übrigens wurde dieser Abschnitt von einer Frau gelehrt, die ihren Sohn unterweist. In Sprüche 31,1 heißt es: „Worte Lemuels, des Königs Ausspruch, womit seine Mutter ihn unterwies.“
Dann unterweist sie ihn über den richtigen Umgang mit dem anderen Geschlecht und mit Alkohol. Es ist sehr wichtig, dass Mütter ihre Söhne über solche Themen belehren. Ab Vers 10 sagt sie: „Eine tüchtige Frau, wer wird sie finden? Denn ihr Wert steht weit über Korallen. Das Herz ihres Mannes vertraut auf sie, und an Ausbeute wird es ihm nicht fehlen.“
Dieser Abschnitt geht bis zum Schluss und umfasst genau zweiundzwanzig Verse. Diese Verse folgen dem hebräischen Alphabet: Der erste Vers, Sprüche 31,10, beginnt mit dem ersten Buchstaben Aleph, der nächste mit Bet, dann Gimmel und so weiter bis zum letzten Buchstaben Taw, dem hebräischen Th. Es ist ein wunderbar kunstvolles Werk, in dem die Frau nach Gottes Gedanken beschrieben wird.
Im Buch der Sprüche geht es um Weisheit. Wie heißt Weisheit auf Hebräisch? Chochmah. Dieses Wort ist weiblich. Chochmah, die Weisheit, wird hier personifiziert in einer gottgemäßen Frau, die Gottes Weisheit in ihrem Herzen trägt und sie auch lebt. Eine solche Frau wird als „tüchtige Frau“ bezeichnet – auf Hebräisch Eschet Chayil.
Nun wenden wir uns dem Buch Ruth zu. In Ruth Kapitel 3 spricht Boas zu der jungen Frau und sagt in Vers 10: „Gesegnet seist du von dem Herrn, meine Tochter!“ Übrigens heißt „meine Tochter“ Bitti. Das war der Kosename, den Eliezer Ben Yehuda seiner Frau Deborah gab.
Eliezer Ben Yehuda war ein Mann, der 1881 aus Litauen nach Palästina kam. Er hatte die Überlegung, dass die Juden dort nicht Arabisch, Jiddisch oder Russisch sprechen sollten, sondern die alte Sprache der Propheten, das Hebräische, wiederbelebt werden müsse. Er begann ein Lebenswerk, um das Hebräische neu zu beleben.
Seiner ersten Frau, Deborah, sagte er, als sie schwanger war: „Deborah, unser erstes Kind wird das erste Kind sein, das nur Hebräisch versteht.“ Sie wusste, was zu tun war: In jeder freien Minute lernte sie Hebräisch, bis sie sprechen konnte. Das Hebräische war damals eine tote Sprache.
Eliezer war ein sehr dickköpfiger Mann. Im Haus Ben Yehudas wurde nur Hebräisch gesprochen, auch bei der Geburt. Wenn die Hebammen etwas nicht auf Hebräisch sagen konnten, sollten sie schweigen. Das setzte er durch. Benzion, so hieß der erste Sohn, wurde tatsächlich das erste Kind, das nur Hebräisch sprach.
Seine Frau Deborah nannte er liebevoll Bitti. „Bitti, meine Tochter“ – diesen Ausdruck findet man auch im Buch Ruth. Boas sagt zu Ruth: „Gesegnet seist du von dem Herrn, Bitti, meine Tochter. Du hast deine letzte Güte noch besser erwiesen als die erste, indem du nicht den Jünglingen nachgegangen bist, sei es Armen oder Reichen.“
Dann sagt Boas: „Bitti, fürchte dich nicht, alles, was du sagst, werde ich tun. Denn das ganze Tor meines Volkes weiß, dass du eine Eschet Chayil bist, eine tüchtige Frau.“ Das ist exakt der gleiche Ausdruck wie in Sprüche 31,10.
In Sprüche 31 geht es um Weisheit, und das Buch endet mit der Beschreibung der Frau nach Gottes Gedanken – einer tüchtigen Frau, die Gottes Tugenden in ihrem Leben umsetzt. Im Buch Ruth wird eine solche Frau konkret beschrieben.
In Sprüche 31 wird die Frage gestellt: Wer wird diese tüchtige Frau finden? Das nächste Buch zeigt es: Boas hat eine solche Frau gefunden. Dort wird auch dargestellt, wie dieser Weg verlief. Wir werden viele Grundsätze über Gottes Gedanken finden, wie Mann und Frau nach Gottes Grundsätzen zusammenkommen sollen.
Das nächste Buch ist das Hohelied. Im Buch Ruth wird vorgezeichnet, wie eine glückliche Ehe beginnt – zwischen Boas und Ruth. Man muss eine tüchtige Frau finden. Im Hohen Lied wird dann das Glück der Verbindung von Mann und Frau nach Gottes Gedanken gezeigt. Dort werden Salomo und Sulamit beschrieben, der weiße Salomo.
Die tüchtige Frau ist Frau Weisheit! Salomo steht für Herrn Weisheit, aber wir wissen, dass er später Torheit in sein Leben ließ. Er zerstörte die erste schöne Beziehung, die eine Ehe von Mann und Frau zwischen Salomo und Sulamit war, indem er immer mehr Frauen hinzunahm und alles kaputtmachte.
Diese Reihenfolge der Bücher ist so tiefsinnig und erfreut das Herz.
Aber jetzt ein nächster Gedanke, wir haben noch fünf Minuten. Wenn wir über diese biblischen Bücher nachdenken, fällt uns auf, dass es zwei Bücher gibt, die nach einer Frau benannt sind: Ruth und Esther.
Wenn wir diese beiden Bücher zusammen betrachten, erkennen wir einen Doppelweg. Da ist Ruth, und da ist Esther. Welche Parallelen können wir erkennen? Nun, es gibt zwei Willbücher im Alten Testament, in denen jeweils eine Frau die Hauptperson ist: Ruth und Esther.
Wir stellen fest: Ruth war eine Heidin, Esther war eine Jüdin. Ruth lebte durch freie Wahl im Land Israel. Diese Heidin wollte ins Land Israel, das war ihre Herzensentscheidung. Esther hingegen lebte wegen der erzwungenen Wegführung in einem Land der Heiden, im persischen Weltreich, in Persien. Interessant also, nicht freiwillig, sondern erzwungen.
Ruth heiratete einen Juden, Esther heiratete einen Heiden. Verblüffend, nicht wahr, diese Parallelismen oder Antiparallelismen? Ruth hatte königliche Würde, denn sie heiratete einen Vorfahren der messianischen Königslinie. Esther hatte ebenfalls königliche Würde, denn sie heiratete einen König über ein Weltreich, Ahasveros.
Für Ruth war Gott wichtiger als ihr eigenes Leben. Für Esther war Gott ebenfalls wichtiger als ihr Leben, als es schließlich darum ging, zum König zu gehen. Was sagt sie? „Komme ich um, so komme ich um.“ Sie war bereit, ihr Leben für Gottes Rettungsplan hinzugeben. Das ist ganz eindrücklich.
Im Buch Ruth geht es um die Vorsehung Gottes. Ich erinnere nochmals an Kapitel 2, Vers 2: Sie traf zufällig das Feld des Boas, und dort begann alles. Aber nichts, was man mit Zufall oder Würfeln vergleichen könnte, sondern Gottes Pläne, die schon vor Grundlegung der Welt feststanden. Der Herr Jesus war ja, wie Petrus sagt, zuvor erkannt als das Lamm Gottes vor Grundlegung der Welt. In diesen Plan wurde Ruth geführt, als sie zufällig auf das Feldstück von Boas kam, um dort zu arbeiten, weil sie als Asylantin arbeiten wollte. Darauf kommen wir später noch zurück.
Im Buch Esther geht es ebenfalls um die Vorsehung Gottes. Man kann sich vorstellen, wie das ablief. Die Königin wollte sich nicht als bloßes Ausstellungsobjekt bei dem großen, ein halbes Jahr dauernden Fest von Ahasveros gebrauchen lassen. Sie wurde abgesetzt, und eine andere sollte Königin werden. Das zog sich allerdings über einige Jahre hin, denn es war gerade die Zeit der persischen Kriege gegen Griechenland.
Darum merkt man in Esther 2, dass die Wahl Esthers Jahre nach der Verwerfung von Wasti stattfand. In der Zwischenzeit tobten diese Kriege, und dann kam Esther zur Königswürde. Ein bescheidenes jüdisches Mädchen wurde Königin an der Seite des Herrschers über das Persische Reich, das sich von Afrika bis nach Indien erstreckte.
Genau in dieser Zeit kam ein Emporkömmling namens Haman, der Agagiter, der die Vernichtung des gesamten jüdischen Volkes plante. Hätte sein Plan Erfolg gehabt, wäre wirklich das gesamte jüdische Volk ausgelöscht worden. Denn das jüdische Volk lebte in dem Gebiet von Äthiopien bis Indien, nicht darüber hinaus. Es gab damals noch keine Juden in New York.
Wären die Juden im Persischen Reich vernichtet worden, wären alle betroffen gewesen. Hitler wollte alle Juden in seinem Dritten Reich vernichten, aber er sah, dass es viele andere Juden außerhalb seines Reiches gab. Wie hätte er also alle Juden vernichten sollen, wenn sie nicht alle im Dritten Reich lebten? Aber im Persischen Reich wären alle Juden betroffen gewesen.
Haman kam zur Macht und versuchte, seinen Plan dem König schmackhaft zu machen. Er war bereit, den wirtschaftlichen Ausfall durch seine Lösung auszugleichen – alles war durchdacht. Dann wissen wir, wie es beim Gastmahl verlief, bei dem er seinen Plan vorbringen wollte.
Im richtigen Moment fügten sich die Dinge so, dass die Sache durch Esther ans Licht kam. Obwohl sie lange nicht mehr vom König gerufen worden war, ging sie mutig an den Hof. „Komme ich um, so komme ich um.“ Sie lud Haman und den König zum Abendessen ein. Haman war begeistert: „Ich bin eingeladen!“ Und er prahlte bei seinen Freunden. Doch dann flog die ganze Sache auf.
Im genau richtigen Moment geschahen die Dinge. Wir sehen, dass Gott einen Zeitplan hat. Bis auf die letzte Sekunde ist alles geplant. Es geht hier um Gottes Vorsehung, und so wurde schließlich das jüdische Volk gerettet.
Im Buch Ruth geht es um Rettung und Erlösung, wie wir noch sehen werden. Das Thema Erlösung ist ganz grundlegend wichtig. Das Wort „Erlöser“ oder „erlösen“ kommt zwanzig Mal im Buch vor. Im Buch Esther geht es um die Rettung und Erlösung des jüdischen Volkes.
Das ist wirklich beeindruckend, wie diese Parallelen verlaufen. Jetzt wollen wir hier enden und morgen weitermachen – mit verschiedenen Einleitungsfragen und dann gehen wir Vers für Vers durch das Buch hindurch.
Vielen Dank an Roger Liebi, dass wir seine Ressourcen hier zur Verfügung stellen dürfen!
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