Guten Tag, ich begrüße alle herzlich zu dieser ersten Mittelklasse hier in Neuhausen am Rheinfall. Auch von meiner Seite möchte ich den Verantwortlichen der Gemeinde sowie der gesamten Gemeinde herzlich danken, dass sie die Türen für uns geöffnet haben, damit die Mittelklasse auch in Zukunft stattfinden kann.
Wir befinden uns in der vierundvierzigsten Folge über das Matthäusevangelium. Heute lesen wir gemeinsam Kapitel 20, Verse 29 bis 34. Danach gehen wir Abschnitt für Abschnitt weiter.
Ich möchte nun bitten, dass jemand vorliest.
Und als sie aus Jericho hinausgingen, folgte ihm eine große Volksmenge.
Siehe, zwei Blinde saßen am Weg. Als sie hörten, dass Jesus vorüberging, schrien sie: „Erbarme dich unser, Herr, Sohn Davids!“
Die Volksmenge aber fuhr sie an, damit sie schweigen sollten. Doch sie schrien noch lauter: „Erbarme dich unser, Herr, Sohn Davids!“
Jesus blieb stehen, rief sie zu sich und fragte: „Was wollt ihr, dass ich euch tun soll?“
Sie antworteten ihm: „Herr, dass unsere Augen aufgetan werden.“
Jesus aber, innerlich bewegt, berührte ihre Augen. Sogleich wurden sie sehend und folgten ihm nach.
Als Erstes stoßen wir gleich auf ein Problem. In Vers 29 heißt es: „Und als sie aus Jericho hinausgingen, folgte ihm eine große Volksmenge, und siehe, zwei Blinde, die am Weg saßen, hörten …“
Wenn wir das mit Markus Kapitel 10 vergleichen, merkt man sofort, welches Problem ich meine. Also, Markus 10, Vers 46: „Und sie kamen nach Jericho. Als er aus Jericho hinausging mit seinen Jüngern und einer zahlreichen Volksmenge, saß der Sohn des Timeus, Bartimäus, der Blinde, bettelnd am Weg. Und als er hörte, dass es Jesus, der Nazarener, sei, fing er an zu schreien und zu sagen: ‚Sohn Davids, Jesus, erbarme dich meiner!‘ Viele fuhren ihn an, dass er schweigen solle. Er aber schrie umso mehr: ‚Sohn Davids, erbarme dich meiner!‘ Jesus blieb stehen und sprach: ‚Ruft ihn!‘ Und sie riefen den Blinden.“
Das reicht schon mal, danke! Dazu sollten wir noch aus Lukas 18, Vers 35 lesen: „Es geschah aber, als er sich Jericho näherte, dass ein gewisser Blinder bettelnd am Weg saß.“
Ja, das reicht. Was ist das Problem, wenn man diese drei Stellen miteinander vergleicht? In Matthäus werden zwei Blinde erwähnt, in den Parallelstellen jeweils nur einer. Außerdem ist die Ortsangabe unterschiedlich: In Matthäus heißt es „aus Jericho hinaus“, in Lukas „als er sich Jericho näherte“.
Matthäus sagt also, Jesus ging aus Jericho hinaus und trifft dort die Blinden. Lukas hingegen berichtet, dass Jesus sich Jericho näherte und dort den Blinden traf. Das passt nicht zusammen.
Hat Jesus beim Einzug und beim Auszug jeweils eine Heilung vollzogen? Wenn es zwei Blinde gab, wäre das möglich. Aber die zwei Blinden werden nur erwähnt, als Jesus aus Jericho hinausging (Matthäus 20,29). In Lukas heißt es hingegen, er näherte sich Jericho und traf dort einen blinden Bettler am Weg.
Was danach erzählt wird, deckt sich dann im Detail vollständig.
Ja, bitte? Es gab zwei Städte namens Jericho. Jericho – zwei Städte? Wie kommst du auf diese Idee? Habt ihr das schon mal gehört? Ah, mal gehört? Ja, dann hast du etwas Gutes gehört.
Zunächst müssen wir sagen: Es gibt Leute, die sich über solche Entdeckungen freuen. Sie sind froh, endlich etwas in der Hand zu haben, das beweist, dass die Bibel nicht stimmt und sich sogar in scheinbar kleinen Details widerspricht. Damit wollen sie zeigen, dass die Bibel nicht Gottes Wort ist.
Aber wie geht man als bibeltreuer Christ mit solchen Schwierigkeiten um? Mein Tipp ist: Erst einmal das Thema liegen lassen und abwarten. Manchmal hört man dann etwas Gutes.
Es ist tatsächlich so, dass Jericho vor zweitausend Jahren auf zwei Flächen verteilt war. Es gab also eine Fläche, auf der auch das alttestamentliche Jericho lag. Das ist der Tell, der im heutigen Jericho ausgegraben wurde. Diese Fläche war ein Teil von Jericho.
Dann gab es mit einer Unterbrechung eine zweite Fläche, das neutestamentliche Jericho. Jesus war durch den ersten Teil von Jericho hindurchgegangen, also aus dem ersten Jericho hinaus. Bevor er in die zweite Fläche, das zweite Jerichogebiet, kam, saßen am Weg Blinde.
Das ergibt Sinn. Man muss sich einfach, wenn man viele Randbemerkungen in der Bibel hat, eine kleine Zeichnung machen: zwei Felder, Jericho A und Jericho B, dazwischen der Weg und ein Kreuz am Weg, ganz nahe bei Fläche B. So lässt sich alles gut erklären.
Und wie kommt man an solche Informationen?
Dafür gibt es ein Standardwerk zur israelischen Archäologie, das heißt „The New Encyclopedia of Archaeological Excavations in the Holy Land“. Es ist eine neue Enzyklopädie über archäologische Ausgrabungen im Heiligen Land. Dieses Werk besteht aus mehreren Bänden, insgesamt fünf schwere, große Bände.
Als Warnung vorweg: Es ist sehr teuer und furchtbar langweilig geschrieben. Aber das ist normal, denn so versteht man Wissenschaft. Sie muss akribisch und möglichst emotionslos sein. Man darf nicht erwarten, dass darin Zusammenhänge mit der Bibel aufgezeigt werden, durch die man etwas besser verstehen könnte. Nein, es ist einfach so, wie man einen Grabungsbericht ganz trocken verfasst: Was wurde gefunden, wo genau lag es, und so weiter, ergänzt durch Skizzen.
All das findet man hier beieinander. Normalerweise sind wissenschaftliche Artikel über Ausgrabungen in verschiedenen Spezialmagazinen, also wissenschaftlichen Zeitschriften, veröffentlicht. Diese muss man mühsam an verschiedenen Stellen zusammensuchen. Aber so ist das in der Wissenschaft eben sehr mühsam.
Daher entstand die Idee, ein Werk zu schaffen, in dem die wichtigsten Grabungsberichte aus Israel zusammengefasst werden. Natürlich wird es mit jedem Jahr etwas veraltet, aber das Wesentliche ist hier zusammengefasst. Dort findet man alle möglichen Details, auch solche, wie die Grabungsfelder von Jericho.
Man erkennt zum Beispiel, dass es einen Zwischenbereich gibt, in dem nichts gefunden wurde, und dann wieder Funde. So wird klar: Es gibt ein Jericho A und ein Jericho B. Somit ist alles klar.
Bezogen auf die Bibel haben wir im Lukas-Evangelium 18 gelesen, wie sich das alles ergänzt. Dort heißt es: „Es geschah aber, als er sich Jericho näherte“ – dieses Detail ist wichtig. In Matthäus 20,29 steht hingegen: „Als sie aus Jericho hinausgingen“, und dann findet Jesus die Blinden. So ergibt sich ein vollständiges Bild.
Aber dann haben wir das zweite Problem: In Matthäus sind es zwei Blinde, in Markus und Lukas jeweils nur einer. Wie löst sich dieses Problem auf? Hast du nichts darüber gehört? Doch, Matthäus berichtet für die Juden mit zwei oder drei Zeugen. Das ist glaubwürdig, und deshalb erwähnt er auch zwei Blinde und nicht nur einen. Denn das Evangelium wurde vor allem für die Juden geschrieben.
Da es geschehen ist, haben sich verschiedene Prophezeiungen über den Messias erfüllt. Es geht darum, den Juden den Beweis zu geben, dass Jesus von Nazareth der im Alten Testament verheißene Messias ist. Und genau hier hast du gesagt, ist das Prinzip besonders wichtig – nämlich aufgrund von 5. Mose 19, Vers 15 –, dass man wenigstens zwei Zeugen für eine Sache haben muss.
Vor Gericht in Israel galt dieses Prinzip. Wir lesen 5. Mose 19,15: „Ein einzelner Zeuge soll nicht gegen jemanden auftreten wegen irgendeiner Ungerechtigkeit und wegen irgendeiner Sünde, bei irgendeiner Versündigung, die er begeht. Auf zweier Aussagen oder auf dreier Zeugenaussage hin soll eine Sache bestätigt werden.“
Vor Gericht galt also die Aussage eines einzelnen nicht. Es mussten mindestens zwei Zeugen sein, damit das Gericht weitergehen konnte und den Strafprozess schließlich zur Strafe führen konnte.
Für Matthäus ist dieses Prinzip darum sehr wichtig. Wenn schon zwei Zeugen da waren, muss erwähnt werden, dass es zwei waren. Diese Zeugen können also auch im Nachhinein noch befragt werden. Denn Matthäus und überhaupt Matthäus, Markus und Lukas haben ja in der Zeit der Augenzeugen geschrieben. Da war es wichtig, dass man auf diese Augenzeugen zugehen konnte, um das, was hier berichtet wird, zu bestätigen.
Und das hat System: Hier werden zwei Blinde bei Jesus erwähnt. Wo finden wir das noch im Matthäusevangelium?
Vielleicht die Besessenen von Gerasa – ja, die Besessenen von Gadara, genau. In Matthäus 8, nicht wahr? Während in Markus und Lukas ein Besessener in Gadara erwähnt wird, sagt Matthäus in Kapitel 8, Vers 28: „Und als er an das jenseitige Ufer gekommen war, in das Land der Geresener, kamen ihm zwei Besessene entgegen, die aus den Grüften hervorkamen, sehr wütend.“
Danke, also zwei. Warum? Weil es eben zwei waren. Und wenn schon zwei da waren, dann müssen sie bei Matthäus erwähnt werden.
Lukas war von Beruf Arzt, und ein guter Arzt hat ein Interesse an Individuen. Er fertigt die Patienten nicht einfach so ab. Wer ihm da gegenüber sitzt oder liegt, das ist ein Mensch mit einer eigentümlichen Geschichte, einer individuellen Geschichte. Er hatte das Anliegen, eben auf Einzelschicksale einzugehen. Das macht auch Markus so in seinem Evangelium. Aber Matthäus betont: Es waren übrigens zwei Zeugen.
Und nicht nur da. Schlagen wir auf in Matthäus 9. Dort geht es auch um die Heilung von Blinden. Matthäus 9, Vers 27: „Und als Jesus von dort weiterging, folgten ihm zwei Blinde, die schrien und sprachen: ›Erbarme dich unser, Sohn Davids!‹“ Ein ganz ähnlicher Fall wie in Matthäus 20, aber eine andere Geschichte. Und da betont Matthäus, es waren zwei Blinde, die dann diese Heilung erlebt hatten.
Weiter in Matthäus 9, Vers 32: „Als sie aber weggingen, siehe, da brachten sie einen stummen Menschen zu ihm, der besessen war. Und als der Dämon ausgetrieben war, redete der Stumme, und die Volksmengen verwunderten sich und sprachen: ›Niemals wurde so etwas in Israel gesehen.‹“
Ja, diese Begebenheit wird nur im Matthäusevangelium berichtet. Und es war etwas ganz Besonderes, denn ein stummer Besessener war ein Riesenproblem.
Der Herr Jesus sagt in Markus 9, wo es auch um einen stummen Besessenen geht: „Diese Art fährt nicht aus als nur durch Gebet und Fasten.“ Also wird klargemacht, diese Art ist besonders schwierig. Die Rabbiner haben gelehrt: Wenn jemand besessen ist von einem stummen Dämon, dann kann man ihn gar nicht heilen. Das ist unmöglich.
Ja, und wer kann es dann? Natürlich der Messias, wenn er kommt. Matthäus berichtet diesen Fall und noch einen zweiten Fall in Matthäus 12, und zwar Vers 22: „Dann wurde ein Besessener zu ihm gebracht, blind und stumm, und er heilte ihn, so dass der Stumme redete und sah.“
Diese Geschichte wird auch in Markus und Lukas erwähnt, aber in den anderen Evangelien nicht. Und das war ja ein ganz besonderer Höhepunkt, denn hier in Matthäus 12 erreicht die Ablehnung des Herrn Jesus in seinem eigenen Land einen Höhepunkt.
Die Volksmenge reagiert nämlich richtig: Der Herr heilt diesen stummen Besessenen, und die Volksmenge sagt in Vers 23: „Dieser ist doch nicht etwa der Sohn Davids?“ Der Ben David – das war ein bekannter Begriff für den Messias, der ja Nachkomme von König David sein musste.
Sobald das geschehen war, diese Austreibung, sind sie so überwältigt, dass sie sagen: „Dieser ist doch nicht etwa der Sohn Davids?“ Sie können das gar nicht fassen, weil eigentlich klar ist, dann muss er der Messias sein, wenn er das kann.
Die Pharisäer, die da waren, haben gegen ihr bestes Wissen gesagt: „Nein, das ist ein Werk durch den Teufel.“ Und sie haben eigentlich ganz bewusst Jesus Christus als Sohn Gottes verworfen und den Geist Gottes geschmäht.
Ab Kapitel 12, nämlich dann Kapitel 13, 14, 15, merkt man, wie der Herr Jesus sich von Israel als Nation wegwendet und beginnt, sich den Nationen zuzuwenden. Also da kommt eine Wende.
Matthäus wusste eben, dass das Gleiche schon einmal passiert war, und darum erwähnte er eben auch den anderen. Also eins und eins gibt auch zwei. Das ist der Punkt.
Aber das ist typisch für das Matthäusevangelium: Die Betonung ist bei jedem Evangelium anders gesetzt, und bei diesem, besonders für Juden geschriebenen Evangelium, war es wichtig, diese zwei Zeugen jeweils zu erwähnen.
Ja, und dann gehen wir weiter zu Matthäus 20,30. Diese Blinden hören, dass Jesus vorübergeht, und fangen sofort an zu schreien: „Erbarme dich unser, Herr, Sohn Davids!“ Für sie war klar, dass Jesus von Nazareth der Messias ist. Die Energie, mit der sie schreien, zeigt, dass sie wussten, nur einer kann das Problem der Blindheit lösen.
Schlagen wir Jesaja 35 auf, wo über das Kommen des Messias gesprochen wird. In Jesaja 35,4 wird er übrigens Gott genannt. Dort heißt es: „Sagt zu denen, die zaghaften Herzens sind: Seid stark, fürchtet euch nicht! Siehe, euer Gott kommt mit Rache, mit Vergeltung; er selbst kommt und wird euch retten. Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird jubeln. Denn Wasser brechen hervor in der Wüste und Bäche in der Steppe. Wir werden kommen und euch retten.“
Wenn der Messias kommt, werden also die Augen der Blinden aufgetan werden. Das wussten sie. Darum war für sie klar: Obwohl sie ihn noch nie gesehen hatten, hatten sie von ihm gehört. Es war für sie eindeutig: Es ist der Herr, der Sohn Davids. Deshalb riefen sie um Erbarmen.
Doch die Volksmenge war damit gar nicht einverstanden. Man fuhr sie an, sie sollten schweigen, denn sie wurden als Störer angesehen. Doch sie schrieen noch lauter. Manchmal muss man über eine Ermahnung hinweggehen. Nicht jede Ermahnung ist richtig. Es gibt Menschen, die sagen: „Ich habe ermahnt, und er hat nicht gehört.“ Wenn die Ermahnung richtig war, muss man hören. Aber wenn sie falsch ist, muss man nicht hören. Das sehen wir hier.
Die Blinden hatten zwar die ganze Volksmenge gegen sich, die ihnen sagte: „Schweigt!“, doch sie antworteten: „Nein, wenn der Retter kommt, müssen wir zu ihm schreien!“ So steht es auch in Psalm 50,15, dass wir den Herrn in der Not anrufen sollen, und dann wird er antworten.
Darum sagen sie: „Herr, Sohn Davids, erbarme dich unser!“ Tatsächlich nimmt der Herr sie an, stellt aber zuerst eine Frage: „Was soll ich für euch tun?“ Warum fragt er das? Für sie war es doch völlig klar. Warum sagt er das?
Eine ältere Frage, wie bei dem Mann im Teich von Siloah: Willst du geheilt werden?
Am Teich von Bethesda, ja, in Johannes 5, war dieser Mann wie viele Jahre gelähmt? Er war Paraplegiker, keine Tetraplegiker. Die untere Hälfte seines Körpers war gelähmt, er konnte sich noch teilweise mit den Armen hinziehen. 38 Jahre war er Paraplegiker. Dann kommt der Herr Jesus und stellt die Frage: Möchtest du gesund werden? Welch eine Frage!
Ich habe das besser verstehen können durch eine Erfahrung: Einmal sprach ich mit einem schwer drogensüchtigen Menschen, und er sagte mir: „Ich möchte auch gar nicht frei werden, es gefällt mir.“ Solchen Menschen kann man nicht helfen.
Menschen, die in der Sünde leben, und es ist für alle klar, dass das Leben in der Sünde sie selbst zerstört, aber die, die nicht herauswollen, denen kann man nicht helfen. Sie müssen an den Punkt kommen, an dem sie erkennen: Ich brauche unbedingt Hilfe. Dann gibt der Herr Hilfe – so wie im Fall des Gelähmten am Teich Bethesda und eben auch hier.
Ein wichtiges Zeugnis ist, dass sie ganz klar sagen konnten: Wir erwarten, dass der Messias unsere Augen öffnen kann, so steht es in Jesaja 35. Dann berührt der Herr Jesus ihre Augen. Wir sehen, dass der Herr Jesus manchmal durch direkten Kontakt heilt und manchmal durch ein Wort. Es gibt beides. Hier heilt er durch Berührung, und sogleich wurden sie gesund, konnten sehen und folgten ihm nach.
Für Matthäus ist das etwas ganz Wichtiges. Er selbst saß einst, besser gesagt, am Zollhaus, wie wir in Matthäus 9 sehen. Der Herr Jesus ging dort vorüber. Schauen wir zur Erinnerung, wie das war:
Matthäus 9,9: „Und als Jesus von dort weiterging, sah er einen Menschen am Zollhaus sitzen, namens Matthäus, und er sprach zu ihm: Folge mir nach! Und er stand auf und folgte ihm nach.“
Man muss sich vorstellen, dass dieser Mann in der Sünde lebte, denn Zöllnersein bedeutete einen Bruch mit dem Volk Gottes, einen Verrat. Es war eine Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht und typisch geprägt davon, dass man oft mehr Geld einnahm, als erlaubt war.
Da begegnet er dem Erlöser und sagt sich: Stopp, ich will nicht mehr dem König aller Könige des römischen Reiches nachfolgen, sondern dem König über alle Könige – ohne römisches Reich –, nämlich dem König der ganzen Welt. So brach er mit der Vergangenheit und folgte Jesus nach.
Darum hat Matthäus das Matthäusevangelium geschrieben. Er wollte besonders den Juden zeigen: Jesus ist der Messias, das heißt der versprochene König. Deshalb beginnt er sein Evangelium mit dem Geschlechtsregister der königlichen Linie, um zu zeigen, dass Jesus Anspruch auf den Thron Davids hat.
Er wollte klar machen: Das ist der König aller Könige, dem man nachfolgen muss. Deshalb ist es ihm wichtig, wenn er solche Geschichten erzählt, zu zeigen, dass die Menschen sich nicht nur heilen ließen und einfach gesund wurden, sondern dass wirklich eine Wende in ihrem Leben geschah.
Jetzt beginnt Nachfolge, Jüngerschaft, Hingabe, Gehorsam und Unterwerfung. Darum ist es so wichtig: Sie wurden sehend und folgten ihm nach – nicht nur punktuell, sondern dauerhaft.
Ist bis dahin noch eine Frage? Ja, gerne.
Der Ausdruck „innerlich bewegt“ ist doch eine Anspielung auf Ezechiel 34, auf die Herzen, die Gott erlangt, oder? Ja, diesen Ausdruck „innerlich bewegt“ sollten wir unbedingt noch näher betrachten.
Natürlich besteht ein Zusammenhang zu Ezechiel 34, wie du sagst. Dort wird beschrieben, wie die Hirten Israels versagt haben und gegenüber der Schafherde Israels Härte angewendet haben. Dann sagt Gott: „Jetzt will ich aufstehen für die Schafe.“ Dort wird der Messias als der große Hirte vorgestellt, der sich über die Schafe erbarmt.
Diesen Ausdruck „innerlich bewegt“ hatten wir auch schon im Matthäusevangelium. Es beginnt in Kapitel 9, Vers 36. Schlagen wir das auf und lesen gleich diese Stelle: „Als er aber die Volksmengen sah, wurde er innerlich bewegt über sie, weil sie erschöpft und hingestreckt waren, wie Schafe, die keinen Hirten haben.“
Das ist das erste Mal. Dann kommt der Ausdruck noch einmal vor in Kapitel 14, Vers 14 und 15, sowie in Vers 32. Ich müsste sagen, wenn ich zu schnell bin fürs Mitschreiben, noch in Kapitel 18, Vers 27, und dann noch einmal in Kapitel 20. Insgesamt fünfmal im Matthäusevangelium.
Übrigens kommt der Ausdruck elfmal in den Evangelien vor. Auch in Markus und Lukas findet man ihn. Es ist also ein ganz typischer, charakterisierender Ausdruck für den König aller Könige. Er sollte eben nicht ein Jäger sein wie Nimrod, der erste Herrscher.
Gott hat ja nach der Sintflut die Obrigkeit eingesetzt und Regierungen verordnet. Das geschah im Segen und im Bund, den er mit Noah geschlossen hatte. Dort sagt Gott in 1. Mose 9: „Wer Menschenblut vergießt, durch den Menschen soll sein Blut vergossen werden.“
Ab der Sintflut gilt eine neue Ordnung: Bei schweren Verbrechen wie Mord greift nicht Gott direkt ein und bestraft, sondern Menschen werden über Menschen gesetzt. Das wurde dann auch mit Babel umgesetzt. Babel war das erste Reich mit einer Regierung.
Doch in 1. Mose 10 lesen wir, wie das genau schon auf den Kopf gestellt wird. Der Grundsatz ist: Jede Regierung ist von Gott verordnet und eingesetzt, wie es in Römer 13, Vers 1 heißt. Aber in der Praxis kann das sehr verdreht aussehen.
1. Mose 10, Verse 8 bis 10: „Und Kusch zeugte Nimrod, der fing an, ein Gewaltiger zu sein auf der Erde. Er war ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn; darum sagt man: ‚Wie Nimrod, ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn.‘ Und der Anfang seines Reiches war Babel, und Erek, und Akkad, und Chalne im Land Sinear.“
Nimrod war also der Anführer damals beim Stadtbau von Babylon und auch beim Turmbau, einem Projekt für Götzendienst. Das war ein Zikkurat, um Götzendienst auszuüben, kein Aussichtsturm.
Dieser erste Gewaltherrscher war ein gewaltiger Jäger – das war das Ideal: ein Jäger als Herrscher. Gottes Ideal ist jedoch ganz anders. Darum hatte David als König nach seinem Herzen für Israel gewählt, und das war ein Hirte.
Das ist der Kontrast: ein Hirte, nicht ein Jäger. Wenn wir an die großen assyrischen Könige im ersten Jahrtausend vor Christus denken, waren das sehr passionierte Jäger. Die Ausgrabungen zeigen das anschaulich: riesige Reliefs mit Abbildungen von ihnen. Man sieht sie auf ihren Kampfwagen mit Pfeil und Bogen, wie sie Löwen jagen. Diese Szenen werden künstlerisch hervorragend dargestellt.
Die Könige von Assyrien zeigten sich als gewaltige Jäger und damit auch als gewaltige Herrscher. Ja, Gewaltherrscher. Gottes Gedanken sind jedoch ganz anders. David, von dem der Messias abstammen sollte, war ein Hirte.
So sehen wir, wie die beiden Blinden in Jericho den Herrn Jesus als Messias erkannt haben: „Herr, Sohn Davids, erbarme dich unser!“ Und der Herr wurde innerlich bewegt und erbarmte sich über sie, weil er eben der Hirtenkönig ist.
Aber noch etwas: Wenn die Bibel uns ausdrücklich sagt, dass das in Jericho war, woran denken wir, wenn wir den Namen Jericho hören? Bei gewissen geografischen Namen entstehen sofort Assoziationen – gute oder schlechte.
Zum Beispiel kommt der Mauerfall von Jericho in Erinnerung, jawohl, und auch die Geschichte von Zachäus, der gerettet wurde. Diese Geschichte wird jedoch nur im Lukas-Evangelium berichtet. Es handelt sich um ein Einzelschicksal, das sehr typisch für Lukas ist. Im Lukas-Evangelium finden sich viele Geschichten, die in den anderen Evangelien nicht vorkommen. Gerade von Menschen, die am Rand der Gesellschaft standen – Arme, Ausgestoßene, Kranke.
Zachäus war ein Zöllner, und Jesus zeigte ihm, wie sehr er sich um diese Menschen kümmerte, für die er als Arzt ein Herz hatte. Jawohl!
In Verbindung mit dem Mauerfall müssen wir auch an etwas anderes denken, nämlich an Josua 6. Nach dieser Geschichte wird Jericho an Rahab erinnert. Gott schenkte ihr Gnade – sie war eine Prostituierte, die eine völlige Umkehr erlebt hatte. Doch die Stadt Jericho wurde verflucht. Das ist ein Bild für uns: Jericho, die Stadt des Fluches.
Von dort kommen wir. Wir alle waren unter dem Fluch der Sünde und blind in Bezug auf Gott. Doch bei diesen zwei Menschen gab es zuerst innerlich ein Wunder: Sie konnten mit ihren inneren Augen erkennen, wer Jesus von Nazareth ist. Dieses innere Erkennen wurde durch ein äußeres Wunder veranschaulicht, nämlich dass ihre Augen geöffnet wurden, um ihn zu sehen.
Außerdem war Jericho damals die tiefstgelegene Stadt der Welt. Wie tief liegt Jericho? Ungefähr 400 Meter unter dem Meeresspiegel – das gilt auch für das Tote Meer heute, das noch ein bisschen tiefer liegt, etwa 350 Meter. Es ist erstaunlich, wie das Gelände vom Toten Meer schon wieder ansteigt, man merkt es kaum, aber die Stadt liegt etwa 250 Meter unter dem Meeresspiegel.
Sodom und Gomorra gab es zu dieser Zeit nicht mehr, daher war Jericho die tiefste Stadt. Das zeigt, wie der Sohn Gottes nicht nur aus der himmlischen Herrlichkeit auf die Erde gekommen ist, sondern sogar noch weiter hinabstieg – 250 Meter unter den Meeresspiegel –, um Blinde zu retten.
Ja, und auch Zöllner – Menschen, die in Geldprobleme verstrickt waren und auch Verrat erlebt hatten. Das sehen wir in Verbindung mit Jericho. Es zeigt die Gnade Gottes, die an diesem Ort des Fluches Menschen geschenkt wurde, die wirklich wollten.
Ja, noch etwas, dann gehen wir weiter. Der unter die Wolken Gefallene war doch auf dem Weg auch von den Userländern her. Genau, in dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter sehen wir ja auch: Der, der unter die Räuber fiel, ging von Jerusalem aus. Jerusalem liegt auf dem Tempelberg, der Felsen liegt auf 743 Metern über dem Meeresspiegel.
Von Jerusalem führt der Weg hinunter nach Jericho, das auf minus 250 Meter liegt. Es gibt also rund einen Kilometer Höhenunterschied. Der Herr erwähnt das in dem Gleichnis in Lukas 10, um zu zeigen, dass dies eigentlich die Geschichte der Menschheit ist.
Der Mensch war ursprünglich in Gemeinschaft mit Gott, und Jerusalem ist die Stadt Gottes, wo der Tempel stand und man Gemeinschaft mit Gott haben konnte. Jerusalem wird auch als die Gründung des Friedens bezeichnet. Der Mensch ging durch den Sündenfall von Gott weg. Dieser Weg führte nur noch abwärts. Er fiel unter die Räuber und wurde halbtot geschlagen.
Jesus nennt Satan in Johannes 8,44 den Menschenmörder von Anfang an. Alles wurde dem Menschen ausgezogen und geraubt. Dann kam ein Levit und auch ein Priester. Sie sahen das Risiko: Wenn der Verletzte vielleicht gar nicht tot, sondern nur verletzt ist, und sie ihn berühren, dann werden sie unrein. Sie könnten nicht mehr zurück nach Jerusalem. Dort gibt es ein Ritual von sieben Tagen, bis man wieder rein ist.
Deshalb haben sie nichts gemacht. Dies stellt das Gesetz Mose dar, das in Verbindung mit dem levitischen Priestertum stand. Das Neue Testament macht jedoch klar, dass das Gesetz Mose uns nur zeigt, dass wir Sünder sind, aber uns nicht retten kann. So gab es keine Rettung.
Dann kam aber, nicht von ungefähr, wie es bei dem Priester und dem Leviten war, sondern richtig geplant, ein Samariter, der auf der Reise war. Ja, es ist wirklich eine Geschichte, die auf den Herrn Jesus hinweist.
Er kommt innerlich bewegt. Dieser Ausdruck taucht noch zehnmal in den Evangelien auf. Er ist typisch für den Herrn Jesus. Einmal wird er auch noch für den Vater gebraucht, im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lukas 15). Innerlich bewegt.
Dann ist eigentlich schon klar: Der Samariter ist ein Hinweis auf den Messias, auf den Herrn Jesus. Er kommt innerlich bewegt und bringt den Verletzten in die Herberge. Zuvor behandelt er seine Wunden mit Wein und Öl. Wein ist ein Bild seines Blutes, Öl ein Bild des Heiligen Geistes.
Die Herberge ist ein Bild der örtlichen Gemeinde, wo Menschen, die durch die Sünde verletzt, verwundet oder sogar traumatisiert sind, gesund gepflegt werden.
Es ist ja so: Die Pharisäer haben Jesus in Johannes 8 lästerlicherweise gesagt, er sei ein Samariter und habe einen Dämon. Doch der Herr sagt: Ein gewisser Samariter, der auf der Reise war, kommt.
Weiß jemand, was das Wort Samariter bedeutet? Es heißt „Beobachter“ im Sinne von beobachten. Es kommt von der Wurzel „Samar“ (hebräisch „Shamar“), was „beobachten“ oder „die Tora beobachten“ bedeutet.
Fünfzigmal im fünften Buch Mose wird das Wort „Shamar“ verwendet, was „beobachten“ oder „einhalten“ bedeutet. Der Samariter ist also derjenige, der das Wort, die Tora, beobachtet. Das wird durch den Namen ausgedrückt.
Niemand konnte das Gesetz einhalten, außer dem Herrn Jesus. Er aber ist voll Erbarmen, innerlich bewegt über die, die Sünder sind und gar nicht in der Lage sind, das Gesetz zu beobachten. Darum rettet er sie und bringt sie in die Herberge.
Er sagt dem Wirt, einem Bild des Heiligen Geistes, der die Gemeinde in der heutigen Zeit leitet und durch die Gaben wirkt: „Ich komme wieder und bringe gewissermaßen meinen Lohn mit mir. Was dir dann noch fehlt, werde ich dir geben, wenn ich wiederkomme.“
Dies ist eine ganze heilsgeschichtliche Betrachtung dieses Gleichnisses. Wir sind wieder darauf gekommen, eben wegen dieses Ausdrucks „innerlich bewegt“. Wenn solche Ausdrücke vorkommen und an anderen Stellen wieder auftauchen, ist es ganz wichtig, die Verknüpfungen herzustellen. So nimmt man im Verständnis des Wortes Gottes zu.
Ja, wir gehen noch weiter und lesen Matthäus 21, Verse 1-11.
Als sie sich Jerusalem näherten und nach Betfage am Ölberg kamen, sandte Jesus zwei Jünger zu ihnen und sprach: „Geht hin in das Dorf euch gegenüber, und sogleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und einen Fohlen bei ihr. Bindet sie los und führt sie zu mir. Wenn jemand etwas zu euch sagt, so sollt ihr antworten: Der Herr benötigt sie, und sogleich wird er sie senden.“
Dies aber geschah, damit erfüllt würde, was durch den Propheten gesagt ist: „Sagt der Tochter Zion, siehe, dein König kommt zu dir, sanftmütig und auf einer Eselin reitend, und zwar auf einem Fohlen, dem Jungen einer Lasttierin.“
Als die Jünger hingingen und taten, wie Jesus es ihnen aufgetragen hatte, führten sie die Eselin und den Fohlen herbei. Sie legten ihre Kleider darauf, und Jesus setzte sich darauf.
Eine sehr große Volksmenge breitete ihre Kleider auf dem Weg aus. Andere schnitten Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg.
Die Volksmengen, die vor ihm hergingen und die nachfolgten, riefen: „Hosanna dem Sohn Davids! Gepriesen sei der, der kommt im Namen des Herrn! Hosanna in der Höhe!“
Als Jesus in Jerusalem einzog, kam die ganze Stadt in Bewegung und fragte: „Wer ist dieser?“ Die Volksmengen antworteten: „Das ist der Prophet Jesus, der von Nazaret in Galiläa.“
Es ist vier Uhr. Wir machen zwanzig Minuten Pause und fahren dann mit diesen Versen weiter.
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