Jesaja 53: Der leidende Gottesknecht (Teil 1/2)

Roger Liebi
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Serie | 2 Teile

Jesaja 53: Der leidende Gottesknecht

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Das Kapitel und seine jüdische Umdeutung

Jesaja 53: Der leidende Gottesknecht Jes 52,13 - 53,12 = «das Evangelium nach Jesaja» Datierung: ca. 700 v. Chr. Echtheit: vollständige Jesaja-Rolle, Höhle I, ca. 125 v. Chr.; Jes 52,13 beginnt auf neuer Kolonne, auf der obersten Zeile; LXX (280 v. Chr.) Jes 53 ist nicht Teil der Haftara (Synagogen-Vorleseverzeichnis)

Heutige jüdische Umdeutung: «Der Knecht des Herrn» sei nicht der Messias, sondern das Volk Israel, oder ein Teil davon. Über das Volk Israel seien solche Leiden gekommen, wie sie hier beschrieben sind. Dieses Verständnis von Jesaja 53 ist aber aus verschiedenen inhaltlichen Gründen unhaltbar:

  • Wann hat das Volk Israel, oder ein Teil davon, für die Sünden anderer gelitten (Jes 53,4.5.6.8.10.11.12)? Nicht einmal gerechte Menschen wie Noah, Daniel und Hiob hätten dies gemäss Hes 14,12-20 tun können!
  • Kann von irgendeinem Juden, ausser dem Messias, gesagt werden, dass «er kein Unrecht begangen hat und kein Trug in seinem Mund gewesen ist» (Jes 53,9)?
  • Wann befand sich das Volk Israel, oder ein Teil davon, im Grab eines Reichen, anstatt in einem Grab bei Gesetzlosen (Jes 53,9)?
  • Gemäss Vers 8 sollte «der Knecht des Herrn» stellvertretend für das Volk Israel sterben. Wie kann er mit dem Volk identisch sein, wenn er hier doch deutlich von ihm unterschieden wird?

Das messianische Verständnis in der rabbinischen Literatur

Wie gesagt, gibt es in der rabbinischen Literatur eine Reihe Stellen, die Jes 53 auf den Messias beziehen. So z.B. im Babylonischen Talmud, Sanhedrin 98b, im Traktat Buch Peskita Rabbati, Pisqa 37 (700 n.Chr.), im Buch Midrasch Ruth Rabbah zu Ruth 2,12 und im Kommentar zu Jesaja 52-53 von Abrabanel. Abrabanel weist in seinem Text darauf hin, dass alle alten jüdischen Kommentatoren den messianischen Sinn dieser Stelle anerkannt haben. Rabbi Alschesch (16. Jh.) sagte zu Jes 53: «Unsere alten Rabbiner haben auf das Zeugnis der Tradition hin angenommen, dass hier die Rede vom König Messias sei. Daraus nehmen auch wir, ihnen folgend, an, dass für das Subjekt dieser Weissagung David, das ist der Messias, gehalten werden müsse, wie dies offenbar ist.» Im Midrasch Tanchuma (9. Jh.?) heisst es zu den Worten «Siehe, mein Knecht wird klug handeln»: «Dies ist der König Messias, welcher hoch und erhöht und sehr erhaben ist, erhabener als Abraham, erhöht über Moses, höher als die dienenden Engel.» Im Targum Jonathan Ben Uzziel, den aramäischen Umschreibungen der Propheten, die in einer bis in vorchristliche Zeit zurückgehenden Tradition liegen, wird in dem Satz «Siehe, mein Knecht wird einsichtig handeln» (Jes 52,13) gleich der Titel «Messias» hinzugefügt!

Bemerkungen zum Text von Jes 52,13 - 53,12

Jes 52,13: «Siehe, mein Knecht wird einsichtig handeln; er wird erhoben und erhöht werden und sehr hoch sein.» Bevor die schrecklichen Leiden des Messias beschrieben werden, wird zuerst sein Triumph vorgestellt. Der Messias soll erhoben werden (aus dem Grab; Apg 2,24), erhöht werden (in der Himmelfahrt; Apg 1,9) und sehr hoch sein (zur Rechten Gottes auf dem Thron; Mark 16,19).

Jes 52,14: «Gleichwie sich viele über dich entsetzt haben - so entstellt war sein Aussehen, weg von einem Mann, und seine Gestalt, weg von den Menschenkindern.» Hier wird von dem von Menschen misshandelten Messias gesprochen: Der Rücken des Herrn Jesus wurde in eine blutige Masse verwandelt und sein Fleisch zerstückelt, als Pilatus ihn geisseln liess (mit Lederriemen, an deren Ende es sehr wahrscheinlich spitze Metalle, Steine oder Widerhaken hatte; Joh 19,1). Auf sein Haupt wurde eine Dornenkrone gesetzt, mit Dornen, deren Länge etwa 5-8 cm betrugen, so dass sein Blut in Rinnsalen über seine Haare und über sein Angesicht floss (Joh 19,2). Sein Aussehen war nicht mehr menschlich.

Jes 52,15: «Ebenso wird er viele Nationen in Staunen setzen, über ihn werden Könige ihren Mund verschliessen. Denn sie werden sehen, was ihnen nicht erzählt worden war; und was sie nicht gehört hatten, werden sie wahrnehmen.» Die Botschaft vom misshandelten Messias Jesus wurde später über die Grenzen Israels hinaus in der ganzen Welt verkündigt, wo sie grosses Aufsehen erregte (vgl. Röm 15,18-21). Selbst Könige hörten von dieser Botschaft (Agrippa: Apg 26,27-28; der Kaiser von Rom: vgl. Apg 25,11.12; usw.).

Jes 53,1: «Wer hat unserer Verkündigung geglaubt, und wem ist der Arm des Ewigen offenbar geworden?» Obwohl die Verkündigung vom Messias und seinen Leiden in die ganze Welt ausging, stiess sie auf grossen Unglauben. Aus den Juden glaubten nur verhältnismässig wenige (Joh 12,37-38). Aber auch unter den Heiden, den Nicht-Juden, stiess (und stösst) das Evangelium auf sehr viel Ablehnung.

Jes 53,2a: «Und er ist wie ein Reis vor ihm aufgeschossen, und wie ein Wurzelspross aus dürrem Erdreich.» Dieser Vers spricht vom Aufwachsen des Messias als kleines Kind (das hebr. Wort «joneq» [= «Reis»] bedeutet zugleich auch «Säugling»!). Dieses Aufwachsen geschah bei dem Herrn Jesus aber «vor ihm», d.h. in völliger Gemeinschaft mit seinem Gott (Luk 2,40-52). Er wuchs auf inmitten eines durch Verhärtung, Unglauben und tote Religiosität gekennzeichneten Volkes, eben «aus dürrem Erdreich».

Jes 53,2b.3: «Er hatte keine Gestalt und keine Pracht; und als wir ihn sahen, da hatte er kein Ansehen, dass wir seiner begehrt hätten. Er war verachtet und verlassen von den Menschen, ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut, und wie einer, vor dem man das Angesicht verbirgt; er war verachtet, und wir haben ihn für nichts geachtet.» Unter den Juden erwartete man als Messias einen Freiheitskämpfer, der das Joch der Römer abschütteln würde. So brachte man dem Herrn Jesus, der als demütiger «Knecht des Ewigen» kam, nur Verachtung und Schmach entgegen. Es waren dies besonders die Führer des Volkes, die ihn ablehnten (das hebr. Wort «ishim» bezeichnet besonders hochgestellte Menschen). Nur ganz wenige erkannten seine Herrlichkeit, «eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit» (Joh 1,14).

Jes 53,4a: «Fürwahr, er hat unsere Leiden getragen, und unsere Schmerzen hat er auf sich geladen.» Das Leiden der vielen Kranken in Israel hat der Herr Jesus tief mitempfunden und so in seiner Seele während seines Lebens auf der Erde getragen (Mat 8,16-17 vgl. Joh 11,33- 36). Man beachte, dass in diesem Vers von «Leiden» und «Schmerzen» und nicht von «Übertretungen» und «Missetaten» gesprochen wird!

Jes 53,4b-6: «Und wir, wir hielten ihn für bestraft, von Gott geschlagen und niedergebeugt; doch um unserer Übertretungen willen war er verwundet, um unserer Missetaten willen zerschlagen. Die Strafe zu unserem Frieden lag auf ihm, und durch seine Striemen ist uns Heilung geworden. Wir alle irrten umher wie Schafe, wir wandten uns ein jeder auf seinen Weg; und der Ewige hat ihn treffen lassen unser aller Ungerechtigkeit.» Es war eine Sache, dass der Messias Jesus von Seiten der Bosheit der Römer und der Juden litt (und dies konnte keine einzige Sünde sühnen!), aber hier wird davon gesprochen, dass Gott ihn am Kreuz in den drei Stunden der Finsternis stellvertretend bestrafte für die Sünden all derer, die Gott ihre Sünden reuig bekannt haben (oder sie noch bekennen werden) und auf das sühnende Opfer auf Golgatha vertraut haben (oder noch darauf vertrauen werden) (1. Joh 1,9; Röm 3,23-26).

Jes 53,7: «Er wurde misshandelt, aber er beugte sich und tat seinen Mund nicht auf, gleich dem Lamm, welches zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern; und er tat seinen Mund nicht auf» Der Herr Jesus liess all die Misshandlungen widerstandslos über sich ergehen. Wie trefflich hat es sich doch erfüllt, dass «er seinen Mund nicht auftat, gleich dem Lamm» (siehe Mat 26,62; 27,12-14 usw.)! Im AT brachte man für Sünden Gott Tieropfer dar; bemerkenswert ist, dass man z.B. aus dieser Jesaja-Stelle erkennen kann, wie schon zur damaligen Zeit klar war, dass diese Opfer nur Vorbilder auf das wirklich Sünden wegnehmende Opfer des Messias waren!

Jes 53,8: «Er ist [in Eile] weggerissen worden aus der Angst und aus dem Gericht. Und wer wird sein Geschlecht aussprechen? denn er wurde abgeschnitten aus dem Land der Lebendigen: wegen der Übertretung meines Volkes hat ihn Strafe getroffen.» Die Verurteilung des Herrn Jesus war eine korrupte Pseudogerichtsverhandlung, die in schändlichem Kurzverfahren ablief. Das Synedrium pflegte bei «Gerichtsverhandlungen um Leben und Tod» solche aufzurufen, die zugunsten des Angeklagten hätten aussagen können. Wo waren Jesu Verteidiger? Eben, in Eile wurde er durch die Gerichtsverhandlung hindurchgerissen. Wer kann die Verderbtheit dieses Geschlechts beschreiben? Sie begingen Mord an ihrem Messias! Aber gleichzeitig starb er im Hinblick auf das ganze Volk Israel (vgl. Mat 1,21; Joh 11,50-51)!

Jes 53,9: «Und man hat sein Grab bei Gesetzlosen bestimmt; aber bei einem Reichen ist er gewesen in seinem Tod, weil er kein Unrecht begangen hat, und kein Trug in seinem Mund gewesen ist.» Das «Grab bei Gesetzlosen» wäre im Tal Hinnom ausserhalb der Stadt Jerusalem, in der «Kehrichtverbrennungsanlage» gewesen. Gott liess aber keine solche Schändung mehr zu. So kam es, dass er in das Grab des reichen Joseph von Arimathäa gelegt wurde (Mat 27,57-60). Jesu Unschuld wird durch ein dreifaches apostolisches Zeugnis bestätigt:

  • Er kannte Sünde nicht (2. Kor 5,21: Paulus)
  • Er tat keine Sünde (1. Pet 2,22: Petrus)
  • Sünde ist nicht in ihm (1. Joh 3,5: Johannes).

Jes 53,10: «Doch dem Ewigen gefiel es, ihn zu zerschlagen, er hat ihn leiden lassen. Wenn seine Seele das Schuldopfer gestellt haben wird, so wird er Samen sehen, er wird seine Tage verlängern; und das Wohlgefallen des Ewigen wird in seiner Hand gedeihen.» Als der Herr Jesus in den drei Stunden der Finsternis mit fremder Schuld beladen am Kreuz hing, musste der heilige und gerechte Gott ihn verlassen (Mat 27,46) und stellvertretend zerschlagen. Aber als er das Werk der Erlösung vollendet hatte, «verlängerte er seine Tage», indem er am dritten Tag aus den Toten auferstand (Apg 1,3; 10,40.41; Röm 6,9; Off 1,18; usw.).

Jes 53,11: «Von der Mühsal seiner Seele wird er [Frucht] sehen, sich sättigen. Durch seine Erkenntnis wird zur Gerechtigkeit verhelfen der Gerechte, mein Knecht, den Vielen, und ihre Missetaten wird er auf sich laden.» Sein Erlösungswerk hat Konsequenzen: Menschen werden von ihrer Schuld befreit; sie sind die «Frucht der Mühsal seiner Seele». Durch ihn können alle Glaubenden vor Gott gerechtfertigt werden (Röm 3,26).

Jes 53,12: «Darum werde ich ihm die Grossen zuteil geben, und mit Gewaltigen wird er die Beute teilen: dafür, dass er seine Seele ausgeschüttet hat in den Tod und den Übertretern beigezählt worden ist; er aber hat die Sünde vieler getragen und für die Übertreter Fürbitte getan.» Der Herr hat sein Leben freiwillig gegeben (ausgeschüttet in den Tod; Joh 10,17-18) und ist den «Übertretern» (hebr. «posch’im» = «Verbrecher», «Revoltierende») beigezählt worden (Luk 23,33). Deshalb wird Gott ihm als Lohn in der Zukunft sein messianisches Reich als Beute geben (Off 20,6), und auch der gläubige Überrest Israels wird daran teil- haben (= «die Gewaltigen»). Am Kreuz tat der Herr Jesus Fürbitte für Unwürdige (Luk 23,34). Er trug die Sünde vieler, aber nicht aller (vgl. Heb 9,28; Mk 10,45)! Jeder, der seine Schuld Gott nicht bekennt und ihm nicht dankt für die Opferung seines Messias Jesus, wird selber in das ewige Gericht Gottes kommen (Mat 25,41.46). Aber heute ist noch der Tag des Heils; jeder, der zum Herrn Jesus kommt, wird angenommen werden (Mat 11,28-30; Joh 6,37)! Jes 53 im NT: Mat 8,17; Joh 12,38; Apg ,32-33; Röm 10,16; 15,21; 1Pet 2,22

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