Einführung in die Leidensgeschichte Jesu im Lukasevangelium
Weiter wenden wir uns erneut dem Lukasevangelium zu. Damit wir auch im zweiten Teil des Lukasevangeliums etwas kennenlernen, habe ich mehrere Texte ausgesucht, die sich mit dem Leiden und Sterben Jesu beschäftigen. Man könnte sagen, hier haben wir die biblische Variante von „The Passion“ oder Ähnlichem.
Hier ist ein kleiner Auszug aus dem Leiden Jesu, der besonders das körperliche Leiden betont. Wir wollen sehen, was wir im Lukasevangelium zu den verschiedenen Stationen des Leidens Jesu finden.
Ich habe einen Text ausgesucht, den wir relativ kurz anschauen wollen, um zu verstehen, was damals passiert ist und was uns das heute sagen kann. Zum einen geht es um Jesus, der im Garten Gethsemane gefangen genommen wird. Dafür habe ich Lukas 22,47-53 ausgewählt.
Danach wollen wir uns kurz einen Text anschauen, in dem Jesus verurteilt wird. Ich habe die Szene herausgenommen, in der Jesus vor Herodes geführt wird, das ist in Lukas 23,6-12.
Zum Schluss habe ich einen Text ausgesucht, der vom Sterben Jesu am Kreuz berichtet. Das ist Lukas 23,32.
Ihr seht schon, dass es bei den längeren Textstellen nicht möglich sein wird, jeden einzelnen Vers ganz detailliert zu besprechen. Ziel ist es vielmehr, einen Überblick zu bekommen, wie Jesus hier auf der Erde seine Wirksamkeit abgeschlossen hat, wie es dazu kam, dass er für uns gestorben ist.
Wir wissen, dass es nach dem Tod Jesu weitergeht. Es folgt die Auferstehung. Jesus ist gegenwärtig, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind. Jesus wird wiederkommen am Ende der Zeiten, um sein Reich aufzurichten – das tausendjährige Reich hier auf Erden zu führen.
Jesus wird dann wiederkommen, um Gericht zu halten, danach die Erde zu vernichten, einen neuen Himmel und eine neue Erde zu schaffen. Mit ihm werden wir dann in Ewigkeit herrschen.
Doch die Situation hier auf der Erde endet im Lukasevangelium in der Phase der Vorbereitung auf das Passafest in Jerusalem. Und genau da wollen wir jetzt eintauchen.
Die Gefangennahme Jesu im Garten Gethsemane
Ich lese zuerst den Text aus dem Lukas-Evangelium, Kapitel 22, Vers 47: Während er Jesus noch redete, siehe, da kam eine Schar, und der, welcher Judas hieß, einer der Zwölf, ging vor ihnen her und näherte sich Jesus, um ihn zu küssen. Jesus aber sprach zu ihm: Judas, verredest du des Menschensohnes mit einem Kuss?
Als nun seine Begleiter sahen, was da geschehen sollte, sprachen sie zu ihm: Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen? Und einer von ihnen schlug den Knecht des Hohepriesters und hieb ihm sein rechtes Ohr ab. Da antwortete Jesus und sprach: Lass ab davon! Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn.
Es sprach aber Jesus zu den obersten Priestern, Hauptleuten des Tempels und zu den Ältesten, die an ihn herangetreten waren: Wie gegen einen Räuber seid ihr ausgezogen, mit Schwertern und mit Stöcken. Als ich täglich bei euch im Tempel war, habt ihr die Hände nicht an mich gelegt. Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.
So weit dazu.
Das, was vorher direkt passiert, am Anfang dieses Kapitels, sehen wir in Vers 7 bis Vers 20. Das ist das letzte Passamahl. Jesus war, wie wir nach dem Johannesevangelium wissen, wahrscheinlich mehrfach während des Passahfestes in Jerusalem gewesen. Hier ist es das letzte.
Wir erinnern uns auch daran: Das Passamahl ist die Erinnerung der Juden an die Befreiung des Volkes Israel aus Ägypten. Während dieses Passamahls wird das Passalamm geschlachtet. Das tut Jesus auch in diesem Obergemach mit seinen Jüngern. Er trinkt dann die verschiedenen Weinkelche, und während eines dieser Kelche, den er mit seinen Jüngern trinkt, setzt er das Abendmahl ein.
Also das, was wir bis heute feiern, ist sozusagen eine Neuinterpretation und Fortführung dieses Gedankens des Passah: Gott befreit sein Volk. Hier befreit Gott nicht nur sein Volk Israel, sondern schafft damit die Möglichkeit, alle Menschen von der Sünde zu befreien – von der Knechtschaft und Sklaverei der Sünde, unter der wir lebten, bevor wir Jesus kannten.
Jesus schafft diese Möglichkeit dadurch, dass er sein Blut und sein Fleisch gibt, indem er für uns stirbt. Das ist das, was in Vers 7 bis 20 genannt wird.
Dann sagt Jesus den Verrat von Judas voraus. Er weist darauf hin, dass Petrus ihn verleugnen wird. Danach zieht er sich mit seinen Jüngern zurück in den Garten Gethsemane und ringt dort mit Gott. Er bittet darum, gehorsam zu sein dem Auftrag, den Gott ihm gegeben hat, und Kraft zu bekommen, das, was ihm bevorsteht, erleiden zu können.
Während er noch redete – das heißt, während er noch mit Gott im Gespräch war – wissen wir, dass er zwischendurch immer wieder zu den Jüngern kommt und sie mahnt, weil sie eingeschlafen sind. Nun werden die Jünger durch die lärmende Truppe, die dort einherkommt, aufgeweckt.
Wir sehen später, es ist ein Knecht des Tempels, und es ist auch von Hauptleuten des Tempels die Rede, wahrscheinlich handelt es sich hier um die Tempelwache. Die Tempelwache war am Tempel dafür verantwortlich, die Heiden aus dem Vorhof der Frauen und Männer fernzuhalten – natürlich auch aus dem Allerheiligsten.
Sie war dafür zuständig, Ordnung zu halten, damit kein Aufruhr im Tempel entstand. Die Tempelwache war durchaus bewaffnet und befugt, Menschen festzunehmen und einzusperren. Sie war sozusagen der verlängerte Arm der Hohepriester und Pharisäer. Diese benutzten die Tempelwache, um Jesus festzusetzen.
Nach den anderen Evangelien liegt es nahe, wie wir im Johannesevangelium, Kapitel 18, Vers 3 lesen, dass neben diesen jüdischen Truppen auch eine Truppe römischer Soldaten dabei war. Wahrscheinlich haben sie sich zusammengeschlossen. Möglicherweise lag die Anklage bereits bei Pilatus vor, und er hatte einen Teil seiner Truppe dazugegeben, damit das Ganze unter der Kontrolle der römischen Obrigkeit abläuft.
Die Parallelen in Matthäus und Markus weisen in erster Linie auf die Truppen des Synedriums, also der Pharisäer, hin. Die Gruppen scheinen stark bewaffnet zu sein. Jesus erwähnt das ja später noch, dass sie mit Schwertern und Stöcken kommen. Er sagt: „Wie gegen einen Räuber“, also gegen jemanden, der sich wehren kann. Möglicherweise rechneten sie auch damit, dass Jesus zurückschlägt, dass er sich nicht einfach still und heimlich gefangen nehmen lässt.
Es ist dunkel außerhalb der Stadt, deshalb kommen sie auch mit Fackeln. Wir lesen das in den Parallelstellen: Sie kommen also mit Lichtern. Anders als bei uns heute, wo wir gewohnt sind, dass es bis zwölf Uhr oder später hell ist, war das damals nicht unbedingt der Fall. Sie mussten richtig erkennen, was vor sich ging. Deshalb wahrscheinlich auch das spätere Zeichen mit dem Kuss.
Wenn man im Garten ist, werfen die Bäume Schatten. Selbst wenn sie Jesus vorher gesehen haben, erkennen sie ihn im Dunkeln, im trüben Licht nicht. Dann wäre die Gefahr groß, dass sie einen Falschen festnehmen und Jesus, der gewarnt ist, sich irgendwo in die Bergwelt zurückzieht und sie ihn nicht mehr festnehmen können.
Deshalb diesen Sicherheitsweg, den sie nehmen wollen, dass auch Judas sie ihm verrät. Dort wird noch einmal erwähnt, dass Judas Jesus begrüßt und ihn mit einem Kuss begrüßt. Wir lesen auch in Markus 14, Vers 44, dass das vorher verabredet worden ist. Judas ging zu den Pharisäern und sagte: „Den, den ich küssen werde, der ist es.“ Es ist also keine zufällige, spontane Reaktion, sondern eine durchaus vorbereitete.
Der Kuss als Zeichen des Respekts, der Zuneigung, der Liebe, der Ehrerbietung und der Freundschaft ist bis heute in vielen Begrüßungszeremonien weit verbreitet. In Deutschland, wo ich groß geworden bin, gilt es für einen nördlichen Teutonen schon als Zeichen besonderer Herzlichkeit, wenn man jemandem kräftig die Hand drückt. Für jemanden außerhalb Deutschlands ist das eher unterkühlt.
Ich habe das kennengelernt, als ich das erste Mal mit meiner Frau nach Frankreich kam. Dort begrüßten sich alle, die ich nur entfernt oder gar nicht kannte, mit einem Kuss. Zuerst wusste ich nicht, was ich machen sollte, war innerlich schon verkrampft, und dann kam jemand und küsste mich – nicht rechts und links, sondern so. Auch mein Schwiegervater, ein etwas älterer Mann, machte das.
Ich dachte mir: So etwas in Deutschland ist doch ein Überschwang an Gefühlen, der uns hier schwer fehlt – oder vielleicht nur mir. Ich weiß nicht, ob es euch auch so geht. Später habe ich das dann auch hier in der Gegend kennengelernt. Es gibt einige Spätaussiedlergemeinden, die das aus Russland mitgebracht haben, dass dort häufig Umarmen und Küssen üblich sind. In anderen Ländern ist das sowieso üblich.
Hier merken wir: Das, was Judas tut, ist nichts Außergewöhnliches. Wenn wir das nur aus dem Hintergrund unserer deutschen Kultur sehen, denken wir: „Das ist ja gemein, denn küssen tun wir höchstens unsere Ehefrau oder die Kinder, aber sonst kaum jemanden.“ Das war damals durchaus üblich.
Wenn man jemanden kannte – einen Lehrer, einen Freund, einen Bekannten oder sogar einen Nachbarn – war es üblich, ihn zu umarmen und mit einem Kuss zu begrüßen. Allerdings gab es verschiedene Formen von Küssen: Es gab Küsse mehr so in die Luft, Wange an Wange, Küsse auf die Füße – ein Zeichen der vollkommenen Unterordnung einem Herrscher gegenüber.
Küsse auf die Hände gab es entweder auf die Innen- oder auf die Außenfläche, ähnlich wie der Papst heute noch macht, wenn er einen Siegelring hinhält. Darf man niederknien und darauf küssen? Ganz so war das damals nicht, sie hatten keinen Siegelring, aber es gab Küsse auf die Hand als Zeichen der Ehrerbietung.
Manchmal küsste man auch nur den Saum des Kleides, um zu zeigen: „Ich bin gar nicht würdig, dich zu begrüßen, sondern nur den Saum deines Kleides.“ Hier scheint es eine Begrüßung zu sein, die länger andauert, denn das Verb, das mit dem Küssen erwähnt wird, meint eigentlich einen innigen Kuss. Das ist normalerweise nicht flüchtig, sondern eher ein Kuss, bei dem man jemanden umarmt.
So wird das Zeichen deutlicher. Ein flüchtiger Kuss kann schnell übersehen werden, aber hier geht Judas auf Jesus zu, umarmt ihn. Es ist eine relativ normale Begrüßung, aber für jemanden, der gerade verraten will, ist das eine ziemliche Heuchelei und ein großer Betrug.
Eine Heuchelei, die verabscheuungswürdig ist. Wir finden das auch in Sprüche 27, Vers 6, wo genau solche Heuchelei verurteilt wird. Solche Begrüßungen waren auch bei anderen Rabbinern üblich.
In Vers 49 lesen wir: „Und als nun seine Begleiter sahen, was geschehen sollte, sprachen sie zu ihm: Herr, sollen wir mit dem Schwert reinschlagen?“ Wir lesen kurz vorher, dass Jesus sie auffordert, ein Schwert zu kaufen. Sie sollen also ein Schwert kaufen für das, was hier auf sie zukommt.
Wir wissen nicht, ob es zur Verteidigung war oder nicht. Hier fragen einer oder mehrere der Begleiter, ob sie das Schwert jetzt gebrauchen sollen. Scheinbar sind sie sich noch nicht im Klaren darüber, was läuft.
Sie warten gar nicht Jesu Anweisung ab, sondern ziehen das Schwert und versuchen, Jesus gegenüber der Truppe zu verteidigen, die kommt. Wahrscheinlich hätten sie keine Chance gehabt, denn das waren geübte Soldaten. Die Jünger Jesu waren Zöllner und Fischer, keine geübten Kämpfer.
Was wir später sehen: Einer schlägt einem den anderen das Ohr ab. Das ist vielleicht gefährlich, aber nicht lebensgefährlich. Mit einem abgetrennten Ohr hilft man sich nicht sehr viel. Ein richtiger Soldat hätte so zugeschlagen, dass der andere nicht mehr aufsteht.
Wir merken: Das sind Laien, Amateure, die zuschlagen wollen, aber mit guter Absicht. Sie wollen Jesus verteidigen, weil sie nicht wissen, was ihm bevorsteht.
Hier sehen wir übrigens auch mit den Schwertern, dass Jesus Gewalt nicht grundsätzlich verbietet. Er fordert die Jünger sogar auf, ein Schwert zu kaufen. Sie tragen das Schwert noch bei sich. Also waren sie keine vollkommene Pazifisten, wie etwa Leo Tolstoï. Sie wollten sich vielleicht gegenüber Räubern verteidigen.
Jesus hätte ja auch ein Bild vom Himmel herabfahren lassen können, aber hier setzt er auf menschliche Mittel. Sie sind ausgerüstet mit dem Schwert und gebrauchen es dann auch.
In Vers 50 lesen wir: In allen vier Evangelien gibt es Parallelberichte, dass einer der Jünger mit dem Schwert zuschlug. Einer von den Begleitern schlug dem Knecht des Hohepriesters das rechte Ohr ab.
Sie warten auf keine Antwort. Im Parallelbericht im Johannesevangelium, Kapitel 18, Vers 10, lesen wir genauere Angaben: Dort handelt es sich um Petrus, was verständlich ist, denn wir kennen Petrus als einen heissblütigen Menschen, der sofort zuschlagen will, wenn es darauf ankommt.
Wenn er in Städte kommt, wo man ihn nicht annimmt, sagt er: „Herr, lass das Feuer vom Himmel regnen, die sollen alle plattgemacht werden.“ So können wir uns auch hier vorstellen, dass Petrus eingreift.
Wir lesen auch im Johannesevangelium, dass dieser Mann den Namen Malchus trägt. Hier im Lukas-Evangelium finden wir dafür den Hinweis auf die Art der Verletzung detaillierter: Es ist nicht nur das rechte Ohr, sondern das rechte Ohr, das abgeschlagen wird.
Ob rechts oder links spielt nicht die starke Rolle, aber die Details werden erwähnt.
Interessant ist für uns vielleicht noch, dass der Verlust des Ohres für einen Diener des Hohepriesters nicht unproblematisch war. Nicht nur kosmetisch oder medizinisch – ohne Ohrmuschel hört man schlechter, und es sieht nicht ästhetisch aus.
Der Diener hatte auch ein kultisches Problem, denn als Diener des Hohepriesters musste er häufig in den Tempel. Bestimmte Tempelaufgaben waren nicht erlaubt für jemanden, der am Körper versehrt war.
Wir finden das ja speziell für Leviten und Priester: Sie durften kein lahmes Bein haben, und auch ein fehlendes Ohr galt als Ausschluss vom Tempeldienst.
Es gibt Hinweise darauf, dass auch eine Tempelwache nicht im Dienst arbeiten durfte, wenn sie körperlich versehrt war. Das heißt, dieser Mensch hätte seinen Job, seine Stellung und sein Ansehen in der Gesellschaft verloren, wenn er ohne Ohr zurückgekommen wäre.
Das lesen wir hier nur am Rande, weil es sich um eine Tempelwache handelt, um einen Diener des Hohepriesters.
Möglicherweise greift Jesus auch deshalb so spontan ein. In Vers 51 lesen wir: Jesus antwortete: „Lass ab davon!“ Also: Hör auf, schlagt nicht mehr, steckt das Schwert weg! Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn.
Jesus heilt hier unmittelbar das Ohr. Es ist übrigens, soweit ich weiß, die einzige Stelle im Lukas-Evangelium, in der Jesus eine akute offene Wunde heilt. Das heißt, die Wunde war gerade abgetrennt, und Jesus heilt sie sofort.
Das entspricht sogar heutigen medizinischen Vorstellungen: Bei Transplantationsmedizin sollte man abgetrennte Glieder oder Ohren möglichst schnell in Eis packen und annähen. Das ist heute unter gewissen Umständen möglich.
Jesus braucht keinen großen Operationssaal, kein Team von Operateuren. Er nimmt das Ohr – wir lesen nicht die Details –, aber er rührt es an, fasst es an oder drückt es an. Jedenfalls hat das sofort Erfolg. Das Ohr ist wieder fest, und der Mann kann seinen Tempeldienst weiter tun.
Interessant ist auch, dass Jesus hier einen Menschen heilt, der ihn nicht direkt darum bittet. Jesus erkennt in seiner Allmacht als Sohn Gottes, dass dieser Mann gern sein Ohr wiederhaben möchte. Er handelt ohne dessen Bitte.
Jesus bringt hier ein Beispiel dessen, was er selbst sagt: „Liebet eure Feinde!“ Er handelt an seinem Feind, der ihn gerade festnehmen wollte und Gewalt gegen ihn anwenden wollte. Hier praktiziert er Nächstenliebe.
Das ist ein konkreter Fall. Nächstenliebe ist nicht in erster Linie Aufgabe des Staates, sondern eine private Angelegenheit gegenüber Menschen, die einem feindlich gesonnen sind. Man will nicht sein Recht um jeden Preis durchsetzen, will auch auf Gewalt verzichten und ist bereit, Liebe zu üben – so wie Jesus es hier tut.
Erstaunlich ist allerdings, dass auf dieses spektakuläre Wunder kaum eine Reaktion sichtbar ist. Die Soldaten fallen nicht nieder und rufen: „Du bist ein Wundertäter, du hast uns Großes getan! Jetzt gehen wir!“
Wahrscheinlich liegt das nicht nur an mangelnder Dankbarkeit, sondern daran, dass es schlichtweg nicht möglich war. Bei den römischen Soldaten bedeutete Befehlsverweigerung erstens Kerker, im schlimmsten Fall den Tod.
Und das angeklebte Ohr war ihnen wohl weniger wert als das eigene Leben. Sie führten den Auftrag trotzdem aus.
Bei den jüdischen Wachen war die Sache nicht viel anders, auch wenn die Strafen geringer ausfielen.
Wir können also davon ausgehen, dass es eine gewisse Beeindruckung gab, aber der Druck der Strafe war stärker, sodass sie Jesus nicht einfach freiließen, auch wenn er sagte: „Lasst davon ab!“
Wir können davon ausgehen, dass Jesus wusste, was ihm bevorstand. Deshalb war der schwere Kampf im Garten Gethsemane. Jetzt sagt er: „Haltet nicht die Heilsgeschichte Gottes auf, stellt euch dem nicht entgegen, was jetzt passieren muss.“
In anderen Situationen hätte er vielleicht das Schwert gebraucht, aber hier macht er es bewusst nicht, weil er weiß, dass er gefangen genommen werden muss. Er hätte sich auch selbst verteidigen können, tut es aber nicht.
Dann spricht Jesus zu den obersten Priestern und Hauptleuten des Tempels. Wir lesen nebenbei, dass die obersten Priester scheinbar bei der Gefangennahme mitgekommen sind. Es steht nicht, dass sie ihren Ort verlassen haben, sondern es ist direkt anschließend.
Sie wollten offenbar an ihrem Triumph teilhaben. Sie wollten sehen, wie der, der sie öffentlich angeklagt hat und ihnen Bauchschmerzen bereitete, nun vor ihren Augen festgenommen wird.
Sie wollten sich an seinem Gesicht weiden, wenn er merkt, dass er nicht ausweichen kann. Jesus macht ihnen diese Freude nicht.
Er kniet nicht nieder, bittet nicht um Gnade, sondern greift sie an und sagt, dass das, was sie tun, vollkommen unrecht ist.
Er tritt an sie heran und sagt: „Ihr kommt wie gegen einen Räuber, ihr seid ausgezogen mit Schwertern und Stöcken. Wofür braucht ihr die?“
Seht ihr, ich komme freiwillig zu euch. Ihr braucht die Waffen gar nicht, denn ich bin kein Räuber. Einen Räuber lauert man irgendwo in der Nacht auf, da muss man schwer bewaffnet hingehen. Aber ich bin keiner. Was habe ich denn getan, dass ich mich so festnehmen muss?
Das ist der Vorwurf Jesu in Vers 52.
In Vers 53 sagt er auch, dass Umstürzler normalerweise im Geheimen arbeiten. Er sagt: „Als ich täglich bei euch im Tempel war, habt ihr die Hände nicht an mich gelegt.“
Sie werfen ihm Aufruhr und Verschwörung vor. Aber kennt ihr Verschwörungen, die öffentlich vor den Augen dessen, vor dem man sich verschwören will, stattfinden? Und dann ruft niemand zum Aufruhr auf?
Stellt euch vor, jemand würde vor dem Reichskanzleigebäude Hitler versammeln und sagen: „Wir werden dich bald umbringen!“ Wie erfolgreich wäre so ein Anschlag wohl gewesen?
Wir brauchen uns keine Gedanken machen, es wäre sehr gering.
Hier müssen wir sehen, dass es eine kleine Gruppe war, die man sofort hätte festnehmen können – unter Tausenden von Leuten, die den Juden und den römischen Streitkräften zur Verfügung standen.
Jesus will die Lächerlichkeit ihres Vorwurfs zeigen.
Wenn wir wirklich Verschwörer gewesen wären, würde ich nicht offen vor eurer Nase im Tempel reden und mich der Gefahr aussetzen.
Ich würde mich irgendwo in die Einöde zurückziehen, eine Truppe sammeln und dann zurückkommen, um einen Aufruhr zu starten. Aber so nicht. Das ist unlogisch, was ihr tut.
Aber dies ist eure Stunde, sagt er.
Okay, ich sehe ein, euer Vorwurf stimmt nicht. Aber es ist eure Stunde.
Sie verstehen es falsch. Es klingt, als hätten sie jetzt den längeren Hebel und könnten lachen. Aber in Wirklichkeit meint Jesus: Es ist eure Stunde, weil Gott es so vorhergesehen hat. Gott wusste, dass ich gefangen genommen, verurteilt und sterben werde.
Allerdings macht er noch eine Zusage und sagt: „Und die Macht der Finsternis!“
Hier zeigt er mehrere Dinge.
Zum einen ist Finsternis oder Dunkelheit normalerweise anrüchig. Man sagt, zwielichtige Gestalten sind nachts unterwegs, etwa mit Knüppeln in Straßenecken.
Die Regierungskräfte, die da kommen, sagt er, sind eigentlich die Räuber. Sie überfallen wehrlose Leute mit Waffen und brauchen den Schutz der Finsternis, um ihre Taten zu verüben – nicht ich.
Eure Stunde ist die Stunde der Verbrecher. Es ist die Stunde derjenigen, die das Tageslicht scheuen.
Vielleicht erinnern wir uns an Johannes 3, Vers 20 oder Epheser 5, Vers 8, wo vom Teufel und den Ungläubigen als Kindern der Finsternis die Rede ist – die mehr die Finsternis als das Licht lieben.
Genau so sehen wir hier das Bild im wörtlichen Sinne übertragen. Sie brauchen den Schutz der Finsternis, um an Jesus heranzukommen.
Wenn wir weiterlesen würden, ab Vers 54, lesen wir, dass sie in der Nacht alle Truppen zusammenrufen – das Synedrium, soweit es zur Verfügung stand – und unrechtmäßig, obwohl sie eigentlich warten müssten, noch durchpeitschen, dass Jesus verurteilt wird.
Sie wollen ihn möglichst schnell ans Kreuz bringen, ehe sich Widerstand formieren kann oder ehe sichtbar wird, dass die Vorwürfe gegen ihn alle falsch sind.
Die Bedeutung des Heilsplans Gottes und die Reaktion auf Jesu Gefangennahme
Wenn wir diesen Text betrachten, können wir sicherlich einige Dinge daraus lernen. Zum einen ist es wichtig, danach zu fragen, was die Zeit Gottes ist und wann sie gekommen ist. Was hat im Heilsplan Gottes Bedeutung? Manchmal geht es darum, sich nicht gegen diesen Plan zu stellen, sondern ihn mitzunutzen.
Ich habe vor ein paar Tagen erwähnt, dass wir zum Beispiel in der Mission darauf achten, wo eine offene Tür ist und wo wir Menschen erreichen können. In Deutschland gibt es beispielsweise unter den Muslimen eine kleine Erweckung, besonders unter iranischen Muslimen. In den letzten zehn Jahren sind zahlreiche Gemeinden in Deutschland entstanden, die sich an iranische Muslime richten.
Es gibt viel mehr iranische Muslime, die gläubig geworden sind, als türkische, obwohl der Anteil der türkischen Muslime in Deutschland viel größer ist. Wir können nicht genau sagen, woran das liegt. Wahrscheinlich trägt dazu bei, dass Menschen im Iran erlebt haben, was es bedeutet, wenn der Islam an der Herrschaft ist. Dort wurde ein Gottesreich versprochen, in dem alles besser sein sollte als im vermeintlich verkommenen Westen. Doch im Laufe der Zeit merken die Menschen, dass dort Unterdrückung, Einschränkung, Mord und Egoismus herrschen – nicht das, was versprochen wurde.
Viele Muslime fliehen aus dem Iran, aus diesem Gottesstaat, kommen in den Westen und finden hier zum Glauben. Das zeigt uns, dass wir eine solche Situation nutzen müssen. So wie Jesus hier versucht hat, sich nicht dem Plan Gottes zu widersetzen, also nicht das Gegenteil zu bewirken oder sich dagegen zu wehren, sondern zu sagen: Jetzt ist es dran, jetzt ist diese Stunde, jetzt ist der Kairos – die Zeit, die wir nutzen sollen.
Manchmal erkennen wir diese Zeit, wenn wir in der Bibel lesen. Manchmal erkennen wir sie, wenn wir uns in der Gegenwart umschauen und sehen, wo das Reich Gottes wirkt und wo Gott Dinge vorbereitet. Dann können wir darauf eingehen.
Natürlich sollten wir auch in der Bibel nachschauen, wie der große Heilsplan Gottes aussieht und wie es in der Endzeit ablaufen wird. Welche Ereignisse finden dort statt? Zum Beispiel finden wir die Warnung vor der großen Zahl falscher Propheten. Ich habe bereits erwähnt, dass ich gerade ein Buch darüber abgeschlossen habe. Ich denke, das ist ein Zeichen, das uns zeigt, dass wir in der letzten Zeit leben.
Es ist nicht so, wie manche meinen, dass alle Prophezeiungen unbedingt von Gott kommen müssen. Jesus sagt vielmehr, dass am Ende der Zeiten ein besonderes Kriterium gilt: Nicht, dass viele wirklich Prophezeiungen von Gott erhalten, sondern dass viele falsche Propheten auftreten. Das ist ein Zeichen der Endzeit, sagt Jesus.
Diese Warnung finden wir zwei Mal in Matthäus 24, sogar drei Mal, und dann noch einmal in Matthäus 7. Hier haben wir also eine dieser Stellen, von denen wir lernen können, wie Jesus damit umgeht.
Sicherlich ist auch die Feindesliebe, die Jesus hier zeigt, eine Herausforderung für uns. Wir können auch kritisch sehen, dass spontane und häufig zu schnelle, impulsive Reaktionen, wie sie Petrus zeigt, nicht immer angemessen sind. Es ist nicht immer richtig, um unsere Ehre und unser Ansehen zu kämpfen. Manchmal ist es besser zu sagen: Das ist Gottes Sache, Gott wird sich darum kümmern.
Das ist keine generelle Regel. Wir sehen, dass Paulus es manchmal anders handhabte, als er sich auf das römische Gesetz berief, zum Beispiel beim Hauptmann im Gefängnis in Philippi oder auch, als er in Jerusalem gefangen genommen wurde.
Aber hier sehen wir Jesu Vorbild: nicht um jeden Preis für die eigene Ehre und das eigene Ansehen zu kämpfen. Das sollten wir sicherlich nicht in jedem Fall tun.
Was hier im Mittelpunkt steht, ist natürlich die Heilsgeschichte. Es geht nicht nur um ein Vorbild für uns, sondern um die Heilsgeschichte selbst. Jesus handelt. Jesus wird gefangen genommen – und hier beginnt eigentlich sein Leiden.
Die Verurteilung Jesu vor Herodes
Wir lesen weiter, indem wir ein paar Verse überspringen und in Vers 23, Vers 6 weiterlesen. Kapitel 22 endet mit dem Verhör Jesu vor dem Hohen Rat. Der Hohe Rat verurteilt Jesus aufgrund falscher Zeugen, die lügen und allerlei Behauptungen über Gotteslästerungen Jesu aufstellen.
Jesus wird schließlich nach jüdischem Gesetz verurteilt. Doch es gibt ein Problem: Dieses Todesurteil darf nicht vollstreckt werden, denn solche Kapitalverbrechen durften nur von den Römern geahndet werden. Deshalb wird Jesus vor Pilatus gebracht.
Pilatus verhört Jesus, stellt jedoch keine Schuld fest. Die ganze Angelegenheit geht ihm auf die Nerven, und er möchte sich am liebsten davon befreien. Schließlich findet er beim Verhör einen Weg, Jesus loszuwerden, indem er hört, dass Jesus in Galiläa Aufruhr verursacht haben soll.
Damals war Israel in vier Herrschaftsgebiete geteilt. Die Römer regierten hauptsächlich über Judäa und Caesarea Maritima, eine Garnisonstadt. Im Norden, in Galiläa und Peräa, herrschte Herodes Antipas.
Pilatus erfährt, dass Jesus aus Galiläa stammt und dort seine Taten vollbracht haben soll. Es gab damals einen Auslieferungsvertrag über die Herrschaftsgrenzen hinweg. Wenn jemand in einem anderen Herrschaftsgebiet ein Verbrechen begangen hatte, sollte er an die dortige Jurisdiktion ausgeliefert werden.
Letztendlich lief alles auf römisches Recht hinaus, denn beide Gebiete waren Provinzen des Römischen Reiches. Pilatus ist froh, sich dieser Sache entledigen zu können. Er merkt schnell, dass es sich um einen politischen Mord handelt, den er gutheißen soll. Er erkennt auch, dass Jesus ungefährlich ist.
Pilatus verfügt über eigene Spione und weiß, was Jesus gesagt hat. Einige der Hauptleute und Soldaten, die Jesus kannten, hätten ihm schnell Informationen liefern können. Als römischer Gouverneur von Judäa ist er gut informiert.
Er sieht, dass Jesus kein Aufrührer ist. Wenn sich jemand die Hände schmutzig machen soll, dann bitte jemand anderes. So schiebt er den Schwarzen Peter weiter.
In Vers 7 lesen wir, dass Pilatus, als er hört, Jesus stamme aus einem anderen Herrschaftsgebiet, ihn zu Herodes schickt, der zu dieser Zeit ebenfalls in Jerusalem war.
Dass Herodes in Jerusalem war, war kein Zufall. Es war die Zeit des Passafestes, eines der drei Feste des Alten Testaments, zu denen jeder Jude verpflichtet war, im Tempel zu sein und das Fest dort zu begehen.
Ein jüdischer Herrscher musste stets darauf achten, zumindest äußerlich die Regeln des Judentums einzuhalten, um seine Autorität im Volk nicht zu verlieren. Herodes Antipas war bereits im Volk wegen seines lockeren Lebensstils angeklagt. Wir erinnern uns an Johannes den Täufer, der ihn kritisierte.
Deshalb versuchte Herodes zumindest, die äußeren Festregeln einzuhalten. Wahrscheinlich übernachtete er im Hasmonäer-Palast, den sein Vater, Herodes der Große, hatte bauen lassen. Pilatus wusste daher sofort, wohin er Jesus schicken sollte.
Hier wurde nicht lange gesucht. Er musste nicht erst Herbergen oder Hotels absuchen, sondern schickte ihn in seine eigene Residenz in Jerusalem, wo er regelmäßig übernachtete.
In Vers 7 lesen wir also, dass Pilatus Jesus zu Herodes schickt. Dabei merken wir eine gewisse Rivalität zwischen den beiden.
Die Pharisäer warnen Jesus im Lukasevangelium Kapitel 13, Vers 31, wenn man nachschlagen möchte. Dort warnen sie ihn: "Geh aus diesem Gebiet hinweg, denn Herodes plant, dich zu töten."
Das war einige Zeit nach der Tötung Johannes des Täufers. Doch diese Warnung der Pharisäer war nur halbherzig. In Wirklichkeit wollten sie Jesus ebenfalls töten.
Sie wollten jedoch nicht, dass Herodes die Tat vollbringt, sondern selbst die Rache übernehmen. Auf dem Gebiet von Herodes Antipas hätten sie das nicht tun können, da er dort Rechtsprechung besaß.
In dem römisch verwalteten Gebiet hatten sie Mitsprache. Dieses intensive Mitgefühl der Pharisäer ist für sie eigentlich unverständlich, wenn man bedenkt, wie sie Jesus zuvor angegriffen und überlegt hatten, wie sie ihn töten könnten.
Plötzlich kommen sie scheinheilig her und sagen: "Jesus, geh doch weg, hier ist es gefährlich, Herodes will dich töten." Das klingt erst einmal merkwürdig, denn man könnte meinen, sie sollten froh sein.
Doch sie wollen die Sache in die eigene Hand nehmen. Sie möchten, dass Jesus wegen Gotteslästerung angeklagt wird, und warnen ihn deshalb in Lukas 13, Verse 31 und 32.
Wir lesen auch, dass Herodes ein Rivale Pilatus’ war. Das erfahren wir am Ende dieser Geschichte, als gesagt wird, sie seien bis dahin Feinde gewesen, jetzt aber durch die Verurteilung Jesu Freunde geworden.
Feinde waren sie besonders, weil beide über römische Provinzen herrschten. Meldungen kamen nach Rom, und jeder versuchte, seinen Machtbereich durchzusetzen.
Wir sehen auch aus der Geschichte außerhalb der Bibel, dass Herodes Antipas, wie sein Vater, ein eingefleischter Machtpolitiker war. Er wollte möglichst viel Macht in Israel an sich reißen und die frühere Macht seines Vaters über ganz Israel wiederherstellen.
Pilatus war ihm dabei ein Dorn im Auge. Er kämpfte auch in der Vergangenheit bereits um die Macht in Israel und hatte häufig negative Berichte nach Rom geschickt, um Pilatus anzuschwärzen und zu zeigen, er sei der bessere Herrscher.
Er wollte selbst über Judäa eingesetzt werden. Pilatus versuchte natürlich Ähnliches, und so entstand die Rivalität und der Streit.
In dieser Wendung gegen Jesus, wo sie sich über ihn lustig machen und die gemeinsamen Gegner – die religiöse Oberschicht der Pharisäer – vor sich haben, kommen sie zusammen.
Sie merken, dass sie nicht gegeneinander arbeiten müssen, sondern gemeinsam versuchen können, sich den Kuchen in Israel aufzuteilen.
In Vers 8 lesen wir: Herodes aber freute sich sehr, als er Jesus erblickte, denn er hatte ihn schon lange sehen wollen, weil er viel von ihm gehört hatte. Er hoffte, ein Zeichen von ihm zu sehen.
Im Mittelpunkt steht hier, dass Herodes Jesus sehen will, weil er auf eine Sensation hofft.
In Israel gab es nicht viel interessante Abwechslung. Es war eher eine Randregion des Römischen Reiches, nicht vergleichbar mit Rom, dem Zirkus Maximus, dem Theater und den Gladiatorenspielen.
Hier war es eher langweilig. Nun aber gab es endlich einen religiösen Führer, einen Wundertäter, der scheinbar zaubern konnte – so die Gerüchte um Jesus.
Herodes war daran interessiert. Er nahm Jesus jedoch nicht als Sohn Gottes ernst. Wir wissen, dass er einen lockeren Lebenswandel führte.
Er heiratete die Frau seines Bruders und lebte nicht nach dem Alten Testament. Nebenbei ließ er Johannes den Täufer töten, als dieser ihm nicht ins Konzept passte.
Seine Frau und Tochter drängten ihn dazu, und das nahm er locker hin. Er wurde von vielen Juden wegen seines Lebenswandels kritisiert.
Hier zeigt sich keine große religiöse Einsicht, sondern eher Neugierde und Langeweile. Herodes wollte Jesus kennenlernen, weil er über ihn viel gehört hatte.
Deshalb lud er Jesus ein und ließ ihn kommen. Wie erwähnt, hatte er früher anders gedacht.
Die Warnung der Pharisäer zeigt, dass er Jesus ursprünglich töten wollte. Vielleicht war das noch in der Phase, als er dachte, Jesus sei der wiederauferstandene Johannes der Täufer.
Da war er verwirrt und glaubte vielleicht an eine Art Reinkarnation. Er wollte Johannes erneut töten, schaffte es aber nicht.
Irgendwie war er von Jesus fasziniert und lud ihn deshalb ein, um zu sehen, was er zu bieten hatte.
Wahrscheinlich hoffte er auf ein Wunder, speziell für ihn als Herrscher. Wir können uns vorstellen, dass er auf seinem Thron saß, flankiert von Soldaten.
Jesus wurde in Ketten vorgeführt. Herodes forderte ihn spöttisch auf, ein Wunder zu tun und zu zeigen, was er könne.
Er stellte Jesus viele Fragen, doch Jesus gab keine Antwort.
Herodes’ Fragen waren vermutlich nicht ernst gemeint. Vielleicht wollte er Jesus testen, ob er die Zukunft kennt oder sein Leben weiß.
Der Spott und die Erwartung von Wundern passen zum Kontext.
Jesu Schweigen ist erklärbar. Wenn wir die Parallelberichte in den anderen Evangelien betrachten, sehen wir, dass Jesus sowohl dem Hohen Rat als auch Pilatus antwortete.
Dem Einzigen, dem er keine Antwort gab, war Herodes.
Wahrscheinlich wusste Jesus, dass die Pharisäer zumindest eine religiöse Überzeugung hatten, auch wenn sie verblendet waren.
Pilatus suchte offenbar nach der Wahrheit und versuchte, Jesus zu retten.
Herodes hingegen war uninteressiert. Für ihn war Jesus nur ein Raubtier im Käfig.
Deshalb schwieg Jesus.
Wir können hier an die Warnung denken: Werft eure Perlen nicht vor die Säue.
Jesus ließ sich nicht auf Herodes’ Spott ein.
Herodes verlor nach einiger Zeit das Interesse und wollte seine Unterhaltung fortsetzen.
Er legte Jesus viele Fragen vor.
Die obersten Priester und Schriftgelehrten standen daneben und klagten Jesus heftig an.
Herodes hörte ihnen zunächst nicht zu, denn die Pharisäer interessierten ihn nicht.
Er lebte nicht religiös, sondern in Sünde.
Die Pharisäer klagten Jesus genauso an, wie sie es auch getan hatten. Wenn sie könnten, würden sie ihn ans Kreuz bringen.
Herodes war kein Freund der Pharisäer und Schriftgelehrten, deshalb ließ er sie warten.
Als sie an die Reihe kamen, klagten sie Jesus an.
Herodes sprach kein Urteil, sondern verspottete Jesus zusammen mit seinen Kriegsleuten.
Nachdem er Jesus ein prächtiges Gewand angelegt hatte, schickte er ihn zurück zu Pilatus.
Jesus ließ sich nicht auf die Spielchen ein und vollbrachte kein Wunder zur Unterhaltung.
Herodes griff zu seinen eigenen Mitteln und machte Witze.
Wir können uns vorstellen, dass die Kriegsleute keine gewöhnlichen Soldaten waren, sondern wahrscheinlich seine Elitesoldaten oder Leibwächter.
Im Thronsaal Herodes’ waren möglicherweise auch höhere Offiziere anwesend.
Sie machten sich über Jesus lustig: "Schau ihn dir an, der will König sein und weiß nicht einmal, sich zu verteidigen."
Sie verspotteten ihn, indem sie ihm ein weißes, prächtiges Gewand anzogen.
Weiß war damals das typische Königsgewand für jüdische Könige. Das wissen wir teilweise aus dem Alten Testament und der Umwelt des Neuen Testaments.
Das Gewand war nicht nur Leinwand, sondern aus feinem, glänzendem Stoff.
Wahrscheinlich stammte es aus Herodes’ Garderobe. Er hatte es mitgenommen, weil es ihm den Spott wert war.
Herodes wollte einen Gegensatz schaffen.
Er war ein Machtpolitiker, der um Ansehen und Kontrolle über Israel kämpfte.
Religiöse Dinge interessierten ihn kaum. Hauptsache, er hatte Israel unter Kontrolle.
Wie sein Vater scheute er nicht vor Mord und Bestechung zurück.
Er machte sich einen Scherz, indem er Jesus so zurückschickte.
Das sollte zeigen: "Das soll ein König sein? Er weiß nicht einmal, sich zu verteidigen. Wo ist seine Armee? Er schlägt nicht zu und weiß sich nicht mit Worten zu verteidigen. Lächerlich!"
Herodes wollte Pilatus an diesem Spott teilhaben lassen, denn auch Pilatus war ein handfester Machtpolitiker.
Um Gouverneur in Rom zu werden, musste man sich durchsetzen.
Jesus entsprach nicht den Erwartungen: Er war weder Aufrührer noch König.
Durch den Spott an Jesus zeigte Herodes, dass die Anklage falsch war.
"Das ist kein König, kein Aufrührer, das ist lächerlich."
Deshalb schickte er Jesus mit dem Gewand zurück zu Pilatus.
Es handelt sich nicht um das Militärgewand. In Matthäus 27, Vers 28 wird berichtet, dass Jesus zwischenzeitlich auch ein Militärmantel angelegt wurde und ausgepeitscht wurde.
Das hier ist eine andere Station des Leidens Jesu.
Das Militärmantel-Ereignis fand offenbar vorher statt. Danach wurde Jesus das königliche Gewand angelegt und zurückgeschickt.
Der Königsanspruch Jesu wird von Herodes spöttisch anerkannt, weil offensichtlich ist, dass Jesus mit dem Königtum in Israel nichts zu tun hat.
In Vers 12 lesen wir: An diesem Tag schlossen Pilatus und Herodes Freundschaft, denn zuvor waren sie Feinde.
Wie gesagt, sie waren Rivalen und hatten gegeneinander gekämpft.
Zum Teil lag das daran, dass beide Fehler im Umgang mit dem jüdischen Volk gemacht hatten.
Von Herodes Antipas wissen wir, dass er einmal in einen Streit um geweihte Bilder verwickelt war, die im Tempel aufgehängt werden sollten.
Dabei war Herodes beteiligt, was einen Aufruhr auslöste.
Pilatus wollte den Juden etwas Gutes tun und plante, nach römischer Technik, ein Aquädukt zu bauen, um frisches Wasser nach Jerusalem zu leiten.
Da er kein Geld hatte, dachte er daran, einen Teil des Tempelschatzes für den Bau zu verwenden.
Technisch gesehen war das in Ordnung, doch die Juden waren darüber nicht erfreut, da es gegen die Ordnung Gottes verstieß.
Das führte zu großem Ärger und einem Bericht nach Rom.
Pilatus wurde zur Rechenschaft gezogen.
Diese Beispiele zeigen, dass beide Männer Realpolitiker waren, die sich durchsetzen wollten, aber auch in Konkurrenz standen.
Der eine schwärzte den anderen an.
Nun aber sahen sie in Jesus einen gemeinsamen Gegner, über den man sich lustig machen konnte.
So wurden sie Freunde.
Das ist zwar traurig, entspricht aber unserer Lebenserfahrung.
Oft schließen sich Menschen zusammen, die sonst nichts miteinander zu tun haben, wenn sie einen gemeinsamen Gegner finden.
In der Schulklasse etwa gibt es manchmal einen, auf den alle herumhacken, und plötzlich sind sich alle einig, ihn fertigzumachen.
Ähnliches kann im Betrieb passieren.
Diese gemeinsame Feindschaft schweißt Menschen zusammen.
Manche Politiker nutzen das bewusst.
Bei der frühen Christenverfolgung wurden Christen als Staatsfeinde dargestellt, um sie zu verfolgen und den Staat als erfolgreich erscheinen zu lassen.
Hitler tat Ähnliches mit den Juden.
Diese hatten sich nicht gewehrt und verfügten noch über Besitz, den man konfiszieren konnte.
So waren sie ideale Gegner, auch wenn sie nichts taten.
Plötzlich war man sich einig im Kampf gegen einen Feind, den man geschaffen hatte – egal, ob er real war oder nicht.
Das Leiden und Sterben Jesu am Kreuz
Ja, wir wollen uns jetzt noch einen dritten Text anschauen, der das Leiden Jesu vollendet. Dieser Text beginnt ab Vers 32 im selben Kapitel, Kapitel 23, und umfasst die Verse 32 bis 49. Ich lese ihn erst einmal vor und versuche dann, einige Gedanken dazu weiterzugeben.
Übrigens sollte uns auch die Art und Weise, wie Pilatus und Herodes miteinander umgehen, eine Mahnung sein. Immer wieder, wenn wir mit Menschen zu tun haben, die vorgeben, nach Jesus zu suchen oder danach zu fragen, sollte Gott uns deutlich machen, ob diese Person wirklich auf der Suche nach Jesus ist oder ob es nur darum geht, sich darüber lustig zu machen. Manchmal treffen wir Leute und diskutieren lange mit ihnen, obwohl es nicht lohnenswert ist. Dabei bestätigen wir vielleicht sogar Menschen in ihrem Aufruhr gegen Gott, wenn wir zu viel Zeit investieren.
Wir brauchen Weisheit, um denen, die wirklich Fragen haben, diese auch angemessen zu beantworten. Dabei sollten wir nicht faul sein, sondern unseren Intellekt gebrauchen und gute Gründe nennen, die jemanden von der Wahrheit des Kommens Jesu, seines Todes, des Jenseits und Gottes überzeugen können. Wir sollten uns bemühen, nicht nur aus der Bibel heraus zu antworten, sondern auch apologetische Gründe nennen, die helfen, das zu verstehen und Widerstände auszuräumen.
Hier war allerdings Hopfen und Malz verloren. Jesus hatte lange die Chance, Johannes den Täufer schon gehört, vieles gehört – aber es war vorbei. Lasst euch nicht darauf ein, denn provozieren wäre hier auch eine Herausforderung. Vertraut darauf, wenn ihr einmal Zeugnis ablegen sollt von eurem Glauben, dass Jesus da sein wird. Das verheißt er an mehreren Stellen, sodass wir keine Angst haben müssen, wenn man uns vor Richtern, Synagogen und Reden führt. Der Heilige Geist wird uns führen. So ist Jesu Reaktion hier auch vom Heiligen Geist geleitet.
Ich lese ab Vers 32: „Es wurden aber auch zwei andere hingeführt, Übeltäter, um mit ihm hingerichtet zu werden.“ Hier sehen wir zunächst, dass man Arbeitsersparnis gemacht hat. Das hatte keinen besonderen Grund. Man könnte jetzt sagen, es wurden drei gekreuzigt, das habe mit der Trinität zu tun oder drei sei eine besondere Zahl. Nein, hier hängt es einfach mit Arbeitsteilung zusammen. Für einen Soldaten war eine Hinrichtung schwierig. Man wollte die Hinrichtungen nicht am Sabbat haben und die Gefängnisse vorher noch frei bekommen. Deshalb hat man gleich drei auf einmal hingerichtet. So konnte man sie in einer Kolonne durch die Stadt marschieren lassen und dort aufhängen. Dann musste man nur noch warten, bis alle tot waren. Das war eine Frage der Arbeitserleichterung.
Zwischendurch kam dann die Verurteilung durch Pilatus auf den Druck der Masse, des Mobs, der durch die Pharisäer aufgestachelt worden war. Als sie an den Ort kamen, den man Schädelstätte nennt – in den Parallelberichten heißt er Golgatha – kreuzigten sie dort Jesus und die Übeltäter, den einen zur Rechten und den anderen zur Linken.
Hier lesen wir den Hinweis, dass Jesus in der Mitte ist, so wie es auf Bildern dargestellt wird, mit dem höheren Kreuz. Das wissen wir nicht genau, sondern die Kreuze können auch gleich groß gewesen sein. Höchstwahrscheinlich war das so. Mit den Kreuzen habt ihr wahrscheinlich auch schon etwas gehört oder gelesen. Es ist nicht ganz sicher, ob es sich wirklich um ein Kreuz handelt, wie wir es häufig in Kapellen oder Kirchen sehen. Es könnte auch sein, dass es sich um ein Kreuz in T-Form handelte, denn das war leichter herzustellen. Wenn man mit Holz arbeitet, weiß man, dass zwei Balken einfach übereinandergelegt wurden. Zum Hinrichten genügte das. Man brauchte nicht unbedingt oben noch ein Ende daran.
Es gab durchaus Kreuzigungsformen in der Antike, bei denen die Verurteilten an einem T-Kreuz hingerichtet wurden. Letztendlich ist für uns aber nicht entscheidend, wie das Kreuz aussah, sondern dass Jesus dort getötet worden ist.
Was manchmal falsch dargestellt wird, vor allem in Gemälden und Kirchen, ist, dass Jesus, als er dort befestigt wurde, durch die Handteller angenagelt worden sei. Das ist höchst unwahrscheinlich. Erstens wäre das für die Römer unprofessionell gewesen, und zweitens hätte es auch gar nicht funktioniert. Anatomisch betrachtet sind die Handteller nicht stabil genug. Wenn man jemanden dort annagelt, reißt die Haut sofort ab. Dann bleibt der Verurteilte zwar mit einer großen Wunde, aber nicht am Kreuz hängen.
Deshalb mussten die Nägel durch die Gelenke geschlagen werden, was natürlich noch schmerzhafter war, aber es hielt. Die Wunden Jesu waren also wahrscheinlich nicht in den Handtellern, sondern in den Handgelenken. Das wirft übrigens ein seltsames Licht auf die Stigmatisierten der katholischen Kirche. Ihr wisst ja, es gibt bis heute Menschen, die von sich reden machen, wie Don Bosco und andere, die in der katholischen Kirche verehrt werden und angeblich die Wunden Jesu am eigenen Leib tragen. Normalerweise haben sie die Wunden aber in den Handtellern. Da stimmt etwas nicht. Entweder hat Gott sich nicht genau daran erinnert, wie das damals gewesen war, oder es sind Scharlatane, was ich für wahrscheinlicher halte. Ich denke, dass das keine göttlichen Zeichen sind. Erstens werden sie uns nirgends in der Bibel so genannt oder verheißt, und zweitens sind sie an der falschen Stelle.
Durch die Fußgelenke wurde meistens auch genagelt. Häufig hatte man ein kleines Brettchen, auf das sich der Verurteilte abstützen konnte, um sich immer wieder etwas hochzuziehen und so die Qual möglichst lange zu verlängern. Denn im Normalfall starben die Leute nicht wegen der Wunden, die zwar schmerzhaft und mühsam waren, oder wegen der Hitze, sondern die meisten starben einen Erstickungstod.
Durch das langsame Herabsacken an den Armen wurde die Brust zusammengedrückt, und die Betroffenen konnten nicht mehr richtig atmen. So starben sie an Erstickung. Dazu kamen natürlich noch Infektionen durch die Wunden, auf denen Insekten saßen, denn normalerweise hingen die Verurteilten mehrere Stunden am Kreuz. Manche bekamen wahrscheinlich auch einen Kreislaufkollaps durch Aufregung, Schock und Hitze. Auf jeden Fall war das sehr unangenehm.
Im Römischen Reich galt die Kreuzigung als besonders grausame Tötungsmethode. Für römische Staatsbürger war sie verboten; sie durften normalerweise nur enthauptet werden. Tot ist tot, aber die Enthauptung ging wesentlich schneller als die Kreuzigung.
So weit zu diesem Abschnitt.
Sie kreuzigten also die beiden Übeltäter. Jesus aber sprach: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Sie teilten aber sein Gewand und warfen das Los darüber (Vers 34).
Hier sehen wir einen Gegensatz zu den Gebeten um Rache im Alten Testament. Lesen wir zum Beispiel Psalm 137, Verse 7 bis 9, wird dort gebetet, dass die Feinde alle umkommen und die schärfsten Strafen bekommen sollen. So handelt Jesus nicht. Er hätte ja alles Recht dazu gehabt, denn im Gegensatz zu denen im Alten Testament, die um Rache bitten, ist er vollkommen schuldlos und sündlos.
Selbst die Juden des Alten Testaments waren nicht schuldlos. Sie waren vielleicht besser als ihre heidnischen Nachbarn, aber Erbsünde und Schuld vor Gott hatten sie trotzdem angesammelt. Jesus bittet hier nach seiner eigenen Lehre um Vergebung für die Sünden seiner Feinde, die sie an ihm vollziehen.
Das, was er schon beim Knecht Malchus tut, indem er praktische Nächstenliebe übt, bittet er hier auch um Vergebung. Vielleicht ist ein Ergebnis dieser Bitte die Bekehrung zahlreicher Menschen, die in Jerusalem zum Pfingstfest 50 Tage später waren, wie wir in Apostelgeschichte 2, Vers 41 lesen. Gott hat Vergebung ausgesprochen und trotzdem die Möglichkeit zur Umkehr gegeben.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sie, wie Jesus sagt, nicht wissen, was sie tun. Sie sind sich der Tragweite ihres Handelns nicht bewusst. Vielleicht denken sie, Jesus sei wirklich ein Prediger, der von Gott gesandt ist, aber dass er der Sohn Gottes selbst ist, haben sie nicht richtig begriffen.
In 1. Korinther 2, Vers 8 wird sogar angedeutet, dass sie ihn wahrscheinlich nicht getötet hätten, wenn sie sich wirklich dessen bewusst gewesen wären, wer Jesus ist und was sie tun. Wahrscheinlich ist hier eine Art geistliche Blindheit, mit der sie geschlagen sind. Sie sind nicht schuldlos, denn sie hätten es erkennen können, aber sie sind sich nicht der ganzen Tragweite ihres Handelns bewusst.
Dass die Römer hier über das Gewand Jesu das Los werfen, ist keine Ausnahme. Das war ein Recht der Römer. Soldaten, die jemanden hinrichteten, hatten auch das Recht, die Kleidung und das Hab und Gut des Verurteilten unter sich zu verteilen. Sie werfen das Los, weil Jesus in ein langes, ungenähtes Gewand gehüllt war, das man nicht zerteilen konnte, ohne es zu zerstören. So konnten die Soldaten gerecht untereinander entscheiden, wer das Gewand bekommt.
Das Würfeln unter dem Kreuz ist also eine Art Glücksspiel. Das hängt nicht mit der Oberflächlichkeit der Soldaten zusammen, wobei wir durchaus annehmen können, dass sie solche Dinge schon häufiger gemacht haben.
Das Volk stand da und sah zu, und die Obersten – das heißt die Pharisäer, die Führer des Volkes – spotteten mit ihnen und sagten: „Andere hat er gerettet, er rette nun sich selbst, wenn er der Christus ist, der auserwählte Gottes.“
In den Parallelberichten lesen wir auch, dass die Verbrecher, die mit ihm gekreuzigt wurden, ihn ebenfalls verspotteten. Dieser Spott war damals Teil der Strafe. Es war so beabsichtigt, ähnlich wie im Mittelalter ein Schandpfahl, an dem man festgebunden war und jeder einen bespucken und schlagen durfte. Das sollte zeigen, welche Verbrecher sie eigentlich waren.
Das, was an Jesus vollzogen wird, war nicht unbedingt eine Ausnahme. Vielleicht war es in der Heftigkeit und gerade weil er schuldlos ist, besonders intensiv, aber das gab es damals durchaus auch.
In Vers 36 lesen wir, dass die Kriegssoldaten ihn verspotteten, indem sie ihm herzutraten und ihm Essig reichten. Lukas deutet das als Spott. In den Parallelberichten wird es nicht als Spott gewertet. Wir können nicht genau sagen, warum sie es tun. Normalerweise gab man entweder vergorenen Wein oder Essig, um die Schmerzen zu lindern und den Durst zu löschen. Man steckte das auf einen Spieß oder eine Lanze und reichte es dem Verurteilten zum Saugen.
Es könnte sein, dass sie das eigentlich tun wollten, um Jesus zu helfen, oder um sich über ihn lustig zu machen, indem sie es ihm nahe vor den Mund hielten und dann wieder wegzogen. Die Details lesen wir hier. Lukas erwähnt, dass es zum Spott war, die Parallelberichte erwähnen nur, dass man es ihm reichte.
In Vers 37 heißt es: „Bist du der König der Juden? So rette dich selbst!“ Die Soldaten scheinen raue Gesellen zu sein, die viele Menschen getötet haben. Sie benehmen sich grob und machen sich über Jesus lustig. Möglicherweise schwingt auch Sarkasmus mit, denn viele ihrer Kollegen waren zum Judentum konvertiert. In der damaligen Zeit imponierte vielen Römern der Eingottglaube der Juden, und viele wurden Juden.
Jesus richtet sich in seiner Mission an die Juden, nicht Paulus, der später in den Synagogen predigt. Über Jesus war auch eine Inschrift angebracht, in griechischer, lateinischer und hebräischer Schrift: „Dieser ist der König der Juden.“
Nach den Parallelberichten lautete die vollständige Inschrift wahrscheinlich: „Jesus von Nazaret, der König der Juden.“ Das war üblich. So eine Tafel, den sogenannten Titulus, auf dem das Verbrechen der Person stand, wurde oben am Kreuz befestigt.
Einer der gehängten Übeltäter lästerte Jesus und sprach: „Bist du der Christus? Rette dich selbst und uns!“ Der andere aber tadelte ihn und sagte: „Fürchtest auch du Gott nicht, da du doch im gleichen Gericht bist? Wir empfangen gerecht, was unsere Taten wert sind; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.“
Er sprach zu Jesus: „Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Königreich kommst!“ Und Jesus antwortete ihm: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“
Hier sehen wir, dass der eine Übeltäter Jesus verspottet, wie wir in den vorherigen Versen lesen. Der andere aber kehrt um während der Stunden, die sie am Kreuz hängen, und bittet Jesus schließlich, sich seiner anzunehmen, wenn er vom Königreich spricht.
Es könnte sein, dass er sich einfach auf den jüdischen Messias bezieht, der sein Reich aufrichten wird. Es könnte auch sein, dass er Jesus gehört hat und weiß, dass dieser vom Reich Gottes spricht, das nahe herbeigekommen ist.
Wir müssen uns jetzt darüber unterhalten, wie die Juden sich das Jenseits vorgestellt haben, mit dem Totenreich, dem Scheol, und einem großen Gericht. Das lasse ich jetzt aber sein, weil ich die letzten Verse noch lesen möchte.
Jedenfalls hat dieser Übeltäter das Vertrauen, dass Jesus, der hier neben ihm hängt, ihm im Jenseits helfen könnte. In diesem Vertrauen, sozusagen als letzten Notnagel, bittet er Jesus, an ihn zu denken im Paradies.
Es gibt einen theologischen Streit darüber, ob das „heute“ in Jesu Antwort wirklich den gleichen Tag meint oder nicht. Manche setzen das Komma anders und sagen: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Andere übersetzen: „Ich sage dir heute, du wirst mit mir im Paradies sein.“ Das bezieht sich darauf, ob wir direkt nach dem Tod bei Jesus sind oder nicht.
Die Theologen sind sich hier nicht ganz einig, und die Bibel gibt keine klare Auskunft. Sie spricht auch vom „toten Schlaf“ und von der Auferstehung der Toten, wenn Jesus wieder auf die Erde kommt und die Toten aus den Gräbern auferstehen. Das deutet eher darauf hin, dass es eine Art toten Schlaf gibt, der aber sehr schnell vergeht und für den Betreffenden so erscheint, als ob es sofort geschieht.
Ich habe ja heute auch darauf hingewiesen, dass Zeit relativ ist, wie Albert Einstein sagte, abhängig vom Zustand, in dem wir uns befinden. Es ist also durchaus möglich, dass der Tote das gesamte Jenseits auf einmal erlebt.
Es war um die sechste Stunde, und eine Finsternis kam über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Die Sonne wurde verfinstert, und der Vorhang im Tempel zerriss mitten in zwei. Jesus rief mit lauter Stimme: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“ Und als er das gesagt hatte, verschied er.
Als der Hauptmann das sah, was geschehen war, pries er Gott und sagte: „Wahrlich, dieser Mensch war gerecht.“ Die ganze Schar, die zu diesem Schauspiel gekommen war, schlug sich an die Brust und kehrte zurück.
Weit entfernt standen alle, die Jesus kannten, auch die Frauen, die ihm von Galiläa hierher gefolgt waren und das alles sahen.
Ein kurzer Hinweis zur Zeitangabe: Die sechste Stunde entspricht etwa zwölf Uhr mittags. Die Finsternis dauerte bis zur neunten Stunde, also etwa bis 15 Uhr. Es war keine Sonnenfinsternis, davon können wir ausgehen, denn das Passahfest fand nach dem jüdischen Mondkalender immer bei Vollmond statt, und bei Vollmond gibt es keine Sonnenfinsternis.
Es muss also ein übernatürliches Wunder gewesen sein. Wie Gott das gemacht hat, wissen wir nicht. Vielleicht hat er die Sonne wirklich „ausgeschaltet“ oder einen Sandsturm geschickt oder etwas Ähnliches. Jedenfalls war es so, dass man es nicht sehen konnte und die Menschen beeindruckt waren. Sie erkannten darin einen Eingriff Gottes.
Der Tempelvorhang zerriss. Das war der Vorhang, der den Tempel vom Allerheiligsten trennte und die Gegenwart Gottes vor den Menschen verbarg. Es könnte bedeuten, dass Gott zu diesem Zeitpunkt aus dem Tempel herausging – also sagte, jetzt bin ich nicht mehr nur hier im Tempel Israels bei den Juden. Oder es könnte bedeuten, dass umgekehrt jetzt der Zugang zu Gott im Tempel offen ist. Beides ist möglich: Gott verlässt den Tempel, oder die Menschen können jetzt hineinkommen.
Jesus spricht mit lauter Stimme: „Ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ Hier sehen wir, dass Jesus selbst im letzten Moment noch souverän Gott ist. Er stirbt nicht einfach, weil es so kommt, sondern er handelt selbst. Er befiehlt seinen Geist in Gottes Hände. Das heißt, er entscheidet als Gott selbst zu sterben.
Der Hauptmann, der das sieht, erkennt darin, dass Jesus Gott ist. Wir merken, dass einer der Spötter, die sich vorher lustig gemacht haben, durch diese Naturwunder und das Sterben Jesu beeindruckt ist. „Dieser Mensch ist ganz besonders.“
Die ganze Schar, die herbeigekommen war, um das Schauspiel zu sehen – und ja, die Menschen damals waren nicht weniger grausam als heute, wenn es um das Zuschauen bei Leid und Tod geht – schlug sich an die Brust. Das war ein alttestamentliches Zeichen für Trauer.
Übrigens war das das einzige erlaubte Trauerzeichen bei einem Hingerichteten. Viele andere Zeichen der Trauer, wie Asche auf den Kopf streuen, Schreien oder Kleider zerreißen, waren verboten. Bei einem Hingerichteten durfte man nur sich an die Brust schlagen.
Das ist hier Trauer, und insbesondere tun es die Anhänger Jesu, darunter auch die Frauen. Das war damals eine Revolution, dass offiziell Frauen dabei sind, die den Tod Jesu miterleben und später bei der Auferstehung anwesend sind. Frauen spielen im gesamten Lukas-Evangelium eine wichtige Rolle.
Wir sehen hier auch, dass die Familie in der Nähe ist. Das war üblich bei Hingerichteten, damit die Familie trauern und die Beerdigung vorbereiten konnte. Das wollte man ihnen entgegenkommen lassen.
Soweit dazu.
Abschluss und Gebet
Damit schließen wir hier ab. Ich hoffe, dass uns das zumindest jetzt hilft, nachdem wir im ersten Teil der Freizeit das Wirken Jesu stärker gesehen haben. Dieses ganze Wirken Jesu ist geschichtlich eingebunden. Jesus hat nicht zufällig gelebt. Er war kein großer Wundertäter oder Weisheitslehrer in erster Linie, sondern er war Gott, der Sohn Gottes, der für unsere Sünden gestorben ist. Genau das findet hier statt.
Er ist diesen Weg gegangen, damit wir Zugang zu Gott bekommen und unsere Schuld vergeben wird. Treu dem, was Gott ihm vorgezeichnet hat, ist er seinem Auftrag nachgegangen. Er hat allen Spott ertragen, ist darauf nicht eingegangen und hat sogar noch um Vergebung für seine Feinde gebeten. Gott hat übernatürlich eingegriffen, um ihn zu beglaubigen.
Wer dazu noch Fragen hat, kann gerne noch ein bisschen hierbleiben zum Gespräch. Ich werde jetzt erst einmal mit uns beten, ja, erst einmal mit euch beten.
Herr Jesus Christus, vielen Dank dafür, was du getan hast. Vielen Dank, dass wir zuverlässige Informationen haben, wie das damals geschehen ist. Wir sind erschreckt darüber, wie die Leute dir mit Missgunst begegnet sind, wie sie dich mit Hass behandelt haben. Die Pharisäer haben dich festgenommen, als wären sie Räuber. Sie haben dich mit Lügen verurteilt, weil sie es nicht anders konnten.
Auch Pilatus hatte nicht genug Rückgrat. Er hat sich schließlich vom Mob einschüchtern lassen und zugestimmt. Wir sehen auch diesen fürchterlichen Herodes, der nur daran interessiert war, irgendein Wunder zu sehen und seinen Spass mit dir zu treiben.
Wir danken dir dafür, dass du in all diesen Situationen Geduld geübt hast. Du bist nicht einfach ausgerastet, hast diese Leute nicht tot umfallen lassen oder bist zurück in den Himmel gegangen. Du bist treu auf der Erde geblieben, hast bis zum letzten Moment ausgeharrt und dich sogar ans Kreuz schlagen lassen, damit wir von Sünde frei werden können.
Wir danken dir für diese große Liebe, dass wir nicht selbst für unsere Schuld, unsere Sünde und unser Vergehen bezahlen müssen. Dass wir nicht in ewiger Verdammnis von Gott getrennt sein müssen, sondern dass wir, weil du damals so gelitten hast und dich freiwillig für uns bestrafen lassen hast, frei ausgehen können und heute Kinder Gottes sein dürfen.
Vielen Dank, dass wir uns heute Abend daran erinnern können. Wir bitten dich, dass das Auswirkungen auf unser Leben hat. Dass wir bereit sind, uns auch für dich einzusetzen und ein kleines bisschen von dem zurückzugeben, was du für uns getan hast.
Hilf uns, bereit zu sein, Spott für dich zu ertragen, Menschen zu vergeben, die an uns schuldig werden, und Menschen zu vergeben, die sich über dich lustig machen. Lass uns ihnen in Geduld bekennen, was du für sie getan hast. Amen.