Einführung und Kontext der Geißelung
Wir kommen heute zu Johannes 19. Nachdem wir beim letzten Mal bereits das Verhör vor Pilatus studiert haben, liest jetzt jemand Johannes 19 ab Vers 1 vor.
Nach dem Verhör, das wir im Kapitel 18 am Schluss bei Pilatus gesehen haben, folgt nun die Geißelung. Diese wird hier knapp und kurz beschrieben, doch wir dürfen nicht vergessen, dass die Geißelung der Römer so brutal war, dass manche Menschen allein daran sterben konnten.
Die Geißel bestand aus Lederriemen, die an einem Holzgriff befestigt waren. An den Enden befanden sich Widerhaken oder metallene Stücke. Durch die Geißelung wurde das Fleisch des Rückens in eine blutige Masse aufgerissen. So erfüllte sich eindrücklich das Psalmwort, das wir gleich betrachten wollen.
Wir schlagen Psalm 129 auf, denn hier macht sich der Messias eins mit seinem Volk. Plötzlich hören wir in Psalm 129, Vers 3 seine Stimme: „Flüger haben auf meinem Rücken gepflügt, haben langgezogen ihre Furchen.“
Es ist erstaunlich, wie nüchtern das Wort Gottes diese Dinge beschreibt. Nicht übertrieben oder dramatisch, um die natürlichen Gefühle des Menschen zu bewegen. Die Berichte der Evangelien sind knapp gehalten und ohne unnötige Ausschmückungen. Das unterscheidet sie beispielsweise von Filmen wie „The Patient“, die das Gegenteil zeigen.
Trotz der nüchternen Darstellung zeigt uns das Wort Gottes, was wirklich geschehen ist. Wenn wir das Psalmwort lesen, spricht es nicht nur die Gefühle des Menschen an, sondern vor allem die geistlichen Empfindungen des Herzens: „Flüger haben auf meinem Rücken gepflügt, haben langgezogen ihre Furchen.“
Wir haben auch gelesen, dass eine Dornenkrone aufgesetzt wurde – zum Spott. In den biblischen Ländern können Dornen fünf bis acht Zentimeter lang sein. Sie durchstachen die Kopfhaut an vielen Stellen. Das Blut, das herunterlief, verfilzte sich mit dem Haar.
Doch auch diese Szene wird nicht unnötig ausgeschmückt dargestellt.
Jesaja 52–53: Die prophetische Beschreibung des leidenden Messias
Wenn wir Jesaja aufschlagen, insbesondere Jesaja 53, dieses eindrückliche Kapitel über den leidenden Messias, sollten wir eigentlich bereits bei Jesaja 52,13 beginnen. Die menschliche Vers- und Kapiteleinteilung ist hier nicht ganz gelungen, doch das hat nichts mit dem eigentlichen Bibeltext zu tun.
Also, Jesaja 52,13 liest du mal, Peter?
„Siehe, mein Knecht wird einsichtig handeln, er wird erhoben und erhöht werden und sehr hoch sein. Gleichwie sich viele über dich entsetzt haben, so entstellt war sein Aussehen mehr als irgendeines Mannes und seine Gestalt mehr als der Menschenkinder. Ebenso wird er viele Nationen in Staunen setzen, über ihn werden Könige ihren Mund verschließen, denn sie werden sehen, was ihnen nicht erzählt worden war, und was sie nicht gehört hatten, werden sie wahrnehmen.“
Schon 700 Jahre vor Christi Geburt beschreibt dieser Abschnitt den endgültigen Sieg. Vers 13 lautet: „Siehe, mein Knecht wird einsichtig handeln, er wird erhoben“ – das geschah am dritten Tag aus dem Grab – „und erhöht werden“ – das war vierzig Tage später bei der Himmelfahrt – „und sehr hoch sein“ – das war sein Platz zur Rechten Gottes.
Dann folgt die tiefe Erniedrigung: „So entstellt war sein Aussehen“ – hier ist die ganze Erscheinung des Körpers gemeint. Man kann übersetzen: „anstatt mehr als irgendeines Mannes“, wobei das hebräische Wort „m“ auch „weg von“ bedeutet, also „weg von dem eines Mannes“. Ebenso „seine Gestalt weg von der der Menschenkinder“. Mit anderen Worten: Sein Aussehen war nicht mehr menschenähnlich. Diese völlige Entstellung des Erlösers wird damit ausgedrückt.
Doch wir sehen auch, dass der Text sehr knapp gehalten ist. Es gibt keine unnötigen Ausschmückungen, sondern eine präzise und eindrückliche Darstellung.
Katholische Mystik und biblische Darstellung der Leiden Christi
Es ist vielleicht noch erwähnenswert, dass der Autor des Films The Patient ein sehr strenger Katholik ist. In der katholischen Kirche gibt es eine Art der Meditation über die Leiden Christi, die darauf abzielt, die Menschen in Ekstase zu versetzen.
Diese Praxis findet sich bereits in der Frühzeit der Kirche, etwa im dritten Jahrhundert nach Christus. Schon damals versuchte man, sich so intensiv in die Leiden Christi zu versenken, dass man dadurch eine Ekstase erlebt.
Der Film steht genau in dieser Tradition. Deshalb werden die Leiden Christi dort sehr plastisch, fast übertrieben plastisch dargestellt – so, wie die meisten Menschen sie aus gewissem Abstand noch nie gesehen haben.
Diese Darstellung ist Teil einer katholischen Mystik, die sich jedoch deutlich von der Sichtweise des Wortes Gottes unterscheidet. Das Wort Gottes zeigt uns, was der Herr gelitten hat. Es wird eindrücklich und oft mit poetischen Worten geschildert, wie zum Beispiel in Jesaja 53.
Diese Darstellung dient jedoch nicht dazu, uns in eine mystische Ekstase zu versetzen. Vielmehr soll sie uns wirklich zeigen, was der Herr aus Liebe zu uns gelitten hat.
Diskussion über das Aussehen Jesu und seine Herkunft
Ist bis dahin mal eine Frage, oder? Eine Ergänzung. Es ist ja auch so, dass sich die Mönche gegeißelt haben. Ja, das geht natürlich auch. Das stammt auch aus einer Mystik heraus, ganz genau.
Noch etwas, ja? Mir war nie klar – ich habe mir oft Gedanken gemacht, wie unser Herr ausgesehen hat. Ich habe den Tipp bekommen, das soll ich da lesen, und ich habe es gelesen. Aber für mich sieht es so aus, als hätte er ja nur nach der Geißelung so ausgesehen. Ja, ganz genau. Eben, nicht vorher. Nein. Weil da konnte ich eine Zeit lang nicht unterscheiden.
Das Eindrückliche ist: Die Bibel beschreibt uns überhaupt nicht, wie Jesus Christus ausgesehen hat. Die Menschen damals haben ihn gesehen, sie wussten es. Aber Gott hat es nicht erlaubt, dass irgendwelche Überlieferungen auf die spätere Zeit kommen, die Authentisches beschreiben könnten.
Übrigens haben manche gedacht, Jesaja 53, Vers 3 sei eine Beschreibung, wie er ausgesehen hätte. Vers 2 meine ich. Wer liest: „Er ist wie ein Trieb vor ihm aufgeschossen und wie ein Wurzelspross aus dürrem Erdreich. Er hat keine Gestalt und keine Pracht, und als wir ihn sahen, da hatte er kein Aussehen, dass wir Gefallen an ihm gefunden hätten. Er war acht und von den Menschen verlassen, ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut, wie einer, von dem man das Gesicht verbirgt. Er war verachtet, und wir haben ihn nicht geachtet.“
Also diese Aussage „er hatte keine Gestalt und keine Pracht“ hat nicht Bezug auf seine körperliche, natürliche Erscheinung, sondern bezieht sich darauf, dass er nicht als ein reicher König kam. Er wurde in eine Krippe geboren und in eine Krippe gelegt. Er wurde geboren von einer armen Mutter. Wir wissen, dass sie arm war – Joseph und Maria. Aus welchem Grund oder wer kann es erklären? Wieso wissen wir, dass sie wirklich arm war? Wenn sie keinen Platz in der Herberge hatte, hat das auch damit zu tun, dass sie es sich nicht leisten konnte.
Gut, wenn es überfüllt war, dann können manchmal auch gutgestellte Leute nicht mehr rein. Aber noch stärker ist es, wo es eindeutig ist: Ja, wir haben Tauben geopfert. Das Entbindungsopfer, das man nach der Tora als Mutter darbringen musste, bestand bei Maria nach Lukas 2 aus Tauben. Und das war nur erlaubt, wenn man nicht das Geld für ein Schaf aufbringen konnte. Das zeigt etwas von der Armut, das arme Opfer der Maria.
Und so kam der Herr eben. Er wurde in ganz einfachen Verhältnissen hineingeboren. Er wuchs auf in Nazareth, einem ganz besonders verachteten Ort, wo es übrigens vor zweitausend Jahren, zur Zeit Jesu, noch Leute gab, die in Höhlen lebten, nicht in Häusern. Also Steinzeit ist alle Zeit, ja!
Das erklärt auch, warum Nathanael von Jesus von Nazareth hört und sagt: „Was kann aus Nazareth Gutes kommen?“ In diesen bescheidenen Verhältnissen ist er aufgewachsen, und so ist er erschienen. Er sagte auch: „Der Sohn des Menschen, die Vögel des Himmels haben Nester, die Füchse haben Höhlen, aber der Sohn des Menschen hat nicht, wo er sein Haupt hinlege.“
Das war nicht die Erwartung des großen Königs der Könige. Darum war er eben, wie es hier heißt: „Er hatte keine Gestalt und keine Pracht, und als wir ihn sahen, da hatte er kein Ansehen, dass wir seiner begehrt hätten. Er war verachtet und verlassen von den Menschen.“ Übrigens, hier bedeutet „von den Menschen“ das hebräische Wort „Ischim“, das besonders hochgestellte Menschen meint. Also dass besonders die Fürsten ihn abgelehnt haben.
Und das entspricht übrigens auch unserem Text. Wir haben immer wieder gelesen in Johannes 19: „die Juden, die Juden“. Ja? Aber ich habe das schon früher erklärt: Im Johannesevangelium hat der Ausdruck „die Juden“ eine Spezialbedeutung und meint immer die führenden Juden, die politisch und geistlich führenden Juden, und nicht die Masse.
Das entspricht auch wieder hier diesem Ausdruck: „Er war verachtet von den Menschen“, das heißt den hochgestellten Menschen. Ein Mann, der Schmerzen hatte und mit Leiden vertraut war, und wie einer, vor dem man das Angesicht verbirgt. Er war verachtet, und wir haben ihn für nichts geachtet.
Aber wie gesagt, diese Verse sagen nichts über das natürliche Aussehen des Herrn aus. Aber er war schön, das steht in Psalm 45. Dort kann man natürlich sagen, dass es eine Beschreibung seiner geistlichen Schönheit ist. Aber das andere folgt ganz normal daraus, dass der Herr ohne Sünde geboren wurde.
Er hatte keine Sünde in sich, die Erbsünde kannte er nicht, und somit war er auch nicht den Folgen des Fluches des Sündenfalles unterworfen. Das ist ganz wichtig.
Spott und Verhör vor Pilatus
Jawohl, gut, gehen wir weiter zu Johannes 19. Wir haben ja schon in Johannes 18 gesehen, dass Pilatus fragte: „Bist du ein König?“ In Vers 37 gibt der Herr ihm die Antwort: „Du sagst es, dass ich ein König bin.“ Sein Reich war jedoch nicht von dieser Welt, wie er in Vers 36 sagt.
Darum kommt es zu dem Spott der Soldaten: Statt einer Königskrone setzen sie ihm eine Dornenkrone auf, anstelle eines königlichen Gewandes legen sie ihm ein Purpurkleid an. Dann folgt der Spott, wenn es um die Ehrung des Königs geht. Sie kommen zu ihm und sagen: „Sei gegrüßt, König der Juden!“
Das Ganze wird umso schrecklicher, wenn man sich bewusst macht, was im griechischen Text für „sei gegrüßt“ steht. Der normale Ausdruck im Griechischen für den Gruß heißt „chaire“, was so viel bedeutet wie „freue dich“. Das ist ähnlich wie im Englischen, wenn man jemanden verabschiedet und sagt „enjoy yourself“.
Das ist der normale Gruß „chaire“ – „freue dich“. Angesichts des Kreuzestodes auf Golgatha sagen sie also: „Freue dich, König der Juden.“ Das ist vergleichbar mit dem Judas-Kuss, diesem Gruß der Soldaten.
Sie geben ihm Backenstreiche, und in Matthäus 27 lesen wir sogar, dass sie ihm mit einem Stab – der das Zepter symbolisieren soll – „auf den Kopf schlugen“.
Matthäus 27: Wer liest? „Sie spielten ihn an, nahmen das Rohr und schlugen ihn auf das Haupt.“
Micha 4–5: Prophetie über den Geburtsort und das Gericht über Jerusalem
Ja, jetzt schauen wir mal in Micha 5. Dort finden wir die bekannte Prophetie über den Geburtsort des Erlösers, nämlich Bethlehem Ephrata. Allerdings müssen wir den Zusammenhang lesen, der oft übersehen wird. Micha 4,1-4 sollten wir ebenfalls betrachten. Peter, kannst du mal vorlesen?
„Nun dränge dich zusammen, Tochter des Gedränges, man hat eine Belagerung gegen uns gerichtet. Mit dem Stab schlagen sie dem Richter Israels auf die Backen.“
Und dann heißt es weiter:
„Und du, Bethlehem Ephrata, zu klein, um unter den Tausenden von Juda zu sein, aus dir wird mir hervorkommen, der Herrscher über Israel sein soll. Und seine Ausgänge sind von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her.“
Jawohl, dieses Wort ist ja bekannt, nicht wahr? Es wird auch zitiert von den führenden Priestern vor Herodes in Matthäus 2 in der Weihnachtsgeschichte. Aber der Zusammenhang ist interessant: In Micha 4 geht es um die Belagerung Jerusalems durch den König des Nordens in der Drangsalzeit.
In der kommenden großen Drangsal wird Syrien, der König des Nordens, mit all seinen Verbündeten Israel überrennen und Jerusalem belagern. Die Juden in Jerusalem sagen: „Man hat eine Belagerung gegen uns gerichtet.“ Dann folgt die Aussage: „Mit dem Stab schlagen sie den Richter Israels auf die Backen.“
Warum dieser unvermittelte Zusatz? Das erklärt, warum dieses Gericht über Jerusalem noch in der Endzeit kommen wird: Weil man den Richter Israels, den Messias, mit dem Stab geschlagen hat.
Und dann stellt sich natürlich die Frage: Wer ist denn dieser Richter Israels? Deshalb kommt Micha in Vers 1 auf den Mann aus Bethlehem zu sprechen. Man sieht diese unglaubliche Dichte im Bibeltext, was übrigens für Micha sehr typisch ist.
Es gibt eine enorme Dichte, und die Sprecher wechseln schnell. Einmal sind es die Juden in Jerusalem, dann folgt die prophetische Antwort, dann spricht Gott: „Und du, Bethlehem Ephrata, zu klein, um unter den Tausenden von Juda zu sein, aus dir wird mir – das ist Gott, der spricht – hervorkommen der Herrscher über Israel sein soll.“
Das ist der Mann aus Bethlehem, der gleichzeitig Gott ist. „Und seine Ausgänge sind von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her.“ Wenn man in Bethlehem geboren wird, ist man ein Mensch. Aber wenn man Ursprünge von der Ewigkeit her hat, dann ist man Gott. Gott und Mensch in einer Person.
Das ist der Richter Israels, den sie auf die Backen geschlagen haben. Ja, bis dahin noch etwas?
„Sie werden Schwerter zu Pflugscharen machen.“ Ganz genau! Das wurde ja vor dem UNO-Gebäude in New York dargestellt. Das haben übrigens die Sowjet-Russen damals geschenkt, die von der Bibel überhaupt nichts hielten. Sie haben diese Skulptur der UNO geschenkt mit dieser Bezeichnung. Das ist dann der Friede im Tausendjährigen Reich nach der großen Drangsal.
Diese Zeit wird hier beschrieben. Und dann wird eben die große Drangsal beschrieben, wie Jerusalem in Bedrängnis kommt. Dabei wird erklärt, dass das wegen dem Richter Israels sein wird, den man geschlagen hat. Und der Richter Israels ist der Mann aus Bethlehem.
Pilatus’ Zwiesprache mit Jesus und die staatliche Gewalt
Gut, gehen wir zurück zu Johannes 19. Pilatus realisiert, dass der Angeklagte unschuldig ist. Er hoffte, dass mit dieser grausamen Geißelung der Hass der Menge irgendwie gestillt werden könnte, sodass es gar nicht zur Kreuzigung kommen müsste. Die Geißelung war bereits ein Entgegenkommen, und die ganze Demütigung durch die Soldaten ebenfalls. Aber ihm war klar, dass alles nur Unrecht sein kann, wenn es noch weitergeht.
So stellt er den entstellten Erlöser der Menge vor mit den Worten: „Siehe, der Mensch.“ Doch das hat die Menge überhaupt nicht erschüttert. Im Gegenteil, sie fordern erst recht die Kreuzigung (Johannes 19,5-6). Pilatus will sich einfach herauswinden und sagt: „Nehmt ihr ihn hin und kreuzigt ihn, denn ich finde keine Schuld an ihm.“ Die Juden erklären jedoch, dass die Schuld doch da sei, aber sie gründet sich auf ihr Gesetz. Das macht Pilatus Angst, denn in biblischen Fragen kommt er überhaupt nicht weiter.
Das ist typisch bei diesen Landpflegern. Man sieht das auch später in der Apostelgeschichte, als Paulus angeklagt war. Der damalige Landpfleger Porcius Festus kannte sich mit jüdischen Fragen überhaupt nicht aus. Deshalb versuchte er, andere Leute hinzuzuziehen, die ihm Rat und Hilfe geben konnten, weil er das Judentum nicht kannte. So war es auch für Pilatus. Es machte ihm Angst, wenn die Juden sagten: „Nach unserem Gesetz ist er ganz klar ein Straffälliger.“
Nun versucht Pilatus es nochmals in einer persönlichen Zwiesprache mit dem Herrn Jesus. Wie reagiert der Herr? Er gibt gar keine Antwort. Warum wohl nicht? Jesus hatte doch zumindest gesagt, woher er kommt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Es war alles gesagt worden. Warum fragt Pilatus nochmals? Es sind nur Ausflüchte; Pilatus weiß, was er wissen muss.
Im Johannesevangelium spricht der Herr oft ganz persönlich mit Menschen. Er hat mit ihnen eingehend gesprochen. Doch es kommt der Moment, wo Gott schweigt, wenn jemand einfach nicht will. Dann ist es nicht so, dass er immer wieder hören kann. Der Moment kommt, wo der Herr schweigt. Es gibt nur eine Ausnahme.
Gleich im Folgenden sagt Pilatus: „Eigentlich habe ich alles in der Hand. Ich kann mit dir machen, was ich will, dich losgeben oder dich kreuzigen.“ Der Herr weist jedoch darauf hin, dass er eigentlich gar keine Gewalt in sich hat. Diese Gewalt ist von oben gegeben.
Das heißt, der Herr zeigt ihm das Prinzip aus Römer 13 auf. Schauen wir kurz in Römer 13, Verse 1 bis 4:
„Jede Seele unterwerfe sich den übergeordneten staatlichen Mächten, denn es ist keine staatliche Macht außer von Gott, und die bestehenden sind von Gott verordnet. Wer sich daher der staatlichen Macht widersetzt, widersteht der Anordnung Gottes. Die aber widerstehen, werden das Urteil empfangen. Denn die Regenten sind nicht ein Schrecken für das gute Werk, sondern für das Böse. Willst du dich aber von der staatlichen Macht nicht fürchten, so tue das Gute, und du wirst Lob von ihr haben. Denn sie ist Gottes Dienerin dir zum Guten. Wenn du aber das Böse tust, so fürchte dich, denn sie trägt das Schwert nicht umsonst. Denn sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe für den, der Böses tut.“
Hier wird klar gezeigt, dass die staatliche Ordnung, die Autorität, von Gott gewollt und eingesetzt ist. Gott hat in seiner Souveränität die Hand darin, wer an die Macht kommt und wer sie verliert. So sagt der Herr auch konkret zu Pilatus, dass dieser die Gewalt nur hat, weil Gott ihm diese Gewalt gegeben hat.
Man beachte: Im Neuen Testament wird so weit gegangen, dass die Obrigkeit sogar das Schwert hat. Und das ist nicht zum Kitzeln, sondern bedeutet die Autorität über Leben und Tod, also auch die Todesstrafe.
Mit diesem Gehorsam gegenüber der Obrigkeit haben viele Probleme. Wenn ich an die Hitlerzeit denke, war das ja auch Obrigkeit. Ja, natürlich. Aber die Obrigkeit ist prinzipiell eingesetzt, um dem Bösen zu widerstehen, wie wir gesehen haben.
Nun, was macht Pilatus? Er bekämpft den Sohn Gottes. Alles wird auf den Kopf gestellt. Er bestraft das Gute und tut selbst das Böse. Der Herr sagt ihm in Vers 11 am Schluss: „Darum hat der, welcher mich dir überliefert hat, größere Sünde.“ Judas hat freiwillig den Weg gewählt, den Herrn zu verraten. Pilatus hingegen kam kraft seines Amtes in diese Situation, was ihn ein wenig entlastet. Doch der Herr spricht ganz klar von Sünde.
So ist es: Wenn Gott die Staatsgewalt einsetzt und auch die Schwertgewalt gibt, ist das kein Freibrief. In der Hitlerzeit wurde alles auf den Kopf gestellt. Wir sehen auch, dass der Gehorsam gegenüber dem Staat für Christen Grenzen hat. Diese Grenzen sind umschrieben in Apostelgeschichte 4,19 und noch prägnanter in Apostelgeschichte 5,29. Dort heißt es:
„Petrus aber und die Apostel antworteten und sprachen: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“
Wo der Staat also Dinge fordert, die den Gehorsam gegenüber Gott und seinem Wort berühren, hat der Christ das Recht, den Gehorsam zu verweigern. Aber nur dort. Man kann nicht sagen: „Bei der Geschwindigkeitsbegrenzung auf sechzig bin ich absolut nicht dabei, das belastet mein Gewissen.“ Das geht nicht.
So schreibt Petrus in 1. Petrus 2, Vers 11, dass wir uns aller obrigkeitlichen Einrichtung unterwerfen sollen. Dort heißt es:
„Unterwerft euch nun aller menschlichen Einrichtungen um des Herrn willen, es sei dem König als Oberherrn oder den Statthaltern, die von ihm gesandt werden zur Bestrafung der Übeltäter, aber zum Lob der, die Gutes tun.“
Das ist die Aufgabe des Staates. Wenn der Staat jedoch Dinge fordert und tut, die unrecht sind, hat der Christ das Recht, dagegen zu handeln, indem er zum Beispiel Juden versteckt und so weiter. Die Autorität ist kein Freibrief, dass sie missbraucht werden darf. Gott wird zur Rechenschaft ziehen.
Pilatus war von Amtes wegen in diese Situation gekommen. Nun, in Vers 12 bringen die führenden Juden, also die Juden, ihn mit einem Trick in Bedrängnis. Dort heißt es:
„Daraufhin suchte Pilatus ihn loszugeben. Die Juden aber schrien und sagten: Wenn du diesen losgibst, bist du des Kaisers Freund nicht. Jeder, der sich selbst zum König macht, widersetzt sich dem Kaiser.“
Als Pilatus diese Worte hörte, führte er Jesus hinaus und setzte sich auf den Richterstuhl an einen Ort, genannt Steinpflaster, auf Ephraisch, im Gabertal.
Da haben sie den Nerv getroffen: sein Verhältnis zum Kaiser in Rom. Wer war damals Kaiser? Claudius? Nein, noch nicht. Tiberius.
Vor einigen Jahren wurde in Caesarea ein Stein mit einer Inschrift gefunden, auf dem man gerade noch „us Pilatus“ lesen kann. Dort gibt es auch eine Andeutung an Tiberius. Das war ein Weihstein eines Tempels, den Pilatus zu Ehren von Kaiser Tiberius errichtet hatte.
Pilatus verehrte den Kaiser wie einen Gott und stiftete ihm sogar einen Tempel. Davon haben wir die Inschrift. Dieses Verhältnis zu Tiberius wurde ihm zum Verhängnis. Er hatte Angst, dass, wenn er jetzt gerecht handeln würde, er beim Kaiser angeschwärzt werden könnte.
Um auf jeden Fall gut dazustehen und keine Unruhe in Judäa aufkommen zu lassen, war er bereit, den größten Justizmord aller Zeiten durchzuführen.
Er setzte sich auf den Richterstuhl. Die römischen Landpfleger damals hatten einen speziellen Dolch als Symbol, dass sie die Dolchgewalt, also die Schwertgewalt, besaßen und die Todesstrafe ausführen durften. Die Juden durften das nicht mehr, wie wir im letzten Kapitel gelesen haben. Sie sagten, sie könnten ihn nicht töten, weil es ihnen nicht erlaubt war.
Diese Dolchgewalt war den Juden durch die Römer entzogen worden. Pilatus hatte sie. Als solcher setzte er sich auf den Richterstuhl.
Der zukünftige Richterstuhl Christi und das Endgericht
Und wenn wir denken, jetzt steht der Sohn Gottes vor Pilatus, wird es einmal genau umgekehrt sein. Wenn der Herr Jesus auf einem Richterstuhl sitzen wird – schlagen wir mal auf – Offenbarung 20, Vers 11. Dort liest gerade jemand vor:
„Ich sah einen großen weißen Thron und den, der darauf saß. Vor dessen Angesicht entfloh die Erde und der Himmel, und keine Stätte wurde für sie gefunden. Ich sah die Toten, die Großen und die Kleinen, vor dem Thron stehen. Bücher wurden geöffnet, und ein anderes Buch wurde geöffnet, das Buch des Lebens. Die Toten wurden gerichtet nach dem, was in den Büchern geschrieben war, nach ihren Werken. Das Meer gab die Toten, die in ihm waren, und der Tod und der Hades gaben die Toten, die in ihnen waren. Sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Werken. Der Tod und der Hades wurden in den Feuersee geworfen. Dies ist der zweite Tod, der Feuersee. Wenn jemand nicht im Buch des Lebens geschrieben gefunden wurde, wurde er in den Feuersee geworfen.“
Alle Menschen werden einmal vor dem Richterstuhl Christi erscheinen. Die Gläubigen werden nach der Entrückung im Himmel vor den Richterstuhl Christi gestellt. Doch keiner von ihnen wird verdammt werden, weil Christus ihre Schuld getragen hat. Der Lohn wird jedoch unterschiedlich ausfallen, und das hat ewige Konsequenzen für die Gläubigen.
Ich gebe nur die Stellen an für diejenigen, die das gerne aufschreiben: Der Richterstuhl Christi wird für die Gläubigen in 2. Korinther 5,10 beschrieben, wo derselbe Ausdruck „Richterstuhl Christi“ vorkommt. Auch Römer 14,10 sagt, dass wir alle vor dem Richterstuhl Gottes stehen werden.
Die ungläubigen Menschen hingegen werden erst nach dem Tausendjährigen Reich vor dem Richterstuhl erscheinen. Das ist dieser große weiße Thron. Dieser Moment wird genau dann sein, wenn das ganze Weltall aufgelöst wird. Die Erde entfloh, ebenso der Himmel, und keine Stätte wurde für sie gefunden.
Das entspricht dem Moment, den 2. Petrus 3 beschreibt, wenn die Erde und auch die Himmel mit starkem Geräusch vergehen. Dort heißt es, dass die Elemente aufgelöst und im Brand zerschmelzen werden. Das ist dieser Moment.
Übrigens, nebenbei gesagt, ist es interessant, dass Petrus vor zweitausend Jahren von der Auflösung der Elemente spricht. Damals glaubte man, Atome seien unteilbar, denn „Atomon“ bedeutet unteilbar. Erst im zwanzigsten Jahrhundert erkannte man, dass man sie teilen kann und dass dabei viel Energie frei wird.
Im Feuer werden Himmel und Erde aufgelöst. Weiter heißt es: „Die Elemente werden zerschmelzen.“ Das ist auch eine Erkenntnis der modernen Physik des zwanzigsten Jahrhunderts. Man kann Atomkerne zerschmelzen und dadurch Energie gewinnen – so arbeitet die Sonne. Das ist dieser gewaltige Moment.
Jesus sagt ja, ich weiß nicht, in welchem Evangelium genau, „Ich bin bei euch alle Tage bis an das Weltende.“ Sicher ist damit dieses Ende gemeint. Besser sollte man es übersetzen mit „bis zur Vollendung des Zeitalters“, denn der Ausdruck „Synteleia tou aionos“ war den Juden bekannt. Sie sprachen immer von „diesem Zeitalter“ und „dem kommenden Zeitalter“.
Dieses Zeitalter ist die Zeit, in der wir leben. Das kommende Zeitalter ist die Zeit, wenn der Messias kommt, um hier auf Erden zu herrschen. Der Herr Jesus sagt, er geht jetzt weg, aber er ist trotzdem bei uns bis zur Vollendung des Zeitalters, also bis dieses Zeitalter vorüber ist und das künftige Zeitalter beginnt.
Das ist gemeint mit dem Tausendjährigen Reich. Die Auflösung des Weltalls kommt jedoch danach, nach dem Tausendjährigen Reich, denn in Offenbarung 20 wird zuerst das Tausendjährige Reich beschrieben, und danach der große weiße Thron.
Fragen zum Buch des Lebens und zum Gericht
Ich habe noch eine Frage zu Offenbarung 20,12, wo es heißt, die Toten wurden gerichtet nach dem, was in den Büchern geschrieben war, nach ihren Werken. Könnte man das auch so verstehen, dass jemand, der jetzt noch nichts von Jesus oder der Bibel wusste, nach seinen Werken gerichtet wird, also danach, wie er seinem Gewissen gegenüber gelebt hat? Gericht bedeutet ja nicht unbedingt Verurteilung, sondern kann auch heißen, dass jemand für gut oder schlecht befunden wird. Oder verstehe ich das falsch?
Denn sie werden ja alle dann in die Hölle, in den Feuersee, geworfen. Also wird das Gericht tatsächlich ausgeübt. Aber das Gericht ist gerecht und entspricht dem, wie diese Menschen gelebt haben. Hitler wird anders bestraft werden als ein guter Bürger, der verloren geht. So ist es tatsächlich so, dass Gott Kenntnis nimmt, wie jemand lebt. Darauf kommt es an.
Mit guten Werken kann man nicht errettet werden, aber durch übles Handeln vergrößert man sein Gericht. Darum ist es ganz wichtig, dass es kein pauschales Gericht gibt, sondern Unterschiede gemacht werden. Dadurch könnte auch jemand gerettet werden. Das Gericht muss also nicht zwangsläufig Verurteilung bedeuten.
Sie haben ja das Problem mit den Heiden angesprochen, die nie etwas vom Evangelium gehört haben. In Römer 1,18 und den folgenden Versen wird erklärt, dass Gott durch das Zeugnis seiner Schöpfung zu diesen Menschen spricht. In Römer 2 wird außerdem beschrieben, dass Gott auch durch das Gewissen zu ihnen spricht.
Wenn Heiden, die vom Evangelium nichts wissen, durch ihr Gewissen erkennen, dass sie schuldig sind, und durch die Schöpfung sehen, dass dahinter ein mächtiger Schöpfergott steht, können sie sich vor diesem Gott beugen und ihre Schuld bekennen. Dann können sie gerettet werden.
Aus der Missionsgeschichte kennt man Beispiele, bei denen das tatsächlich funktioniert hat. Zum Beispiel bei den Karien im Himalaya. Dort war klar, dass der Schöpfergott angerufen wird und man ihm seine Sünden bekennen muss, um Vergebung zu erhalten. Diese Menschen hatten nie etwas vom Evangelium gehört und waren von Buddhismus und anderen Religionen umgeben. Trotzdem hat es funktioniert.
Es ist auch so, dass nach Hiob 33,29 Gott mit jedem Menschen zwei- oder dreimal spricht, um ihn von seinem Weg ins Verderben abzuhalten. Gott hat seine Wege, um mit allen Menschen zum Ziel zu kommen, nämlich dass sie errettet werden können.
Wichtige Bibelstellen dazu sind Hiob 33,29, Römer 1,18 und folgende, Psalm 19, der das Zeugnis der Schöpfung beschreibt, und schließlich Offenbarung 14,7. Dort wird das Evangelium der Schöpfung als das ewige Evangelium bezeichnet, das alle Völker kennen können. Das ist das Kern- oder Mindestevangelium.
Ich wollte auch darauf hinaus, dass im Johannes-Evangelium, Kapitel 19, der Sohn Gottes, Gott selbst als Mensch, vor Pilatus steht, der auf dem Richterstuhl sitzt. Aber eines Tages wird Pilatus selbst vor dem Richterstuhl stehen, von dem er Jesus zum Tod verurteilt hat. Das ist sehr eindrücklich.
Ich habe schon lange eine Frage zur Offenbarung 20 und besonders zum Vers 15: „Und wenn jemand nicht im Buch des Lebens geschrieben gefunden wurde, so wurde er in den Feuersee geworfen.“ Findet man dann niemanden mehr in diesem Buch?
Ich kann das nicht einfach an den Stellen beweisen, aber als Hinweis: Nirgends wird in der Bibel gesagt, dass man bei der Bekehrung ins Buch des Lebens eingeschrieben wird. Aber es gibt klare Stellen, die zeigen, dass Gott alle Menschen ins Buch des Lebens eingeschrieben hat, und zwar schon bei der Erschaffung der Welt (1. Mose 1). Gott hat alle Menschen, die je geboren werden sollten, ins Buch des Lebens eingeschrieben, weil er für alle das Leben will.
Es gibt jedoch Stellen, die davon sprechen, dass Menschen aus dem Buch des Lebens gelöscht werden können. So hat ein Mensch zu seiner Lebenszeit die Möglichkeit, die Gnade Gottes in Anspruch zu nehmen – egal ob Heide, der nie etwas gehört hat, oder jemand, der das Evangelium kennt.
Das Prinzip bleibt immer dasselbe: Betroffen durch das Gewissen müssen wir erkennen, dass wir Sünder sind vor dem großen Gott, der alles erschaffen hat. Vor ihm müssen wir uns beugen. Wer das tut, erhält Vergebung. Wer das ablehnt, geht verloren.
In Offenbarung 20 wird das Gericht über diejenigen vollzogen, die zu ihrer Lebenszeit nicht die Chance angenommen haben, gerettet zu werden. Diese Menschen werden aus dem Buch des Lebens gelöscht. Gott wird ihnen gegenüber erklären: „Ihr seid nicht mehr im Buch des Lebens.“ Doch das ist ihre Schuld. Gott hat sie eingetragen, aber sie haben nicht gewollt.
Niemand geht einfach so verloren. Es bleibt dabei: Ihr habt nicht gewollt. Gott wollte das Leben, aber ihr habt euch für den Tod entschieden. Darum ist es so feierlich, wenn in 5. Mose 30,19 gesagt wird: „Ich habe euch den Tod und das Leben vorgestellt.“ Und dann heißt es nicht einfach: „Wählt, was ihr wollt.“ Sondern: „Wählt das Leben, damit du lebst.“
Das war mein Beitrag zum Thema Buch des Lebens.
Der Richterstuhl des Pilatus und der Ort des Verhörs
Gehen wir zurück zu Johannes. Ich sehe gerade, es ist eigentlich vier Uhr – Zeit für Kuchen und Kaffee. Wir machen nachher weiter, ab Vers 14.
Ja, wir sind stehen geblieben beim Richterstuhl des Pilatus. Der Ort, an dem er den Richterstuhl aufgestellt hat, wird hier noch besonders hervorgehoben. Es war ein Steinpflaster mit dem hebräischen Namen Gabbata.
Und dieser Ort befindet sich heute wo in Jerusalem? Der Ort dieses Verhörs? Ja, beim Jaffa-Tor, bei der Altstadt. Dort, wenn man durch das Jaffa-Tor hineinkommt, ist rechts das Jerusalemer Stadtmuseum. Genau an diesem Ort hatte Herodes, der Kindermörder von Bethlehem, seinen Palast.
Aber die Römer haben diesen Palast dann nach sechs nach Christus übernommen, als sie Judäa in eine Provinz umwandelten mit einem Landpfleger. Von da an hatten die römischen Landpfleger ihren Sitz in diesem Palast.
Als Titus im Jahr siebzig Jerusalem zerstörte, ließ er sogar die Stadtmauern schleifen. Doch er ließ drei Türme bei diesem Palast stehen, mit der Begründung, es sei unmöglich gewesen, Jerusalem zu zerstören, ohne die Hilfe der Vorsehung.
Damit die Nachwelt einmal sieht, warum das so ist, wollte er diese mächtigen Türme des Palastes erhalten. Einer dieser drei Türme ist heute noch das am besten erhaltene Bauwerk aus dieser Zeit. Man sieht ihn immer noch.
Er ist das Wahrzeichen des Ortes, an dem der Herr Jesus durch Pilatus zum Tod verurteilt wurde. Heute wissen wir also ganz genau, wo das war – das römische Praetorium.
Zeitangaben zur Kreuzigung und Opferzeiten im Tempel
Nun wird hier gesagt, es war Rüsttag des Passah, und es war um die sechste Stunde.
Vielleicht gibt es hier ein Problem, denn im Matthäusevangelium lesen wir in Matthäus 27,45: "Von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde." Um die neunte Stunde aber schrie Jesus mit lauter Stimme und sagte: "Eli, Eli, lama sabachthani?" Das heißt: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"
Wir haben hier also tatsächlich ein Problem, oder? Nach dem Johannesevangelium war Jesus noch um die sechste Stunde vor Pilatus. Nach dem Matthäusevangelium wurde Jesus gekreuzigt, und es vergingen drei Stunden, dann kam die Finsternis um die sechste Stunde.
Der Johannes zählt hier offenbar nach einer anderen Zeitrechnung.
Genau, einer benutzt die römische, der andere die jüdische Zeitrechnung.
Ja, genau. Und zwar war es so: Bei Johannes wird die römische Zeitrechnung verwendet. Das lässt sich auch an anderen Stellen im Johannes-Evangelium erkennen, wo er über Stundenzahlen spricht. Die römische Zeitrechnung beginnt bei Mitternacht. Das entspricht unserer heutigen Zeitrechnung: Mitternacht, erste Stunde, zweite Stunde usw.
Die jüdische Zeitrechnung hingegen beginnt am Abend. Der jüdische Tag wird so gerechnet, dass er mit dem Vorabend um sechs Uhr abends beginnt. Zum Beispiel beginnt am Freitagabend der Sabbat und endet am Samstagabend um sechs Uhr.
Die Stundenzahlen wurden jedoch nur für die helle Tageszeit verwendet. Man begann um sechs Uhr morgens zu zählen, das war die erste Stunde.
Darum entspricht nach Matthäus 27, die sechste Stunde zwölf Uhr mittags für uns. Die sechste Stunde in Johannes 19 ist hingegen sechs Uhr morgens.
Das Ganze ist übrigens noch etwas komplizierter, denn die jüdische Zeitrechnung war variabel: Die Tagesstunden waren im Laufe des Jahres unterschiedlich lang. Die helle Zeit wurde in zwölf Stunden eingeteilt. War der Tag im Sommer länger, waren auch die Stunden länger. Das ist für uns ungewöhnlich.
Im Jahresverlauf änderte sich das ständig. Da wir hier im Frühjahr sind, entspricht die sechste Stunde in Johannes 19 ziemlich genau sechs Uhr morgens in unserer Zeitrechnung.
Wir hatten also alle quasi "Gummi-Uhren", die sich dehnten und zusammenzogen.
Deshalb sage ich auch immer, der Opferdienst im Tempel begann etwa um neun Uhr morgens. Die dritte Stunde war der Zeitpunkt, an dem das erste Brandopfer aufgelegt wurde – das Morgenbrandopfer. Das letzte Opfer wurde um die neunte Stunde, also um drei Uhr nachmittags, aufgelegt. Das war das Abendbrandopfer.
Alle übrigen Opfer wurden zwischen diesen beiden Opfern dargebracht.
So war die Opferzeit im Durchschnitt von neun Uhr morgens bis drei Uhr nachmittags.
Wenn es dann heißt "zwischen den Abenden", ist dann die Zeit von drei Uhr bis sechs Uhr gemeint?
Genau. Dieser Ausdruck kommt schon in 2. Mose 12 vor, beim Passah. Dort wird erklärt, dass man das Passah "ben ha’arbayim" schlachten muss. Das ist ein unübersetzbarer Ausdruck, denn auf Deutsch sagt das nichts aus: "zwischen den zwei Abenden".
Dieser eigenartige Ausdruck bezeichnet die Zeitspanne, in der die Sonne von drei Uhr nachmittags bis sechs Uhr abends untergeht. In diesem Zeitraum wurde das Passah geschlachtet.
Man begann also die Passahschlachtung ab drei Uhr nachmittags. Das war der Moment, als Jesus am Kreuz starb.
Wir sehen also: Jesus wurde um neun Uhr gekreuzigt, das entsprach dem Beginn des Opferdienstes, als das Morgenbrandopfer aufgelegt wurde. Um drei Uhr starb er – das war der Zeitpunkt, an dem das letzte Opfer, das Abendbrandopfer, aufgelegt wurde.
Die Zeit der Kreuzigung entsprach also genau dem täglichen Opferablauf im Tempel. Das ist schon eindrücklich, das so zu sehen.
Noch etwas?
Wir haben hier ein schönes Beispiel, wie scheinbare Widersprüche in der Bibel gelöst werden können.
Dazu braucht es Hintergrundwissen, nämlich zur Umwelt der Bibel.
Das waren natürlich Dinge, die die Leute damals schon wussten.
Wir müssen uns dieses Wissen durch Zusatzinformationen wieder aneignen.
Offizielle Urteilsverkündung und der Bruch mit dem Kaiser
Ja, und dann habe ich noch eine Frage zu diesem Gerichtsstuhl. War alles, was Pilatus mit Jesus angestellt hatte, davor? Faktisch war das nur eine Art Befragung, halboffiziell oder nichtoffiziell, denn er wurde ja erst amtlich, als er sich auf den Richterstuhl setzte.
Ja, man kann so sagen: Das Sitzen auf dem Richterstuhl war wirklich der Moment, an dem die Urteilsverkündigung offiziell werden sollte. Das andere war alles konsultativ, aber die Urteilsverkündigung auf dem Richterstuhl war dann die formelle Straferklärung.
Und auch da wieder: Er gibt noch eine letzte Chance. „Siehe, euer König!“ Und die Masse schreit und lehnt ihn ab: „Hinweg, hinweg, kreuzige ihn!“ Das ist so dramatisch. Pilatus sagt: „Euren König soll ich kreuzigen?“ Und die führenden Priester sagen: „Wir haben keinen König als nur den Kaiser.“ Das war ja eigentlich der totale Bruch. Keinen anderen König als nur den Kaiser, diesen heidnischen König, der Fremdherrschaft gebracht hat und das Volk unterdrückte, der wird gewählt, damit man den Messias umbringen kann.
Also das ist ganz, ganz dramatisch, diese Entscheidung: „Wir haben keinen König als nur den Kaiser.“ Da wird der Messias verleugnet, genau so, wie es in Jesaja 53 eben steht: „Er war wie einer, vor dem man das Angesicht verwirkt, er war für nichts geachtet.“ Und nun wird der Herr Jesus hinausgeführt, zuerst vom Praetorium weg. In Vers 17 geht er aus der Stadt hinaus, sein Kreuz tragend.
Ja, ganz genau. Also wenn die Römer kreuzigten und dem Verurteilten das Kreuz zu tragen gaben, war das nicht das ganze Kreuz. Das war ein viel zu schwerer Balken, den man alleine gar nicht tragen konnte. Aber das Patibulum, den Querbalken, den gab man auf. Und auch das hieß im Griechischen Stauros. Stauros kann bedeuten Pfahl, Kreuz oder eben auch Querbalken.
Es gibt Leute, die immer wieder behaupten, das war kein Kreuz, das war ein Pfahl. Stauros bedeutet Pfahl, und man sagt, das sei Unsinn. Stauros kann Pfahl bedeuten, aber auch Kreuz. Im Fall der Kreuzigung Jesu war es ein Kreuz, denn er trug das Kreuz, das heißt das Patibulum. Das war ein Kreuz mit Querbalken. Der Pfahl war bereits an der Hinrichtungsstätte aufgestellt durch Soldaten, und der Verurteilte bringt nun den Querbalken hin zur Stätte.
Jesus geht aus der Stadt hinaus nach Golgatha. Man wusste von einem Stadttor, das Gartentor hieß, in dem Bericht von Josephus Flavius, einem Juden aus dem ersten Jahrhundert, der die Stadt Jerusalem beschreibt. Aber man wusste nicht ganz genau, wo das Tor war.
Nach dem Sechstagekrieg hat die israelische Armee die Altstadt erobert, in einer gewaltigen Aktion am Mittwoch, dritten Tag. Die Mauer wurde entfernt, die die Jordanier aufgerichtet hatten und so die Stadtteile getrennt hatten. Jerusalem wurde vereinigt. Aber auf der anderen Seite in der Altstadt gab es noch das jüdische Quartier.
Das war früher jüdisch, aber durch den Krieg 1948 wurden die Juden dort umgebracht und wer noch konnte, floh. Die Jordanier schändeten dieses ganze jüdische Quartier, aus den Synagogen machten sie Kotstätten usw. Als die israelische Armee kam, war dieses Quartier in ganz üblem Zustand. Da hat man sich gesagt, das bauen wir ganz neu auf.
Aber bevor man es aufbaut, macht man archäologische Grabungen. So wurden ganz großartige Dinge dort gefunden, die man sonst nie hätte ausgraben können, wenn das normal besiedelt gewesen wäre. Dabei hat man dieses Gartentor von Josephus Flavius gefunden. Das ist das direkteste Tor, das hinausführt nach Golgatha.
Der Name Gartentor passt hier ausgezeichnet, denn in Johannes 19 lesen wir in Vers 41 und 42: „Es war aber an dem Orte, wo ja gekreuzigt wurde, ein Garten, und in dem Garten eine neue Gruft, in welche noch nie jemand gelegt worden war. Dorthin nun, wegen der Rüstlichkeit der Juden, weil die Gruft nahe war, legten sie Jesus.“
Also dort bei Golgatha gab es einen Garten, und von daher bekam dieses Stadttor, das direkt zu diesem Garten führte, den Namen Gartentor. Ist es vom Tempelbezirk aus ausgegangen? Nein, Golgatha liegt auf der westlichen Seite der damaligen Stadt Jerusalem.
Übrigens entspricht Golgatha der heutigen Grabeskirche, die ja innerhalb der Altstadt ist. Im vierten Jahrhundert kam die Mutter von Kaiser Konstantin, Helena, nach Jerusalem, und sie wollte die Kreuzigungsstätte Jesu finden. Das römische Forum wurde aufgegraben, und da kam wahrscheinlich ein Venuspalast hervor, ein Venuspalast, den Kaiser Hadrian im Jahr 135 gebaut hatte, und zwar über Golgatha.
Die Juden hatten im Jahr 70 Jerusalem zerstört, der Judenstaat kam zum Ende, aber dann versuchte man nochmals einen Aufstand, von 132 bis 135. Dieser Aufstand wurde ganz brutal unter Hadrian niedergeschlagen, mehr als eine Million Juden kamen dabei ums Leben.
Hadrian war so wütend auf die Juden, dass er sie nur ärgern wollte, wo es nur geht. So baute er auf dem Tempelplatz, da wo das Allerheiligste war, einen Jupiter-Tempel. Er baute in Bethesda, da wo man nach Johannes 5 geheilt wurde, einen Esculap-Tempel, das ist der Gott der Medizin bei den Griechen.
Um die messiasgläubigen Juden zu ärgern, baute er über Golgatha einen Venus-Tempel. Venus war die Göttin der Liebe, aber der perversen Liebe. Das ist so satanisch, dieser Gedanke: Da, wo Gott seinen Sohn gegeben hat, weil er die Welt so liebte, steht dieser perverse Tempel.
Wie erscheint der Venus-Tempel? Übrigens in der Geburtshöhle, also in der Hirtenhöhle in Bethlehem, wo die damaligen messianischen Juden noch wussten, dass Jesus Christus geboren wurde, baute er einen Adonistempel.
So blieb das Wissen um den genauen Standort für die späteren Jahrhunderte erhalten, und Helena fand diesen Tempel von Hadrian. Er wurde entfernt, und da kam Golgatha, ein Steinbruch, ans Licht. Das war also ein ausgedienter Steinbruch, damals außerhalb der Stadtmauer.
Dort blieb ein Fels etwa zwölf Meter hoch übrig inmitten dieses Steinbruchs. Das Material war zu weich, um als Baustein verwendet zu werden, und so haben die Römer das benutzt, um Kreuzigungen durchzuführen. So ist der Herr Jesus also gestorben auf einem Felsen, auf einem Stein, den die Bauleute verworfen haben.
Das ist ganz interessant: Psalm 118,22 sagt: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden.“ Das bezieht sich auf den Herrn Jesus, dass durch ihn etwas ganz Neues entsteht, nämlich die Gemeinde. Aber er selbst wurde effektiv gekreuzigt auf einem Baustein, den die Bauleute verworfen haben.
Weiter ist interessant: Bei Untersuchungen vor ein paar Jahren hat man in diesem Felsen einen Steinring gefunden, der typisch war für die Römer, wenn sie Kreuze befestigten. Also ein Hinweis, dass hier tatsächlich an dieser Stelle gekreuzigt wurde.
Ich sage nicht, dass dieser Steinring der Steinring des Kreuzes Jesu sei, aber die Römer haben dort gekreuzigt, das war klar. Durch die Entdeckung des Gartentors wurde deutlich: Aha, diese Stelle war tatsächlich außerhalb der Stadt.
Viele Gegner haben früher gesagt: „Das kann ja gar nicht Golgatha sein, denn Golgatha muss ja außerhalb der Stadt sein, aber die Grabeskirche ist ja innerhalb der Stadt.“ Es war damals außerhalb, und natürlich ist diese Grabeskirche genauso ein Götzentempel wie das, was die Römer gebaut haben.
Offensichtlich hat der Satan ein Interesse, Orte, die in der Heilsgeschichte wichtig waren, zu schänden. Darum ist ja auch diese Moschee auf dem Tempelberg genau an der Stelle des Felsendoms, wo das Allerheiligste war, nämlich dieser Fels, der Standort des Allerheiligsten.
So können wir sagen: Das ist wirklich dieser Ort. Noch etwas Interessantes bestätigt den Standort von Golgatha: Auf dem sogenannten Zionsberg, das ist der Südwesthügel der Altstadt von Jerusalem, also Nachbarhügel vom Tempelberg, wird seit etwa 100 nach Christus, also nachbiblischer Zeit, der Name Zionsberg verwendet.
In der Bibel ist immer der Tempelberg der Berg Zion, aber heute wird dieser Berg Zion genannt. Auf diesem Berg war das urchristliche Quartier. Also der Obersaal, wo der Herr das Abendmahl eingesetzt hat, auch die Jünger, die an Pfingsten versammelt waren, das war auf diesem, ich sage, Zion römisch zwei. Der Tempelberg ist römisch Zion eins, das ist Zion zwei, dort war das christliche Quartier.
Dort gibt es eine Synagoge aus dem ersten Jahrhundert. Wenn ich Gruppen mitnehme nach Israel, gehe ich immer wieder dorthin und zeige die Stelle in der Synagoge, wo der Toraschrein ist, also da, wo man die Torarolle aufbewahrt.
In aller Welt sind die Toraschreine der Synagogen nach Jerusalem ausgerichtet, also hier in Deutschland nach Osten, nach Jerusalem. In Jerusalem sind alle Synagogen so gebaut, dass der Toraschrein auf den Tempelberg gerichtet ist.
Aber diese Synagoge, wenn man die Linie zieht, geht überhaupt nicht auf den Tempelberg, sondern trifft den Steinbruch Golgatha. Ein Hinweis, dass das ein Versammlungshaus der frühen jüdischen Christen im ersten Jahrhundert war, die noch wussten, wo Golgatha war, und das nach diesem Steinbruch ausrichteten.
Jesus hat sein Kreuz getragen, so ist der direkteste Gang durch das Gartentor dann zu diesem Steinbruch mit dem grausamen Namen Schädelstätte, Golgatha auf Hebräisch, eben weil das der Ort war, wo regelmäßig Menschen gekreuzigt wurden. Das war damals an einer beliebten Straße, damit möglichst viele es sehen konnten.
Ist bis dahin noch eine Frage? Ich wundere mich, dass hier in Johannes nichts davon steht, dass Jesus ausgetauscht werden sollte gegen Barabbas, dass sie riefen: „Wir wollen nicht Jesus kreuzigen, wir wollen Barabbas haben.“
Ja, gut, aber es ist so, dass die vier Berichte nur viel kürzer sind, nicht wahr? Das haben wir aber letztes Mal noch besprochen, oder? Ich habe erklärt, dass Barabbas „Sohn des Vaters“ heißt. Sie haben den wahren Sohn des Vaters getauscht gegen diesen Mörder Barabbas.
Also es wird nur ganz kurz, aber nicht so ausführlich wie bei den anderen erwähnt. Jeder Evangeliumsbericht setzt den Akzent anders. Hier in Johannes wird mehr betont, dass dieser Mensch Gott war.
Darum haben wir zum Beispiel nur hier in Johannes diese Beschreibung: „Und sein Kreuz tragend ging er hinaus nach der Stätte, genannt Schädelstätte.“ Also dieser Moment, wo der Herr Jesus gewissermaßen so souverän sein Kreuz selbst trägt und hingeht.
Ganz im Sinn von Johannes 10: „Niemand kann mir das Leben nehmen, ich lasse es von mir selbst. Ich habe Gewalt, das Leben zu lassen und das Leben wiederzunehmen.“ Das passt darum so ausgezeichnet in diesen Bericht.
Darum wird hier auch nicht erwähnt, wie dann später jemand anders gezwungen wurde, das Kreuz zu tragen, sondern Johannes fokussiert auf dieses souveräne Hinausgehen. Er war bereit, sein Leben zu lassen, niemand konnte es ihm nehmen.
Und dann kommt die Sache mit der Überschrift. Das heißt noch zuerst: Diese Verbrecher werden mitgekreuzigt, Jesus in der Mitte. Das entspricht Jesaja 53. Dort lesen wir: Er wurde gekreuzigt zusammen mit wirklichen Verbrechern.
Wer liest Jesaja 53,12? „Darum werde ich ihm Anteil geben unter den Großen, und mit Gewaltigen wird er die Beute teilen, dafür, dass er seine Seele ausgeschüttet hat in den Tod und sich zu den Verbrechern zählen ließ. Er aber hat die Sünde vieler getragen und für die Verbrecher Fürbitte getan.“
Ja, also er ließ sich unter die Verbrecher zählen. Genau dieser Punkt, dass diese Verbrecher mit ihm gekreuzigt wurden, aber er hat diesen besonderen Platz: Jesus in der Mitte.
Ich habe noch eine Frage. In vielen Darstellungen der Kreuzigung wird das Kreuz in der Mitte größer dargestellt als die beiden seitlichen. Das war wahrscheinlich in der Praxis nicht so, oder?
Da wissen wir nicht, wie es war, also das wäre reine Spekulation. Aber vielleicht noch ein Punkt: Die Kreuzigung fand im Fall des Herrn Jesus mit Nägeln statt. Das wissen wir, weil später in Johannes 20, Vers 25, steht, als es um Thomas nach der Auferstehung geht.
Wer liest? Dort sagen die anderen Jünger zu ihm: „Wir haben den Herrn gesehen.“ Er aber sprach zu ihnen: „Wenn ich nicht in seinen Händen das Mal der Nägel sehe und meine Finger in das Mal der Nägel lege und meine Hände an seine Seite lege, so werde ich nicht glauben.“
Das zeigt, dass die Male von der Kreuzigung noch sichtbar waren als auferstandener Jesus. Das ist auch in Lukas 24,38-40 beschrieben.
Es war so, dass die Römer verschiedene Methoden kannten: Gekreuzigte konnten auch mit Strecken angebunden werden, eben an einem Pfahl oder an einem Kreuz, aber sie konnten eben auch genagelt werden. Im Fall des Herrn Jesus war es wirklich mit Nägeln geschehen.
Herr Liebig, ich habe da auch noch eine Frage: Ich kann mir nicht richtig vorstellen, wie Nägel, wenn man sich durch die Mittelhandknochen durchschlägt, wie das hält.
Ja, das kann ich mir auch nicht vorstellen. Aber das ist das Problem mit den mittelalterlichen Darstellungen, die nicht historisch sind.
Bis vor kurzem wusste man nicht genau, wie die Römer auch die Füße durchnagelten. Habe ich das schon mal erklärt? Aber vielleicht für die, die nicht da waren, ist das wichtig.
Vor ein paar Jahren hat man bei Straßenarbeiten in Jerusalem ein Grab entdeckt mit einem Ossuarium, das ist eine Knochenbox, in der die Gebeine eines Menschen aus dem ersten Jahrhundert gefunden wurden. Das war tatsächlich jemand, der gekreuzigt worden war, denn in seinen Fußknöcheln war noch der Nagel drin, den man nicht mehr herausnehmen konnte.
Man hat ihn gleich so beerdigt, mit dem Nagel drin, etwa ein zehn Zentimeter langer Nagel. Er war durchgeschlagen durch die Fersenknochen.
Das heißt, der Gekreuzigte hatte den Stamm so zwischen den Beinen, und die Nägel wurden von der Seite außen durch die Ferse geschlagen und kamen so in den Stamm rein. So verrenkt wurde man gekreuzigt.
Mein Schwager in San Francisco ist Spezialarzt für Fußchirurgie. Als ich ihm das gesagt hatte, meinte er, das sei interessant, weil der Fersenknöchel unwahrscheinlich stabil sei und nicht zersplittere, wenn man einen Nagel durchschlägt.
Aber es ist sehr einfach, den Nagel durchzuschlagen, weil es sehr viele Hohlräume in diesem Knochen gibt. Die Art und Weise, wie diese Hohlräume gebildet sind, sorgt dafür, dass der Knochen große Stabilität hat.
Also ideal, um einen Nagel durchzuführen, ohne dass der Knochen zersplittert. Denn in Psalm 34,20 heißt es: „Kein Knochen soll an ihm gebrochen werden.“
So hat sich das erfüllt. Beim Passa durfte man ja keine Knochen zerbrechen, auch als Hinweis darauf.
Gott hat der Schlange im Garten Eden gesagt, dass der Erlöser, der Same der Frau, kommen wird und ihm den Kopf zertreten wird, und du wirst ihm in die Ferse beißen.
Dieser Nagel ist wirklich dieser Biss der Schlange in den Fersen.
Interessant ist Folgendes: Wir wussten aus der Literatur, dass die Römer Abertausende von Leuten gekreuzigt haben. Noch nie hat man einen Gekreuzigten gefunden, noch nie einen Überrest.
Jetzt zum ersten Mal wurde so einer gefunden. Das ist interessant für Leute, die sagen, wenn man etwas aus der Bibel archäologisch nicht belegen kann, ist es noch lange kein Beleg, dass es nicht geschehen ist.
Denn Kenneth Kitchen, einer der größten Archäologen des zwanzigsten Jahrhunderts, sagte: „Absence of Evidence is no Evidence“ – also Abwesenheit von einem Beweis ist kein Beweis.
Daraus darf man keine Schlüsse ziehen. Früher hätte man sagen können: Die Römer haben nie gekreuzigt, man habe nie etwas gefunden. Man hätte ein Skandalbuch schreiben und viel Geld verdienen können.
Das wurde immer gesagt, aber wir haben keinen einzigen Beweis, dass jemals jemand gekreuzigt wurde. Oh, ist das intelligent! Und dann noch ein historischer Roman, ja? So geht das heute. Die Leute informieren sich mit historischen Romanen darüber, wie es wirklich war.
Zum ersten Mal hat man das gefunden, und es zeigt, dass man so gekreuzigt hat. Die mittelalterlichen Darstellungen mit dem Nagel vorne in den Fuß gehen nicht.
Bei den Händen muss man sich nicht vorstellen, dass der Nagel direkt durch die Mitte ging, sondern ideal anatomisch wäre die Stelle gerade im Randbereich zwischen Unterarm und der Hand. Dort hält es.
Das Grausame ist: Dort gibt es einen Nerv, der besonders schmerzempfindlich ist. Wenn man den trifft, löst man einen der schlimmsten Schmerzen aus, die es gibt. Man wird sofort gelähmt, und der Schmerz geht weiter.
So muss man sich vorstellen, dass der Herr da an den Händen genagelt wurde.
David hat in Psalm 22, tausend Jahre zuvor, Folgendes prophezeit. Wer Psalm 22,17 liest? „Die Hunde haben mich umgeben, eine Rotte von Übeltätern hat mich umzingelt, sie haben meine Hände und meine Füße durchgraben.“
Jawohl, Hände und Füße durchgraben. David schrieb das, als es die Kreuzigung gar noch nicht gab. Die wurde erst durch die Perser erfunden. Die Perser gaben sie an die Griechen weiter, und die Griechen an die Römer.
Im Psalm finden wir noch mehr, das erstaunlich ist. Vers 15: „Wie Wasser bin ich hingeschüttet, und alle meine Gebeine haben sich zertrennt, wie Wachs ist mein Herz geworden, zerschmolzen in meinem Innern.“
„Wie Wasser hingeschüttet“ drückt poetisch den Schweißausbruch aus, den man bei der Kreuzigung bekommt, besonders unter der orientalischen Sonne. Unter dem Eigengewicht des Gekreuzigten verrenken sich die Knochen, und alle Gebeine zertrennen sich.
Aus medizinisch erklärbaren Gründen entsteht ein furchtbares Durstgefühl bei der Kreuzigung. Vers 16: „Meine Kraft ist vertrocknet wie eine Scheibe, und meine Zunge klebt an meinem Gaumen. In den Staub des Todes legst du mich.“
Da haben wir diesen schrecklichen Durst. Neben Vers 17, der die Durchgrabung von Händen und Füßen beschreibt, zeigt Vers 18 die teilweise Entblößung des Gekreuzigten.
Wer liest Vers 18? „Alle meine Gebeine könnte ich zählen.“ Der Gekreuzigte hatte weitgehend keine Kleider mehr, nur noch im Rahmen des Judentums die wichtigsten Körperteile bedeckt, also die Schamteile.
So konnte der Herr seine Knochen zählen. Weiter Vers 19: „Sie teilen meine Kleider und sich, und über mein Gewand werfen sie das Los.“
Das ist genau das, was wir in Johannes 19, Vers 23 gefunden haben. Die Soldaten nahmen die Kleider, teilten sie in vier Teile, aber den Leibrock wollten sie nicht teilen, weil er durchgehend gewebt war von oben bis unten. Den haben sie verlost.
So haben wir in diesem Vers beides: Sie teilen meine Kleider unter sich, das sind die Kleider, die sie in vier Teile teilen konnten. Dann kam das Obergewand, das wollten sie nicht aufteilen, das verlosten sie.
Über mein Gewand werfen sie das Los. Das sind parallele Verszeilen, die sich ergänzen, aber nicht genau dasselbe ausdrücken.
Übrigens ist dieses Kleid etwas ganz Besonderes. Welche Leute damals trugen Kleider, die durchgehend gewebt waren, ohne Naht? Das waren die Priester im Tempel. Das war ein typisches Kennzeichen der Priesterkleider.
Der Herr trug einen solchen Leibrock, der an die Priesterkleider erinnert. Dieses Kleid wird verlost, wie er ans Kreuz ging – als Priester, als Hohepriester, um sich selbst als Opfer zu geben, nicht wie die früheren Hohepriester Opfer zu bringen.
Zu dieser Durchbohrung in Psalm 22 möchte ich noch aus Sacharja 13 lesen. Wer liest Sacharja 13,6? „Aber zu ihm: Was sind das für Wunden zwischen deinen Händen? Dann wird er sagen: Sie entstanden, als ich im Haus meiner Freunde geschlagen wurde.“
Da haben wir die Wunden des Erlösers in den Händen. Es gibt Leute, die sagen, das stimmt nicht, das sei keine messianische Stelle, sondern bezieht sich auf diesen falschen Propheten, der vorher erwähnt wird.
Der falsche Prophet wird aufhören zu lügen und sagen: „Ich bin kein Prophet, ich bin ein Mann, der das Land bebaut, denn man hat mich von meiner Jugend an gekauft.“
Wenn jemand zu ihm spricht: „Was sind das für Wunden?“ dann bezieht sich das eben auf diesen falschen Propheten. Aber ich übersetze das mal ganz wörtlich, dann wird es klar.
Vers 5: „Und er wird sagen: Nicht ein Prophet bin ich, ein Arbeiter des Erdbodens bin ich, denn ein Mann hat mich von meiner Jugend an gekauft.“ Und er wird sprechen zu ihm.
Vers 6 beginnt genau gleich wie Vers 5: „Und er wird sprechen.“ Das ist der falsche Prophet, der spricht. Dann heißt es: „Und er wird sprechen zu ihm: Was sind das für Wunden in deinen Händen?“ Da spricht immer noch der falsche Prophet.
Der falsche Prophet spricht zu ihm: „Was sind das für Wunden?“ Wer ist „ihm“? Wenn man den Text rückwärts liest, findet man heraus, welche Person angesprochen wird.
Die einzige Person, die in Frage kommt, ist Sacharja 12,10: „Aber über das Haus David und die Bewohner Jerusalems werde ich den Geist der Gnade und des Flehens ausgießen. Sie werden auf mich blicken, den sie durchbohrt haben, und über ihn wehklagen, wie man über den einzigen Sohn wehklagt, und bitter über ihn weinen, wie man über den Erstgeborenen weint.“
Der Messias sagt hier: „Sie werden auf mich blicken, den sie durchbohrt haben.“ Dann wechselt im Satz der Redner, und es heißt: „Sie werden über ihn wehklagen, gleich der Wehklage über den Eingeborenen.“
Ab Kapitel 13 kommt das Thema auf die falschen Propheten. Dort heißt es vom falschen Propheten: „Und er wird sprechen zu ihm: Was sind das für Wunden in deinen Händen?“ Das ist der Durchbohrte von Kapitel 12, was sind das für Wunden in deinen Händen?
Dann wird er sagen: „Das sind die Wunden, womit ich geschlagen worden bin im Haus derer, die mich jetzt lieben.“
Bei seiner Wiederkunft will man ihn sehen, der durchbohrt worden war, mit dem Speer eines Soldaten. Das haben wir auch in Johannes 19 gelesen, und an Händen und Füßen mit Nägeln.
Da haben wir also beides so eindrücklich in Sacharja 12 vorausgesagt: Der Speerstich (12,10) und die Nagelwunden in den Händen (13,6).
Ist das identisch? Du hast in 13,5 übersetzt: „Denn ein Mensch hat mich gekauft“ oder „ein Mann hat mich gekauft.“ Das „Mann“ wird kleingeschrieben.
Du hast „Denn ein Mensch hat mich gekauft“ übersetzt. „Mann“ kann im Hebräischen auch „ein Mensch“ bedeuten, also ganz wörtlich ist es so: „Von Jugend an hat mich ein Mensch gekauft“, wobei „ein Mensch“ einfach „jemand“ bedeutet.
Wäre es nicht logisch, dass man diesen „jemand“ auf den Menschen im nächsten Satz bezieht?
Ja, das ist irgendwie völlig unbestimmt. Es wird nicht auf eine bestimmte bekannte Person hingewiesen, sondern einfach auf jemanden.
Das „auf ihn“ ist stärker, auf die Person, die im ganzen Kontext vorher so zentral stand: „Sie werden auf mich blicken, den sie durchbohrt haben.“ Darum der Bezug auf den Erlöser.
Das passt auch, weil es wieder um Wunden geht. Irgendeiner hat mich gekauft, warum sollte der Wunden in den Händen haben? Vers 7 spricht ja auch davon.
Genau, das kommt noch dazu. Vers 7: „Schwert, erwache wieder meinen Hirten, den Mann, der mein Genosse ist.“ Die Stelle ist wieder ganz klar messianisch.
Ich habe noch eine Frage zu Johannes 19,29: Was ist ein Isop? Das ist das Gerät, mit dem man ihm den Essig reichte.
Ja, das war eine Pflanze, der syrische Isop, den man in Israel so nennt. Dieser Stängel wurde als Behelf genommen, um den Schwamm zu reichen.
Wir kommen beim nächsten Mal darauf zurück, wenn wir weiterfahren, dass gerade der Isop eine besondere Anspielung hat, weil er in Verbindung mit dem Opferdienst eine Rolle spielt.
Beim Opfer der roten Kuh wird mit dem Isop gereinigt.
Gut, aber wir müssen jetzt zum Schluss kommen, die Zeit ist um. Warum hat man ihm Essig gegeben?
Essig war ein beliebter Durstlöscher bei den römischen Soldaten, natürlich stark verdünnt. Darum hat man ihm als Durstlöscher gegeben, was die Soldaten hatten.
Darf ich noch eine Frage stellen? Ja, wenn sie kurz ist.
Diese Wunde mit dem Speer, die der Soldat beigebracht hat, wird irgendwie speziell herausgestellt, finde ich.
Ja, mit einem Speer seine Seite. Gleich kamen Blut und Wasser heraus. Wer dies gesehen hat, …
Dieses Blut und Wasser, das herauskam, hat eine besondere Bedeutung.
Ja, dazu komme ich noch beim nächsten Mal. Kurz: Ein Mediziner weiß, dass er tot war, kein Schein-Toter. Offensichtlich hatte schon eine Blutsenkung stattgefunden, das heißt, die schweren Teile im Blut, die roten, hatten sich getrennt und abgesenkt.
Darum kam die Flüssigkeit getrennt.
Ja, dann wollen wir noch zum Schluss beten.