Historischer und geographischer Hintergrund von Susan
Wir haben in Kapitel 3, Vers 15, von der Stadt Susann gelesen. Die Anordnung wurde in der Burg Susann erlassen. Susann war damals die Hauptstadt der Perser. Sie liegt im heutigen Südwestiran, also genau in dem Gebiet, in dem sich heute das wichtigste Zentrum des iranischen Atomprogramms befindet. Dieses Programm steht im Zusammenhang mit dem persischen, iranischen Wunsch, heute Israel zu vernichten.
Die Burg Susann war gewissermaßen die Akropolis der Hauptstadt. Sie befand sich auf einem rechteckigen Felsen, der 27 Meter höher lag als die übrige Stadt. Auf dieser Anhöhe gab es noch eine weitere Erhebung, etwa 40 Meter höher, auf der der Palast stand. So muss man sich das ein wenig plastisch vorstellen.
Die Stadt Susann war in Bestürzung. Oben auf der Burg Susann, also auf diesem Hochplateau und auf dem nochmals erhabenen Bereich, saßen Haman und Ahasveros zusammen. Sie tranken Alkohol in Strömen, wie es damals üblich war.
Die Offenbarung des Problems und Esthers Auftrag
Und jetzt lese ich weiter in Kapitel 4, Vers 6. Esther hat also gefragt: „Wo liegt das Problem?“ Da ging Hattak zu Mordochai hinaus auf den Platz der Stadt, der vor dem Tor des Königs lag. Mordochai berichtete ihm alles, was ihm begegnet war, und den Betrag des Silbers, den Haman versprochen hatte, in die Schatzkammern des Königs zu geben, um die Juden umzubringen.
Außerdem gab er ihm eine Abschrift der in Susan erlassenen schriftlichen Anordnung, die Juden zu vertilgen. Diese sollte Esther gezeigt und mitgeteilt werden, damit sie zum König gehen, ihn um Gnade anflehen und vor ihm für ihr Volk bitten könne. So sehen wir, wie Mordochai das Problem ganz detailliert aufdeckt und im Detail zeigt, wo die großen Nöte liegen.
Wir dürfen wissen, dass der Heilige Geist uns das ebenfalls aufzeigen wird, wenn wir immer wieder ernsthaft beten – siehe Psalm 139, die beiden letzten Verse. Ich habe das sogar einmal als Lied vertont. Das sollte eigentlich zum ABC des Christen gehören: diese Bitte.
In Vers 8 zeigt Mordochai auch genau, welche Anordnung in der Burg Susan schriftlich erlassen worden ist. Dort wird deutlich, wo das Problem liegt – im Herzen. Dort sind die Ausgänge des Lebens. Jetzt wird es ernst. Mordochai sagt zu Esther, sie müsse das in Ordnung bringen und zum König gehen.
Der Heilige Geist macht dem Geist durch das Wort Gottes bewusst, wo das Problem liegt. Die Persönlichkeit, das Ich, muss durch den Geist überzeugt werden. Aber das war keine einfache Sache, wie wir sehen werden.
In Vers 9 kam Hattak und berichtete Esther die Worte Mordochais. Da sprach Esther zu Hattak und schickte ihn zu Mordochai: Alle Knechte des Königs und das Volk der Landschaften des Königs wissen, dass für jeden Mann und jede Frau, die ohne Einladung zum König in den inneren Hof hineingehen, eine Anordnung gilt. Sie müssen getötet werden, es sei denn, der König reicht ihnen das goldene Zepter entgegen, damit sie am Leben bleiben.
Esther aber sagt: „Ich bin seit nunmehr dreißig Tagen nicht mehr gerufen worden, um zum König hineinzugehen.“ Die Hochzeit war schon fünf Jahre her. Wäre das gerade noch nach der Hochzeit gewesen, hätte man sicher damit rechnen können, dass es kein Problem ist, wenn Esther hineingeht. Aber sie ist schon vernachlässigt worden.
Jetzt kann man seiner Frau sagen: „Du, dort waren dreißig Tage Vernachlässigung.“ Das geht natürlich gar nicht. Man kann die Frau nicht einfach sitzen lassen. Das ist auch der Grund, warum wir als kleine Kinder abgemacht haben, wie oft ich auf Vortragsreisen im Ausland unterwegs bin. Das muss man klar regeln, sonst kann man auf sehr falsche Fährten geraten.
Wir haben abgemacht, ich gehe nur einmal im Monat ins Ausland, möglichst für ein Wochenende. Dann konzentriert, das können auch mal siebzehn Stunden Vorträge sein. Man muss ja nicht eine ganze Woche machen, man kann auch ein bisschen konzentriert arbeiten. Das war sicher etwas Wichtiges. Man muss Zeit füreinander haben – und das nicht nur im ersten Jahr nach der Hochzeit.
Jetzt sind fünf Jahre vergangen, und dreißig Tage hat er sich nicht mehr um sie gekümmert. Und jetzt soll sie hineingehen. Das ist das Risiko, dass der König sie dann umbringt.
In Vers 12 wurde Mordochai die Worte Esthers berichtet. Er ließ Esther antworten: „Denke nicht in deinem Herzen, dass nur du im Haus des Königs von allen Juden entkommen wirst.“ Wenn du jetzt nicht hineingehst, musst du nicht meinen, dass du als Königin die Sache überleben wirst, während nur die anderen Juden sterben.
Dann kommt dieser gewaltige Satz in Vers 14: „Denn wenn du in dieser Zeit schweigst, so wird Befreiung und Errettung für die Juden von einem anderen Ort her erstehen. Du aber und deines Vaters Haus, ihr werdet umkommen.“
Man merkt, Mordochai war ein Prophet. Alles, was er Esther rät und sagt, sind prophetische Aussprüche. Darum wurde auch das Buch Esther als inspiriert anerkannt, weil es von Mordochai schließlich aufgeschrieben und dem Volk Israel gegeben wurde – mitsamt den Anordnungen über das Fest Purim, das bis heute jedes Jahr im Judentum gefeiert wird.
Er sagt ihr ganz klar: Wenn du schweigst, wirst du umkommen. Trotzdem wird Befreiung für die Juden entstehen, und zwar von einem anderen Ort her. Gott ist nicht abhängig von Esther.
Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen: Der Herr ist nicht abhängig von uns. Er kann es auch anders machen. Er kann andere brauchen und andere erwecken.
Das erinnert uns an Lukas 17, wo der Herr Jesus seinen Jüngern erklärt, wie sie Gott dienen sollen und in welcher Gesinnung. Lukas 17, Vers 10: „So auch ihr, wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.“
Andere Übersetzungen sagen „unnötige Knechte“. Das Wort bedeutet auch „unnütz“, aber es hat auch den Gedanken von „unnötig“. Es ist ja nicht so, dass unser Dienst für den Herrn nicht nützlich wäre. Aber wir sind nicht nötig, weil er auch jemand anderen benutzen könnte.
Darum diese Haltung: Wir sind unnütze Knechte, die getan haben, was sie zu tun schuldig waren. Wir sind dankbar, dass wir dem Herrn überhaupt dienen dürfen und dass er unseren Dienst annimmt und will.
So auch Esther: Sie muss gehen, sonst wird Gott jemand anderen gebrauchen. Er sagt nochmals, von einem anderen Ort wird Rettung entstehen. Du aber und deines Vaters Haus werdet umkommen.
Esther wusste, dass sie das nicht überleben würde – diesen Angriff von Haman, obwohl sie die Frau von Ahasveros ist.
Dann sagt Mordochai, das ist so schön als Frage ausgedrückt: „Und wer weiß, ob du nicht für eine Zeit wie diese zum Königtum gelangt bist?“
Gerade hatte ich ein technisches Problem – hier war kein Strom. Schon gelöst. Ja, es gibt kleine Probleme, aber das, was wir hier haben, war ein furchtbares Problem.
Er sagt also: Überlege dir, ob nicht die Hand Gottes in all dem steckt, wie das gekommen ist und dass Gott einen Plan hatte, sein Volk zu retten.
Esthers mutiger Entschluss und das Fasten
Vers 15: Da ließ Esther Mordechai antworten: „Geh hin, versammle alle Juden, die sich in Susan befinden, und fastet um meinetwillen. Esst nicht und trinkt nicht drei Tage lang, Nacht und Tag. Auch ich werde mit meinen Mägden ebenso fasten. Danach will ich zum König hineingehen, was nicht nach der Anordnung ist. Und wenn ich umkomme, so komme ich um.“
Mordechai ging hin und tat alles, was Esther ihm geboten hatte.
Ist es nicht wunderbar zu sehen, dass diese Frau bereit ist, ihr Leben für das Volk zu geben? Darin ist Esther ein alttestamentlicher Hinweis auf den Erlöser.
Klar, es gibt Isaak, der von seinem Vater als Opfer hätte dargebracht werden sollen, und so ist Isaak ein Hinweis auf den Herrn Jesus. Joseph, der von seinen eigenen Brüdern abgelehnt und verworfen wurde und an die Heiden verkauft wurde, ist ebenfalls ein Hinweis auf den Herrn Jesus. Jesus erlitt Ablehnung von seinem eigenen Volk und wurde an die Heiden, an die Römer, überliefert.
Doch Joseph stieg auf zum Herrscher über Ägypten. So ist auch der Herr Jesus nach seiner Verwerfung zum Herrscher über Millionen von Nichtjuden aufgestiegen, die ihn als Messias erkannt haben.
Schließlich kommt es durch große Drangsal dazu, dass die Brüder Josephs ihn erkennen und sich vor ihm verbeugen. So wird der Überrest Israels in der Zukunft zur Umkehr kommen und den Messias erkennen, wie es in Sacharja 12,10 heißt: „Sie werden auf mich blicken, den sie durchbohrt haben, und werden über ihn wehklagen, so wie die Brüder von Joseph.“
Das sind Männer, die ein Vorbild für den Herrn Jesus waren. Hier aber sehen wir eine Frau, die bereit ist, ihr Leben für das Volk Gottes zu lassen.
Esther sagt: „Fastet, esst nicht, trinkt nicht.“ Es steht nichts vom Beten. Doch es ist ganz klar, dass gebetet wurde. Gebet wird im Buch Esther nie erwähnt. Auch in Kapitel 4, Vers 3, befindet sich das Volk Gottes in großer Trauer, Fasten, Weinen und Wehklage. Viele saßen auf Sack und Asche, sie waren am Flehen und Beten, doch es wird nicht genannt.
Im Buch Esther wird Gebet nicht erwähnt, keine Opfer, keine Propheten. Mordechai war zwar ein Prophet, aber er sagt nicht „So wahr der Herr lebt“ oder „So spricht der Herr“. Nein, er sagt: „Wenn du schweigst…“
In dieser Zeit wird Befreiung und Errettung für die Juden von einem anderen Ort her erstehen. Das ist typisch für das Buch Esther. Es ist aber klar, dass sie flehten und beteten.
Esther sagt: „Wenn ich umkomme, so komme ich um.“ Sie hat alttestamentlich bereits das umgesetzt, was Paulus in 2. Korinther 5,15 vorstellt: „Und er, der Jesus, ist für alle gestorben, damit die, die leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferweckt worden ist. Sie sollen nicht mehr für sich selbst leben.“
Das müsste das Motto jedes Christen sein.
Esther lebte im Luxus, im Palast – ja, man könnte sagen im Hotel Palast – und sie war bereit, auf alles zu verzichten und ihr Leben zu geben. Sie wollte nicht für sich leben, sondern für den Herrn!
Esthers mutiger Gang zum König
Wir kommen zu Kapitel 5, Vers 1:
Und es geschah am dritten Tag, da kleidete sich Esther königlich und trat in den inneren Hof des Hauses des Königs, dem Haus des Königs gegenüber. Der König saß auf seinem königlichen Thron, im königlichen Haus, dem Eingang des Hauses gegenüber.
Als der König die Königin Esther im Hof stehen sah, erlangte sie Gnade in seinen Augen. Der König reichte Esther das goldene Zepter entgegen, das in seiner Hand war. Esther trat herzu und berührte die Spitze des Zepters.
Der König sprach zu ihr: „Was hast du, Königin Esther, und was ist dein Begehr? Bis zur Hälfte des Königreichs soll es dir gegeben werden.“
Dramatisch, nicht wahr? Nach drei Tagen Fasten, Tag und Nacht. Übrigens, wann ging sie dann hinein? Am dritten Tag. Der Ausdruck „drei Tage und drei Nächte“ bedeutet drei Kalendertage. Deshalb sagt Herr Jesus auch, er werde „drei Tage und drei Nächte“ im Herzen der Erde sein, so wie Noah im Bauch des Fisches war.
Wenn wir jedoch in den Evangelien lesen, können wir die Passionswoche klar datieren. Der Einzug nach Jerusalem am Palmsonntag war tatsächlich an einem Sonntag. Dann sehen wir, was an jedem Tag dieser Woche geschah: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag, an dem die Kreuzigung stattfand, sowie die Grablegung am Ende des fünfzehnten Nissan. Danach kam der Sabbat, und am frühen Morgen des ersten Tages der Woche ist der Herr auferstanden.
Das sind drei Kalendertage, nämlich der fünfzehnte, sechzehnte und siebzehnte Nissan. Der siebzehnte Nissan war der Auferstehungstag. Dies wird im Althebräischen mit „drei Tage und drei Nächte“ bezeichnet.
Es gibt im Hebräischen auch eine gewisse Doppeldeutigkeit: Im Althebräischen kann „Tag“ die helle Zeit des Tages bedeuten, etwa von sechs bis sechs Uhr im Frühling. Aber „Tag“ kann auch einen vollständigen Kalendertag von 24 Stunden meinen. Wenn man im Althebräischen einen Kalendertag ausdrücken wollte, sagte man „Tag und Nacht“. Drei Tage und drei Nächte entsprechen also drei Kalendertagen.
Wir sehen in Kapitel 5, Vers 1: „Und es geschah am dritten Tag“, also nicht nach dreimal vierundzwanzig Stunden, sondern am dritten Tag, da kleidete sich Königin Esther für den Hof. Schließlich kam das Zepter.
Was bedeutete dieser Moment für Esther? Der König fragte: „Was hast du, Königin Esther? Was ist dein Begehr?“ Und er bot ihr gleich die Hälfte des Reiches an – von Afrika bis nach Indien.
Wie ich schon gesagt habe, wäre das die Gelegenheit gewesen für ein Großisrael. Aber das war nicht ihr Traum. Sie wollte, dass ihr Volk überleben kann.
Übrigens: Den Satz „Bis zur Hälfte des Königreichs soll es dir gegeben werden“ finden wir auch im Neuen Testament, und zwar bei Herodes Antipas in Markus 6. Dort wird er im Buch Esther zitiert, bei der Geburtstagsfeier, bei der Salome, die Tochter Herodias, tanzte. Das muss kein anständiger Tanz gewesen sein, denn der König reagierte so und sagte schließlich: „Was wünschst du? Bis zur Hälfte des Königreichs soll es dir gegeben werden.“
Markus 6,23: „Und er schwur …“ (ich lese schon Vers 22 in der Mitte): Der König sprach zu dem Mädchen: „Bitte von mir, was du willst, und ich werde es dir geben. Was ist dein Begehr?“ Und er schwor ihr: „Was immer du von mir erbittest, werde ich dir geben bis zur Hälfte meines Reiches.“
Das ist vom Wortlaut her eine Anspielung auf Esther 5, Vers 3 und dann auch auf die Verse 6, 7 und 2, wie wir noch sehen werden. Der Satz wird noch wiederholt.
Esthers Einladung zum Mahl und die Verschiebung der Offenbarung
Und jetzt die Antwort von Esther.
Und Esther sprach: Wenn es der König für gut hält, möge der König heute mit Haman zu dem Mahl kommen, das ich ihm bereitet habe. Anstatt die Hälfte des persischen Weltreichs zu fordern, sagt sie, sie möchte gerne ein Essen für den König und Haman vorbereiten. Unglaublich! Unglaublich!
In diesem Satz „So möge der König mit Haman heute“ – auf Hebräisch „Yawur ha-Melech we-hamman ha-yom“ – ergeben die Anfangsbuchstaben der vier Wörter den Namen Yahweh. Im Zusammenhang mit dem Thema „Esther wagt ihr Leben“ kommt also der Name des Herrn vor.
Wir haben bereits in Kapitel 1, Vers 20 gesehen: „Eine andere soll Königin werden.“ Dort erscheint der Name Jachwes ebenfalls, allerdings in umgekehrter Richtung. Das geschieht genau an der Stelle, wo Wasti durch Esther ersetzt werden sollte. Hier hingegen, wo Esther ihr Leben wagt, steht der Name in gerader Richtung.
Wir lesen weiter:
Da sprach der König: „Bringt Haman unverzüglich her, damit wir tun, was Esther gesagt hat.“ Und der König und Haman kamen zu dem Mahl, das Esther bereitet hatte.
Der König sprach zu Esther beim Weingelage: „Was ist dein Begehren? Es soll dir gewährt werden. Was ist deine Bitte? Bis zur Hälfte des Königreichs soll es geschehen.“
Da antwortete Esther und sprach: „Meine Bitte und mein Begehren ist: Wenn ich Gnade gefunden habe in den Augen des Königs und wenn es der König für gut hält, meine Bitte zu gewähren und mein Begehren zu erfüllen, so möge der König heute mit Haman zu dem Mahl kommen, das ich ihnen bereiten will. Und morgen will ich nach dem Wort des Königs tun.“
Sie macht es aber spannend. Warum sagt sie jetzt nicht gleich, worum es geht? Stattdessen verschiebt sie es nochmals. Der Bibeltext sagt es nicht direkt, aber wir werden sehen, dass dies ganz entscheidend ist.
Es wäre zu früh gewesen, jetzt alles zu offenbaren – genauso wie es damals zu früh gewesen wäre, als die Brüder Josephs infolge der Hungersnot zum ersten Mal nach Ägypten kamen und er hätte sagen können: „Ich bin Joseph, euer Bruder! Du lebst noch!“ Toll! Aber das wäre der falsche Moment gewesen.
Denn es brauchte noch einiges, das im Herzen dieser Brüder geschehen musste. Joseph verhielt sich ihnen gegenüber sehr streng, und so konnte er hören, wie sie sagten: „Das ist die Strafe für das, was wir Joseph einmal angetan haben.“
In diesem Zusammenhang kam es auch dazu, dass Joseph hörte, wie sie sagten: „Wenn wir Benjamin bringen müssten, wäre das eine furchtbare Sache für den Vater. Wenn dasselbe noch einmal geschehen würde wie mit Joseph, das geht gar nicht.“ Da merkte Joseph, dass sich etwas bei ihnen verändert hatte. Sie waren nicht mehr dieselben. Jetzt machte es ihnen etwas aus.
Es war wirklich nötig, dass ein Werk im Herzen dieser Brüder geschah. Sie gingen zurück zum Vater, und dann kam die Zeit, in der sie wiederum in Not gerieten und wiedergehen mussten. Erst als Joseph wirklich sah: „Meine Brüder sind nicht mehr dieselben“, konnte er sagen: „Ich bin Joseph, euer Bruder.“
Diese Brüder, diese ehemals hartgesottenen Männer, brachen innerlich zusammen und konnten nur noch weinen. Es war also ganz wichtig, dass ein Werk in ihren Herzen geschehen konnte. Sie mussten vorbereitet werden.
Darum ist es wichtig: Manchmal kann eine Wiederherstellung zu schnell erfolgen, und die Sache ist dann doch nicht gelöst. Es braucht Zeit und Arbeit in den Gewissen und Herzen, bis eine wirkliche Wiederherstellung möglich ist.
Durch eine künstliche Verkürzung kann man manchmal verhindern, dass es zu einer echten Wiederherstellung kommt. Hier sehen wir, dass es ganz wichtig war, dass Esther nicht zu schnell mit ihrer Bitte herauskam. Denn es mussten noch Dinge geschehen, die ganz entscheidend waren für die Wende zugunsten des jüdischen Volkes.
Hammans Stolz und sein Hass auf Mordochai
So lese ich weiter, ab Vers 9. Dort erfahren wir einiges über Hammanns Charakter. Hammann ging an jedem Tag fröhlich und guten Mutes hinaus. Das zeigt, dass das Fleisch fröhlich sein und richtig munter sein kann.
Als aber Hammann Mordechai im Tor des Königs sitzen sah und bemerkte, dass er weder aufstand noch sich vor ihm rührte, da wurde Hammann von Grimm über Mordechai erfüllt. Hier sehen wir diese Wut und diesen Zorn, wie wir sie auch in Epheser 4,30 finden.
Interessant ist dann, was Vers 10 sagt: „Aber Hammann bezwang sich.“ Das bedeutet Selbstbeherrschung. Das Fleisch kann sich also selbst beherrschen, ja, wenn es zum eigenen Vorteil ist. So kann man sich zurückhalten und beherrschen, wenn es dem Vorteil des Fleisches dient. Hier lernt man das Fleisch in all seinen Facetten kennen.
In Vers 10 heißt es weiter: „Und als er in sein Haus gekommen war, sandte er hin und ließ seine Freunde und seine Frau Seres kommen.“ Hammann erzählte ihnen – man kann sich vorstellen, worüber man bei Einladungen spricht, wenn man Gemeinschaft hat. Er berichtete von der Herrlichkeit seines Reichtums und von der Menge seiner Söhne. Er hatte zehn davon. Er sprach darüber, wie der König ihn groß gemacht und über die Fürsten und Knechte des Königs erhoben hatte.
Das ganze Gespräch und die Gemeinschaft drehten sich nur um Hammann. Ich, ich, ich – Hochmut, Selbstsucht, Ichsucht. Man muss sich auch selbst fragen: Wenn man Leute einlädt oder eingeladen ist, worüber spricht man? Über das tolle Auto, die fantastischen Ferien? Ich sage nicht, dass man nicht über das Auto sprechen darf, aber es gibt verschiedene Arten, darüber zu sprechen. Ob das nötig ist, ist eine andere Frage. Ob man mit den Ferien angeben muss, ist ebenfalls zu prüfen.
Wir sehen hier, wie das Fleisch gerne über solche Dinge und über Geld spricht. Ich muss sagen, das hat mich immer wieder enttäuscht: Einladungen mit Gläubigen, und dann spricht man über die allgemeine Wirtschaftslage, über Anlagen, über Dauer, über Geld. Was soll das eigentlich? Aber das kommt wirklich aus dem Fleisch.
In Vers 12 spricht Hammann: „Auch hat die Königin Esther niemand mit dem König zum Mahl kommen lassen, das sie bereitet hatte, als nur mich. Und auch für morgen bin ich mit dem König von ihr geladen.“ Man merkt den Stolz, das Prestige: „Ich und diese bekannten Leute.“ Und nur mich, ja! Und das nicht nur einmal, sondern zweimal.
Dann kommt noch ein anderes Thema auf den Tisch. „Aber dies alles gilt mir nichts, solange ich Mordechai, den Juden, im Tor des Königs sitzen sehe.“ Hier haben wir den Namen Gottes noch einmal, aber rückwärts. „Dies alles gilt mir nichts.“ Se enenu Chovelli – das ist wieder der Name Yahweh.
Hier haben wir also Hammanns Mordplan, und darin finden wir auch den Namen Gottes. Denn hier wird schließlich alles gewendet. Was jetzt kommt, ist ganz wesentlich: „Solange ich Mordechai, den Juden, im Tor des Königs sitzen sehe...“ Da sprachen seine Frau Serresch und alle seine Freunde zu ihm: „Man richte ein Holz her, fünfzig Ellen hoch, und am Morgen sage dem König, dass man Mordechai daran hänge. Dann gehe mit dem König fröhlich zum Mahl.“ Das Wort gefiel Hammann, und er ließ das Holz herrichten.
Falls bei jemandem „Baum“ steht: Das Wort „etz“ heißt auf Hebräisch sowohl „Baum“ als auch „Holz“. Ich übersetze hier mit „Holz“, weil es, wie ich schon erklärt habe, um Kreuzigung geht. Die Perser waren die Erfinder der Kreuzigung. Dort wurde also ein Holz hergerichtet, an dem Menschen genagelt wurden.
Die Perser gaben diese grausame Todesart an die Griechen weiter. Nach dem Persischen Reich kam das griechische Weltreich, und die Griechen gaben diese Praxis an die Römer weiter. Nach dem griechischen Reich kam das römische Weltreich, und die Römer trieben es zur absoluten Spitze.
Sie erfanden beispielsweise eine Absatzauflage für die Füße, damit der Gehängte, der eigentlich am Ersticken war, sich auf den Nägeln der Füße abstoßen konnte, um etwas Luft zu holen. So konnte die Kreuzigung bis zu zehn Tage dauern. Dabei fällt nach und nach eine Funktion des Körpers aus, bis der Tod eintritt. Schrecklich.
Es ist aber schon gewaltig: In Psalm 22 hat König David die Kreuzigung Jahrhunderte vor der Erfindung durch die Perser vorausgesagt. In Psalm 22 hören wir die Stimme des Messias, tausend Jahre vor Christus, durch die prophetische Ankündigung Davids.
Dort lesen wir in Vers 17b: „Sie haben meine Hände und meine Füße durchgraben.“ Das ist eine Vorbildung und Prophezeiung der Kreuzigung durch Nägel.
Nun soll Mordechai gekreuzigt werden. Mordechai ist also ein Bild des Herrn Jesus. Wir müssen wissen: Unser Fleisch hasst den Herrn Jesus auch. Und wenn jemand denkt, das waren nur die Römer und Juden damals, die Christus gekreuzigt haben, so haben wir heute genau die gleiche Natur.
Es ist ganz wichtig, daran zu denken, dass unser Fleisch im Prinzip zu jeder Untat fähig ist. Man müsste nur die Gelegenheit haben. Manche Menschen sind in Kriegszeiten, wenn es keine soziale Kontrolle mehr gibt und alle Schranken gefallen sind, zu Bestien geworden. Dann kann dieser böse Hammann voll durchbrechen.
Wenn man sich bewusst ist, dass das in jedem von uns steckt, ist man auch barmherziger mit denen, die gefallen sind. Man wird nicht hochmütig, aber trotzdem müssen wir das Böse verurteilen.
Das soll nicht dazu führen, dass wir sagen: „Ja gut, wir sind ja alle ein bisschen so.“ Nein, sondern dass wir uns bewusst sind: „Jawohl, ich wäre auch dazu in der Lage, aber durch die Gnade des Herrn bin ich bewahrt geblieben.“ Das ist eine wichtige Gesinnung.
Nun wird Hammann dieser Rat gegeben, und er wird in seinem Hass gegen Mordechai beruhigt. Es gibt einen ganz besonderen Weg der Kreuzigung für Mordechai.
Wir müssen uns vorstellen, dass das jetzt so zwischen dem ersten und dem zweiten Gastmahl bei Esther geschah, und dazwischen liegt noch eine Nacht.
Gottes souveräne Führung in der schlaflosen Nacht des Königs
Kapitel sechs
In jener Nacht fand der König keinen Schlaf. Ausgerechnet in dieser Nacht war er unruhig. Wir kennen das ja: Man kann nie genau planen, wann man gut schlafen wird. Zum Beispiel möchte man besonders gut von Montag auf Dienstag schlafen. Doch manchmal wacht man plötzlich etwas zu früh auf und kann nicht mehr einschlafen. Dann beginnt man, über verschiedene Dinge nachzudenken – ihr wisst, wie das ist.
Genau in dieser Nacht konnte Ahasveros schlecht schlafen. Er befahl, das Buch der Denkwürdigkeiten der Tagesereignisse zu bringen. Er wollte sich in der Nacht etwas unterhalten lassen. Das ist ähnlich wie bei den Goldberg-Variationen von Bach. Die Überlieferung, ob das genau so stimmt, wird diskutiert: Ein Graf, der nicht gut schlafen konnte, bat Bach, ein Stück für seinen Cembalisten Goldberg zu komponieren. Goldberg war ein junger, sehr begabter Cembalist. Er sollte nachts im Nebenzimmer spielen, wenn der Graf nicht schlafen konnte.
Die Goldberg-Variationen bestehen aus einer Aria mit dreißig Veränderungen, und am Schluss kommt die Aria nochmals. Wenn man alle Wiederholungen spielt, dauert das ganze Werk etwa zwei Stunden. Es ist das schwerste Stück von Bach für Klavier. Wer die Goldberg-Variationen spielen kann, der kann wirklich Klavier spielen. Das Stück dient zur Unterhaltung, aber es ist auch eine schöne und geistliche Unterhaltung, denn Bach hat geistliche Botschaften eingebaut.
Hier haben wir zwar keine Goldberg-Variationen, aber das Buch der Denkwürdigkeiten der Tagesereignisse wird dem König vorgelesen. Im Vers 2 steht geschrieben, dass Mordochai über Biktana und Teresch, die beiden Hofbeamten des Königs, die die Schwelle hüteten, berichtet hatte. Diese hatten danach getrachtet, Hand an den König Ahasveros zu legen.
Wenn man nicht schlafen kann, könnte man auch die Bibel herausnehmen und darin lesen. Dort liest man, wie der Herr Jesus durch das Holz mich von all meinen Sünden gerettet hat. In der Übertragung sehen wir, dass Biktana und Teresch, diese beiden Wächter, die Ahasveros umbringen wollten, ein Bild der Sünden sind, die uns den Tod bringen. Zufällig wird genau diese Stelle in jener Nacht vorgelesen. Das zeigt die Souveränität Gottes. Er hat alles in der Hand, sodass genau in der richtigen Nacht ein König nicht schlafen kann, man ihm etwas Unterhaltungsliteratur bringt und genau das Richtige vorgelesen wird.
Das führt zu einer Frage im Vers 3: Der König sprach, welche Ehre und Auszeichnung Mordochai dafür erwiesen worden sei. Die Diener des Königs, die ihn bedienten, antworteten, dass ihm nichts erwiesen worden sei. Ist das nicht schrecklich? Wenn wir im Wort Gottes lesen, über die Liebe des Herrn Jesus, zum Beispiel in Galater 2,20, wo steht, dass der Sohn Gottes mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat, fragt man sich: Was ist mein Dank dem Herrn Jesus gegenüber? Und wenn dann die Antwort kommt: „Es ist ihm nichts erwiesen worden“, ist das schrecklich!
Wir haben gesehen, dass Mordochai Ahasveros, also das Bild der Seele, gerettet hat. Gerade in den Versen darauf lesen wir, dass Ahasveros Haman über alle Fürsten erhoben hat, anstatt Mordochai. Nun merkt der König etwas. Aber schauen wir in Vers 4. Das ist das Timing Gottes: In dem Moment kommt jemand zum Hof herein. Der König fragt, wer im Hof sei. Haman war gerade in den äußeren Hof des Königshauses gekommen, um dem König zu sagen, man möge Mordochai an das Holz hängen, das er für ihn bereitet hatte.
Unglaublich! Genau in dem Moment, in dem der König sich fragt, was man eigentlich Mordochai gedankt hat, kommt Haman mit seinem Mordplan herein. Die Diener des Königs sagen dem König: „Siehe, Haman steht im Hof.“ Der König antwortet: „Er komme herein.“ Haman kam herein, und der König fragte ihn: „Was ist dem Mann zu tun, an dessen Ehre der König gefallen hat?“
Haman dachte in seinem Herzen: Wem anders als mir sollte der König Ehre erweisen wollen? Unglaublich, diese Einbildung! Haman musste sich nun etwas ganz Gutes überlegen. Der Mann, den der König zu ehren wünscht, sollte ein königliches Kleid erhalten, das der König selbst trägt, und das Pferd, auf dem der König reitet, mit der königlichen Krone auf dem Kopf. Man sollte das Kleid und das Pferd einem vornehmen Fürsten des Königs übergeben und den Mann, den der König ehrt, auf dem Pferd durch die Straßen der Stadt reiten lassen. Vor ihm sollte gerufen werden: „So wird dem Mann getan, den der König zu ehren wünscht.“
Der König sprach zu Haman: „Eile, nimm das Kleid und das Pferd, wie du gesagt hast, und tue so mit Mordochai, dem Juden, der am Tor des Königs sitzt. Lass nichts ausfallen von allem, was du gesagt hast.“ Haman nahm das Kleid und das Pferd, bekleidete Mordochai und ließ ihn durch die Straßen der Stadt reiten. Dabei rief er vor ihm her: „So wird dem Mann getan, den der König zu ehren wünscht.“
Mordochai kehrte zum Tor des Königs zurück. Haman aber eilte traurig und mit verhülltem Haupt in sein Haus. Er brach zusammen. Unglaublich! Doch nun könnte jemand sagen: Das Puzzle geht nicht auf. Haman muss Mordochai ehren. Heute Abend werden wir sehen, dass alles perfekt zusammenpasst. Man muss einfach an dieser Stelle aufhören.
