Einführung in die geistigen Grundlagen Europas
Heute Morgen beschäftigen wir uns mit dem Thema „Der moderne Mensch: Sein Denken und Handeln“. Dabei versuchen wir, innerhalb von zwei Stunden einen Überblick über zweitausend Jahre europäische Geistesgeschichte zu gewinnen.
Wir beginnen mit Europas geistigen Wurzeln. Was ist die Basis, was sind die Ausgangsstellungen Europas? Zunächst ist die Philosophie der alten Griechen aus vorchristlicher Zeit zu nennen. Danach folgt die Kultur des alten Roms. Die Römer haben die Philosophie der Griechen übernommen, ebenso ihre Religion. Gleichzeitig verbanden sie dies mit ihrer politischen Fähigkeit. Ihr gesamtes Staatswesen ist eingebettet in das griechische Denken. Auch das ist eine ganz wesentliche Ausgangsstellung für Europa.
Dazu kommt die Mythologie – also all die Göttergeschichten und Vorstellungen. Die Mythologie und die Religionen der Griechen, der Römer, der Germanen und der Kelten spielen hier eine wichtige Rolle.
Dann kommt eine ganz neue Kraft hinzu, die wesentlich in Europa gewirkt hat: ein Buch – die Bibel. Wir gehen also zurück in die Zeit vor zweitausend Jahren, als das römische Weltreich die gesamte Mittelmeerwelt beherrschte: Nordafrika, den Nahen Osten, Europa bis hinauf nach England.
Wie bereits erwähnt, hat das römische Weltreich die griechische Philosophie aufgenommen. Auch die griechische Götterwelt wurde in eine römische Götterwelt umgewandelt. Es war eine Zeit, in der viele neue religiöse Ideen aus dem Osten in den Westen gelangten, darunter esoterische Geheimkulte. Dies führte zu einem Pluralismus der Religionen.
Man konnte in diesem Weltreich ganz verschiedene Religionen nebeneinander antreffen. Wichtig war nur, dass man dem Kaiser göttliche Verehrung zollte. Daneben konnte man jede Religion ausüben, die man wollte.
Die Geburt und Bedeutung des Christentums
In diese Zeit hinein wurde Jesus Christus im örtlichen Teil des Römischen Reiches geboren, in Bethlehem, in Juda, im Heimatland der Juden.
Jesus Christus hat in seinem Leben über dreihundert Prophezeiungen aus dem Alten Testament erfüllt, die den kommenden Retter, den leidenden Messias, betreffen. Entsprechend diesen Prophezeiungen wurde er schließlich auch von seinem Volk abgelehnt. Im Jahr 32 nach Christus wurde er der römischen Herrschaft übergeben. Diese ließen ihn auf dem Golgatha-Felsen vor den Toren Jerusalems kreuzigen.
Aber auch entsprechend den Schriften des Alten Testaments ist der Messias Jesus am dritten Tag auferstanden. Auf dem Ölberg hat er Abschied genommen, bevor er in den Himmel auffuhr. Dabei erteilte er den Auftrag für die Weltmission – ein Vier-Punkte-Programm nach Apostelgeschichte 1,8:
"Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist, und ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde."
Das Evangelium, die frohe Botschaft von dem Erlöser, dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus, sollte in die ganze Welt getragen werden. Diese frohe Botschaft gelang bereits im ersten Jahrhundert nach Europa.
Die Bibel als Grundlage des christlichen Glaubens
Und ganz wesentlich in der Verkündigung des Erlösers ist die Tatsache, dass die Bibel Gottes Wort ist. Hier finden wir den Ewigen, der zu uns Menschen spricht – in schriftlicher Form.
In der Bibel wurde alles im Vorausgesagt in Bezug auf das Kommen des Erlösers. Diese Prophezeiungen haben sich genau so erfüllt. Deshalb wurde die Bibel zur Basis des christlichen Glaubens, der in alle Welt getragen werden sollte.
Die Bibel als Grundlage des Christentums wird durch Paulus im 2. Timotheusbrief 3,16 bezeugt. Dort heißt es: „Alle Schrift“, damit sind das Alte und das Neue Testament gemeint, „ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung und zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes vollkommen sei und zu jedem guten Werk völlig geschickt.“
Beachten wir den Ausdruck „eingegeben“ in diesem Vers. Im Griechischen lautet das Wort Theopneustos und bedeutet „von Gott gehaucht“. Das heißt, das Geschriebene hier ist Gottes direkte Rede, in schriftlich fixierter Form. Wenn wir sprechen, brauchen wir den Hauch; ohne den Hauch geht gar nichts. So spricht Gott also durch die ganze Schrift, sowohl im Alten als auch im Neuen Testament.
Es ist Gottes direktes Sprechen und nicht einfach so, dass die Schreiber inspiriert waren. Hier wird mehr gesagt: Das Geschriebene selbst ist Gottes direkte Rede. Wäre das nicht so, könnte man denken, die Propheten und Schreiber seien inspiriert gewesen, hätten aber bei der Abfassung eigene Gedanken hineingetragen.
Doch dieses urchristliche Zeugnis des Neuen Testaments bezeugt, dass alle Schrift – das Geschriebene selbst – von Gott inspiriert ist.
Widerstände gegen das Evangelium in der antiken Welt
Nun, diese Botschaft verbreitete sich in einer heidnisch-römischen Welt, was unweigerlich zu einer gewaltigen Konfrontation führen sollte. Das Evangelium stieß auf Widerstand.
Was waren die Festungsblöcke gegen das Evangelium? Zunächst einmal die Götterwelt der Griechen und Römer. Ein weiterer Block war der Kaiserkult. Die ersten Christen weigerten sich, am Kaiserkult teilzunehmen, und das brachte ihnen Probleme. Sie hätten Religionsfreiheit gehabt, wenn sie diesen Kult einfach nebenbei praktiziert hätten. Doch das konnten sie nicht, denn es stand im Widerspruch zum ersten und zweiten Gebot des Gesetzes: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ und „Du sollst kein Bildnis anbeten“.
Ein weiterer Block war allgemein der Okkultismus und die Esoterik in der römisch-griechischen Welt. Hinzu kam der religiöse Pluralismus, also die Vorstellung, dass viele Ideen nebeneinander bestehen können. Wenn aber jemand so absolut ist und sagt, es gehe nicht, den Kaiserkult neben dem Evangelium zu praktizieren, dann gilt diese Person als intolerant. So war dieser religiöse Pluralismus ebenfalls eine gewaltige Festung gegen das Evangelium.
Weiterhin stand die Philosophie der Griechen und Römer grundsätzlich und fundamental im Widerspruch zu dem, was in der Heiligen Schrift steht. Auch das führte zu Widerspruch und Kampf.
Ganz abgesehen von religiösen und philosophischen Bollwerken gab es auch ein moralisches Bollwerk – oder besser gesagt ein immorales Bollwerk. Die heidnische Unmoral und Perversion, die die alte Welt beherrschte, stand völlig im Widerspruch zum Evangelium.
Beispiele der Konfrontation: Paulus in Athen, Korinth und Ephesus
Ich möchte das an Apostelgeschichte 17 illustrieren. Dieses Buch beschreibt die ersten drei Jahrzehnte der christlichen Mission, von 32 bis 62 nach Christus. Dort sehen wir unter anderem, wie der Apostel Paulus, der Heidenapostel, nach Athen kam. Athen war die Hochburg der Philosophie in der alten Welt.
Sie können das in Apostelgeschichte 17 nachlesen. Paulus kam nach Athen, und es kam zur Auseinandersetzung, zur Konfrontation, direkt mit den Epikuräern und den Stoikern, zwei Philosophenschulen in Athen. Paulus hielt dort seine Rede vor dem Areopag. Er ging auf das heidnische griechische Denken ein, auf die Götterwelt damals und auf die Philosophie der Griechen.
In dieser Rede werden viele verschiedene Punkte der Philosophie angesprochen, aber immer im Licht des Evangeliums. Paulus schreibt im Kolosserbrief, Kapitel 2, Vers 8, an die jungen Christen: „Seht zu oder passt auf, dass nicht jemand euch als Beute wegführe durch die Philosophie“ – griechisch „Philosophia“, was etwas ganz Schönes bedeutet: Liebe zur Weisheit. Aber die Bibel warnt: „Seht zu, dass nicht jemand euch als Beute wegführe durch die Philosophie und durch Lehrenbetrug, nach der Überlieferung der Menschen, nach den Elementen der Welt und nicht Christusgemäß.“
Hier wird also der Widerspruch zwischen Evangelium und griechischer Philosophie ganz deutlich. Paulus besuchte später Korinth, wie wir in Apostelgeschichte 18 lesen. Korinth war in der alten Welt die Hochburg der Unmoral und der Perversion. Unmoral war in der alten Welt allgemein verbreitet und auch akzeptiert. Ehebruch, Hurerei, Prostitution, Homosexualität und Pädophilie waren in der alten Welt akzeptiert.
Darin war man also schon einen Schritt moderner als unsere Gesellschaft – aber das kommt noch, denn unsere Gesellschaft wird von Tag zu Tag moderner. Besonders beachtenswert ist der Brief des Paulus, 1. Korinther 5-7, in dem ausführlich das Problem der vielfältigen Perversion und Unmoral angesprochen wird. Dort wird auch erklärt, wie in der Gemeinde mit Gemeindedisziplin umgegangen werden muss.
Ich lese aus 1. Korinther 6,18: „Flieht die Hurerei“ – griechisch „Porneia“. Porneia bezeichnet jeglichen Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe, also vor und neben der Ehe. Es meint nicht nur Prostitution, sondern jeglichen Geschlechtsverkehr außerhalb des von Gott gegebenen und geschützten Rahmens der Ehe. Dazu gehört übrigens auch Homosexualität, also jeglicher Geschlechtsverkehr. Paulus sagt: „Flieht die Hurerei! Jede Sünde, die ein Mensch begeht, ist außerhalb des Leibes; wer aber hurert, sündigt gegen seinen eigenen Leib. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt, den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört?“
Später, in Apostelgeschichte 19, kommt Paulus nach Ephesus. Ich wähle Ephesus als Beispiel der Konfrontation, weil diese Stadt die Hochburg des Okkultismus, der Magie und des Aberglaubens in der alten Welt war. Obwohl wie in Korinth auch dort Unmoral verbreitet war, war Ephesus besonders für den Okkultismus bekannt.
Noch ergänzend zu Korinth: Im Altgriechischen gab es ein Verb, das hieß „Corinthiazestai“. Das bedeutete „korinthisch leben“ und war gleichbedeutend mit „unmoralisch leben“. Selbst für die unmorale alte Welt war Korinth wirklich der Inbegriff von Sittenlosigkeit. Das entsprechende Wort für den Okkultismus galt für Ephesus.
Man lese Apostelgeschichte 19, Paulus in Ephesus, und man sieht dort den Artemiskult der Epheser. Es gab einen Volksaufstand gegen das Evangelium, der in diesem Theater stattfand, das wir hier sehen. Zwei Stunden lang versammelte sich die Bevölkerung und schrie in Ekstase: „Groß ist die Artemis der Epheser!“ Dabei muss man wissen: Die Artemis der Epheser war eine Göttin des Todes, eine Todesgöttin.
Das war wirklich die Göttin, die man als die Göttin mit der stärksten Magie betrachtete. Sie wurde ganz speziell in Ephesus verehrt. In Apostelgeschichte 19 lesen wir auch, dass viele zum Glauben gekommen waren und dann ihre Zauberbücher brachten und verbrannten – für 50 Denare Silberstücke. Das entspricht 50 Arbeitstagen. So bekommt man einen Eindruck von der wirtschaftlichen Bedeutung dieses Okkultismus.
Dort liest man auch eine ganz eigenartige Geschichte über Exorzismus, also einen verfehlten Versuch, Dämonen auszutreiben. Das war Ephesus. In seinem Epheserbrief schreibt Paulus in Epheser 2,2 über die Sünde: „In welchen ihr einst wandeltet nach dem Zeitlauf dieser Welt, nach dem Fürsten der Gewalt, der Luft, des Geistes, der jetzt wirksam ist in den Söhnen des Ungehorsams.“
Paulus spricht in diesem Brief überhaupt nicht einmal über Artemis, sondern er sagt, dahinter steht der Satan. Er nennt ihn den Fürsten der Gewalt der Luft. Mit solchen Hochburgen mussten sich die ersten Christen auseinandersetzen. Aber ihre Basis war die Bibel und die Bibel allein.
Das Zeitalter der Apologeten und die Integration der Philosophie
Im zweiten Jahrhundert erleben wir das Zeitalter der Apologeten. Apologie bedeutet die Verteidigung des christlichen Glaubens. Bis dahin kamen meistens Menschen aus der Unterschicht zum Glauben. Im Allgemeinen waren es wenige gebildete Personen, die sich dem Evangelium zuwandten.
Die Apologeten waren Männer wie Quadratus, Aristides, Aristion von Pella, Justin der Märtyrer, Tatian, Athenagoras und Theophilus. Diese Männer versuchten, gegenüber den Gebildeten der alten Welt den christlichen Glauben mit guten Argumenten zu verteidigen. Sie wollten das Evangelium in der Sprache erklären, wie die Gebildeten damals dachten. Deshalb nutzten sie philosophische Argumente, um den christlichen Glauben zu erläutern und zu verteidigen.
Mit ihrer Arbeit wollten sie dem schweren Vorwurf begegnen, dass Christen ungebildete Menschen seien. Wenn man 1. Korinther 1-2 liest, sagt Paulus zu den Korinthern: „Schaut auf eure Berufung, es sind nur wenige Edle, wenige Adlige. Gott hat das, was verachtet ist, auserwählt.“ Das entsprach auch der Realität. Dennoch wollten die Apologeten diesem Vorwurf entgegentreten.
Sie stellten den christlichen Glauben quasi als eine Philosophie dar. Dabei wollten sie deutlich machen, dass der christliche Glaube die beste Philosophie sei, die es gibt. Allerdings rückte in ihrer Verteidigungsarbeit das Kreuz immer mehr aus dem Zentrum. Ihre Arbeit hatte evangelistisch nicht allzu große Wirkung.
Dennoch hatte sie Folgen: Durch ihre Arbeit drang die griechische Philosophie immer mehr in die Kirche und die Gemeinden ein. Deshalb ist das zweite Jahrhundert als das Jahrhundert der Apologeten ganz entscheidend für die weitere Entwicklung des Christentums.
Die Wende im vierten Jahrhundert und die Christianisierung des Römischen Reiches
Im vierten Jahrhundert änderte sich alles ganz gewaltig. Bis dahin waren die Christen hauptsächlich Menschen aus dem Sklavenstand und den unteren Schichten, nicht so sehr die Gebildeten. Sie wurden bis zum Jahr 312 ständig vom römischen Reich verfolgt.
Dann kam die Wende im vierten Jahrhundert mit Kaiser Konstantin, der sich äußerlich dem Christentum zuwandte. Durch diese Wende wurden viele Heiden Christen – allerdings nur "Christen" in Anführungsstrichen, weil es gesellschaftliche Vorteile brachte, Christ zu sein. Früher war das ganz anders. Oft musste man einen hohen Preis bezahlen, um Christ zu sein. Jetzt jedoch brachte es Vorteile, denn im äußerlich christianisierten römischen Reich hatte man Nachteile, wenn man Heide blieb.
So wurden viele Christen. Man hätte also äußerlich sagen können, dass eine große Erweckung ausgebrochen sei. Die Kirchen waren voll, sogar übervoll. Ja, das war eine Erweckung, aber mit katastrophalen Folgen für die weitere Kirchengeschichte. Denn diese Entwicklung führte zu einem massiven Eindringen von Heidentum, heidnischen Gedanken, Aberglauben und griechischer Philosophie – ganz besonders von Platons Ideenlehre.
Der Herr Jesus hatte diese Entwicklung in seinen Himmelreichsgleichnissen vorausgesagt. In Matthäus 13 legte er dar, wie es kommen würde, wenn er, der Menschensohn, von dieser Erde weggehen würde. Dort heißt es:
„Ein anderes Gleichnis legte er ihnen vor und sprach: Das Reich der Himmel ist einem Menschen gleich geworden, der guten Samen auf seinem Acker säte. Während aber die Menschen schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut mitten unter den Weizen und ging hinweg. Als aber die Saat aufsprießte und Frucht brachte, da erschien auch das Unkraut.“
Der Weizen steht hier für die wahren Christen von Anfang an. Doch dann kam ein Feind dazwischen, der Unkraut säte. Das griechische Wort bezeichnet eine bestimmte Unkrautart, den Lolch. Der Lolch ist eine dem Weizen ähnliche Pflanze, die erst bei der Reife der Ähre deutlich vom Weizen zu unterscheiden ist. Hier hatte der Herr also die Vermischung von echten und unechten Christen in großem Ausmaß lange vorausgesagt.
Ab dem vierten Jahrhundert, als das römische Reich äußerlich christianisiert wurde, begannen die Christen auch, die Machtstrukturen des politischen römischen Reiches zu kopieren und in die Kirche zu übernehmen. Deshalb erstaunt es nicht, dass genau in dieser Zeit die päpstliche Kirche aufgebaut wurde.
Der erste Papst, der den Vorsitz über alle Bischöfe der Welt beanspruchte, war Papst Leo I. um 440 nach Christus. Es entstand ein gewaltiger Machtapparat, der dem politischen Machtapparat Roms entsprach. Dieser Machtapparat ersetzte letztlich die Autorität der Schrift.
Es war nicht mehr die Frage, ob etwas der Schrift entsprach, sondern immer mehr eine Frage, ob es der Auslegung des Machtapparates entsprach. Die Autorität der Schrift wurde nicht geleugnet, sie blieb bestehen. Doch in der Praxis wurde sie durch den Machtapparat der Kirche ersetzt.
Die Entwicklung zu einem kirchlichen Machtapparat und die Folgen
Matthäus 13,31: Ein anderes Gleichnis legte er ihnen vor und sprach: Das Reich der Himmel ist gleich einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte. Dieses Korn ist zwar kleiner als alle Samen, doch wenn es gewachsen ist, ist es größer als die Kräuter und wird ein Baum, sodass die Vögel des Himmels kommen und sich in seinen Zweigen niederlassen.
Die Christenheit sollte sich so entwickeln: zuerst ganz klein und unscheinbar wie ein Senfkorn, doch dann zu einem Machtgebilde heranwachsen, einem Baum. Größere Samen werden nur Kräuter, aber dieser ganz kleine Samen wird zu einem Baum von mehreren Metern Höhe. Und so ist es gekommen.
Ich habe erklärt, wie die Philosophie Platons immer mehr, besonders ab dem vierten Jahrhundert, ins Christentum eingedrungen ist. Die Anfänge gehen jedoch schon auf das erste Jahrhundert zurück, vor allem durch die Gnosis, die auf das Christentum einwirkte. Schon im ersten Jahrhundert findet man platonische Gedanken, doch ab dem vierten Jahrhundert wurden sie sehr stark und allgemein verbreitet.
Darum müssen wir uns nun mit der Philosophie Platons auseinandersetzen, denn er gilt als einer der größten Philosophen neben Aristoteles in der gesamten antiken Welt. In dieser Zeit geht die Theologie, also das Studium der Heiligen Schrift mit allem Drum und Dran, eine Symbiose mit der Philosophie ein.
Die Philosophie wird nicht als Feind gesehen, sondern als eine wertvolle Ergänzung und Hilfe, als eine Magd, die der Theologie beistehen soll. Wir werden nun sehen, dass die Philosophie Platons schließlich das christliche Denken über tausend Jahre beherrschte.
Platons Philosophie wurde zum Korsett für das christliche Denken.
Platons Ideenlehre und ihre Auswirkungen
Nun wollen wir uns etwas der Philosophie und der Ideenlehre Platons zuwenden. Platon hat seine Ideenlehre im berühmten Höhlengleichnis sehr anschaulich dargestellt. Er betrachtet uns Menschen hier auf der Erde als Menschen, die in einer Höhle gefangen sind, angekettet, sodass sie nur auf eine Wand in der Höhle schauen können.
In dieser Höhle gibt es weiter oben ein Feuer. Die Höhle führt hinauf in die Oberwelt. Alles, was sich dort in der Oberwelt bewegt, wird durch das Feuer in der Höhle als Schatten an die Wand projiziert. Platon sagt, alles, was wir sehen und wahrnehmen, sind eigentlich nur Schatten. Das ist nicht die wahre Realität. Die eigentliche Realität der Dinge befindet sich jenseits, oben. Über den Ideen im Jenseits steht die Idee des Guten, das höchste und göttliche Prinzip. Alles, was wir hier unten haben, ist nur ein Schatten davon.
Platon lebte von 428 bis circa 347 v. Chr. Das Höhlengleichnis wird im Encarta-Lexikon folgendermaßen beschrieben: Im Höhlengleichnis beschreibt Platon Menschen, die tief im Innern einer Höhle festgebunden sind. Ihr Gesichtskreis ist eingeschränkt, und sie können einander nicht sehen. Das einzig Sichtbare ist die Höhlenwand, auf der die Schatten von Modellen oder Nachbildungen von Tieren und Gegenständen zu sehen sind. Diese werden an einem hell brennenden Feuer vorbeigetragen.
Einem der Gefangenen gelingt es, auszubrechen und sich aus der Höhle an das Tageslicht zu flüchten. Das Sonnenlicht ermöglicht ihm nun zum ersten Mal, die wirkliche Welt zu sehen. Er kehrt in die Höhle zurück und überbringt den anderen die Botschaft, dass alles, was sie bis dahin gesehen haben, nur Schatten gewesen seien. Die wirkliche Welt erwarte sie, wenn sie bereit seien, sich von ihren Fesseln zu befreien.
Die Schattenwelt der Höhle symbolisiert bei Platon die physische Welt der Erscheinungen. Das, was wir sehen, hören und ertasten, ist also nichts Wirkliches, sondern nur die Welt der Erscheinungen. Der Ausbruch aus der Höhle in die sonnendurchflutete Außenwelt bedeutet den Übergang in die wirkliche Welt – die Welt des Vollkommenen, des Vollkommenseienden, die Welt der Ideen, dem wahren Gegenstand der Erkenntnis.
Platon ging davon aus, dass die Seelen der Menschen schon früher eine Existenz hatten. Dort, im Jenseits, haben sie die eigentlichen Urideen gesehen, zum Beispiel die Idee „Tier“. Diese Idee ist hier auf der Erde in Schatten ganz verschieden ausgeprägt – in Pferden, Hühnern, Krokodilen. Auch diese sind wieder ganz unterschiedlich, aber sie alle gehen zurück auf eine Uridee, die das Wirkliche im Jenseits oben ist. Der Mensch müsse also versuchen, aus dieser Welt der Gefangenschaft und der Schatten auszubrechen, um das Wirkliche zu sehen.
Nun verstehen wir die Grafik der Ideenlehre viel besser. Doch wozu führte dieses Denken? Es führte dazu, dass man alles, was hier auf Erden ist, das Irdische, verachtete. Es war letztlich ein Gefängnis, dass die Seelen hier im Körper sind, denn der Körper besteht aus Materie. Das ist alles nur Schatten, nicht das Wirkliche.
Diese Verachtung des Diesseits, des Irdischen, birgt die große Gefahr, dass der obere Bereich den unteren Bereich letztlich auffrisst. Platon glaubte, dass der Mensch in seinem Denken eine Erinnerung an das frühere Leben der Seele hat. Darum weiß er von diesen Ideen. Doch diese Erkenntnis kommt nicht aus der Forschung in der Natur. Man kommt nicht durch sinnliche Wahrnehmung darauf. Es ist vielmehr eine im Denken eingepflanzte Erinnerung an das frühere Leben.
Dadurch wird auch die Forschung verachtet, denn die wahre Erkenntnis kommt aus dem Denken selbst, ohne die Wahrnehmung. Man erkennt, wie der Mensch hier gespalten wird. Das innere Denken wird abgespalten von dem, was wir äußerlich aufnehmen können. Man kann hier von einer Zwei-Welten-Lehre sprechen: Oben ist die Welt, die nur dem Geist des Menschen durch Erinnerung an eine frühere Seelenexistenz zugänglich ist. Unten haben wir die Welt, die durch die Sinne – Augen, Ohren, Tastsinn usw. – wahrnehmbar ist.
Wichtig in der Philosophie ist nun Folgendes: Über verschiedene Stufen soll sich der Mensch hinaufarbeiten, damit er das Wirkliche oben erkennen kann. Oben kann man als das Gute umschreiben. Das ist der Bereich von Gott oder dem Göttlichen, der Bereich der Ideen, der Vernunft, des Geistes und der Seele. Unten steht das Schlechte oder Minderwertige, der Bereich der Materie, des Körpers.
Dies hat weitreichende Auswirkungen. Wie der Mensch denkt, so ist er. Daraus folgt eine Verachtung der Natur, des Körpers und des Irdischen schlechthin. Auch die Sexualität in der Ehe, die von Gott gegeben ist, wird verachtet.
Vergleich von Platons Ideenlehre und biblischer Offenbarung
Nun kann man natürlich sagen: Ja, aber Platons Gedanken sind doch gar nicht so daneben. Die Bibel selbst spricht doch darüber, dass der Tempel, der jüdische Tempel auf Erden, ein Abbild war – nach Hebräer 8 – von einem originalen Tempel im Himmel. In Offenbarung 11,19 heißt es: „Der Tempel Gottes im Himmel wurde geöffnet.“
Also haben wir in der Bibel ein Urbild im Himmel und ein Abbild auf der Erde. Das Ganze weist als Sinnbild auf den Messias Jesus, auf die Gemeinde und auf den einzelnen Erlösten hin. Das wird im Neuen Testament so dargestellt: Urbild, Abbild, Sinnbild.
Nun sind Platons Ideen sehr ähnlich. Man könnte sich natürlich sagen: Vielleicht hatte er als Heide, der noch keinen Kontakt zur Offenbarung Gottes durch die Bibel hatte, eine Offenbarung von Gott erhalten – sozusagen als Vorbereitung aufs Evangelium.
Platon – das habe ich bei meinem Ethikprofessor gelernt – war ein Pädophiler. Er sagte: „Platon ist nicht gut, Platon ist nicht gut.“ Nun wisst ihr, wer das war, der so spricht. Das war Huntemann. Er hat also ganz deutlich gezeigt, dass Platon nicht ein Sprachrohr Gottes ist.
Woher hat Platon diese Grundidee? Im Heidentum findet man eine teuflische Perversion. Woher kommt das? Zum Beispiel weisen die Tempel in aller Welt, von Ägypten bis nach Japan, viele Ähnlichkeiten mit dem biblischen Tempel auf, den Mose auf dem Berg in einer göttlichen Vision gesehen hat.
Das hängt damit zusammen, dass nach der Bibel – in Hiob 1 und 2 – auch Satan Zugang zum Himmel hat. Er kennt das Urbild. Er weiß, dass der biblische Tempel auf Erden ein Abbild ist. Er kennt die Bedeutung des Sinnbildes, denn das steht ja alles schon im Alten Testament. Dort ist der Tempel ein Sinnbild auf den Messias.
Zum Beispiel wurde eine hethitische Inschrift gefunden, in der ein Gott einem Hethiter erscheint und ihm Anweisungen gibt, wie er genau Tempelgeräte herstellen soll – also eine Kopie einer höheren Vorlage.
Was die Urbilder oder die Archetypenlehre bei Platon betrifft, so geht sie auf eine Kernwahrheit zurück, ist aber letztlich doch etwas völlig anderes als das, was in Platons Ideenlehre dargestellt wird. Es gibt eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Realität, aber in der Bibel wird das Irdische nie verachtet.
Darum schauen wir uns Bibel kontra Platon an. Bei Platon gibt es oben die Welt, die nur dem Geist des Menschen zugänglich ist, und unten die Welt, die durch die Sinne wahrgenommen wird und die verachtet wird.
Aber jetzt schauen wir in 1. Timotheus 4,4-6: Paulus schreibt: „Denn jedes Geschöpf Gottes ist gut und nicht verwerflich, wenn es mit Danksagung genommen wird; denn es wird geheiligt durch Gottes Wort und Gebet. Wenn du dies den Brüdern vorstellst, wirst du ein guter Diener Christi Jesus sein, auferzogen durch die Worte des Glaubens und der guten Lehre, der du genau gefolgt bist.“
Sehen wir, wie hier betont wird: Diese Lehre – dass jedes Geschöpf Gottes gut und nichts verwerflich ist – gehört zu den Worten des Glaubens und der guten Lehre, der man wie Timotheus genau folgen soll, nicht nur ungefähr. Hier wird dem platonischen Denken, dem Platonismus, ganz klar der Kampf angesagt.
Oder lesen wir Hebräer 13,4: „Die Ehe sei geehrt in allem, und das Bett unbefleckt.“ Das heißt, die Ehe darf nicht durch Ehebruch befleckt werden. Huren und Ehebrecher wird Gott richten. Die Ehe wird nicht verachtet, sondern die Ehre wird in allem dargestellt – in jedem Bereich.
Wenn es um Romantik, Sexualität, Familienleben oder die Beziehung zueinander geht, die gepflegt werden soll, in allen möglichen Bereichen – die Ehe ist ein riesiges Feld. „Die Ehe sei geehrt in allem.“
Nun schauen wir 1. Timotheus 3,2.4-5 an. Dort geht es um Anweisungen über Älteste und Aufseher. Das Wort Aufseher, Episkopos, hat später im Deutschen das Wort Bischof gegeben. Die Einheitsübersetzung übersetzt es auch an dieser Stelle mit Bischof.
Der Bischof muss untadelig sein, der Mann einer Frau, der dem eigenen Haus wohl vorsteht und seine Kinder in Unterwürfigkeit hält – mit allem würdigen Ernst. Wenn aber jemand dem eigenen Haus, das heißt der eigenen Familie, nicht vorzustehen weiß, wie soll er die Kirche Gottes besorgen?
Was hat man daraus gemacht? Bereits im zweiten Jahrhundert hatten Älteste, also Bischöfe, den Rat erhalten, sie sollten, wenn möglich, sich nicht verheiraten. Man hielt es für üblich, dass ein Bischof in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag keinen Verkehr mit seiner Frau haben sollte, damit er nicht befleckt sei für den Gottesdienst.
Woher kommt dieses Denken? Das ist überhaupt nicht biblisch. „Die Ehe sei geehrt in allem.“ So hat sich das stufenweise entwickelt bis zum Zölibat, wo dann erklärt wird, der Amtsträger in der Kirche dürfe nicht verheiratet sein. Erst dann sei er wirklich rein.
Das ist nicht biblisches Denken.
Dazu kommt im Denken Platons das Aufsteigen des Menschen, eine Selbsterlösung, die eine große Rolle spielt. Über verschiedene Stufen sollte der Mensch hinaufarbeiten und sich befreien, bis er das wirklich Gute oben ergreift, das mit dem Materiellen nichts zu tun hat.
Nun verstehen wir, warum immer mehr der Gedanke in die Kirche hineinkam, dass gute Werke, Ablassgelder, asketische Übungen usw. Menschen helfen sollten, aufzusteigen und das Wahre letztlich zu ergreifen.
Kolosser 2,9-10 sagt: „Denn in ihm, in Christus, wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig, und ihr seid vollendet in ihm.“ Der Christ hat durch den Glauben an den Herrn Jesus alles. Er ist mit Gott versöhnt, hat Frieden mit Gott, das ewige Leben und die volle Vergebung.
Es braucht keine Stufenentwicklung zu einer höheren geistigen Stufe. „Ihr seid vollendet in ihm.“ Christus ist vollkommen. Die ganze Fülle der Gottheit des dreieinen Gottes wohnt in ihm leibhaftig. Ihr seid in Christus vollendet, zum Ziel gebracht.
Keine Entwicklung, keine noch eine nächste Stufe: „Jetzt fehlt dir etwas, du hast dich bekehrt, aber jetzt solltest du noch diese Stufe erreichen und dann diese Stufe erreichen.“
Römer 3,23 sagt: „Denn es ist kein Unterschied: Alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes und werden umsonst gerechtfertigt oder gerechtgesprochen durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist.“
Der Mensch ist verunreinigt durch die Sünde, nicht dadurch, dass er körperlich ist, wie im Platonismus, sondern dadurch, dass er gesündigt hat. Er kann sich selbst nicht zur Herrlichkeit Gottes hinaufarbeiten und diese erreichen.
Aber wir sehen, dass diese Werkgerechtigkeit, die in die Kirche hineingekommen ist, nicht aus der Bibel stammt, sondern aus dem Platonismus.
1. Timotheus 4,1-3 schreibt Paulus im ersten Jahrhundert: „Der Geist aber sagt ausdrücklich, dass in späteren Zeiten – nicht in den letzten Zeiten, wie manche Bibeln übersetzen, sondern wirklich in späteren Zeiten – etliche vom Glauben, das heißt vom Glaubensgut der Apostel, abfallen werden, indem sie achten auf betrügerische Geister und Lehren von Dämonen, die in Heuchelei Lügen reden und ihr Gewissen wie mit einem Brenneisen gehärtet haben. Sie verbieten zu heiraten und gebieten, sich von Speisen zu enthalten, die Gott geschaffen hat zur Annehmung mit Danksagung für die, welche Glauben und Wahrheit erkennen.“
Diese Dinge sind in späteren Zeiten gekommen, nämlich vor allem ab dem dritten und noch mehr im vierten Jahrhundert. Da entstanden Zölibat, der Gedanke, dass ein Amtsträger nicht heiraten soll, das Verbot zu heiraten und die ganze Askese.
Um 300 war das, wie später einmal in der Geschichte das Hippieleben, dem viele einfach nachrannten, weil es im Zeitgeist lag. Das war damals das Mönchsleben.
Wer „in“ sein wollte um 300, ging in die Wüste als Mönch, als Eremit, als einsamer Eremit. Das war damals der Trend.
Die Bibel sagt: In späteren Zeiten werden sie vom Glaubensgut abfallen, gebieten sich, von Speisen zu enthalten, die Gott geschaffen hat, zur Annehmung mit Danksagung. Es ist gut, was Gott uns gegeben hat.
Aber diese Gedanken kommen woher? Von „betrügerischen Geistern“, die von Dämonen lehren. So drückt sich die Bibel aus.
Die Wiederentdeckung von Aristoteles und ihre Folgen
Platon hat also die Christenheit über tausend Jahre oder sogar länger geprägt. Im dreizehnten Jahrhundert jedoch kam es zu einer Wende in der Philosophie: die Wiederentdeckung von Aristoteles. Aristoteles lebte von 384 bis 322 v. Chr. und war ein Schüler Platons. Er lehnte die Gedanken seines Lehrers ab und entwickelte eine andere Philosophie.
Nach dem Niedergang Roms im fünften Jahrhundert nach Christus gingen die Werke des Aristoteles im Wesentlichen im Westen verloren. Man hatte zwar die Schriften Platons, aber die Werke Aristoteles waren nicht einfach so verfügbar. In der arabischen Welt wurde Aristoteles im neunten Jahrhundert in arabischer Übersetzung in den Islam eingeführt. Islamische Denker setzten sich intensiv mit Aristoteles auseinander und bewahrten seine Werke über die Jahrhunderte.
Die westliche Welt war jedoch von der islamischen Welt durch eine Kluft getrennt. Erst durch die Kreuzzüge, die die Christen in der islamischen Welt durchführten, wurde Aristoteles im dreizehnten Jahrhundert im Abendland wiederentdeckt. Die Kreuzfahrer drangen in die islamische Welt ein und brachten Aristoteles als Mitbringsel mit. Seine Werke wurden aus dem Arabischen übersetzt, und plötzlich erkannte man, dass diese Gedanken völlig neu für den Westen waren. Aristoteles wurde schnell zum neuesten Trend.
Aristoteles wandte sich gegen die Lehre Platons. Er lehnte die Ideenlehre Platons ab und betonte stattdessen die Bedeutung der irdischen Einzeldinge, also zum Beispiel das einzelne Pferd auf der Wiese. Er hob das Einzelne hervor – sei es ein Haus oder der einzelne Mensch. Damit betonte er den unteren Bereich und lehnte den oberen Bereich sozusagen ab. Das hatte weitreichende Folgen.
Durch die Entdeckung dessen, was unten ist, erwachte das Interesse an Natur, Forschung und Wissenschaft. Doch durch diese Überbetonung des Sichtbaren kam es in den folgenden Jahrhunderten zunehmend zu einer Verachtung des Jenseitigen, des Übernatürlichen und des Göttlichen.
Wir haben zuvor bereits gesehen, wie die Bibel im Gegensatz zu Platon steht. Nun lässt sich auch sagen: Bibel contra Aristoteles. In Matthäus 6,19-21 heißt es: „Sammelt euch nicht Schätze auf der Erde, wo Motte und Rost zerstören und wo Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Rost zerstören und wo Diebe nicht einbrechen noch stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.“
Obwohl die Bibel das Irdische als Geschöpflichkeit Gottes hochachtet, betont sie doch, dass man sich nicht in den irdischen Dingen verlieren soll, indem man sich Reichtümer anhäuft. Man soll sich Schätze im Himmel sammeln, denn das Irdische vergeht.
In Verbindung mit Aristoteles muss man also sagen: Vorsicht! Bei der Überbetonung des unteren Bereichs wird letztlich der obere Bereich aufgefressen.
Überblick über die philosophischen Einflüsse auf Europa
Nun können wir also in der Übersicht sagen: Aristoteles kontra Platon. Platon übte vom ersten bis zum dreizehnten Jahrhundert einen verheerenden Einfluss auf das Abendland aus. Daraus entstand dieses mystische, das Diesseits verachtende Denken sowie das ganze Selbsterlösungsdenken.
Aristoteles hingegen übte vom dreizehnten bis zum einundzwanzigsten Jahrhundert einen verheerenden Einfluss auf das Abendland aus. Sein Denken führte letztlich zu einem irdischen, materialistischen, das Jenseits verachtenden Denken.
Schauen wir uns noch dieses Bild an. Es ist ein Ausschnitt aus Raphaels Gemälde „Die Schule von Athen“, das 1510 gemalt wurde und im Vatikanpalast zu bewundern ist. Man sieht Platon, der mit dem Finger nach oben zeigt, und Aristoteles, der mit der Hand nach unten weist. Platon betont die Ideen oben als das eigentlich Wirkliche, Aristoteles hingegen den unteren Bereich als das eigentlich Wahre. Eine ganz tolle Darstellung.
Diese Darstellung gibt einen guten Einschnitt für die Pause. Vor der Pause haben wir uns mit einer Gegenüberstellung von Aristoteles und Platon beschäftigt. Übrigens: Platon ist der griechische Name, Plato ist die Form, wie die Römer ihn ausgesprochen haben – das Gleiche, ob mit oder ohne „n“.
Platon übte vom ersten bis zum dreizehnten Jahrhundert einen verheerenden Einfluss auf das Abendland aus. Daher kommt das mystische, diesseits verachtende Denken, die Selbsterlösung und Ähnliches. Aristoteles hingegen übte vom dreizehnten bis zum einundzwanzigsten Jahrhundert seinen verheerenden Einfluss auf das Abendland aus. Daraus folgte das irdische, materialistische, das Jenseits verachtende Denken.
Bemerkenswert sind bereits die Wurzeln des modernen Denkens, die im dreizehnten Jahrhundert entstanden sind. Wenn man sich das so überlegt, mit all den Folgen in unserer Zeit, im zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhundert, und bedenkt, dass dieser Wechsel durch die Kreuzzüge kam, dann ist es schon interessant. Diese verheerenden Gräuel der Kreuzzüge haben letztlich die verheerende Situation unserer Zeit ausgelöst.
Die Entwicklung der Kunst als Spiegel der geistigen Strömungen
Wir können das, was wir bisher gesehen haben, sehr schön an der Malerei illustrieren. Die Malerei vor 1300 zeichnet sich dadurch aus, dass kein Interesse an der Natur besteht. Man findet hier starre, leblose Symbolik, die auf etwas Höheres, etwas Eigentümliches hinweisen soll.
Das sieht man zum Beispiel an den Gesichtern. Die Gesichter, wie hier der Prophet Daniel, der um 1200 gemalt wurde, sind symbolisch. Sie sind Symbole ohne wirkliche Individualität.
Mit der Malerei ab 1300 kommt eine Wende. Der Maler, bei dem sich diese Wende besonders schön zeigen lässt, ist Giotto di Bondone (1266–1337). Bei ihm sieht man, wie plötzlich das Interesse an der Natur erwacht. Man sieht, wie der Mann, obwohl er hier ein religiöses Thema darstellt, im Hintergrund sehr ausgiebig Berge und Bäume malt. Das ist wirklich auffällig, denn das war früher nicht üblich. Plötzlich gibt es eine Freude daran, Berge und Bäume zu malen, sowie wirkliche Menschen mit Gesichtern, die Leben und Individualität zeigen.
Ein anderes Gemälde zeigt ebenfalls Bäume, die gemalt werden. Man hat nun auch Interesse an Details des Baums. Es sind nicht mehr nur Umrisse, sondern auch Blätter werden dargestellt. Wieder wird ein Gebirge als Hintergrund zu einem religiösen Motiv gemalt. Die Menschen zeigen Gesichter, die individuelle Gefühle ausdrücken.
Gehen wir weiter in der Geschichte der Malerei: Jean Fouquet ist ein Beispiel um 1450. Bei ihm sieht man, wie plötzlich ausgiebig Landschaften gemalt werden. Er stellt die Eroberung von Jericho und die Posaunen von Jericho dar. In der mittelalterlichen Vorstellung hat er zwar noch keinen Archäologieunterricht genossen, aber er hat Freude daran, Landschaften, Flüsse und Bäume zu malen – eine wirkliche Natur, wie es sie gibt.
Wenn man in der späteren Malerei noch mehr solche Darstellungen findet, hat das hier seinen Ursprung. Der untere Bereich des Bildes wird plötzlich interessant. In dieser neuen Zeit, die nach 1300 begann, findet man auch das erste Zeugnis von einem Europäer, der in Südfrankreich einfach aus Freude an der Natur einen Berg bestiegen hat. Auf einen Berg hinaufzugehen, einfach um die Natur zu erleben, und dann wieder hinunterzulaufen, war damals etwas Neues. Für uns ist das heute ganz normal.
Man sieht, was die Fessel des Platonismus war. Diese Wende mit der Entdeckung von Aristoteles löste die Renaissance aus, die vom 14. bis zum 16. Jahrhundert dauerte. Es war ein Zeitalter, in dem der Mensch in den Mittelpunkt rückte. Man spricht dann vom Humanismus. Humanismus sollte man nicht mit humanitärer Hilfe verwechseln. Humanismus, abgeleitet von Homo (Mensch), bedeutet nicht einfach das Menschliche an sich, sondern dass der Mensch der Mittelpunkt aller Dinge ist – nicht mehr Gott.
Mit diesem Wechsel erwachte auch das Interesse an Wissenschaft und Forschung. So kam es in dieser Zeit zur Entdeckung der Welt. Man unternahm Fahrten, um die Erde zu erkunden, und entdeckte einen neuen Kontinent: Amerika.
Das waren also zunächst positive Folgen, nämlich dass man das Diesseits wieder neu entdeckte. Doch durch die alleinige Betonung des Diesseits wurde der Bereich oben, also das Höhere, schließlich aufgefressen, wie wir noch sehen werden.
Die Reformation und die Rückkehr zur biblischen Grundlage
Nun möchte ich betonen: Die Bibel steht im Gegensatz zur Renaissance und zum Humanismus. Während im Humanismus der Mensch im Mittelpunkt steht und als das Maß aller Dinge gilt, schreibt Paulus in Kolosser 1,18, dass Jesus Christus in allem den Vorrang hat. Das ist ein Totalschlag gegen den Humanismus.
In der Vision von Johannes, Offenbarung 5,6, heißt es: „Und ich sah inmitten des Thrones und der vier lebendigen Wesen und inmitten der Ältesten ein Lamm stehen, wie geschlachtet.“ Johannes sieht Jesus Christus inmitten des Thrones Gottes, inmitten der Erlösten. Jesus Christus ist der absolute Mittelpunkt. Somit ist der Humanismus das Gegenteil eines christozentrischen Glaubens, bei dem Christus im Zentrum steht.
Das Gesicht der Mona Lisa von Leonardo da Vinci zeigt, wie der Mensch schlechthin in den Mittelpunkt rückt. Dieses eigenartige Lächeln beschäftigt Forscher bis heute, da unklar ist, was es ausdrücken soll. Leonardo da Vinci war auf der Suche nach dem eigentlichen Menschlichen, nach dem, was das Individuum ausmacht. Dies war jedoch aristotelisch motiviert.
Dann kam die Reformation ab dem 31.10.1517. An diesem Tag schlug Luther seine 95 Thesen öffentlich an. Er wollte nicht die Kirche zerstören, sondern die Missstände, die er gesehen hatte, mit seinen Studenten diskutieren. Er hätte nie gedacht, dass diese 95 Thesen Europa dermaßen revolutionieren würden.
Hier sehen wir Martin Luther, den großen deutschen Reformator (1483–1546), sowie Jean Calvin (Johannes Calvin, 1509–1564), zwei der zahlreichen Reformatoren, die die Bibel neu entdeckten. Sie formulierten das Schlagwort sola scriptura, was nicht „allein die Schrift“ bedeutet, wie oft falsch übersetzt, sondern im lateinischen Ablativ heißt: „allein durch die Schrift“ können wir wahre Erkenntnis haben und wissen, was wirklich Wahrheit ist. Nicht durch Platon, nicht durch Aristoteles, auch nicht durch päpstliche Entscheide oder Konzile, sondern allein durch das geschriebene Wort. Das ist die Basis und das Fundament des christlichen Glaubens.
Sie formulierten auch sola fide, „allein durch Glauben“. Wir können uns nicht durch Werke oder Ablass hinaufarbeiten zur Herrlichkeit Gottes, sondern allein durch schlichtes Vertrauen annehmen, dass Jesus Christus am Kreuz alles für uns getan hat. Sein Werk der Erlösung und sein Verdienst können wir für uns persönlich im Vertrauen in Anspruch nehmen. Wir müssen Gott nichts bieten, um errettet zu werden.
Ein drittes Schlagwort ist sola gratia, „allein durch Gnade“. Ohne eigenen Beitrag ist alles ein Geschenk: die Erlösung, die Vergebung. Wir können nichts dazu beitragen, es ist ein hundertprozentiges Geschenk. Wie man es sich aneignet, geschieht allein durch Glauben. Aber die Ursache des Heils ist allein die Gnade.
Verstehen wir den Zusammenhang zwischen sola fide und sola gratia? Das war eine unglaubliche Entdeckung!
Letztlich war es ein Verwerfen des Machtapparats, der sich von der römischen Kultur herleitete und so eine römische Kirche hervorgebracht hatte. Es war ein Verwerfen all dieser heidnisch-philosophischen Einflüsse. „Wir wollen nichts mehr damit zu tun haben“ – das war Martin Luthers tiefste Überzeugung.
Die Bibel ist das einzige Fundament des Glaubens. Ob etwas richtig oder falsch ist, können wir nur anhand der Bibel erkennen. Luther wurde an jenem großen Tag, als die Herrschaften Europas versammelt waren, angeklagt und zur Rede gestellt. Er sagte: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott möge mir helfen. Wenn ihr mir anhand der Heiligen Schrift beweisen könnt, dass meine Ideen falsch sind, nehme ich das sofort an. Aber nicht, weil ein Konzil es gesagt hat oder weil die Philosophie das behauptet. Allein durch die Schrift müsst ihr mir das beweisen, und dann bin ich bereit.“
Er war also in der Lage zu sagen: Es geht mir nicht darum, wenn ganz Europa gegen mich ist. Wenn ich die Schrift auf meiner Seite habe, weiß ich, wo die Wahrheit ist.
Die Bibel hat Autorität über alle Bereiche des Lebens – das war die Überzeugung der Reformatoren. Ob es um Glauben, Familienleben, Arbeit, Ethik oder Moral geht, ob um Kunst oder Wissenschaft – die Reformatoren erkannten, dass es falsch ist, eine Spaltung zwischen unten und oben zu machen. Beides ist von Gott – das Sichtbare und das Unsichtbare. Beides ist von Wert, und in beiden Bereichen hat allein die Bibel das Sagen. Nicht im unteren Bereich die Philosophie und im oberen Bereich die Bibel. Mit diesem gespaltenen Denken wollten sie nichts zu tun haben.
Darum konnte Martin Luther heiraten, eine Familie gründen und versuchte, das christliche Haus als Beispiel vorzuleben. Das Irdische wird nicht verachtet, wenn man sich um die Kinder kümmern und mit ihren Problemen auseinandersetzen muss. Das ist nicht minderwertig, sondern gehört zum eigentlichen Christenleben, das sich auch in diesen Bereichen zeigen und entfalten soll.
Die Reformation bezeugte auch: Gott ist Schöpfer des Irdischen. Das war wiederum ein Ansporn zur wissenschaftlichen Forschung.
Ich habe gezeigt, wie unter dem Einfluss von Aristoteles bereits wissenschaftliche Forschung in der Renaissance begann. Doch es ist erstaunlich, dass sich die Wissenschaft dort, wo die Reformation in Europa Fuß fasste, besonders gut entwickeln konnte.
Ein gutes Beispiel ist Sir Isaac Newton (1643–1727). Er war ein englischer Astronom, Mathematiker, Physiker und Naturphilosoph und zählt zu den bedeutendsten Forschern der Geschichte. Seine Forschungsarbeit wurde stark durch die Reformation ermöglicht.
Wenn Gott alles geschaffen hat und wunderbar in seiner Weisheit ist, dann sollen wir auch diese Werke erforschen. So steht es auch in der Bibel: Gottes Werke werden erforscht von allen, die Lust daran haben.
Sie haben eine biblische Begründung für Forschungsarbeit – aber nicht, um sich selbst zu verherrlichen, sondern um letztlich dem Schöpfer die Ehre zu geben.
Die Gegenreformation und die Folgen der Religionskriege
Aber die Geschichte geriet in eine sehr schwierige Zeit. Die Kirche ließ sich nicht reformieren. Martin Luther wollte die Kirche nicht zerstören. Er wollte sie erneuern und zur Basis zurückbringen, doch die Masse akzeptierte das nicht.
Übrigens ist es interessant, dass viele Mönche und Nonnen sich in der reformatorischen Zeit des 16. Jahrhunderts bekehrten. Es kam jedoch praktisch nie vor, dass ein Bischof, also jemand aus den höheren Rängen, sich in dieser Zeit bekehrte.
Die Gegenreformation in Europa im 16. und 17. Jahrhundert führte zu schrecklichen Kriegen. Dazu zählen zum Beispiel der Schmalkaldische Krieg von 1546 bis 1547, die Hugenottenkriege von 1562 bis 1598 und der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648. Europa wurde durch diese Kriege schrecklich verheert und verwüstet.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg ist bei den Evangelischen eine umfassende Ermüdung festzustellen. Diese zeigte sich durch fehlendes Interesse an biblischen Lehrfragen. Man war nicht mehr daran interessiert, was nun genau richtig nach der Bibel ist und was nicht. Es herrschte eine Ermüdung – die Frage lautete: Was soll das alles?
Die Aufklärung und ihre Auswirkungen
In diese Zeit tritt der Philosoph Voltaire, einer der führenden Denker der Aufklärungszeit. Er sagte: „Le dogme apporte le fanatisme“ – das Dogma führt zum Fanatismus. Voltaire lebte von 1694 bis 1778. So führte die Katastrophe der gegenreformatorischen Religionskriege zur Entstehung der Aufklärung.
Viele Philosophen und Gelehrte dieser Zeit wandten sich vom Glauben ab. Sie sahen im Glauben nur Streit und Krieg und wollten nichts mehr damit zu tun haben. Dabei wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Viele begannen, sich vollständig vom Glauben abzuwenden.
In 2. Thessalonicher 2,3 spricht Paulus von einem großen Abfall, der noch kommen soll. Abfallen kann man nur vom Glauben. Es geht um einen massiven christlichen Abfall, der bis zur Wiederkunft Christi stattfinden wird.
Im 18. Jahrhundert, der Zeit der Aufklärung, erscheint eine neue Denkweise. In Frankreich nennt man diese Epoche „das Zeitalter der Lichter“. Im Gegensatz dazu war das Mittelalter, auch als „dunkle Zeit“ bezeichnet, geprägt von einer anderen Sichtweise.
Die Bibel wurde zunehmend abgelehnt. Die Vernunft des Menschen wurde zur höchsten Instanz erklärt. Wenn etwas der Vernunft widersprach, wurde es nicht mehr akzeptiert – auch nicht die Bibel. Religion wurde als Ursache von Fanatismus und Streit gesehen.
Der Begriff „Ratio“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Vernunft. Rationalismus jedoch ist eine Überbetonung der Vernunft, die alles andere ausschließt. Dies wurde als beschränkt empfunden, weil der Mensch nicht als absolute Instanz gelten kann.
Ein weiterer wichtiger Punkt war die Vorstellung, dass Gott zwar existiert, aber nicht in das Weltgeschehen eingreift. Die Wunderberichte der Bibel wurden als Überbleibsel einer finsteren Zeit angesehen, nicht mehr als letzte Instanz anerkannt.
Man entwickelte den Deismus: den Glauben an einen Gott, der die Welt erschaffen hat, aber seitdem fern bleibt. Die Welt wurde mit einer Uhr verglichen, die einmal aufgezogen wurde und seitdem abläuft, ohne dass Gott eingreift.
In dieser Zeit wurde auch die Toleranz betont. Die Menschen sollten tolerant miteinander umgehen und keine Religionskriege führen, da niemand wirklich wissen kann, was wahr ist. Deshalb sei Toleranz wichtig.
Der Glaube an das Gute im Menschen war zentral. Der Mensch sei im Innersten gut. Natürlich gibt es das Böse in der Welt, doch dieses könne durch Vernunft und Erziehung überwunden werden.
Deshalb waren Schulen und Bildung so wichtig. Bildung mache den Menschen besser. Es herrschte der Glaube an einen steten Fortschritt.
Tatsächlich wurden in dieser Zeit bedeutende Neuerungen in Wissenschaft und Gesellschaft erreicht. Man glaubte, am Anfang einer blühenden Zeit zu stehen, die eine immer bessere und lebenswertere Welt hervorbringt.
Diese Gedanken wirken bis heute nach – auch bei Menschen auf der Straße, die vielleicht nie solche Philosophen gelesen haben, aber dennoch von diesen Ideen beeinflusst sind.
Lessings Ringparabel und religiöser Relativismus
Ein weiterer bedeutender Aufklärer war Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781). Er war Pfarrer und zugleich Dramatiker. Berühmt ist sein Theaterstück "Nathan der Weise". Darin kommt die sogenannte Ringparabel vor.
Ein Jude am Hof des Sultans wird gefragt: „Wieso bist du eigentlich Jude? Das kann doch nicht einfach so sein, dass du nur Jude bist – nicht Christ und nicht Muslim – nur weil du darin geboren wurdest. Du musst doch sicher besondere Gründe haben, warum du Jude bist.“ Darauf antwortet Nathan der Weise: „Ich will es gewissermaßen mit einem Gleichnis erklären – mit der Ringparabel.“
Ein Vater hat drei Söhne, die er alle gleich liebt. Er besitzt einen ganz wunderbaren Ring. Schließlich stellt sich die Frage des Erbes: Wem soll er den Ring geben? Da er keine Lösung findet und alle Söhne gleich lieb hat, lässt er Ringe anfertigen, die dem echten genau gleichen. Diese drei Ringe gibt er den Söhnen, ohne dass jemand weiß, wer den echten Ring hat.
Wenn man die Geschichte genau betrachtet, ist man sich nicht einmal sicher, ob einer der Söhne tatsächlich den echten Ring besitzt. Damit wollte Lessing die drei Religionen – Christentum, Judentum und Islam – illustrieren. Man kann nicht wissen, wer den „richtigen“ Ring hat.
Nathan erklärt dann, dass es nur wichtig ist, moralisch zu leben. Ob jemand Muslim, Christ oder Jude ist, spielt keine Rolle. Weil man nicht wissen kann, wer den echten Ring hat, sollen wir uns nicht darüber den Kopf zerbrechen und schon gar nicht darüber streiten. Wir können einfach tolerant sein, weil die Wahrheit letztlich ungewiss ist.
Dieses Denken durchdrang das gesamte Werk von Lessing und prägte das Abenteuer der Aufklärung maßgeblich.
Die Entwicklung des modernen Denkens im 19. und 20. Jahrhundert
Nun, dieses Denken ist nie statisch, es entwickelt sich ständig weiter. Nach dem achtzehnten Jahrhundert folgte das neunzehnte Jahrhundert. Ludwig Feuerbach (1804–1872) sagte, Gott sei nur eine Projektion. Gott ist eine Idee des Menschen in seinem Kopf, und dieser projiziert diese Idee; Gott existiert demnach gar nicht.
Die Aufklärer behaupteten zwar weiterhin, Gott existiere, doch sie sagten, er spreche nicht mehr zu uns durch die Bibel und greife nicht in die Geschichte ein. Gott sei einfach weit entfernt.
Der nächste Schritt war: Wenn Gott im Alltag keine Rolle mehr spielt, warum sollten wir ihn dann überhaupt noch brauchen? Also machen wir ihn ganz weg. Gott ist nur eine Projektion.
In diesem Klima trat Charles Darwin auf den Plan. Er war ursprünglich angehender Pfarrer. Ihr seht, das sind ganz schlimme Leute, diese Theologen, nicht wahr? Darwin lebte von 1809 bis 1882. Er kam zu der Überzeugung, dass wir Gott auch nicht zur Erklärung des Anfangs brauchen. Die Deisten hatten gedacht, die Welt müsse ja irgendwie begonnen haben, deshalb brauche man einen Gott. Aber danach sei Gott nicht mehr nötig.
Darwin sagte, das brauchen wir nicht. Wir können das Leben, sogar die Entstehung des Lebens, aus sich selbst heraus und innerweltlich erklären. Wir brauchen keinen oberen Bereich; der untere Bereich reicht aus, um alles zu erklären, bis hin zur Abstammung des Menschen vom Tier.
Friedrich Nietzsche (1844–1900) erklärte: „Gott ist tot.“ Er war einer der schärfsten Gegner des Christentums, hatte aber selbst einen christlichen Hintergrund. Oft werden gerade jene, die aus solchen Kreisen kommen und sich nicht bekehren, zu den schlimmsten Feinden des Christentums.
Diese neuen Ideen des achtzehnten und dann weiterentwickelten neunzehnten Jahrhunderts eroberten alle Wissenschaften, auch die Theologie. So entstand die liberale Theologie. Für sie ist die Bibel nicht das unfehlbare Wort Gottes, sondern religiöse Ideen von Menschen früherer Zeiten. Diese können wir als nützlich ansehen und darauf weiterbauen.
Dann kommen wir zum zwanzigsten Jahrhundert. In einem sehr guten Übersichtsartikel über die Weltgeschichte im Lexikon Encarta von Microsoft wird das zwanzigste Jahrhundert als „das schreckliche zwanzigste Jahrhundert“ bezeichnet.
Dort kam der Erste Weltkrieg (1914–1918). Ich habe schon mehrmals gesagt: Warum heißt der Erste Weltkrieg eigentlich „Erster“? Das hat man mir in der Schule nie erklärt. Dabei ist es ganz einfach: Es war der erste Krieg, der ein Weltkrieg war. Dieses Phänomen hatte es früher nie gegeben. Darum wird er im zwanzigsten Jahrhundert als Erster Weltkrieg bezeichnet.
In der Zeit, in der die Ideen des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts die Massen eroberten, kam es zum Ersten Weltkrieg mit Millionen von Toten. Danach sagte man sich: Jetzt machen wir Frieden und Verträge für Sicherheit, damit so etwas nie mehr geschieht.
Doch dann kam der Zweite Weltkrieg (1939–1945) mit über 50 Millionen Toten. Man könnte sagen, der Humanismus mache den Menschen zur Bestie. Jemand hat es so ausgedrückt: Humanismus oder Humanität, Menschlichkeit ohne Divinität, also ohne das Göttliche, wird zur Bestialität.
Das haben wir im zwanzigsten Jahrhundert erlebt, dem schrecklichen zwanzigsten Jahrhundert, mit dem Abwurf der ersten Atombomben. Was für eine kalte Welt ist daraus geworden! Warum ist sie so kalt geworden?
Die Jahrhunderte davor geben die Antwort: Dort gab es wesentliche Umbrüche, und der tiefste Einschnitt war die Aufklärung. Diese war jedoch vorbereitet durch die Wiederentdeckung von Aristoteles.
Das zwanzigste Jahrhundert ist gekennzeichnet durch Desorientierung, Entfremdung, Destabilisierung und die Auflösung der Werte. Ich war einmal in einem Podiumsgespräch über Abtreibung. Einer der Teilnehmer war ein Philosoph von der Universität Zürich. Er sagte, wir hätten uns bewusst für die Moderne entschieden und müssten nun den Preis der Moderne bezahlen.
Heute ist es so: Wenn man eine Meinung durchsetzen will, muss man mehr als 50 Prozent auf seiner Seite haben. Wer gegen Abtreibung ist, muss also eine Mehrheit gewinnen, dann gilt das als Wahrheit. Die Wahrheit ist nur noch das, was die Mehrheit als wahr betrachtet. Es gibt keine absolute Wahrheit mehr.
Und so geht es weiter: Zuerst kommen die Alten, dann die Behinderten, dann die unangenehmen Religiösen. So läuft das, diese Reihenfolge kennen wir aus der Geschichte ungefähr.
Desorientierung, Entfremdung, Destabilisierung und Auflösung der Werte – das ist der Preis der Moderne. Der untere Bereich hat den oberen völlig aufgefressen.
Der Fundamentalismus als Reaktion auf den Glaubensverfall
In dieser Zeit entstand der Fundamentalismus, am Ende des 19. und insbesondere Anfang des 20. Jahrhunderts. Besonders erwähnenswert sind dabei einige amerikanische Gelehrte: Benjamin Warfield, James Orr, W. Griffith Thomas und G. Campbell Morgan. Diese gläubigen Theologen betrachteten die Neuerungen mit großer Sorge.
Die liberale Theologie kam in Amerika einige Jahrzehnte später in die Kirchen als in Europa. Die genannten Theologen entschieden, der Auflösung des christlichen Glaubens entgegenzutreten. So veröffentlichten sie eine Taschenbuchreihe mit zwölf Bänden unter dem Titel „The Fundamentals, The Testimony for the Truth“. Dies lässt sich mit „Die fundamentalen Wahrheiten – Das Zeugnis für die Wahrheit“ übersetzen.
In dieser Reihe brachten sie fünf absolute Basiswahrheiten des christlichen Glaubens ans Licht:
Erstens: Die Bibel ist von Gott inspiriert und damit absolut unfehlbar. Dies war keine neue Erfindung, sondern das, was die Urchristen auch glaubten. Im Prinzip galt dies durch die Jahrhunderte hindurch in der Kirche. Allerdings ersetzte man diese Schriftautorität in der Praxis durch die Autorität der Kirche und ihrer Würdenträger.
Zweitens: Christus ist körperlich wirklich am dritten Tag auferstanden – und nicht nur als Idee. Das war der Glaube der Christen bis zur Aufklärung, die auch in die Theologie einging und diesen Punkt auflöste oder umdeutete.
Drittens: Die Lehre der Bibel, dass Christus durch eine Jungfrau geboren wurde, muss absolut festgehalten werden. Übernatürliche Dinge werden genauso geglaubt, wie sie in der Bibel stehen.
Viertens: Die Vollgültigkeit des Opfers Jesu am Kreuz. Jesus Christus ist gestorben, nicht einfach als Idealheld, sondern sein Opfer hat wirklich erlösende Bedeutung für uns Menschen, für jeden Glaubenden.
Fünftens: Jesus Christus wird wiederkommen, wie er es gesagt hat. Das ist nicht nur eine Idee, sondern wird tatsächlich geschehen. Körperlich wird der Menschensohn zurückkehren.
Man sieht, dies sind eigentlich alles Dinge, die Christen in den frühen Jahrhunderten allgemein geglaubt haben. Diese Wahrheiten bezeichneten sie als „Fundamentals“, als grundlegende Wahrheiten. Wer sie nicht glaubt, könne kein wirklicher Christ sein. Aus dem Titel „The Fundamentals“ leitete sich der Begriff „Fundamentalisten“ ab.
So entstand der Ausdruck. Er hat nichts mit Sektiererei oder übertriebenen neuen Ideen zu tun. Es handelt sich vielmehr um eine Rückkehr zu den Grundlagen, die Christen früher immer aus der Bibel heraus geglaubt haben. Diese Menschen nennt man Fundamentalisten.
Erst später wurde der Begriff auf den Islam übertragen, und zwar erst seit der schiitischen Islamischen Revolution im Iran. Nach dem Sturz des Schahs wurde der Ausdruck „Fundamentalisten“ auf Muslime angewandt. Noch etwas später geschah dies auch bei Hindus.
Das ist die Geschichte des Ausdrucks „Fundamentalisten“. Man hat ihn immer mehr in einem erweiterten und verwässerten Sinn gebraucht, sodass heute viele gar nicht mehr wissen, was Fundamentalismus eigentlich bedeutet.
Die Krise des 20. Jahrhunderts und die Suche nach Orientierung
Nun, dieses kalte zwanzigste Jahrhundert mit zwei furchtbaren Weltkriegen, die schließlich mit Atombombenabwürfen endeten, hat zu einer Krise im Abendland geführt.
Einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die Sechzigerjahre, die eine tiefe Revolution brachten. Die Masse war enttäuscht über die Folgen wissenschaftlicher Entwicklungen. Was soll dieses Fortschrittsdenken aus der Aufklärung letztlich bringen? Denn es führt ja nur zu Unheil und Schaden. Menschen forschen in der Materie, entdecken die Atome – und schließlich auch die Atombombe. Und das war sogar ein Pazifist, Einstein. Doch auch er kam letztlich zur Atombombe.
Diese Entwicklung führte zu einer tiefen Enttäuschung und damit auch zu einer Skepsis gegenüber Wissenschaft und Forschung. Es ist eine Enttäuschung über den Rationalismus. Die Vernunft, unser Denken, führt uns letztlich in eine Sackgasse. Denn wenn das mit Darwin stimmt, dann ist der Mensch letztlich nur eine chemisch-biologische Maschine ohne Sinn und Ziel.
Darum kommt im zwanzigsten Jahrhundert so oft die Frage auf: Was bin ich wert? „Ich muss mich halt ein bisschen mehr selber lieben. Ja, dann merke ich wieder meinen Wert.“ Das hatten die Menschen früher nicht. Wenn sie depressiv waren, führten sie ihre Arbeit als Bauern einfach weiter. Sie nahmen das als ein Joch im Leben hin, das es zu tragen gilt, und hatten eine viel positivere Haltung dazu. Das hat natürlich auch die Gesundung positiv beeinflusst – eben weil man früher mit einem Gott rechnete, der uns Dinge zu tragen gibt, aber uns dabei auch hilft und Auswege bringt.
Diese Enttäuschung über den Rationalismus führte zu einer Flucht in eine irrationale Welt: mit Rockmusik, mit der man völlig abfahren kann, mit Drogen, östlichen Religionen, Okkultismus und Esoterik. Diese Dinge sind alle aufgekommen und haben ab den sechziger Jahren einen Siegeszug durch die westliche Welt erreicht.
Und zwar in der Reihenfolge: zuerst Rockmusik, dann kam das Interesse an Drogen wegen der Wirkung der Musik. Durch die Drogen entstand das Interesse an östlichen Religionen, weil man das Gleiche erleben kann – nur ohne Drogen. Damit war man dann schon im Okkultismus und in der Esoterik drin.
Alles von früher ist schlecht – nicht nur das, was der Rationalismus gebracht hat, sondern auch das, was die Religion gebracht hat. Darum kam es zu einem Bruch mit den herkömmlichen Werten: sexuelle Perversion, Homosexualität, Auflösung von Ehe und Familie, Abtreibung – all diese Dinge wurden umfassend propagiert. Man wollte bewusst einen Bruch mit der Vergangenheit erreichen, in der Hoffnung, hier die neue Welt zu finden.
Aber, wie gesagt, Paulus spricht in 2. Thessalonicher 2,3 von diesem großen Abfall, dieser Apostasie vor dem Kommen des Antichristen, der noch vor der Wiederkunft Christi erscheinen soll.
2. Thessalonicher 2,3: „Denn dieser Tag – das ist der Tag der Wiederkunft Jesu als Richter – kommt nicht, es sei denn, dass zuerst der Abfall komme und geoffenbart worden sei der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens.“
Also führt dieser Abfall in der christlichen oder einst christlichen Welt letztlich zum Erscheinen des Menschen der Sünde, des Sohnes des Verderbens – das ist der Antichrist.
Herausforderungen und Hoffnungen im 21. Jahrhundert
Und nun kommen wir zum 21. Jahrhundert. Dieses Jahrhundert ist noch nicht lange alt, doch der Terroranschlag am 11. September 2001 hat diesem neuen Jahrtausend ein ganz besonderes Gesicht gegeben. Bush, Bin Laden – die Namen waren in aller Munde, und die Katastrophe der Twin Towers in New York hat die Welt erschüttert. Es folgten Angst, Unsicherheit, Orientierungslosigkeit, Ziellosigkeit und Ohnmacht.
All das kam zusätzlich zu dem Problem Aids, das wir bereits aus dem letzten Jahrhundert mitgebracht hatten. Übrigens gab es in England eine Werbung gegen Aids, die einen Spruch aus den sechziger Jahren aufgriff: „Rock and Roll, Drugs and Sex“ – das waren die drei Dinge, die damals für ein glückliches Leben propagiert wurden: Rockmusik, Drogen und Sexualität. Darunter stand der Satz: „At least Rock and Roll can't give you AIDS.“
Dann kam SARS, gefolgt vom Afghanistankrieg, dem Irakkrieg und dem Krieg gegen den Terrorismus – ein Feldzug, der kein Ende zu nehmen scheint. Der Terrorismus nahm weiter zu und ließ sich nicht zurückdrängen. So präsentiert sich das 21. Jahrhundert.
Wie der Mensch denkt, so ist er. Hesekiel 33,10 sagt: „Also sprecht ihr und sagt: Unsere Übertretungen und unsere Sünden sind auf uns, und in denselben schwinden wir dahin, wie könnten wir denn leben?“ Das muss die große Frage des einundzwanzigsten Jahrhunderts sein: Wie könnten wir denn leben?
Francis Schaeffer hat eine ganze Reihe guter Bücher geschrieben, die besonders Menschen helfen, die den Umbruch der sechziger Jahre erlebt haben. Ich empfehle all denen, die sich mit diesen Themen intensiver auseinandersetzen wollen, die Bücher von Francis Schaeffer zu lesen. Er ist zwar verstorben, hat aber ein bedeutendes Erbe hinterlassen. Darin legt er den Ausweg aus dieser Krise ab den sechziger Jahren dar. Es sind sehr nützliche Bücher, und viele Studenten sind zu ihm gekommen und haben gefragt: Gibt es wirkliche Antworten in einer so verunsicherten Zeit? Und er hat ihnen Antworten aus der Bibel gegeben.
Sein letztes wichtiges Buch trägt den Titel „How Should We Then Live?“ – Wie sollen wir denn leben? Das entspricht der Frage in Hesekiel 33: Wie könnten wir denn leben? Das ist die Frage unserer heutigen Zeit, und Gott gibt die Antwort als Ausweg aus der Sackgasse.
Hesekiel 33,11 spricht zu denen, die so fragen: „So wahr ich lebe, spricht der Herr, der Ewige, ich habe kein Gefallen am Tod des Gesetzlosen, sondern dass der Gesetzlose von seinem Wege umkehre und lebe. Kehrt um, kehrt um von euren bösen Wegen, denn warum wollt ihr sterben?“
Vor zweitausend Jahren, lange bevor diese Krise kam, ist der Herr Jesus auf dem Golgatha-Felsen vor den Toren Jerusalems gestorben. Er starb als Opfer, um die Schuld unseres Lebens auf sich zu nehmen und völlig zu tilgen. So können wir vor Gott bestehen, so können wir leben.
Hier finden wir Antwort und Hoffnung, hier finden wir ein Fundament. Wir brauchen keine neue Philosophie. Wir brauchen einfach die Basis, die Christen schon immer hatten. Und wenn uns jemand dann als Fundamentalisten bezeichnet, müssen wir liebevoll erklären, was dieses Wort eigentlich bedeutet. Wir glauben das, was Christen schon immer geglaubt haben. Das hat ihnen Hoffnung und Stärkung gegeben – im Leid, im Leben, um mit den Herausforderungen des Lebens fertig zu werden. Nicht aus eigener Kraft, sondern weil sie auf Gottes Hilfe vertraut haben.
So ruft Gott, der ewige Gott, nicht nur einmal: „Kehrt um!“ Sondern: „Kehrt um, kehrt um von euren bösen Wegen, denn warum wollt ihr sterben?“ Hier haben wir den Ausweg.
Jeder, der seine persönliche Schuld ganz ehrlich vor diesem ewigen Gott, dem Gott der Bibel, reuig bekennt und das Opfer von Golgatha für sich in Anspruch nimmt und sagen kann: „Jesus ist für mich gestorben“ – mit ganz präzisen Sünden, die man bekennt und noch weiß –, dem gibt Gott ewiges Leben. Denn es heißt: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.“ (Johannes 3,16)
Das ist im Kern das Evangelium.
Schluss und Diskussion
Können wir Licht machen? Wir haben noch vier, fünf Minuten Zeit für Fragen. Wer beginnt? Also, wer beginnt ganz da hinten? Bitte nochmals.
Ja, das verstehe ich gut, und zwar aus folgendem Grund: Wenn man in zwei Stunden zweitausend Jahre Geistesgeschichte durchnehmen soll, dann kann man sich nur auf einige ganz wichtige Linien beziehen. Es war mir einfach wichtig, dass man nur diese Linien sieht. Das ist so, wie in einem Anatomiebuch, in dem man nur eine Darstellung mit den Blutgefäßen sieht. So war das hier auch.
Ich habe also nur ein paar abstrakte Linien gezeigt, damit klar wird: Die erste Hälfte dieser zweitausend Jahre ist geprägt vom Platonismus, die zweite Hälfte vom aristotelischen Denken. Das sollte deutlich werden.
Den Kommunismus müsste man so darstellen: Aufgrund von Feuerbach kommt Marx, der eine Erlösungslehre rein innerweltlich, ohne Gott, aufbauen will. Dies führt dann zur russischen Revolution am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mit Abermillionen von Toten durch Leninismus und Stalinismus. Das wäre noch eine ganz wichtige Linie im zwanzigsten Jahrhundert. Ich habe jetzt nur die zwei Weltkriege vorgestellt, aber ich hätte auch zeigen sollen, was die Bolschewisten angerichtet haben und wie sie Millionen von Menschen das Leben gekostet haben. Diese Kälte des zwanzigsten Jahrhunderts wurde dadurch mitverursacht.
In zwei Stunden das so darzustellen, das würden manche nicht nur als Wagnis, sondern als ein bisschen verrückt bezeichnen. Aber ich glaube, es geht schon. Es geht schon.
Weiter! Ihr habt Hunger! So klar war ja auch nicht alles. Ich meine, PowerPoint ist wunderbar. Die Linie der Gemeinde muss man natürlich sehen: Bis 1300 war die Gemeinde – die Gemeinde, die Gemeinde, die Gemeinde – die wahren Gläubigen waren immer eingebettet in das, was die offizielle Kirche war, zur Hauptsache. Darum waren sie in diesem Platonismus verhaftet.
Das hat dann aber schließlich dazu geführt, dass in der Reformation das Fundament wieder neu entdeckt wurde. Natürlich hatten ihre Vorgänger das nicht nur bei Wyclif, sondern weiter zurück bis zu den Waldensern. Sie hatten das schon früher in Ansätzen entdeckt. Aber die Reformatoren haben das dann wirklich ausgeführt, sodass es eine Bedeutung für die ganze abendländische Welt bekam.
Dann könnte man die Linie der Gemeinde weiterführen, wie die liberale Theologie versucht hat, die Gemeinde zu erobern. Natürlich gab es darauf schon längst vor den Fundamentalisten Reaktionen. Aber ich wollte die Fundamentalisten besonders herausheben, weil sie für das 20. und 21. Jahrhundert sehr bedeutend sind. Sie zeigen, wie Christen, die über die Basis der Reformation zur Schrift zurückgefunden haben, eine Front bilden gegenüber einem Denken, das den Menschen in die Sackgasse führt.
Noch etwas? Ja.
Man könnte ja sagen, dass man mit visuellem Leben und seinen Gedanken in der zweiten Aktion scheinbar unantastbar sein will, wo die Unabhängigkeit von seinen Hürden verstanden wird.
Ja gut, ich würde dem zustimmen, aber das ist zu positiv für die erste Hälfte. Denn natürlich wurde Gott betont, aber es wurde auch betont, dass der Mensch sich da hinaufarbeiten kann, sich selbst erlösen kann. Und das war das Verheerende. Das war die totale Verdrehung des Evangeliums.
Beide Hälften der abendländischen Geistesgeschichte sind schlimme Verdrehungen der Wahrheit. Und manchmal steckt ein Kern Wahrheit darin. Aber die effektivsten Lügen sind eben jene, die Kerne von Wahrheit enthalten.
Ja, jetzt übergebe ich das Wort an Christoph.
