Ich begrüße alle herzlich. Heute Abend kommen wir zu 1. Mose 39, Vers 1. Beim letzten Mal haben wir eigentlich schon bis Vers 6 betrachtet. Dabei ging es besonders um das Beispiel Josephs, ein praktisches Beispiel für Treue in der Nachfolge.
Wir wollen immer die Geschichte Josefs auf zwei Ebenen verfolgen: Einerseits als Beispiel des Glaubens, das uns Ermutigung und Belehrung bietet. Andererseits wollen wir die Parallelen zwischen Joseph und dem Messias, dem Herrn Jesus, erkennen.
Darum gehen wir nochmals zurück und lesen die Verse eins bis sechs erneut, bevor wir weitermachen.
Und ich möchte gerne, dass wir nochmals lesen: Kapitel 37, Vers 36.
Die Midianiter verkauften ihn nach Ägypten an Potiphar, einen Hofbeamten des Pharaos, den Obersten der Leibwache. Danke, bis dahin.
Dann folgt dieser Einschub: Kapitel 38.
Es ist eine schreckliche Geschichte über einen anderen Sohn Jakobs, über Juda, den Stammvater des Stammes Juda, aus dem einmal der Messias kommen sollte. Doch es ist eine Geschichte voller Sünde, Ungerechtigkeit und geprägt durch den Tod.
Nach diesem Einschub, der unbedingt an dieser Stelle stehen muss, wie wir noch deutlicher sehen werden, folgt dann Kapitel 39, Vers 1.
Dieser Vers schließt genau an den vorhin verlesenen letzten Vers von Kapitel 37 an und macht klar, dass der vorherige Abschnitt ein Einschub war.
Nochmal Kapitel 39, Vers 1:
Und Joseph wurde nach Ägypten hinabgeführt. Potiphar, ein Hofbeamter des Pharaos, der Oberste der Leibwache, ein ägyptischer Mann, kaufte ihn aus der Hand der Ismailiter, die ihn dorthin abgeführt hatten.
Und der Herr war mit Joseph, und er war ein Mann, dem alles gelang. Er war im Haus seines Herrn, des Ägypters. Sein Herr sah, dass der Herr mit ihm war und dass der Herr alles, was er tat, in seiner Hand gelingen ließ.
Josef fand Gnade in den Augen seines Herrn und diente ihm. Sein Herr setzte ihn über sein Haus. Alles, was er hatte, gab er in seine Hand.
Seitdem er ihn über sein Haus und über alles, was er hatte, bestellt hatte, segnete der Herr das Haus des Ägypters um Josefs Willen. Der Segen des Herrn war auf allem, was er hatte, im Haus und auf dem Feld.
Er überließ alles, was er hatte, der Hand Josefs und kümmerte sich um nichts bei ihm, außer um das Brot, das er aß. Josef war schön von Gestalt und schön von Aussehen.
Zunächst denken wir nochmals daran zurück, dass Josef von seinen Brüdern an die Ismaeliten verkauft wurde. Und zwar für Silberlinge, für zwanzig Silberlinge.
Wenn wir jetzt das Blatt mit den Parallelen zwischen Joseph und dem Messias zur Hand nehmen – diejenigen, die über den Livestream zugeschaltet sind, können unterhalb des Bildes bei der Videobeschreibung einen Link anklicken, wo dieses Skript ständig aktualisiert wird.
Letztes Mal war es bis Punkt 33 zugänglich, und jetzt bis Punkt 60. Ich werde das einfach ständig aktualisieren.
Nun Punkt 34 auf dem Blatt, Seite zwei ganz unten: Joseph wurde den Heiden überliefert, und darin sehen wir eine interessante Parallele.
Der Herr Jesus wurde von seinem Brudervolk, den Heiden, den Römern, überliefert (Matthäus 27,2). Er wurde also zuerst von seinen eigenen Brüdern verworfen – Joseph ebenso wie der Herr Jesus von seinem eigenen Volk, von der Masse, nicht von allen, aber von der Mehrheit des Volkes.
So wie Joseph den Heiden überliefert wurde, wurde auch der Herr Jesus den Heiden, den Römern, überliefert. Aber es ist noch etwas ganz Wichtiges: Wir haben gesehen, dass Joseph wieder aus der Wassergrube herauskam. Eigentlich sollte er dort sterben.
Gott hat es so geführt, wie wir letztes Mal gesehen haben: Gerade zu dem Zeitpunkt kamen die Ismaeliter, dieser Karawanenzug, vorbei. Da kam Juda auf die Idee: Warum unseren Bruder töten? Wir könnten doch noch ein bisschen Geld daraus machen. So kamen sie zu den zwanzig Silberlingen.
Wichtig ist, dass Joseph aus der Grube herauskam. Die Parallele dazu ist, dass Jesus aus dem Grab herauskam, nachdem er verworfen und gestorben war. Er kam schließlich am dritten Tag aus dem Grab heraus (Matthäus 28,6).
Letztes Mal haben wir schon gesehen, dass mit dieser Geschichte bis dahin eigentlich eine erste Übersicht an Parallelen zwischen Joseph und Jesus abgeschlossen ist.
Nun folgt eine weitere Parallele, diesmal aus einem anderen Blickwinkel. Wir werden sehen, dass Joseph ins Gefängnis kam. Das ist wieder parallel dazu, dass der Herr Jesus in Tod und Grab kam.
Wir haben letztes Mal auch schon gesehen, dass Joseph nach Ägypten gebracht wurde. So sehen wir am Anfang des Lebens des Messias, dass Jesus ebenfalls nach Ägypten gebracht wurde (Matthäus 2,14).
Dann haben wir gelesen, dass Joseph in Ägypten ein Knecht bei einem hohen Beamten des Pharao, bei Potiphar, wurde. Das ist parallel dazu, dass Jesus, nach Philipper 2,5-10, von Ewigkeit her gottgleich war. Er hat das nicht an sich gerissen, sondern sich freiwillig entschieden, sich zu erniedrigen, ein Knecht zu werden und Mensch zu werden.
Also wurde der Herr Jesus ein Knecht, so wie Joseph ein Knecht wurde.
Punkt 38: Das haben wir letztes Mal auch schon kurz erwähnt. 1. Mose 38 beschreibt den traurigen Weg von Juda – einen Weg ohne den Herrn, geprägt von Sünde und Tod.
Das ist der große Gegensatz zu Joseph, dem es in seinem Leben sehr schlecht ging. Dennoch ging Joseph treu auf den Wegen mit dem Herrn. Juda hingegen ging es in gewissem Sinne recht gut, doch er wandte sich ganz vom Herrn ab und ging eigene böse Wege.
Die Parallele dazu ist, dass das jüdische Volk, beziehungsweise die Mehrheit des jüdischen Volkes, den Messias verworfen hat. So ging es in den vergangenen zweitausend Jahren einen Weg ohne den Herrn. Diese Zeit war geprägt von Sünde und Tod, wie es in Römer 11,7-10 und auch in 5. Mose 28,64 beschrieben wird.
Punkt 39: Wir werden später noch auf Kapitel 38 zurückkommen. Aber schon vorweggenommen, obwohl wir es noch nicht gelesen haben: Juda wollte zuerst wirklich durchziehen (vgl. 1. Mose 37,39-40). Seine traurige Zeit dauerte lange, wie es in Kapitel 38 beschrieben wird.
In 1. Mose 38,12 finden wir sogar den Ausdruck „Es dauerte viele Tage“. Dieser Ausdruck ist sehr bemerkenswert, denn in Hosea 3,4 wird beschrieben, wie das jüdische Volk, Israel, in der Zeit ohne den Messias und ohne Beziehung zu Gott „viele Tage“ ohne König und ohne Fürst sein wird – also ohne eigenen Staat.
Diese Staatenlosigkeit dauerte von etwa 70 nach Christus bis 1948, also viele Tage. Auch ohne Opfer blieb das Volk in dieser Zeit. Das begann im Jahr 70, als der Tempel zerstört wurde, und hält bis heute an.
Das Schöne ist: Hosea 3,4 sagt, dass es in der Endzeit, also am Ende dieser langen Zeit der Staatenlosigkeit und des Opferverzichts, eine Wende geben wird. Dann werden sie den Herrn suchen.
Mit Juda wird es ebenfalls eine eindrückliche Wende geben, verbunden mit echter Buße. Hosea 3,4 spricht also über diese lange Zeit „viele Tage“, in der die Kinder Israels ohne Fürst, ohne König und ohne Opfer sein werden.
Und dann haben wir beim letzten Mal gesehen, in Kapitel 39, dass Joseph nach Ägypten kommt und in das Haus von Potiphar eintritt. Dort ist er zunächst nur ein einfacher Sklave. Doch der Herr war mit Joseph.
In Apostelgeschichte 10,38 sagt Petrus in einer Predigt, wie der Herr Jesus seinen Dienst vollbracht hat. Er fasst gewissermaßen das, was die Evangelien berichten, in eigenen Worten zusammen. Dabei betont er, dass Gott mit Jesus war, als dieser umherging und Gutes tat. Gott war mit Jesus. (Apostelgeschichte 10,38)
Außerdem haben wir gesehen, dass Joseph Erfolg in seinem Handeln hatte. Das Wort „Gelingen“, das mehrfach in den Versen 2 und 3 vorkommt, heißt auf Hebräisch „Hitzliach“. Dieses Wort wird auch vom Messias in Jesaja 53,10 verwendet: „Er wird gelingen haben, das Wohlgefallene des Herrn wird in seiner Hand gelingen“ – auch hier „Hitzliach“.
Dann haben wir in Kapitel 39, Vers 4 gesehen, dass Joseph einfach treu in dem Haus von Potiphar diente. Wichtig ist auch Markus 10,45, wo der Herr Jesus sagt: „Der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele.“
Beim letzten Mal haben wir außerdem gesehen, dass Joseph als Sklave immer mehr aufstieg im palastähnlichen Haus von Potiphar, einem der Mächtigsten nach dem Pharao. Er wurde sogar Herr über das ganze Haus und konnte alles bestimmen – außer das Essen. Das haben wir ausdrücklich in 39,6 gelesen: „Und er überließ alles, was er hatte, der Hand Josefs und kümmerte sich um gar nichts bei ihm, außer um das Brot, das er aß.“
Das ist sehr interessant, denn die alten Ägypter legten großen Wert auf gutes Essen – ähnlich wie die Franzosen heute. Für sie war es sehr wichtig, dass das Essen hervorragend ist. Es kam weniger darauf an, wie das Haus aussah, ob die Mauern ein wenig bröckelten oder ob alles im Haushalt perfekt sauber war. Aber das Essen musste erstklassig sein.
Dieser Aspekt lag also in Josephs eigener Hand. Ansonsten konnte er alles kontrollieren und war Herr über das Haus. In Hebräer 3,7 wird der Herr Jesus als Herr über sein Haus vorgestellt. Dieses Haus ist dort die geistliche Stiftshütte, also die Gemeinde.
Und weiter zu Punkt 45: Alles wurde in Josephs Hand gelegt. Es wird ausdrücklich gesagt, dass Potiphar ihm alles in seine Hand gab (Verse 4 und 6).
Der Herr Jesus sagt in Johannes 3,35, dass der Vater ihm alles in die Hand gelegt hat. Durch Joseph entstand ein großer Segen. Wir haben in Vers 5 am Schluss gelesen: „Da segnete der Herr das Haus des Ägypters um Josephs Willen.“ Der Segen des Herrn war auf allem, was Joseph hatte, im Haus und auf dem Feld.
Durch Joseph wird großer Segen über die Heiden verbreitet. In Epheser 1,3 heißt es, an die heidnischen Epheser gerichtet: „Gepriesen sei der Gott und Vater, unser Herr Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus.“ Wir sind also durch Christus gesegnet.
Außerdem haben wir beim letzten Mal die Schönheit Josephs betrachtet. Diese wird in 39,6 hervorgehoben und hat eine besondere Bedeutung für den Messias. In Psalm 45,3 wird die moralische Schönheit des Messias beschrieben: „Du bist schöner als die Menschensöhne, Wohlgeruch ist ausgegossen über deine Lippen.“
Wirklich, in Lukas 4,22, als der Herr Jesus in der Synagoge in Nazaret predigte, zeugten die Leute über die Worte der Gnade, die aus seinem Mund kamen.
Wir gehen heute bis Punkt 47. Die weiteren Punkte werden wir beim nächsten Mal anschauen. Heute wollen wir mehr das Praktische betrachten, also was das eben im Leben von Joseph als Beispiel für uns zu bedeuten hat.
Gibt es bis dahin noch eine Frage? Ja, ich bin froh, wenn alles klar war.
Also, gehen wir nochmals an den Punkt. Wir haben ja gelesen, im 1. Mose Kapitel 37, Vers 36, wie diese Ismaeliter aus Midian Joseph aus seinem Land weg nach Ägypten führten.
Was muss in diesem jungen Joseph vorgegangen sein? Er war siebzehn Jahre alt. In seiner Jugend hatte er zwei prophetische Träume gehabt. Diese Träume gaben ihm die Überzeugung, dass Gott einen Plan mit seinem Leben hat – einen besonderen Plan. Dass einmal seine Brüder sich vor ihm verbeugen würden und auch sein Vater.
Aber wenn wir darüber nachdenken: Schließlich hatte sein Vater ihn nach Sichem geschickt, um zu seinen Brüdern zu sehen, wie es ihnen geht. Da hätte Jakob sich schon überlegen müssen, warum er Joseph dorthin schickt. Sichem war ein gefährlicher Ort. Dort hatten nämlich die Brüder, Simon und Levi, viele Leute aus Sichem ermordet. Das war eine Rache für ihre Schwester, die von einem Mann aus Sichem entehrt worden war. Eine schlimme Geschichte (1. Mose 34). Simon und Levi waren also wirklich gewalttätige Typen, um es etwas krass auszudrücken.
Und nun schickt Jakob Joseph aus – er soll zu den Brüdern gehen, die nach Sichem gegangen waren. Das war ein Risiko. Es bestand die Gefahr, dass sich die Leute an der Familie Jakobs noch rächen würden. Wenn Joseph ganz alleine, siebzehnjährig, dorthin ging, hätte er leicht unter die Räder kommen können. Trotzdem schickte ihn Jakob los.
Aber Joseph kam unter andere Räder. Wir haben gesehen, dass die Brüder dann nach Dothan gingen, und Joseph folgte ihnen dorthin. Dort beschlossen sie, ihren Bruder zu ermorden. Jakob hätte sich also auch überlegen müssen, dass nicht nur Sichem gefährlich für Joseph war, sondern auch die zehn Brüder selbst. Sie hatten ihn am Morgen nicht gegrüßt, nie gegrüßt, wie wir gelesen haben. Sie lehnten ihn ab und hassten ihn.
Jetzt schickte Jakob ihn quasi wie Freiwild in ihre Hände. Und Joseph wusste ganz genau, was Levi und Juda für Männer waren, die nicht vor Mord zurückschreckten. So kam es dann auch. Levi und Simeon – danke, ja – sie wollten ihn ermorden.
Jetzt muss man sich vorstellen: Wir haben uns das schon letztes Mal überlegt, Joseph war in der Grube unten und überlegte, was jetzt aus seinen Träumen wird. Sein Vater hatte schon gesagt, dass es ein Problem mit diesen Träumen gibt. „Du meinst doch nicht etwa, dass wir uns einmal vor dir verbeugen würden?“ Die zehn Brüder fanden das sicher nicht toll. Das wusste Joseph auch.
Was hat er sich da im Brunnen unten gedacht? War das vielleicht doch ein bisschen falsch? Gab es Zweifel und Selbstzweifel?
Was wir aber eigentlich in der ganzen weiten Geschichte von Joseph sehen, ist, dass er daran festgehalten hat. Wir werden das noch deutlich sehen. Aber zuerst müssen wir noch etwas Spezielles betrachten: Diese Träume waren nämlich von besonderer Art.
Er wusste zum Beispiel von seinem Großvater Abraham. Dieser war ursprünglich in Ur in Chaldäa als Götzendiener. Plötzlich erschien ihm der Gott der Herrlichkeit, wie es in Apostelgeschichte 7 beschrieben wird. Abraham hatte eine Vision von der Herrlichkeit Gottes, und Gott rief ihn, wie in 1. Mose 12,1 berichtet: Er sollte aus dieser Stadt und aus seiner Verwandtschaft in das Land gehen, das Gott ihm zeigen würde. Daraufhin machte sich Abraham auf den Weg.
Im Leben Abrahams sehen wir, wie Gott immer wieder direkt zu ihm gesprochen hat. Auch sein Vater Jakob hatte solche Erlebnisse. Er hatte Träume, in denen Gott direkt zu ihm sprach, zum Beispiel in Bethel. Dort sagt er am nächsten Morgen: „Wer war Gott an diesem Ort? Ich wusste es nicht.“ Gott hatte im Traum in Bethel zu ihm gesprochen, also eine direkte Anrede Gottes.
Bei Joseph war das anders. Seine Träume waren einfach. Er sah sich beim Gabenbinden und seine Brüder verneigten sich vor ihm. Doch Gott sprach nicht direkt zu ihm. Es waren symbolische Träume. Zum Beispiel träumte er von Sonne, Mond und elf Sternen, die sich vor ihm verbeugten. Aber eine direkte Ansprache Gottes erlebte er nicht, wie es bei seinem Urgroßvater Abraham oder seinem Vater Jakob der Fall war.
Diese Situation muss man auch im Zusammenhang mit Selbstzweifeln sehen. Es waren einfach solche Träume. Wie war das bei dem Apostel Paulus in Apostelgeschichte 16? Er war noch in der heutigen Türkei und träumte nachts von einem mazedonischen Mann, der die typische Kleidung eines Mazedoniers aus Europa trug. Der Mann bat ihn: „Komme rüber zu uns und hilf uns!“ Paulus erzählte seinen Freunden davon. Lukas schreibt, dass sie am nächsten Tag beschlossen, dass Gott sie gerufen habe, und sie gingen nach Europa. So kam Paulus nach Europa.
Aber das war nicht ein klarer Ruf Gottes wie: „Paulus, gehe nach Europa!“ Paulus hatte schon andere Erlebnisse, bei denen der Herr Jesus ihm nachts gesagt hatte, dass er auch in Rom Zeugnis ablegen werde, zum Beispiel als er in der Burg Antonia in Jerusalem war. Doch dieser Traum war anders, und für Paulus war es nicht einfach klar. Deshalb besprach er es mit seinen Freunden. Gemeinsam kamen sie zu dem Schluss, dass der Herr sie nach Europa gerufen hatte.
Ähnlich war es bei Joseph. Er hätte sich sagen können: „Wir träumen ja im Prinzip jede Nacht. Warum soll ich jetzt unbedingt an diesem Traum festhalten? Der Herr hat mit mir ein besonderes Ziel, und einmal werden sich meine Brüder vor mir verneigen.“ Doch jetzt lag er unten in der Grube und sah den Tod vor sich. Schließlich wurde er herausgeholt und verkauft. Seine Herren führten ihn durch die Sinaiwüste nach Ägypten.
Auf dem Sklavenmarkt konnte Joseph Selbstzweifel haben. Er dachte: „Ich dachte, ich werde einmal Herrscher über die ganze Familie sein. Jetzt bin ich ein Sklave. Genau das Gegenteil von meinen Träumen.“ Er hätte sich fragen können: „Wo war der Herr, als ich in der Grube war?“ Später musste er erkennen, dass die Männer ihn eigentlich sterben lassen wollten, aber Gott wirkte, indem er die Ismaerliter schickte und das Geldangebot machte. So wurde sein Leben gerettet.
Der Herr war also irgendwie doch bei ihm, obwohl Joseph sich völlig verlassen fühlte. Dann wurde er nach Ägypten gebracht. Wieder hätte er Zweifel haben können: „Ich habe geträumt, dass sich meine Brüder vor mir verneigen werden. Aber jetzt bin ich in Ägypten, und meine Brüder sind nicht hier. Wie soll sich dieser Traum jemals erfüllen? Das geht doch gar nicht.“
Und wirklich, die Sinaiwüste war eine gefährliche Gegend. Deshalb bildete sie eigentlich eine Barriere zwischen Kanaan und Ägypten. Es handelte sich nicht einfach um Nachbarländer. Durch die gefährliche Sinaiwüste kam man kaum lebend hindurch, wenn man nicht mit Spezialisten, mit Beduinen, die sich wirklich auskannten, reiste. Es war eine äußerst gefährliche Wüste.
Ein Bekannter von mir ist in jüngeren Jahren zu Fuß durch die Sinaiwüste gegangen. Damals war das Land Israel noch nicht gegründet, es war noch Palästina. Er wanderte mit Freunden durch die Wüste, doch alle anderen sind gestorben. Nur er, Nofel, erreichte Ägypten lebend, und das während des Zweiten Weltkrieges.
Das zeigt, wie gefährlich die Wüste war. Jetzt war er in Ägypten ein Sklave – so weit unten, wie es nur geht. Seine Brüder hingegen waren so weit weg, wie es nur geht. Dennoch blieb er beim Herrn und ließ sich nicht wegziehen.
Dann erlebte er etwas Erstaunliches: Er stieg immer weiter auf, trotz seiner Sklavenstellung, und erreichte schließlich eine hohe Position im Haus von Potiphar. Das war gewaltig. Seine Situation hatte nichts mehr mit dem zu tun, was wir heute unter Sklaverei verstehen. Er war ein Diener mit höchst angesehener Position und hatte alles in seiner Hand.
Der Bibeltext sagt: Der Herr war mit Joseph, der Herr war bei ihm. Andere wurden durch ihn gesegnet, so sehr, dass der Heide Potiphar sah, dass der Segen durch Joseph kam. Deshalb gab er ihm immer mehr Freiheit und Möglichkeiten.
Das ist schon erstaunlich. Potiphar – weiß noch jemand, was das bedeutet? Es heißt „dem Sonnengott geweiht“. Ja, dem Sonnengott Ra geweiht. Und Potiphar bemerkte, dass der Herr das Haus segnete. Potiphar war ein Mann, der tief in der ägyptischen Religion verwurzelt war.
Übrigens: In den ägyptischen Hieroglyphen-Inschriften, von denen wir viele haben, finden sich etwa 1500 Götternamen. In dieser Welt war Potiphar zuhause, wo die Natur als Götterkräfte angesehen wurde. Neben der Sonne gab es viele Götter: der Nil war ein Gott, die Nilüberschwemmung war ein Gott und so weiter.
Potiphar erkannte, dass der Herr – Yahweh, der Gott von Abraham, Isaak, Jakob und Joseph – ihn segnete. Das heißt, Joseph konnte ein Zeugnis in diesem heidnischen Haus sein. Er war ein Missionar in Ägypten.
Aber wo war die Erfüllung seiner Träume? Er hätte sagen können: „Der Herr hat hier gewirkt, und wir haben geholfen.“ Doch wo war der Herr, als ich in der Grube war? Warum musste ich das erleben? Warum diese Ablehnung durch meine Brüder?
Wenn man bedenkt, was Joseph alles erlebt hat: Rufmord, als er noch Hirte war – das steht schon ganz am Anfang der Geschichte (1. Mose 37,2). Er wuchs bei den Söhnen von Wilhelm Silper auf, bei Dan, Naftali, Gad und Asser. Das war eine Patchwork-Familie, in der er groß wurde und als Hirte wirkte. Doch er war dort ständig mit Rufmord konfrontiert.
Dann erlebte er massiven Bruderhass und Ablehnung durch seine Brüder. Schließlich wurde er gewaltsam gepackt und in einen Brunnen geworfen. Er wurde Opfer von Menschenhandel. Später wurde er sogar noch Gefangener.
Warum ließ der Herr das alles zu? Das muss alles in ihm vorgegangen sein – Fragen über Fragen. Auffällig ist: Nie bekommt Joseph einen Traum, als er nach Ägypten geht. Damals gab es keine Bibel, deshalb offenbarte Gott sich immer wieder durch Träume.
Wir können das heute nicht einfach so übertragen, denn wir haben das geschriebene Wort, durch das Gott zu uns spricht. Damals sprach Gott durch Träume.
Aber gerade als Joseph nach Ägypten ging, gab Gott ihm keinen Traum, keine Vision. Gott sagte nicht: „Joseph, geh nur, das ist alles eine Frage der Zeit, alles wird so kommen, wie du es damals geträumt hast.“ Nichts dergleichen. Gott sprach nicht so zu ihm, wie er es zu seinem Großvater Abraham oder zu seinem Vater Jakob tat. Nie.
Warum war das bei ihm anders? Trotzdem ging Joseph seinen Weg mit dem Herrn.
Und nun liest doch Genesis 39, Verse 7 bis 23:
Es geschah nach diesen Dingen, dass die Frau seines Herrn ihre Augen auf Josef warf und sprach: „Liege bei mir!“ Er aber weigerte sich und sagte zu der Frau seines Herrn: „Siehe, mein Herr kümmert sich um nichts in meinem Haus, und alles, was er hat, hat er mir in meine Hand gegeben. Niemand ist größer in diesem Haus als ich, und er hat mir nichts vorenthalten – außer dir, weil du seine Frau bist. Wie sollte ich diese große Bosheit tun und gegen Gott sündigen?“
Tag für Tag sprach sie Josef an, doch er hörte nicht auf sie, bei ihr zu liegen oder bei ihr zu sein. Eines Tages geschah es, dass er ins Haus ging, um seine Arbeit zu tun, und kein Mensch von den Leuten des Hauses war dort.
Da ergriff sie ihn an seinem Gewand und sprach: „Liege bei mir!“ Er aber ließ sein Gewand in ihrer Hand zurück, floh hinaus und lief davon.
Als sie sah, dass er sein Gewand in ihrer Hand zurückgelassen hatte und geflohen war, rief sie die Leute ihres Hauses und sprach zu ihnen: „Seht, er hat uns einen hebräischen Mann hereingebracht, damit er Scherz mit uns treibe. Er ist zu mir gekommen, um bei mir zu liegen, doch ich habe mit lauter Stimme gerufen!“
Als er hörte, dass ich meine Stimme erhob und rief, ließ er sein Gewand neben mir liegen und floh hinaus. Sie legte sein Gewand neben sich, bis sein Herr nach Hause kam.
Als dieser heimkehrte, sprach sie zu ihm: „Der hebräische Knecht, den du uns hergebracht hast, ist zu mir gekommen, um Scherz mit mir zu treiben. Als ich meine Stimme erhob und rief, ließ er sein Gewand neben mir liegen und floh hinaus.“
Als der Herr die Worte seiner Frau hörte, die sie zu ihm sprach, entbrannte sein Zorn. Er nahm Josef und legte ihn ins Gefängnis, an den Ort, wo die Gefangenen des Königs gefangen lagen. Dort war Josef im Gefängnis.
Doch der Herr war mit Josef, wandte ihm Güte zu und gab ihm Gnade in den Augen des Obersten des Gefängnisses.
Der Oberste des Gefängnisses übergab alle Gefangenen, die dort waren, in Josefs Hand. Alles, was im Gefängnis zu tun war, tat Josef.
Der Oberste des Gefängnisses sah nicht nach dem Geringsten, das unter seiner Hand war, denn der Herr war mit ihm, und was er tat, ließ der Herr gelingen.
Ja, jetzt haben wir eine Versuchungsgeschichte vor uns. Diese erinnert uns im Rahmen des ersten Buches Mose an eine andere Versuchungsgeschichte, die ebenfalls in 1. Mose zu finden ist, nämlich im Kapitel 3, dem Sündenfall.
Äußerlich herrschen hier beste Umstände: Im Garten Eden, einem Paradies, und in der Geschichte von Josef herrschen königliche Zustände. Josef ist ein hoher königlicher Beamter in seinem Palast, und alles liegt in seiner Hand. Dann kommt die Versuchung. Im Garten Eden war es die Frucht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, die verboten war. Dem ersten Menschen war alles gegeben – mit einer Ausnahme. Ähnlich ist es bei Josef: Ihm ist alles in diesem Haus gegeben, mit einer Ausnahme, nämlich die Ehefrau von Potiphar.
Jetzt geht es genau darum, ob er sich diese Ausnahme auch noch nimmt oder annimmt. Für Adam war es eine Frau, die ihm schließlich die verbotene Frucht anbietet, und er nimmt sie. Hier ist es eine Frau, die sich ihm selbst anbietet. Das Erstaunliche daran ist, dass Josef nicht in Kanaan ist, nicht in der Nähe seiner Familie. Das wäre nämlich soziale Kontrolle gewesen.
Soziale Kontrolle ist sehr wichtig. Wenn wir in einer Familie eingebettet sind, in einem Freundeskreis oder in einer Gemeinde, gibt es soziale Kontrolle. Dabei handelt es sich nicht um Kontrolle wie bei einer Geheimpolizei, sondern darum, dass man beobachtet wird und sich überlegt: Ist es richtig, wenn ich das so mache? Oder ist es falsch?
Viele Menschen, die als Asylanten nach Europa kommen, werden straffällig. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die soziale Kontrolle von zu Hause, von wo sie weggegangen sind, nicht mehr vorhanden ist. Sie denken: Mir ist egal, was diese Leute, diese „komischen Schweizer“ oder „komischen Deutschen“ denken. Diese fehlende Kontrolle führt schneller zu kriminellen Handlungen.
Josef ist weit weg von seiner Familie. Das Haus ist leer, er ist allein im gleichen Haus mit einer Frau, die sich ihm anbietet. Trotzdem ist er überzeugt: Was bewahrt ihn vor der Sünde? In Vers 9 sagt Josef: „Niemand ist größer in diesem Haus als ich, und er hat mir gar nichts vorenthalten als nur dich, da du seine Frau bist. Und wie sollte ich diese große Bosheit tun und gegen Gott sündigen?“
Er hat eine so tiefe Ehrfurcht vor Gott, dass er sagt: Wenn ich das tun würde, sündige ich nicht nur gegen Potiphar und natürlich auch gegen diese Frau, sondern ich sündige gegen Gott. Und das geht nicht. Diese Gottesfurcht war da.
Er hätte sich sagen können: Der Herr hat mich ja sowieso verlassen. Ich kam in die Grube, wurde verkauft nach Ägypten, und dann kam ich als Sklave in das Haus von Potiphar. Gut, jetzt geht es mir wieder besser, aber meine ganze Familie ist mir entrissen worden. Trotzdem hat er diese Gottesfurcht bewahrt und gesagt: „Ich hasse Sünde.“ So widersteht er der Versuchung.
Die Versuchung wird immer stärker, jeden Tag kommt sie zu ihm. Schließlich wird es so dramatisch, dass sie sich an ihm vergreift. Sie ergreift ihn bei seinem Gewand und spricht: „Liege bei mir!“ Da sieht er, dass das Einzige, um bewahrt zu bleiben, ein entschiedenes Fliehen aus dieser gefährlichen Situation ist.
Genauso wie es in 1. Korinther 6 heißt: „Flieht die Hurerei!“ Das bedeutet, wenn man in eine gefährliche Situation kommt, muss man sich durch entschiedenes und schnelles Weggehen entziehen. Die Stelle ist 1. Korinther 6,18: „Flieht die Hurerei!“ Das ist ein Befehl.
Das zeigt Josef praktisch, wie er es umgesetzt hat. In 2. Timotheus 2,22 sagt Paulus: „Fliehe auch die jugendlichen Lüste.“ Auch hier ist Flucht gemeint.
Da wird ihm das Gewand quasi ausgezogen. Erinnern wir uns an eine frühere Stelle in seiner Geschichte: Seine Brüder hatten ihm das besondere, schöne Gewand ausgezogen. Ähnlich wie die Feinde des Herrn Jesus in Johannes 19 ihm das von oben an ohne Naht durchgewebte Unterkleid weggenommen haben.
Die Brüder benutzten das Gewand, um zu täuschen und zu betrügen. Sie taten Ziegenblut auf das Gewand und zeigten es dem Vater Jakob mit den Worten: „Erkenne, ob das das Kleid ist von deinem Sohn.“ Jakob brach zusammen. Also Betrug mit dem ausgezogenen Gewand.
Hier macht die Frau von Potiphar genau dasselbe. Das Gewand ist das Beweisstück für ihren Betrug. Sie sagt zu ihrem Mann: „Das Gewand habe ich gerade eben noch als Beweis, dass er sich an mir vergreifen wollte.“
Unglaublich: Josef ist so treu dem Herrn, und jetzt geht es ihm umso schlechter. Er kommt ins Gefängnis. Er hätte sich sagen können: Hat es sich gelohnt, dem Herrn treu zu bleiben? Jetzt geht es mir noch schlechter als vorher. Aber er wusste nicht, was der Plan Gottes mit ihm war.
Was hätten wir ihm als Rat gesagt? Er sagte: „Ich weiß nicht, warum ich das alles durchmache. Ist das eine Strafe, weil ich meinem Vater von diesem Rufmord der Brüder erzählt habe? Muss ich dafür leiden?“
Doch alles dient denen zum Guten, die Gott lieben. Wenn er gesagt hätte: „Ist es vielleicht eine Strafe, dass es mir so schlecht geht?“ – was hätten wir ihm gesagt?
Was hätte man ihm gesagt, wenn Josef gefragt hätte: „Wie soll ich damit umgehen?“ Vielleicht hätte man ihm gesagt: „Schau, mein Vater, mein Großvater Abraham war ein Glaubensmann. Gott ist ihm erschienen und hat gesagt: ‚Ich bin dein Schild und ein sehr großer Lohn.‘ Gott schützt, aber er hat mich nicht geschützt. Ich kam in die Grube, er hat mich nicht geschützt. Ich kam in die Hand der Ismaeliter und wurde nach Ägypten gebracht. Dort wurde ich Sklave. Gott hat mich nicht vor der Sklaverei geschützt. Jetzt war ich treu in dieser Sache und komme ins Gefängnis. Gott hat mich auch nicht geschützt.“
Die Stelle dazu ist 1. Mose 15,1: „Nach diesen Dingen erging das Wort des Herrn an Abraham in einem Gesicht, und er sprach: Fürchte dich nicht, Abraham, ich bin dir ein Schild, dein sehr großer Lohn.“
Josef hätte sagen können: „Das war für meinen Großvater so, bei mir ist es anders.“ Ja, das ist der Punkt: Wenn wir das aus einem momentanen Standpunkt anschauen, ist die Geschichte nicht fertig, und es ist nicht klar. Aber wir müssen lernen, dass der Herr einen Plan hat, den er uns nicht im Moment verrät, und diesen Plan mit ihm geht.
Er hätte sich sagen können: „Ist es eine Strafe von Gott? War es falsch, dass ich meinem Vater davon erzählt habe wegen dieses Rufmords? Nein, es war nicht falsch. Ich bin ja nicht einfach hausieren gegangen – das wäre Verleumdung, wie es in den Sprüchen heißt. Ich habe es meinem Vater als Vertrauensperson anvertraut. Es ist auch wichtig, dass Kinder mit schwierigen Dingen in der Schule darüber sprechen. Als Eltern sollten wir sagen: Sprich darüber! Wenn Kinder sagen, das sagst du deinen Eltern nie, dann erst recht raus mit der Sprache. Das ist keine Verleumdung.“
Also war es doch keine Strafe von Gott. Aber was war es dann? „Ich habe meinen Brüdern von diesen Träumen erzählt, und das hat sie erst recht zornig gemacht. Aber das war Gottes Wort, und ich wollte Gottes Wort weitergeben.“
Er hätte sich wirklich sagen müssen: „Ich sehe keine konkrete Schuld.“
So ist es, wenn wir in Prüfungen sind und uns fragen: „Ist das eine Zucht Gottes?“ Dann müssen wir beten: „Prüfe mich, Herr, und erforsche mich!“ (Psalm 139, letzte Verse). Oder wie im Buch Hiob: „Was ich nicht sehe, zeige du mir.“
Dann zeigt uns der Herr, ob Schuld vorhanden ist. Wenn er uns das nicht klar zeigt, dass konkrete Schuld vorhanden ist, die ich ordnen muss, müssen wir denken: Der Herr hat einen Plan mit all diesen Dingen.
Wenn wir die Geschichte von hinten betrachten, erkennen wir plötzlich: Aha, jetzt verstehen wir, warum Joseph in seiner Jugend bis zum Alter von siebzehn Jahren als Hirte aufwuchs. Aber warum gerade als Hirte? Was machen Hirten? Sie hüten, bewachen und füttern die Herde.
Der Begriff Ro'eh bedeutet „der Herr ist mein Hirte“, Adonai Ro'i – mein Herr, mein Hirte. Ro'eh heißt unter anderem auch „der Fütterer“, „der Umsorger“ und „der Pfleger“. Es steckt gerade das Füttern darin. Hirten sorgen dafür, dass alle Tiere in der Herde genügend zu essen haben. Sie achten darauf, dass wirklich jedes einzelne Schaf Nahrung bekommt.
Was wird Joseph später einmal tun müssen? Er wird die Nummer zwei nach dem mächtigsten Mann der Welt sein. Das muss uns klar sein: Zu dieser Zeit gab es noch nicht so viele Menschen wie heute. Die Menschheit war weltweit noch nicht so groß. Aber das mächtigste und zivilisierteste Großreich auf Erden war das alte ägyptische Reich. Joseph wurde dort die Nummer zwei – mit dem Auftrag, dafür zu sorgen, dass alle Ägypter genügend zu essen bekommen. Zudem sollte die Nahrung gerecht verteilt werden, damit alle etwas erhalten.
Nicht nur die Ägypter, sondern auch die Nachbarvölker in der Levante – so nennt man das Gebiet von Syrien, Libanon und Israel – litten unter Hungersnot. Während in Ägypten sieben Jahre lang eine schreckliche Hungersnot tobte, kamen sie nach Ägypten. Joseph musste dafür sorgen, dass sie nicht zugrunde gehen.
Er wurde zum Retter der Welt. Das hat er als Hirte gelernt: sich um einzelne zu kümmern und sich ihrer anzunehmen. Später kam er in das Haus von Potiphar und stieg dort auf. Er hatte ein palastähnliches Haus unter sich und ordnete alle Abläufe dort. Man kann sagen, er wurde in Ökonomie und Management ausgebildet – im besten Sinn des Wortes.
Später kam er ins Gefängnis, aber auch dort stieg er auf. Er wurde der höchste unter den Gefangenen, die dem Obersten der Leibwache unterstellt waren, und sorgte für sie. Zum Beispiel kamen zwei Männer ins Gefängnis: ein Bäcker und ein Mundschenk. Ich greife hier ein wenig voraus, auf Kapitel 40.
Was sieht Joseph? Er sieht, dass die beiden sehr traurig aussehen. Er hätte sagen können: „Ich habe so viel Bitteres erlebt – von meiner Familie, von den Ismailitern und dann von dieser bösen Frau, Potiphar. Warum soll ich mich noch um andere kümmern?“ Doch das zeigt, dass er nicht verbittert war. Seine Augen waren immer noch offen. Er sah die Gesichter und erkannte, dass ein Problem vorlag.
„Euer Gesicht ist traurig, was ist der Grund?“ fragte er. Dann erzählten sie ihm ihre Träume. Joseph sagte: „Es gibt einen Gott, der die Träume deuten kann.“ Er hätte auch sagen können: „Was? Jetzt willst du anderen noch die Träume deuten, und deine eigenen Träume sind nie in Erfüllung gegangen.“ Aber er war überzeugt und erklärte ihnen, was die Träume bedeuteten.
Er kümmerte sich seelsorgerlich um die Gefangenen. All das war eine Vorbereitung darauf, dass er schließlich der zweitmächtigste Mann der Welt wurde, der für die Nahrungsmittelversorgung aller Menschen in Ägypten und der Levante verantwortlich war. Das war ein Plan, doch im Moment wusste Joseph das alles noch nicht.
Ein weiteres Problem war der Stolz. Von Natur aus sind wir alle stolz. Das gehört zu unserer sündigen Natur. Wenn man einmal ganz unten war und dann aufsteigt, immer anerkannter und beliebter wird, ist das gefährlich. Für Joseph wäre es sehr gefährlich gewesen, wenn er richtig stolz geworden wäre und hart zu seinen Brüdern gewesen wäre.
Später kamen seine Brüder während der Hungersnot zu ihm. Er erkannte sie, sie ihn aber nicht. Joseph war glatt rasiert, denn die Ägypter waren damals das Volk, das sich im Gesicht glatt rasierte, während andere Völker den Bart wachsen ließen. Er wurde von ihnen also nicht erkannt, aber er kannte sie.
Man hätte denken können, das sei die Gelegenheit, sich an ihnen zu rächen für all das, was sie ihm angetan hatten. Doch wir werden noch sehen, dass er das gar nicht wollte. Er wollte Versöhnung, aber keine billige Versöhnung. Deshalb gab er sich nicht sofort zu erkennen, sondern handelte mit Weisheit. Er wollte erst sehen, wo seine Brüder standen.
Es war schon eindrücklich: Als sie kamen, verbeugten sie sich alle vor ihm. Der Traum war in Erfüllung gegangen. Aber nicht ganz, oder? Wie viele Brüder kamen? Elf? Nein, zehn. Aber in seinem Traum waren es elf. Also war es noch nicht ganz erfüllt.
Joseph erkundigte sich, ob es noch einen weiteren Bruder gebe – den Jüngsten. Wie kam er auf die Idee, eine solche Frage zu stellen? Ja, aber eben nur, um zu sehen, wie die Lage war. Der Herr hatte ihm wirklich einen Weg geführt. Das war eine Vorbereitung für seine spätere Aufgabe.
Auf dem Weg zu dieser Aufgabe gab es viele Fragezeichen: Wo ist der Gott, der mein Schild ist? Ein sehr großer Lohn wartete auf ihn.
Und eine Stelle möchte ich dazu noch aufschlagen, und zwar Galater 1,15. Er beschreibt, wie er als Ungläubiger gewirkt hat, Karriere gemacht hat, die Gemeinde verfolgt hat, und dann kommt die Bekehrungsgeschichte.
Vers 15 liest du, Jerry? „Als es aber Gott, der mich von meiner Mutterleib an abgesondert und durch seine Gnade berufen hat, wohl gefiel, seinen Sohn in mir zu offenbaren, damit ich ihn unter den Nationen verkündigte, ging ich sogleich nicht mit Fleisch und Blut zu rate.“
Danke, bis dahin. Es geht jetzt einfach um diese Bemerkung, dass Gott ihn von Mutterleib an abgesondert hat. Der Weg mit Saulus begann also nicht erst bei der Bekehrung, sondern schon bei der Geburt, als seine Mutter ihn auf die Welt brachte. Gott hat ihn schon dort abgesondert.
Das heißt, Gott hat den ganzen Werdegang als Kind und alles, was er auf diesem Weg bis zur Bekehrung erlebt hat, so geführt, um ihn auf die Aufgabe vorzubereiten, die er für ihn vorgesehen hatte.
Aber genauso ist es mit Joseph. Im Moment hätte er sich sagen können, der Herr hat mich verlassen dort in der Grube. Aber in Wirklichkeit war er dort. Im Nachhinein musste Joseph sich sagen: Ja, natürlich, ich habe es zwar nicht gespürt, weil meine Gefühle sind nicht objektiv richtig, aber der Herr war da.
Und warum hat er eben so viel Tiefes erlebt? Damit er diese Höhen besser ertragen konnte. Das ist der Punkt, den ich ja begonnen habe vorzubereiten, aber jetzt nie zum Schluss gebracht habe. Diese Tiefen waren Vorbereitungen, um die ganze Ehre später im Zusammenhang mit dieser großen und schönen Aufgabe zu ertragen – und schlicht zu bleiben.
Zum Ausdruck kommt das, als er dann die beiden Betäuungen des Pharao auslegt. Im Kapitel 41 sagt er, dass der Pharao den Traum zweimal hatte. Das bedeutet, dass die Sache bei Gott fest beschlossen ist und dass Gott sie rasch ausführen wird. Sogar diese „Bursnöten“ in diesem Kern ergeben Sinn. Es ist nicht einfach Zufall oder Schicksal, sondern Gott hat das beschlossen und wird es ausführen.
Sehr gut. Joseph sagte dem Pharao, der ihn aus dem Gefängnis holen ließ, um die Träume zu deuten, dass es einen Gott gibt, der das erklären kann. Der Mundschenk hatte ihm plötzlich erzählt, dass es im Gefängnis jemanden gibt, der Träume deuten kann.
Alle Berater des Pharao waren nicht in der Lage, den Traum zu deuten. So kam Joseph überhaupt heraus. Und dann hätte er sich groß präsentieren können am Hof: „Ja, ich kann erklären, was der Traum des Pharao bedeutet, mit den dicken, fetten Kühen und den mageren Kühen.“ Nein, er sagt, es gibt einen Gott, der das erklären kann. Er gibt Gott die Ehre.
Natürlich brauchte es ihn, denn niemand sonst konnte den Traum deuten. Aber er gibt Gott die Ehre, denn nur Gott hat ihm diese Weisheit gegeben. Und eben diese Demut, die er behält und bewahrt bis zum Schluss seines Lebens, ging durch diese Tiefen.
Menschen, die mehr gelitten haben als andere, werden auch tiefer. Das ist eine Chance. Es kann aber auch das Gegenteil sein: Man kann durch Leiden bitter werden und wirklich unerträglich, mühsam bis unerträglich.
Aber es kann auch anders sein, wenn wir dem Herrn wirklich die Ehre geben und sagen: „Doch, du warst bei mir in der Grube, ich habe nichts gespürt, aber du warst bei mir auf diesem langen Weg nach Ägypten mit den Ismailitern.“ Das hat Joseph wohl vermieden zu sagen: „Übrigens sind wir verwandt. Mein Urgroßvater hatte nämlich einen Sohn, der hieß Ismail, das ist euer Stammvater.“
Da hätten sie gesagt: „Du bist der Richtige! Weißt du was? Ismail wurde hinausgetan, jetzt haben wir Gelegenheit, uns an euch zu rächen.“ Also besser hat er ihnen nichts davon erzählt. Das Wort sagt nichts, aber auch nicht, dass er gesagt hat, wir sind eigentlich verwandt. Er ging einfach da runter.
Aber eben das erklärt, warum er auch erleben musste, wie diese Frau ihn so dreckig verleumdet hatte, vor allem im Haus und dann vor ihrem eigenen Mann. Wir lesen nichts davon, dass Potiphar gesagt hätte: „Joseph, jetzt könntest du noch deine Darstellung der Geschichte vorbringen?“ Nichts. Er kam ins Gefängnis.
Was hätte er da für eine Bitterkeit aufbauen können? Aber er hat im Herzen vergeben. Darum konnte er später auch seinen Brüdern vergeben, und darum kam es zur Versöhnung.
Da verstehen wir also, dass sein Charakter, sein gottgemäßes Wesen, durch diese Erfahrungen geformt wurde. Sie gaben ihm auch Weisheit.
Als er seine Brüder in Ägypten zum ersten Mal sah, hat er sich ja schließlich nicht gerechtfertigt oder sich zu erkennen gegeben. Aber er gab ihnen voll Weizen, also Korn, und die Säcke mit. Auf der Heimreise merkten sie: Das Geld ist noch drin.
Das Geld? Damals gab es ja gar kein Geld. Münzen zum Kaufen und Verkaufen kennt man in der Geschichte erst seit etwa 700 vor Christus. Hier sind wir über tausend Jahre früher.
Also immer wenn es „Geld“ heißt, ist das Wort „Kessew“ gemeint, das gleichzeitig Silber oder Geld als Münzen bedeuten kann. In der Josephsgeschichte müsste man „Kessew“ immer mit Silber übersetzen. Das heißt, er hat ihnen Silberlinge in die Säcke gegeben.
Auf der Heimreise merken sie, dass in einem Sack Silber ist. „Der Mann hat uns das gegeben!“ Und er hat ihnen gesagt, sie seien Betrüger. Zu Hause merken sie, dass alle in ihren Säcken Silberlinge haben.
Silberlinge! Das erinnerte sie an das, was sie für den Verkauf von Joseph bekommen hatten.
So ist diese Geschichte. Aber wie kam Joseph auf die Idee, ihnen Silber in die Säcke zu geben? Die sollen sich damit beschäftigen. Das soll in ihren Herzen ein Werk tun, bis es zur offiziellen Versöhnung kommen konnte – aber nicht zu früh.
Durch all diese Erfahrungen hat er gelernt, das Unrecht der Menschen zu ertragen. Das hat seinen Charakter geformt.
Man stelle sich vor: Als er ganz oben war, Nummer zwei der Welt, mussten sich alle Ägypter vor ihm verbeugen. Der Pharao hatte das angeordnet. Auch Potiphar und Frau Potiphar.
Wow, was hat diese Frau erlebt! Jetzt ist er, der wegen angeblicher Vergewaltigung im Knast war, ganz oben. Aus dem Knast wurde er Nummer zwei.
Diese schnelle Entwicklung ist fast unerträglich, wenn man nicht einen Weg durch so viel innere Mühen, Kämpfe, Zweifel und Selbstzweifel gegangen ist. Aber das war wirklich die Vorbereitung.
Wir lesen nicht, dass er sich dieser Frau vorgeknöpft hätte – und auch nicht Potiphar. Durch seine Erfahrungen lernte er zu vergeben, und zwar nicht billig.
Sonst hätte er sich sofort seinen Brüdern offenbart und gesagt: „Ich bin euer Bruder Joseph.“ Aber es ging darum, dass die Wiederherstellung durch Buße geschieht. Sie mussten zur Einsicht und Umkehr kommen.
Wollen wir an dieser Stelle schließen und nächstes Mal mit Kapitel 40 ab Vers 1 weitermachen.
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