
Sie ist die Frau eines amerikanischen Pastors und gerade im Geschäft unterwegs, beim Einkaufen. Plötzlich spürt sie eine innere Unruhe, einen ganz tiefen Eindruck, dass ihr Mann jetzt ihr Gebet braucht.
Die Frau lässt den Einkauf liegen und beginnt im Geschäft für ihren Mann zu beten. Ihr Mann ist Pastor im vollzeitlichen Dienst und gerade in der Gemeinde. Nach dem Gebet bezahlt sie an der Kasse, geht nach Hause und betet weiter für ihren Mann, weil sie plötzlich eine schwere Last auf ihrem Herzen spürt.
Nach etwa einer halben Stunde Gebet verspürt sie eine tiefe Ruhe und ruft ihren Mann an. Daraufhin erzählt er ihr eine dramatische Geschichte.
Diese wahre Begebenheit möchte ich hier erzählen: Der Pastor war seit längerem seelsorgerlich mit einem Arzt im Gespräch. An diesem Morgen plante der Arzt, der suizidgefährdet war, sich selbst und den Pastor an diesem Tag zu erschießen.
Der Arzt war auf dem Weg ins Gemeindebüro. Gerade als er durch die Tür ging, um die Tat zu vollbringen, stellte er fest, dass er die Pistole im Hotel vergessen hatte. Er brach vor dem Pastor zusammen und erzählte ihm, was er eigentlich vorhatte.
Der Pastor führte den Arzt in dieser Verzweiflung zu Jesus. An diesem Tag wurden zwei Leben gerettet – kaum zu glauben, aber eine wahre Begebenheit.
Manchmal legt Gott auf übernatürliche Weise einem Menschen aufs Herz, jetzt für eine andere Person zu beten. So war es auch bei mir.
Ich habe von meinem Autounfall gestern erzählt, bei dem Gott mich auf eine besondere Weise gezüchtigt hat: Ich bin mit 120 km/h gegen eine Betonwand gefahren. Damals habe ich noch bei meinen Eltern gewohnt, bevor ich geheiratet habe. Ich rief zuhause an, und meine Mutter war schon wach. Sie sagte, sie hatte den Eindruck, sie sollte jetzt mitten in der Nacht für mich beten. Und sie hat gebetet.
Manchmal macht Gott das, aber nicht immer. Man muss vorsichtig sein mit Eindrücken und Gefühlen, denn man kann sich auch täuschen. Doch manchmal legt Gott auf übernatürliche Weise Menschen aufs Herz: das Anliegen, für jemanden zu beten.
Warum erzähle ich diese dramatische Geschichte? Im nächsten Text, den wir uns anschauen, sieht Amos in einer Vision eine Gefahr. Daraufhin betet er für das Volk.
Das Thema lautet: „Spring in die Bresche, bete für Gott ferne Menschen.“
Was bedeutet es, für jemanden in die Bresche zu springen? Dieser Ausdruck stammt ursprünglich aus der Kriegsführung. Damals waren die Städte von Mauern umgeben. Wenn ein Angriffstrupp eine Stadt erobern wollte, versuchte er, irgendwo eine Bresche, also eine Lücke in der Mauer, zu schlagen, um mit seiner Armee hineinzukommen.
Die Verteidiger der Stadt, also die Burgbewohner, stellten sich mutig in diese Bresche, um die Angreifer aufzuhalten und den Zugang zu verhindern.
Heute verwenden wir den Ausdruck „in die Bresche springen“ im Deutschen auch im übertragenen Sinn. Er bedeutet, sich für jemanden einzusetzen oder einzuspringen.
Genau das macht Amos hier im Gebet.
Ich möchte den Text einmal vorlesen. Er stammt aus Kapitel 7, Verse 1 bis 9, und setzt dann fort in Kapitel 8, Verse 1 bis 3. Ihr werdet feststellen, dass dazwischen ein Abschnitt ausgelassen wird, ein biografischer Einschub. Ich denke, die vier Visionen gehören zusammen. Den Einschub schauen wir uns dann heute Abend in der letzten Predigt an.
Zunächst lese ich aus Amos 7,1-6:
"So hat mich Jahwe, der Herr, schauen lassen. Ich sah, wie ein Heuschreckenschwarm schuf. Es war in der Zeit, als das Gras für den König gemäht worden war und das Spätgras zu wachsen anfing. Als die Heuschrecken alles Gras abgefressen hatten, sagte ich: Herr Jahwe, vergib doch! Wie kann Jakob sonst überleben? Er ist ja so klein. Da hatte Jahwe Mitleid mit ihm. Es soll nicht geschehen, sagte er."
Dann hat mich Jahwe, der Herr, Folgendes schauen lassen:
"Jahwe, der Herr, rief das Feuer zum Gericht herbei, das alles Wasser aufzehrte. Als es auch das Ackerland fressen wollte, rief ich: Herr Jahwe, halt doch ein! Wie kann Jakob sonst überleben? Er ist ja so klein. Da hatte Jahwe Mitleid mit ihm. Auch das soll nicht geschehen, sagte Jahwe, der Herr."
Das sind die ersten beiden Visionen, die wir uns einmal anschauen wollen. Diese Visionen sind parallel aufgebaut. Wenn ihr genau mitgelesen habt, erkennt ihr das Muster: Am Anfang sieht Amos das angedrohte Schicksal. Dann folgt der Aufschrei von Amos, der Gebetsschrei: "Gott, bitte, das kannst du doch nicht machen!" Daraufhin sehen wir, wie Gott reagiert.
Wir schauen uns zunächst das angedrohte Schicksal der ersten beiden Visionen an.
In der ersten Vision sieht Amos folgendes Schicksal voraus: „So hat mich ja wieder der Herr schauen lassen. Ich sah, wie ein Heuschreckenschwarm entstand. Es war die Zeit, als das Gras für den König gemäht worden war und das Spätgras zu wachsen anfing.“
Amos sieht hier, wie Gott als Schöpfer tätig wird. Doch das, was Gott schafft, ist kein Grund zur Freude. Denn Gott erschafft hier einen Heuschreckenschwarm, also eine Heuschreckenplage. Wir müssen wissen: Heuschrecken waren damals ein Horrorszenario. Sie haben die Kapazität, die Vegetation eines ganzen Landes zu vernichten. Heuschrecken schonen nichts, sie fressen alles nieder.
Die Zeitangabe im Vers „Es war die Zeit, als das Gras für den König gemäht worden war und das Spätgras zu wachsen anfing“ trägt eine besondere Bedeutung. Der König hatte immer das Recht, als Erster zu ernten.
Eine wichtige Frage lautet: Wen trifft die Plage, wenn der König schon geerntet hat? Die Antwort ist: Das arme Volk. Das heißt, was Amos hier sieht, ist ziemlich dramatisch.
Worum geht es in der zweiten Vision? Was wird dort angedroht?
In Vers 4 heißt es: „Da hat mich Jahwe, der Herr, Folgendes schauen lassen: Jahwe, der Herr, rief das Feuer zum Gericht herbei, das alles Wasser aufzehrte. Als es auch das Ackerland fressen wollte, rief ich.“
Ich denke, hier geht es nicht um eine natürliche Erfahrung. Immer wenn Amos von Feuer spricht, meint er ein Feuergericht. In gewisser Weise sieht Amos hier wahrscheinlich ein tatsächliches Feuergericht, und er reagiert mit einem Aufschrei.
Nach der ersten Vision schreit Amos zum Herrn, und auch nach der zweiten Vision tut er das. In Vers 2 heißt es: „Als die Heuschrecken alles Grün abgefressen hatten“ – das ist ja noch nicht eingetreten, sondern nur angedroht. Dann sagte ich: „Herr Jahwe, vergib doch! Wie kann Jakob sonst überleben? Er ist ja so klein.“
Die gleiche Reaktion zeigt sich nach der zweiten Vision beim Feuergericht: „Als es auch das Ackerland fressen wollte, rief ich: Herr Jahwe, halt doch ein! Wie kann Jakob sonst überleben? Er ist ja so klein.“
Man sieht, was Amos hier macht: Er springt in die Bresche für das Volk und sagt zum Herrn: „Bitte, vergib ihnen!“
Kommen uns diese Worte bekannt vor? „Vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun.“ Diese Worte stammen von Jesus, aber auch von Stephanus, der sie in der Apostelgeschichte ausspricht. Überall in der Bibel finden wir Beispiele für Menschen, die für andere in die Bresche springen. Sie treten im Gebet für diejenigen ein, die sonst das Gericht erwarten würden.
An wen denkt man dabei noch? Zum Beispiel an Mose. Gott sagt zu Mose: „Weißt du was, Mose? Ich werde das Volk vernichten, aber mit dir mache ich weiter.“ Mose hätte sagen können: „Gut, solange du mit mir weitermachst.“ Doch stattdessen springt Mose in die Bresche für das Volk und bittet Gott, es zu verschonen.
Interessant ist, wie Mose argumentiert. Er beruft sich auf die Größe Gottes: „Gott, sonst werden die anderen Nachbarvölker denken, was macht dieser Gott mit seinem Volk?“ Mose schützt also den Ruf Gottes, damit die anderen Völker nicht schlecht über ihn denken.
Amos hingegen argumentiert anders. Er betont die Kleinheit und Niedrigkeit des Volkes. Jakob, also Israel, ist klein und schwach. Können wir uns noch an den Vortrag erinnern? Für wen hielten sie sich? Für die Besten! Sie dachten: „Wir sind die Größten, wir sind die Besten.“ Doch die Realität sieht anders aus: Sie sind klein, Israel ist klein.
Wer ist noch in die Bresche gesprungen? Nehemia zum Beispiel. Er betet für das Volk, nachdem er erkannt hat, welche Folgen die Sünde hat. Auch Daniel ist ein solcher Fürsprecher. Wer noch? Jeremia, der immer wieder für sein Volk eintritt.
Ich denke auch an Abraham. Gott offenbart ihm, dass er Sodom und Gomorra vernichten will. Abraham handelt richtig, indem er mit Gott verhandelt: „Wenn es noch so viele Gerechte gibt, verschone die Stadt.“
So finden wir immer wieder Menschen in der Bibel, die für andere im Gebet einstehen, damit das Gericht sie nicht trifft. Auch Paulus im Neuen Testament ist ein Beispiel. In Römer 10,1 heißt es: „Liebe Brüder, meines Herzens Wunsch ist und ich flehe zu Gott für sie, dass sie gerettet werden.“ Paulus springt in die Bresche für sein Volk, die Juden.
So sehen wir, dass auch Amos für andere eintritt und für sie betet.
Wir haben Amos als einen harten Gerichtspropheten kennengelernt. Die Worte, die wir bisher von ihm gehört haben, waren ebenfalls hart. Doch hier zeigt sich sein weiches Herz. Er liebt die Menschen und tritt für sie ein im Gebet. Dabei betet er gegen Gottes Vernichtungsplan.
Die Frage ist: Wie reagiert Gott auf das Gebet von Amos? Das wollen wir uns jetzt anschauen. Das Schicksal wird verändert.
Da ist es in Vers 3: Da hatte Yahweh Mitleid mit ihm, also mit Jakob, mit Israel. Es soll nicht geschehen, sagte er.
Moment, was passiert hier eigentlich? Gott sagt: „Ich werde richten.“ Hier siehst du schon mal Amos. Amos sagt: „Gott, bitte nicht!“ Und Gott sagt: „Okay, dann nicht.“
Also können wir da nicht einfach mal drüber hinweglesen. Was passiert hier? Gott hört auf das Gebet von Amos, und der Vernichtungsplan wird erst einmal gestoppt aufgrund des Gebets.
Dasselbe sehen wir noch einmal nach der zweiten Vision. Da hatte Jahwe Mitleid mit ihm, also mit Jakob. Auch das soll nicht geschehen. Gott lässt die Vision nicht Wirklichkeit werden, und das Schicksal wird verändert.
Ich gebe zu, diese Aussage ist nicht ganz einfach einzuordnen, vor allem nicht, wenn man mal in einer anderen Übersetzung liest. In der Luther- und in der Elberfelder-Bibel steht: „Er ließ es sich gereuen.“
Da denken wir auch an die Sintflut. Dort heißt es, es räute Gott, dass er den Menschen gemacht hat. Was ist damit gemeint? Das ist die Frage, die sich stellt.
Wir müssen erst einmal festhalten: Es bedeutet auf keinen Fall, dass Gott bereut im Sinne von „Jetzt habe ich einen Fehler gemacht.“ Denn Gott macht keine Fehler. Gott ist allwissend, Gott weiß immer schon alles im Voraus. Gott wird nie überrascht. Und Gott ist perfekt, Gott ist vollkommen.
Hier geht es also nicht darum, dass Gott sich jetzt denkt: „Oh, was habe ich vorgehabt? Ich bereue es.“ Ich bereue es, dass ich den Menschen gemacht habe (bei der Sintflut) und hier bei Amos: „Ich bereue es, dass ich das Volk vernichten wollte.“ Das ist damit nicht gemeint.
Hier hilft ein Blick ins Hebräische. Dort steht das Wort Nacham, und Nacham bedeutet eine emotionale Reaktion Gottes. In 1. Mose 6 ist das gleiche Wort verwendet. Es bedeutet: Es tat Gott weh, dass er den Menschen gemacht hat.
So übersetzt die Neue Evangelistische Übersetzung (NeÜ), die ich hier benutze, sehr treffend mit „Mitleid“. Genau das meint das Wort. Gott hat Mitleid, Gott erbarmt sich.
Wir glauben nicht an einen Gott, der keine Gefühle hat. Wir müssen Platz machen in unserem Gottesbild dafür, dass Gott Gefühle hat. Es fällt uns manchmal schwer zu verstehen, aber genau das meint das Wort: eine emotionale Regung. Gott erbarmt sich.
Über den Sünder, genauso wie Jesus, der im Herzen bewegt wurde, als er die Menschen sah, wie verirrte Schafe ohne Hirten sind. Es tut ihm weh.
So ist Gott nicht einfach nur ein Computer, der so programmiert ist: Wenn Sünde, dann Gericht. Knopfdruck, bumm. Sondern es tut Gott weh. Er will ja nicht richten.
Jetzt stellst du dir vielleicht trotzdem die Frage: Wie ist das mit der Unveränderlichkeit Gottes zu vereinbaren?
Schauen wir mal. Wir müssen festhalten: Gott ist unveränderlich. Gott bleibt derselbe, richtig? Das sagt die Bibel. Gott ist immer derselbe.
Aber Gottes Unveränderlichkeit bezieht sich auf sein Wesen. Gott ist immer heilig und wird immer heilig bleiben. Gott ist allmächtig und wird immer allmächtig bleiben. Gott ist immer wahrhaftig und wird immer wahrhaftig bleiben.
Wenn Gott hier sagt: „Aufgrund meiner Heiligkeit werde ich richten“, und Amos sagt: „Bitte gib dem Volk noch eine Chance“, und Gott antwortet: „Ich habe weiterhin Geduld“ – ist das kein Widerspruch zu Gottes Wesen, oder?
So können wir den Text hoffentlich besser einordnen. Gott hat Mitleid, Gott erbarmt sich, und deswegen wird das Gebet von Amos gehört.
Wir können schon mal für uns mitnehmen: Gebet kann Schicksale verändern. Wir kommen gleich zur Anwendung, etwas ausführlicher.
Wir wollen uns jetzt noch einmal die letzten beiden Visionen anschauen. Den unumkehrbaren Beschluss, die dritte Vision, finden wir ab Kapitel 7, Verse 7 bis 9.
Dann ließ er mich Folgendes sehen: Der Herr stand auf einer senkrechten Mauer und hatte ein Lot in der Hand. Yahweh sagte zu mir: „Was siehst du, Amos?“
„Ein Lot“, sagte ich.
Da sagte der Herr: „Pass auf, ich lege ein Lot an mein Volk Israel an, ich werde es nicht mehr verschonen. Dann werden die Opferhöhen Isaks verödet, und die Heiligtümer Israels werden in Trümmern liegen. Gegen das Haus Jerobjams gehe ich mit dem Schwert vor.“
Amos sieht in der Vision, dass Gott auf einer Mauer steht und ein Lot in der Hand hält. Einige andere Übersetzungen sprechen von einem Senkblei. Das ist ein Prüfgerät. Gott prüft, ob diese Mauer baufällig ist. Muss sie abgerissen werden oder ist sie standhaft?
Das ist natürlich nur ein Bild. Hier geht es um eine moralische Prüfung: Ist Israel reif – man könnte sagen – für die Abrissbirne Gottes, für das Gericht? Oder findet Gott etwas an Israel, wo er sagt: Die Mauer kann stehenbleiben? Ist Israel standfest oder bruchreif?
Aus Vers 9 wird deutlich, dass Israel reif für das Gericht ist.
Dann schauen wir uns jetzt die vierte Vision an. Wir sind jetzt in Kapitel 8, Verse 1 bis 3. Ihr seht, sie läuft nach dem gleichen Schema ab. Das ist ein Argument dafür, dass sich dieser Text an Kapitel 7, Verse 7 bis 9 anschließt.
Dann ließ Yahweh, der Herr, mich Folgendes sehen:
Ich sah einen Korb mit reifem Obst.
„Amos, was siehst du?“, fragte er mich.
„Einen Korb mit reifem Obst“, antwortete ich.
Da sagte Yahweh: „Ja, mein Volk Israel ist reif für das Ende, ich werde es nicht länger verschonen. Dann werden die Gesänge im Palast zu Geheul, spricht Yahweh. Leichen in Menge werden hingeworfen, überall herrscht Stille.“
Also sieht Amos in der vierten Vision einen Korb mit reifem Obst. Das ist ebenfalls ein Bild, das deutlich macht: Israel ist reif – reif für das Gericht. Amos verkündet die Botschaft beziehungsweise sieht, dass Gott dem gottlosen Treiben ein Ende macht.
Was ist euch bei diesen beiden letzten Visionen aufgefallen? Das Gericht wird durchgezogen, oder? Amos kommt gar nicht mehr dazu, in die Bresche zu springen. Gott bestimmt das Gespräch, Amos kommt nur noch dazu, irgendwie zu antworten. Aber Gott macht direkt weiter und sagt: „Ich werde jetzt vernichten.“
Das wirft doch jetzt Fragen auf, oder? Wir haben uns jetzt vier Visionen angeschaut. Immer wird Gericht angekündigt. Aber nach den ersten beiden sagt Gott: „Gut, ich werde es doch nicht machen.“ Und in den letzten beiden sagt Gott: „Doch, ich werde richten.“ Wie können wir das einordnen? Erst kein Gericht, dann doch Gericht. Was denn jetzt?
Schaut mal, was ganz Interessantes: Es gibt in diesen vier Visionen jahreszeitliche Anspielungen. Das heißt, diese Visionen hat Amos nicht an einem Tag gesehen – Nummer eins, Nummer zwei, Nummer drei, Nummer vier, die erste um neun Uhr morgens, die letzte um zehn Uhr abends. Nein, es gibt jahreszeitliche Anspielungen.
In der ersten Vision haben wir vom Spätgras gelesen, das der König gemäht hat. Wisst ihr, wann das Spätgras geerntet wurde? Im April. Und jetzt in der letzten Vision sehen wir, dass Obst reif ist. Wann ist Obst reif? Im Herbst, im September oder Oktober.
Versteht ihr? Und das ist der Schlüssel zum Verständnis: Gott sieht im April, als Amos die ersten Visionen empfängt, dass Gott richten will. Amos sagt: „Nein, bitte nicht! Gott, vergib doch!“ Und Gott sagt: „Gut, ich werde nicht.“ Mittlerweile ist Herbst, das Obst ist reif, und das Volk ist immer noch nicht umgekehrt.
Es ist die Langmut Gottes, die Geduld Gottes mit den Sünden. Er gibt noch weitere Monate. Aber Monate gehen ins Land, ohne dass das Volk Buße tut. Deswegen sagt Gott dann: „Wenn das Obst reif ist, jetzt ist auch das Volk reif.“
Was lernen wir daraus für unser Leben?
Darum geht es mir auch immer wieder in diesen Vorträgen: Was nehmen wir für unser Christsein aus dem Propheten Amos mit?
Zum einen lernen wir aus diesen Texten, besonders aus den ersten beiden Visionen, dass Gebet Schicksale verändern kann. Gott handelt aufgrund des Gebets. Auch im Neuen Testament heißt es: „Ihr habt nicht, weil ihr nicht bittet.“ Die Kraft des Gebets wird von uns manchmal unterschätzt.
Gleichzeitig sehen wir aber auch gerade an den letzten beiden Visionen, dass wir Gott mit unserem Gebet nicht in der Hand haben. Wir dürfen nicht denken, dass wir mit unserem Gebet den allmächtigen Gott lenken können. Gott ist frei, Gott ist souverän, und Gott trifft die Entscheidungen. Wir bitten immer nur als seine Kinder, doch entscheiden wird er.
Gerade weil wir nicht wissen, wann Gottes Geduld mit einem Menschen zu Ende ist, ist es immer unser Auftrag, für gottlose Menschen, auf die das Gericht wartet, in die Bresche zu springen.
Und jetzt kommen wir zur Anwendung für unser Leben. Schaut mal, auch heute gibt es Menschen, die Gott richten muss, wenn sie so weiterleben wie bisher. In Offenbarung 20,15 steht: „Und wenn jemand nicht im Buch des Lebens eingetragen war, wurde er ebenfalls in den Feuersee geworfen.“
Meine Frage ist: Was macht so ein Vers mit uns? Nicken wir ihn nur ab? Ändert sich dadurch etwas in unserem Gebetsleben für Menschen, die noch nicht bekehrt sind?
Elli Wiesel hat einmal gesagt: „Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit.“ Ich glaube, da ist etwas Wahres dran, zumindest zum Teil. Und schau mal, wenn wir nicht für die Ungläubigen beten, dann offenbaren wir doch damit eigentlich unsere Gleichgültigkeit ihnen gegenüber, oder?
Ich möchte mich da als Negativbeispiel anführen. Bevor ich auf die Bibelschule gegangen bin, war ich im Vertrieb für eine Kranfirma tätig. Als ich kündigte, um auf die Bibelschule zu gehen, kam der Deutschlandgeschäftsführer extra aus Berlin für Schwerlastkrane – es war der Weltmarktführer, für den ich gearbeitet habe – nach Gummersbach, wo ich bei meinem Schwiegervater arbeitete. Er wollte mit mir unter anderem über die Kündigung sprechen.
Wir hatten ein gutes Verhältnis, und ich sagte ihm, ich wolle auf die Bibelschule gehen, einfach aus Überzeugung, weil das Gottes Weg für mich ist. Dieser Mann hatte nichts mit dem Glauben am Hut. Er sagte, es falle ihm schwer, aber er akzeptiere die Entscheidung. Seine letzten Worte werde ich nie vergessen: „Andre, bitte bete für mich.“
Was sagt der Deutschlandgeschäftsführer für Schwerlastkrane des Weltmarktführers? Er sagt zu mir: „Andre, bitte bete für mich.“
Zwei Jahre später etwa ruft mein Schwiegervater mich an, der diesen Mann ja auch kennt. Er sagt mir, dass er ganz plötzlich, vielleicht Ende 40, verstorben ist – Schlaganfall an Silvester. Wisst ihr, woran ich sofort denken musste, als ich diese Nachricht bekam? An seine letzten Worte: „Andre, bitte bete für mich.“
Und wisst ihr, was ich mir sofort eingestehen musste? Ich habe nicht für ihn gebetet. Ich habe nicht für ihn gebetet.
Natürlich kann ich jetzt nicht sagen, hätte ich für ihn gebetet, wäre er zum Glauben gekommen. Das kann man so nicht direkt sagen. Aber Fakt ist doch: Gebet kann Schicksale verändern, oder? Das haben wir gerade gelesen. Fakt ist auch, er hat mich gebeten, für ihn zu beten. Und leider ist auch Fakt, dass ich nicht für ihn gebetet habe.
Ich mache häufig die Erfahrung, dass Christen auf zwei Fragen immer in der gleichen Reihenfolge antworten: Auf die erste Frage mit Ja, auf die zweite mit Nein.
Die erste Frage lautet: Glaubst du an die Macht des Gebets? Die Antwort ist meist Ja.
Die zweite Frage lautet: Betest du regelmäßig für Ungläubige? Die Antwort darauf ist meistens Nein.
Findest du dich da auch wieder? Heute Abend: Glaubst du an die Macht des Gebets? Ja. Betest du regelmäßig für Ungläubige? Nein.
Kann es sein, dass wir damit, ihr Lieben, unsere Gleichgültigkeit offenbaren? Ja. In Offenbarung 20,15 heißt es: Sie werden in den feurigen Pfuhl geworfen.
Inwiefern beeinflusst das unser Gebetsleben? Das ist doch die Frage, die wir uns stellen müssen.
Und wenn wir beten, dann beten wir häufig für uns selbst: Herr, erhalte mir meine Gesundheit, bitte segne mich, hilf mir bei meiner Prüfung, schenke mir Erfolg bei meiner Arbeit. Das ist nicht falsch. Wir dürfen so beten. „Unser täglich Brot gib uns heute“, sagt Jesus auch.
Aber wie viel Platz hast du in deinem Gebet für Menschen, die den Herrn noch nicht kennen?
Als ich diese Predigt zum ersten Mal vorbereitet habe, habe ich mir meine Gebetsliste einmal angeschaut. Ich wünschte, ich könnte euch heute Abend sagen, dass ich sie bis heute regelmäßig weiterpflege. Ich halte diese Predigt auch mir selbst.
Ich hatte meine Gebetsliste nach Wochentagen aufgeteilt: Montag bete ich für diese Namen, Dienstag für jene. Insgesamt waren 58 Personen auf meiner Gebetsliste auf die Wochentage verteilt. Ich habe sie mir genau angeschaut. Wisst ihr, wie viele Nichtchristen auf meiner Liste standen? Nur einer. 57 Christen standen darauf, aber nur ein Nichtchrist.
Das Problem ist nicht, dass 57 Christen auf der Liste standen. Wir sollen auch für unsere Brüder und Schwestern beten. Aber nur ein Nichtchrist war darauf. Ich stellte fest: André, du musst deine Gebetsliste dringend überarbeiten.
Denn schaut mal: Zu beten, dass Menschen errettet werden, ist der primäre Auftrag der Gemeinde. Es heißt in 1. Timotheus 2,1: Paulus sagt dort, das Erste und Wichtigste, und das kann man nicht deutlicher sagen, ist das Gebet. Es ist unsere Aufgabe, mit Bitten, Flehen und Danken für alle Menschen einzutreten.
Und wenn das wahr ist, wenn das das Wichtigste ist, dann stellt sich die Frage: Wie viel beten wir für alle Menschen? Betest du für deine ungläubigen Eltern? Betest du regelmäßig für deine ungläubigen Kinder, wenn sie Jesus noch nicht angenommen haben?
Ihr Lieben, ich habe für meine Jungs zum Herrn gefleht. Ich wusste, dass gerade unser Zweiter so stolz ist, und es wurde mir immer mehr ein Anliegen: Ich muss als Vater für ihn beten, dass der Herr ihn rettet.
Wisst ihr, wir denken manchmal, das geht so automatisch: Wenn Kinder in einem gläubigen Elternhaus aufwachsen, dann werden sie sich schon noch bekehren. Ich bin dankbar, dass der Herr mir eine Last gegeben hat. André, bete für deinen zweiten Sohn, weil der erste ist schon bekehrt. Bete für ihn.
Und ich habe unter Tränen für seine Rettung gebetet. Jetzt, in der Corona-Zeit, fängt er an, selbst die Bibel zu lesen, die Psalmen, mit acht Jahren. Er erkennt, dass wir nicht dabei waren. Er macht selbst Unterstreichungen im Text und stellt fest, dass er ein Sünder ist und sich bekehrt.
Das war für mich eine große Freude, denn Gott antwortet auf das Gebet.
Ich möchte ermutigen, wenn du heute hier sitzt und deine Kinder noch nicht errettet sind. Vielleicht sind sie nicht mehr klein, vielleicht sind sie groß oder sogar erwachsen und leben zurzeit nicht mit dem Herrn. Steh für sie ein im Gebet. Gib nicht auf, regelmäßig zu beten.
Vor einiger Zeit habe ich eine sehr ermutigende Geschichte von einem Pastor in Amerika gehört. Er stammt ursprünglich aus der Ukraine und hat in Amerika eine Gemeinde aufgebaut. In einem Buch beschreibt er, was seine Familie erlebt hat.
Die sechzehnjährige Tochter hat plötzlich den Glauben an den Nagel gehängt. Sie war immer das Vorzeigekind, doch plötzlich, wie von jetzt auf gleich, will sie mit dem Glauben nichts mehr zu tun haben. Sie driftet ab, hat einen nichtchristlichen Freund und sagt sich ganz von den Eltern ab. Sie kommt nachts nicht mehr nach Hause und ist bei ihrem Freund.
Das ist für jeden Vater und jede Mutter, die den Herrn lieben, der schlimmste Fall, der eintreten kann. Einer der schlimmsten Fälle: die eigene Tochter ist weg. In seinem Buch beschreibt der Pastor, wie sehr ihn das mitgenommen hat.
Er muss in der Gemeinde dienen, predigen und die Gemeinde führen. Doch zu Hause geht es drunter und drüber. Die Tochter ist nicht mehr da und hat sich vom Herrn losgesagt.
Diese Gemeinde ist eine sehr betende Gemeinde. Die Hauptveranstaltung dort ist die Gebetsstunde, nicht der Sonntagsgottesdienst. Diese Gemeinde wurde nicht mit amerikanischen Managementmethoden aufgebaut, sondern durch Gebet.
Eines Tages, mitten am Dienstag, macht jemand aus der Gemeinde den Vorschlag, für die Tochter des Pastors zu beten. Der Pastor denkt zunächst, das sei egoistisch, die ganze Gemeinde dafür einzuladen. Doch er stimmt zu, und sie unterbrechen das normale Gebetsprogramm.
Manchmal ist es gut, auf die Stimme des Geistes zu hören, den regulären Plan über den Haufen zu werfen und sich einem besonderen Anliegen zu widmen. Die Gemeinde betet inbrünstig. Er beschreibt, wie sie flehten, als wollten sie sagen: „Satan, du wirst dieses Mädchen nicht bekommen!“
Das war am Dienstag. Am Dienstagabend kommt der Pastor nach Hause und sagt seiner Frau: „Sie wird zurückkommen. Wenn wir an einen lebendigen Gott glauben, hättest du heute in der Gebetsstunde sein müssen. Sie wird zurückkommen, ich glaube daran, weil wir an einen allmächtigen Gott glauben.“
Zwei Tage vergehen. Am Dienstagmorgen steht er auf, rasiert sich, als seine Frau ins Bad kommt und sagt: „Komm runter, unsere Tochter ist da.“ Er geht nach unten. Die Tochter weint, tut Buße und sagt: „Ich habe gegen Gott gesündigt, ich habe gegen euch gesündigt. Wie konnte ich nur?“ Beide weinen.
Dann stellt die Tochter eine Frage: „Papa, am Dienstagabend, wer hat für mich gebetet?“
Unterschätzt nie die Gebetsstunde. Unterschätzt nie das Gebet! Das Gebet hat Kraft.
Ich möchte euch ermutigen: Vielleicht leidet ihr darunter, dass eure Kinder nicht mit dem Herrn gehen. Vielleicht ist es ein Verwandter oder ein Arbeitskollege. Bete für ihn und hoffe, dass der Herr wirkt.
Amen.
Wir hören nun das nächste Lied.