Menschen, die Berge besteigen, sagen, dass der Aufstieg umso schwieriger wird, je höher man kommt. Und doch wird es immer aufregender und wunderbarer. Das Gleiche gilt für die Heilige Schrift. Hier sind wir ganz sicher auf dem Gipfel der christlichen Erfahrung.
Das hat der Prediger Martin Lloyd Jones über den Text gesagt, den wir uns heute anschauen: der Gipfel der christlichen Erfahrung. Es ist ein Gebet, das so groß ist, dass es kein leichter Text ist – überhaupt nicht. Vor allem deshalb nicht, weil wir alle noch so wenig von dem erfahren haben, was wir gleich hören werden. Ich schließe mich damit ein. Es ist eine so große Bitte, dass sie uns den Atem raubt.
Und auf der anderen Seite, um in diesem Bild vom Gipfel zu bleiben, zeigt sich ein atemberaubendes Panorama. Wunderschön beschreibt Paulus, was möglich ist und was Gott im Leben seiner Kinder tun kann – atemberaubend. Paulus hat das, worum er hier bittet, selbst erlebt. Vielleicht nicht in der Fülle, aber er hat einen großen Geschmack davon gehabt.
Vielleicht hast du dich schon einmal gefragt, wie Paulus eigentlich all das ertragen konnte, was er in seinem Leben durchgemacht hat. Er beschreibt es ja selbst: Er wurde ausgepeitscht, gesteinigt, verraten. Er hat Schiffbruch erlitten – wortwörtlich. Er hat gehungert und gedürstet, alles für das Evangelium, alles um Christi willen.
Und doch, wenn man seine Briefe liest, spürt man eine große Freude. Er ist Feuer und Flamme für seinen Herrn, nicht verzweifelt, sondern stark – ein starker Mann. Man sagt sich: So wünsche ich mir zu sein. Sein Geheimnis war, dass er Jesus Christus gut kannte. Dass Gottes Kraft in ihm stark war – nicht er selbst, sondern Gott in ihm.
Sein Gebet ist, dass die Christen in Ephesus und wir hier in München das auch mehr erfahren. Dass wir so von Gott erfüllt werden, dass wir in allen Umständen große Freude an ihm haben, erfüllt sind von seiner Liebe und gestärkt für alles, was kommt. Darum bittet er.
Ich möchte uns heute diese wunderbaren Verse vorlesen. Ausnahmsweise lese ich sie aus der Schlachter-Übersetzung. Wir führen hier keine neue Bibel ein, sondern bleiben vorerst bei der Luther-Bibel. Dennoch übersetzt die Schlachter-Bibel einige Verse meines Erachtens etwas besser als die Luther-Bibel. Deshalb möchte ich heute aus der Schlachter-Bibel lesen. In den Gottesdienstblättern findet ihr auch die Version aus der Schlachter 2000.
Paulus schreibt in Epheser 3,14-21:
„Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, unseres Herrn Jesus Christus, von dem jedes Geschlecht im Himmel und auf Erden den Namen erhält, dass er euch nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit gebe, durch seinen Geist mit Kraft gestärkt zu werden an dem inneren Menschen, dass der Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne, damit ihr in Liebe verwurzelt und gegründet seid, dazu fähig, mit allen Heiligen zu begreifen, was die Breite, die Länge, die Tiefe und die Höhe sei, und die Liebe des Christus zu erkennen, die doch alle Erkenntnis übersteigt, damit ihr erfüllt werdet bis zur ganzen Fülle Gottes.
Dem aber, der weit über das Maß mehr zu tun vermag, als wir bitten oder verstehen, gemäß der Kraft, die in uns wirkt, ihm sei die Ehre in der Gemeinde in Christus Jesus, auf alle Geschlechter der Ewigkeit der Ewigkeiten. Amen.“
Vater, das ist so ein großes Gebet, es raubt uns den Atem. Wir merken sofort, dass wir diese Tiefe deiner Liebe in unserem Herzen noch nicht erlebt haben. So erfüllt, wie Paulus hier bittet, dass wir sein sollen, sind wir noch nicht von dir.
Wir wollen beten, dass du uns durch diesen Text, durch dieses Gebet die Sehnsucht wachsen lässt, dass Jesus Christus wirklich unser ganzes Herz regiert, jeden Raum in uns ganz ausfüllt. Dass dein Geist groß wird, Kraft gewinnt in uns, Herr, und dass deine Liebe uns so erfüllt, wie Paulus es hier bittet.
Lass uns etwas davon erkennen durch dieses Gebet, dass die Sehnsucht wächst – und lass uns wachsen. Amen!
Das Gebet ist der großartige Abschluss des ersten Teils des Epheserbriefs. Paulus hat uns eindrücklich vor Augen geführt, wie reich wir durch Christus gesegnet sind. In den letzten Wochen haben wir darüber nachgedacht.
Am Anfang stand der Lobpreis in Epheser 1,3: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus.“ Paulus entfaltet dann, wie reich wir gesegnet sind. Er sagt: Schaut mal, ihr wart tot – geistlich tot –, aber in Christus hat euch Gott lebendig gemacht, er hat euch auferweckt. Ihr hattet nichts anderes verdient als Gottes Zorn. Ihr habt in euren Übertretungen gelebt und eine Strafe von Gott verdient. Das war alles, was Gott euch schuldig war.
Doch Christus hat bezahlt. Er hat die Strafe mit seinem Blut bezahlt, und ihr seid frei. Ihr seid jetzt Kinder Gottes, er hat euch in Christus adoptiert. Ihr wart nicht Teil von Gottes Volk, gehörtet nicht dazu, wart ohne Hoffnung und ohne Gott. Aber in Christus gehört ihr dazu. Ihr seid Teil dieser einen Familie Gottes. Ihr bekommt einen neuen Pass, ein Bürgerrecht im Himmel – der wichtigste Ausweis, den du brauchst.
Wir könnten noch viel mehr sagen, denn in diesem Segen steckt unglaublich viel, das Paulus beschreibt und uns vor Augen malt. Wenn du an Christus glaubst, bist auch du der reichste Mensch auf dieser Welt. Doch oft ist uns das gar nicht so bewusst, wie reich wir sind.
Es ist ein bisschen so, als würde dir jemand zehn Millionen auf dein Konto überweisen, und du lässt das Geld einfach liegen, ohne etwas damit zu machen. Du bist superreich – zehn Millionen –, aber du nutzt das Geld nicht. Wirklich wirksam wird dieser Reichtum erst, wenn du ihn in die Hand nimmst, vielleicht etwas spendest. Da denkt der Pastor als Erstes daran, dass du etwas spendest. Vielleicht machst du aber auch den Urlaub deines Lebens, packst die ganze Familie ein und reist um die Welt. Oder du kaufst ein schönes Haus, legst das Geld an, lässt es für dich arbeiten – aber du machst etwas mit diesem Reichtum.
Ein bisschen so ist es auch mit diesem Gebet. Paulus wünscht sich, dass wir das Wissen über unseren Reichtum in Christus nicht nur im Kopf haben, als stünde es irgendwo auf einem Blatt Papier. Dieses Wissen soll nicht wie ein Bankauszug irgendwo abgelegt werden, sondern wir sollen es erfahren. Es soll unsere Herzen erfüllen, wie reich wir beschenkt sind.
Und Paulus sagt, dass wir das gar nicht selbst bewirken können. Das muss Gott in uns tun. Deshalb betet er, dass wir diese Erfahrung machen – dass es nicht beim bloßen Kopfwissen bleibt, sondern unser ganzes Herz erfüllt. Das kann nur Gott bewirken. Er betet zum Vater, denn er weiß: Der Vater hat alle Macht. Er hat diese Welt geschaffen, alles liegt in seinen Händen, er hat uns erlöst. Der Vater kann auch das tun.
Vater ist ein guter Vater. Paulus kommt ganz vertrauensvoll zu diesem Vater, kniet vor ihm nieder, weil er weiß, dass der Vater gern gibt. Vielleicht denkt er dabei an die Worte Jesu, der die irdischen Väter mit dem himmlischen Vater verglichen hat. Jesus sagte: „Wenn nun ihr, die ihr doch böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel Gutes geben denen, die ihn bitten.“
So betet Paulus dieses atemberaubende Gebet – fast schon vor Ehrfurcht darüber, was er da bittet.
Was bittet er? Zuerst, dass die Christen in Ephesus durch Gottes Kraft stark werden. Das ist der erste Punkt: stark durch Gottes Kraft, wie in den Versen 16 bis 17a beschrieben. Er betet zum Vater, dass er euch nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit gebe, durch seinen Geist mit Kraft gestärkt zu werden an dem inneren Menschen, damit Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne. In diesen wenigen Worten steckt unglaublich viel. Man könnte wirklich lange darüber nachdenken.
Ich möchte mich auf zwei Beobachtungen beschränken. Erstens bittet Paulus hier um Kraft für den inneren Menschen. Er betet, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne. Sein Fokus liegt auf dem Inneren. Das, worum er bittet, ist radikal geistlich. Es ist nicht das, was wir oft vor Augen haben, sondern das Innere.
Es geht ihm nicht um die äußeren Umstände dieser Epheser. Er bittet zum Beispiel nicht darum, dass sie keine Verfolgung erleben müssen. Er bittet nicht darum, dass es ihnen körperlich immer gut geht oder dass sie immer gesund bleiben. Darum bittet er nicht. Er bittet auch nicht darum, dass sie nie in ihrem Leben durch eine Krise gehen – all das sind äußere Umstände.
Sein Wunsch ist, dass sie durch Gottes Geist innerlich stark werden. Paulus hat etwas verstanden, womit sich viele von uns schwer tun. Unser äußerer Mensch, der Körper, ist vergänglich. Den nehmen wir nicht mit in die Ewigkeit. Das macht ihn nicht unwichtig. Es ist trotzdem gut, auf den Körper Acht zu geben, Sport zu machen und auch mal etwas Gesundes zu essen – alles gut und schön.
Aber es gibt etwas viel, viel Wichtigeres und Wertvolleres: den inneren Menschen. Der ist bei Christen unvergänglich, wird nicht alt, wird nicht krank und stirbt nicht. Paulus sagt über den inneren Menschen in 2. Korinther 4,16: „Darum werden wir nicht müde. Sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.“
Das bringt uns zur spannenden Frage: Wie viel Aufmerksamkeit schenkst du dem inneren Menschen? Wie oft betest du dafür, dass du innerlich stark wirst? Wenn wir unsere Gebete mit denen von Paulus vergleichen – und nicht nur hier, auch an anderen Stellen – merken viele von uns einen großen Unterschied. Wir beten oft für die äußeren Umstände, dass es uns äußerlich gut geht. Für den inneren Menschen beten wir dagegen oft wenig.
Bei Paulus ist es umgekehrt. Er betet so gut wie nie für die äußeren Umstände. Er betet für den inneren Menschen. Er bittet darum, dass die Christen stark werden in Christus, dass Gott sie innerlich stark macht für alle Umstände.
Weil wir oft so wenig dafür beten, haben wir manchmal fast ein schlechtes Gewissen. Vielleicht kennst du das: Wenn jemand krank ist, hast du fast ein schlechtes Gewissen, für die Person zu beten. Es könnte ja sein, dass Gott die Person nicht gesund macht. Stattdessen betest du für die Person, dass Gott sie innerlich stark macht, dass er diese Krise gebraucht, damit sie Gott mehr erkennt und ihm näherkommt.
Wir wissen doch, dass Gott nicht immer gesund machen will und nicht immer gesund macht. Manche Menschen sterben an einer Krankheit und gehen zum Vater. Manchmal hat man ein schlechtes Gewissen, wenn jemand arbeitslos ist, weil man nicht nur um einen neuen Job bittet. Man sollte auch beten, dass Gott diese Umstände gebraucht, um den inneren Menschen zu stärken und ihn wachsen zu lassen.
Wir haben vorhin für die Christen in Katar gebetet. Manche haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie für etwas anderes beten als dafür, dass die Verfolgung aufhört. Aber das Spannende ist: Viele Christen in Ländern, in denen die Kirche verfolgt wird und hart bedroht ist, sagen uns oft, dass wir gar nicht darum beten müssen, dass die Verfolgung aufhört. Natürlich können wir auch dafür beten, aber sie erleben, dass geistlich „hier die Post abgeht“. Viele Menschen kommen in dieser Verfolgung und Bedrohung zum Glauben. Es ist erstaunlich.
Deshalb sagen manche Christen – und wenn sie das nicht sagen würden, würde ich es mir nicht trauen –, dass wir nicht dafür beten sollen, dass die Verfolgung aufhört, sondern dafür, dass sie stark sind, innerlich stark und fest bei Jesus bleiben. Und dass Gott noch mehr Wunder tut in diesem Land.
Ihr Lieben, ich predige das nicht als jemand, dem das leichtfällt. Wenn ich Schwierigkeiten erlebe, ist oft mein erster Gedanke: Herr, mach, dass die Umstände anders werden. Ich gebe es zu. Aber Jesus hat uns keine leichten Umstände versprochen. Er hat einiges über die Schwierigkeiten gesagt, die seine Jünger erleben.
In Johannes 16,33 heißt es: „In der Welt habt ihr Angst.“ Die Angst ist nicht einfach weg, wenn du zu Jesus gehörst. In der Welt habt ihr Angst. Es gibt Dinge, die bedrohlich sind: Krieg, Krisen, Krankheit und vieles mehr. Aber dann sagt Jesus: „Seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Das ist ein Zuspruch für den inneren Menschen, eine Ermutigung. Jesus Christus hat die Welt schon überwunden.
Noch deutlicher wird das vielleicht in der Apostelgeschichte. Dort lesen wir, wie Paulus und seine Mitarbeiter durch die Städte gingen und Gemeinden ermutigten. Was haben sie mit den Christen gemacht? In Apostelgeschichte 14,22 heißt es: „Sie stärkten die Seelen der Jünger, den inneren Menschen. Sie stärkten die Seelen der Jünger und ermahnten sie, im Glauben zu bleiben, und sagten: ‚Wir müssen durch viele Bedrängnisse in das Reich Gottes eingehen.‘“
Es ist kein Versprechen, dass wir keine Bedrängnisse erleben. Was hilft, wenn diese Bedrängnisse kommen? Ein starker innerer Mensch.
Das bringt uns zur zweiten Beobachtung: Wie werden wir innerlich stark? Durch Gottes Heiligen Geist, der in uns wirkt, und dadurch, dass Jesus Christus in unseren Herzen wohnt. Ich glaube, beides gehört wirklich zusammen.
Wie wohnt Christus in uns durch seinen Geist? Man kann sich fragen: Ist das nicht ohnehin bei jedem Christen der Fall, dass er Gottes Geist hat und Jesus Christus in ihm wohnt? Paulus sagt im Römerbrief, dass das Erkennungszeichen eines Kindes Gottes ist, dass der Geist Gottes uns treibt. Wer vom Geist Gottes getrieben wird, der ist ein Kind Gottes.
Jesus sagt im Johannes-Evangelium: „Wer mich liebt“ (Johannes 14,23), „der wird mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ Wenn du Christ bist, dann hast du Gottes Geist, und Jesus wohnt schon in dir. Das stellt Paulus hier überhaupt nicht in Frage. Ihm geht es vielmehr darum, dass der Heilige Geist mehr Raum in uns gewinnt. Dass Jesus Christus wirklich in uns, bei uns zu Hause ist.
Wenn du irgendwo zu Gast bist, bekommst du in der Regel ein Gästezimmer. Dort wirst du nicht viel verändern. Du wirst wahrscheinlich nicht die Möbel umräumen, ganz sicher nicht tapezieren oder eine Wand einreißen, um alles neu zu machen, sodass es dir passt und gefällt.
Anders ist es, und das wissen die Häuslebauer unter uns: Wenn das Haus dir selbst gehört oder wenn du eines kaufst – vielleicht ein altes, heruntergekommenes Haus –, und du es von Grund auf erneuerst, renovierst und ganz neu gestaltest, dann ist das ein Lebensprojekt. Jeder Raum wird so gestaltet, dass er dir gefällt. Jeder, der ein Haus hat, weiß, dass man damit sein Leben lang nicht fertig wird. Man kann immer noch etwas optimieren und schöner machen.
Wenn Paulus hier von „wohnen“ spricht, meint er genau das: Jesus zieht ein – nicht als Gast im Gästezimmer, nicht als Untermieter, dem du einen gewissen Bereich überlässt, sondern als der neue Besitzer, der das Haus so gestaltet, wie es ihm gefällt.
Wir alle stehen in der Gefahr, ihn anders zu behandeln. Wir halten ihn aus manchen Zimmern schön raus. Wir sagen zu Jesus: „Du kannst hier gerne wohnen, aber über meine Finanzen bestimme ich immer noch selbst.“ Oder: „Du kannst hier gerne wohnen, aber du sagst mir nicht, wie das mit der Sexualität in meinem Leben läuft, das regle ich selbst, das kriegst du nicht.“ Auch bei unseren Hobbys erlauben wir ihm nicht mitzureden. Es gibt viele Dinge, die wir ihm vorenthalten und nicht geben.
Paulus muss um diese Gefahr gewusst haben. Er betet, dass wir durch den Glauben mehr und mehr erkennen, wer Jesus Christus ist: der Herr im Haus, der überall sagt, wie es gut wird, wie es gut aussieht und wie es schön wird. Er darf das gestalten und Raum einnehmen – in unserem Haus, in unserem ganzen Herzen.
Ich kann das gar nicht oft genug sagen, denn in unserer Zeit denken wir beim Wort „Herz“ meist zuerst an die Gefühle. Aber das Herz in der Bibel meint unseren ganzen inneren Menschen. Dazu gehören die Gefühle auf jeden Fall. Es wäre schlimm, wenn wir keine Gefühle für Gott hätten und alles nur eine Kopfsache bliebe. Wenn dich nie bewegt, wer Gott ist und was er für dich getan hat, ist das ein Alarmsignal – wirklich.
Das Herz umfasst mehr: Es umfasst auch unser Denken, unseren Verstand. Es umfasst unseren Willen, das, was wir tun wollen. All das ist gemeint, und Jesus will das regieren. Er soll das regieren.
Manche von uns leiden darunter, dass sie Gott so wenig spüren und so wenig erleben. So viele Wahrheiten haben wir im Kopf, aber es verändert so wenig in unserem Herzen. Das Gebet hier kann Leben revolutionieren: „Herr, ich möchte dich so kennen, wie Paulus dich gekannt hat. Ich möchte erleben, dass du wirklich regierst.“
Man kann viel darüber sagen, was es heißt, dass Jesus wirklich alles regiert. Man kann viel darüber nachdenken. Aber es fängt damit an, dieses Gebet mitzubeten – vielleicht in deinen eigenen Worten: „Wirk du mit deiner Kraft in meinem Herzen, Jesus. Wohn du wirklich in meinem ganzen Herzen. Sei nicht nur ein Gast, nicht nur ein Untermieter. Sei du der Herr!“
Das hat Hudson Taylor, der Chinamissionar, ähnlich jeden Tag gebetet. In seinem Dienst hat er jeden Tag neu gesagt: „Jesus, ich will, dass du regierst, dass du mir das Schönste und Wertvollste bist.“ Er hatte wahrlich ein schwieriges Leben – privat und im Dienst. Aber das hat den ganzen Unterschied gemacht, dass er die Kraft hatte durchzuhalten.
Vielleicht hast du gar keine eigenen Worte. Es gibt so viele Lieder, die dir helfen können. Denk zum Beispiel an das Lied „Steh mir vor Augen“. Dort heißt es: „Präge mein Denken, mein Fühlen, mein Sein.“ Der innere Mensch, das Herz – präge mein Denken, mein Fühlen, mein Sein. Ruf mich in deine Gemeinschaft hinein. Du bist mir Vater, ich bleibe dein Kind. Wohne in mir.
Es ist klar, dass so ein Gebet auch ein totes Ritual werden kann, das man jeden Tag einfach so vor sich hin betet. Aber die meisten von uns fallen auf der anderen Seite vom Pferd: Wir beten viel zu wenig für den inneren Menschen – für unseren inneren Menschen und auch für andere. Wir beten viel zu viel für Umstände und viel zu wenig für das Herz.
Dadurch entgeht uns ein unschätzbarer Reichtum. Es kann kein Zweifel bestehen, dass Gott so ein Gebet gerne erhört. Er will das gerne in uns tun und Raum einnehmen. Ja, das ist sein großes Ziel mit uns. Das möchte er.
Er will uns verändern, formen und prägen, sodass wir in allen Umständen eng mit ihm verbunden sind.
Und das sehen wir jetzt in den Versen 17b bis 19, was diese Kraft genau in unseren Herzen bewirken soll. Gott hat nämlich ein besonderes Ziel: Er möchte etwas in uns verändern und tun. Er möchte uns festmachen in seiner Liebe. Er will uns festmachen in seiner Liebe.
Der zweite Punkt zeigt sich in Vers 17. Dort sagt Paulus zuerst, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne. Dann fügt er hinzu: damit ihr in Liebe gewurzelt und gegründet seid. Das ist das Ziel: Ihr sollt in Liebe verwurzelt und gegründet sein.
Paulus verwendet zwei Bilder: verwurzelt wie eine Pflanze. Die Pflanze zieht aus der Erde die Nährstoffe und das Wasser, die sie zum Leben braucht. So sollen wir unsere Kraft, unsere Freude, unseren Mut, unsere Zuversicht und unsere Identität aus Gottes Liebe ziehen.
Das zweite Bild ist das Haus, das ein Fundament hat – ein festes Fundament. So soll die Liebe Gottes für uns sein: solide, sie macht uns stark und sturmfest.
Noch einmal: Paulus geht es hier nicht um theoretisches Wissen über Gottes Liebe. Es geht darum, dass die Liebe praktisch wird – so praktisch wie der Boden für die Pflanze, überlebenswichtig. Wie das Fundament, auf dem das Haus steht. Ohne Fundament geht das nicht, ein Haus ohne Fundament funktioniert nicht.
Paulus betet für die Christen, dass sie mit allen Heiligen begreifen, dass sie nicht nur wissen, sondern wirklich verstehen, was die Breite, die Länge, die Tiefe und die Höhe der Liebe Gottes sind. Eine Liebe, die alle Dimensionen sprengt und alles übersteigt, was wir uns vorstellen können.
Eine Liebe, über die wir in den letzten Wochen viel nachgedacht haben. Eine Liebe, die Menschen aus allen Ländern erreicht – Juden und Heiden. Sie geht bis ans Ende der Welt und der Weltzeit. Wenn man es geografisch betrachtet, will sie jede Nation erreichen.
Diese Liebe gilt Menschen, die ganz brav und anständig nach gutbürgerlichem Verständnis gelebt haben – aber auch dem größten Kriminellen. Eine Liebe, die uns überwältigt, besonders dann, wenn wir vor Gott stehen und begreifen, wer wir sind, wenn wir unsere Schuld sehen.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie das in meinem Leben war, als ich anfing, tiefer zu verstehen, wer Gott ist. Als er mir meine Schuld zeigte, was für ein Sünder ich bin. Als ich das an konkreten Punkten in meinem Leben sah und dachte: Ich kann ja gar nicht zu Gott kommen. Ich bin viel zu schlecht, viel zu schäbig. Ich habe Gott verachtet, ihm ins Gesicht gespuckt mit meinem Leben. Der kann mich doch gar nicht liebhaben.
Und dann geschieht das Wunder: Er legt durch seinen Geist in deinem Herzen den Schalter um. Oder er schenkt dir ein neues Herz – das ist das bessere Bild. Du begreifst: Obwohl ich so bin, wie ich bin, obwohl ich ihn verachtet habe, obwohl ich ihn links liegen ließ, obwohl ich sein Feind war, hat dieser Gott mich lieb und nimmt mich als sein Kind an.
Wie gewaltig groß ist Gottes Liebe! Wenn du Christ bist, dann hat er dich auserwählt. Paulus sagt: Vor Grundlegung der Welt hat er für dich sein Blut vergossen und dir das neue Leben teuer erkauft.
Er lässt dich nicht fallen, wenn du scheiterst. Manche von uns haben erlebt, dass wir von Menschen fallen gelassen wurden. Da dachten wir, sie hätten uns wirklich lieb. Vielleicht hast du das in einer Partnerschaft erlebt: Ein Mann oder eine Frau hat dich fallen lassen, weil du nicht so warst, wie sie es sich vorgestellt hatten.
Du dachtest: Der hat mich lieb. Doch dann sieht er einen Makel, ärgert sich über etwas, und irgendwann lässt er dich links liegen. So ist Gott nicht.
Wenn wir scheitern, ist er immer noch da mit seiner Liebe. Und das ist noch viel überwältigender: Er wendet sich nicht ab, sondern hält treu zu uns, obwohl wir so oft untreu sind.
Vielleicht hast du das in deinem Elternhaus erlebt: Dass deine Eltern Liebe davon abhängig machten, wie du geleistet hast, wie du performt hast, ob du gut in der Schule warst, ob man dich vorzeigen konnte. Und wenn das nicht so war, wollten sie dich gar nicht haben.
Bei Gott ist das ganz anders. Es ist wahre Liebe, die nicht davon abhängig ist, wie du bist oder was du leistest. Sie zielt auf dein Herz ab. Gott sagt einfach: Ich habe dich auserwählt, weil ich das will, weil ich mich dazu entschieden habe. Ich habe dich lieb.
Ich glaube, keiner von uns hat in der Tiefe verstanden, wie sehr Gott uns liebt. Keiner hat wirklich begriffen, was es bedeutet, dass Jesus am Kreuz hängt und nicht nur körperliche Schmerzen erleidet – was schon schlimm genug und unvorstellbar ist. Wer kann sich vorstellen, wie es ist, gekreuzigt zu werden?
Aber Jesus erträgt an diesem Kreuz auch den Zorn Gottes. Er ist ganz komplett getrennt von der Liebe Gottes und erträgt das für uns. Damit wir verbunden werden können mit dieser Liebe Gottes.
Wenn wir auf ihn vertrauen und an ihn glauben, erleben wir diese Liebe. Sie wird in unsere Herzen ausgegossen.
Vielleicht hast du diese Liebe noch nie erkennen dürfen. Es gibt keine größere Liebe. Und es gibt keine Liebe, die du brauchst, außer dieser Liebe Gottes.
Ich möchte dich ermutigen: Lerne Jesus kennen, wenn du ihn noch nicht kennst. Lerne seine Liebe kennen – an seinem Beispiel zuerst, wenn du die Evangelien liest. Erkenne, dass er sein Leben auch für dich gegeben hat. Glaub an ihn.
Und wenn du das tust, bete darum, dass du seine Liebe mehr erkennst und besser verstehst.
Lasst uns auch füreinander beten, dass wir begreifen, wie tief uns der Vater liebt.
Es ist geradezu paradox, was Paulus hier sagt. Er betet für die Christen, dass sie die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übersteigt. Sagen wir, sie erkennen, was alle Erkenntnis übersteigt – das ist paradox. Man wird damit nie fertig.
Er betet, dass sie erfüllt werden bis zur ganzen Fülle Gottes – unvorstellbar.
Paulus könnte sagen, dass er das schon erfahren hat. Aber wir brauchen es so dringend, dass wir es besser verstehen. Je mehr du die Breite, die Länge, die Tiefe und die Höhe der Liebe Gottes verstehst, desto größer und kostbarer wird Gott für dich. Und desto kleiner und unbedeutender wird alles andere.
Das Lied „Turn your eyes upon Jesus“ drückt es so gut aus. Ich zitiere aus einer Übersetzung: „Richte den Blick nur auf Jesus, schau auf sein Antlitz, so schön. Und die Dinge der Welt werden blass und klein in dem Licht seiner Gnade.“
Oft sind die Dinge der Welt nicht blass und klein für uns, weil die Liebe Gottes so blass und klein für uns ist.
Auf der anderen Seite kannst du die schwierigsten Umstände gut ertragen und durchstehen, wenn du diese Liebe im Herzen hast und wenn sie groß wird in deinem Herzen.
Wenn du wirklich weißt, wie sehr Gott, der Vater, dich liebt, dann werden die schwere Krankheit, der fehlende Partner oder die fehlende Partnerin, Mobbing wegen deines Glaubens oder aus anderen Gründen, keine Arbeitsstelle – all das wird blasser und kleiner.
Denn du weißt: Mein Herr liebt mich so sehr.
Vielleicht kämpfst du schon lange mit einem Mangel in deinem Leben. Ich möchte dich ermutigen: Bete weiter. Du kannst auch für eine Veränderung der Umstände beten. Aber bete noch mehr, dass du Gottes Liebe besser verstehst.
Bitte ihn, dass seine Liebe dich mehr erfüllt, damit du Freude, Frieden, Sicherheit und Geborgenheit nicht in den Umständen findest, sondern bei ihm.
Ich habe das in den letzten Wochen bei zwei Menschen miterleben dürfen. Das hat mich sehr beeindruckt.
Es beeindruckt mich immer wieder, was Gottes Liebe in Situationen vermag, in denen die Umstände richtig schlimm sind.
Zwei Menschen wurden sehr krank, ziemlich plötzlich. Nach menschlichem Ermessen müsste man sagen: Sie liegen wahrscheinlich im Krankenbett, blasen Trübsal, sind verzweifelt und depressiv.
Aber bei beiden durfte ich etwas ganz anderes sehen. Beide konnten bezeugen: „Ich spüre gerade Gottes Liebe, so nah, sie ist so real, Gott ist da.“
Ein Freund sagte sogar: „Glaubt mir oder glaubt es nicht, ich spüre Gottes Hand, die mich berührt, mich stärkt, mich aufrichtet und mir Kraft schenkt.“
Ja, das ist eine Liebe, die nicht nur in diesen Ausnahmesituationen real ist.
Leider brauchen wir es oft, dass Gott uns wirklich in solche Umstände wirft, damit wir begreifen, wie sehr er uns liebt.
Aber diese Liebe ist immer da. Und das muss uns ins Gebet treiben.
Da können wir nur anbeten, wie gut unser Gott ist.
Das bringt uns zum letzten Punkt, weil Paulus genau das macht. Die Fürbitte geht fließend über in die Anbetung. Er ist von Gott überwältigt und hin und weg.
Er schließt mit den Worten: „Dem aber, der über die Maßen mehr zu tun vermag, als wir bitten oder verstehen, gemäß der Kraft, die in uns wirkt, ihm sei Ehre in der Gemeinde, in Christus Jesus, auf alle Geschlechter der Ewigkeit der Ewigkeit. Amen.“
Es könnte die Frage aufkommen, ob Paulus den Mund vielleicht ein bisschen vollgenommen hat, ob sein Gebet nicht doch ein bisschen zu groß ist. Es klingt vollmächtig, aber ist das nicht eigentlich eine Erfahrung, die kein Mensch machen kann? Paulus ist vielleicht in der Gefängniszelle so ein bisschen abgedreht. Ist diese Bitte nicht doch ein paar Nummern zu groß?
Es scheint fast so, als würde Paulus diesen Einwand, diese Kritik schon voraussehen. Denn in diesem Lobreis packt er noch einmal wirklich das hinein, was Gott alles kann. Er sagt: Gott kann. Und nicht nur das, Gott kann mehr. Und nicht nur das, Gott kann über die Maßen mehr. Und nicht nur das, Gott kann weit über die Maßen mehr, sagt er. Er kann mehr, als wir bitten oder verstehen. Er wirkt mit seiner Kraft in allen seinen Kindern.
Wir haben vor ein paar Wochen darüber nachgedacht, was das für eine Kraft Gottes ist, die in uns wirkt. Es ist dieselbe Kraft, sagt Paulus ein bisschen weiter vorne, mit der Jesus Christus von den Toten auferweckt und wieder lebendig gemacht wurde. Es ist dieselbe Kraft, mit der Jesus Christus im Himmel regiert, über alles, und alles ist ihm untertan. Es ist dieselbe Kraft, die Jesus zum Wohl seiner Gemeinde einsetzt. Er ist das Haupt und kümmert sich um seine Gemeinde und um jeden Einzelnen, der dazugehört.
Gott kann mehr, als wir bitten oder verstehen. Das sprengt unseren Verstand, aber es ist wahr. Gottes Mittel und seine Möglichkeiten übersteigen unsere Vorstellungskraft bei weitem.
Paulus ist hin und weg, und jetzt nimmt er sich selbst mit hinein in diesen Lobkreis. Vorher hat er für andere gebetet, für die Epheser. Jetzt nimmt er sich selbst mit hinein. Er sagt: Gott vermag mehr zu tun, als wir bitten oder verstehen. Paulus bittet dabei auch mehr, als ein Paulus bitten und verstehen kann.
Gemäß der Kraft, die in uns wirkt – Paulus sagt, das ist die Kraft, die ihn stark macht. Paulus hat schon so viel mit Gott erlebt, aber das hat nicht dazu geführt, dass er ganz abgeklärt wurde und nüchtern über Gott redete, als hätte er alles schon tausendmal gehört. Nein, dann lebt man so ein ganz normales Christenleben. Paulus war nur noch mehr begeistert. Er war überwältigt, was für ein Gott das ist, den wir da haben.
Wenn ich das Gebet von Paulus lese, bekomme ich das Gefühl, dass ich erst am Anfang stehe. Vielleicht habe ich noch nicht einmal richtig angefangen. Den Gipfel, den habe ich doch noch lange nicht erreicht.
Aber ich spüre die Sehnsucht, Gott besser kennenzulernen. Ich wünsche mir, dass sein Geist mich innerlich stark macht und dass Christus in meinem Herzen wohnt. Seine Liebe soll mich so erfüllen, dass ich zur ganzen Gottesfülle komme. So, dass alles andere im Vergleich dazu blass und klein wird.
Sehnst du dich auch danach? Vielleicht ein bisschen, vielleicht sogar sehr. Das kannst du dir nicht nehmen, und du kannst es nicht erzwingen. Du kannst Dinge tun, die das in deinem Leben fördern, aber tatsächlich kann nur einer dir das schenken.
Deshalb betet Paulus, dass du es dir von deinem Vater im Himmel schenken lassen kannst. Ihm sei die Ehre in der Gemeinde, in Christus Jesus, zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Vater im Himmel, es ist wirklich so: Wir sehen dieses Gebet, wir hören diese Worte von Paulus, und es ist so groß. Es ist wirklich der Gipfel der christlichen Erfahrung, von deiner Liebe so erfüllt zu sein, dass wir nichts anderes mehr brauchen.
Du weißt, wie es um unsere Herzen bestellt ist und wie oft wir noch meinen, wir brauchen andere Dinge. Wie oft wir sogar meinen, wir brauchen sie dringender als dich. Wir bekennen dir das und beten, dass dein Geist mehr Raum in uns gewinnt, Jesus.
Dass du regierst über jeden Winkel in unserem Herzen, dass du uns vor Augen stehst. Dass deine Liebe uns kostbarer wird als alles andere und dass im Licht deiner Liebe alles andere nichtig und klein wird.
Wir geben dir die Ehre und sind so dankbar, dass du dir Zeit lässt mit uns. Dass wir das Stück für Stück lernen dürfen. Aber wir beten darum, dass wir wachsen und mehr von dem erfahren, was Paulus hier betet. Amen.