Der heutige Gute Rat trägt den Titel „Überfehler“.
Was verfault ist, das zerreißt. Wer sich rühmt, vollkommen zu sein, ist ein vollkommener Narr.
Ich habe mich schon ein gutes Stück in der Welt umgesehen, aber ich habe noch nie ein vollkommenes Pferd oder einen vollkommenen Menschen gesehen. Und ich werde es auch nie sehen, solange nicht zwei Sonntage auf einen Tag fallen.
Aus einem Kohlensack kann kein weißes Mehl kommen, und aus der menschlichen Natur keine Vollkommenheit. Wer diese sucht, könnte ebenso gut Zucker im Meer suchen. Ein altes Sprichwort sagt: „Leblos, fehlerlos.“
Von den Toten sollen wir nur Gutes reden, aber was die Lebenden betrifft, so sind sie alle mehr oder weniger mit dem schwarzen Pinsel angestrichen. Das kann man schon mit dem halben Auge sehen.
Jeder Kopf hat eine weiche Stelle, jedes Herz seinen schwarzen Tropfen, jede Rose ihre Dornen und jeder Tag seine Nacht. Selbst die Sonne hat ihre Flecken, und der Himmel wird von Wolken verdunkelt.
Niemand ist so weise, dass er nicht töricht genug wäre, sich auch eine Bude auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten zu errichten. Wo ich die Narrenkappe nicht sehen konnte, habe ich doch wenigstens die Schellen daran klingeln gehört.
Wie es keinen Sonnenschein ohne Schatten gibt, so ist alles menschliche Gute mit mehr oder weniger Übel vermischt.
Selbst die Armenkommission macht hier und da einen Fehler, und der Dorfküster ist nicht ganz aus himmlischem Stoff. Der beste Wein hat seinen Bodensatz. Die Fehler stehen den Menschen nicht immer an der Stirn geschrieben, und das ist auch ganz gut so. Denn sonst würden die Hüte sehr breite Krempen haben.
So gewiss ein Ei dem anderen ähnlich ist, so stecken Fehler irgendwelcher Art in jedem Menschenherzen. Niemand kann sagen, wann die Sünden eines Menschen heraustreten werden. Gerade wenn man sie nicht erwartet, springen die Hasen aus dem Graben hervor.
Ein Pferd, das schwach in den Beinen ist, kann vielleicht einen halben Kilometer lang nicht straucheln. Aber das Fehltreten sitzt doch in ihm drin, und der Reiter tut gut daran, es sorgsam zu lenken. Die alte Katze leckt vielleicht jetzt keine Milch, lasse aber einmal die Tür zur Milchkammer offen. Dann werden wir sehen, ob sie nicht eine ebenso große Diebin ist wie das kleine Kätzchen.
Im Stein ist Feuer, so kalt er sich auch anfühlt. Warte, bis er einen Schlag vom Stahl erhält, und du wirst es sehen. Das wissen im Grunde alle. Dennoch denkt nicht jeder daran, sein Pulver sorgfältig davor zu hüten, dass es nicht mit dem Feuer in Berührung kommt.
Wenn wir immer daran denken würden, dass wir uns unter unvollkommenen Menschen in der Welt bewegen, so würden wir nicht in solche Aufregung geraten, wenn wir die Fehler unserer Freunde bemerken.
Was verfault ist, das zerreißt. Töpfe, die einen Sprung haben, lassen das Wasser durch. Die besten Menschen sind im besten Falle immer nur Menschen, und auch das beste Wachs schmilzt.
In dieser gefallenen Welt hat das reinste Weizenfeld seine Portion Unkraut, und das geradeste Stück Bauholz seine Knoten. Auch der vorsichtigste Fuhrmann wirft einmal die Karre um. Die geschickteste Köchin vergisst ein wenig Brühe, und auch ein ganz tüchtiger Pflüger – das weiß ich aus Erfahrung – bricht hin und wieder den Pflug entzwei oder zieht die Furchen schief.
Es ist töricht, sich von einem bewährten Freund wegen einiger Fehler zu trennen. Man mag einen einäugigen Gaul loswerden und dafür einen blinden kaufen. Da wir alle voller Fehler sind, sollten wir lernen, uns gegenseitig zu ertragen.
Wer selbst im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Jeder lacht, wenn der Topf zum Kessel sagt: „Wie schwarz bist du!“
Die Unvollkommenheiten anderer Menschen zeigen uns unsere eigenen Unvollkommenheiten, denn ein Schaf ist so ziemlich wie das andere. Wir sollten unsere Mitmenschen wie Spiegel gebrauchen, in denen wir unsere eigenen Fehler erkennen. So können wir das in uns selbst bessern, was wir an ihnen wahrnehmen.
Ich habe keine Geduld mit denen, die ihre Nasen in jedermanns Haus stecken, um seine Fehler zu erschnüffeln, und die Vergrößerungsgläser benutzen, um die Fehler ihrer Nachbarn herauszufinden. Solche Leute sollten lieber zu Hause herumsuchen. Dort könnten sie den Teufel finden, wo sie ihn am wenigsten erwartet haben.
Was wir sehen wollen, das werden wir auch sehen oder meinen, dass wir es sehen. Fehler sind immer deutlich sichtbar dort, wo die Liebe dünn ist. Eine weiße Kuh erscheint völlig schwarz, wenn es deinem Auge gefällt, sie so anzusehen.
Wenn wir lange genug an Rosenwasser schnuppern, werden wir herausfinden, dass es einen schlechten Geruch hat. Es wäre weitaus angenehmer – wenigstens für die anderen –, wenn die Fehlerjäger ihre Hunde dazu abrichten würden, die guten Seiten anderer Leute aufzuspüren.
Was unsere eigenen Fehler betrifft, so bräuchten wir eine ziemlich große Schiefertafel, um sie alle darauf verzeichnen zu können. Doch wir wissen ja, Gott sei Dank, wohin wir sie bringen können und wie wir mit ihnen fertig werden.
Bei all unseren Fehlern liebt uns Gott immer noch, wenn wir gläubig auf seinen Sohn vertrauen. Deshalb sollten wir nicht verzagt durchs Leben gehen, sondern hoffen, dass wir leben, lernen und noch vor unserem Tod einiges Gute tun können.
Auch wenn die Karre manchmal knarrt, wird sie doch mit ihrer Last nach Hause kommen. Und das alte Pferd, obwohl es die Knie gebrochen hat, wird dennoch ein wahres Wunderwerk vollbringen.
Es nützt nichts, sich hinzulegen und nichts zu tun, nur weil wir nicht alles so machen können, wie wir es möchten. Fehlerhaft oder nicht fehlerhaft – das Pflügen muss nun einmal geschehen. Und es muss von unvollkommenen Menschen getan werden, sonst gibt es im nächsten Jahr keine Ernte.
Mag der Pflüger Hans auch noch so unvollkommen im Ackern sein, die Engel übernehmen die Arbeit nicht für ihn. So macht er sich selbst daran.
Zieh, Schimmel, höher! Brauner!
Gelesen von Glaubensgerechtigkeit. Dieses Buch sowie viele weitere Hörbücher, Andachten und Predigten gibt es auf dem Youtube-Kanal von Glaubensgerechtigkeit