Einführung und Lesung des Bibeltextes
Ich möchte alle ganz herzlich zu dieser Bibelklasse begrüßen. Heute beschäftigen wir uns mit dem Matthäusevangelium aus messianisch-jüdischer Sicht, und zwar mit Kapitel 18. Ich lese gleich die Verse 1 bis 14 vor:
In jener Stunde traten die Jünger zu Jesus und fragten: Wer ist denn der Größte im Reich der Himmel?
Jesus rief ein Kind zu sich, stellte es in ihre Mitte und sagte: Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Reich der Himmel eingehen. Darum, wer sich selbst erniedrigt wie dieses Kind, der ist der Größte im Reich der Himmel.
Wer aber ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, nimmt mich auf. Wer aber einem dieser Kleinen, die an mich glauben, Anstoß gibt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein um seinen Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde.
Wehe der Welt wegen der Ärgernisse! Denn es ist notwendig, dass Ärgernisse kommen. Doch wehe dem Menschen, durch den das Ärgernis kommt!
Wenn aber deine Hand oder dein Fuß dir Anstoß gibt, so hau sie ab und wirf sie von dir. Es ist besser für dich, verkrüppelt oder lahm in das Leben einzugehen, als mit zwei Händen oder zwei Füßen in das ewige Feuer geworfen zu werden.
Und wenn dein Auge dir Anstoß gibt, so reiß es aus und wirf es von dir. Es ist besser für dich, einäugig in das Leben einzugehen, als mit zwei Augen in die Hölle des Feuers geworfen zu werden.
Gebt acht, dass ihr nicht eines dieser Kleinen verachtet! Denn ich sage euch: Ihre Engel schauen allezeit das Angesicht des Vaters, der in den Himmeln ist.
Denn der Sohn des Menschen ist gekommen, das Verlorene zu erretten.
Was meint ihr? Wenn ein Mensch hundert Schafe hätte und eines von ihnen sich verirrt, lässt er nicht die neunundneunzig auf den Bergen zurück und geht hin, um das Verirrte zu suchen?
Und wenn es geschieht, dass er es findet, wahrlich, ich sage euch, er freut sich mehr über dieses eine als über die neunundneunzig, die nicht verirrt sind.
Ebenso ist es nicht der Wille eures Vaters, der in den Himmeln ist, dass eines dieser Kleinen verloren gehe.
Rückblick und Kontextualisierung des vorigen Kapitels
Das letzte Mal hatten wir in Kapitel 17 noch diese Geschichte betrachtet, ab Vers 24: Der Herr kam nach Kapernaum, und die Einnehmer der Doppeltrachme stellten Petrus die Frage, ob sein Lehrer die Doppeltrachme bezahle. Dabei handelt es sich um die Tempelsteuer, die man einmal im Jahr pro Kopf abgeben musste. Es gab ein Auslegungsproblem.
Damals gab es diese Silberabgabe bei Mose im Zusammenhang mit der Stiftshütte. Aber es wird nirgends gesagt, dass das jedes Jahr so erfolgen sollte. Vor etwa 2000 Jahren waren die führenden Rabbiner jedoch der Meinung, diese Tempelsteuer müsse jedes Jahr bezahlt werden. Deshalb kam die Frage: Wie ist es bei eurem Lehrer, den viele als Messias ansehen? Bezahlt er diese Drachme oder nicht?
Der Herr machte Petrus klar, dass Steuern von den Untertanen eines Reiches verlangt werden, aber die Mitglieder des Königshauses eigentlich frei sind. Trotzdem sagt der Herr als Begründung in Vers 27: „Damit wir ihnen aber keinen Anstoß geben, geh an den See, wirf eine Angel aus und nimm den ersten Fisch, der heraufkommt. Tu seinen Mund auf, und du wirst eine Münze finden. Nimm sie und gib sie ihnen für mich und für dich.“
Diese Münze ist eine Tetra-Drachme, also genau der Betrag, der für den Herrn und für Petrus zu zahlen ist. Das geschieht einfach, damit kein Anlass entsteht, dass Menschen zu Fall kommen, indem sie denken, Jesus Christus müsste diese Drachme bezahlen, obwohl er dazu nicht verpflichtet war. Damit sollen sie nicht durch diese Frage irregeführt werden und denken, er könne unmöglich der Messias sein.
Das Wort „Anstoß geben“ ist hier sehr wichtig. Im Griechischen heißt es „Skandalizo“, und das Substantiv lautet „Skandalon“. Davon stammt unser Wort „Skandal“ ab, das heute eine andere Bedeutung hat. Ursprünglich bedeutete „Skandalon“ das bewegliche Holz in einer Falle. Allgemein bezeichnete es eine Falle oder ein Hindernis auf dem Weg, über das man stolpern konnte.
Wenn der Herr sagt „damit wir ihnen keinen Anstoß geben“, meint er, dass diese umstrittene Auslegungsfrage nicht zum Hindernis werden soll – sozusagen kein kleiner Felsblock oder Stein, über den jemand stolpert. Deshalb hat er dieses Wunder vollbracht.
Wenn wir darüber nachdenken, wird klar, dass Petrus dadurch enorm erhöht wird. Der Herr fragt: „Wer muss Steuern bezahlen?“ Petrus erklärt, dass die Untertanen zahlen müssen, nicht aber der König und sein Haus. Dadurch wird Petrus quasi zum Königshaus des Messias gezählt, weil er so eng mit dem Messias verbunden ist. Das könnte leicht zu Einbildung führen.
Darum kommt in Kapitel 18, Vers 1, dieses Thema auf: „In jener Stunde traten die Jünger zu Jesus und sprachen: Wer ist denn der Größte im Reich der Himmel?“ Das war wirklich ihre Frage. Petrus war auf jeden Fall sehr groß, und die Jünger wollten wissen: Wer ist überhaupt der Größte in diesem Königreich?
Hier besteht ein direkter Zusammenhang. Zunächst könnte man denken, dass jetzt ein völlig neues Thema beginnt. Doch es ist immer wichtig, die Übergänge in den Evangelien und anderen Bibelbüchern zu betrachten, um die Gedankenlinie zu erkennen.
Noch mehr: In Kapitel 17 wurde Petrus mit dem wunderbaren Fischwunder erhöht. Aber in Kapitel 17, Vers 1, hatten wir auch die Tatsache, dass Jesus nach sechs Tagen Petrus, Jakobus und Johannes, seinen Bruder, mitnahm und sie allein auf einen hohen Berg führte. Dort wurde er vor ihnen verwandelt, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne.
Petrus, Jakobus und Johannes wurden so erhöht, dass sie dieses Erlebnis des Berges der Verklärung erlebten. Wir haben damals gesehen, dass es sich um den Hermon handelt, den höchsten Berg Israels. Der höchste Punkt des Hermon liegt bei 2.814 Metern. Dort führte der Herr sie hinauf, und sie durften eine Vorwegnahme des Friedensreiches erleben, in dem Jesus Christus so sein wird, wie er im tausendjährigen Friedensreich der Zukunft sein wird. Dieses Erlebnis durften nur sie drei haben.
Auch das ist ein Grund, um über die Frage nachzudenken: Wer ist der Größte im Reich Gottes? Wenn wir an das Kapitel davor denken, Matthäus 16, sehen wir, dass Petrus sehr erhöht wird, nachdem er das Bekenntnis abgelegt hat, dass Jesus Christus der Messias ist, der Sohn des lebendigen Gottes (16,16). Der Herr erklärt, dass Fleisch und Blut ihm das nicht offenbart haben, sondern der Vater im Himmel.
Weiter sagt der Herr, dass er ihm in Vers 19 die Schlüssel des Reiches der Himmel geben wird: „Was du auf der Erde binden wirst, wird im Himmel gebunden sein; was du auf der Erde lösen wirst, wird im Himmel gelöst sein.“ Petrus erhält also eine unglaubliche Autorität als Apostel.
Jetzt versteht man die Frage der Jünger: Wer ist der Größte im Reich der Himmel? Daraufhin ruft Jesus ein Kindlein herbei.
Bedeutung des Kindes als Beispiel für Demut und Glauben
Bei wem steht in der Bibelübersetzung „Kindlein“? Niemand? Die Alte Elberfelder hat das. Die Revision CSV Hückeswagen macht einfach einen kleinen Kreis beim Wort „Kind“ und erklärt im Anhang, was es genau bedeutet. Im Griechischen ist es das Wort „paidion“. Das „-ion“ ist die Verkleinerungsform, ähnlich wie wir Deutschen „Kindlein“ sagen oder im Schwäbischen „Kindle“.
Das ist tatsächlich die Form, und sie bezeichnet ein kleines Kind, im Gegensatz zu einem größeren Kind. „Paidion“ ist die Verkleinerung von „pais“. „Pais“ bedeutet Kind, und zwar einfach ein Kind vor dem Alter der beginnenden Pubertät. Das ist natürlich je nach Zeit und Region etwas unterschiedlich, ob das mit zehn Jahren oder zwölf Jahren ist oder bei manchen sogar etwas später. Dann wäre es ein „pais“ bis die Pubertät beginnt. Im Kontrast dazu ist „paidion“ wirklich ein kleines Kind.
Der Herr ruft hier solche kleinen Kinder herbei. Er stellt sie in die Mitte und erklärt, dass solche kleinen Kinder ein Beispiel für die Erwachsenen sind. Er sagt: Ihr müsst von dieser Gesinnung umkehren. Wer ist der Größte? Ihr müsst werden wie ein Kindlein.
Das ist eigentlich das Erstaunliche: Wenn man mit Kleinkindern zu tun hat, gibt es kaum je das Problem einer Rangordnung. Sie sind einfach da. Und auch die Rangordnung der Erwachsenen erkennen sie an, ohne sie in Frage zu stellen. Das ist normal. Natürlich gibt es auch abnormale Kinder, aber das ist doch das Übliche.
Genau diese Schlichtheit – „Ich bin da“ – zeichnet kleine Kinder aus. Ein kleines Kind fragt sich gar nicht: Wie viel Wert habe ich? Wie bedeutend bin ich? Wie kann ich die Erwachsenen beeindrucken? Vielleicht unbewusst, aber das ist kein bewusstes Thema. Diese Schlichtheit und auch das Vertrauen, das kleine Kinder gegenüber Erwachsenen haben, ist bemerkenswert. Erwachsene sind Autoritätspersonen, und wenn diese etwas sagen, muss es wohl stimmen.
Der Herr sagt, dass diese Haltung auch unsere Haltung vor Gott sein soll. Damit macht er klar: Die Überlegung, wer der Größte ist, ist eine völlig abwegige Frage. Wichtig ist, dass wir wie kleine Kinder einfach da sind. Ein kleines Kind macht und tut einfach das, was es kann. So sollen auch wir handeln, ohne uns ständig mit anderen zu vergleichen.
Darum sagt der Herr in Vers 4: Wer sich so erniedrigt wie ein Kindlein und sich diese Kennzeichen bewusst aneignet, der ist der Größte im Reich Gottes. Danach stellt er sich nicht mehr die Frage „Wer ist der Größte?“, sondern tut einfach das, was der Herr möchte.
Dann kommt ein weiteres Thema hinzu: das Aufnehmen von Kindern, kleinen Kindern, im Namen Jesu. Er sagt, wer das tut, nimmt ihn auf. Damit beginnt ein Thema, in dem er deutlich macht, wie wichtig kleine Kinder in Gottes Augen sind.
In manchen Gemeinden kommt es vor, dass sich einige nerven, sobald kleine Kinder ein bisschen Lärm machen. Hier wäre es wichtig, Matthäus 18 zu studieren, um zu erkennen, dass kleine Kinder in Gottes Augen eine ganz besondere Stellung haben.
Der Herr macht also klar: Wer ein Kind aufnimmt, zum Beispiel durch Adoption, tut ein gewaltig großes Werk und nimmt ihn auf.
Das Thema Adoption und die Stellung der Kinder in Gottes Familie
Das Thema Adoption ist ein biblisches Thema. Wo genau kommt im Neuen Testament unsere Sohnschaft vor? Unsere Sohnschaft, also du spielst an auf... Ja, es kommt ja tatsächlich vor. Zum Beispiel in Epheser 1. Der längste Satz im Neuen Testament, Epheser 1,3-14, ist im Griechischen ein einziger Satz. Paulus spricht dort über die Fülle der Segnungen der Erlösten in der heutigen Zeit. Und dabei spricht er eben auch über die Sohnschaft, wie Jerry das nennt, in Vers 5: „Er hat uns zuvor bestimmt zur Sohnschaft durch Jesus Christus für sich selbst.“
Aber wie kommst du beim Thema Sohnschaft auf das Thema Adoption? Weil im Englischen das Wort „Adoption“ verwendet wird. In der englischen Übersetzung wird hier üblicherweise „Adoption“ übersetzt, und das ist korrekt. Das griechische Wort „Hyotessia“ setzt sich zusammen aus „Hyo“ (Sohn) und „thessia“ (Stellung). Es bedeutet, jemanden in die Stellung eines Sohnes zu versetzen, und ist das normale Wort für Adoption. Auch in der französischen Übersetzung wird „Adoption“ verwendet.
Es geht also darum, dass Gott Menschen, die früher fern von ihm waren, ohne Bezug und Gemeinschaft, annehmen wollte als seine Kinder. „Hyo“, also „Sohn“ oder „Sohnesstellung“ wörtlich, ist ein generisches Wort, wie man in der Grammatik sagt. Das heißt, „Sohn“ steht auch für Tochter. Das ist ganz normal und wurde uns in der Schule so beigebracht: Die männliche Form kann auch für die weibliche gebraucht werden. Das war üblich.
Heute wird das durch die Genderideologie plötzlich in Frage gestellt. Diese will eigentlich die ganzen Grammatiken der Welt stürzen und verändern, auch was die Geschlechterunterscheidung angeht. Dabei ist das in den Grammatiken der Sprachen weltweit verankert.
Sohnschaft schließt die Töchter nicht aus. Übrigens wird in 2. Korinther 6 ausdrücklich über die Töchter Gottes gesprochen. Um jegliches Missverständnis auszuschließen, heißt es dort in 2. Korinther 6,18: „Da sagt Gott von denen, die sich vom Bösen absondern: ‚Und ich werde euch aufnehmen, und ihr werdet mir zu Söhnen und Töchtern sein, spricht der Herr der Allmächtige.‘“
Das Thema Adoption ist etwas Wunderbares. Gott wollte Menschen, die verloren waren, annehmen als seine Kinder. Das bedeutet Adoption. Menschen, die früher keine Beziehung hatten, werden in eine enge, familiäre Beziehung hineingeführt – wie echte Kinder.
Das hat Gott mit allen Erlösten gemacht, die zur Gemeinde gehören und sich in der Zeit der Gnade bekehrt haben. Der Herr Jesus sagt hier: Wer irgendein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, nimmt mich auf.
Ich hatte einmal zwei adoptierte Kinder in der Seelsorge. Sie hatten wirklich Probleme damit, dass sie adoptiert worden waren. Ich habe dann versucht, ihnen anhand der Bibel zu erklären, dass das Thema Adoption ein wunderbares Thema ist. Was sie erlebt haben, ist eine Illustration dessen, was Gott heute weltweit mit Menschen tut, wenn sie umkehren, ihre Schuld Gott bekennen und das Opfer Jesu für sich in Anspruch nehmen. Dann nimmt er sie an. Das ist etwas Wunderbares, worüber wir uns nicht beklagen, sondern nur freuen dürfen.
Wo kommt Adoption im Alten Testament vor? Du meinst wahrscheinlich Kamené? Mordechai und Esther. Im Buch Esther hat Mordechai, der ein generationenverschobener Cousin von Esther war, sie adoptiert. Das ist wirklich etwas Besonderes.
Der Herr sagt: Wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, nimmt mich auf. Ein so kleines Kind ist für den Herrn sehr wichtig. Manche Erwachsene finden kleine Kinder oft störend, aber für den Herrn sind sie sehr wichtig.
Dieses Thema führt er in Vers 6 weiter: „Wie aber irgendeinem dieser Kleinen, die an mich glauben, Anstoß gibt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein um seinen Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde.“
Warnung vor Verführung und Fallstricken
Hier geht es um die Verführung von kleinen Kindern. Wir treffen wieder auf das Wort Skandalizo, das wir bereits im Vers 27 hatten. Dieses Thema verbindet sich mit dem vorherigen Kapitel, denn es geht um das Anstoßgeben oder darum, jemandem eine Falle zu stellen, um ihn durch ein Hindernis zu Fall zu bringen.
Ist aufgefallen, wie oft dieses Wort in den folgenden Versen vorkommt? Wo genau erscheint das Wort noch? Schon in Vers 7 und auch in Vers 8. In Vers 7 heißt es: „Wehe der Welt der Ärgernisse“ – man könnte auch sagen „des Anstoßes wegen“. Jeder Leser erkennt, dass hier dasselbe Wort gemeint ist wie zuvor. Das griechische Wort Skandalon ist das Substantiv zu dem Verb Skandalizo, das in Vers 6 verwendet wird. Wie oft kommt das Wort Skandalon in diesem Vers vor? Dreimal!
Zuerst gibt es ein Wehe an die Welt wegen dieses Themas. Dann sagt der Herr, es sei notwendig, dass solche Dinge, also solche Anstöße, kommen. Schließlich spricht er ein Wehe über die Menschen aus, durch die der Anstoß oder das Ärgernis kommt. Das Wort Skandalon erscheint also dreimal!
In Vers 8 begegnet uns erneut das Verb Skandalizo. Die Hand oder der Fuß können ein Hindernis sein, durch das man in Sünde fällt. In Vers 9 wird auch das Auge als Anlass zur Sünde genannt, wiederum mit dem Verb Skandalizo. Das Thema zieht sich also durch den Text.
Ursprünglich beginnt dieses Thema bereits in Kapitel 17, Vers 27. Das zeigt die Verbindung zwischen den Abschnitten, die auf den ersten Blick vielleicht nur aneinandergereiht wirken. Doch das ist nie der Fall! Die Anordnung in den Evangelien und in allen biblischen Büchern folgt immer einem bestimmten Plan.
Übrigens finden wir das Thema nicht nur in Kapitel 17, sondern auch schon in Kapitel 16. Dort, in den Versen 16 bis 23, nachdem Petrus das wunderbare Zeugnis abgelegt hat: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ und die Zusage für die Schlüssel des Himmelreichs erhalten hat, kündigt der Herr an, dass er als Messias in Jerusalem leiden müsse.
In Vers 21 heißt es, dass Jesus viel leiden, getötet werden und am dritten Tag auferweckt werden sollte. Darauf reagiert Petrus in Vers 22, indem er Jesus beiseite nimmt und ihn tadelt: „Gott behüte dich, Herr, dies wird dir nicht widerfahren.“ Petrus wollte nicht akzeptieren, dass Jesus der leidende Messias sein und das Problem der Schuld durch den Opfertod gemäß Jesaja 53 lösen würde.
Wir hatten damals gesehen, dass die Formulierung „Gott behüte dich, Herr“ aus Jesaja 54, Vers 10, nach der Septuaginta übernommen wurde. Der Herr kündigt an, dass er leiden müsse, wie in Jesaja 53 beschrieben, wo der leidende Messias dargestellt wird. Mit einem Wort aus Jesaja 54 versucht Petrus, die Erfüllung von Jesaja 53 zu verhindern.
Daraufhin sagt Jesus zu ihm in Vers 23: „Geh hinter mich, Satan, denn du bist mir ein Skandalon!“ – eine Falle auf dem Weg. Dabei ist klar, dass der Herr niemals sündigen konnte. Die Sünde ist ganz gegen seine Natur und sein Wesen. Doch all diese Versuchungen, auch schon in der Wüste durch den Teufel, sollten zeigen, wie vollkommen er ist und wie einzigartig, sodass nur er das vollkommene Opfer auf Golgatha bringen konnte.
Das war eine Falle auf dem Weg des Herrn, die er jedoch durchschaut und zu Recht zurückweist: „Geh hinter mich, Satan!“ Sehr scharf! So haben wir das Thema einer Falle, die gelegt wird, schon in Kapitel 16, dann ausführlich in Kapitel 17 und nun in Kapitel 18.
In Vers 6 geht es darum, dass man kleine Kinder zur Sünde verführt – ein sehr schlimmes Thema. Jesus ging umher und seine Predigt war von Gnade und Vergebung geprägt. Doch hier sehen wir eine deutliche Härte. Es wäre besser, dass einem solchen Menschen ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde.
Das griechische Wort für Meer bedeutet hier auch See. Der Bezug ist direkt zum See Genezareth. Bereits in Vers 27 hatten wir das Wunder mit der Angel und dem Starter im Maul eines Fisches im See Genezareth. Die Ereignisse in Kapitel 17 und 18 spielen also am See Genezareth, der über zweihundert Meter tief ist.
Wörtlich steht im Text „Mühlstein“, genauer ein Eselsmühlstein (Mylos oinikos). Das ist ein riesiger Mühlstein, den Esel mit ihrer Kraft in Bewegung setzen. Wenn jemand einen solchen Stein als Anhänger um den Hals bekommt, hilft alle Schwimmtechnik nichts mehr. Der Herr drückt das also sehr drastisch aus.
In einer Zeit, in der das Thema Pädophilie in der säkularen Welt große Bedeutung hat, ist das besonders relevant. Wenn wir die Geschichte der linken Politik und Pädagogik der letzten Jahrzehnte betrachten, spielte Pädophilie eine schreckliche Rolle. Auch in den vergangenen Jahrzehnten in der katholischen Kirche sind schreckliche Fälle aufgetreten.
Die Bibel sagt, dass das religiöse Zentrum in Rom die Hure Babylon ist, die durch ihre Lehre Menschen verführt und auf dem Gebiet der Sexualität zu Fall bringt. Gerade durch die Lehre des Zölibats können wir das in 2. Timotheus und 1. Timotheus sehen. Paulus hat das vorausgesagt: In 1. Timotheus 4, Vers 1 heißt es, dass in späteren Zeiten etliche vom Glauben abfallen werden.
Ich betone: In der Bibel steht „spätere Zeiten“, nicht „letzte Zeiten“. Das ist wichtig, denn in 2. Timotheus 3, Vers 1 spricht Paulus von den „letzten Tagen“, also der Endzeit. Hier jedoch geht es um die Zeit nach den Aposteln, also ab dem zweiten Jahrhundert.
In diesen späteren Zeiten werden Menschen vom Glauben abfallen und betrügerische Geister und Lehren von Dämonen beachten. Sie sind durch Heuchelei und Lügenredner, die ihr Gewissen wie mit einem Brenneisen verhärtet haben, geprägt.
Diese Lehren verbieten die Heirat und gebieten, sich von Speisen zu enthalten, die Gott geschaffen hat zur Annahme mit Danksagung für die, die Glauben und Wahrheit erkennen. Das Verbot der Heirat und das Gebot der Askese kam mit dem Eremitentum auf, das ab dem zweiten Jahrhundert stark zunahm.
Es gab so viele Eremiten in der Wüste, dass sie sich zusammenschlossen und Klöster entstanden. Über Jahrhunderte wurde der Druck ausgeübt: Nicht heiraten! Das kann ein Anlass sein, auf sexuellem Gebiet zu Fall zu kommen.
Deshalb sagt der Apostel Paulus auch in 1. Korinther 7, auf Fragen der Korinther zum Thema Heirat, Ledigsein und Geschieden sein, dass es gut ist, keine Frau zu berühren, wenn man es ertragen kann. Paulus selbst war ehelos. Doch er stellt klare Bedingungen für Ehelosigkeit: Man darf nicht innerlich ständig brennen und das kaum ertragen.
In Vers 2 sagt Paulus: „Aber um der Unzucht willen soll jeder seine eigene Frau haben und jede ihre eigene Mann.“ Ehe schützt vor sexueller Unzucht. Natürlich funktioniert das nicht automatisch, es muss eine gepflegte Ehe sein, in der Mann und Frau sich einander schenken.
In Vers 4 erklärt Paulus: „Die Frau hat nicht Macht über ihren eigenen Leib, sondern der Mann. Ebenso aber hat auch der Mann nicht Macht über seinen eigenen Leib, sondern die Frau.“ Hier besteht Gleichberechtigung auf dem Gebiet der Sexualität in der Ehe. Der Mann kann sein von Gott gegebenes Hauptrecht nicht missbrauchen, um tyrannisch zu sein.
Paulus fährt fort: „Entzieht euch einander nicht, es sei denn nach Übereinkunft eine Zeit lang, um zum Beten Muße zu haben, und kommt wieder zusammen, damit euch der Satan nicht versucht wegen eurer Unenthaltsamkeit.“ Es ist wichtig, dass die sexuelle Beziehung in der Ehe gepflegt wird und Enthaltsamkeit nur nach Absprache geschieht. Das schützt vor Angriffen des Satans.
Durch die Lehre vom Zölibat wurde jedoch vielen Menschen eine Position auferlegt, für die sie nicht geschaffen sind, wie Paulus in 1. Korinther 7 beschreibt. Das hat viele zu Fall gebracht. Deshalb wird dieses System als die Hure Babylon in Offenbarung 17 und 18 bezeichnet.
Das Thema Pädophilie in der katholischen Kirche ist schrecklich und schwer belastet durch falsche Lehre, die Paulus „Lehre von Dämonen“ nennt. Viel Schaden wurde dadurch angerichtet. Der Herr spricht mit aller Schärfe darüber.
Ob religiös oder säkular, wo immer so etwas geschieht, sagt der Herr in Vers 7: „Wehe der Welt der Ärgernisse wegen!“ Das Thema ist heute auch wegen der neuen Sexualaufklärung in Schulen hochaktuell. Diese wird über die UNO in vielen Staaten bis in die Kindergärten implementiert.
Was dort geschieht, ist schrecklich und fällt genau unter dieses Urteil. Personen aus der LGBTQ-Bewegung klären Kinder auf. Die Folge ist, dass manche Kinder verletzt werden und Schaden nehmen können. Das kann bis zu Magersucht bei Mädchen und gestörtem Verhalten bei Jungen führen. Unglaubliche Schäden werden ausgelöst.
Der Herr meint hier all das. Wer aber einem dieser Kleinen, die an ihn glauben, Anstoß gibt oder eine Falle stellt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein um seinen Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde. Das sagt nicht der Sprecher, sondern der Herr selbst.
Weiter heißt es in Vers 7: „Doch wehe dem Menschen, durch den das Ärgernis kommt!“ Das Schreckliche ist, dass in unserer Gesellschaft diese Menschen, die solchen Schaden anrichten, oft nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Aber Gott wird sie eines Tages zur Rechenschaft ziehen.
Pause und Fortsetzung mit radikaler Selbstprüfung
Ja, an dieser Stelle wollen wir jetzt eine zehnminütige Pause machen. Danach fahren wir mit Vers 8 weiter.
Wir haben gesehen, dass es hier um kleine Kinder geht. Diese kleinen Kinder nennt der Herr in Vers 6 „diese Kleinen“. Der Ausdruck „kleine“ kann anderswo auch jemanden mit geringem sozialen Status bezeichnen. Aber in diesem Zusammenhang geht es tatsächlich um Kinder und nicht um sozialen Rang.
Was hier noch hinzukommt: Der Herr sagt, diese Kleinen, die an mich glauben. Er fokussiert also speziell auf kleine Kinder, die für ihn wertvoll sind. Wenn er sagt, wer ein solches kleines Kind aufnimmt, nimmt mich auf. Er sagt nicht nur „ein kleines Kind, das an mich glaubt“, sondern „irgendein kleines Kind“ nimmt mich auf. Doch der Wert wird noch höher, wenn gesagt werden kann, dass ein kleines Kind bereits an den Herrn glaubt. Das verleiht ihm einen zusätzlichen Wert und hängt damit zusammen, dass kleine Kinder offener für das Evangelium sind.
Der Mensch wird im Laufe seines Lebens immer unempfänglicher für das Evangelium, und das Schlimmste ist das Alter. Salomo sagt im Prediger 12, nachdem er junge Menschen ermutigt hat, sich in ihrer Jugend zu freuen – einer Zeit der Unbeschwertheit –, ermahnt er sie in Kapitel 12, Vers 1: „Und gedenke deines Schöpfers in den Tagen deiner Jugendzeit, ehe die Tage des Unglücks kommen und die Jahre herannahen, von denen du sagen wirst: Ich habe keinen Gefallen an ihnen.“ Dann fragt man sich, wie es den Menschen altersgemäß geht. Das sind eben diese Tage.
Salomo fährt in Vers 2 fort: „Ehe sich verfinstern die Sonne und das Licht und der Mond und die Sterne und die Wolken nach dem Regen wiederkehren.“ Das himmlische Licht wird also durch Wolken verdunkelt. Im Alter können Menschen das göttliche Licht immer weniger wahrnehmen.
Darum ist es eine Tatsache, die durch statistische Untersuchungen ermittelt wurde: Die meisten Menschen, die sich bewusst zu Jesus Christus bekehren, tun dies vor dem 25. Lebensjahr. Natürlich gibt es auch Bekehrungen danach, in jedem Alter und bis ins hohe Alter, aber im hohen Alter sind das spezielle Fälle und nicht mehr die Regel.
Kleine Kinder zeigen eine große Offenheit, und das erklärt auch, warum Kinderarbeit so wichtig ist. Dieses Vertrauen ist bei Kindern noch nicht durch verrenkte und verdrehte Ideen verdorben, die ihnen oft Erwachsene eintrichtern. Deshalb sind diese kleinen Kinder, die an mich glauben, etwas ganz Besonderes.
Das macht auch klar, dass kleine Kinder sich schon bekehren können. Wer gegen Kinderbekehrungen ist, muss sich hier korrigieren lassen. Natürlich gibt es auch Kinder, die glauben, und später in der Teenagerzeit merkt man, dass das nicht echt war. Die Teenagerzeit ist eine Testzeit. Aber viele, die als kleine Kinder schon zum Glauben gekommen sind und durch die Stürme der Pubertät hindurch festgehalten haben, waren echte Kinderbekehrungen.
Der Herr spricht also über diese Kleinen, die an ihn glauben. Wer solche Kinder verführt, begeht in Gottes Augen eine noch schrecklichere Tat. Es ist generell schrecklich, wenn Kinder verführt werden, und so schwerwiegend, wie der Herr es hier beschreibt.
Der Herr, der von Gnade geprägt ist, spricht in diesem Zusammenhang eine sehr harte Sprache. In Vers 8 führt er das Thema Fallstrick oder Falle weiter und sagt allgemein zu den Jüngern: „Wenn aber deine Hand oder dein Fuß dir Anstoß gibt“ – also an die Jünger gerichtet, aber eine allgemeine Belehrung –, „wenn die Hand oder der Fuß Anlass gibt, dass man zur Sünde kommt, dann gilt es, radikal zu sein.“
In Vers 9 heißt es: „Wenn es das Auge Anstoß gibt“ – und wie oft kann gerade das Auge Anstoß zur Sünde geben –, dann muss man radikal vorgehen. Das bedeutet aber nicht, dass der Herr hier lehrt, man müsse sich selbst verstümmeln. Wie nennt man diese Art von Rede? Hyperbolische Rede.
In der Sprachwissenschaft spricht man von sprachlichen Stilfiguren. Ich habe hier ein Buch von Karl Scherrer zusammen mit Walter Bühlmann. Karl Scherrer war Lehrer für Griechisch und Sanskrit an der Kantonsschule in Baden und in Aarau. Die beiden Autoren haben ein sehr hilfreiches Büchlein zusammengestellt: „Sprachliche Stilfiguren der Bibel – von Assonanz bis Zahlenspruch, ein Nachschlagewerk“. Dutzende solcher Redeformen werden erklärt, wie Alliteration, hyperbolische Rede, Ellipse und viele weitere.
Manche Ausdrücke sind gar nicht vertraut, aber sehr hilfreich: Metapher, Allegorie, Vergleich, Gleichnis, Bildwort, Metonymie, Concretum pro abstracto und so weiter. Alles wird anhand von Beispielen erklärt.
Unsere Sprache ist so aufgebaut, und wir benutzen manche dieser Stilfiguren sogar in der Umgangssprache, ohne uns bewusst zu sein, dass es sich um bestimmte Stilfiguren handelt. Wenn man zum Beispiel sagt: „Alle Mann und Maus“, das ist eine Alliteration. „Mann und Maus“ bedeutet „alle“. Oder „Kind und Kegel“ – alle waren dabei, aber kaum jemand weiß, was „Kegel“ bedeutet. Man sagt es einfach nach, aber es ist auch eine Alliteration.
Das ist sehr hilfreich, denn die Bibel ist voll mit solchen sprachlichen Stilfiguren. Eine davon ist die Hyperbel, die hyperbolische Rede, also übertriebene Rede.
Wenn aber deine Hand oder dein Fuß dir Anstoß gibt, so hau ihn ab und wirf ihn von dir. Es ist besser für dich, verkrüppelt oder lahm zu leben, als mit zwei Händen oder zwei Füßen in das ewige Feuer geworfen zu werden.
So sagt der Herr. In Matthäus 7 heißt es: „Nimm zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du den Splitter aus dem Auge deines Bruders nehmen.“ Wie soll ein Balken ins Auge kommen? Gar nicht! Aber das ist eben übertriebene Rede, um etwas krass und auf den Punkt auszudrücken.
Oder wenn der Herr davon spricht, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht – das ist auch hyperbolische Rede.
Diese Stilfiguren werden im Alten und Neuen Testament ständig benutzt. Wenn man sich dessen bewusst ist, ist das sehr hilfreich, um manche Stellen besser zu verstehen.
Solche, die die Bibel ablehnen oder den christlichen Glauben ablehnen, werfen evangelikalen Christen oft vor, sie seien beschränkt, weil sie alles wörtlich nehmen. Das ist doch verrückt, oder? Aber wie ist das bei diesen Kritikern, wenn sie Zeitung lesen? Im Normalfall nehmen sie das alles wörtlich, außer es handelt sich um eine sprachliche Stilfigur. Dann nehmen sie es auch nicht wörtlich.
So ist es bei uns auch. Wir achten auf Stilfiguren und erkennen, ob es ein Gleichnis ist. Ein Gleichnis ist eine Geschichte, die so geschehen könnte oder immer wieder in ähnlicher Form geschieht, um einen Vergleich zu machen. Dabei geht es nicht darum, dass im Gleichnis historische Personen genannt werden.
Darum kommen in Gleichnissen nie Eigennamen vor, und es werden keine historischen Persönlichkeiten genannt. Deshalb ist auch klar: Die Geschichte von Lazarus und dem reichen Mann ist kein Gleichnis. Dort steht auch nicht, dass der Herr ein Gleichnis erzählte. Wie so oft wird gesagt: „Ein Gleichnis“, und dann folgt das Gleichnis. Hier wird aber Lazarus namentlich erwähnt, ebenso Abraham als historische Person und Mose und die Propheten.
Das ist keine Gleichnis, sondern eine Geschichte, die den Vorhang zum Jenseits lüftet.
So beachten wir das und nehmen ein Gleichnis als Gleichnis, und apokalyptische Visionen als apokalyptische Visionen. Dort gibt es Tiere, zum Beispiel einen Löwen mit Adlerflügeln. Uns ist klar, dass es sich nicht um einen Löwen mit Adlerflügeln in Daniel 7 handelt, sondern um eine apokalyptische Beschreibung des babylonischen Weltreichs in seiner Majestät und Kraftfülle.
Wir achten also darauf, ob etwas eine geschichtliche Erzählung ist. Dann nehmen wir es wörtlich als geschichtliche Erzählung. Wir können die Evangelien nicht als Mythen ansehen. Wenn dort steht „in den Tagen des Kaisers Augustus“, können wir das historisch einordnen: 27 vor Christus bis 14 nach Christus.
Dann folgt die Weihnachtsgeschichte, in der ein Mann und eine Frau aus Nazareth nach Bethlehem gehen – geografisch genau nachvollziehbar. Wir wissen, wo Nazareth und Bethlehem liegen. Es geht um eine geschichtliche Erzählung in Raum und Zeit, nicht um eine überzeitliche Erzählung.
Uns wird vorgeworfen, wir seien zurückgeblieben, weil wir Dinge wörtlich nehmen, die auch wörtlich verstanden werden wollen. Aber das, was poetische Rede ist, nehmen wir als poetische Rede.
In diesem Sinn nehmen wir Gleichnisse als Gleichnisse, Vergleiche, Allegorien und Metaphern als solche, und Übertreibungen als Übertreibungen. Wir leiten nicht aus Vers 8 und 9 unseres Kapitels ab, dass wir uns verstümmeln müssten.
Der Punkt ist: Drastisch soll ausgedrückt werden, dass wir, wenn wir merken, dass etwas uns zum Fallstrick wird, etwas unternehmen müssen. Wie kann ich das wirklich aussortieren? Wie kann ich es umgehen, dass mir das nicht zum Fall wird?
Wenn es zum Beispiel meine Füße betrifft, dann schaue ich, wo ich nie mehr hingehe, weil das mir zum Verhängnis wird. Was mache ich mit meinen Händen? Was schaue ich mir auf keinen Fall mehr an? Radikal muss man sein, wenn es ums Sehen geht.
Der Herr macht hier als grundsätzliche Belehrung klar, dass es sich lohnt, radikal zu sein. Es geht um die Frage, ob man gerettet wird oder ewig verloren geht – ganz grundsätzlich. Ja.
Schutz der kleinen Kinder und die Rolle der Engel
Und dann gehen wir weiter zu Vers 10: Gebt Acht, dass ihr nicht eines dieser Kleinen verachtet.
Hier wird wieder nicht das Wort „Kindlein“ verwendet, sondern das Wort „Kleine“, wie in Vers 6. Es meint jedoch dieselben kleinen Kinder.
Der Herr sagt, dass ihre Engel im Himmel allezeit das Angesicht meines Vaters schauen, der im Himmel ist. Das bedeutet, für den Vater im Himmel sind die kleinen Kinder so wichtig, dass er für sie Engel einsetzt.
Im Alten Testament ist das schon angedeutet, zum Beispiel in Psalm 91. Ich kann mir das kurz aufschlagen, Vers 11: Denn er wird seinen Engeln über dir befehlen, dich zu bewahren auf allen deinen Wegen. Auf den Händen werden sie dich tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.
Hier sagt der Psalmist, dass Engel über einem Menschen wachen können, um ihn zu bewahren. Wichtig ist, dass hier nicht von deinem Engel die Rede ist, sondern von Engeln in der Mehrzahl, die über einen Menschen wachen.
Das bestätigt auch Hebräer 1, wo neuntestamentlich erklärt wird, was unter anderem eine Funktion der Engel ist. In Hebräer 1,14 heißt es: Sind sie nicht alle dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um der willen, die die Errettung erben sollen?
Engel werden also ausgesandt im Dienst an Menschen. Wenn nun der Herr sagt, dass ihre Engel im Himmel allezeit das Angesicht meines Vaters schauen, der im Himmel ist, dann bedeutet das nicht, dass es pro Kind einen Schutzengel gibt.
Im Okkultismus gibt es die Vorstellung, dass ein bestimmter Engel als Leitengel für einen Menschen zuständig ist. Dabei geht es in der Esoterik oft um Dämonen. Die Bibel sagt jedoch, dass die Engel Gottes allgemein einen Auftrag für Menschen haben.
Darum meint „ihre Engel“ all die Engel, die Gott für all diese Kinder einsetzt. Das sind Engel, die vor Gottes Angesicht treten. Das macht noch einmal deutlich, wie wichtig kleine Kinder in Gottes Augen sind.
Trost für Eltern und Gleichnis vom verlorenen Schaf
Und dann kommt ein wunderbarer Vers, der in den Minderheitshandschriften einfach weggelassen worden ist. Wenn dieser Vers in einer Bibelübersetzung fehlt, sollte er unbedingt hinzugefügt werden. Denn der Mehrheitstext, das ist der Text, der aus den Regionen stammt, in die die Originale geschickt wurden, zeichnet sich durch eine sehr große Stabilität aus. Der Mehrheitstext bezeugt diesen Vers hier:
„Denn der Sohn des Menschen ist gekommen, das Verlorene zu erretten.“
Das ist eine gewaltige Aussage und ein großer Trost für diejenigen, die ein kleines Kind verloren haben oder bereits im Mutterleib durch eine Fehlgeburt verloren haben. Jesus sagt hier: „Er, der Sohn des Menschen“ – das ist ein Titel für den Messias nach Daniel 7,13-14. Also ist der Messias gekommen, um das Verlorene zu retten. So formuliert er es im Zusammenhang mit den kleinen Kindern.
Wenn wir in Lukas 19 schauen, finden wir eine ganz andere Geschichte. Dort geht es um einen Mann, einen Erwachsenen, der viel Schuld in seinem Leben angesammelt hatte: Zachäus. Aber der Herr kommt in sein Leben und sagt in Lukas 19, Vers 9:
„Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Haus Heil widerfahren, da ja auch er ein Sohn Abrahams ist.“
Denn „der Sohn des Menschen ist gekommen, zu suchen und zu erretten, was verloren ist.“ Das ist fast die gleiche Formulierung. Doch diesen verhärteten Zachäus musste der Herr suchen und zur Buße führen, damit er errettet werden konnte.
Bei den kleinen Kindern sagt der Herr einfach: „Der Sohn des Menschen ist gekommen, das Verlorene zu erretten.“ Das ist ein Hinweis darauf, dass diese Kleinkinder, die noch nicht das Alter der Verantwortlichkeit erreicht haben, von Gott nicht verantwortlich gemacht werden dafür, dass sie das Evangelium nicht angenommen haben. Wo genau diese Grenze liegt, bestimmt Gott, nicht wir. Für uns ist es einfach wichtig, dass es diesen Trost gibt: Für diese Kinder ist der Herr gekommen, um am Kreuz zu sterben.
Dann fügt der Herr in Vers 12 eine Art Gleichnis an:
„Was meint ihr? Wenn ein Mensch hundert Schafe hätte und eins von ihnen sich verirrte, lässt er nicht die neunundneunzig auf den Bergen und geht hin und sucht das Umherirrte? Und wenn es geschieht, dass er es findet, so sage ich euch, er freut sich mehr über dieses als über die neunundneunzig, die nicht verirrt sind. Ebenso ist es nicht der Wille eures Vaters im Himmel, dass eins dieser Kleinen verloren gehe.“
Hier spricht der Herr vom guten Hirten, der ein verlorenes Schaf so wichtig nimmt, dass er es sucht und findet. Wir haben also schon die Ausdrücke „suchen“ und „finden“. In diesem Sinn muss der Herr auch jedes verlorene Kind suchen und erretten.
Es ist dennoch bemerkenswert, dass er es so bedingungslos sagt in Vers 11: „Denn der Sohn des Menschen ist gekommen, das Verlorene zu erretten.“ Dieser Vers 11 und auch Vers 14 können wirklich Eltern, die Schweres erlebt haben, Trost spenden.
Vor einiger Zeit hielt ich einen Vortrag über Hiob 42. Danach kam eine Frau zu mir und sagte: „Ich habe auch zehn Kinder verloren.“ Wie Hiob, der ja zehn Kinder verlor. Aber Gott schenkte Hiob nach all der Not und Krankheit eine Wiederherstellung seiner Gesundheit, und sein ganzer Besitz wurde ihm doppelt zurückgegeben – nur nicht die Kinder. Er bekam zehn Kinder, nicht zwanzig, aber sonst war alles verdoppelt.
Der Grund dafür ist, dass Tiere ihm nochmals in doppelter Zahl geschenkt wurden, weil Tiere nicht in den Himmel kommen. Tiere sind für diese Erde geschaffen und uns für diese Zeit auf der Erde gegeben. Das müssen wir akzeptieren. So heißt es auch in den Psalmen, zum Beispiel in Psalm 49, dass das Vieh zugrunde geht.
Wir können das kurz betrachten: Psalm 49, Vers 13 sagt:
„Doch der Mensch, der ihn ansieht, bleibt nicht; er kommt schließlich um, er gleicht dem Vieh, das vertilgt wird.“
Wenn Menschen sterben, sieht es so aus, als sei es für immer vorbei. Sie gleichen dem Vieh, das vertilgt wird. Das Vieh wird vernichtet. Das wird in Vers 21 wiederholt:
„Der Mensch, der ihn ansieht und keine Einsicht hat, gleicht dem Vieh, das vertilgt wird.“
Das Vieh wird ausgelöscht in seiner Existenz. Aber Hiobs zehn Kinder gingen offensichtlich als Gläubige in die Herrlichkeit ein. So hatte Hiob zehn Kinder im Himmel und zehn auf der Erde.
Diese Frau erzählte, sie habe zehn Kinder verloren, meistens nach dem dritten Monat, und das war für sie die schwerste Prüfung in ihrem Leben. Sie hat aber auch noch zehn weitere Kinder bekommen, die alle gut erzogen wurden und ins Erwachsenenalter gelangten – ähnlich wie bei Hiob.
Für solche Menschen ist es ein großer Trost zu wissen: Der Sohn des Menschen ist gekommen, das Verlorene zu erretten. Es ist nicht der Wille seines Vaters im Himmel, dass eins dieser Kleinen verloren gehe.
Umgang mit Sünde und Gemeindezucht
Ja, wir gehen weiter zu Vers 15:
Wenn aber dein Bruder gegen dich sündigt, so gehe hin und überführe ihn zwischen dir und ihm allein. Wenn er auf dich hört, hast du deinen Bruder gewonnen. Wenn er aber nicht hört, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit durch den Mund von zwei oder drei Zeugen jede Sache bestätigt werde. Wenn er aber nicht auf sie hört, so sage es der Gemeinde. Wenn er aber auch auf die Gemeinde nicht hört, so sei er wie der Heide und der Zöllner.
Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein.
Wahrlich, wiederum sage ich euch: Wenn zwei von euch auf der Erde über irgendeine Sache übereinkommen, welche sie auch erbitten mögen, so wird es ihnen zuteilwerden von meinem Vater, der in den Himmeln ist. Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte.
Man hat vielleicht den Eindruck, dieser Abschnitt sei etwas ganz anders, aber tatsächlich verknüpft er das Thema hier mit dem vorherigen Abschnitt. Das Thema Ärgernis beziehungsweise Sünde, das in den Versen davor bedeutsam war, wird hier nochmals aufgegriffen: "Wenn aber dein Bruder gegen dich sündigt."
Der Herr Jesus nutzt oft Gelegenheiten, um neue Gedanken einzubringen. So beantwortet er nicht nur Fragen der Jünger, sondern fügt oft weitere wichtige Informationen hinzu. Zum Beispiel in Matthäus 24: Die Jünger stellten vier Fragen, und der Herr gab eine Fülle von Informationen, die sie gar nicht gefragt hatten.
Auch hier spricht der Herr plötzlich über das Thema der Gemeinde, in Vers 17: "Wenn er aber nicht auf sie hört, so sage es der Gemeinde." Das griechische Wort im Grundtext ist Ekklesia. Wörtlich heißt es "Ekk heraus" und "Klesia gerufen", also "die Herausgerufene". Dies ist das zweite und letzte Mal in den Evangelien, dass Jesus das Wort Ekklesia verwendet.
Das erste Mal war in Matthäus 16, nachdem Petrus bezeugt hatte: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Jesus sagt: „Du bist Petrus, das heißt ein Stein, und auf diesen Felsen (griechisch: Petra), das ist das, was Petrus bekannt hat, Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, auf diesen Felsen werde ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.“ Hier spricht Jesus erstmals über die Gemeinde, die nach Epheser 3 im Alten Testament ein Geheimnis war – die Gemeinde als Zusammenschluss von Gläubigen aus den Heidenvölkern und aus Israel.
Jesus spricht hier in Matthäus 16 über die Gemeinde in ihrer weltweiten Bedeutung. Wichtig ist, dass er sagt: „Auf diesen Felsen werde ich meine Gemeinde bauen.“ Das bedeutet, die Gemeinde gab es bis dahin noch nicht; es ist ein zukünftiges Bauprojekt. Wann begann der Gemeindebau? Ab Pfingsten, Apostelgeschichte 2, als der Heilige Geist kam und Menschen zu einem Leib taufte, wie es in Apostelgeschichte 2, Vers 13 heißt.
Es ist wichtig zu sehen, dass es die Gemeinde im Alten Testament noch nicht gab. In kalvinistischen Kreisen, besonders in den Niederlanden, ist es verbreitet, die Kirche ab Adam zu verstehen – alle Gläubigen, auch vor dem Volk Israel, wie Adam, Seth, Enoch, Kenan bis Noah, dann Noah, Sem, Japheth bis Abraham, dann das Volk Israel und schließlich die Gläubigen heute. Das alles sei eine Gemeinde. Doch so versteht man Gottes Plan über die Gemeinde nicht richtig.
Die Zeit vor Israel war eine andere Zeit. Gott hatte auf Erden kein Volk für seinen Namen, aber es gab einzelne Erlöste. Mit dem Volk Israel, beim Auszug aus Ägypten, hatte Gott ein irdisches Volk auf Erden. Mit der Gemeinde im Neuen Testament sehen wir ein himmlisches Volk. Man darf das nicht vermischen oder Israel durch die Gemeinde ersetzen – das ist die sogenannte Ersatztheologie und geht nicht. Alles muss an seinem Platz bleiben.
Die Gemeinde wird weltweit gebaut auf dem Felsen Christus. Und jetzt, in Matthäus 18, geht es um die Gemeinde auch weltweit? Nein, hier geht es örtlich. Warum örtlich? Weil die Brüder dort Streit haben, und es kann nicht weltweit sein. Es geht um einen Konflikt an einem Ort, wo zwei Brüder miteinander ein Problem haben (Vers 15: „Wenn aber dein Bruder gegen dich sündigt“). Auch Vers 20 gehört dazu: „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte.“ Das ist örtlich.
Aus der Fülle der Gläubigen weltweit können an einem Ort zwei oder drei zusammenkommen, die sich zu Jesus hin versammeln und damit eine örtliche Gemeinde bilden. Das ist wichtig und wird später im Neuen Testament weiter ausgeführt.
Die Gemeinde muss man weltweit sehen. Wenn das Neue Testament über den Leib Christi spricht, ist nie gemeint, dass die örtliche Gemeinde der Leib Christi ist, sondern sie ist Ausdruck des Leibes Christi. Alle Gläubigen zusammen auf der Erde bilden den Leib Christi, der immer vollständig ist. Er wird nicht langsam aufgebaut, indem ein Arm dazu kommt, sondern er ist immer vollständig.
In Epheser 2, am Schluss, beschreibt Paulus die Gemeinde als einen Tempel, der vor sich hin wächst, aufgebaut auf der Grundlage der Apostel und Propheten. Das meint nicht nur die Gemeinde weltweit zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern alle Gläubigen weltweit von Pfingsten an, bis zur Entrückung der Gemeinde, wenn sie in die Herrlichkeit kommt.
Das ist auch die Gemeinde, gegründet auf dem Felsen. Hier aber geht es um die örtliche Gemeinde. Man muss den Blick haben auf alles: die Gemeinde weltweit zu einem bestimmten Zeitpunkt, die Gemeinde weltweit von Pfingsten bis zur Entrückung, also in der ganzen Kirchengeschichte, und auch die Gemeinde an einem Ort.
Hier spielt das Thema Sünde eine Rolle. „Wenn aber dein Bruder gegen dich sündigt, so gehe hin und überführe ihn zwischen dir und ihm allein.“ Was soll man hier nicht tun? Man soll die Sache nicht sofort vor die Gemeinde bringen, auch nicht mit vielen Besprechungen, sondern eins zu eins klären.
Unter vier Augen. Wenn er auf dich hört, hast du deinen Bruder gewonnen. Es heißt nicht, du hast deinem Bruder die Haare gewaschen, sondern gewinnen. Es ist wichtig, dass es niemals darum geht, eine Diskussion zu gewinnen, sondern einen Bruder zu gewinnen, eine verlorene Seele zu retten.
Wenn wir mit Leuten diskutieren und das Ziel haben, die Diskussion zu gewinnen, sind wir auf einem gefährlichen Weg. Es kann sehr schief ausgehen. Menschen gewinnen heißt, den Wert des Einzelnen sehen, so wie Jesus schon bei den kleinen Kindern den Wert sieht.
Der Herr sagt: „Aber wenn das nicht reicht“, kommt Vers 16: „Wenn er aber nicht hört, so nimm noch ein oder zwei mit dir, damit durch den Mund von zwei oder drei Zeugen jede Sache bestätigt werde.“ Das ist ein Rechtsgrundsatz, den wir schon im Alten Testament finden, in 5. Mose 19, Vers 15: Vor Gericht soll kein einzelner Zeuge auftreten, sondern mindestens zwei Zeugen. Jede Sache muss durch zwei Zeugen belegt sein, noch besser durch drei.
Dieser Grundsatz zieht sich durch das Alte Testament und ins Neue Testament hinein, hier und an vielen anderen Stellen. Das ist also der Versuch, durch weitere Zeugen Klarheit zu schaffen. Drei Zeugen sind optimal, zwei reichen schon.
Wenn das nicht zum Ziel führt, gibt es eine dritte Stufe: „Wenn er aber nicht auf sie hört, so sage es der Gemeinde.“ Erst dann kommt es vor die ganze Gemeinde.
Was noch zu sagen ist: Hier wird nicht definiert, was die Sünde ist, wenn dein Bruder gegen dich sündigt (Vers 15). Es handelt sich um etwas Zwischenmenschliches. Man darf das nicht verwechseln mit 1. Korinther 5, wo es um Gemeindezucht bei schweren moralischen Sünden geht.
1. Korinther 5 behandelt konkret den Fall, dass jemand außerehelichen Geschlechtsverkehr begangen hat, und zwar in einer sehr krassen Weise. Wir können kurz 1. Korinther 5, Vers 1 aufschlagen: „Überhaupt hört man, dass Hurerei unter euch sei, und zwar eine solche Hurerei, die nicht einmal unter den Nationen vorkommt, dass einer seines Vaters Frau hat.“ Das nennt man Inzest, eine sehr schwere Form.
Paulus sagt in Vers 2: „Und ihr seid aufgebläht und habt nicht vielmehr Leid getragen.“ Die Gemeinde in Korinth war in einem schlechten geistlichen Zustand und hat nicht als Gemeinde darüber getrauert, dass so etwas möglich war.
Paulus fordert, dass der, der diese Tat begangen hat, aus der Gemeinde ausgeschlossen wird. Es geht hier nicht um eine dauerhafte Handlung, sondern um eine punktuelle Tat in der Vergangenheit. Man kann Matthäus 18 hier nicht anwenden, mit der Stufe „zwischen mir und dir allein“. Nein, es geht um ein schweres moralisches Vergehen, das die Gemeinde betrifft und ihr Zeugnis zerstört.
Die Welt sagt dann: „Die sind ja nicht anders als wir“, oder „Sogar die Kinder sind schlimmer als wir.“ Deshalb ist es wichtig, dass der Täter sofort ausgeschlossen wird – als letzte Rettung des Zeugnisses, um klarzumachen, dass die Gemeinde das nicht billigt.
Das Ziel ist natürlich, dass die betreffende Person zur Umkehr kommt. Es geht um die Gemeinde, aber noch wichtiger: Es geht um die Ehre Gottes. Die Ehre Gottes muss durch einen Ausschluss zwar nicht repariert, aber der Schaden begrenzt werden.
Das hat auch eine Wirkung auf die anderen Gläubigen: Sie sehen, dass man mit einem Ausschluss rechnen muss, wenn man in dieselbe Sünde fällt. Das kann für manche traurig sein, aber es kann auch Bewahrung sein, radikal gegen eine Sünde vorzugehen – wie es heißt: „Hand weg, Auge weg!“
Der Ausschluss nach 1. Korinther 5 hat verschiedene Bedeutungen: Es geht um die Ehre Gottes, die wiederhergestellt werden soll; das Zeugnis der Gemeinde, das wiederhergestellt werden soll; dass der Betroffene zur Buße kommt; und dass die übrigen Gläubigen Furcht haben.
Diesen Ausdruck findet man auch in 1. Timotheus 5, wo es um einen Ältesten geht, der sündigt und öffentlich überführt werden muss, „auf dass auch die übrigen Furcht haben“ – also eine abschreckende Wirkung auf die Gläubigen.
Heute wird Gemeindezucht nach 1. Korinther 5 nur noch wenig praktiziert, mit katastrophalen Auswirkungen. Das Zeugnis der Gemeinden ist im freien Fall, und die in 1. Korinther 5 beschriebenen Sünden breiten sich aus und werden nicht geahndet.
In 1. Korinther 5, Vers 11 erwähnt Paulus weitere Sünden: „Nun aber habe ich euch geschrieben, keinen Umgang zu haben, wenn jemand, der Bruder genannt wird, ein Hur ist oder ein Habsüchtiger, ein Götzendiener, ein Schmäher, ein Lästerer, ein Trunkenbold oder ein Räuber.“ Mit einem solchen soll man nicht einmal essen.
Paulus sagt: „Was habe ich mit denen zu richten, die draußen sind? Ihr richtet sie nicht, die drinnen sind. Die aber draußen sind, richtet Gott. Tut den Bösen von euch selbst hinaus.“
Sogar in der Welt wird das praktiziert: Wenn ein Parteimitglied sich unerträglich verhält, wird er ausgeschlossen, um Schaden zu begrenzen. Aber die Gemeinde ist keine Partei oder ein Verein, sondern die Gemeinde Gottes.
Die Gemeinde hat eine richterliche Autorität bekommen. Paulus sagt: „Ihr richtet die, die drinnen sind, nicht, sondern tut den Bösen von euch selbst hinaus.“
In 1. Korinther 5 geht es um schwere Sünden. In Matthäus 18 dagegen um einen Konflikt, bei dem ein Bruder gegen dich sündigt. Das sollte zwischenmenschlich geregelt werden.
Es kann sein, dass der Schuldige so uneinsichtig ist, dass auch zwei weitere Zeugen nichts bewirken. Dann kommt die Gemeinde ins Spiel, die beurteilen muss. Wenn er auch die Gemeinde ablehnt, offenbart das einen bösen Zustand, der immer schlimmer wird.
Noch zu Vers 16: Wer wählt die Zeugen aus? Der, der gesündigt wurde. Also nicht der mutmaßlich Schuldige, sondern der, gegen den gesündigt wurde. Der Schuldige kann also nicht sagen, „dieses von Menschen gewählte Tribunal anerkenne ich nicht.“ Das ist die Vorgehensweise.
Schließlich sagt Jesus: Wenn er auch auf die Gemeinde nicht hört, „sei er wie der Heide und der Zöllner.“ Wie wurden Heiden und Zöllner im Judentum behandelt? Man mied den Umgang mit ihnen, genau wie in 1. Korinther 5 gesagt wird: „Mit einem solchen nicht einmal essen“, damit er zur Buße kommt.
In Apostelgeschichte 10 sollte Petrus ins Haus eines Heiden namens Cornelius gehen, was ihm schwerfiel. Er hatte damit ein echtes Problem, und es wurde ihm vorgeworfen, dass er bei einem Heiden eingekehrt und mit ihm gegessen hatte.
Die Rabbiner rieten, sich nicht bei Heiden einladen zu lassen, da sie oft unkoscheres Essen servierten. Handel treiben war erlaubt, aber kein privater Umgang. Die Zöllner galten als Volksverräter, die mit der Besatzungsmacht zusammenarbeiteten, und waren deshalb gesellschaftlich isoliert.
Wenn Jesus sagt, „so sei er wie der Heide und der Zöllner“, bedeutet das: Er ist aus der Gemeinde ausgeschlossen, mit dem Ziel, dass er zur Einsicht kommt und anerkennt, dass die Gemeinde Recht hat.
Dann folgt ein ungewöhnlicher Vers: „Wahrlich, ich sage euch, was ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein.“
Manche deuten das als Befreiung von Dämonen, was hier aber nicht passt. Es geht um einen Konflikt, der gelöst werden soll: zuerst privat, dann mit Zeugen, dann mit der Gemeinde, und plötzlich soll es um das Binden und Lösen im Himmel gehen? Das widerspricht dem Zusammenhang.
Betrachten wir den jüdischen Hintergrund: In Matthäus 16 sagt Jesus zu Petrus, „Ich gebe dir die Schlüssel des Himmelreichs“ und „Was du auf der Erde binden wirst, wird im Himmel gebunden sein.“ Hier wird es auf die örtliche Gemeinde bezogen, die diese Binde- und Lösegewalt hat.
Im Hebräischen heißt „binden“ (assur) „verbieten“. Zum Beispiel ist in Israel ein Schild mit durchgestrichener Zigarette mit „asur leaschen“ beschriftet – „Rauchen verboten“. Das Wort „mutar“ bedeutet „erlaubt“. Rabbiner konnten mit diesen Begriffen Gesetze festlegen oder als Richter entscheiden.
So macht das plötzlich Sinn: „Binden“ heißt, jemanden aus der Gemeinde ausschließen; „Lösen“ heißt, jemanden wieder in die Gemeinschaft aufnehmen. Das hat nichts mit Dämonenaustreibung zu tun, sondern mit Gemeindezucht.
Jesus sagt, was ihr auf der Erde bindet, wird im Himmel gebunden sein – das heißt, Gott erkennt den Ausschluss und die Aufnahme an.
Er sagt nicht „in Jerusalem“, sondern „auf der Erde“, was bedeutet, dass der Ausschluss Bedeutung für alle Gemeinden hat. Natürlich gab es auch Unrecht bei Ausschlüssen. Wenn klar ist, dass etwas gegen die Bibel ist, kann man nicht sagen, das sei im Himmel anerkannt.
Jesus setzt voraus, dass gottgemäß gehandelt wird. Der nächste Vers zeigt das: Vers 19 spricht vom Gebet.
Warum wird hier über Gebet gesprochen? Vers 19 lautet: „Wenn zwei von euch auf der Erde übereinkommen über irgendeine Sache, die sie erbitten, so wird sie ihnen von meinem Vater im Himmel zuteilwerden.“
Manche haben Enttäuschungen erlebt, wenn Gebete nicht erhört wurden. Gott erhört im Himmel nur Bitten, die im Einklang mit seinem Willen sind.
Hier wird vorausgesetzt, dass sie im Willen Gottes beten, wie viele Bibelstellen Bedingungen für Gebetserhörung nennen.
„In meinem Namen“ bedeutet, in Übereinstimmung mit den Gedanken des Sohnes Gottes zu handeln, wie in Johannes 15.
Vers 18 und 19 gehören zusammen: Die richterliche Gewalt der Gemeinde darf nicht willkürlich sein, sondern ist an Gottes Wort und Gerechtigkeit gebunden.
Dann fügt Jesus hinzu, Vers 20: „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte.“
Dieser Vers bezieht sich nicht auf private Zusammenkünfte, sondern auf die örtliche Gemeinde mit einer besonderen Verheißung, wenn sie auf Jesus Christus und seine Autorität ausgerichtet ist.
„Zu meinem Namen hin“ bedeutet nicht nur im Namen Jesu, sondern sich seinem Wort unterordnen.
Dann gibt es die Verheißung: „Da bin ich in ihrer Mitte.“
Das hat einen gewaltigen Rückbezug zum Alten Testament.
Von Adam bis Abraham bis Mose gab es einzelne Erlöste, aber kein Volk. Es ging um das persönliche Verhältnis eines Menschen zu Gott.
Dann kam das Volk Israel, ab 2. Mose 19, wo Gott einen Bund mit Israel schloss und Israel als sein Volk annahm.
Diesem Volk wurde gesagt, dass sie ihre Brandopfer nur an dem Ort darbringen sollen, den der Herr erwählen wird.
In 5. Mose wird dieser Ort 21 Mal erwähnt, aber nie beim Namen genannt.
Zum Beispiel 5. Mose 16, Vers 2: „Du sollst dem Herrn dein Passahopfer an dem Ort schlachten, den der Herr erwählen wird, damit sein Name dort wohne.“
Oder 5. Mose 14, Vers 23: „Du sollst essen vor dem Herrn an dem Ort, den er erwählen wird, um seinen Namen dort wohnen zu lassen.“
Oder 5. Mose 12, Vers 24: „Denn der Herr wird den Ort erwählen, um seinen Namen dort zu setzen.“
Der Ort wird nie genannt, aber ist dreimal siebenmal erwähnt.
Als das Volk Israel ins Land kam, wurde die Stiftshütte zunächst in Shiloh aufgestellt, aber der erwählte Ort musste gesucht werden.
Erst mit König David wurde prophetisch offenbart, dass Jerusalem der Ort ist, wo der Herr seinen Namen wohnen lässt.
Ich lese 2. Chronik 6, Vers 5: „Von dem Tag an, als ich mein Volk aus Ägypten führte, habe ich keine Stadt aus allen Stämmen Israels erwählt, ein Haus zu bauen, damit mein Name dort wäre. Aber ich habe Jerusalem erwählt, dass mein Name dort wäre, und ich habe David erwählt, dass er über mein Volk Israel wäre.“
Das erklärt, warum die Samariter, die nur die fünf Bücher Mose kannten, Jerusalem nicht als Ort anerkannten, sondern den Berg Garizim bevorzugten.
Sie behaupteten, die Juden hätten die Zehn Gebote gefälscht und ein Gebot eingefügt, Gott solle auf Garizim angebetet werden.
Sie bauten ihren Tempel auf dem Berg Garizim, oberhalb von Sichem (heute Aska im Westjordanland).
Im Johannesevangelium 4 spricht Jesus mit der Frau am Brunnen von Sichar, nahe Sichem, am Fuß des Berges Garizim.
Die Frau sagt: „Unsere Väter haben auf diesem Berg angebetet, und ihr sagt, dass Jerusalem der Ort sei.“
Jesus antwortet: „Frau, glaube mir, es kommt die Stunde, da ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Die wahrhaftigen Anbeter werden den Vater in Geist und Wahrheit anbeten, denn der Vater sucht solche als seine Anbeter. Gott ist Geist, und die, die ihn anbeten, müssen ihn in Geist und Wahrheit anbeten.“
Jesus macht klar, dass es nicht mehr um den Ort Jerusalem oder Garizim geht, sondern um den wahren Anbetungsstil.
In der heutigen Zeit, der Zeit der wahrhaftigen Anbeter, geht es darum, dass zwei oder drei zu seinem Namen versammelt sind, und dann gilt die Verheißung: „Da bin ich in ihrer Mitte.“
Salomo baute den Tempel in Jerusalem (2. Chronik 6). Nach der Vollendung kam die Herrlichkeit Gottes in Form einer Wolke und erfüllte den Tempel.
Gott zeigte seine besondere Gegenwart an diesem Ort, obwohl er allgegenwärtig ist.
Dort, wo Gott wohnte, konnte man ihn auf besondere Weise erleben.
Wo zwei oder drei zum Herrn versammelt sind, da ist er in ihrer Mitte und teilt sich durch sein Wort besonders mit.
Die Königin von Saba kam aus Jemen, einer weiten Reise durch die Wüste, nach Jerusalem.
Sie sagte zu Salomo, dass das, was sie sah, das Gerücht übertraf.
Normalerweise übertrifft ein Gerücht das, was man vorfindet, aber hier war es anders.
Die Königin erkannte den Herrn, weil sie an den Ort kam, wo der Herr seinen Namen wohnen ließ.
Der Apostel Paulus sagt in 1. Korinther 12, wenn ihr zusammenkommt, und in 1. Korinther 14, Vers 24:
„Wenn alle weissagen und ein Ungläubiger oder Unkundiger kommt, so wird er von allen überführt, das Verborgene seines Herzens offenbar, und er wird auf sein Angesicht fallen, Gott anbeten und verkündigen, dass Gott wirklich unter euch ist.“
Gott ist allgegenwärtig, aber wenn die Gemeinde zu ihm versammelt ist, lässt er sich auf besondere Weise erfahren.
Das ist eine Verheißung.
Abschluss und Ausblick
Ja, dann wollen wir an dieser Stelle zum Schluss kommen. Vielleicht noch etwas.
Es war eine große Überraschung für die Jünger, als der Herr sagt: „zwei oder drei“. Denn um eine Synagoge zu sein, muss man wie viele sein? Zehn. Man nennt diese Zahl Minjan. Das heißt Zahl, aber gemeint ist die Zehnerzahl, der Minjan umfasst zehn Männer. Sonst ist man keine Synagoge.
Ich habe das schon an der Klagemauer erlebt. Dort waren ein paar Orthodoxe, und sie hatten offensichtlich den Minjan nicht zusammengebracht. Dann haben sie mich geholt, ob ich auch noch mitmache. Die Klagemauer wird als Synagoge unter freiem Himmel gesehen. Dort müssen sich Gruppen zusammentun, um den Minjan zu bilden.
Ich bin da nicht beigetreten, und die Begründung kann man in Hebräer 13 nachlesen. Aber was ich sagen will: Das war das Ministerium. Das wird durch die Rabbiner mit 1. Mose 18 begründet. Gott sagt Abraham, dass er Sodom zerstören wird. Abraham bittet: „Herr, du willst doch nicht den Gerechten mit den Ungerechten wegraffen.“ Vielleicht sind da noch fünfzig Gerechte. Gott antwortet, wenn fünfzig Gerechte da sind, werde er Sodom verschonen.
Aber es könnte ja sein, es sind nur fünfundvierzig. Auch dann werde er verschonen. Abraham geht herunter bis auf zehn, und dann sagt der Herr: „Wenn zehn Gerechte sind, werde ich Sodom verschonen.“ Und dann ging Sodom in Flammen auf.
Das heißt also, das Zeugnis von zehn Gerechten in einer Stadt hätte ausgereicht, dass die Stadt verschont wird. Daraus haben wir abgeleitet, dass das anerkannte Zeugnis von Gott in einer Stadt zehn Leute sind.
Und jetzt sagt der Herr bei der Gemeinde: „zwei oder drei“. Das war eine Sensation, denn es braucht nicht die Zehnerzahl als Minimum, sondern zwei oder drei würden schon reichen.
Die Jünger erlebten da eine gewaltige Überraschung, wie sie dann auch im nächsten Abschnitt wieder eine Überraschung erleben werden. Aber das ist für nächstes Mal.