Einführung in die Fragestellung zu Hesekiels Verhalten
Und Kapitel drei zur vierten Frage: Peter liest um all die Frage, inwiefern Ezekiels Verhalten höchst eigenartig sein sollte. Die Frage bezieht sich hier auf den letzten Abschnitt, den wir gerade noch gelesen haben, nämlich Kapitel 3, Verse 22 bis 27.
Diejenigen, die bereits Vorarbeit geleistet haben, können uns vielleicht weiterhelfen. Hat jemand etwas gefunden? Die Geschichte mit dem Stummwerden, weil die Zunge angeklebt ist, und das selbst auferlegte Fesseln, ist ja eine sehr merkwürdige Geschichte, besonders für einen Profi.
Ja, ganz genau. Wie ist es wohl genau gemeint gewesen? Was ist da geschehen mit seiner Zunge, mit seinem Sprechen? Heute würde man sagen, es handelte sich um eine temporäre Sprachlähmung.
Ja, gut, aber wie hat sich das geäußert? Wie haben die Leute das damals erlebt? Wann hat er gesprochen, und wann nicht? Er sprach nur, wenn Gott ihm befohlen hatte, etwas zu sagen. Dann sprach er göttliche Botschaften. Sonst war der Mann stumm. Und das ist schon eigenartig.
War das im ganzen Leben von Ezekiel so? Wie lange dauerte das? Während der Lagerungszeit, die er ausführen musste?
Nein, es war sogar länger. Später wird darauf zurückgekommen. Wie lange genau? Bis jemals an ihn gefallen ist. Aber Jerusalem ist gefallen wann? Im Jahr – das war ein Eckdatum, das kann man sich ruhig merken. Es war im Jahr 586. Der Fall Jerusalems.
Hier sind wir also Jahre davor. Hesekiel wurde schon in den Neunzigerjahren zum Propheten berufen. In Kapitel 24, also viel, viel später, wenn man Hesekiel so zum ersten Mal durchliest, kommt das Thema mit dem Stummsein wieder zur Sprache.
Die Bedeutung der Sprachlähmung Hesekiels
Ezechiel 24 kann jemand mal lesen, Verse 25-27:
„Und du, Menschensohn, siehe an dem Tage, da ich von ihnen wegnehmen werde ihre Stärke, die Freude, die Lust ihrer Augen und die Sehnsucht ihrer Seelen, ihre Söhne und ihre Töchter. An jenem Tage wird ein Entronnener zu dir kommen, um es deinen Ohren vernehmen zu lassen. An jenem Tage wird dein Mund aufgetan werden gegen einen Entronnen, und du wirst reden und nicht mehr verstummen. So sollst du ihnen zu einem Wahrzeichen sein. Und sie werden wissen, dass ich der HERR bin.“
Also, zur Zeit, wenn der Tempel in Jerusalem die Lust ihrer Augen, die Freude ihrer Pracht ist – das bezieht sich auf den Tempel Salomos – wenn Jerusalem und der Tempel fallen, dann soll Ezechiel plötzlich wieder frei sprechen können.
Das war also im Jahr 586 v. Chr., aber der Prophet wurde schon 593 v. Chr. berufen. Dieses eigenartige Verhalten, das Schweigen, dauerte also mehrere Jahre.
Und dann noch eine Stelle, Kapitel 33, Verse 21 und 22:
„Und es geschah im zwölften Jahr unserer Wegführung, im zehnten Monat, am fünften des Monats, da kam ein Entkommener aus Jerusalem zu mir und sagte: ‚Die Stadt ist geschlagen.‘ Und die Hand des HERRN war am Abend über mich gekommen vor der Ankunft des Entkommenen, und er hatte meinen Mund geöffnet. Auf dem Augenblick hin, als jener am Morgen zu mir hereinkam, wurde mein Mund wieder geöffnet, und ich war nicht mehr stumm.“
Ja, also von da an, mit dem Bericht vom Fall Jerusalems, wird Ezechiel von seiner Stummheit befreit.
Das sind also etwa dreizehn Jahre, mehr oder weniger. Nein, genauer gesagt von 593 bis 586 v. Chr.
Gut, und wir finden in diesem Abschnitt wieder eine gewisse Wiederholung.
Die Erscheinung der Herrlichkeit Gottes und Hesekiels Reaktion
Hesekiel sah erneut die Herrlichkeit des Herrn, und zwar dieselbe Erscheinung wie in Kapitel 1. Es ist die Schechina, die Wolke der Herrlichkeit Gottes, und darunter die Cherubimengel mit Rädern, die den Thron Gottes tragen. Auf dem Thron sitzt einer, der aussieht wie ein Mensch.
Diese Erscheinung sieht er nochmals, und seine Reaktion ist genau dieselbe wie am Schluss von Kapitel 1. In Hesekiel 3,23 heißt es am Ende: „Und ich fiel auf mein Angesicht nieder.“ Genau das Gleiche, was wir im Kapitel 2 gesehen haben, geschieht hier im nächsten Vers: „Und der Geist kam in mich und stellte mich auf meine Füße.“
Hesekiel sieht also die Herrlichkeit und Größe Gottes und fällt nieder, um ihn anzubeten. Das Niederfallen auf sein Angesicht vor Gott zeigt, dass der Mensch sich seiner Kleinheit vor der Herrlichkeit Gottes neu bewusst wird. Doch der Geist stellt ihn wieder auf die Füße, sodass er wieder aufrecht stehen kann.
Gott will einerseits das Bewusstsein in uns wecken, wie klein wir vor seiner Größe sind. Andererseits aber auch das Bewusstsein der Würde des Menschen, der Gott annehmen darf. Deshalb wird Hesekiel auf die Füße gestellt.
So haben wir beides: Einerseits den Dienst der Anbetung gegenüber Gott, bei dem der Mensch niederfällt, und andererseits den Dienst gegenüber den Menschen. Hesekiel wird auf die Füße gestellt, damit er gehen kann und die Botschaft Gottes weitergibt.
Er steht also auf. Das bedeutet zum einen das Bewusstsein unserer Kleinheit vor Gott, aber auch das Bewusstsein der Würde, die wir durch den Glauben haben.
Der Titel „Menschensohn“ und seine Bedeutung
Hesekiel wird genauso angesprochen, wie wir es bereits gesehen haben, nachdem er in Kapitel 2 auf die Füße gestellt wurde. Auch hier, in Vers 25, heißt es wieder: „Und du, Menschensohn!“
Weiß noch jemand, was wir damals in Verbindung mit dem Titel „Menschensohn“ gesagt haben, der ja so typisch für das Buch Hesekiel ist? Man kann diesen Ausdruck auch in der Mehrzahl sehen, also als „die Menschen“. Deshalb ist er auch ein Menschensohn, im Gegensatz zu Christus, wo der Begriff in der Einzahl verwendet wird.
Gut, „Sohn des Menschen“ und „Sohn der Menschen“ – diese Ausdrücke haben wir unterschiedlich. Der Ausdruck „Sohn des Menschen“ beziehungsweise „Menschensohn“ ist ein Titel des Messias. Er ist als Sohn des Menschen zu verstehen, also als Sohn der Jungfrau Maria.
Im Gegensatz dazu werden die Menschen als „Söhne der Menschen“ bezeichnet, zum Beispiel im Epheserbrief Kapitel 3, weil wir alle einen menschlichen Vater und eine menschliche Mutter haben.
Aber was bedeutet der Ausdruck „Menschensohn“ an sich? Es bedeutet schlicht „Mensch“. In den semitischen Sprachen wird der Begriff „Sohn“ in vielen Verbindungen benutzt und bezeichnet eine bestimmte Kategorie. Ein Menschensohn ist also ein Wesen, das zur Kategorie der Menschen gehört, also einfach ein Mensch.
Dieser Ausdruck kommt in Hesekiel 93 Mal vor. In der ganzen Bibel erscheint er 107 Mal im Alten Testament. Das zeigt uns, wie typisch dieses Wort für Hesekiel ist.
Wir lernen dadurch, was ein wahrer Mensch ist. Wahre Menschen sind wir dann, wenn wir von Gottes Herrlichkeit überwältigt sind und uns in Anbetung vor ihm beugen. Andererseits sind wir wahre Menschen, wenn wir durch die Kraft des Heiligen Geistes die Würde erhalten, Gottes Botschaft anderen weiterzugeben.
So ist es ganz parallel zu Kapitel 1 und 2, wo dieses Thema wieder auftaucht: Einerseits fallen und andererseits aufstehen.
Der Messias und der Menschensohn-Titel im Neuen Testament
Ist dazu noch irgendeine Frage oder eine Ergänzung zu diesem Abschnitt? Eben, der gleiche Titel wird auch für den verheißenen Erlöser verwendet.
Bei Matthäus 16 fragt Jesus: „Was sagen die Menschen, dass ich der Sohn des Menschen bin?“ Ja genau, das nimmt Bezug auf Daniel 7, zum Beispiel Psalm 8 und noch einige andere Stellen, in denen der Messias „Sohn des Menschen“ genannt wird.
Ja, und das verstehe ich nicht, Roger: Dann hätte er ja gefragt, was die Menschen sagen, ob er der Messias sei. Wenn er sagt, er sei der Messias, dann hätten die Menschen keine Wahl mehr, dann ist er der Messias. Oder verstehe ich das falsch?
Ah nein, in den Evangelien nennt sich Herr Jesus sehr oft „Menschensohn“. Das ist seine Selbstbezeichnung. Aber es ist auch ein Titel des Messias. Er will wissen, was die Menschen über ihn denken. Oder? Das ist die Frage.
Was man vielleicht noch sagen kann zum Titel „Menschensohn“ als Titel für den Herrn Jesus: Für uns ist das eigentlich ein Ehrentitel. Er zeigt, dass er der Sohn Gottes ist, der am Menschengeschlecht teilnehmen wollte. Er wollte zur Menschheit gehören. Das Wunder der Menschwerdung Gottes wird dadurch betont, dass er diesen Titel „Menschensohn“ trägt. Es zeigt, dass Gott ein wirklicher Mensch geworden ist.
Sprachliche Differenzierung von „Menschensohn“ und „Sohn des Menschen“
Noch etwas? Ich habe mal gehört, dass es einen Unterschied zwischen "Menschensohn" und "Sohn des Menschen" geben soll, dass darin eine Differenzierung steckt.
Es ist so: Auf Hebräisch gibt es eigentlich zwei Wörter. Es gibt nicht ein Wort für "Menschensohn", sondern "Ben Adam" heißt „Sohn des Menschen“. Es kann aber auch mit „Sohn der Menschen“ übersetzt werden, weil "Adam" ein Kollektivausdruck ist. Es gibt keine Mehrzahlform für dieses spezielle Wort auf Hebräisch. Deshalb kann "Ben Adam" sowohl „Sohn des Menschen“ als auch „Sohn der Menschen“ bedeuten.
Tatsächlich finden wir im Neuen Testament, wo die Sprache Griechisch ist, die Bezeichnung für die Menschen als „die Söhne der Menschen“ (zum Beispiel in Epheser 3). Das passt auf uns, weil jeder von uns von zwei Menschen abstammt, von einem Menschenpaar.
Wenn es aber auf den Herrn Jesus Christus bezogen wird, steht im Neuen Testament immer „Sohn des Menschen“ in der Einzahl, weil er nur von einem Menschen abstammte, nämlich von Maria. Insofern wird im Neuen Testament geklärt, was alttestamentlich noch zweideutig ist. Denn wenn "Adam" für sich nicht ganz klar ist, ob es „Sohn des Menschen“ oder „Sohn der Menschen“ heißt, dann bedeutet "Menschensohn" eigentlich beides. Man kann ja sagen „Sohn des Menschen“ oder „Sohn der Menschen“ – das ist im Deutschen die Wendung „Menschensohn“.
Ja, genau, das ist eine deutsche Wendung. Wir können Wörter zusammensetzen, was auf Hebräisch sehr unüblich ist. Darum können wir das schöne Wort „Menschensohn“ benutzen, aber dadurch wird es ungenauer.
Wird dadurch ungenauer? Ja.
Und an welcher Stelle steht jetzt zum Beispiel „Ben Enasch“? „Bar Enasch“ in Daniel 7,13. Das ist Aramäisch. Daniel Kapitel 2 bis 7 ist im Grundtext aramäisch geschrieben.
Es heißt das Gleiche, nämlich ganz eindeutig „Sohn eines Menschen“.
Ich habe hier in meinen Fußnoten zum „Menschensohn“ einen Verweis auf Psalm 4, Vers 3. Dort steht aber witzigerweise „Herrensöhne“, zumindest in meiner Übersetzung.
Welche Stelle genau? Psalm 4, Vers 3? Ja, dort heißt es bei mir „Ihr Herrensöhne“.
Das ist ein anderer Ausdruck. Er ist in der Fußnote verwandt. Das bewunderte mich gerade, weil Sie sagten, Psalm 6 käme vor. Ich habe Psalm 8, Psalm 8, ach so, ich habe Psalm 6 gesucht, und Sie sagen Psalm 4? Psalm 4,3-4.
Ja, klar, genau. Ich sage Gott, was es ist: Dort steht „Herrensöhne“, „Wie lange bleibt eure Weltentscheidung?“
Vielleicht sollte nur dargestellt werden, dass mit „Herrensöhne“ eine Mehrzahl gemeint ist. Das heißt „benei isch“. „Isch“ heißt Mann. Also „Sohn des Mannes“.
„Isch“ hat oft den Sinn von Mann, hochgestellter Mann. Die „benei isch“ sind also hochgestellte und dann eben auch eingebildete Leute.
Aber es ist nicht dasselbe wie „Ben Adam“.
Gut, ist das soweit klar oder gibt es noch eine Frage?
Übergang zu Kapitel 4 und das Theaterspiel des Propheten
Dann gehen wir weiter in Hesekiel Kapitel 4. Sie haben beim vorletzten Mal irgendetwas erzählt, und ich habe einfach den Klang „Ben Enoch“ im Ohr. Gibt es den nicht? Nein. Ja, natürlich, ich weiß warum.
Psalm 8 verwendet den Begriff in der Mehrzahl. Dort sagen Sie doch, dass das der Mensch ist, der durch die Sünde verderbt ist. Denn Ben Adam ist der Mensch, wie er aus der Hand Gottes herrscht. Richtig. Schlagen wir noch einmal auf: Psalm 8, Vers 5 beziehungsweise 4, je nach Bibelübersetzung. Dort heißt es: „Was ist der Mensch, dass du sein gedenkst, und des Menschensohn, dass du auf ihn Acht hast?“
„Was ist der Mensch?“ Das heißt: Was ist der Enoch? Aber nicht Ben Enoch, einfach Enoch. Das ist der Mensch mit dem Nebenbegriff sterblich, sündig, böse. Ganz genau, das ist der Mensch schlechthin. Und dann wird als Gegensatz gesagt: „Und was ist der Ben Adam?“ Das ist der Messias, auf den du siehst. Das ist also ein ganz echter Unterschied.
Das ist der Unterschied, ja. Und eben hebräisch ist es Enosch, und in Daniel 7,13 ist es aramäisch Enasch. Wenn das jetzt im Hebräerbrief zitiert wird und beides auf den Herrn Jesus gilt, dann wäre das im ersten Fall eben das für uns zur Sünde Gemachte? Nein, im Hebräerbrief wird nicht beides auf ihn bezogen, sondern einfach der Begriff Menschensohn.
Im Hebräerbrief 2, Vers 6 wird es einfach zitiert: „Es hat aber irgendwo jemand bezeugt und gesagt: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, oder des Menschensohn, dass du auf ihn siehst?“ Aber da wird nicht der Ausdruck „der Mensch“ auf Jesus Christus bezogen. Es geht dann darum, dass der Menschensohn aus Psalm 8 jetzt der Herr Jesus ist, der verherrlicht ist. Das wird also ganz klar neutestamentlich auf ihn bezogen, aber nicht der Mensch, denn das kann sich nicht auf ihn beziehen. Enosch ist der sündige Mensch.
Gut, noch etwas: Kann denn das Wort Ben Adam auch auf Gläubige angewendet werden? Oder kommt es gar nicht so vor? Ja, gerade in Hesekiel wird der Prophet mit Ben Adam angesprochen, und zwar 93 Mal. Das ist aber typisch für Hesekiel, denn die anderen 14 Mal, wo das Wort vorkommt, sind im Rest des Alten Testaments.
Das Buch Hesekiel, das mit dem tiefen Eindruck der Größe und Herrlichkeit Gottes beginnt, zeigt uns, was ein Mensch ist. Das ist der Mensch, der sich unmittelbar vor Gott beugt, ihn anbetet und dann zum Dienst berufen wird. Das ist nach Gottes Gedanken ein wahrer Mensch.
Das Theaterspiel Hesekiels als Gottes Auftrag
Gut, jetzt kommen wir zu Kapitel vier. Auch hier finden wir etwas Eigenartiges. Was denkt man über das Theaterspielen des Propheten? Wie sollen wir uns erklären, dass Gott ihm solche Aufträge gibt? Anstatt einfach nur zu predigen, soll er Theateraufführungen machen – und das sogar über eine längere Zeit hinweg.
Nicht nur in Kapitel vier, sondern auch in Kapitel fünf geht das sogar noch weiter. Wie erklärt ihr euch das? Ist das nicht ein Widerspruch? Man soll das Wort predigen, aber alles Visuelle weglassen – ganz im Sinne des Lutherliedes: „Das Wort, sie sollen lassen stehen und keinen Dank dafür haben.“
Ihr seid am Ball. Ezekiel wurde ja klar gesagt, dass er eine schwere Aufgabe haben würde. Zwar werde er nicht zu einem Volk sprechen, das eine ganz schwierige Sprache hat. Das ist oft eine fast unüberwindbare Barriere, besonders im Missionsdienst. Das soll hier nicht der Fall sein. Aber dafür soll das Publikum widerspenstig sein, nicht hören wollen.
Ja gut, dann könnten wir sagen: Wenn sie nicht hören wollen, dann lassen wir es. Doch genau das ist Ausdruck der tiefsten Gnade Gottes. Er gibt Ezekiel den Auftrag – er soll nicht nur dürfen, sondern er soll gewisse Dinge tun, um dennoch ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Das ist schon eine aktuelle Botschaft, denn die Parallelen sind gewaltig. Auch wir haben hier in Europa keine großen Sprachbarrieren zu überwinden, nicht einmal in unserem eigenen Land. Das ist nicht das Problem. Aber wir wissen, dass wir eine Gesellschaft um uns haben, die nicht mehr sensibel für Gottes Wort ist.
Wären Parallelen hierzu das Reden in Gleichnissen bei Jesus, weil die Menschen auch nicht hören wollten? Eher ein Gegensatz. In Matthäus 13 sagt der Herr, dass er jetzt in Gleichnissen spricht, damit sie hörend nicht hören und nicht verstehen. Das war also ein Gericht, weil sie die Botschaft nicht mehr verstehen wollten.
Hier aber ist es gewissermaßen noch Gnade, damit die Aufmerksamkeit erweckt wird.
Anschauliche Darstellung im Alten und Neuen Testament
Nun stellt sich natürlich immer die Frage, wie wir das auf die heutige Zeit übertragen können. Gott hat Hesekiel einige solcher Anweisungen gegeben, die konkret für seine Zeit und seine Situation galten. Wie können wir diese übertragen?
Ich habe auch schon gehört, dass jemand argumentiert hat, heute dürfe man sicher nichts mehr darstellen, das gehöre ins Alte Testament. Dem habe ich entgegnet: In Apostelgeschichte 21 finden wir ein Beispiel, das dem widerspricht. Schauen wir uns Apostelgeschichte 21, Verse 10 und 11 an:
„Als wir nun mehrere Tage blieben, kam ein Prophet mit Namen Agabus von Judäa herab. Er kam zu uns, nahm den Gürtel des Paulus, band sich die Füße und die Hände und sprach: ‚Dies sagt der Heilige Geist: Den Mann, dem dieser Gürtel gehört, werden die Juden in Jerusalem so binden und in die Hände der Nationen überliefern.‘ Als wir dies hörten, baten wir sowohl ihn als auch die Einheimischen, dass er nicht nach Jerusalem hinabgehen möge.“
Hier sehen wir also einen neutestamentlichen Propheten, der ebenfalls ein sichtbares Zeichen – in diesem Fall den Gürtel – benutzt, um seine Botschaft zu übermitteln. Man sagt oft, das sei etwas ganz anderes. Was wir jedoch sagen können, ist, dass sowohl im Alten als auch im Neuen Testament Beispiele zu finden sind, in denen etwas anschaulich vorgeführt wurde.
Dabei ist wichtig zu betonen, dass all diese Aufführungen eigentlich sehr schlicht waren. Es geht nicht um pompöse Darstellungen. Was ist schon besonders daran, einen Gürtel zu nehmen und sich damit Hände und Füße zu binden? Das ist keine aufwändige Theateraufführung mit Laser, Bombenrauch oder Ähnlichem. Nichts davon ist nötig oder gar schlecht.
Agabus nutzte diese einfache Handlung, um das gesprochene Wort zu unterstreichen, nicht um es zu ersetzen. Hesekiel selbst hatte ja auch eine Botschaft, die wir schriftlich in seinem Buch vorliegen haben. Die einfachen Aufführungen, die er machte, sollten Aufmerksamkeit erregen und das gesprochene Wort unterstreichen.
Es war also sicher nicht so, dass das Bild das Wort erschlagen sollte, denn das Evangelium ist das Wort Gottes. Dennoch sehen wir, dass es prinzipiell nichts Falsches daran ist, wenn etwas Anschauliches dazu dient, das Wort verständlicher zu machen und zu betonen.
Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Evangelist steht in einer Fußgängerzone auf einem Stuhl und hält ein Schild hoch mit der Aufschrift „Ich bin ein höheres Wesen“. Er wartet darauf, dass die Leute ihn ansprechen. Wenn sie das tun, kann er mit ihnen über den Glauben sprechen. Die Leute sprechen doch von einem höheren Wesen – und er ist auch eins. So kann er mit den Menschen ins Gespräch kommen.
Oder derselbe Evangelist hat auch schon ein Bett in der Fußgängerzone aufgestellt, ist hineingeliegen und hat daneben ein Schild mit der Aufschrift gehabt: „Wer Jesus nicht kennt, hat das Leben verpennt.“ Die Botschaft ist ganz klar und kommt an.
Das würde ich sagen, ist ganz auf der Linie von Hesekiel. Aber das Wort spricht sicher nicht für diejenigen, die so drastische Dinge bringen, dass schließlich das Bild das Wort erschlägt. Vielmehr soll es das Wort unterstützen.
Die Rolle von anschaulichen Mitteln in der Predigt
Kann man in diesem Zusammenhang vielleicht noch Galater 3,1 anführen? Dort finden wir einen Ausdruck, der in eine ähnliche Richtung geht. Es heißt: „O unverständlicher Galater, wer hat euch bezaubert, der in Jesus Christus als Unterweisung euch vor Augen gemalt wurde?“ Inwieweit kann man das bildlich verstehen oder wie viel kann man da hineinlegen?
Der Ausdruck „vor Augen gemalt“ bezeichnet an sich die anschauliche Rede. Er drückt aus, dass Paulus so gepredigt hat, dass die Leute das Gehörte wirklich realistisch vor sich sehen konnten. Das kann man durchaus mit hineinbringen.
Wie soll man predigen? Zum Beispiel sollen die Hände auch eine Rolle spielen? Natürlich! Wir haben Hände bekommen. Es gibt Völker, die können das besser als andere. Wir wissen, dass die Italiener von Natur aus viel mehr mit den Händen sprechen. Aber das sind Mittel, die auch in der Predigt von Bedeutung sind. Wenn sie das Wort unterstreichen können, dann ist es nützlich.
Dazu hat Gott uns solche Mittel gegeben, damit wir anschaulich hinüberbringen können. Es geht auch in diese Richtung. Unser Sprechapparat ist so wunderbar von Gott konzipiert. Wir können ganz verschiedene Arten von Sprache wählen. Wir können von unterschiedlichen Stimmlagen Gebrauch machen, schnell sprechen oder flüstern. Es gibt so viele Nuancen, und all das dürfen wir ausnutzen in der Predigt, wenn es nur hilft, das Wort Gottes anschaulicher, eindrücklicher und verständlicher zu übermitteln.
Es geht nicht darum, dass man einen Verkäufer-Rhetorikkurs besucht haben muss, bevor man predigen kann, um die Dinge „verkaufen“ zu können. Nein, es sind die Mittel, die Gott uns in unserer Natur gegeben hat. Wenn sie das Wort Gottes unterstreichen und helfen, es rüberzubringen, dann ist das absolut biblisch, wie Paulus eben „vor Augen gemalt“ hat.
Vielleicht gibt es Leute, die denken, es sei besonders geistlich, wenn man ganz monoton spricht, immer auf der gleichen Tonhöhe. Aber das ist nicht geistlicher. Oder es ist einschläfernd. Ja, natürlich. Gott hat uns nicht eine solche Vielfalt an Möglichkeiten mit unserer Sprache gegeben, wenn er nicht wollte, dass wir sie nutzen.
Daher kommt ja auch gerade dieses Gleichmäßige und Eintönige, das man „psalmodieren“ nennt. Ja, ganz genau. Und das Monotone schläfert ein. Ähnlich wie das tibetanische „Omanebatmob“ – all diese gleichmäßigen Töne.
Die Symbolik der 390 Tage und 40 Jahre in Hesekiels Darstellung
Ich habe noch einmal eine Frage zu dem Zeitpunkt, diesen 390 Tagen beziehungsweise Jahren: Ab wann rechnet Gott die Untreue Israels? Von welchem Zeitpunkt aus sind die 390 Jahre zurückzurechnen? Wer war 390 Jahre vor diesem Punkt?
Darauf möchte ich sowieso noch eingehen. Vielleicht nehmen wir zuerst die erste Demonstration und besprechen diese, bevor wir auf die Tage kommen.
Also, die erste Vorführung können wir kurz zusammenfassen: Was musste er machen? Wir fassen es einfach in anderen Worten zusammen.
Er soll auf einem Stein die Stadt Jerusalem zeichnen. Die Kinder werden am Strand Belagerungstürme bauen, einen Belagerungswall errichten, ein Heerlager aufstellen – was auch immer das sein mag –, also Soldaten basteln und Sturmböcke errichten. Das Ganze soll dabei links herum geschehen.
Das mit der eisernen Pfanne habe ich nicht verstanden.
Jawohl, irgendwie muss man noch eine eiserne Pfanne nehmen und diese zwischen die Stadt und sich selbst stellen.
Man stellt sich da vielleicht eine Bratpfanne vor, aber es könnte etwas anderes sein.
Ja, es muss etwas Massives aus Metall gewesen sein, das gewissermaßen wie eine Trennwand wirkt.
Wie der eiserne Vorhang.
Genau. Was das jetzt bedeutet, wollen wir gleich noch besprechen.
Also, so muss er das vorspielen.
Aber wir sehen, dass es einfache Mittel sind, und es sind auch Mittel, die bald zur Hand waren.
Einen Ziegelstein kann man schnell holen, eine Bratpfanne ebenfalls. Man muss also nicht speziell große Handwerkskunst bemühen. Es sind im Prinzip einfache Dinge.
Es gibt ein Buch mit Tipps, wie man etwas anschaulich darstellen kann. Das Buch ist so konzipiert, dass es immer einfache Dinge sind, die man meistens im Haushalt zur Hand hat.
Es geht wirklich nicht um Pompöses, aber wenn solche Dinge helfen können – gerade auch für Kinderarbeit und Ähnliches –, dann kann das sehr, sehr hilfreich sein.
Ezechiel ist uns also ein Beispiel dafür, dass wir ruhig mit solchen Dingen arbeiten dürfen.
Die symbolische Bedeutung der eisernen Pfanne und der Trennung von Gott
Es geht darum, dass Hesekiel die endgültige Belagerung vorstellen soll, die ein Jahr später kommen wird. Diese Belagerung führt zur Verwüstung der geliebten Stadt Jerusalem.
Das Bild mit der Pfanne erinnert an Jesaja 59. Dort stellt Jesaja sich zwischen die Stadt und Gott. Er ist Gottes Sprachrohr, und die Stadt steht für das Volk Israel, das nicht hört.
Jesaja 59,1-2 sagt: „Ziehe die Hand des Herrn nicht zurück, sie ist nicht zu kurz, um zu retten, und sein Ohr nicht zu schwer, um zu hören. Aber eure Missetaten haben eine Scheidung gemacht zwischen euch und eurem Gott, und eure Sünden haben sein Angesicht vor euch verborgen, sodass er nicht hört.“
Diese Verse drücken die Mauer der Trennung zwischen dem sündigen Menschen und Gott aus. Weil diese Trennung nicht beseitigt wird, muss Jerusalem zugrunde gehen. Das ist eine sehr drastische Aussage.
Die Verbindung zu Klagelieder und Jeremia
Und wenn wir in Klagelieder Kapitel 3 lesen, wo Jeremia, der weinende Prophet, den Untergang Jerusalems beweint und beklagt, findet sich in den Versen 43 und 44 ein eindrucksvolles Bild: "Du hast dich im Zorn gehüllt und hast uns verfolgt, du hast hingemordet ohne Schonung, du hast dich in eine Wolke gehüllt, sodass kein Gebet hindurchkam."
Hier wird von einer Wolke gesprochen, die in Hesekiels Sprache einer eisernen Mauer entspricht – ein noch drastischeres Bild.
Klagelieder 3,44 lautet: "Du hast dich in eine Wolke gehüllt, sodass kein Gebet hindurchkam."
Man könnte auch einen Zusammenhang sehen zu Jesaja 1, Vers 18, wo der Herr zu ihm sagt: "Ich sehe, ich mache dich heute zu einer eisernen Säule im ganzen Land."
Gut, dort ist der Unterschied, dass es um Metall geht, aber um eine Säule. Hier hingegen handelt es sich gewissermaßen um eine Trennwand.
Das ist ein anderes Bild: Die Säule drückt mehr aus, dass Jeremia von Gott eine Stabilität bekommen sollte, mit der er seinem Volk Widerstand leisten kann.
Bei Hesekiel hingegen geht es um die Mauer zwischen Gott und Jerusalem, um diese Beziehung auszudrücken.
Das sei ein Wahrzeichen für das Haus Israel.
Die zweite Vorführung: Symbolik der 390 und 40 Tage
Ezechiel 4,4 – die zweite Vorführung. Können wir kurz zusammenfassen, was dort geschah?
Zunächst muss sich Ezechiel hinlegen, und zwar auf seine linke Seite. Dort soll er so lange liegen bleiben, bis eine bestimmte Anzahl von Tagen vergangen ist – nämlich 390 Tage. Diese Zeitspanne steht symbolisch für die Schuld des Hauses Israel, die sich über viele Jahre erstreckt hat. Dabei gilt die Regel: Ein Tag entspricht einem Jahr Schuld.
Anschließend muss er sich auf die andere Seite legen und dort 40 Tage lang bleiben. Offensichtlich ist die Schuld Judas etwas geringer.
Die Frage ist nun: Worauf beziehen sich diese 390 Tage beziehungsweise diese 40 Tage? Wie bereits gesagt, beziehen sich die 390 Tage auf Israel. Das bedeutet: Israel steht hier im Gegensatz zu Juda. Israel ist das Nordreich, Juda das Südreich.
Damit haben wir auch schon die Erklärung für die Seiten, auf denen Ezechiel liegen soll: Links ist Israel, rechts ist Juda.
In der Sprache der Bibel ist die rechte Seite die Seite des Südens, die linke die des Nordens. Warum ist das so? Früher war das Weltbild anders. Man orientierte sich an der Stiftshütte, die nach Osten geöffnet war. Die aufgehende Sonne befand sich im Rücken, wenn man nach Westen blickte.
Wenn man also mit dem Rücken zum Osten steht, liegt rechts der Norden. Die Orientierung erfolgte immer am Orient, daher kommt auch der Begriff „orientieren“ von „Orient“.
Vorne ist der Osten, die aufgehende Sonne. Deshalb wird in der Bibel der Osten auch „Kedem“ genannt. Dieses Wort stammt von der Wurzel „Kadam“ und bedeutet „vorne sein“. Man orientiert sich also nach dem Osten.
Übrigens gibt es einen archäologischen Spezialatlas von Israel, in dem die Karten so ausgerichtet sind, dass Osten oben ist. Dieses Wissen hilft, manche Stellen in der Bibel bezüglich der Himmelsrichtungen besser zu verstehen.
Die geografische Orientierung in biblischer Zeit
Nur so nebenbei gesagt: Joel 2 können wir mal schnell aufschlagen. Dort wird die zukünftige Invasion Israels in der Großen Drangsal beschrieben. Lesen wir Joel 2,20: „Und ich werde den von Norden von euch entfernen und ihn in ein dürres und ödes Land vertreiben, und seine Vormut in das vordere Meer und seine Nachmut in das hintere Meer. Sein Gestank wird aufsteigen, und aufsteigen wird sein Verwesungsgeruch, denn groß getan hat er.“
Jawohl, jetzt haben wir hier das vordere Meer und das hintere Meer. Was ist das? Das muss dann das Tote Meer und das Mittelmeer sein. Ja, das vordere Meer ist das Tote Meer, das hintere Meer ist das Mittelmeer.
Aber das sind Ausdrücke, die man nicht verstehen könnte, wenn man nicht weiß, wie man sich in den biblischen Sprachen orientiert. Darum also das Rechts und Links: Das war für die Zuhörer damals kein Problem. Rechts weist eben hin auf den Süden, das Südreich Juda, links auf das Nordreich Israel.
Die Orientierung im Stiftzelt als Protest gegen Heidengötter
Wie kann man es einordnen, dass das Zelt genau umgekehrt ausgerichtet ist?
Das hängt damit zusammen, dass das Zelt der Zusammenkunft – wie auch der Stift – über hundertvierzig Mal erwähnt wird. Es geht dabei stets um eine Begegnung mit dem Schöpfergott. Deshalb sollte man der aufgehenden Sonne, die von den Heidenvölkern als Gott verehrt wurde, den Rücken zukehren.
Man muss darauf achten: Wenn man feiert oder einen Tempel besucht, sind die heiligen Tempel oft gerade umgekehrt orientiert, auch in Ägypten. Dort richtet sich derjenige, der in den Tempel kommt, mit dem Gesicht zur aufgehenden Sonne. Das sollte Israel nicht so machen.
Man kann sagen, dass das Heiligtum Gottes in der Wüste ein Protest und eine Demonstration gegen den Götzendienst der Heiden war. Israel wollte nichts mit diesen Sonnengöttern zu tun haben. Das Aufgehen der Sonne symbolisiert bei den Heiden immer das Aufleben eines Gottes. Wenn die Sonne untergeht, ist das ihr Tod.
Das Interesse der Heiden war daher immer besonders auf die aufgehende Sonne gerichtet. Sogar bei den Römern heißt es, die Sonne geht unter: „sol occidit“. Das bedeutet im Lateinischen „Die Sonne stirbt“.
Der Israelit hingegen dreht der aufgehenden Sonne den Rücken zu, weil er dem Schöpfergott begegnet und nicht der Schöpfung. Er orientiert sich völlig anders.
Die Verehrung der Sonne und der Respekt vor Gott
Ja, darum habe ich vorhin gesagt, wie man sich geografisch orientiert.
Wenn es aber um Anbetung geht, dann steht die Sonne, die aufgehende Sonne, im Rücken. Das wird uns noch in Hesekiel 8 beschäftigen, ich greife schnell voraus.
In Hesekiel 8 wird beschrieben, wie Hesekiel nach Israel gebracht wird, nach Jerusalem in den Tempel. Dort sieht er, welche Gräuel, welchen Götzendienst und welche Perversionen begangen werden.
Nun liest jemand Hesekiel 8,16: „Und er führte mich in den inneren Vorhof des Hauses Jehovas. Und siehe, am Eingang des Tempels Jehovas, zwischen der Halle und dem Altar, standen fünfundzwanzig Männer. Ihre Rücken waren dem Tempel Jehovas zugewandt, und ihre Gesichter waren nach Osten gerichtet. Sie bückten sich vor der aufgehenden Sonne.“
Merkt man die Perversion? Sie wenden dem Heiligtum, dem eigentlichen Tempelhaus, den Rücken zu. Und zwar genau dort, zwischen der Halle, der Vorhalle, und dem Altar. Sie schauen nach Osten, drehen also dem Gott Israels den Rücken zu, um die aufgehende Sonne zu verehren.
Die Bedeutung der Westmauer und die Ehrfurcht vor Gott
Und das ist übrigens auch in diesem Zusammenhang zu sehen. Wer schon an der Klagemauer war, dem ist aufgefallen, dass niemand direkt an der Klagemauer betet und sich dann einfach umdreht. Stattdessen geht man von der Klagemauer weg, hält einen bestimmten Abstand ein und dreht sich erst dann um. So möchte man Gott nicht den Rücken zukehren.
Das Gleiche war auch im Tempel zur Zeit der Evangelien der Fall. Der große Osteingang führte in den Vorhof zum Altar. Dieses riesige Tor, das sogenannte Nikanortor, benutzten die Männer, um hineinzugehen. Beim Verlassen gingen sie jedoch durch kleinere Türen weiter außen wieder hinaus. So kehrten sie dem eigentlichen Tempelhaus nicht den Rücken zu.
All das hängt miteinander zusammen. Es zeugt von einem großen Respekt, einer Ehrfurcht vor Gott. Genau das ist es, was heute leider oft vermisst wird.
Früher übernahmen das sogar weltliche Herrscher. Man verließ den Audienzraum rückwärts, um dem Herrscher nicht den Rücken zuzuwenden. Wie viel mehr gilt das, wenn es um Gott geht.
Wenn man vor der Klagemauer steht, blickt man praktisch nach Osten. In diese Richtung muss man sich nicht schnell drehen. Allerdings sieht man durch die Mauer selbst kaum nach Osten, die aufgehende Sonne ist hinter der Mauer verborgen. Das liegt daran, dass die Klagemauer als Überrest des einstigen Tempels die Mauer ist, die dem Allerheiligsten am nächsten liegt.
Das Allerheiligste befand sich nahe bei der Westmauer und weit entfernt von der Ostmauer. Deshalb ist man hier dem Ort der Gegenwart Gottes am nächsten. Darum besteht auch die besondere Vorliebe für die Westmauer, die Klagemauer.
Die Verehrung des Mondes und der Götzendienst
Ich habe noch eine Frage. Es geht ja nicht nur um die Verehrung der Sonne, sondern auch des Mondes. Gibt es dazu auch Hinweise über den Bau von Tempeln, die man in Österreich gefunden hat?
Ja, zum Beispiel in Ur in Chaldäa, wo Abraham herkam. Dort hat man die Zikkurat, diesen Stufenturm, ausgegraben. Er war dem Mondgott gewidmet. Ur in Chaldäa war ganz speziell der Mondverehrung vorbehalten. Daher kam auch Abraham.
Im Buch Josua, Kapitel 24, wird gesagt, dass die Vorfahren Israels jenseits des Stroms, also jenseits des Euphrat, anderen Göttern gedient haben. Aus diesem Umfeld der Mondverehrung kam Abraham.
Das Ganze ist natürlich auch heute sehr aktuell. Modern ist heute die Rückkehr zur Natur, das ökologische grüne Zeitalter. Es geht letztlich darum, dass die Natur mehr verehrt wird als Gott. Man kann wunderschöne Tierfilme sehen, und dabei hört man immer wieder Kommentare wie: „Die Natur hat der Hyäne so und so viele Muskeln im Hinterteil gegeben, das erklärt ihr Verhalten.“ Oder: „Die Natur hat Dauer gegeben.“ „Die Natur hat alles so wunderbar eingerichtet.“ Doch man hört nicht: „Gott, der Schöpfer, hat das alles so eingerichtet.“
Das heißt, man schreibt der Natur Dinge zu, die nur Gott zuzuschreiben sind. Und das ist reiner Götzendienst. Das wurde auch schon in der Aufklärungszeit vorbereitet, durch Jean-Jacques Rousseau mit seinem „Retour à la nature“ – „Zurück zur Natur“. Das war alles eine Vorbereitung auf das, was wir heute ernten.
Also wollen die Menschen heute zur Schöpfung zurückkehren und bereuen, was sie der Schöpfung alles Schlechtes angetan haben. Das ist gut, aber niemand spricht vom Schöpfer. Niemand sagt, dass man zu ihm zurückkehren muss und dass wir bereuen müssen, was wir ihm alles angetan haben.
Darum ist es Götzendienst. Diese Dinge haben uns heute noch sehr viel zu sagen. Ist unser Gesicht zum Schöpfer ausgerichtet oder zur Natur?
Pause und weitere Diskussion zu den 390 und 40 Jahren
Was mich immer wieder erschüttert, ist die allgegenwärtige Verehrung des Mondes. Es wird viel darüber gemacht, warum man dies oder jenes nicht tun soll, nur weil der Mond auf eine bestimmte Weise steht. Das finde ich problematisch. Ja, das ist reiner Götzendienst, natürlich.
Dazu gehört auch die ganze Astrologie mit den Sternstellungen. Es ist eine Verehrung der Natur und der Glaube an göttliche Kräfte in der Natur. Darum war das heidnische Gottesbild, das das Volk Israel in der Stiftshütte und später im Tempel hatte, so wichtig. Es war ein gewaltiges Zeugnis über der heidnischen Welt. Es war ein Protest, ein engagierter Protest gegen den Götzendienst.
Sprechen wir nun von den 390 Tagen der Ungerechtigkeit Israels und den 40 Jahren für Juda. Das ist eine sehr schwierige Stelle. Wenn man sich die Kommentare, auch alte, anschaut, wurde schon vieles vorgeschlagen, was diese Zahlen bedeuten könnten.
Man hat zum Beispiel gesagt, die 390 Jahre könnten die Zeit ab Salomos Tod bis zur Zerstörung Jerusalems sein. Doch das ergibt keine 390 Jahre, sondern weniger – nämlich 345 Jahre. Das passt also nicht.
Man dachte auch, die 40 Jahre könnten sich auf die Regierungszeit Salomos beziehen. Aber auch das stimmt nicht. Zudem stellt sich die Frage, warum es 40 Jahre für Juda und 390 Jahre für Israel sein sollen. Damals waren die beiden Königreiche ja noch vereinigt.
Genau, zur Zeit Salomos war das Königreich noch vereint. Es geht hier um die Ungerechtigkeit, aber Salomos Regierungszeit war gerade am Ende eine Blütezeit. Zwar wurde Salomo Gott untreu, doch man kann nicht sagen, dass die 40 Jahre eine Zeit der Untreue waren. Das passt also ebenfalls nicht.
Dann wurde versucht, einen Zusammenhang mit den 430 Jahren der Gefangenschaft in Ägypten herzustellen, wie sie in 2. Mose 12,40 erwähnt werden. Können wir das schnell aufschlagen? In 2. Mose 12,40 heißt es: „Die Zeit des Aufenthaltes der Söhne Israel, die sie in Ägypten zugebracht hatten, betrug 430 Jahre.“
430 Jahre – das wären 390 plus 40, oder? Ja. Aber auch hier gibt es ein Problem: Warum sind die Jahre aufgeteilt in 40 Jahre für Juda und 390 Jahre für Israel? Es ist interessant, dass die Gesamtzeit ungefähr der Zahl entspricht, die dort genannt wird.
Kyle, ich glaube, es war Kyle, hat argumentiert, dass die 40 Jahre insofern speziell waren, als dass Mose in der Wüste Midian 40 Jahre verbrachte. Die 390 plus 40 Jahre spielen also irgendwie eine Rolle. Die Verteilung auf Israel und Juda ist aber unbefriedigend.
Es gab auch den Gedanken, dass man in 5. Mose 25,3 die Höchststrafe von 40 Schlägen findet. 390 wären dann zehnmal 39. Paulus sagt in 2. Korinther 11,24, er habe von den Juden neunmal 40 Schläge weniger einen erhalten. Das war damals im Judentum die Höchststrafe: 40 Schläge minus einen, also 39.
Die Schläge wurden in zwei Drittel und ein Drittel eingeteilt. Zwei Drittel wurden auf den Rücken geschlagen. Die Peitsche bestand übrigens aus Eselsleder und Ringsleder – eine Anspielung auf Jesaja 1: „Ein Esel kennt seinen Herrn, und der Ochse kennt seine Krippe; aber Israel kennt mich nicht.“ Der Treulose, der gestraft werden muss, ist wie ein Esel oder Ochse.
Deshalb muss die Zahl der Schläge immer durch drei teilbar sein, so wie 39. Auch wenn es weniger war, musste die Zahl durch drei teilbar sein. So wären 390 Schläge die Strafe für die zehn Stämme – zehnmal 39. Der Königsstamm, aus dem der Messias kommen sollte, wäre besonders verantwortlich.
Alles schön und gut, aber hier wird nicht von Schlägen gesprochen, sondern von Tagen und Jahren. Obwohl die Zahlen ähnlich sind, besteht kein direkter Zusammenhang. Ich wollte damit nur zeigen, wie schwierig diese Stelle ist.
Die Schuld Israels und Judas in der Zeit der Zerstörung Jerusalems
Nun, der Zusammenhang ist ja deutlich. Die erste Vorführung, Kapitel 1 bis 3, behandelt die Belagerung und Zerstörung Jerusalems. Dabei gibt es gewissermaßen zwei Schuldner: einerseits das Haus Israel und andererseits das Haus Judah.
Man könnte die 390 Jahre speziell auf die Zeit des Götzendienstes beziehen. Dabei würde man nicht sagen, dass sie ab dem Tod Salomos gerechnet werden, sondern dass Gott die Jahre der Sünde Israels zusammenzählt. Diese Zeitspanne geht über Salomo hinaus und umfasst die gesamte Zeit seit der Landnahme im Land. In den 390 Tagen ist somit das Maß voll, und deshalb muss Jerusalem zerstört werden. Es handelt sich also um eine Addition aller Sündenzeiten von der Landnahme unter Josua an.
Ja, ganz genau. Das wäre eine Möglichkeit. Das Problem ist allerdings, dass wir diese Berechnung nicht nachprüfen können.
Doch das heißt nicht zwangsläufig etwas, wenn man etwas nicht nachprüfen kann. Zweitens ist interessant, dass Judah mit den 40 Tagen, die 40 Jahre bedeuten, auf die nächste Zerstörung Jerusalems hinweist. Schon der Talmud sagt, dass in den 40 Jahren vor der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 Gott die Opfer in Jerusalem nicht mehr annahm.
Zum Beispiel am großen Versöhnungstag, wenn der Hohe Priester mit Losen die Böcke auswählte, welcher Bock geschlachtet werden sollte, damit sein Blut ins Allerheiligste gebracht werden konnte: Das Los für den Bock „für Gott“ kam in den vierzig Jahren vor der Zerstörung Jerusalems immer in die linke Hand statt in die rechte. Rechts war das Zeichen, dass Gott das Opfer annimmt. Doch in diesen vierzig Jahren kam das Los immer links.
Auch wann man dem Bock, der in die Wüste geschickt werden sollte, folgte, ist interessant. Ich habe das nicht vollständig verstanden und möchte erklären, wie es genau ablief. Ich habe das schon früher erzählt, aber ich weiß nicht, ob das allen bekannt ist. Deshalb wollte ich nicht zu genau darauf eingehen.
Am Versöhnungstag wurde dem Hohen Priester eine Box gereicht. Vor ihm lagen zwei Ziegenböcke, die genau gleich sein mussten. Dann nahm er mit beiden Händen je ein Los aus der Box und legte sie den Böcken auf die Köpfe. Es handelte sich um aufklappbare Lose, auf denen stand „für den Herrn“ und „für den Bock, der weggeht“.
Wenn das Los „für den Herrn“ rechts kam, verstand man das als Zeichen, dass Gott Israel vergeben würde. Der Talmud sagt im Traktat Sanhedrin 39b und Joma 39b über den Versöhnungstag: „In den vierzig Jahren vor der Zerstörung Jerusalems kam das Los nicht mehr in die rechte Hand.“
Man wusste also, dass Gott nicht mehr vergibt.
Die Bedeutung der roten Schnur am Sündenbock
Wenn wir die Evangelien zur Hand nehmen, sehen wir, dass der Herr Jesus bereits vierzig Jahre vor der Zerstörung Jerusalems in Israel aufgetreten ist. Zu dieser Zeit begannen die Führer, Mordkomplotte gegen ihn zu schmieden.
Im Jahr 32 wurde Jesus gekreuzigt. Danach wurde das Opfer am Versöhnungstag nie mehr akzeptiert. Diese vierzig Jahre zwischen dem Auftreten Jesu und seiner Ablehnung durch die Führer spielen also eine ganz entscheidende Rolle vor der Zerstörung Jerusalems.
Gott gab Juda diese Zeit, diese vierzig Jahre, um nochmals umzukehren, wie wir in der Apostelgeschichte lesen. Jerusalem erhielt die große Chance, umzukehren – zum Beispiel durch die Predigt von Petrus am Pfingsttag und auch weiterhin.
Doch die große Masse nahm diesen Ruf zur Umkehr nicht an. Das Volk vor Pilatus schrie: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder.“
Hinzu kommt noch die Bedeutung des Sündenbocks, der in die Wüste gehen sollte. Man band ihm jeweils eine rot gefärbte Schnur um die Hörner. Dies geschah in Anspielung auf Jesaja 1,18: „Wenn eure Sünden rot sind wie Scharlach, sollen sie weiß werden wie Schnee.“
Der Talmud berichtet, dass man immer wieder erlebt hat, wie die rot gefärbte Schnur des Sündenbocks weiß wurde, wenn dieser in der Wüste starb. Dies galt als Zeichen Gottes: „Wenn eure Sünden blutrot sind, sollen sie weiß wie Schnee werden.“
Doch an derselben Stelle im Talmud wird gesagt, dass in den vierzig Jahren vor der Zerstörung Jerusalems die rot gefärbte Schnur nicht mehr weiß wurde.
Im Licht dessen ist der Schrei vor Pilatus „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ besonders erschreckend.
Die zwei Zerstörungen Jerusalems und ihre Bedeutung
Da haben wir also einerseits die Zerstörung Jerusalems wegen Götzendienstes zur Zeit von Hesekiel, und andererseits die Zerstörung Jerusalems im Zusammenhang mit der Verwerfung des Messias im Jahr siebzig.
Diese beiden Zerstörungen Jerusalems, die in der ganzen Bibel sehr eng miteinander verbunden sind, werden ein Schlüssel für alles Weitere sein. Hesekiel zeigt, dass wir diese beiden Zerstreuungen, die auf die Zerstörung folgten, zusammen betrachten müssen.
Denn schon die zehn Stämme wurden früher deportiert. All die Überläufer kamen nach Jerusalem, und dann erfolgte 586 v. Chr. die Deportation. Aber warum hat Gott nach siebzig Jahren die Möglichkeit gegeben, wieder zurückzukehren? Das war eine zweite Chance, denn der Messias musste aus dem Stamm Juda kommen. Das Volk sollte dem Messias im Land begegnen.
Er ist gekommen, wurde aber abgelehnt. Daraufhin kam die Zerstörung und die Wegführung, diesmal für fast zweitausend Jahre. In Hesekiel sehen wir oft, wie der Prophet über die Rückführung aus allen Völkern spricht. Aber wir finden auch die Rückkehr nach der Gefangenschaft in Babel. Diese beiden Rückführungen gehören ebenso zusammen wie die beiden Zerstörungen Jerusalems.
So haben wir hier quasi zwei Schuldenblöcke: Der erste Schuldenblock umfasst die dreihundertneunzig Tage, der andere die vierzig Tage. Beide beziehen sich auf die Zerstörung Jerusalems.
Jetzt folgt die nächste Darstellung ab Vers 9. Dabei geht es wieder um die Zerstörung Jerusalems, genauer gesagt um die Hungersnot, die während der Belagerung ausbrechen soll.
Beides hat es gegeben: die Hungersnot, als Nebukadnezar Jerusalem 586 v. Chr. zerstörte, und die Hungersnot, als die Römer unter Titus im Jahr siebzig nach Christus Jerusalem zerstörten. Beide Ereignisse sind also im genau gleichen Zusammenhang eingebettet.
Die Rationierung von Brot und Wasser in der Hungersnot
Wir können vielleicht mal unser Frageblatt zu Kapitel vier wieder zur Hand nehmen. Dritte Frage: Liest du das, Peter? Weshalb war die Ration nur etwa zweihundert Gramm Brot pro Tag, und weshalb nahm er lediglich sechs Deziliter Wasser zu sich? Wo steht das mit den zweihundert Gramm?
Das ist einfach, oder? Die Schekelbrote. In Vers zehn steht, die Tagesration soll zwanzig Schekel betragen. Das entspricht ungefähr dem Gewicht von zweihundert Gramm. Ein Sechstel davon entspricht etwa sechs Dezilitern, also 0,6 Litern.
Nun, die Antwort ist nicht schwer: Weil er die Hungersnot darstellen sollte, also eine Rationierung. Und ich meine, sechs Deziliter Wasser im Nahen Osten sind nicht genug Flüssigkeit. Zweihundert Gramm Brot – wer kann damit leben? Es ist also schon ein Wunder, dass er die dreihundertneunzig Tage mit dieser Ration überlebt hat.
Vielleicht hatte er eine gute körperliche Konstitution, ja. Die Wassermenge ist sowieso zu wenig. Man muss mindestens drei Liter Wasser trinken, wenn man nichts isst.
Aber er hat doch sicher nicht den ganzen Tag da gelegen, oder? Dreihundertneunzig Tage lang, jeden Tag vom Frühaufgang bis Sonnenuntergang?
Das kann natürlich sein. Uns wird ja nicht im Detail berichtet, wie er das ausgeführt hat – ob er zu gewissen Zeiten an einem Tag gekommen ist, um diese Vorführung zu machen, und dann wieder weggegangen ist. Es ist aber stark zu vermuten, dass es so war, oder? Diese Möglichkeit können wir auf jeden Fall offenlassen.
Über mir in der Fußnote steht, dass Ezechiel dieses Symbol jeden Tag einige Stunden lang ausführte, also nicht permanent 24 Stunden.
Ja, das ist eine mögliche Erklärung. Im Text selbst können wir das nicht entnehmen, aber so kann man sich das wohl vorstellen.
Das ungewöhnliche Brot und die Gewissensnot Hesekiels
Übrigens, was für Brot hat er gegessen? Eigenartiges Brot, oder? Heute würde man es Vollkornbrot nennen. Vollkorn, ja. Sogar noch ein bisschen mehr als Vollkorn. Sogar Bohnen waren darin enthalten.
Das begehrteste Mehl war Weizenmehl. Gerstenmehl zum Beispiel war verachtet. Es galt als das Brot der Armen. Wenn man aber nicht genug Weizen hatte, war man bereit, die nächstbeste Qualität zu nehmen. Deshalb durfte er also nicht einfach Weizenbrot machen, sondern musste es mit Gerste und weiteren Ersatzstoffen wie Bohnen, Linsen, Hirse und Dinkel vermischen.
Damit wird deutlich, dass es um eine Belagerungszeit geht, in der man nicht mehr genug zu essen bekommt. Noch schlimmer ist, dass Gott genau vorschreibt, wie er das Brot backen soll. Und das ist schon recht ungewöhnlich. In Vers zwölf heißt es, das Brot soll auf Ballen von Menschenkot gebacken werden.
Wie reagiert Hesekiel darauf? Genau wie Petrus in der Vision in der Apostelgeschichte 10, als er unreines Fleisch essen sollte. Petrus sagt: „Nein, Herr, niemals habe ich das gegessen.“ Das ist eigenartig, denn Gott ist der Herr der Tora und kann sagen, was recht ist und was nicht. Petrus antwortet dennoch: „Niemals, Herr.“
Auch Hesekiel sagt: „Ach Herr, siehe, meine Seele ist nie verunreinigt worden.“ Wie reagiert Gott darauf? Er geht auf ihn ein. Ist das nicht erstaunlich? Das zeigt, wie hoch Gott die Konstitution unseres Gewissens einschätzt.
Unser Gewissen ist ja auch durch Gewohnheit geprägt. Das sehen wir schon bei den ersten Christen in der Apostelgeschichte. Sie konnten sich nicht sofort vom Tempeldienst lösen, obwohl es nicht mehr nötig gewesen wäre, in den Tempel zu gehen. Trotzdem ließ Gott sie über Jahrzehnte den Tempeldienst weiterführen.
Die jüdischen Christen durften das noch tun. Die anderen, die Heidenchristen, wurden sofort abgeschirmt: Sie durften nicht ins Judentum eingeführt werden. Sie durften sich nicht beschneiden lassen und so weiter. Es war eine klare Barriere aufgestellt.
Für die jüdischen Christen war das ein Schock. Sie waren von klein auf so belehrt worden: Das darf man essen, diese Dinge muss man tun, und das muss man lassen. Deshalb hat Gott diesem geforderten Gewissen nicht Gewalt angetan. So hatten sie Zeit, sich daran zu gewöhnen.
Bei Hesekiel sehen wir, dass Gott ihn gewähren lässt, weil sein Gewissen so geformt war, dass er damit nicht leben konnte. Wenn Gott also unser Gewissen so achtet, sollten auch wir etwas davon lernen. Wir sollten unseren Brüdern und Schwestern mit Respekt begegnen, wenn sie bei gewissen Dingen Gewissensnot empfinden – auch wenn wir selbst keinen Grund dafür sehen.
Achtung und Respekt vor dem Gewissen, das unterschiedlich ausgeprägt ist – das ist schon sehr praktisch, würde ich sagen.
Die biblische Grundlage für Rücksicht auf das Gewissen
An einer Stelle steht doch auch, dass er eingedenk ist, dass wir Fleisch sind. Ja? Das ist auch nur Rücksichtnahme, denke ich. Ja, ganz bestimmt.
Er geht unter Schwachheiten entgegen, obwohl das Neue Testament das nicht ausdrücklich sagt. Aber ich denke auch, dass das von Blut auf dem Menschen nicht entgegengekommen ist, dass er eben seiner Schwachheit sich auch erinnert. Ja, ja, sehr gut.
Gibt es noch andere Fragen zu Kapitel vier?
Musste das bloß, habe ich nicht verstanden. Muss er das bloß essen, oder alles?
Ja, aber das gehört zu seiner Vorführung. Nur er sollte das essen, um einfach zu zeigen, in welche Not Jerusalem geraten würde durch den Hunger.
Und es ist ja so, dass es beide Male bei den Belagerungen von Jerusalem, seit Hesekiel und dann im Jahr siebzig, tatsächlich zu Kannibalismus gekommen ist. Das ist ganz schrecklich, übrigens auch angedeutet in 5. Mose 28, in der Prophetie von Mose.
Ja, liest jemand mal Vers 54? Vers 53 schon.
Also, es geht im Zusammenhang um die Belagerung. Vers 49 wird beschrieben, wie die Römer kommen werden von ferne her, vom Ende der Erde her, eine Nation gegen dich, gleich wie der Adler fliegt. Eine Nation, deren Sprache du nicht verstehst, eine Nation harten Angesichts, welche die Person des Kreises nicht ansieht und des Knaben sich nicht erwarnt.
Dann wird gesagt: Alle Städte werden ruiniert werden, Vers 52, und sie werden dich belagern in allen deinen Toren, bis deine Mauern, die hohen und festen, auf welche du vertraust, in deinem ganzen Land gefallen sind.
Und jetzt kann jemand lesen, Vers 53:
„Und in der Belagerung und in der Bedrängnis, womit dein Feind dich bedrängen wird, wirst du essen die Frucht deines Leibes, das Fleisch deiner Söhne und deiner Töchter, welche der Herr, dein Gott, dir gegeben hat.
Der weiblichste und am meisten verzärtelte Mann unter dir, dessen Auge wird scheel sehen auf seinen Bruder und auf das Weib seines Busens und auf die übrigen seiner Kinder, die er übrig behalten hat, dass er keinem von ihnen von dem Fleisch deiner Kinder geben wird, das er isst, weil ihm nichts übrig geblieben ist in der Belagerung und in der Bedrängnis, womit dein Feind dich bedrängen wird, in allen deinen Toren.
Die weichlichste unter dir und die verzärtelste, welche vor Verzärtelung und vor Verweichlichung nie versucht hat, ihre Fußsohle auf die Erde zu setzen, deren Auge wird scheel sehen auf den Mann ihres Busens und auf ihren Sohn und auf ihre Tochter wegen ihrer Nachgeburt, die zwischen ihren Beinen hervorgeht, und wegen ihrer Kinder, die sie gebiert.
Denn sie wird sie im Geheimen aufessen aus Mangel an allem, in der Belagerung und in der Bedrängnis, womit dein Feind dich bedrängen wird in seinen Toren.“
Die Erfüllung der Prophezeiung in der Geschichte Jerusalems
Übrigens, auch hier wieder in 5. Mose 28: Ich habe gesagt, ab Vers 49 wird die Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 beschrieben. Jeder Vers hat sich erfüllt. Diese Prophezeiung wurde 1500 Jahre vor Christus gegeben.
In Vers 36 finden wir die Zeit der Zerstörung Jerusalems und die Handlung durch Kadesch-Barnea. Vielleicht liest jemand noch Vers 36 dazu: „Der Herr wird dich und deinen König, den du über dich setzen wirst, zu einer Nation wegführen, die du nicht gekannt hast, du und deine Väter. Und du wirst dort anderen Göttern dienen, Göttern aus Holz und Stein.“ Das ist die Wegführung nach Babylon.
Ab Vers 49 beschreibt die Schrift die Wegführung unter die Völker. Lesen Sie auch Vers 64: „Und der Herr wird dich unter alle Völker zerstreuen, von einem Ende der Erde bis zum anderen Ende der Erde, und du wirst dort anderen Göttern dienen.“
Wir sehen hier markante Punkte der Heilsgeschichte: die Zerstörung Jerusalems und die Wegführung nach Babylon sowie die Zerstörung Jerusalems und die Zerstreuung unter alle Völker. Diese Situation wird schon vor der Wegführung dargestellt.
Klar kommt das dann zusammen. Vielleicht sehen Sie sich auch Jeremia 29 an: Dort gab es innerhalb der Weggeführten auch falsche Propheten, die möglicherweise gesagt haben, es gehe wieder gut mit Jerusalem und man werde vorzeitig zurückkehren.
Hier muss besonders betont werden, dass tatsächlich eine Zerstörung nicht entkommen wird.
Ja, ja, ganz genau, ganz genau.
Die drei Belagerungen Jerusalems und ihre Bedeutung
Wir können das vielleicht nochmals in Erinnerung rufen.
605 v. Chr. belagerte Nebukadnezar zum ersten Mal Jerusalem. Dabei wurden vor allem Adlige in die Gefangenschaft geführt. Daniel und seine Freunde waren unter den Gefangenen.
Dann kam eine zweite Belagerung im Jahr 597 v. Chr. Wieder wurde eine Elite aus Jerusalem weggeführt. Doch das Leben in der Stadt ging weiter. Zu dieser Zeit war zum Beispiel Hesekiel unter den Weggeführten. Hesekiel diente diesen Gefangenen.
Natürlich verbreiteten falsche Propheten Hoffnung. Sie sagten, es werde alles wieder gut werden, man werde zurückkehren, es werde keine Zerstörung Jerusalems geben. Sie riefen: Frieden, Frieden! Doch Jeremia widersprach und sagte, dass kein Friede da sei.
Hesekiel musste den Menschen klarmachen: Schaut, es kommt eine Katastrophe.
So kam es schließlich 586 v. Chr. zur dritten Phase unter Nebukadnezar – zur totalen Zerstörung Jerusalems. Die Zerschmetterung war so schlimm, dass Menschen bis zum Kannibalismus herabsanken.
Unter diesem Eindruck schrieb Jeremia, der weinende Prophet, die Klagelieder. Dort wird der Kannibalismus noch einmal erwähnt, besonders in den Klageliedern.
Die Unreinheit der Speise als Gericht
Ja, noch eine Frage: Wird Gott in den Psalmen nicht auch eine harte Strafe angedroht? Sein Haus soll zur Kotstätte werden – also das Allerverächtlichste, was man sich vorstellen kann. Dieses Bild taucht hier erneut auf, beim Abkochen von ... Ja, das ist noch ein wichtiger Punkt, den wir erwähnen sollten.
Diese Speise soll quasi unrein sein. Damit wird veranschaulicht, was wir im Propheten Hosea finden. Hosea 9,3-4 lautet: „Sie werden nicht im Land Jehovas bleiben, sondern Ephraim wird nach Ägypten zurückkehren, und sie werden Unreines essen in Assyrien. Sie werden Jehova keinen Wein spenden, und ihre Schlachtopfer werden ihm nicht angenehm sein. Wie bittere Speise wird es ihnen sein, alle, die davon essen, werden sich verunreinigen, denn für ihren Hunger wird ihre Speise sein. In das Haus Horas wird sie nicht kommen.“
Hier geht es im Zusammenhang um die zehn Stämme, die nach Assyrien weggeführt wurden. Der Prophet sagt voraus, dass sie dort unreines Essen zu sich nehmen werden. Das war immer ein Problem für die Juden seit der Wegführung unter die Völker: Wo können sie koschere Nahrung bekommen? In welchem Restaurant in Deutschland gibt es koschere Speisen? Das ist ein echtes Problem für gesetzestreue Juden.
Viele haben deshalb gesehen, dass sie sich irgendwie der Situation anpassen und Kompromisse eingehen mussten. Genau das ist der Punkt: Ihr werdet unreines Essen zu euch nehmen müssen als Folge der Zerstörung Jerusalems.
Diese Geschichte spiegelt sich auch im heutigen Israel wider. Dort erhalten Restaurants und Hotels eine Zulassung, ein Diplom, um koscheres Essen zuzubereiten. Wenn messianische Juden in einem Hotel zusammenkommen wollen, kommen orthodoxe Juden und sagen dem Eigentümer: „Pass mal auf, das melden wir dem Rabbinat. Du bekommst deine Koscherlizenz entzogen, wenn du ihnen weiterhin Unterkunft gibst.“
Es gibt hier massiven Missbrauch, und auch Bestechung für solche Dinge. Die Betreiber verlangen erhebliche Preise für die Koscher-Bestätigung. Das ist die heutige Situation im Land. Doch 2000 Jahre lang war das ein echtes Problem.
In diesem Licht dürfen wir auch die Geschichte von Daniel sehen. Der Teenager Daniel kommt mit seinen Freunden nach Babylon. Dort sollte er die Speise des Königs essen, doch er weigert sich. Das ist umso erstaunlicher, weil Daniel damals ein Teenager gewesen sein muss. Seine Eltern waren nicht da, um ihm zu sagen, dass er nur koscher essen darf. Er handelt selbst und schlägt vor: „Können wir es nicht mal mit zehn Tagen Gemüse und Wasser versuchen?“ Und der Herr gab ihm Erfolg.
Das war der Weg einzelner Treuer, wie Daniel. Doch die Gerichtsaussage Hesekiels lautet: Ihr geht unter die Völker und müsst unreines Essen zu euch nehmen.
Der Sinn dahinter ist natürlich auch: Was wollt ihr mit reiner Speise essen, wenn euer Leben mit Gott in Unordnung ist? Das ist alles nur noch Formsache, alles nur noch Fassade. Im orthodoxen Judentum gibt es viel, das nur äußerliches Getue ist. Daran kann Gott keinen Gefallen haben.
So ist das zu verstehen: Gott lässt sie als Gericht unreines Essen zu, weil sie ja ohnehin nicht um wahre Heiligkeit in ihrem Leben bemüht sind.
Schlussbemerkung und Ausblick
Ja, es ist Zeit. Wollen wir zum Schluss noch etwas singen?