Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Wir wollen noch einmal beten: Ja, Herr, nun bitten wir dich, heilige uns in der Wahrheit. Dein Wort ist die Wahrheit. Amen.
Liebe Gemeinde hier in Hannover und alle, die uns jetzt über den Livestream folgen und dadurch mit uns verbunden sind.
In den letzten Wochen wurden wir wieder schmerzlich darauf gestoßen, dass massive Kräfte im Nahen Osten das Existenzrecht Israels bestreiten. Das schmale Land ist und bleibt ein Dorn im Auge der islamischen Machtansprüche, die es von allen Seiten umzingeln.
Wiederholt ertönte die alte Parole „From the river to the sea“, also vom Fluss bis zum Meer, vom Jordan bis zum Mittelmeer. Damit soll von Israel möglichst nichts mehr übrig bleiben. Wie groß der Kreis der Sympathisanten ist, zeigt zum Beispiel eine Solidaritätsadresse, die am Freitag von der Klimaprophetin Greta gepostet wurde.
„Wir streiken für Palästina und Gaza“ hieß es dort. Abgebildet war Greta mit einem Schild in der Hand. Auf diesem Schild forderte sie den Betrachter auf: „Stand with Gaza“, also stell dich auf die Seite von Gaza. Eine weitere Parole auf dem Bild lautete „Free Palestine“, befreit Palästina. Keine Silbe Solidarität für die vielen ermordeten Israelis, keine Distanzierung von den Terroristen der Hamas.
Zudem solidarisierte sich die Ikone der Fridays-for-Future-Bewegung mit der Organisation „Palestine Speaks“ – also „Palästina spricht“. Diese Gruppe hatte jüngst am Tag des brutalen Überfalls, also am 7. Oktober, ein Bild gepostet. Darauf war zu sehen, wie ein Bulldozer den israelischen Grenzzaun zu Gaza durchbricht. Dazu die triumphierende Schlagzeile: „Gaza ist gerade aus dem Gefängnis entkommen“ – ein Terrorangriff als Ausbruch aus dem Gefängnis, „Gaza just broke out of prison“.
Unser Predigttext heute Morgen beginnt genau in diesem umkämpften Land, zwischen „the river and the sea“. Unser Predigttext gehört zu jenen uralten Dokumenten, die Israels Anspruch auf dieses Land mit begründen und erklären.
So fangen wir an mit dem ersten Vers der großen Josefsgeschichte, die sich bis ins fünfzigste Kapitel zieht (1. Mose 37-50). Darum wird es in den nächsten Wochen gehen. Weil das kürzer zu sprechen ist, verwende ich die griechische Bezeichnung für das erste Buch Mose, nämlich Genesis, das heißt „der Anfang“ – Genesis, das Buch des Anfangs.
Und wir hören jetzt zunächst noch einmal Vers 1 aus Genesis: Jakob aber wohnte im Lande, in dem sein Vater, also Isaak, noch ein Fremdling gewesen war, im Lande Kanaan. Das ist dieses Land.
Wir lesen in Genesis, wie Gott sein Volk darauf vorbereitet, dieses Land rechtmäßig zu besitzen. Nicht, um sich an der eigenen Macht zu berauschen oder egoistisch seine Güter zu verschwenden, sondern um von dort aus eine heilsame Friedensmission für die ganze Welt zu beginnen. Wie Gott dabei vorgeht, ist für unsere Vorstellungen zunächst verwirrend.
Damit kommen wir jetzt, nach gut einem Jahr, wieder zurück zu unseren Studien im Buch Genesis. Dort hatten wir damals zuletzt die Lebensgeschichte des Erzvaters Jakob genau untersucht. Wer das noch einmal nachhören möchte, findet die ganzen Predigten auf der Homepage der Gemeinde.
Wir hatten gesehen, wie Jakob zum Flüchtling geworden war, weil sein Zwillingsbruder ihm nach dem Leben trachtete. Aber dann, in den Irrungen und Wirrungen der Flucht und des Exils, wurde Jakob nicht nur vielfacher Familienvater, sondern machte auch die starke Erfahrung, dass der heilige Gott sein Leben beschützte. Außerdem gab Gott ihm einen großen Auftrag, der mit Abraham schon begonnen hatte.
Dann lasen wir in Genesis 35, Vers 11, wie Gott zu ihm sprach – also zu Jakob, der dann auch noch den Namen Israel bekam, was „Kämpfer Gottes“ bedeutet: „Ich bin der allmächtige Gott, sei fruchtbar und mehret dich! Ein Volk und eine Menge von Völkern soll von dir kommen, und Könige sollen von dir abstammen. Das Land, das ich Abraham und Isaak gegeben habe, will ich dir geben und es deinem Geschlecht nach dir geben.“
Das war die Zusage. Damit galt für Jakob auch die Bestimmung und der Auftrag, den Gott Abraham schon gegeben hatte. In Genesis 12 heißt es: „Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Völker der Erde.“ Von Israel soll ein Segen für alle ausgehen.
Bis zu Jakob hatte Gott seinen Plan jeweils an einzelne Personen geknüpft – also an die Patriarchen Abraham, seinen Sohn Isaak und dessen Sohn Jakob. Und jetzt, in Kapitel 37, erfahren wir, wie Gott sein Zukunftsprojekt auf eine breitere Basis stellt.
Jakob werden nämlich zwölf Söhne geschenkt, und die kommen nun alle in den Blick. Sie sind alle dazu bestimmt, dass daraus einmal die zwölf Stämme des Volkes Israel werden – also jenes Israel, für das Gott ein verheißendes Land vorgesehen hat, das Land Kanaan. Dazu gehört eben auch die Region „From the river to the sea“.
Jakob aber wohnte im Land, in dem sein Vater ein Fremdling gewesen war, im Lande Kanaan. Und dann geht es los mit den zwölf Söhnen, ab Vers 2. „Dies ist die Geschichte von Jakobs Geschlecht.“ Ein ganz wichtiger Satz, den man leicht überliest.
Wörtlich steht dort: „Ele, Tolle, Dod, Jaakov“ – das heißt: Dies sind die Generationen, dies sind die Nachkommen, dies sind die Geschlechter, die aus Jakob hervorgegangen sind. Sie alle stellen einen Teil von Gottes großem Plan zur Rettung der Welt dar. Dies sind die Geschlechter, die Generationen, die von Jakob kommen.
Und dann? Dann wird sofort ein Protagonist genannt, der in den folgenden Kapiteln 37 bis 50 eine zentrale Rolle spielen wird. Dieser Protagonist ist Joseph. Joseph war siebzehn Jahre alt und war ein Hirte bei den Schafen mit seinen Brüdern.
Aber es wäre ein Fehler, den Blick in den nächsten Kapiteln nur auf Joseph zu verengen, wie Sie noch sehen werden. Alle zwölf sind wichtig. Allerdings macht gerade die Tatsache, dass Gott nun die Basis seines Handelns verbreitert hat – dass hier jetzt aus der Erzvätergeschichte eine Familiengeschichte wird –, das Projekt nicht weniger anfällig für Störungen oder Gefährdungen. Das werden wir gleich sehen.
Auch in diesem Kapitel, so viel darf ich schon verraten, stehen wir als Leser vor der bangen Frage, wie wohl dieser göttliche Plan jemals zum Ziel kommen soll. Bei dem „Bodenpersonal“, diesem Clan, den wir hier näher kennenlernen, dieser Familie, mit der Gott sein Handeln verbunden hat, diesen Geschlechtern von Jakob, da zeigt sich: Diese Familie ist, wie ein Psychologe wahrscheinlich sagen würde, dysfunktional, irgendwie gestört.
Als die Söhne erwachsen sind – also die Basis der zwölf Stämme Israels heranreift –, da macht der Patriarch, da macht Jakob fast alles falsch, was man irgendwie falsch machen kann. Und weit und breit ist niemand da, der das ausgleichen könnte.
Wird Gottes Plan aus dem Fugen geraten? Wird das hoffnungsvolle Projekt doch noch zermalmt werden unter den Mühlsteinen der politischen Verhältnisse und persönlichen Egoismen?
Wenn wir jetzt in die Dynamik dieser Verse eintauchen – und ich möchte Sie einladen, wenn möglich immer Ihre Bibel zu den Predigten mitzubringen, weil Sie das Ganze dann noch einmal intensiver verfolgen können –, dann laufen diese Verse auf etwas hinaus, was wir als Kontrollverlust bezeichnen würden.
Und das ist auch das Thema dieser Predigt: Kontrollverlust. Man sieht, die Realisierung dieses großen Planes gerät mit jeder weiteren Szene in immer weitere Ferne. Die handelnden Personen verkämpfen sich immer mehr, sie werden einander immer feindseliger.
Manche merken das, zum Beispiel Ruben. Sie wollen raus aus dieser Zerstörungsdynamik. Ruben, der älteste von Jakobs Söhnen, merkt, dass sie nichts entgegensetzen können. Er fragt verzweifelt, wie später in Vers 30: „Wo soll ich hin?“ Keine Chance mehr, kein Bewegungsspielraum – Kontrollverlust.
Hier finden wir vielleicht den ersten emotionalen Berührungspunkt zu unserer eigenen Situation: Kontrollverlust. Wir bekommen die Dinge nicht mehr in den Griff. Wir drehen an den Knöpfen, wir greifen nach den verschiedenen Fäden, aber wir bekommen sie nicht mehr geordnet, wir bekommen sie nicht mehr unter Kontrolle.
Kennen Sie das? Bestimmte Entwicklungen, im Kleinen wie im Großen, rollen auf uns zu. Der Eindruck wird immer stärker, dass die Welle immer höher wird und dass wir ihr nichts mehr entgegenzusetzen haben, dass wir ihr ausgeliefert sind: Kontrollverlust!
Wie haben die Piloten im Cockpit des Airbus die Situation erlebt, der im Juni 2009 auf dem Weg von Rio de Janeiro nach Paris über dem Atlantik abgestürzt ist? Damals befanden sich über zweihundert Passagiere an Bord. Was war passiert?
Wichtige Außensensoren des Airbus waren eingefroren, weshalb die Instrumente falsche Werte anzeigten. Die Anzeigen zeigten an, dass das Flugzeug stark an Höhe verlor – was jedoch nicht der Realität entsprach. Der Kopilot war gerade nach hinten gegangen. Der Pilot am Steuer glaubte der Fehlermeldung und riss die Maschine nach oben. Doch genau das war falsch.
Es kam zu einem Strömungsabriss und einem kompletten Verlust des Auftriebs. Nun hätten sie eigentlich die Nase des Flugzeugs nach unten richten müssen. Doch die Instrumente forderten genau das Gegenteil. Unter dem Piloten brach Panik aus.
Eine wissenschaftliche Auswertung wird später schreiben: „Die letzten Sekunden sind dadurch geprägt, dass die Leute nur noch versucht haben, individuell die Steuerung anhand der Joysticks zu übernehmen. Das hat überhaupt nicht funktioniert. Als die Maschine nicht mehr wie gewohnt reagierte, war der emotionale Stress für die Co-Piloten so groß, dass jeder nur noch wie gebannt darauf achtete, was der Bordcomputer macht. An diesem Punkt kollabiert das organisierte Handeln.“ Zitat Ende.
Kontrollverlust. Und das ist, mit niedrigerem Tempo, aber genauso unerbittlich, der Befund, den wir in Genesis 37 auf den ersten Blick wahrnehmen.
Heute Morgen haben wir nur zwei Punkte. Der erste Punkt ist, was wir auf den ersten Blick sehen. Der zweite Punkt – Sie ahnen es schon – lautet, was wir auf den zweiten Blick entdecken.
Ja, der erste Punkt wird deutlich länger sein. Also keine Sorge. Also erstens: Auf den ersten Blick – was sehen wir auf den ersten Blick?
Auf den ersten Blick sehen wir eine überforderte Familie – und dabei handelt es sich nicht um irgendeine Familie. Bei allem, was jetzt folgt, muss stets bedacht werden: Das sind von Gott berufene Segensträger, durch die er seine Heilsgeschichte in dieser Welt zu jener Epoche verwirklichen will.
Diese Familie erweist sich als eine durch und durch überforderte Familie. Gehen wir noch einmal ab Vers 2 hinein: Dies ist die Geschichte von Jakobs Geschlecht. Joseph war siebzehn Jahre alt und war ein Hirte bei den Schafen mit seinen Brüdern. Er war Gehilfe bei den Söhnen Bilchas und Silpas, der Frauen seines Vaters.
Sie wissen ja, Jakob hatte am Ende vier Frauen. Die Rahel wollte er unbedingt. Die Lea musste er vorhernehmen, nach Intervention des Schwiegervaters, weil sie die Ältere war. Dann hatte jede der beiden noch eine Magd, die in gewisser Hinsicht ebenfalls zu seinen Frauen wurden. Heute würden wir sie wahrscheinlich eher als Leihmütter bezeichnen. Von ihnen wurden ihm ebenfalls Kinder geboren.
Von all diesen vier Frauen zusammen hatte er am Ende diese zwölf Kinder – eine ganze Serie. Man muss dazu sagen: Zu jener Zeit war von Gott die Mehrehe noch nicht verboten. Sie war aber auch nirgendwo eindeutig bejaht oder gar empfohlen worden. Das ist die Situation.
Joseph arbeitete also bei den Söhnen Bilchas und Silpas, der Frauen seines Vaters, und brachte es vor ihren Vater, wenn etwas Schlechtes über sie geredet wurde.
Israel, also Jakob, hatte Joseph lieber als alle seine Söhne, weil er der Sohn seines Alters war. Er machte ihm einen bunten Rock, ein Prachtgewand gewissermaßen.
Als nun seine Brüder sahen, dass ihn ihr Vater lieber hatte als alle seine Brüder, wurden sie ihm feind und konnten ihm kein freundliches Wort sagen.
Dazu hatte Josef einmal einen Traum und erzählte seinen Brüdern davon. Da wurden sie ihm noch mehr feind. Denn er sprach zu ihnen: „Hört doch, was mir geträumt hat! Siehe, wir banden Garben auf dem Felde, und meine Garbe richtete sich auf und stand, aber eure Garben stellten sich ringsumher und neigten sich vor meiner Garbe.“
Da sprachen seine Brüder zu ihm: „Willst du unser König werden und über uns herrschen?“ Und sie wurden ihm noch mehr feind um seines Traumes und seiner Worte willen.
Er hatte noch einen zweiten Traum, den erzählte er seinen Brüdern und sprach: „Ich habe noch einen Traum gehabt, siehe, die Sonne und der Mond und elf Sterne neigten sich vor mir.“
Als er das seinem Vater und seinen Brüdern erzählte, schalt ihn sein Vater und sprach zu ihm: „Was ist das für ein Traum, den du geträumt hast? Soll ich und deine Mutter und deine Brüder kommen und vor dir niederfallen?“
Seine Brüder wurden neidisch auf ihn, aber sein Vater behielt diese Worte.
Dieser Bericht, Sie haben es gemerkt, beschönigt nichts. Hier haben wir keinerlei Weichzeichnung. Wir sehen wieder einmal: Der Fisch stinkt vom Kopf.
Da ist zunächst ein parteiischer Vater. Ein Vater, dessen Aufgabe es von der Schöpfungsordnung her wäre, seine Familie zusammenzuhalten und den Frieden zu fördern. Das wäre seine Aufgabe. Aber Jakob macht genau das Gegenteil.
Warum? Weil er sich nicht an Gottes Maßstäben orientiert, sondern weil Jakob sich leiten lässt von seinen eigenen subjektiven Empfindungen, von seiner Sentimentalität, von seinen Vorlieben. Er bevorzugt den Youngster Joseph.
Hier wird auch gesagt, warum: nämlich weil er ihn so spät noch bekommen hatte. Das schwingt hier natürlich mit. Er hat ihn bekommen von seiner absoluten Lieblingsfrau Rahel. Von dieser Rahel hatte er sehr spät den Josef und dann noch später den Benjamin bekommen. Die anderen zehn waren von den drei anderen Frauen.
Das erinnert noch einmal an die schwierige Ehekonstellation, über die wir gesprochen hatten. Natürlich hatte sein Schwiegervater Laban den Jakob in diese Ehekonstellation hineingetrieben, aber ja, er hatte irgendwie mitgemacht.
Die Söhne, die aus diesen vier Verbindungen hervorgegangen waren, konnten ja nichts dafür. Denen hätte Jakob jetzt erst recht die Folgen dieser großväterlichen Rücksichtslosigkeit ersparen müssen.
Jakob hätte aus seiner eigenen Kindheit lernen können, wie zerstörerisch es sich auswirkt, wenn Eltern einzelne Kinder gegenüber Geschwistern vorziehen. Sein eigener Vater Isaak hatte seinen Zwillingsbruder Esau favorisiert, und dafür hatte Jakobs Mutter Rebekka ihn als Liebling auserkoren.
Was war die Folge? Eine herzliche Feindschaft zwischen Jakob und Esau, die bis zur Morddrohung ging und Jakob schließlich jahrzehntelang aus seiner Heimat vertrieb. Das war dabei herausgekommen. Das hätte er wissen müssen – hatte er nichts gelernt?
Die Bibel warnt uns nicht umsonst davor, aus Willkür oder persönlicher Vorliebe Einzelne zu begünstigen. Das wird Paulus später schreiben in 1. Timotheus 5,21: „Ich ermahne dich inständig vor Gott und Christus Jesus und den auserwählten Engeln, dass du dich daran hältst ohne Vorurteil und niemanden begünstigst.“
Natürlich gibt es unterschiedliche Grade von Verantwortung. Das macht die Bibel auch deutlich. Galater 6,10 sagt: „Tut Gutes jedermann, zu allermeist aber den Genossen eures Glaubens.“
Auf menschlicher Ebene gibt es unterschiedliche Grade von Verantwortung. Zunächst einmal haben wir die Erstverantwortung für unsere eigene Familie. Deshalb macht das Neue Testament ganz klar: Wenn jemand ein Leitungsamt in der Gemeinde wahrnehmen will, muss er erst mal seiner eigenen Familie gut vorstehen.
Ich erinnere mich an die Situation eines Jugendpastors in den USA, sehr engagiert und viel unterwegs. Einmal hört er, wie im Garten sein kleiner Sohn mit dem Nachbarn spricht. Der Nachbar fragt ihn: „Sag mal, spielt denn dein Papa nicht mal mit dir?“ Und er hört, wie sein eigener Sohn sagt: „Mein Papa hat keine Zeit, mit mir zu spielen, er spielt immer mit anderen Kindern.“
Das war die Jugendarbeit, die er macht. Das hat ihn derart getroffen, zu Recht, dass er sich schließlich eine andere Aufgabe im Reich Gottes gesucht hat. Er sagte: „Es kann nicht sein, dass ich für alle Zeit habe, nur für meine eigenen Leute nicht.“
Also haben wir schon eine Erstverantwortung für unsere eigenen Leute, für den Ehepartner und für die Kinder.
Die zwölf Söhne – es gibt unterschiedliche Verantwortungsgrade. Die zwölf Söhne gehörten alle zu seiner Familie. Die zwölf Söhne standen Jakob von der Schöpfungsordnung her in gleicher Weise nahe. Diese zwölf Söhne waren Jakob in gleicher Weise ans Herz gelegt worden.
Trotzdem ließ er sich von persönlicher Rührung und seiner Emotionalität hinreißen, diese Favorisierung von Joseph auch noch durch ein besonderes Geschenk zu dokumentieren – durch diesen elendlichen Rock, der so viel Streit und Zerwürfnis produzierte.
Ein Kleidungsstück, das offensichtlich eine starke Symbolwirkung entfaltete. Das wird ganz häufig in unserem Text erwähnt. Es kommt dann im Vers 23 noch einmal vor, dieser Rock, und ab Vers 31 spielt er eine ganz große Rolle.
Sie müssen sich das so vorstellen: Das war ein Prachtgewand, eine spezielle Tunika, ein Ärmelrock, der bis an die Knöchel der Füße und der Hände reichte. Dieses Wort kommt im Alten Testament nur noch einmal vor, in 2. Samuel 13. Dort beschreibt es die Robe einer Prinzessin.
Die Septuaginta, also die griechische Übersetzung des hebräischen Alten Testaments, übersetzt hier mit „bunter Rock“, also ein Rock, der auffällig strahlt.
Darin konnte man, wenn man wollte, entweder eine sentimentale Geste des Vaters sehen oder aber auch die Andeutung, dass Joseph innerhalb des Clans möglicherweise für höhere Aufgaben vorgesehen war.
Der Ärmelmantel wird zum Herrschaftssymbol, und umso tragischer ist es, dass Jakob am Schluss dieses Kapitels diesen Rock – Sie werden das am Ende sehen – verzweifelt wieder in den eigenen Händen hält.
Die Geschichte spielt ihm diesen Rock gewissermaßen wieder zurück in die eigenen Hände. Da ist aus dem bunten Rock ein blutiger Rock geworden, dessen Träger als vermisst und getötet gilt.
Sie schickten den bunten Rock hin und ließen ihn ihrem Vater bringen und sagen: „Diesen haben wir gefunden, siehe, ob es deines Sohnes Rock sei oder nicht.“
Dann, in Vers 33, erkannte er ihn aber und sprach: „Es ist meines Sohnes Rock. Ein böses Tier hat ihn gefressen, ein reißendes Tier hat Josef zerrissen.“
Unser Bericht zeigt nun sehr klar und schnörkellos, dass dieses Kleidungsstück seine Wirkung nicht verfehlt.
Im Vers 4 steht: „Als nun seine Brüder sahen, dass ihn ihr Vater lieber hatte als alle seine Brüder, wurden sie ihm feind und konnten ihm kein freundliches Wort sagen.“
Sie sehen hier, wie Jakob selbst Zwietracht unter seinen Söhnen provoziert und wie er die ganze Familie in diesen Konflikt hineinreißt.
Neben dem parteiischen Vater sehen wir einen geschwätzigen Teenager – einen Teenager, der selbst mit dieser Situation überfordert ist.
Jakob hat auch dem Josef damit keinen Gefallen getan. Josef scheint diese Bevorzugung zunächst zu genießen. Er fühlt sich als Musterschüler, als Musterknabe, der dem Vater eilfertig überbringt, was die Leute so an Schandtaten von seinen Stiefbrüdern erzählen. So nach dem Motto: „Das wollte ich dir immer mal sagen, hast du gehört?“
Ende von Vers 2 heißt es: „brachte es vor ihren Vater, wenn etwas Schlechtes über sie geredet wurde.“ Das hebräische Wort, das dort steht, deutet an, dass das nicht stimmt, was man da redet. Das ist unweis.
Nun wird hier offengelassen, ob Joseph nur die schlechten Gerüchte anderer weitergab oder ob er schlechte Gerüchte selbst erfand.
Offensichtlich hat sich der Jüngste damit eingeschmeichelt. Wäre Jakob integer gewesen, hätte er die Sachen aufgeklärt und die Brüder von Joseph erst einmal verteidigt – so nach dem Prinzip audiatur et altera pars. Es muss immer auch die Gegenseite gehört werden. Aber das macht Jakob nicht.
Eltern sollten ihren Kindern gegenüber immer zugunsten der Geschwister sprechen. Wenn Kinder kommen, sollten Eltern immer zugunsten der Geschwister sprechen. Sie sollten sich nicht zu Komplizen der einen oder anderen Seite machen.
Eltern sollten immer für den Frieden aller kämpfen. Wenn Klärungsbedarf besteht, dann sollten sie allen Seiten helfen, diese Klärung zu erreichen. Aber sie dürfen nicht parteiisch sein.
Jakob hat darin schmählich versagt, und viele Eltern versagen an dieser Aufgabe bis heute. Sie pulverisieren damit selbst den Zusammenhang in ihrer eigenen Familie.
Offensichtlich hat Josef das Kleid sehr selbstbewusst zur Schau getragen, und dann kamen noch diese Träume dazu. Für die Träume konnte er nichts.
Auch wenn man psychologisch versucht hat, sie als Ausdruck eines übersteigerten Egos zu deuten, ist das sehr willkürlich. Darauf deutet hier nichts hin.
Schauen wir, was der Text wirklich sagt, ab Vers 6: Denn er sprach zu ihnen, als er dann diese Träume erklärt: „Hört doch, was mir geträumt hat! Siehe, wir banden Garben auf dem Feld, und meine Garbe richtete sich auf und stand, aber eure Garben stellten sich ringsumher und neigten sich vor meiner Garbe.“
Und dann der andere Traum, Vers 9: „Ich habe noch einen Traum gehabt, siehe, die Sonne und der Mond und elf Sterne neigten sich vor mir.“
Das ist ziemlich deutlich: Beide Träume zielen auf denselben Punkt – dass sich die Familie vor Josef neigen wird, dass sie seine Führung anerkennen wird. Im zweiten Traum kommen sogar noch die Eltern dazu, offensichtlich.
Wie grundlegend das geschehen wird, zeigen die jeweiligen Orte: Der erste Traum spielt auf der Erde, auf dem Feld – eure Garben neigen sich vor meiner Garbe. Der zweite Traum spielt gewissermaßen im Firmament – die Sonne und der Mond und elf Sterne, also umfassend.
Die Tatsache, dass es zwei Träume sind, dient als Bekräftigung, dass das, was hier geträumt wird, mit Sicherheit passiert.
Man fragt sich beim Lesen: Hätte Joseph die Träume vielleicht lieber für sich behalten sollen? Vielleicht hätte es schon geholfen, wenn er sie nicht so pathetisch vorgetragen hätte.
Sie haben das gehört, denn ich habe das auch so gelesen: Die hebräische Sprache weist genau darauf hin, dass Joseph diese Träume in einem geradezu hymnischen Rhythmus berichtet.
Er unterstreicht feierlich, indem er zweimal noch das Wort „Siehe“ hinzufügt. Im Hebräischen: wirhine.
In Vers 7 heißt es: „Siehe, wir banden Garben auf dem Felde, und meine Garbe richtete sich auf und stand, aber eure Garben stellten sich rings um mich an.“ Und in Vers 9 noch einmal: „Ich habe noch einen Traum gehabt, siehe, die Sonne und der Mond und elf Sterne neigen sich vor mir.“
Er hat das also nicht gerade bescheiden präsentiert. Das sieht man an der Sprache, die hier verwendet wird.
Das ist eine seltsame Mischung aus Hochmut und Naivität.
Jetzt wird es sogar Jakob unangenehm. Das will schon etwas heißen.
In Vers 10 heißt es: „Als er seinem Vater und seinen Brüdern erzählte, schalt ihn sein Vater und sprach zu ihm: Was ist das für ein Traum, den du geträumt hast? Soll ich und deine Mutter und deine Brüder kommen und vor dir niederfallen?“
Sie merken: Eine überforderte Familie, ein parteiischer Vater, ein geschwätziger Teenager – und fast hat man Verständnis für die dritte Gruppe, eine rachsüchtige Brüderschar.
Eine rachsüchtige Brüderschar. Sie spürten immer wieder, dass der Vater den Jüngsten bevorzugte. Das musste ihnen auch wehtun. In Vers 4 steht es ganz deutlich: Als seine Brüder sahen, dass ihr Vater ihn liebte, wurden sie ihm feindlich gesinnt. Das haben sie gemerkt.
Der Rock war nur gewissermaßen das äußere Zeichen. Er machte sichtbar, was schon länger in dieser Familie schlummerte. Und dann kamen die hochtrabenden Träume dazu. Unser Text macht deutlich, wie sich dieser Zorn Schritt für Schritt aufbaut.
In Vers 4 heißt es: „Sie wurden ihm feindlich gesinnt; sie konnten kein freundliches Wort zu ihm sprechen.“ Dann folgt der erste Traum, und es heißt, sie wurden ihm noch mehr feindlich gesinnt. So geht es weiter: „Sie wurden ihm noch mehr feindlich gesinnt um seines Traumes willen“ (Vers 8). In Vers 11 kommt noch hinzu: „Sie wurden neidisch auf ihn.“ Man kann das auch übersetzen mit „Sie wurden hochrot, gerieten in Eifersucht, sie wurden eifersüchtig.“ Ich kann das gut verstehen.
Man fragt sich: Wo führt das alles hin? Helmut Frey, der Ausleger, schreibt: „So schnürt sich der Knoten der Verstrickung des kommenden Dramas.“ Und wieder ist nicht nur Licht auf der einen Seite und Schatten auf der anderen, sondern menschliche Schuld auf allen Seiten.
Irgendwann brechen die Brüder dann nach Sichem auf, achtzig Kilometer nördlich. Das ist ein früherer Standort der Sippe. Hier haben sie offensichtlich noch Weideflächen. Vielleicht hilft der Abstand ein bisschen. Dann macht Jakob, menschlich betrachtet, den nächsten Fehler.
Ab Vers 12: „Als nun seine Brüder hingegangen waren, um das Vieh ihres Vaters in Sichem zu weiden, sprach Israel, also Jakob, zu Joseph: Hütest du nicht deine Brüder das Vieh in Sichem? Komm, ich will dich zu ihnen senden.“ Joseph antwortete: „Hier bin ich.“ Jakob sprach: „Geh hin und sieh, ob es gut steht um deine Brüder und um das Vieh, und sage mir dann, wie sich’s verhält.“ So sandte er ihn aus dem Tal von Hebron, und er kam nach Sichem.
Vielleicht packte Jakob die Sorge, das schlechte Gewissen. Sie waren im Unfrieden geschieden voneinander. Sichem war nicht das beste Pflaster, wie man noch in Kapitel 34 nachlesen kann. So will der Vater wissen, ob mit Mensch und Vieh alles in Ordnung ist. Man kann hier nicht genau erkennen, ob das mehr aus Fürsorge oder mehr aus Kontrolle geschieht. Ahnt er nicht, dass er Joseph damit in eine gefährliche Situation schickt?
Jetzt eskaliert die Situation, man kann sie mit Händen greifen. Der Hass hat sich nicht abgekühlt, sondern offensichtlich noch mehr aufgeheizt. Man kann sich gut vorstellen, wie sie auf den 80 Kilometern nach Sichem miteinander gesprochen haben, sich noch einmal aufgeregt haben: „Unmöglich, was der Vater tut! Und dieser Schnösel Joseph, wir lassen uns das nicht bieten!“ Man kann sich das alles gut vorstellen.
Joseph taumelt in sein Verderben hinein. Hier sieht man auch wieder etwas von seiner Naivität. In Vers 15 heißt es: „Er ging hin, um sie in Sichem zu suchen. Da fand ihn ein Mann, wie er umherirrte auf dem Feld. Der fragte ihn: ‚Wen suchst du?‘ Er antwortete: ‚Ich suche meine Brüder. Sage mir doch, wo sie hüten.‘ Der Mann sprach: ‚Sie sind von dannen gezogen‘ – also von Sichem noch weiter –, ‚denn ich hörte sie sagen: Lass uns nach Dothan gehen.‘ Das ist noch etwa zehn Kilometer weiter.“ So zog Joseph seinen Brüdern nach und fand sie in Dothan.
Jetzt ist der Moment gekommen. Jetzt schlägt die Stunde der rachsüchtigen Brüder. Jetzt haben sie die Chance, diesen unliebsamen Traumtänzer loszuwerden, hier, wo man unbeobachtet Selbstjustiz üben kann.
In Vers 18 heißt es: „Als sie ihn nun sahen von ferne, ehe er zu ihnen kam, machten sie einen Anschlag, ihn zu töten.“ Das ist der Plan. Sie sprachen untereinander: „Seht, der Träumer kommt daher. So kommt nun, lasst uns ihn töten und in eine Grube werfen und sagen, ein böses Tier habe ihn gefressen. So wird man sehen, was seine Träume sind.“
Aber jetzt, endlich, schlägt bei Ruben das Gewissen zu. Ruben war der Erstgeborene. In Abwesenheit des Vaters hatte er die letzte Verantwortung für diese Truppe. Und Ruben sucht jetzt nach einer Möglichkeit, dem kleinen Bruder das Leben zu retten. Das ist berührend zu lesen.
Vers 21: „Als Ruben das hörte, wollte er ihn aus ihren Händen erretten und sprach: ‚Lasst uns ihn nicht töten!‘ Und weiter sprach Ruben zu ihnen: ‚Vergießt nicht Blut, sondern werft ihn in die Grube hier in der Wüste und legt die Hand nicht an ihn!‘ Er wollte ihn aus ihrer Hand erretten und ihn seinem Vater wiederbringen.“
Aber haben Sie es gemerkt? Ruben hat nicht den Mut, mit offenem Visier zu verteidigen. Den Mut hat er nicht, sich gegen die Brüder zu stellen und zu sagen: „Leute, wir können das nicht machen. Wir müssen ihm das Leben wiedergeben. Hört auf mit diesen schrecklichen Plänen!“ Sondern was macht Ruben? Er schlägt einen faulen Kompromiss vor: „Lasst uns den Jüngsten nicht töten, aber wenigstens in diese Zisterne werfen.“
Und Rubens Plan, das wird hier gesagt, besteht darin: Wenn die Brüder weiterziehen, wird er noch einmal zurückgehen, den kleinen Bruder aus der Zisterne holen und dafür sorgen, dass er sicher nach Hause kommt. Das ist der Plan.
Man fragt sich: Warum macht Ruben das? Ist es Mitleid mit Josef? Ist da ein Anflug von Gottesfurcht? Oder ist es bei Ruben auch die Hoffnung, sein eigenes Verhältnis zum Vater wieder zu heilen, wenigstens zu verbessern? Diesen furchtbaren Bruch zwischen ihm und Jakob etwas zu mildern, der ja auch noch im Hintergrund mitlief.
Was für eine Familie! In Genesis 35, Vers 22, können Sie das nachlesen: „Als Israel im Lande wohnte, ging Ruben hin und legte sich zu Bilha, seines Vaters Nebenfrau. Und das kam vor Israel.“ Natürlich war das auch ein Bruch. Vielleicht wollte er hier wieder ein Zeichen setzen.
Was für eine feine Familie war das!
So nimmt die Tragödie ihren Lauf. Vers 23: „Als Josef zu seinen Brüdern kam, zogen sie ihm den Rock aus.“ Und dann wird das extra noch einmal wiederholt: „Diesen bunten Rock, den er anhatte, das war wirklich ein Ärgernis.“ Sie nahmen ihn und warfen ihn in die Grube. Aber die Grube war leer und kein Wasser darin. Zumindest ist er nicht ertrunken.
An diesem Moment, der hier in Vers 24 geschildert wird, haben sie sich zwanzig Jahre später noch sehr genau erinnert. Wir haben den Beleg dafür zwanzig Jahre später, als die Brüder selbst in Ägypten in Gefangenschaft geraten und um ihr Leben fürchten.
Da erinnern sie sich an diese Situation. In Genesis 42, Verse 21 und 22 heißt es: „Als sie dann dort in Ägypten gefangen waren, sprachen sie untereinander: ‚Das haben wir an unserem Bruder damals verschuldet, denn wir sahen die Angst seiner Seele, als er uns anflehte, und wir wollten ihn nicht erhören. Darum kommt nun diese Trübsal über uns.‘“ Ruben antwortete ihnen: „Seht euch nicht vor, als ich sprach: Versündigt euch nicht an dem Knaben! Doch ihr wolltet nicht hören. Nun wird sein Blut gefordert.“
Hier bekommen wir noch nachträglich die Information, wie Josef sich gewehrt hat, wie er gefleht hat, wie er gesagt hat: „Werft mich nicht in diese Zisterne, bitte lasst mich frei!“ Sie haben nicht darauf gehört.
Und hier in Dothan, zwanzig Jahre vorher, da fühlten sie sich noch stark. Das ist schon zynisch, wie sie da im Schatten der Zisterne ihr Mittagessen wahrscheinlich genießen, während im Hintergrund die Hilfeschreie des in die Zisterne geworfenen Josefs zu hören sind.
Vers 25: „Sie setzten sich nieder, um zu essen. Indessen hoben sie ihre Augen auf und sahen eine Karawane von Ismailitern kommen, von Gilead, mit ihren Kamelen. Sie trugen kostbares Harz, Balsam und Myrrhe und zogen hinab nach Ägypten.“
Da sprach einer zu seinen Brüdern: „Was hilft uns, dass wir unseren Bruder töten und sein Blut verbergen? Kommt, lasst uns ihn den Ismailitern verkaufen, damit sich unsere Hände nicht an ihm vergreifen, denn er ist unser Bruder, unser Fleisch und Blut.“ Na immerhin. Und sie gehorchten ihm.
Als aber die midianitischen Kaufleute vorüberkamen, zogen sie Josef heraus aus der Grube und verkauften ihn um zwanzig Silberstücke an die Ismailiter. Diese brachten ihn nach Ägypten.
Josef kommt mit dem nackten Leben davon, da kann er noch froh sein. Aber von einem Tag auf den anderen wird er zum Sklaven. Das müssen Sie sich auch vorstellen: Heute Morgen war er zuhause losgegangen in der sicheren Erwartung, heute Abend oder morgen spätestens wieder zurück zu sein. Und jetzt wird es länger als zwanzig Jahre dauern, bis er wieder zurückkommt.
Er wird jetzt als Gefangener unterwegs sein nach Ägypten, in eine völlig unsichere Zukunft. Er weiß nicht, wer ihn auf diesem Sklavenmarkt kaufen wird und was mit ihm geschehen wird.
Während dieser letzten Szene erfahren wir jetzt, dass Ruben schon gar nicht mehr dabei war. Er hatte sich wohl kurzfristig abgesetzt. Ruben kommt zurück nach Dothan, sieht, dass Josef nicht mehr da ist, und höchstwahrscheinlich haben ihm die Brüder auch nicht die ganze Wahrheit gesagt. Das wird nicht hundertprozentig deutlich.
Da sehen wir, dass Ruben wirklich ein Herz hatte. Vers 29: „Als Ruben wieder zur Grube kam und Josef nicht darin fand, zerriss er sein Kleid und kam wieder zu seinen Brüdern und sprach: ‚Der Knabe ist nicht da. Wo soll ich jetzt hin?‘“
Das heißt: Wenn wir ohne Josef zurückkommen, wie kann ich jetzt noch nach Hause kommen? Wie kann ich unserem Vater noch unter die Augen treten? Wo soll ich jetzt noch hin? Es ist alles aus dem Ruder gelaufen.
Kontrollverlust! Die Situation ist völlig eskaliert. Sie ist nicht mehr zu heilen und auch nicht mehr zu reparieren. Daran ändert auch die Coolness der anderen Brüder nichts, die einfach mit ihrem teuflischen Plan weitermachen.
Vers 31: „Dann nahmen sie Josefs Rock – das ist möglicherweise noch passiert, bevor Ruben zurückkam –, schlachteten einen Ziegenbock, tauchten den Bock ins Blut und schickten den Rock ins Blut und ließen ihn ihrem Vater bringen mit der Botschaft: ‚Diesen haben wir gefunden. Sieh, ob dies deines Sohnes Rock sei oder nicht.‘“
Was für ein Zynismus! Sie trauen sich nicht einmal, ihr Beweisstück eigenhändig zu übergeben. Da steht: Sie schickten den bunten Rock hin und ließen ihn ihrem Vater bringen. Vielleicht wollen sie ihrem Gewissen diesen Augenblick ersparen, in dem für ihren Vater alles zusammenbricht.
Dieser Moment kommt in Vers 33: „Er erkannte ihn und sprach: ‚Es ist meines Sohnes Rock. Ein böses Tier hat ihn gefressen, ein reißendes Tier hat Josef zerrissen.‘ Jakob zerriss seine Kleider, legte ein herrenloses Tuch – ein Trauergewand – um seine Lenden und trug lange Zeit Leid um seinen Sohn.“
Jakob steht vor den Trümmern seiner stolzen Familie. Er hat fast alles verloren, woran sein Herz hing. Er wird sich schreckliche Vorwürfe gemacht haben. Er wird sich sagen: Wie konnte ich so blöd sein, Josef auf diese Mission zu schicken? Ich habe es letztlich verschuldet. Wie konnte ich das machen?
Aber es ist zu spät. Er kann nichts mehr in Ordnung bringen, nichts mehr wirklich heilen. Verstehen Sie, das ist Kontrollverlust.
Und was hilft es dann, dass die Brüder sich schließlich zu Hause einfinden, um den Vater zu trösten? Alle seine Söhne und Töchter kamen, um ihn zu trösten, aber er wollte sich nicht trösten lassen.
Können Sie sich eine größere Heuchelei vorstellen? Das Einzige, was den Vater wirklich trösten könnte, steht ja in ihrer Macht. Sie könnten sagen: „Vater, dein Sohn lebt. Er ist zwar unterwegs nach Ägypten, aber er lebt. Vielleicht kommt er ja doch noch einmal zurück. Vielleicht haben wir doch noch die Chance, ihn da irgendwie rauszuholen.“
Das hätten sie sagen können, aber sie verschweigen es ihm mit Vorsatz und trösten ihn. Soll Jakob für die restlichen Jahre seines Lebens ruhig weiter um den Träumer trauern? Immerhin besser, als wenn ihre Schuld auffliegen würde oder wenn sie unter der Herrschaft von Josef irgendwann käme.
Was für eine feine Familie! Mit der der heilige Gott seine Heilsgeschichte in dieser Welt weiterschreiben will.
Verstehen Sie? Ein parteiischer Vater, ein geschwätzter Teenager, eine rachsüchtige Brüderschar – das ist es, was uns dieser Bericht auf den ersten Blick zeigt.
Und jetzt sehen Sie, dass meine Überschrift „Eine überforderte Familie“ noch sehr, sehr geschönt war. Ich muss sagen: eine brutale Familie, eine verlogene Familie, eine dysfunktionale Familie, was auch immer.
Aber so können wir heute nicht nach Hause gehen, denn der zweite Blick ist erst der Lichtblick. Darum wollen wir jetzt noch einmal an diesen zweiten Blick herangehen.
Gott sei es gedankt, das, was wir jetzt gesehen haben, ist nur der erste Blick, aber nicht der einzige.
Und jetzt schnell noch der zweite Blick, wesentlich kürzer als der erste, ich verspreche es Ihnen. Dazu gehen wir noch einmal zurück an den Anfang des Kapitels: „Dies ist die Geschichte von Jakobs Geschlecht“, also Ele, Toledot, Jaakov. Dies sind die Generationen, die Nachkommen der Geschlechter, die aus Jakob hervorgegangen sind.
Im hebräischen Text steht hier eine auffällige Formel: Toledot. Das ist eine Formel, die bis dahin in der Genesis schon elfmal vorgekommen ist, hier zum zwölften Mal. Toledot bedeutet „die Generationen von“, „die Nachkommen“, „die Geschlechter“. Das ist ein ganz auffälliges Wort. In 1. Mose 5,1 steht die Toledot von Adam, in 6,9 die Toledot von Noah, dann in 25,19 die Toledot von Abrahams Sohn Isaak und in 37,2 hier bei uns die Toledot von Jakob.
Wir sehen, diese Toledot-Formeln, zwölf an der Zahl, sind wie Scharniere, die das Buch Genesis zusammenbinden und zusammenhalten. Von Adam und Eva über Noah durch die Flut hindurch bis zu Abraham, Isaak, Jakob – auch einige Seitenzweige werden durch diese Toledot mit eingebunden. Jakob und Joseph und seine Brüder stehen in einer langen Geschichte. Das heißt, bei der Gott dafür gesorgt hat, dass sie nicht abbricht.
Dies ist die Toledot zum zwölften Mal. Ein Faden, der nicht abreißt. Das sehen wir auf den zweiten Blick: Ein Faden, der nicht abreißt, obwohl es in allen Generationen Pannen gibt. Sie können das nachlesen, wir haben es ja auch in der Predigtreihe gesehen. Es gibt in allen Generationen menschliches Versagen, teilweise schwere Schuld. Und trotzdem geht es immer weiter. Gott lässt diesen Faden seines Volkes nicht abreißen.
Warum ist das so wichtig? Warum muss diese Geschlechterfolge unbedingt halten? Weil durch diese Generationen – das müssen wir verstehen – ein Staffelstab weitergegeben wird, von einer Generation zur anderen. Gott hat mit diesem Staffelstab ein besonderes Versprechen verbunden. Schon im dritten Kapitel, 1. Mose 3, Vers 15, war die Situation so: Die Sünde hatte Einzug gehalten, die Menschen hatten sich von Gott losgerissen. Und Gott gab ihnen trotzdem ein besonderes Versprechen.
Er sagt dort in 1. Mose 3,15: Eva wird einen Nachkommen haben. Ein Besonderer wird es sein, wörtlich steht da „einen Samen“, und dieser Same wird der Schlange den Kopf zertreten. Er wird den Teufel entmachten, das zerstörerische Problem der Sünde überwinden. Damit sagt Gott: Ich gebe euch noch einmal eine Chance.
Er beginnt hier am Ort des Zerbruchs, dort, wo die Rebellion gegen Gott erfolgte – die Menschen wollten ihr eigener Herr sein und waren nicht bereit, Gott als ihren persönlichen Gott anzubieten und zu akzeptieren. Das ist bis heute unser Problem. Und hier, an diesem Ort des Zerbruchs, beginnt Gott noch einmal eine Geschichte.
Eva wird einen Nachkommen haben, über viele, viele Generationen hinweg. Dann wurde dieser Same, dieser Staffelstab weitergegeben durch die Toledot von Adam, dann die Toledot von Noah. Noah bringt diesen Samen gewissermaßen durch die Flut hindurch. Dann kanalisierte Gott diesen Samen in einem bestimmten Volk, das er dazu erwählt hatte – das ist das Volk Israel. Das macht Israels besondere Stellung aus.
Dann lief dieser Staffelstab weiter, durch die Toledot von Isaak, dem Sohn Abrahams. Auch hier, in unserem Vers 37,2, wird eine weitere Station in dieser Segenslinie sichtbar, durch die Gott den Samen bewahrt und den Staffelstab weitergibt: die Toledot von Jakob. Einer dieser zwölf Söhne wird dann das nächste Glied auf dem langen Weg zum Messias sein: Juda, der vierte Sohn Jakobs. Er war derjenige, der den Vorschlag machte, Joseph nach Ägypten zu verkaufen.
Durch ihn wird die Linie verlaufen, und diese Linie wird noch circa 1800 Jahre weiterlaufen, bis schließlich der Messias, der Retter Jesus Christus, geboren wird. Von ihm wird Paulus dann im Galater 4,4 schreiben.
Als dieser Prozess zum Ziel kam, der hier durch die Toledot markiert ist, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau – einer Frau wie Eva, nämlich von Maria, einer Nachfahrin Evas, aber auch einer Nachfahrin des Volkes Israel, einer Nachfahrin des Stammes Juda, einer Nachfahrin der Davidsfamilie, die aus diesem Stamm Juda hervorgegangen war. Darum mussten Maria und Josef auch zur Volkszählung nach Bethlehem, weil es die Davidsstadt war.
Verstehen Sie: Es hat gehalten. Der Faden ist nicht abgerissen. Und das ist es, was wir hier in unserem Text, aber erst auf den zweiten Blick sehen. Der erste Blick zeigt uns nur eine überforderte Familie, aber auf den zweiten Blick erkennen wir einen überlegenen Plan.
Das müssen wir verstehen: Da ist ein Faden, der nicht abreißt, ein überlegener Plan. Aber da ist noch mehr – da ist ein Traum, der sich erfüllt. Das ist doch das Besondere. Diese Verse sind ja nicht umsonst geschrieben: „Siehe, wir bannen Gaben auf dem Feld, und meine Gabe richtete sich auf und stand, aber eure Gaben stellten sich ringsherum und neigten sich vor meiner Gabe. Siehe, die Sonne und der Mond und die elf Sterne neigten sich vor mir.“
Verstehen Sie, auch wenn Josef diesen Traum damals höchst ungeschickt kommuniziert hat gegenüber seinen Brüdern und seinem Vater, naiv und pathetisch damit umgegangen ist – das ist ja eingetroffen. Das ist später voll eingetroffen. Wir werden im Laufe der nächsten Wochen sehen, wie Joseph aus dem Sklavenstand heraus eine steile Karriere in der ägyptischen Gesellschaft macht. Das werden wir alles sehen.
Als dann mehr als zwanzig Jahre später seine überforderte Familie, einschließlich Jakobs, von der Hungersnot in Kanaan getroffen wird, wohin pilgern sie? Nach Ägypten. Und wen treffen sie dort? Joseph, zunächst ohne ihn zu erkennen. Und was machen sie dort? Sie verneigen sich vor ihm, weil er ihnen das Leben retten wird.
Schon hier in Genesis 37 schickt Gott das voraus und sagt: So wird es kommen. Verstehen Sie, dieser Kommunikationsweg mit den Träumen – das hat Gott nur in Ausnahmefällen so gemacht. Erst recht im Neuen Testament hat Jesus die Gemeinde auf sein Wort festgelegt. Wir sollen uns nicht nach Träumen richten.
Paulus hat das noch einmal sehr deutlich gesagt in 2. Timotheus 3,17: Gott hat uns sein Wort gegeben, alle Heilige Schrift ist von Gott eingegeben, und wir sind damit vollständig ausgerüstet. Wir sollen aus diesem Text nicht lernen, dass wir auf unsere Träume hören sollten – das wäre genau kontraproduktiv. Aber das war eine Sondersituation, und es gab ja auch noch keine Bibel.
Nun hat Gott auf diese Weise geredet. Und schauen Sie, Jakob scheint das irgendwie geahnt zu haben. Obwohl er einerseits Joseph für diesen Traum kritisiert hat, steht in Vers 10 am Ende von Vers 11: „Aber sein Vater behielt diese Worte.“ Jakob hat gemerkt, da steckt mehr dahinter. Das erinnert uns an Maria in der Weihnachtsgeschichte, zu der der Engel sprach. Da heißt es, sie bewegte diese Worte in ihrem Herzen. Fast wortgleich, wenn auch auf Hebräisch und nicht auf Griechisch, wird das hier über Jakob gesagt.
Schauen Sie: Auf den ersten Blick eine überforderte Familie, aber auf den zweiten Blick ein überlegener Plan. Und Gott offenbart diesen Plan schon am Anfang, schon in Kapitel 37, quasi indirekt in diesen Träumen. Was beweist das? Es beweist, dass Gott die Fäden jederzeit in den Händen hält und dass es bei Gott keinen Kontrollverlust gibt, zu keiner Sekunde.
Eine überforderte Familie, aber ein überlegener Plan. Schauen Sie, wir haben vorhin doch schon einige Bausteine sehen können, mit denen Gott diesen Plan in die Realität umgesetzt hat. Wären die Brüder nicht von Sichem nach Dothan weitergezogen, wären sie nicht auf die Karawane der Ismaeliter gestoßen (Vers 25). Die Handelsstraße, die das Gebiet jenseits des Jordans mit der Ägyptenroute verbindet, verlief nicht durch Sichem, sondern durch Dothan. Sie mussten dorthin und von dort weiter an die Meeresküste Philisterland, schließlich zum Niltal und weiter.
Hätten die Brüder Joseph nicht in die Sklaverei verkauft, wäre er nicht nach Ägypten gekommen.
Übrigens noch etwas ganz Wichtiges: Wir sehen hier eines der vielen Indizien für die historische Zuverlässigkeit dieses Texts in Vers 29, wo es heißt, dass sie ihn für zwanzig Silberstücke an die Ismaeliter verkauften (Vers 28). Es ist hochinteressant: Kenneth Kitchen, einer der großen Archäologen des zwanzigsten Jahrhunderts, hat gezeigt, dass um 1800 vor Christus im Nahen Osten ein Sklave wirklich in diese Preisklasse fiel. Man kann das an anderen Dokumenten deutlich machen. In seinem Buch „Ancient Orient and Old Testament“ schreibt er das.
Zwanzig Silberstücke – das ist eher am unteren Level, also sie haben Joseph relativ preiswert verkauft, muss man sagen. Aber es ist realistisch, es passt genau in jene Zeit. Und schauen Sie, das ist wichtig. Ich bitte Sie, das mitzunehmen und auch für die nächsten Kapitel zu berücksichtigen, die wir dann angehen werden.
Es ist wichtig, dass es sich hier um einen historischen Vorgang handelt und nicht nur um nette Beispielgeschichten. Wissen Sie, Geschichten können wir uns viele ausdenken, aber unser Gott handelt wirklich so. Unser Gott kann das wirklich, und er tut es wirklich für seine Leute.
Mitten in dieser Welt der Tische und Bänke handelt unser Gott, in dieser Welt der Sklavenhändler und Terroristen, in dieser Welt der Krebsbefunde und Insolvenzen, mitten in dieser Welt der Diktatoren und Ausbeuter und Freiheitszerstörer hat unser Gott einen überlegenen Plan. Das ist real.
Und all diese Protagonisten, wer immer sie auch heute sein mögen, können diesen Plan Gottes, diesen überlegenen Plan Gottes mit ihren Schachzügen niemals zerstören. Im Gegenteil: Sie müssen – und das sehen wir hier so schön wieder – willige Erfüllungsgehilfen von Gottes Zielen werden, auch wenn das das Letzte wäre, was sie wollen.
Schauen Sie: Die rachsüchtigen Brüder von Joseph dienen der Verwirklichung von Gottes Plänen. Wäre Joseph nicht nach Ägypten gezwungen worden, hätte er dort nicht jene politische Machtposition erobern können, die ihn später zum Retter seiner Familie und Israels werden ließ.
Daran erkennen wir Gottes überlegenen Plan: einen Faden, der nicht reißt, einen Traum, der sich erfüllt, einen Totgesagten, der später zum Lebensretter wird. Dadurch wird die ganze Familie überleben, aus ihr wird das Volk Israel hervorgehen, aus ihr wird König David kommen und letztlich der Messias, Jesus Christus, der Retter aller Welt.
Das ist die frohe Kunde, die uns aus diesem alten historischen Bericht entgegenstrahlt: Unser Gott hat einen überlegenen Plan für alle seine Leute. Einen Plan, den er nicht nur trotz aller Widerstände zum Ziel führt, sondern einen Plan, den er sogar mittels dieser Widerstände zum Ziel führt.
Das ist die Botschaft hier. Und das können wir zum Beispiel als Gemeinde auch am Beispiel der ganzen Corona-Turbulenzen bezeugen. Wie viele böse Widerstände gab es gegen den Gottesdienst? Wie viele Verbote, wie viele unberechtigte Einmischungen?
Gott hat es in seiner Gnade geschenkt, dass wir als BEG gerade durch diese Widerstände und gerade aus diesen Widerständen gestärkt hervorgehen durften. Gott hat es geschenkt, dass Menschen in dieser Zeit zum Glauben an Jesus fanden, unsere Gemeinde wuchs in dieser Zeit wie niemals zuvor. Auch finanziell hat uns Gott so geholfen, auch durch diese Zeit.
Daran sehen wir: Gott kann beides, je nach seiner souveränen Führung und Vorsehung. Gott kann das Böse verhindern, das uns bedroht. Gott sagt: „Ich will dich mit meinen Fittichen decken.“ Oder wie Manfred Siebald das in einem Lied so gut formuliert hat, wo er Gott dankt „für jeden Unfall, vor dem du mich bewahrt hast, für alles Leiden, das du mir noch erspart hast, für die Gefahren, die ich niemals erkannte, weil du sie von mir nahmst, bevor ich sie noch ahnte.“
Ja, Gott kann das, und Gott tut das oft auch, dass er das Böse verhindert, das uns bedroht. Aber manchmal macht Gott es auch anders: Er nutzt das Böse, das uns widerfährt, gerade, um daraus Gutes für uns zu wirken.
Das hat auch Joseph erlebt: Die bösen Taten der Brüder, das Versagen von Jakob als Vater – das hat Gott in seinen Plan eingebaut, so dass am Ende für Joseph und für Gottes Volk das Allerbeste herauskommen musste.
Joseph selbst wird das am Ende seiner Geschichte in Kapitel 50 fast fröhlich auf den Punkt bringen, wenn er zu seinen Brüdern sagt, in diesem berühmten Vers: „Ihr dachtet es böse zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“
Manchmal hat Gott eure Gemeinheiten gerade genutzt, um daraus etwas Gutes und Wunderbares werden zu lassen. Unter einer solchen Führung, unter der Führung eines solchen Gottes lebt es sich manchmal unbequem, das wissen wir alle, die wir diesem Gott gehören. Aber wir dürfen trotzdem geborgen sein unter einer solchen Führung.
Deshalb ist das die sehr persönliche Frage, die Sie sich heute stellen müssen: Leben Sie bereits unter der Führung dieses Gottes? Was wir hier vorgeführt bekommen, ist nicht ein allgemeines Menschheitsprinzip, sondern die Fürsorge, die Gott seinen Leuten verspricht.
Wie werden wir zu Gottes Leuten? Gott hat uns eine einzige Tür gegeben, durch die wir gehen dürfen und müssen: Jesus Christus, den er uns gesandt hat als die Krönung, als das Ziel dieser langen Reihe, als den, der auf die Welt kam, um uns das Gesicht des Vaters zu zeigen, um uns unsere größte Last abzunehmen – die uns an die Hölle für immer gekettet hätte, nämlich unsere Gottlosigkeit, unsere Schuld.
Er kam, um die Strafe zu tragen, und er hat es getan, als er an diesem Kreuz für uns starb. Er ist mit geöffneten Armen da und sagt: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Frieden geben.“
Wer sich so zu Jesus flüchtet, wer zu ihm kommt, der gehört zu diesen Leuten, von denen wir hier gelesen haben. Der darf auch für sich persönlich in Anspruch nehmen, dass Gott alles, alles in seinem Leben zum Guten führen wird.
Lebst du unter Gottes Führung? Wenn wir einen Schritt zurücktreten, nachdem wir diesen Vers jetzt gesehen haben, welch ein Trost strömt uns doch aus diesem Befund entgegen! Wenn wir in Situationen hineinstürzen, in denen alles nach Kontrollverlust aussieht, dürfen wir wirklich wissen, dass unserer Überforderung in jeder Sekunde Gottes Überlegenheit gegenübersteht – sein überlegener Plan.
Josephs Biografie ist ein Paradebeispiel dafür. Oder wie Benjamin Warfield, der große Theologe des zwanzigsten Jahrhunderts, treffend gesagt hat: Dieses Thema, dass Gott auch die bösen Absichten der Menschen aushebelt – man könnte es vielleicht noch freier übersetzen mit „dass Gott auch die bösen Absichten der Menschen kapert, um sie für uns einzusetzen, um seine Leute zu retten“ – dieses Thema zieht sich durch das ganze Alte Testament hindurch.
Schreibt Benjamin Warfield: Vielleicht ist es nirgendwo ausdrücklicher zu finden als im Bericht über Joseph, dass Gott all das Böse kapert, um es letztlich zum Guten seiner Seinen wirken zu lassen.
Das ist heute hoffentlich deutlich geworden. Aber Gott hat das nicht nur mit Joseph so gemacht. Und damit komme ich zum Schluss: Er hat es sogar mit seinem eigenen Sohn getan.
Wir kommen noch einmal auf den blutgetränkten Rock zurück, auf das Blut an dem Rock von Joseph. Dieses Blut stammte, anders als Jakob in seiner Verzweiflung dachte, nicht von Joseph selbst. Joseph hatten sie ja vorher das Gewand ausgezogen, bevor sie es blutgetränkt hatten.
Bei Gottes Sohn, bei Gottes eigenem Sohn, ging es noch einen Schritt weiter. Sein letztes Kleidungsstück, das er am Kreuz trug, war bildlich gesprochen wirklich von seinem eigenen Blut getränkt. Er hat sein Blut für uns vergossen, aber Gott gedachte, es gutzumachen.
Denn überlegen Sie: Diese böseste Tat, die jemals in dieser Welt geschehen ist – die Hinrichtung des vollkommenen Sohnes Gottes am Kreuz – diese böseste Tat hat der heilige Gott dazu gebraucht, um damit den herrlichsten Plan zu verwirklichen, der jemals in dieser Welt umgesetzt wurde. Dieser Plan ist, dass wir Sünder in den Himmel kommen können, weil Jesus durch dieses Elend am Kreuz unsere Schuld gesühnt und unsere Strafe getragen hat.
Darum lasst uns ihm unser ganzes Leben anvertrauen. Erst wenn wir in seinen Händen sind, erst wenn wir in Jesu Händen sind, kann uns nichts und niemand mehr wirklich schaden – nicht einmal in dieser Welt.
Und dann dürfen wir mit dem Apostel Paulus wirklich von Herzen bekennen und wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge, wirklich alle Dinge, zum Besten dienen.
Allmächtiger Gott und Vater, wir danken dir, dass du souverän in der Geschichte regierst. Dein Plan ist überlegen und will alle Widerfahrnisse, die uns in dieser Welt begegnen können, zum Guten wenden.
Herr, danke, dass wir geborgen sind unter deiner Führung und deinem Schutz. Wir haben an Josef gesehen, dass du ihm schwere Wege nicht erspart hast. Auch uns hast du nicht die Verheißung gegeben, uns vor allen Schwierigkeiten zu bewahren.
Aber du hast versprochen, uns ans Ziel zu bringen. Du hast versprochen, die Deinen in jeder Lage zu beschützen und festzuhalten, sodass wir mitten im Sturm geborgen sein dürfen.
Herr, hilf uns, dir zu vertrauen und zu danken. Gib, dass noch viele, viele unserer Zeitgenossen zu dir kommen und sich unter deinen Schutz flüchten.
Wir beten dich an, du allmächtiger, souveräner und heiliger Gott, in Jesu Namen. Amen.