Einführung und Ausgangslage des Buches Hiob
Heute Nachmittag wollen wir uns im Sinne einer Übersicht mit dem Buch Hiob beschäftigen.
Zu Beginn lese ich die Einleitungsverse aus Hiob 1, Vers 1:
Es war ein Mann im Lande Utz, sein Name war Hiob. Dieser Mann war vollkommen, rechtschaffen, gottesfürchtig und mied das Böse.
Ihm wurden sieben Söhne und drei Töchter geboren. Sein Besitz umfasste siebentausend Schafe, dreitausend Kamele, fünfhundert Jochrinder, fünfhundert Eselinnen und sehr viel Gesinde.
Hiob war größer als alle Söhne des Ostens. Seine Söhne gingen hin und veranstalteten an ihrem jeweiligen Tag in ihrem Haus ein Gastmahl. Sie luden auch ihre drei Schwestern ein, um mit ihnen zu essen und zu trinken.
Wenn die Tage des Gastmahls vorüber waren, sandte Hiob hin und heiligt sie. Früh am Morgen stand er auf und opferte Brandopfer, und zwar für jeden von ihnen. Denn Hiob sagte: „Vielleicht haben meine Kinder gesündigt und sich in ihrem Herzen von Gott losgesagt.“ So tat Hiob allezeit.
Es geschah eines Tages, dass die Söhne Gottes kamen, um sich vor den Herrn zu stellen, und auch Satan kam unter ihnen.
Der Herr sprach zu Satan: „Wo kommst du her?“
Satan antwortete dem Herrn und sagte, er sei durch die Erde gewandert und habe sie durchstreift.
Der Herr fragte Satan: „Hast du Acht gehabt auf meinen Knecht Hiob? Denn seinesgleichen gibt es keinen Mann auf Erden, der vollkommen und rechtschaffen, gottesfürchtig und das Böse meidend ist.“
Satan antwortete dem Herrn: „Ist es umsonst, dass Hiob Gott fürchtet? Hast du nicht selbst ihn, sein Haus und alles, was er hat, ringsum eingezäunt? Du hast das Werk seiner Hände gesegnet, und sein Besitz hat sich im Land ausgebreitet.
Aber strecke einmal deine Hand aus und taste alles an, was er hat, ob er sich nicht offen von dir lossagen wird.“
Da sprach der Herr zu Satan: „Siehe, alles, was er hat, ist in deiner Hand; nur gegen ihn selbst strecke deine Hand nicht aus.“
Und Satan ging vom Angesicht des Herrn hinweg.
Ursprung und Verfasser des Buches Hiob
Das Buch Hiob zählt zu den merkwürdigsten Büchern der Bibel. Im Buch selbst wird nicht angegeben, wer es verfasst hat. Dennoch finden wir in Kapitel 19 den Wunsch Hiobs, dass seine Worte niedergeschrieben werden. In 19, Vers 23 heißt es: „Oh, dass doch meine Worte aufgeschrieben würden, oh, dass sie in ein Buch gezeichnet würden, mit eisernem Griffel und Blei in den Felsen eingehauen auf ewig.“
Die rabbinische Tradition im Talmud bringt das Buch Hiob mit Mose in Verbindung. Das ist erstaunlich, aber durchaus denkbar. Dabei ist gemeint, dass Mose als Redaktor fungiert haben könnte. Er hätte bereits ältere Quellen besessen, die er dann zum eigentlichen Buch Hiob verarbeitet hat. Das entspricht dem gleichen Prinzip, wie Mose das erste Buch Mose verfasst hat.
Auch im ersten Buch Mose selbst finden sich Hinweise darauf, dass Mose frühere schriftliche Überlieferungen von den Patriarchen hatte. Diese hat er unter der Inspiration des Heiligen Geistes zum ersten Buch Mose zusammengefügt.
Interessant ist, dass Mose vierzig Jahre in Ägypten lebte. Danach musste er fliehen und ging ins Land Midian. Das liegt sehr nahe beim Land Utz. Dort lebte er weitere vierzig Jahre. Während dieser Zeit hatte er Kontakt mit einem midianitischen Priester namens Jethro Reguel (2. Mose 2,15 und folgende). Jethro wurde sogar sein Schwiegervater, da Mose eine seiner Töchter heiratete.
So hatte Mose während vierzig Jahren Beziehungen zu den Midianitern und zu einer gottesfürchtigen Linie aus dem midianitischen Volk. Es ist daher durchaus denkbar, dass er von dort die Berichte für das Buch Hiob erhalten hat. Diese Vermutung ist zwar Spekulation, aber sie erscheint tausendmal vernünftiger als die Ansichten der bibelkritischen Theologie. Diese wollte das Buch Hiob als Fälschung aus der nachexilischen Zeit möglichst weit nach hinten datieren.
Die Rabbiner haben ihre Überlieferung, dass Mose mit dem Buch Hiob in Verbindung steht, nicht einfach aus der Luft gegriffen. Wichtig ist jedenfalls, dass es Gottes Wort ist. So wird das Buch auch im Neuen Testament behandelt, wie wir noch sehen werden.
Thematische Einordnung des Buches Hiob
Zum Thema: Was ist das Thema des Buches Hiob?
Ich habe hier einige Möglichkeiten aufgeführt, wie man das Buch Hiob umschreiben könnte.
Leiden – wozu?
Ein Buch mit 42 Kapiteln, das sich mit dem Problem des Leidens beschäftigt. Und das sind nicht so viele Kapitel, denn wir wissen, dass die Frage nach dem Leid in dieser Welt zu den tiefsten Fragen der Menschheit überhaupt gehört. Ich habe heute Morgen erklärt, wie Darwin genau an dieser Frage gescheitert ist. Wenn er den Sternenhimmel betrachtete, überkam ihn das Gefühl, dass es eine Macht über ihn gibt, einen Schöpfer. Doch wenn er dann an das Leiden in dieser Welt dachte, verschwand dieses Gefühl wieder. Leiden – wozu?
Oder ein Buch über Hiob von Erich Bonsels heißt Gottes Hand im Leiden. Aber es behandelt eben nicht einfach Leiden schlechthin. Das Besondere im Buch Hiob ist die Frage, warum ein gläubiger, gerechter Mensch leidet. Das ist noch viel schwieriger.
Wir können als Titel sagen: Warum müssen selbst Gerechte leiden? Aber wir sehen Gottes Treue in diesem Buch, und so können wir es umschreiben mit: Gottes unbegreifliche Wege durch Leiden hin zum Segen.
Oder wir könnten auch den Wahlspruch der Hugenotten aus der Verfolgungszeit nehmen: Post Tenebras Lux – „Hoffnung nach der Finsternis das Licht“. Das entspricht Psalm 112, Vers 4, wo es heißt: „Dem Gerechten geht Licht auf in der Finsternis.“
Oder schlicht ein Bibelwort könnten wir als Titel setzen, Jesaja 55, Vers 8:
„Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr; denn wie der Himmel höher ist als die Erde, so sind meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“
Das drückt sehr eindrücklich das Thema des Buches Hiob aus. Aber es ist noch mehr.
Wir haben ja in Kapitel 1 bereits etwas davon gelesen, wie all dem Leiden Hiobs eine Szene im Jenseits vorausgegangen ist, im Himmel, wo die Engelwelt sich vor Gott versammelt hat. Dort hat Satan den Vorschlag gemacht, Hiob durch Leiden zu testen, um zu prüfen, ob sein Glaubensleben so etwas aushalten würde.
So sehen wir in diesem Buch mehr: Es geht hier um das Zeugnis des Erlösten gegenüber der Menschheit und der Engelwelt. Das können wir in Zusammenhang sehen mit 1. Petrus 1, Vers 12. Dort schreibt Petrus, dass Engel ihre Hälse recken – so wörtlich im Griechischen –, um in das Geheimnis der Erlösung hineinzuschauen.
Der Elberfelder übersetzt es so: Engel begehren, in welche Dinge sie hineinzuschauen. Aber von der Grundbedeutung her ist es sogar, dass sie ihre Hälse recken, um in diese Dinge zu schauen.
Die Engelwelt ist interessiert an Gottes Werk, dem Erlösungswerk an den gläubigen Menschen. Und in 1. Korinther 4, Vers 9 sagt Paulus: „Wir sind ein Schauspiel geworden, sowohl Menschen als Engel.“ Das heißt also, die unsichtbare Welt ist sehr interessiert an der Menschheit und insbesondere am Leben und Verhalten der erlösten Menschen, weil die Engelwelt an der Erlösung keinen Anteil hat.
In Hebräer 2 heißt es: Gott ergreift die Engel nicht, also um sie zu retten und herauszuholen, die gefallenen Engel, sondern des Samens Abrahams nimmt er sich an.
Nur solche, die gläubig sind wie der Patriarch Abraham, werden erlöst.
Und da müssen wir also das Buch Hiob in dieser viel größeren Dimension sehen: Es geht um die unsichtbare Welt, die ein Interesse hat an der Echtheit der Erlösung, die Gott an Menschen bewirkt.
Aufbau und literarische Form des Buches Hiob
Ein Wort zum Aufbau des Buches
Es ist immer wichtig, wenn man ein neues Bildbuch studiert, sich zu fragen, wie das Buch eingeteilt und aufgebaut ist. Wenn man es einfach so durchliest, fällt auf, dass die Kapitel eins bis zwei Prosa sind. (Anmerkung: Auf dem Blatt steht ein Schreibfehler, dort ist es falsch angegeben.) Diese Kapitel sind also in normaler Sprache verfasst.
Die Kapitel drei bis einundvierzig hingegen sind Poesie, poetisch in Gedichtform geschrieben. Kapitel zweiundvierzig ist wieder Prosa, also in normaler, gewöhnlicher Sprache. Das ergibt ein A-B-A-Schema: Prosa, Poesie, Prosa. Dieses Schema ist in der Kunst sehr üblich. Auch in der Musik kommt es oft vor, viele Lieder sind nach dem Prinzip A-B-A aufgebaut.
Was die Poesie betrifft, habe ich heute Morgen auf dem ersten Blatt zu den Psalmen einen Abschnitt zur hebräischen Poesie im Alten Testament ausgelassen. Diese Poesie ist ganz anders aufgebaut als unsere europäische Poesie. Sie ist vor allem eine Gedankenreim-Poesie, deren Grundstruktur ein Parallelismus von zwei Versen ist.
Die Grundstruktur der Poesie im Alten Testament besteht darin, dass ein Vers aus zwei parallel gestellten Verszeilen aufgebaut ist. Dabei unterscheidet man drei Haupttypen, von denen es unzählige Varianten gibt. Diese drei Grundtypen sollte man kennen, da sie sehr nützlich fürs Bibellesen sind – gerade auch für dieses Buch. Man liest es ganz neu und anders, wenn man das verstanden hat.
Ein Beispiel für einen solchen Parallelismus ist Psalm 119, Vers 105. Dort bestehen die zwei Verszeilen auf Hebräisch aus zwei Aussagen, die das Gleiche mit anderen Worten ausdrücken: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte.“ Dem Fuß entspricht in der zweiten Zeile „mein Pfad“, und „Leuchte“ entspricht „Licht“. Das nennt man synonymer Parallelismus – das Gleiche wird mit synonymen, gleichbedeutenden Worten nochmals ausgedrückt.
Diese Art von Poesie kann man auch gut übersetzen, wie man an der deutschen Version sieht. Es war eine übliche kanaanitische Poesie, denn die Kanaaniter haben so gedichtet. Hebräisch ist eine kanaanäische Sprache, und diese Form der Poesie findet sich im Alten Testament wieder. Das Besondere ist, dass sie so gestaltet ist, dass sie in möglichst viele Sprachen der Welt übersetzt werden kann, ohne dass der Sinn verloren geht.
Im Gegensatz dazu verliert man bei der Übersetzung eines französischen Gedichts ins Deutsche oft die ganze Pointe. Es gibt zwar Künstler, die es schaffen, ein Gedicht in Versform zu übersetzen, aber das ist oft gekünstelt. Die hebräische Poesie hingegen ist wirklich darauf ausgelegt, in vielen Sprachen erhalten zu bleiben.
Dann gibt es den antithetischen Parallelismus. Dabei steht die erste Verszeile im Gegensatz zur zweiten. Ein Beispiel findet sich in Sprüche 28,12: „Wenn die Gerechten frohlocken, ist die Pracht groß; wenn aber die Gesetzlosen emporkommen, verstecken sich die Menschen.“ Hier drückt die erste Zeile einen Gegensatz zur zweiten aus.
Der dritte Grundtyp ist der synthetische Parallelismus. Hier baut die zweite Zeile auf der ersten auf und führt sie weiter. Ein Beispiel ist Psalm 119, Vers 9: „Wodurch wird ein Jüngling seinen Pfad in Reinheit wandeln? Indem er sich bewahrt nach deinem Wort.“ Hier wird nicht zweimal dasselbe gesagt, und es wird auch kein Gegensatz ausgedrückt, sondern die erste Zeile wird beantwortet und weitergeführt.
Diese drei Grundtypen sind die Basis. Es gibt darüber hinaus Wortspiele, Wortanklänge und Rhythmus, die im Hebräischen eine Rolle spielen. Doch das Hauptmerkmal der Poesie liegt im Inhalt, im Gedankenreim.
Damit man sich vielleicht noch besser vorstellen kann, wie das etwa klingt und um etwas vom Rhythmus zu erleben, rezitiere ich aus Psalm 1. So merkt man den Rhythmus, der im Gegensatz zur Prosa steht:
Psalm 1: „Asch reha isch, ascher lo halach ba'atzat Resha'im, uwe Derech Chata'im lo amad, uwe Moschaw Lezim lo jashav, ki'im betorat Adonai Chepzo uwe Torat To jehe Jum'am wa Leila, wa haya keetz Schatul al Palgei Maim.“
Vom Rhythmus und von der ganzen Pathetik spielt alles eine wichtige Rolle, aber das Wichtigste ist der Inhalt.
Das ist nun wichtig, weil ich erklärt habe: Der erste Teil von Hiob ist Prosa, dann folgt Poesie, und zum Schluss wieder Prosa. Die Poesie umfasst alle Reden von Hiob und seinen drei Freunden, dann die Rede seines vierten Freundes und schließlich die Rede Gottes aus dem Sturm.
Man fragt sich, wie das damals wohl ablief. Haben sie wirklich in Poesieform miteinander gesprochen? Warum nicht? Diese Art von Poesie ist viel einfacher zu improvisieren. Es gibt nur wenige Leute, die Hexameter improvisieren können. Solche gibt es zwar auch auf Deutsch, aber das ist eine große Ausnahme.
Diese Art von Poesie, bei der auch Rhythmuswechsel erlaubt sind, ist hingegen leichter improvisierbar. So kann man sich gut vorstellen, dass Hiobs Freunde ihren Worten Gewicht verleihen wollten, indem sie pathetisch über das Problem des Leidens Hiobs miteinander gesprochen haben.
Detaillierte Struktur und Spiegelbild im Buch Hiob
Eine etwas detailliertere Struktur des Buches Hiob ergibt folgendes Schema, das ich als Spiegelstruktur bezeichnet habe. Ich habe versucht, das Buch Hiob einfach nach den offensichtlichen Teilen aufzuschreiben und bin auf sechs Teile gekommen.
Die ersten zwei Kapitel beschreiben, wie Hiob vom Wohlstand ins Unglück fällt. Danach folgt ein Monolog, in dem Hiob seine Geburt verflucht. In dieser Rede betrachtet er seine Geburt gewissermaßen als einen Fehler in der Schöpfung.
Dann kommen die Freunde, die mit Hiob diskutieren. Hier haben wir drei Diskussionsrunden. Zuerst spricht Eliphas in Kapitel 4, dann antwortet Hiob. Danach kommt Bildad, dem Hiob ebenfalls antwortet, und schließlich spricht Zophar, auf den Hiob wieder reagiert.
Es folgt eine zweite Serie, die Kapitel 15 bis 21 umfasst. Eliphas spricht erneut als Ältester, Hiob antwortet und entgegnet. Dann spricht Bildad als zweiter Ältester, Hiob antwortet wieder. Zophar, der Jüngste, spricht ebenfalls, und Hiob erwidert erneut. Immer noch gibt es keine Lösung.
So beginnt die dritte Runde in den Kapiteln 22 bis 31. Eliphas spricht wieder als Ältester, Hiob antwortet. Bildad spricht erneut, Hiob antwortet wieder. Dann heißt es, die Worte Hiobs seien zu Ende. Zophar denkt sich, dass es überhaupt keinen Sinn hat, mit diesem Mann zu sprechen, und er schweigt. Das kennen wir alle: Es hat keinen Sinn, also hören wir auf zu diskutieren. Die Diskussion wird abgebrochen, Zophar spricht nicht mehr.
Dann kommt ein neuer Diskussionsbeitrag: Elihu, ein vierter Freund, taucht plötzlich auf der Szene auf. Er sagt, er habe es fast nicht mehr zurückhalten können, aber da die anderen alle älter sind, wollte er zuerst das Alter sprechen lassen. Nachdem sie jedoch so viel Unsinn erzählt haben, darf er nun die Weisheit sprechen, die Gott ihm gegeben hat. Er hält einen Monolog, der sich von Kapitel 32 bis 37 erstreckt. Hiob antwortet darauf nicht.
Danach folgt ein deutlich neuer Teil: Gott erscheint im Sturm vor Hiob und spricht über die Natur, über die Schöpfung, eben über Gottes Weisheit in der Schöpfung. Er spricht bis einschließlich Kapitel 39.
Schließlich antwortet Hiob in Kapitel 39, Vers 33 oder nach anderer Verszählung Vers 40. Hiob antwortet dem Herrn und sagt: „Siehe, zu gering bin ich, was soll ich dir erwidern? Ich lege meine Hand auf meinen Mund. Einmal habe ich geredet und ich will nicht mehr antworten, und zweimal, und ich will es nicht mehr tun.“
Was bedeutet das? Das ist keine Buße, sondern Schmollen. Hiob sagt, er habe sowieso keine Chance, denn Gott ist der mächtige Herr. Hiob fühlt sich viel zu gering und kann keine Antwort geben. Früher hat er versucht zu sprechen, aber jetzt will er nicht mehr.
Dann fährt Gott fort und spricht über den Behemoth und den Leviathan. Danach folgt ein neuer Teil in Kapitel 42, in dem Hiob schließlich antwortet, nach diesem „Biologieunterricht“.
In Kapitel 42 antwortet Hiob dem Herrn und sagt: „Ich weiß, dass du alles vermagst und kein Vorhaben dir verwehrt werden kann.“ Man merkt den Parallelismus, das ist eine synonyme Wiederholung. Hiob drückt dasselbe zweimal aus: „Ich weiß, dass du alles vermagst und kein Vorhaben dir verwehrt werden kann.“
Dann sagt er in Vers 6: „Darum verabscheue ich mich und bereue in Staub und Asche.“ Auch hier wird das Gleiche zweimal ausgedrückt. Eigentlich geht die Poesie bis Kapitel 42, Vers 6, wenn man es ganz genau nimmt.
Dann folgt ein neuer Teil, in dem Gott Hiob aus dem Leiden führt und ihm doppelten Wohlstand gibt.
Nachdem ich mir das so aufgeführt hatte, habe ich überlegt, ob es hier Spiegelungen gibt, denn oft sind Bibelbücher in Spiegelstruktur aufgebaut.
Kapitel 1 und 2 zeigen den Übergang vom Wohlstand ins Unglück, und Kapitel 42 zeigt den Übergang vom Unglück zurück in den Wohlstand. Das ist ein klarer Gegensatz.
Dann habe ich mir Kapitel 3 angesehen. Dort hält Hiob eine Rede, in der er seine Geburt als einen Fehler in der Schöpfung betrachtet. Das spiegelt sich genau im zweitletzten Teil, den Kapiteln 38 bis 41, wider. Dort spricht Gott über seine Weisheit in der Schöpfung – also ein deutlicher Gegensatz.
Dazwischen liegt der große Teil von Kapitel 4 bis 31, die Diskussion mit den drei Freunden. Dieser Teil spiegelt sich in den Kapiteln 32 bis 37 wider, die den Diskussionsbeitrag von Elihu, dem vierten Freund, enthalten. Das könnte helfen, ein richtiges Bild von Elihu zu bekommen.
Seine Rede steht gewissermaßen in der Spiegelstruktur im Gegensatz zur Rede der drei Freunde. Gott sagt am Schluss in Kapitel 42, dass die drei Freunde nicht richtig über Gott gesprochen haben (42,7): „Denn nicht geziemend habt ihr von mir geredet“, sagt Gott zu den drei Freunden. Zu Elihu sagt er das nicht.
Elihu ist also eigentlich der Gegensatz zu den falschen Reden der Freunde. Er wird gar nicht getadelt. Aber dazu später mehr.
So haben wir nun eine Übersicht über den Aufbau des Buches Hiob.
Die Prüfungen Hiobs im Überblick
Jetzt kommen wir zu den Leiden Hiobs insgesamt. Ich habe mir überlegt, wie viele Prüfungen Hiob eigentlich bestehen muss. Dabei bin ich auf sieben gekommen. Interessant, die Zahl sieben, oder? Sie ist ein Maß, ein vollkommenes Maß an Leiden und Prüfung. In der Bibel ist die Zahl sieben die Zahl der Vollkommenheit.
Die erste Prüfung finden wir in Kapitel 1, Verse 14 bis 15. Ich lese ab Vers 13:
„Und es geschah eines Tages, als seine Söhne und Töchter im Haus ihres erstgeborenen Bruders aßen und Wein tranken, da kam ein Bote zu Hiob und sprach: Die Rinder pflügten, und die Eselinnen weideten neben ihnen. Da fielen die Sabeer ein, ein Volk aus Saudi-Arabien, und nahmen sie weg. Die Knechte erschlugen sie mit der Schärfe des Schwertes. Ich bin entronnen, nur ich allein, um es dir zu berichten.“
Das ist der erste Schlag: Hiobs Rinder- und Eselbesitz wird angegriffen.
Dann folgt die zweite Prüfung sogleich. Während dieser Bote noch redete, kam ein anderer und sagte:
„Feuer Gottes ist vom Himmel gefallen und hat das Kleinvieh und die Knechte verbrannt und verzehrt. Ich bin entronnen, nur ich allein.“
Ein Schlag über das Kleinvieh und wieder über die Knechte.
Im Vers 17 berichtet ein weiterer Bote:
„Die Chalder haben drei Haufen gebildet. Sie sind also aus Irak, dem Ursprungsland der Chalder, gekommen. Sie fielen über die Kamele her, nahmen sie weg und erschlugen die Knechte mit der Schärfe des Schwertes. Ich bin entronnen, nur ich allein, um es dir zu berichten.“
Das ist der dritte Schlag: die Kamele und Knechte sind betroffen.
Die vierte Prüfung folgt in Vers 18:
„Während dieser noch redete, kam ein anderer und sprach: Deine Söhne und Töchter aßen und tranken Wein im Hause ihres erstgeborenen Bruders. Siehe, ein starker Wind kam von jenseits der Wüste her und stieß an die vier Ecken des Hauses. Es fiel auf die jungen Leute, und sie starben. Ich bin entronnen, nur ich allein, um es dir zu berichten.“
Hiobs Töchter waren sehr geburtstagsfreudig. Sie feierten ihre Geburtstage intensiv an seinem Tag, also an ihrem Geburtstag. Das wurde ihnen schließlich zum Verhängnis: Durch eine Naturkatastrophe stürzte das Haus ein, und alle zehn Kinder Hiobs wurden ihm weggerissen. Das ist die vierte Prüfung. Unglaublich!
Hiob wusste natürlich nichts von der Szene im Himmel und von dem, was Satan mit Gott gesprochen hatte. Er erfuhr nur von der Katastrophe.
In Vers 20 heißt es:
„Hiob stand auf, zerriss sein Gewand, schor sein Haupt, fiel zur Erde nieder und betete an. Er sprach: Nackt bin ich aus dem Mutterleib gekommen, nackt werde ich dahin zurückkehren.“
Man merkt wieder, dass es sich hier um Poesie handelt. Weiter heißt es:
„Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; der Name des Herrn sei gepriesen.“
Bei all dem sündigte Hiob nicht und schrieb Gott nichts Ungereimtes zu. Eine unvorstellbare Katastrophe war über ihn gekommen, und seine Antwort war die Anbetung Gottes. Es wird ausdrücklich gesagt, dass Hiob nicht gesündigt hat.
Man kann sagen, damit war Satan völlig bloßgestellt. Die ganze abgefallene Engelwelt war bloßgestellt, denn hier zeigt sich ein erlöster Mensch. Es ist nicht einfach so, dass jemand gern mit Gott lebt, weil es ihm gut geht. Das ist nicht das Argument. Dieses Argument ist typisch für das Wohlstandsevangelium, das heute zum Teil verkündet wird. Dort heißt es: Wenn du gläubig wirst, gibt dir der Herr etwas, und wenn du spendest, bekommst du es vielfach zurück. Dann kannst du mit guten Autos herumfahren und so weiter.
Das ist nicht das Argument hier. Hiob bleibt treu und gläubig, auch wenn er keinen Wohlstand hat. Es wird ausdrücklich gesagt, dass er nicht gesündigt hat.
Dann folgt in Kapitel 2 eine spätere Sitzung vor dem Thron Gottes. Wieder versammelt sich die Engelwelt, und Satan kommt erneut. Er sagt:
„Tja, es ist klar, dass es bei Hiob gut gegangen ist. Man gibt schließlich alles für seine eigene Haut her. Wenn es einen selbst nicht betrifft, ist man bereit, alles fahren zu lassen. Aber Gott müsste einmal Hiob selbst antasten, seinen Körper. Dann würde er sich offen von Gott lossagen.“
Gott antwortet:
„Gut, er ist in deiner Hand.“
So kommt es in Kapitel 2, Vers 7, zum fünften Schlag:
„Satan ging von dem Angesicht des Herrn hinweg und schlug Hiob mit bösen Geschwüren von seiner Fußsohle bis zu seinem Scheitel. Er nahm sich einen Scherben, um sich damit zu schaben. Er saß mitten in der Asche.“
Hiob wird schwer krank. Im Buch selbst gibt es viele Hinweise auf die Krankheit, bis ins Detail. Es war eine interessante Arbeit für Mediziner, eine Diagnose aufgrund des Buchs Hiob zu stellen. Verschiedentlich wurde das versucht. Ein Neurologe in Deutschland sagte mir, er sei überzeugt, es war Pest. Andere vermuten Lepra, doch das erklärt nicht alle Symptome. Möglicherweise handelt es sich um eine Krankheit, die heute nicht mehr bekannt ist. Es gibt historische Krankheiten, die nicht zu allen Zeiten existierten.
Jedenfalls war es etwas Furchtbares und Schmerzhaftes. Hiobs Haut war ganz schwarz geworden, sein Atem abscheulich, und er litt fürchterliche Schmerzen im ganzen Körper. Ein Feuer brannte in ihm. Das ist der fünfte Schlag.
Dann folgt in Vers 9 die sechste Prüfung:
„Seine Frau sprach zu ihm: Hältst du noch fest an deiner Vollkommenheit? Sage dich los von Gott und stirb!“
Die Ehefrau will ihn zum Abfall von Gott bewegen. Übrigens ist das sarkastisch gemeint: „Los von Gott“ heißt eigentlich „Segne Gott und stirb“. Also: Sag Gott Lebewohl und stirb.
Hiob antwortete:
„Du redest wie eine von den Toren.“
Er sagt, wir sollten das Gute von Gott annehmen und das Böse nicht auch annehmen. Bei all dem sündigte Hiob nicht mit seinen Lippen.
Nun haben wir sechs Prüfungen. Die siebte folgt nach der Pause.
Noch eine kleine Bemerkung: Merkt man den Unterschied nach der sechsten Prüfung? Hier heißt es, Hiob sündigte nicht mit seinen Lippen. In Kapitel 1, Vers 22 heißt es:
„Bei alledem sündigte Hiob nicht und schrieb Gott nichts Ungereimtes zu.“
Das bedeutet, dass in seinem Herzen wohl schon etwas geschehen war, aber er brachte es nicht über seine Lippen. Das ist sehr schwierig zu erkennen.
Besuch der Freunde und Beginn der Diskussion
Kapitel 2, Vers 11
Die drei Freunde Hiobs hörten von all dem Unglück, das ihn getroffen hatte. Sie kamen jeweils aus ihren Orten: Eliphas der Temaniter, Bildad der Schuchiter und Zophar der Namaditer. Sie verabredeten sich, gemeinsam zu ihm zu gehen, um ihm ihr Beileid zu bezeugen und ihn zu trösten.
Sie erhoben ihre Augen aus der Ferne, erkannten ihn jedoch nicht. Dann erhoben sie ihre Stimmen und weinten. Jeder zerriss ein Gewand und streute Staub auf seinen Kopf gen Himmel. Sie saßen sieben Tage und sieben Nächte lang mit ihm auf der Erde. In dieser Zeit sprach keiner ein Wort zu ihm, denn sie sahen, wie groß sein Schmerz war.
Danach öffnete Hiob seinen Mund und verfluchte seinen Tag. Er begann zu sprechen: „Es verschwinde der Tag, an dem ich geboren wurde, und die Nacht, die sprach: Ein Knäblein ist empfangen. Jener Tag sei Finsternis. Er soll nicht gefragt werden von Gott droben, und kein Licht soll über ihm leuchten.“
Bis zu diesem Punkt scheint es, als gäbe es nur sechs Prüfungen. Aber wir haben gesehen: Nach vier Prüfungen hat Hiob nicht gesündigt, überhaupt nicht. Nach sechs Prüfungen hat er nicht mit seinen Lippen gesündigt.
Dann kommen seine Freunde zu Besuch, und plötzlich beginnt Hiob, seinen Geburtstag zu verfluchen. Das ist keine kleine Sache. Wenn ein Mensch gewissermaßen seine Geburt verflucht – in den Propheten heißt es: „Wehe dem, der zu seinem Vater sagt: Warum hast du mich gezeugt?“ Das gibt es wirklich. Und Gott sagt: „Wehe, wenn Kinder ihren Eltern so etwas sagen.“
Hier sehen wir also einen verzweifelten Menschen, der seine Geburt verflucht. Was ist geschehen? Warum kommt jetzt plötzlich dieser Ausbruch, dieser Vulkan? Drei Freunde kommen, die ihn trösten wollen.
Übrigens heißt es in Vers 11 am Schluss, dass sie sich verabredeten, miteinander zu kommen, um ihm ihr Beileid zu bezeugen. Der hebräische Ausdruck bedeutet wörtlich „um die Köpfe zu schütteln“. Das ist eine Redewendung und bedeutet Beileid bezeugen. Doch darin steckt etwas sehr Tiefes.
Was heißt Beileid bezeugen? Das ist nicht erst dann der Fall, wenn wir wissen und verstehen, warum jemand leidet. Schon wenn wir jemandem sagen: „Wir verstehen es auch nicht, warum das so gekommen ist. Wir sind genauso ratlos wie du“, ist das schon Beileid. Wir Menschen verstehen diese Dinge einfach nicht.
Gut, sie sind gekommen, um zu trösten. Sie weinen. Aber danach kommt dieser Ausbruch.
Sieben Tage und sieben Nächte saßen sie schweigend bei ihm. Sie waren damals nicht so gestresst wie wir heute in unserer Gesellschaft. Sie konnten einfach sieben Tage still sitzen und nichts sagen. Das ist unglaublich. Es muss doch etwas geschehen!
Aber das ist uns heute völlig abhandengekommen. Wir sind so gedrückt und gestresst. Die Menschen damals hatten eine ganz andere Lebensauffassung und Lebenshaltung. Und dann kommen auch ihre Reden. Man merkt, wie viel sie nicht nur einfach da saßen, sondern wie sehr sie reflektiert über das Leben, die Natur, die Geschichte und Gott nachdachten.
Das waren keine Faulenzer. Sie haben viel mehr reflektiert als wir heute. In unserer Gesellschaft darf kaum jemand Zeit zum Nachdenken nehmen. Wenn man spazieren geht, muss man oft noch zwei Dinge gleichzeitig tun oder eine Miniserie laufen lassen. Wo ist diese Ruhe, dieses Nachdenken über das Leben, Gott und die Natur? Das hatten sie alle.
Darum ist man so überwältigt von der Weisheit, die sich diese Freunde im Laufe ihres Lebens angehäuft hatten.
Sie schwiegen sieben Tage, doch Hiob merkte, was sie dachten. Man muss nicht immer reden, um zu wissen, was der andere denkt. Sie stellten ihn in Frage. Sie fragten sich, ob alles, was er früher gesagt hatte, nur Bluff war.
Das zeigt sich auch in ihren Reden. Die drei Freunde machten Hiob klar: „Du hast dich schwer gegenüber Gott versündigt, und darum ist das Unglück gekommen. Es ist eine Strafe für ein verborgenes gottloses Leben.“
Hiob merkte, dass sein ganzes Leben in Gottesfurcht von seinen Freunden infrage gestellt wurde. Das konnte er nicht ertragen. Deshalb verfluchte er schließlich seine Geburt.
Es ist erstaunlich: Er kann zehn Kinder verlieren und sündigt nicht. Seine Frau versucht ihn zum Abfall von Gott zu bewegen, und er bleibt fest. Aber als seine Freunde ihn grundlegend in Frage stellen, explodiert er.
Das zeigt, wo bei uns Menschen wahrscheinlich eine besondere Schwachstelle liegt: Wenn man uns als Person infrage stellt und unseren Glauben oder unsere Gerechtigkeit vor Gott anzweifelt, ist das wahrscheinlich das Schwierigste, das zu ertragen ist.
Da explodierte Hiob. Sechs Prüfungen hat er also wenigstens nach außen bestanden: vier nach außen und innen, sechs nach außen. Die siebte Prüfung hat er nicht bestanden.
Doch durch all diese Diskussionen hindurch, durch die Rede Elifas und schließlich durch die Rede Gottes aus dem Sturm hat Gott sein Ziel erreicht. Hiob bereut in Staub und Asche, und Gott kann ihn wiederherstellen.
Das macht deutlich, dass das Leiden Hiobs eine andere Bedeutung hatte als das siebte Leiden. Dieses war irgendwie zur Erziehung Hiobs bestimmt.
Verschiedene Arten von Leiden und deren Sinn
Aber übrigens, in Verbindung mit diesen sieben Leiden gibt es einen Spruch von Eliphas, Kapitel 5, Vers 17. Dieser ist geradezu prophetisch. Eliphas sagt: „Siehe, glückselig der Mensch, den Gott straft, so verwirft der Nächte die Züchtigung des Allmächtigen; denn er bereitet Schmerz und verbindet, er zerschlägt und seine Hände heilen. In sechs Drangsalen wird er dich erretten, und in sieben wird dich kein Übel antasten.“
Er spricht also davon, dass es sechs Drangsale gibt, und danach kommt die Rettung für dich. Ja, es kommen sieben Drangsale, und dann wird dich kein Übel mehr berühren. Das ist geradezu prophetisch: sechs Prüfungen einerseits, die siebte, und dann die endgültige Befreiung.
Nun sehen wir, dass besonders die ersten vier Prüfungen Leiden zur Ehre Gottes waren. In Johannes 9 trifft der Herr mit seinen Jüngern einen Blindgeborenen. Die Jünger fragen, wer gesündigt habe, er oder seine Eltern. Doch der Herr antwortet überhaupt nicht so. Weder er noch die Eltern haben gesündigt, sondern diese Krankheit dient dazu, dass Gottes Herrlichkeit offenbar werde.
Übrigens waren die Jünger nicht sonderbar oder abwegig in ihrem Glauben, dass der Blinde oder seine Eltern gesündigt hätten. Der Hintergrund war folgender: Die Rabbiner lehrten damals, der Mensch sei nicht von Natur aus böse oder sündig. Die Erbsündenlehre aus Römer 5,12 wurde im Judentum nicht festgehalten. Stattdessen sagten sie, der Mensch habe zwei Tendenzen: die Neigung zum Guten (Jäzerdorf) und die Neigung zum Bösen (Jäzeradit).
Wenn nun ein Embryo, also ein Kind im Mutterleib, die Neigung zum Bösen überwiegt, dann wird das Kind mit einem Geburtsschaden geboren. Das war ihre Lehre. Deshalb fragten die Jünger, ob der Blinde oder seine Eltern gesündigt hätten. Das war eine schreckliche Vorstellung, denn diese Eltern hatten bereits genug mit der schweren Behinderung ihres Kindes zu kämpfen, das von Geburt an blind war. Doch in der Gesellschaft waren sie dadurch stigmatisiert. Man hielt das Kind für besonders böse.
Der Herr aber sagt: Nein, überhaupt nicht. Weder er noch die Eltern haben gesündigt. Gott hat dieses Leiden gegeben, damit die Herrlichkeit Gottes offenbar werde. Darum heilte er den Blindgeborenen. Dieses Wunder ist eines von sieben besonderen Wundern im Johannesevangelium und hat eine sehr spezielle Bedeutung.
Es gibt also Leiden, die nicht Folge von Sünde sind, sondern zur Herrlichkeit Gottes dienen. Das sehen wir besonders bei den ersten vier Prüfungen Hiobs. Diese Leiden waren zur Ehre Gottes, und die ganze Engelwelt musste anerkennen, dass Hiob wirklich ein erlöster Mensch ist. Er blieb treu und fest im Glauben, auch wenn er alles verloren hatte.
Auch bei den zwei weiteren Prüfungen dienten sie zur Ehre Gottes. Als seine Frau ihn zum Abfall auffordert, sagt er klar: „Du redest wie die gottlosen Frauen sprechen. Wir haben das Gute angenommen, sollen wir jetzt nicht auch das Böse akzeptieren?“ Das ist zur Ehre Gottes.
Dann finden wir die siebte Prüfung, die zur Erziehung Hiobs diente. In Hebräer 12,4-11 wird gesagt, dass Gott auch heute mit Gläubigen so verfährt, dass er sie durch Leiden erzieht, wie ein Vater seine Kinder erzieht. Das geschieht nicht, weil diese Menschen besonders sündig oder gottlos wären, sondern einfach zur Erziehung, die wir alle brauchen.
Leiden zur Erziehung ist etwas ganz Normales. Besonders die siebte Prüfung, aber eigentlich schon die fünfte und sechste, dienten dazu, den verborgenen Stolz Hiobs aufzudecken. Es war etwas Stolzes da, aber Hiob war kein gottloser Mensch, wie seine Freunde behaupteten. Es war vielmehr etwas Gottloses, das Gott durch Leiden korrigieren wollte. Am Ende verabscheut Hiob sich in Staub und Asche.
Es gibt also Leiden zur Erziehung und Leiden zur Ehre Gottes. In 2. Korinther 12,7 wird sogar von Leiden zur Prävention gesprochen. Paulus sagt, Gott habe ihm einen Dorn im Fleisch gegeben, ein schweres Leiden, damit er sich nicht überhebe, weil er so viele Offenbarungen erhalten hatte. Dieses Leiden war nicht Folge von Sünde oder Hochmut, sondern diente dazu, Hochmut zu verhindern. Das ist Prävention.
Wir finden auch Leiden mit einem anderen Sinn. In 2. Korinther 1,3-4 sagt Paulus, dass er durch Leiden gegangen ist und Gottes Trost erfahren hat, damit er andere trösten kann, die durch Drangsal gehen. Paulus litt, um zu verstehen, wie es ist, wenn andere leiden, und sie besser trösten zu können.
Das ist ein ganz anderer Aspekt. Man fragt sich manchmal, warum man eine Phase der Depression durchmachen musste. Vielleicht, damit man später in der Lage ist, depressive Menschen besser zu verstehen und ihnen nicht einfach sagt: „Tu nicht so, Kopf hoch!“, sondern wirklich mitfühlen kann. Wenn man selbst schon einmal in einer solchen Situation war, versteht man, wie schwer das ist, auch wenn nüchtern betrachtet die Probleme klein erscheinen.
Leiden dient also auch dazu, andere trösten zu können. Und was soll das letztlich bewirken? In 2. Korinther 1,3 wird Gott genannt: der Vater der Erbarmungen und Gott allen Trostes. Wir können Gott nur so erleben, wenn wir durch Leiden hindurchgehen. Sonst bleibt die Vorstellung, dass Gott ein Gott des Trostes ist, reine Theorie.
Was bedeutet es konkret, dass Gott tröstet in einer schweren Situation? Es heißt, Gott erleben als das, was er wirklich ist: ein Gott des Trostes.
In 1. Korinther 11,30 sagt Paulus, dass wegen des unwürdigen Abendmahls in Korinth viele krank geworden sind und einige sogar gestorben sind. Das war ein Gericht an Gläubigen. Paulus erklärt, dass dies zur Züchtigung, also zur Erziehung geschieht, damit wir nicht mit der Welt verurteilt werden. Diese Menschen sind nicht verloren für die Hölle, aber ihr Leben auf Erden wurde durch Gottes Gericht verkürzt.
Man kann noch unterscheiden zwischen dem Gericht an Gläubigen und dem Gericht an den Verlorenen, das die ewige Pein ist, wie es in Offenbarung 11-15 und vielen anderen Stellen beschrieben wird.
Leiden ist also sehr vielfältig und hat viele Gründe. Die Freunde Hiobs sagten einfach: „Er leidet, also ist er gottlos.“ Das ist eine zu einfache und falsche Logik. Auch heute ist Leiden viel komplexer. Wenn wir jemanden leiden sehen, müssen wir uns fragen: Dient dieses Leiden zur Ehre Gottes, zur Erziehung, zur Prävention, zum Mitgefühl oder zum Gericht? Das Gericht ist nur eine Möglichkeit unter vielen.
In der Realität ist es oft eine Mischung verschiedener Gründe. Das haben wir auch bei Hiob gesehen: Prüfung fünf und sechs waren bereits eine Mischung. Das Leben ist also komplizierter, als man es sich gerne vorstellt. Aber das habe ich alles schon bemerkt.
Charakterisierung der Freunde Hiobs und deren Argumentation
Nun eine Charakterisierung der vier Freunde Hiobs. Eliphas, der würdigste und älteste, beginnt eine Antwort auf den Ausbruch von Hiob, der seinen Geburtstag verflucht hatte.
Übrigens spielt das Thema Geburtstag eine große Rolle im Buch Hiob. Seine zehn Kinder haben immer so eifrig Geburtstag gefeiert. Das war für sie wichtig, denn es ist etwas Schönes, dass man auf die Welt gekommen ist.
Eine persönliche Frage: Wann hast du das letzte Mal dafür gedankt, dass Gott dich gemacht hat, dass es dich gibt? Mindestens am Geburtstag kann man besonders daran denken. Dann kann man vielleicht auch der Mutter danken, dass sie nicht irgendeine Pille geschluckt hat oder Ähnliches.
Heute ist das nicht mehr selbstverständlich, wenn in der Schweiz etwa sechzigtausend Kinder pro Jahr abgetrieben werden, weltweit sind es über fünfzig Millionen. Da kann man ruhig der Mutter am Geburtstag wenigstens einmal Danke sagen, dass sie sich neun Monate so eingesetzt hat und dann nachher noch einige Jahre dazu.
Das macht es noch dramatischer, wenn Hiob, in dessen Familie Geburtstage eine Rolle gespielt haben, schließlich seinen Geburtstag verflucht – als Irrtum in der Schöpfung.
Übrigens haben die Zeugen Jehovas daraus abgeleitet, dass man keine Geburtstage feiern soll. Sie machen das nicht. Jedenfalls ist es bei Hiob schiefgegangen. Sie begründen ihre Haltung auch mit dem Geburtstag in den Evangelien, wo Herodes der Tochter der Herodias, der Salome, fragt: „Was möchtest du?“ Bis zur Hälfte meines Besitzes, weil sie so schön getanzt hatte. Dann sagt sie: „Ich möchte den Kopf von Johannes dem Täufer.“ Auch hier ist das Beispiel einer Geburtstagsfeier in der Bibel, und es endet jeweils schlecht.
Man musste das Kind aber nicht mit dem Bade ausschütten. Das heißt, es bedeutet nicht, dass Geburtstagsfeiern an sich etwas Schlechtes sind. Nein, es ist etwas Besonderes. Wir sind zum ersten Mal geboren worden. Das war die Voraussetzung, dass wir ein zweites Mal geboren werden konnten. Die Neugeburt ist bedingt durch die erste Geburt.
Eliphas, Hiobs ältester Freund, beginnt zu argumentieren. Wie argumentierte er? In Vers 7 sagt er: „Gedenke doch, wer ist als Unschuldiger umgekommen, und wo sind Rechtschaffene vertilgt worden?“ Er argumentiert also: Schau mal, es gibt gar nicht, dass ein unschuldiger Mensch umkommt oder dass ein rechtschaffener Mensch ausgerottet wird. Das ist sein Argument: Du liegst absolut daneben.
Dann argumentiert er in Vers 8: „So wie ich es gesehen habe“, sagt der alte Eliphas, „pflügen die Unheil und säen Mühsal, und ernten es.“ Das ist ganz klar. „Ich habe das erlebt, ich bin alt geworden, und ich habe das immer so gesehen. Das ist eindeutig.“ Seine langjährige Erfahrung bringt er als Beleg ein.
Außerdem hatte er noch eine Vision, die er ebenfalls als Argument anführt, in Vers 12 und 16: „Und zu mir gelangte verstohlen ein Wort, und mein Ohr vernahm ein Geflüster davon. In Gedanken, welche Nachtgesichte hervorrufen, wenn tiefer Schlaf die Menschen befällt, kam Schauer über mich und Beben und durchschauerte alle meine Gebeine. Ein Geist zog vor meinem Angesicht vorüber, das Haar meines Leibes starrte empor. Ich erkannte sein Aussehen nicht, ein Bild war vor meinen Augen. Ein Säuseln und eine Stimme hörte ich: ‚Sollte ein Mensch gerechter sein als Gott oder ein Mann reiner als der ihn gemacht hat? Siehe, auf seine Knechte vertraut er nicht, und seinen Engeln legt er Irrtum zur Last. Wie viel mehr denen, die in Lehmhäusern wohnen, deren Grund im Staube ist. Wie Motten werden sie zertreten, von Morgen bis Abend werden sie zerschmettert, ohne dass man es beachtet. Sie kommen um auf ewig. Ist es nicht so? Wird ihr Zeltstrick an ihnen weggerissen, so sterben sie und nicht in Weisheit.‘“
Soweit Eliphas’ Traum. Wie soll man diesen Traum einschätzen? Er ist eigenartig. Eliphas hat ihn als göttliche Vision im Traum aufgefasst und als Argument gebracht, um seine Aussage zu unterstreichen. Aber das ist sehr fragwürdig.
Was ist wohl die Quelle dieses Traumes? Es war ein Geist. Eliphas konnte die Gestalt gar nicht richtig ausmachen. Dann diese Rede im Traum – eigenartig.
Wir können über die Quelle dieses Traumes diskutieren. Die Bibel klärt das nicht. Das Leben ist ein bisschen komplizierter, als wir es gerne hätten – auch hier.
So sieht die Argumentationsart von Eliphas aus.