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Vorsicht Falle! Sogar beim Beten

Predigten über die Bergpredigt, Teil 15/26
01.01.1995Matthäus 6,5-8
SERIE - Teil 15 / 26Predigten über die Bergpredigt

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Begegnung und Gespräch mit Gott als Grundgedanke des Gebets

Ein Bayer und ein Preuße treffen sich flüchtig auf der Straße. Der Bayer ruft, wie es dort üblich ist, „Grüß Gott“, und der Preuße antwortet spöttisch: „Tja, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.“ Darauf sagt der Bayer: „Ich habe vorher erst mit ihm gesprochen.“

Für die einen ist es selbstverständlich, für die anderen unvorstellbar, dass man mit Gott reden kann. Letzte Woche saß mir jemand gegenüber und erzählte mir von seinen vielen Problemen. Ich wollte ihm gern deutlich machen: „Mensch, Sie, es gibt wirklich einen Gott, der kann Ihnen helfen, der hört Sie wirklich.“ Aber ich merkte, dass es ihm schwerfiel, sich das vorzustellen.

Die einen sagen: „Ich kann mir im Leben nicht vorstellen, jemals zu beten.“ Andere sagen: „Ich kann mir ein Leben ohne Beten gar nicht mehr vorstellen.“ Jesus jedenfalls macht das Beten immer wieder zum Thema. Einerseits ermuntert er dazu. Wir haben das eben in der Lesung (Lukas 11) gehört, wo er sagt: „Leute, es lohnt sich, kommt immer wieder ran, betet!“

Aber dann warnt Jesus auch: „Pass auf, dass du beim Beten nicht auf eine falsche Fährte kommst, dass du richtig betest.“ Sie haben sich nicht verhört – man kann nämlich auch falsch beten. Genau darüber redet Jesus in unseren Versen: über falsches Beten und über richtiges Beten. Er macht eine Gegenüberstellung. Er sagt, so sollt ihr es nicht machen, und so sollt ihr es machen.

Damit können wir vorweg schon mal festhalten: Für Jesus ist das Gebet eine nüchterne Sache, eine wirkliche Kommunikation zwischen Mensch und Gott. Und gerade weil das so real ist, kann man dabei bestimmte Dinge falsch machen – und bestimmte Dinge richtig.

Unterschiedliche Sichtweisen auf das Gebet und Jesu nüchterne Perspektive

Es gibt Menschen, denen bei dieser Behauptung die Haare zu Berge stehen. Sie sagen, beim Beten dürfe niemand reinreden. Jeder Mensch mache seine eigenen religiösen Erfahrungen, und es gebe dabei kein richtig oder falsch.

Der Mystiker meint, man könne mit jedem Atemzug beten. Der Pragmatiker denkt, jede gute Tat sei dasselbe wie ein Gebet. Der Romantiker sieht im Sternenhimmel das Beten.

Jesus sieht das völlig anders – viel nüchterner. Er sagt, Beten sei nicht nur eine nebulöse religiöse Erfahrung. Es sei nicht so schwammig, dass man es gar nicht beschreiben könnte.

Darum wagt Jesus es, konkrete Hinweise zu geben, wie man richtig betet. Das wollen wir uns jetzt gemeinsam ansehen.

Anleitung zum richtigen Beten nach Matthäus 6

Sie haben den Text vor sich: Matthäus 6, in unserer Predigtreihe. Wir erheben uns vor dem Wort Gottes.

Da sagt Jesus: „Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn schon gehabt.

Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein – man könnte auch übersetzen: in dein innerstes Gemach – und schließe die Tür zu. Bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist, und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.

Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden, denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen, denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.

Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen wie die Heuchler, denn sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten mit ihrem Fasten zu zeigen. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn schon gehabt.

Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, damit du dich nicht vor den Leuten mit deinem Fasten zeigst, sondern vor deinem Vater, der im Verborgenen ist. Und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.“

Gebet als realistische und lernbare Praxis

Wir wollen beten. Herr Jesus Christus, du kennst unser tückisches Herz und weißt, wie schnell wir zu Schauspielern werden, die Schein und Wirklichkeit verwechseln. Bitte reinige uns und hilf uns heute Morgen durch dein Wort in der Bibel, Klarheit über unsere eigene Situation zu gewinnen. Hilf uns jetzt beim Reden und Hören. Amen.

Nehmen Sie bitte wieder Platz.

Beten ist eine ganz realistische Sache. Jedes Kind kann das lernen. Aber selbst erfahrene Christen brauchen immer wieder Nachhilfe, Korrektur und Auffrischung für ihr Beten.

So kommen wir heute in unserer Predigtreihe über die Bergpredigt an die Stelle, an der Jesus zwei besonders brisante Punkte anspricht. Diese zwei Punkte können unser Beten kraft- und saftlos machen. Deshalb lautet unser heutiges Thema: Vorsicht, Falle – sogar beim Beten.

Die erste Falle: Heuchelei beim Gebet

Zwei Fallen beschreibt Jesus, in die man beim Beten leicht hineintappen kann. Er gibt uns außerdem zwei Rezepte, wie wir aus diesen Fallen wieder herauskommen können oder möglichst gar nicht erst hineintreten.

Die erste Falle steht in Vers 5: „Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden.“ Jesus beginnt also erst einmal mit einem schlechten Beispiel. Er sagt, wie wir es nicht machen sollen.

Das griechische Wort für Heuchler bedeutet im klassischen Griechisch wörtlich „Schauspieler“. Ein Schauspieler ist jemand, der etwas darstellt, was er nicht wirklich ist, der etwas vorspiegelt, was er nicht meint.

Ein Beispiel: Eine Frau bekommt Besuch von ihrem Pastor. Sie will besonders bescheiden wirken und sagt: „Ach, Herr Pastor, wie gut, dass Sie kommen, wo ich doch so eine arme Sünderin bin.“ Der Pastor antwortet: „Tja, das habe ich schon gehört, deswegen bin ich ja auch gekommen.“ Darauf reagiert die Frau ganz empört und sagt: „So eine Frechheit, wer das behauptet, unmöglich!“ Da kam die Heuchelei wenigstens schnell heraus.

Der Fall, den Jesus hier anspricht, ist komplizierter. Dort ist die Heuchelei besser getarnt.

Öffentliche Gebete und die Gefahr der Selbstdarstellung

Jesus hat die Pharisäer vor Augen, die etwas Gutes tun: Sie beten. In Israel war es üblich, in aller Öffentlichkeit zu beten. Das kann man heute noch an der Klagemauer beobachten. Die frommen Juden beteten nicht nur in der Synagoge, sondern auch auf offener Straße.

Es gab offizielle Gebetszeiten, meist um neun, um zwölf und um drei Uhr. Wenn man also gerade um fünfzehn Uhr in der Stadt war, stellte man kurz die Aktentasche ab und betete laut. Jesus kritisiert nicht, dass sie in der Öffentlichkeit beten – das ist nicht der Punkt.

Jesus selbst betete manchmal öffentlich, nicht nur im Kreis seiner Jünger, sondern auch vor einer großen Menge. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Das Problem ist vielmehr, warum sie beten. Jesus sagt, sie tun es, damit sie von den Leuten gesehen werden.

Das Gebet richtet sich nur vordergründig an Gott, tatsächlich aber eher an die zufälligen Zuschauer, die man mit einer religiösen Show beeindrucken will. Manche nehmen an, dass viele Pharisäer ihre Wege so genau getimt haben, dass sie gerade zum richtigen Gebetszeitpunkt an einer besonders belebten Straßenecke waren.

Dann hatten sie ein Publikum für ihre Show und ernteten die Bewunderung ihrer Volksgenossen. Aber das war es auch schon. Jesus sagt, sie bekommen, was sie wollen. Sie haben ihren Lohn erhalten – ein Begriff aus dem Wirtschaftsleben, der besagt, dass das Geschäft vollständig abgeschlossen ist.

Die Heuchler wollten menschliche Bewunderung, und die bekommen sie. Von Gott aber dürfen sie keine Antwort auf ihr Gebet mehr erwarten.

Die Gefahr der Heuchelei im eigenen Herzen

So weit, so gut, könnte man denken: Das ist nicht unser Problem. Wenn wir uns in die Fußgängerzone, in die Lange Straße, stellen und dort laut beten, dann ernten wir dafür keinen Beifall, sondern höchstens ein müdes Lächeln oder Schlimmeres. Vielleicht gießt uns auch jemand einen kalten Eimer Wasser über den Kopf.

So hat man diesen Vers fünf schnell zu den Akten gelegt – als eine Karikatur von absurden Leuten, die es heute nicht mehr gibt. Aber halt! Jesus zeichnet hier, wenn Sie genau hinschauen, keine Karikatur. Die Pharisäer sind keine oberflächlichen Frömmler, die nur ein bisschen religiöse Bewunderung suchen.

Das Problem sitzt tiefer. Die Pharisäer – zumindest viele von ihnen – halten sich selbst wirklich für fromm. Sie meinen es ernst und bilden sich ein, Gott sei mit ihnen zufrieden. Sie sagen nicht bewusst: „Jetzt stellen wir uns mal hier hin und ziehen eine religiöse Show ab.“ Das sagen sie nicht bewusst. Sie merken nicht, dass sie zu Heuchlern werden, aber ihr Herz spielt ihnen einen Streich.

Und das ist das Gefährliche an unserem Stolz, an unserer Ehrsucht: Sie schleichen sich in unser Herz, sie bestimmen unser Denken, ohne dass wir es merken. Das ist das Gefährliche an unserer Show – dass wir sie nicht durchschauen und den Schein, den wir erzeugen, für die Wirklichkeit halten.

Liebe Gemeinde, was Jesus uns hier vor Augen führt, ist keine lächerliche Karikatur von absurden Leuten, sondern eine erschreckende Wahrheit über unser eigenes Herz. Hier sagt Jesus: Pass auf, selbst dein Gebet kann von deinem Stolz und von deiner Selbstsucht verdorben werden – selbst dein Gebet!

Die Sünde ist so heimtückisch, dass sie sich sogar in das Beste hineinschleichen kann, was ein Mensch tun kann, nämlich beten. Wenn wir klauen, wenn wir lügen, wenn wir gemeine Reden führen oder schlechte Gedanken haben, dann ist uns die Sünde klar, dann liegt sie auf der Hand. Aber hier ist sie viel gefährlicher, wenn sie sich ins Gebet einschleicht.

Jesus kritisiert also nicht, dass die Pharisäer öffentlich beten, sondern die Haltung, die dahintersteckt – die fromme Show. Ihnen geht es nicht um Gott, sondern um die Anerkennung der anderen Menschen. Und damit geht es ihnen letztlich um sich selbst.

Und sie merken es nicht einmal und geben es vor sich selbst nicht zu. Wie schnell kann sich diese Heuchelei in unser Gebet einschleichen.

Beispiele für Heuchelei im Alltag und in der Gemeinde

Die Familie ist im Restaurant, und ich denke, es ist wichtig, dass wir das Tischgebet auch im Gasthaus nicht unter den Tisch fallen lassen. Wir haben ja auch dort einen Grund, Gott zu danken. Jesus hat gesagt, dass wir uns auch in der Öffentlichkeit zu ihm bekennen sollen.

Ich finde es auch für unsere Kinder wichtig, dass sie nicht den Eindruck bekommen: „Na ja, zu Hause danken wir für das Essen, aber im Gasthaus ist es nicht mehr nötig.“ Doch selbst dort kann sich Heuchelei einschleichen. Wenn ich innerlich auf die anderen Gäste im Raum herabsehe und denke: „Na, ihr oberflächlichen Leute, euch wollen wir mal zeigen, was eine christliche Familie ist, wir beten jetzt“, dann richtet sich mein Gebet schon nicht mehr an Gott. Es wird nur noch zu einer religiösen Demonstration – eben Show.

In anderen Situationen, wie im Gebetskreis in der Gemeinde, ist es ausgesprochen wichtig, dass solche Kreise existieren. Die Gebetskreise sind eine ganz wichtige Basis für unsere Gemeindearbeit. Aber auch hier muss ich mich fragen: Warum gehe ich hin? Das Neue Testament sagt, es ist wichtig, gemeinsam zu beten. Gehe ich deshalb hin? Oder kommt es mir vor allem darauf an, dass man mich dort sieht – dass ich dabei war? Und wenn ich nicht komme, könnten die anderen ja denken, ich nehme das Gebet nicht ernst genug. Also gehe ich lieber hin.

In dem Moment, in dem das mein Motiv wird, sagt Jesus zu mir: „Junge, du hast deinen Lohn gehabt.“ Merken Sie, wie schwer es für uns ist, uns selbst zu durchschauen?

Oder nehmen Sie das öffentliche Gebet des Pastors im Gottesdienst. Für uns ist es oft eine große Versuchung, mehr an die Leute zu denken, mit denen wir beten, die zuhören, als an Gott, zu dem wir beten und der ja auch zuhört – der eigentliche Adressat ist. Die Frage lautet doch immer: Wen meine ich mit meinem Gebet? Wer ist der Adressat? Wer soll mich hören? Wer soll mich sehen? Geht es mir um Gott, um Jesus allein, oder geht es mir um die Show vor Menschen?

Wie tückisch ist mein Herz! Wie schnell werde ich zum Heuchler – nicht nur beim Beten. Das gilt für alles, was ich als Christ mache. Warum leite ich diese Gruppe in der Gemeinde? Damit man mir nicht nachsagen kann, ich wäre faul, dass ich wenigstens etwas mache? Oder um mich selbst zu bestätigen? Oder um Gott zu dienen?

Die zweite Falle: Religiöse Methoden und leeres Plappern

Dann bringt Jesus in den Versen 16 bis 18 ein weiteres Beispiel: das Fasten. Fasten ist grundsätzlich eine gute Sache. Man verzichtet für eine bestimmte Zeit freiwillig auf Nahrung, um Selbstdisziplin zu lernen und sich in dieser Zeit des Fastens besser auf das Beten konzentrieren zu können. Das ist gut.

Etliche Pharisäer machten jedoch eine Show daraus. Normalerweise gab es zwei Fastentage in der Woche, Montag und Donnerstag. An diesen Tagen sorgten sie dafür, dass man ihren Verzicht auch richtig sah. Sie pflegten sich nicht richtig, kämmten sich nur nachlässig und wollten so richtig schön leidend aussehen. Wenn wir schon fasten, dann soll man es wenigstens auch merken.

Jesus sticht nun in diesen Luftballon der Selbstdarstellung, in den Versen 16 bis 18, und sagt: „Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen wie die Heuchler, die ihr Gesicht verstellen, um sich vor den Leuten mit ihrem Fasten zu zeigen. Sie haben ihren Lohn schon erhalten.“

Dann sagt er in Vers 18: „Du sollst dich eben nicht vor den Leuten zeigen, sondern vor deinem Vater, der im Verborgenen ist. Und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.“

Das ist die gleiche Frage: Für wen mache ich das? Wer soll mich eigentlich sehen? Was ist hier mein Motiv? Jesus hält uns schonungslos den Spiegel vor. Aber er zeigt auch das Rezept, wie wir aus dieser Falle herauskommen und wie unser Gebet echt wird.

Das erste Rezept: Rückzug ins Verborgene

Und das erste Rezept finden Sie in Vers 6: Wenn du betest, so geh in dein Kämmerlein, schließe die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Ein Vater, der ins Verborgene sieht, wird dir vergelten.

Das ist der wichtigste Ort, an dem du Gott begegnen sollst. Geh ins Verborgene, dorthin, wo alle Schauspielerei aufhört. Geh ins Verborgene, dorthin, wo es nur noch dich und Gott gibt.

„Geh ins Verborgene, dorthin, wo Gott mich stellt, wo Gott mir auch meine eigenen Motive immer wieder klar macht – oft gerade durchs Bibellesen“, sagt er. In vielen jüdischen Häusern gab es einen Raum, der besonders still und gut geschützt war. Oft war es der einzige Raum, den man abschließen konnte – das Kämmerlein. Und Jesus sagt: Geh da hinein, mach die Tür zu, dreh den Schlüssel um!

Zieh dich zurück von Menschen für diese Gebetszeit. So kannst du dem Schielen nach ihrer Bewunderung entkommen oder der Angst, dich vor ihnen zu blamieren. Geh weg von den Menschen für die Zeit des Gebets, damit du frei wirst für Gott!

Wenn ich an einer Gebetsversammlung teilnehme – und das ist wichtig und gut – sehen das immer auch andere. Aber wenn ich im Kämmerlein bete, sieht es nur Gott. Ob ich früh noch in den Federn liege oder bereits mit Gott rede, das weiß kein Mensch, höchstens meine Frau.

Wenn ich einen Hausbesuch mache, wird es gesehen. Wenn ich eine Jugendstunde leite, bin ich in der Szene. Wenn ich predige, ist das öffentlich. Wenn ich bete, kostet das auch Kraft, Einsatz und Konzentration, aber nur Gott sieht es.

Wie viel ist mir der persönliche Kontakt mit Gott wert? Dort, wo kein Mensch es sieht und kein Mensch es mir lohnt, soll es reichen, wenn Gott es weiß. Vor anderen kann ich höchstens bekennen, wie oft ich nachlässig gewesen bin.

Ich muss Ihnen sagen: Die Vorbereitung dieser Predigt hat mir auch ganz schön den Spiegel vorgehalten und mich wirklich beschämt.

Jesus gibt uns also dieses Rezept: Er sagt, Beten ist erst einmal nur eine Sache zwischen dir und Gott. Darum versuche, möglichst alle Ablenkungen zu vermeiden.

Jesus hat sich ja auch immer wieder in die Stille zurückgezogen, oft stundenlang, um nur mit seinem Vater zu reden.

Es geht ihm hier nicht in erster Linie um den äußeren Ort – ob man nun in das innerste Kämmerlein geht oder in den Bastelkeller, in den Wald oder woanders hin. Es geht um die Ausrichtung des Herzens. Aber der äußere Ort kann eine Hilfe sein.

Und eines müssen wir festhalten: Jesus ist nicht gegen gemeinsames Gebet, überhaupt nicht, nicht gegen das Gebet in der Öffentlichkeit. Er hat das selbst praktiziert, und die ersten Christen auch. Sie haben Gebetsgemeinschaften gemacht, und das ist wichtig.

Aber, und das ist der Punkt: Unser gemeinsames Gebet muss verankert sein in unserem einsamen Gebet. Gerade weil wir so anfällig sind für Stolz und Eitelkeit und immer wieder nach den Menschen schauen.

Gerade darum muss Gott unser Leben immer wieder reinigen und auf Kurs bringen – und das geschieht im Verborgenen.

Bedeutung der Stille und des persönlichen Gebets

Ganz klar, es gibt Zeiten, in denen uns das Beten schwerfällt. In solchen Momenten ist es wichtig, Hilfe zu suchen. Dabei kommt es darauf an, dass wir uns gegenseitig im Gebet wieder auf die Sprünge helfen. Im übertragenen Sinne greifen wir uns beim Beten unter die Arme. Das ist sehr wichtig.

Wenn es jedoch für einen Christen zum Dauerzustand wird, das Gespräch allein mit Gott zu meiden, und er nur noch beten kann, wenn andere dabei sind, dann stimmt etwas nicht mit der Beziehung zu Gott. Jedes Beispiel hinkt irgendwo, aber stellen Sie sich vor, ich würde zu meiner Frau sagen: „Ich finde es wahnsinnig interessant, mit dir zu reden, wenn wir in Gesellschaft sind. Aber in dem Moment, in dem wir beide alleine sind, stelle ich lieber den Fernseher an. So alleine habe ich nicht die Muße, mit dir zu reden. Ich weiß sowieso schon, was du sagst.“

Da würde jeder sagen: Die beiden müssen unbedingt wieder ins Gespräch miteinander kommen. Wenn sie nur in der Öffentlichkeit miteinander reden, aber nicht in der Zweisamkeit, dann ist irgendetwas ins Stocken geraten.

Deshalb sagt Jesus: „Geh ins Verborgene, geh dahin, wo nur Gott dich sieht.“ Frag dich ehrlich: Wo liegt eigentlich das Schwergewicht meines Betens? Nehme ich mir nur dann Zeit für Gott, wenn andere mitmachen und ich menschliche Gemeinschaft habe? Oder ist er mir allein diese Zeit und Investition wert?

„Geh in das Verborgene“, sagt Jesus. In diesem Kämmerlein hat man damals auch wertvolle Schätze aufbewahrt, weil man es abschließen konnte. Das schwingt hier wahrscheinlich mit. Wenn du ins Verborgene gehst und dir Zeit nimmst, allein mit Gott zu reden, dann kommst du in eine Schatzkammer, wo kostbare Schätze auf dich warten.

Stell dir vor, du bekommst eine Privataudienz bei Gott. Jesus sagt: Gott sieht da hin, ins Verborgene. Natürlich sieht Gott dich überall, auch hier, wie du sitzt. Aber wenn du dich in dein Arbeitszimmer einschließt, in dein Wohnzimmer zurückziehst, in den Keller gehst oder sonst wohin, wo du Ruhe hast, dann will Gott extra nur für dich hinsehen.

Machen Sie sich das klar, wenn Sie sich das nächste Mal für Gott zurückziehen: Ich bin Gott so viel wert, dass er allein für mich hierhin schaut. Und Jesus sagt: Gott schaut nicht nur hin, er will es dir auch lohnen. Er will dich beschenken.

Er wird dein Leben immer mehr nach seinen besten Vorstellungen prägen. Wenn du zu ihm kommst ins Verborgene, dann wird er eine starke Persönlichkeit aus dir machen. Die Zeit im Kämmerlein ist gut investiert, auch wenn man das nicht sofort sieht. Wer daran spart, spart an der falschen Stelle.

Ich predige das auch mir selbst.

Warnung vor Vernachlässigung der Stille und Zeugnis eines Evangelisten

Ein bekannter christlicher Autor und Evangelist erzählte einmal ganz ehrlich, wie er an der falschen Stelle gespart hat und dadurch in eine schwere persönliche Krise geriet. Der Grund dafür war, dass er die Zeit vor Gott vernachlässigte.

Er schreibt: Das Telefon klingelte, ich holte meinen Kalender. War der Termin frei, übernahm ich ihn. So nahmen die christlichen Aktionen bei mir zu. Diese Zunahme an Aktivitäten zwang mich dazu, meine persönliche Stille vor Gott zu vernachlässigen, obwohl ich gerade diese Stille gebraucht hätte. Sie war notwendig, um aufzunehmen, um zu hören und um aktiv sein zu können.

Doch auf diese Weise wurde meine Stille immer weniger, während mein Lebensrhythmus sich immer mehr beschleunigte. Letztlich war das der Auslöser für die Krise.

In der Stille vor Gott entscheidet sich unsere Substanz. Dort entscheidet sich, was wir als Christen wirklich in dieser Welt bewegen.

Martin Lloyd-Jones war sicher einer der wichtigsten Prediger unseres Jahrhunderts. Er war ein hoch gebildeter Mann, ein grandioser Rhetoriker und ein tiefsinniger Theologe. Doch nachdem er 1981 gestorben war, sagte seine Frau: Niemand wird das Geheimnis meines Mannes jemals verstehen, solange er nicht begreift, dass mein Mann vor allem anderen ein Mann des Gebets war.

Jesus gibt uns das gleiche Rezept. Er sagt: Geh ins Verborgene, investiere Zeit an einer Stelle, wo es dir kein Mensch lohnen wird. Doch diese Zeit in der Stille vor Gott wird darüber entscheiden, was du für Gott in dieser Welt bewegst.

Die zweite Falle: Viel Gerede ohne Herz

Und dann geht Jesus noch einen Schritt weiter. Er gibt uns ein zweites Rezept. Angenommen, wir ziehen uns nun zurück ins Verborgene, um dort zu beten. Dann müssen wir unbedingt noch einen zweiten Punkt beachten. Das möchte ich Ihnen auch noch an Vers 7 zeigen.

Da beginnt Jesus wieder mit einem schlechten Beispiel. Er sagt: „Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden, denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen.“ Das ist die zweite Falle, in die wir beim Beten tappen können: dass wir nur plappern, aber mit dem Herzen gar nicht dabei sind.

Das meine ich mit dem Ausdruck „religiöse Methode“. Wir sagen bestimmte Worte her, haben eine bestimmte Technik beim Beten, bestimmte Gewohnheiten, aber mit dem Herzen sind wir gar nicht dabei. Das Mundwerk läuft, aber die Gedanken sind nicht beteiligt.

Diesen Ausdruck „plappern“ gibt es sonst nirgendwo mehr im Neuen Testament, auch in der griechischen Literatur nicht. Es ist eigentlich eine Lautmalerei, kein richtiges Wort. Man könnte es mit „Papa la pappe“ oder dem süddeutschen „babbeln“ vergleichen. Genau das ist hier gemeint.

Jesus kritisiert nicht, wenn jemand lange betet. Das tut er nicht. Im Gegenteil, Jesus selbst hat oft viele Stunden gebetet. Er hat uns immer wieder Beispiele von Menschen vor Augen gestellt, die nachhaltig und beharrlich gebetet haben.

Wir können Vers 7 nicht heranziehen, um unsere Gebetsfaulheit zu rechtfertigen. Was Jesus am heidnischen Gebet kritisiert, ist nicht die Zahl der Wörter, sondern die Art der Worte. Jesus schaut nicht auf die Stoppuhr, sondern auf das Herz.

Wörtlich sagt er, die Heiden bilden sich ein, dass sie wegen ihres Wortschwalls, wegen ihrer Vielwörterei erhört werden. Dann sind sie beruhigt: „Wir haben ja die richtige Technik angewendet.“ Doch sie hatten keinen echten Kontakt zu Gott.

Beispiele religiöser Methoden und ihre Kritik

Und sehen Sie, ich werde Ihnen jetzt einige Beispiele zeigen, wie die Falle der religiösen Methode bis heute an vielen Stellen auf uns wartet – auch in anderen Kulturen.

Gehen wir erst einmal ganz weit weg: das Mantra im Buddhismus. Ja, Mantra ist so ein magischer Spruch, der immer wiederholt wird. Das bekannteste Mantra heißt „Om Mani Padme Hum“ und wird immer wieder wiederholt: „Om Mani Padme Hum, Om Mani Padme Hum“ und so weiter. Diese Laute sollen eine magische Kraft enthalten – je öfter, desto besser. Man kann dieses Mantra auch aufschreiben und in eine sogenannte Gebetsmühle stecken. Das ist ein Rad, das sich dreht. Wenn man die Gebetsmühle in Bewegung setzt, mit dem Mantrazettel darin, dreht der Wind sie weiter und plappert und klappert das Mantra ins Universum hinein.

Eine andere religiöse Methode ist die transzendentale Meditation. Dabei sollen Denken, Reden und Bewusstsein nach und nach ausgeschaltet werden. Auch das hat nichts mit Beten zu tun.

Ein weiteres Beispiel ist der Rosenkranz. Sie kennen das vielleicht: Der Rosenkranz ist eine Kette, auf der immer zehn kleine Perlen und dann eine große Perle folgen – und das wiederholt sich fünfmal. Der Beter hält die Perlen nach und nach zwischen den Fingern. Wenn er an die große Perle kommt, betet er normalerweise ein Vaterunser. Bei den zehn kleinen Perlen dazwischen betet er „Gegrüßet seist du, Maria, Ave Maria, voll der Gnade des Herrn. Der Herr ist mit dir, heilige Maria, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen!“ Das betet er zehnmal hintereinander bei jeder kleinen Perle, dann wieder ein Vaterunser, dann wieder zehnmal das Ave Maria – so geht das durch fünf Gruppen hindurch.

Mal ganz abgesehen davon, dass die Bibel sowieso verbietet, zu irgendeinem Menschen zu beten, selbst zu Maria, ist schon die Art und Weise des Rosenkranzes eine Gebetsform, die Jesus mit diesem Vers untersagt. Spricht so ein Kind mit dem Vater? Ich bin überzeugt, viele, die den Rosenkranz beten, meinen das ganz ernst und sind besten Willens, aber sie wissen es nicht – zumal der Papst ja auch noch dazu ermutigt, den Rosenkranz zu beten.

Aber es ist eine religiöse Methode: fünfzig kleine Perlen, fünfzigmal werden immer wieder dieselben Wörter aneinandergereiht. Und Jesus sagt: Sie meinen, Sie werden erhört. Das ist das Tragische. Sie fühlen sich sicher, haben sich beruhigt und glauben, jetzt alles getan zu haben, was Gott von ihnen will. Jesus zeigt: So etwas ist kein Gebet, sondern eine Gebetsfalle.

Und beim Rosenkranz kommt noch hinzu, dass man sich auf eine Mittlerperson verlässt, die gar kein Mittler sein kann und gar kein Mittler sein will, nämlich Maria. Der einzige Vermittler zum Vater ist Jesus.

Aber fühlen wir uns nicht zu sicher, nur weil wir evangelisch sind. Nicht nur der, ich sage mal, biblisch falsche Rosenkranz ist eine Methode, eine religiöse. Auch das richtige Vaterunser, das Jesus selbst gelehrt hat, kann zu einer religiösen Methode werden, zu einer Technik, die ich nur mechanisch anwende. Wenn ich es bete, ohne mit dem Herzen dabei zu sein, wenn ich es nur so herunterrattern aus Gewohnheit.

Etwas anderes ist es, wenn jemand so schwach und krank ist, dass er kaum noch mit eigenen Worten beten kann. Dann kann er sich an das Vaterunser klammern und die Worte nachbeten – aber dann kommt es ja gerade von Herzen. Aber wir fallen in die Falle, wenn wir nur mechanisch die Wörter hersagen, ohne wirklich dabei zu sein.

Moderne Gebetsformen und ihre Gefahren

Erlauben Sie mir, noch eine weitere Technik oder Methode zu nennen, die sich in bestimmten christlichen Kreisen in den letzten Jahren stark verbreitet hat. Dabei singt man kurze Liedstrophen, oft besteht der Text nur aus einem Bibelwort. Das Ganze wird von einer sehr eingängigen, schmeichelnden Melodie begleitet.

Diese Strophen werden immer wiederholt, immer wieder dieselben wenigen Worte, ähnlich wie bei einem Mantra. Mit der Zeit steigt die Stimmung, während das Denken immer mehr zurücktritt. Da man mechanisch immer dieselbe Zeile wiederholt und vielleicht nur gelegentlich ein Wort ändert, werden die Gefühle zunehmend hochgefahren.

Weil diese Gefühle als sehr angenehm empfunden werden, sagt man, dass man Gott jetzt besonders nahe sei. So müsse Gott gelobt werden, schließlich handelt es sich ja um Bibelworte, die man immer und immer wieder aneinanderreiht. Auch dies fällt unter Vers 7.

Die Bibel ermutigt uns jedoch, unser Bewusstsein niemals durch das Gefühl zurückzudrängen – nirgendwo. Dahinter steckt, obwohl es den meisten nicht bewusst ist, das Denken heidnischer Religionen, die Gott in der Ekstase suchen. Sie glauben, je emotionaler sie aufgewühlt sind, desto näher seien sie Gott.

In manchen dieser Gottesdienste ist das noch nicht alles. Wenn die kurzen Liedstrophen lange genug gesungen werden, kann es passieren, dass die Musikgruppe plötzlich aufhört. Dann singen einige Leute in die Stille hinein völlig unverständliche Silben durcheinander, meist keine normalen Wörter. Sie verstehen oft selbst nicht, was sie singen, nennen es aber „Singen im Geist“ oder „Singen in Zungen“. Dabei fühlen sie sich religiös sehr stimuliert.

Sie behaupten, es gebe eine besondere Gebetssprache, die man zwar nicht versteht, die aber das Denken umgeht. Mit dieser Sprache, die man nicht versteht, könne man Gott besonders gut loben. Manchmal werden sogar Vertiefungsseminare angeboten, bei denen man diese religiöse Methode kennenlernen und vielleicht sogar erlernen kann.

Jesus und die Apostel haben jedoch etwas anderes gelehrt. Als die Apostel am Pfingsttag in Zungen redeten, waren das keine unverständlichen Silben und keine geheime Engelsprache. Es handelte sich vielmehr um ganz normale Fremdsprachen, die von den Juden aus aller Welt sofort verstanden wurden.

Also sollten wir uns vor einer Falle hüten, die das Beten mit einer religiösen Methode, einer Technik, einem Plappern, einem Wortschwall oder einer Aneinanderreihung von Silben verwechselt. Es mag vielleicht unser Gefühl befriedigen und unser Gewissen beruhigen, aber unser Herz – und das heißt auch immer wieder unser Denken und unser Bewusstsein – wird dabei ausgeschaltet. So kommt keine echte Begegnung mit Gott zustande.

Das zweite Rezept: Vertrauen auf den persönlichen Gott

Wie gut, dass Jesus uns auch in diesem Fall zum Schluss noch einmal ein heilsames Rezept gibt. Dieses steht in Vers 8 am Ende.

Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen, sagt Jesus, denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. Wissen Sie, wie das Rezept gegen die religiöse Methode heißt? Das Rezept lautet: Bedenke, mit wem du sprichst – euer Vater weiß, was ihr braucht.

Der lebendige Gott, zu dem ihr betet, ist eine Person. Ja, er ist sogar euer Vater. Bedenkt doch, ihr sprecht mit dem Vater. Das heißt, ihr könnt euch ganz vertrauensvoll und ganz mit normalen Worten an ihn wenden. Bedenke, zu wem du betest.

Der Vater im Himmel ist doch kein heidnischer Götze, kein Götze, wie manche sich das vorstellen, den man durch irgendeine Technik bewegen und zwingen müsste. Der Vater im Himmel ist keine unberechenbare, ferne Gottheit, die man durch Rituale und Methoden besänftigen und gnädig stimmen müsste. Und wehe, man hat einen Teil des Rituals vergessen.

Bedenke, mit wem du sprichst. Und merken Sie: In dem Wort „Bedenke“ steckt auch das Wort „Denken“ drin. Beten heißt also nicht, dass ich mich durch eine Technik in die richtige Stimmung bringe und mich dann meinen Gefühlen überlasse. Wenn die Gefühle kommen, war es ein schönes Gebet, und wenn sie nicht kommen, bin ich frustriert.

Nein, bedenke, mit wem du sprichst. Jesus gibt uns dieses Rezept: Er sagt, erst geh ins Verborgene. Suche die private Audienz bei dem Vater und dann bedenke erst mal, zu wem du jetzt betest.

Ich darf jetzt in das Zimmer gehen, wo der allmächtige Gott auf mich wartet. Ich darf jetzt zu dem König der Könige sprechen, zu dem, der alle Macht hat, der absolut heilig ist. Zu dem darf ich jetzt gehen.

Bedenke, mit wem du redest, und dann bedenke: Es ist der Vater, der dich liebt, der dich versteht. Mach dir klar, der Vater kennt deine Situation, er weiß schon längst, was du brauchst. Das sagt Jesus: Euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.

Die Bedeutung des persönlichen Kontakts mit Gott

Wenn sie sich ins Verborgene zurückziehen, sieht er sie nicht nur, sondern hat auch einen perfekten Überblick über ihre Lebenssituation. Er weiß genau, was sie brauchen, noch bevor sie überhaupt einen Satz gesprochen haben.

Das ist bei uns menschlichen Eltern ganz ähnlich. Normalerweise haben wir den Überblick darüber, was unsere Kinder brauchen. Wir merken es oft früher, noch bevor die Kinder es selbst wahrnehmen. Wir sorgen dafür, dass die Speisekammer voll ist, noch bevor die Kinder Hunger bekommen. Die Mütter sehen meistens als Erste, wenn die Kinder oder auch die Väter neue Winterstiefel brauchen. Es sehen die Eltern.

Und wie viel mehr müssen wir beim himmlischen Vater davon ausgehen. Er schätzt richtig ein, was wir brauchen, und er hat einen großartigen Plan mit uns. Er weiß es.

Aber macht Jesus das Beten damit nicht überflüssig? Wenn Gott sowieso alles weiß, warum sollen wir ihn dann noch groß bitten? Nein, für Jesus ist das überhaupt kein Widerspruch. Einige Verse später sagt er, wir sollen ganz konkret bitten, sogar um das tägliche Brot. Und das weiß Gott doch, dass wir das brauchen, das weiß er doch erst recht.

In der Bibel wird deutlich, dass das immer nebeneinander steht. Gott weiß alles, er ist allwissend, er kennt uns. Und doch fordert er uns auf: Bitte mich! Er macht uns Mut: Mensch, komm auch mit den kleinsten Anliegen, die du hast, zu mir. Behellige mich damit!

Warum? Nicht weil wir Gott informieren müssten – er sieht uns ja. Sondern weil Gott den persönlichen Kontakt sucht. Er will, dass wir wirklich mit ihm kommunizieren. Er will, dass wir die Hände ausstrecken nach seiner Fürsorge.

Daran sehen wir noch einmal: Gott ist kein anonymes Versorgungsamt, das uns monatlich einen bestimmten Betrag überweist. Gott ist keine Firma, die wir mit einem Dauerauftrag bezahlen.

Bedenke, mit wem du sprichst: Euer Vater weiß, was ihr bedürft, noch bevor ihr ihn bittet. Es ist der persönliche Gott, und darum will er den persönlichen Kontakt. Es ist der Vater, und darum umgibt er dich mit seiner liebevollsten Fürsorge.

Es ist der Vater, der alles vorher weiß, und darum wird er dir immer das Richtige geben. Auch unsere unklarsten Bitten wird er richtig verstehen. Selbst dort, wo wir um etwas Falsches bitten, das uns schadet, wird er uns das Richtige geben. Er wird unsere Gebete anders, viel besser erhören, als wir uns das vorgestellt haben.

Zusammenfassung der Rezepte und Ermutigung zum Gebet

Das war also das zweite wichtige Rezept, das Jesus uns fürs Beten mitgibt: Bedenke, mit wem du redest. Dann kannst du loslegen – mit Ehrfurcht, weil du weißt, der heilige Gott hört dir jetzt zu, und ohne Furcht, weil du weißt, der heilige Gott ist dein Vater. Er nimmt dich so ernst, dass er dein Gebet nicht einfach nur als Formsache zur Kenntnis nimmt und dann zu den Akten legt.

Gott baut dein Gebet so genial in seinen souveränen Plan ein, dass dein Gebet wirklich etwas bewirkt und wirklich wichtig ist. Es ist oft aufregend, wie Gott unsere Gebete in seine Pläne einbaut. Ich habe das Beispiel vor einiger Zeit schon einmal erzählt, aber es kann hier noch einmal unterstreichen, was Jesus meint.

Es gibt einen ganz herrlichen Bericht über ein theologisches Seminar in Dallas, Texas. Kurz nach der Gründung dieses bibeltreuen Seminars drohte es bereits, wieder einzugehen, weil das Geld fehlte. Dann gab es einen Stichtag, den die Gläubiger gesetzt hatten, an dem sie ihr Geld zurückhaben wollten.

Der Tag kam, und das Geld war nicht da. Die Gründer des Seminars versammelten sich im Büro des Direktors und beteten. Einer von ihnen, Harry Ironside, betete: „Ach Herr, dir gehört doch die ganze Welt, das Vieh auf Tausenden von Hügeln ist auch dein. Da solltest du nicht in der Lage sein, Geld für uns flüssig zu machen. Herr, hilf uns!“

Während sie noch beteten, stiefelte ein hochgewachsener Texaner ins Sekretariat und sagte zu der Sekretärin: „Hören Sie, gerade habe ich zwei Wagenladungen Vieh in Fort Worth verkauft. Ich wollte mit dem Geld eigentlich ein Geschäft machen, aber es hat nicht so geklappt. Da kam mir der Gedanke, Gott möchte, dass ich das Geld diesem Seminar gebe. Ich weiß nicht, ob Sie es brauchen, aber hier ist jedenfalls der Scheck.“

Die Sekretärin nahm den Scheck, ging auf Zehenspitzen in den Raum des Direktors, wo gebetet wurde, und drückte dem Direktor den Scheck still in die Hand. Es war genau der Betrag, den sie brauchten, um die Schulden zu decken. Als der Direktor sah, dass der Scheck von einem Viehzüchter stammte, wandte er sich an Harry Ironside und sagte: „Du, Harry, Gott hat das Vieh tatsächlich verkauft.“

Nicht immer antwortet Gott so schnell, nicht immer. Aber bedenken Sie: Es ist immer derselbe Gott, zu dem wir beten. Es ist immer der fürsorgliche Vater, der längst vor Ihnen weiß, was Sie brauchen, wann Sie es brauchen und wie Sie es brauchen.

Darum lassen Sie uns doch diese beiden Rezepte in der kommenden Woche anwenden: Gehen Sie ins Verborgene! Vielleicht sind Sie in letzter Zeit manchmal nicht dazu gekommen, vielleicht ist es schwierig, weil Sie kleine Kinder haben und es schwer ist, eine ruhige Stunde zu finden. Es wird vieles dagegenstehen, es wird vieles dazwischenkommen und versuchen, Sie abzuhalten. Aber lassen Sie sich nicht entmutigen. Probieren Sie es immer wieder. Gehen Sie ins Verborgene!

Und dann das Zweite: Bedenken Sie, zu wem Sie reden, wer das ist, und danken Sie Gott für diese Ehre, dass er Ihnen zuhört. Vertrauen Sie sich seiner Fürsorge an, erwarten Sie viel von Gott und genießen Sie dieses unfassbare Vorrecht. Genießen Sie es, dass der Vater im Himmel seinen Kindern diese Möglichkeit einräumt.

Zugang zu Gott nur durch Jesus Christus

Es gibt nur eine Schranke, die uns den vertrauten Zugang zu Gott versperren kann. Das muss ich zum Schluss noch sagen: Es gibt nur eine Schranke.

Angenommen, Sie wollten jetzt noch zu den Olympischen Spielen nach Atlanta fliegen und in die USA einreisen. Dafür bräuchten Sie ein Visum. Nur wer dieses Visum hat, darf einreisen – genauso ist es mit dem Zugang zu Gott als Vater.

In der persönlichen Weise, wie wir es beschrieben haben, dürfen nicht alle beten. Nur seine Kinder dürfen kommen. Nur diejenigen, die in ihrem Ausweis den Vermerk „Kind Gottes“ haben, dürfen zu Gott kommen.

Und es gibt nur einen, der uns diesen Vermerk in unseren Pass eintragen kann: Jesus. Jesus ist nicht nur der Lehrer, der uns zeigt, wie wir zum Vater beten sollen, sondern auch der einzige Verbindungsmann, der uns die Tür zum Vater öffnet.

Er hat gesagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater als allein durch mich.“ All das Großartige, das wir eben beschrieben haben – die Fürsorge und das Hinsehen – bekommen wir erst durch Jesus.

Es nützt nichts, ins Verborgene zu gehen, ohne Jesus. Es nützt nichts, diese beiden Rezepte ohne Jesus anzuwenden.

Gott ist nicht jedermanns Vater, aber Gott ruft jedermann zum Glauben an Jesus und sagt: „Ich will dein Vater werden, vertraue meinem Sohn.“

Wenn Sie Jesus noch nicht als Ihren Retter kennen oder ihn noch nicht als den Sohn Gottes anbeten, dann bleiben Sie nicht dort stehen, wo Sie gerade sind. Kehren Sie um, wenden Sie sich persönlich Jesus zu. Rufen Sie ihn um Hilfe und Rettung an, beten Sie zu Jesus.

Dann bringt er Sie zum Vater, dann gibt Jesus Ihnen das Visum, dann schenkt Jesus Ihnen das Vorrecht, Gott als Ihren Vater anzubeten.

Das Recht, mit Gott zu reden

Und dann gilt durch Jesus auch für Sie, was ein Liedermacher über das exklusive Vorrecht der Christen gedichtet hat:

Du hast ein Recht darauf, mit Gott zu reden,
du hast ein Recht darauf, dass er dich hört.
Es gilt für dich, für mich, es gilt für jeden –
das Recht darauf hat Jesus dir beschert.

Du hast es nicht geerbt von deinen Ahnen,
du hast es nicht, weil du in einer Liste stehst,
und auch nicht, weil du auf dem Pfad der Tugend gehst.
Du hast es nur, weil Jesus für dich starb.

Du hast ein Recht darauf, mit Gott zu reden,
und ist dein Reden noch so mangelhaft,
und weinst du laut und stammelst du betreten –
das Recht darauf hat Jesus dir verschafft.

Es gibt nichts Besseres für unser Leben
als dieses Recht, mit Gott zu reden, der uns liebt.
Und wenn es mancher unbenutzt zur Seite schiebt,
dann weiß er nicht, was ihm damit entgeht.

Du hast ein Recht darauf, mit Gott zu reden,
was für so viele gilt, das gilt dir auch.
Doch kann kein Mensch dich je dabei vertreten,
du hast ein Recht – nun mach davon Gebrauch! Amen.