Es gibt heute viele Menschen, die von der Existenz Gottes überzeugt sind. Nach Umfragen des Nachrichtenmagazins Spiegel sowie des Magazins Focus ist es sogar der größte Teil der Deutschen, der an die Existenz Gottes glaubt.
Wenn man jedoch etwas genauer nachfragt, zeigt sich, dass die Vorstellung von Gott sehr unterschiedlich ist. Das, was heute allgemein als richtig oder gut angesehen wird, ist, dass viele Menschen keine klare Vorstellung davon haben, wer Gott genau ist, wie Gott beschaffen ist oder welche Religion die richtige ist.
Stattdessen gilt für viele: Jeder hat seine eigene Wahrheit. Jeder wird auf seine eigene Weise selig. Jeder beschreibt Gott so, wie er ihn empfindet oder wie er ihn gerne haben möchte.
Insbesondere im Bereich der Esoterik ist diese Überzeugung weit verbreitet. Der Bestsellerautor Niall Donald Walsh bringt das in seiner Trilogie „Gespräche mit Gott“ sehr prägnant auf den Punkt. Er behauptet, ein persönliches Gespräch mit Gott geführt zu haben. Dabei habe Gott ihm gesagt, dass jeder Mensch sich Gott selbst erfinden und entwickeln kann.
Eine Auswirkung dieser Vorstellung ist, so sagt er, dass es nach dem Tod weder Himmel noch Hölle gibt. Stattdessen existiere nur das, was man sich wünsche und vorstelle. Wenn man sich also ein Paradies vorstellt, werde man dorthin gelangen. Wenn jemand sich eine Südseeinsel vorstellt, werde er genau dort hinkommen und das erleben.
Gott ist demnach subjektiv und pluralistisch, könnte man sagen. Jeder Mensch hat seinen eigenen Gott. Gott ist so, wie ich ihn mir wünsche und vorstelle.
Ich habe auch Gespräche mit Menschen geführt und ihnen gesagt, dass wir in der Bibel von Gott lesen, der bestimmte Eigenschaften besitzt. Zum Beispiel absolute Gerechtigkeit, absolute Liebe und absolute Authentizität.
Manche Menschen antworten dann, dass sie nicht an einen Gott glauben wollen, der so ist. Solch eine Argumentation ist nachvollziehbar, aber aus logischer Sicht äußerst problematisch. Denn müsste ich nicht vielmehr sagen: Wenn Gott wirklich so ist, dann muss ich meine Einstellung zu ihm ändern und mich auf ihn einstellen, wie er ist?
In unserem täglichen Leben verfahren wir ähnlich. Wenn Sie sagen, dass Sie mit unserer Bundeskanzlerin oder unserem Bundeskanzler einverstanden sind, dann würden Sie nicht zu dem Schluss kommen, dass dieser Bundeskanzler nicht existiert, nur weil er nicht nach Ihren Vorstellungen handelt.
Sie könnten zwar einen anderen Bundeskanzler erfinden, aber dieser erfundene Bundeskanzler existiert dann nur in Ihrem Kopf und nicht in der Realität. Das hat keine Auswirkungen auf Ihre tatsächliche Lebenswelt.
Insofern muss es bei der Frage nach Religion und dem Glauben an Gott nicht nur darum gehen, wie ich mir Gott vorstelle, sondern wie Gott wirklich ist. Wenn ich nur darauf setze, dass jeder seinen eigenen Glauben hat und jede Überzeugung individuell ist, dann nehme ich im Prinzip an, dass all diese Überzeugungen keine Realität besitzen. Sie sind nur Vorstellungen, die nur in meinem Kopf existieren.
Ein Gott, der nur in meinem Kopf existiert, hat keine Relevanz. Er wird mein Leben nicht verändern, kann mir nicht helfen und mir nicht sagen, wo ich etwas falsch oder richtig mache. Auch wenn ich sterbe, wird mich ein solcher Gott nicht aus dem Tod herausholen.
Das ist ein Gott ohne Auswirkung auf mein Leben. Nur ein Gott, der wirklich existiert – auch wenn er vielleicht anders ist, als ich ihn mir vorstelle – kann Auswirkungen auf mich haben.
Und insofern besteht die große Herausforderung darin, diesen Gott zu suchen und zu finden. Es geht nicht darum, sich ein eigenes Bild von Gott zu machen oder in scheinbarer Toleranz jedes andere Gottesbild zuzulassen.
Denn wenn jemand sich wirklich ein falsches Gottesbild macht, ist das vergleichbar mit einer Krankheit. Ich gehe zum Arzt, und er stellt fest: Ich habe Krebs. Wenn ich dann am Ende sage: „Nein, ich glaube, ich habe gar keinen Krebs“, dann hilft das eben nicht.
Wenn das medizinisch nachgewiesen ist, spielt es keine Rolle, ob es mir passt oder nicht. Es ist kein Ausdruck der Toleranz des Arztes, wenn er sagt: „Okay, Sie glauben, Sie haben keinen Krebs. Einigen wir uns: Ich glaube es, Sie glauben es nicht, und dann ist die Sache offen.“
Entweder habe ich Krebs, oder ich habe ihn nicht. Wenn ich Krebs habe, kommt es darauf an, welchen Weg ich einschlage, um wieder gesund zu werden. Dann kann ich sagen: „Die Chemotherapie passt mir halt nicht.“ Und stattdessen gehe ich regelmäßig spazieren.
Ob regelmäßiges Spazierengehen wirklich gegen Krebs hilft oder nicht, ist jedoch eine neutrale, objektive Frage. Es ist eine Frage von Wahrsein und Falschsein – nicht davon, was mir gefällt oder was mir nicht gefällt.
Ich habe den Eindruck, dass, wenn Gott überhaupt eine Relevanz für unser Leben hat, die Frage sein muss: Wie ist der Gott, der wirklich existiert, und nicht der Gott, den ich mir vorstelle? Das ist, glaube ich, eine Scheintoleranz und keine wirklich echte Toleranz.
Wenn ich die Frage ernst nehme und wirklich davon ausgehe, dass es diesen Gott gibt, dann muss ich mir die Frage stellen, wie ich das herausfinden kann. Ebenso muss ich herausfinden, wie dieser Gott wirklich ist. Dabei darf ich nicht einfach davon ausgehen, dass es irgendein Gott ist oder dass es allgemein so ist.
Genauso wird es ja hier und dort auch bei den Fragen der Religion praktiziert: Man sagt, na ja, du bist Muslim, du bist Buddhist, du bist Hinduist oder gehörst einer anderen Religion an. Dann hat man den Eindruck, man müsse jedem das lassen, was er glaubt.
Und der Überzeugung bin ich auch. Aber das „Lassen“ heißt doch nicht, dass ich deshalb den Mund verschließe und meine Argumente nicht vorbringe. Denn vielleicht kommt mein Gesprächspartner am Ende des Gesprächs dazu und sagt: „Ja, das ist mir doch plausibel, wie du das sagst. Gut, dass du mir das gesagt hast. Ich sehe die Sache jetzt ganz anders.“
So läuft doch auch Wissensvermittlung bei uns im Alltag. Wenn sich jemand an die Schulzeit erinnert: Ein Mathematiklehrer gibt die Klausur zurück und schreibt dazu, welche Aufgaben richtig und welche falsch sind. Dabei gilt doch keine Toleranz, bei der man sagt: „Na ja, du hast halt diese Lösung als gut empfunden, du hast diese Lösung als gut empfunden.“
Ich kann sogar sagen: Wenn die richtige Antwort 125 ist und ich schreibe 152, nur weil ich die Zahlen getauscht habe, gilt das trotzdem als falsch.
Insofern ist die Frage: Wenn Gott Realität ist, was ja eine große Zahl von Menschen glaubt, dann können wir das nicht einer allgemeinen Toleranz überlassen. Jeder macht sich sein Gottesbild so, wie er es für richtig hält.
Vielmehr muss die brennende Frage eigentlich sein: Wie ist Gott wirklich? Wie ist der Gott, der existiert, und nicht der Gott, den ich mir vorstelle?
Wenn es nach mir ginge, würde ich mir zum Beispiel gerne einen Gott wünschen, der mir große Freiheit lässt und alles für richtig absegnet, was ich so tue. Er wäre auch ein Gott, der letztendlich jeden rettet und zu sich bringt. Ein Gott, der immer wieder in den Alltag eingreift, sodass nichts Schlimmes passieren kann.
Aber dieser Gott existiert offensichtlich nicht. Denn in meinem Leben passieren Dinge, die ich mir nicht wünsche, und der Gott, den ich erfinde, hat keinen Einfluss darauf.
Deshalb glaube ich nicht an den Gott, den ich erfinde und mir wünsche, sondern an den Gott, den ich in meinem Leben erfahren habe. An den, der immer wieder in mein Leben eingegriffen hat und auch meine Vorstellung von Gott verändert und korrigiert hat.
Und das ist der Gott, von dem ich ausgehe, dass er wirklich da ist – nicht ein Gott, den ich nur in meinem Kopf habe und erfunden habe.
Und das ist, glaube ich, die Herausforderung: die Suche nach Gott. Wenn wir der Bibel Glauben schenken, dann hat dieser Gott uns nicht nur eine Ahnung von ihm gegeben – eine Ahnung, die in uns drin ist. Wie Immanuel Kant schon sagt: Jeder Mensch weiß, dass es einen Gott gibt, weil der gestirnte Himmel über mir und die Stimme Gottes in meinem Gewissen zeigen und sagen, dass es diesen Gott gibt.
Darüber hinaus können wir auch noch sagen, dass dieser Gott auf die Erde gekommen ist, Mensch geworden ist und anfassbar geworden ist. Nur dann können wir überhaupt etwas von einem Gott sagen. Wenn Gott irgendwo auf einem fremden Planeten leben würde, wüssten wir ja nie von ihm. Wir sind darauf angewiesen, dass dieser Gott sich mitteilt.
Genau das ist es, was die Bibel behauptet. Er hat sich nicht nur mitgeteilt, indem er als leuchtende Statue auf der Erde erschienen ist oder durch eine Stimme, die durch die Wolken dringt. Sondern er ist ein Gott, der Mensch geworden ist, der empfunden hat wie Menschen, gesprochen hat wie Menschen und den wir verstehen können als unseresgleichen. Das wäre der Weg, den Gott gewählt hat, damit wir ihm wirklich greifbar und verstehbar sind und er uns nahekommt.
Dieser Gott ist nicht einer, den wir nur erfinden, nicht einer, von dem wir sagen können, er sei ein Modell unter vielen. Sondern er ist einer, der nachvollziehbar, glaubwürdig und erfahrbar für unseren Alltag ist.
Und deshalb gilt: Ja, Toleranz ist gut. Aber Toleranz darf nicht gegen die Suche nach Wahrheit aufgewogen werden.
Denn der Gott, der uns letztendlich interessiert, ist nicht der Gott in meinem Kopf, sondern der Gott in der Realität.