Wir kommen jetzt zu Kapitel 2, und ich lese das Gebet der Hanna, Kapitel 2, Vers 1.
Das ist das Gebet, das Hanna als Dank in Schilo betete. Es war ein Dank für das Gebet, das sie damals als Bitte vor den Herrn gebracht hatte.
Übrigens, einmal waren wir in Schilo, eben da bei der Stiftshütte. Dort hatte ich Kontakt mit einem Mann, dessen Frau als Archäologin in Schilo gegraben hat. Er erzählte, dass einmal eine Reisegruppe nach Schilo kam. Eine Frau aus der Gruppe hatte kein Kind. Sie hatte in Schilo gebetet: „Herr, gib mir ein Kind.“ Und tatsächlich bekam sie ein Kind.
Der Mann sagte, man dürfe dreimal raten, wie das Kind hieß. Wie? Friedrich. Friedrich. Ja, das ist natürlich eine schöne Geschichte. Aber sie brachte mich auch zum Nachdenken.
Es ist ganz wichtig: Im Neuen Testament erklärte Herr Jesus der Samaritanerin am Jakobsbrunnen die große Frage, wo der richtige Ort der Anbetung sei. Die Samaritaner sagten, es sei der Berg Garizim. Die Juden sagten, und zwar richtig, basierend auf dem Alten Testament, dass es Jerusalem sei.
Zuvor war es Schilo. Die Samaritanerin fragte: „Ihr sagt, in Jerusalem sei der Anbetungsort, aber unsere Väter haben auf diesem Berg,“ – sie schaut vom Brunnen hinauf zum Garizim – „auf diesem Berg angebetet.“
Dann stellte sie diese Frage, weil sie bemerkte, dass Jesus Christus ein Prophet ist. Jetzt könnte er endlich diese Streitfrage klären.
Und dann sagt der Herr Jesus in Johannes 4, wenn wir das kurz aufschlagen, Vers 21: Jesus spricht zu ihr: „Frau, glaube mir, es kommt die Stunde, da ihr weder auf diesem Berg, er zeigt auf den Berg Garizim, noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet.“
Ihr Samaritaner betet an und wisst nicht, was. Wir Juden beten an und wissen, was, denn das Heil ist aus den Juden.
Es kommt aber die Stunde – Hora, Stunde oder Periode, Epoche. Es kommt aber die Stunde, und sie ist jetzt da, das heißt, bereits angebrochen. In dieser Zeit werden die wahrhaftigen Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten. Denn auch der Vater sucht solche als seine Anbeter.
Gott ist Geist, und die, die ihn anbeten, müssen in Geist und Wahrheit anbeten.
Ja, da macht er klar, jetzt kommt eine ganz neue Zeit, in der das Anbeten nicht mehr an einen besonderen Ort gebunden ist. Das besondere Gebet findet nicht mehr nur an einem bestimmten Ort statt, sondern überall in aller Welt.
In Matthäus 18 sagte der Herr Jesus zu den Jüngern: „Da, wo zwei oder drei zu meinem Namen hin versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte.“ Und das kann irgendwo sein, auf den fünf Kontinenten, dort, wo Menschen als Gemeinde zusammenkommen, bewusst versammelt zum Namen des Herrn Jesus hin. Er hat alle Autorität, und da ist er in der Mitte – nicht mehr so ortsabhängig.
Und darum ist natürlich diese Frau, die dachte, wenn sie in Shiloh betet, sei das der richtige Ort, um für ein Kind zu beten. Tatsächlich sind in den vergangenen Jahrhunderten bis ins Mittelalter immer wieder Juden nach Shiloh gekommen. Unfruchtbare Frauen haben dort gebetet, um ein Kind zu bekommen. Das Vorbild war immer das Gebet der Hanna.
Aber wir müssen betonen: Nein, wir sind nicht an einen Ort gebunden. Niemand, der mit mir eine Israelreise macht, muss denken, in Shiloh betet er für ein Kind, und dann geschieht vielleicht ein Wunder. Das können wir genauso gut auch zuhause oder überall sonst tun.
An diese Stelle möchte ich noch eine kleine Episode erzählen. Ein Freund von mir war Lehrer und ein sehr väterlicher Mann. Er war schon in jüngeren Jahren sehr fürsorglich, nicht erst im Alter. Ein bisschen übertrieben gesagt, ist er auch jetzt nicht alt, aber eben ein sehr väterlicher Mensch.
In den letzten Jahren hat er speziell Schulunterricht für ausländische Jugendliche gegeben, um sie zu integrieren und sie auch beruflich weiterzuführen. Eines Tages kam eine junge Frau zu ihm und sagte: „Beten in der Kirche?“ Sie konnte nicht gut Deutsch. Er antwortete: „Ja, man kann in der Kirche beten, aber man kann auch überall beten, einfach da, wo man ist.“
Dann sagte sie: „Allah antwortet nicht.“ Sie hatte als Muslimin zu Allah gebetet und festgestellt, dass er nicht antwortet. Daraufhin fragte sie, ob man vielleicht in eine Kirche gehen müsse, damit der Gott der Christen antwortet. Er erklärte ihr: „Nein, du kannst natürlich in der Kirche beten. Du kannst auch nach Shiloh gehen und dort beten. Aber du kannst auch zuhause oder überall dort beten, wo du bist.“
Das Gebet ist also nicht vom Ort abhängig, sondern von unserer Herzenshaltung, von unserer Beziehung zum Herrn. Und auch davon, ob das, was wir beten, wirklich in Gottes Sinn ist.
Ja, das war ganz kurz als Einschub Kapitel zwei Vers eins:
Und Hanna betete und sprach: „Mein Herz verlockt in dem Herrn, erhöht ist mein Horn in dem Herrn. Mein Mund ist weit aufgetan über meine Feinde, denn ich freue mich deiner Rettung. Keiner ist heilig wie der Herr, denn keiner ist außer dir, und kein Fels ist wie unser Gott.
Häuft nicht Worte des Stolzes, noch gehe Freches aus eurem Mund hervor, denn ein Gott des Wissens ist der Herr. Und von ihm werden die Handlungen gewogen. Die Bogener Helden sind zerbrochen, und die Strauchenden haben sie mit Kraft umgürtet. Die Sattwahren dienen für Brot, und die Hungrigwahren sind es nicht mehr.
Sogar die Unfruchtbare hat sieben geboren, und die Kinderreiche ist dahin gewelkt. Der Herr tötet und macht lebendig, er führt in den Scheol hinab und führt herauf. Der Herr macht arm und macht reich, er erniedrigt und erhöht auch. Er hebt aus dem Staub empor den Geringen, aus dem Kot erhöht er den Armen, um sie sitzen zu lassen bei den Edlen, und den Thron der Ehre gibt er ihnen als Erbteil.
Denn des Herrn sind die Säulen der Erde, und auf sie hat er den Erdkreis gestellt. Die Füße seiner Frommen bewahrt er, aber die Gottlosen verstummen in Finsternis. Denn nicht durch Stärke hat der Mensch die Oberhand, sondern der Herr. Es werden zerschmettert werden die, die mit ihm hadern.
Über ihnen im Himmel wird er donnern, der Herr wird richten die Enden der Erde und Macht verleihen seinem König und erhöhen das Horn seines Gesalbten. Und was hier steht im Hebräischen, „seines Gesalten“, das ist seines Messias, Maschiach.
Ja, also ein ganz erstaunliches Gebet, das in Versform ist. Ich habe es auch so gelesen, dass man merkt, wie kunstvoll die hebräischen Zeilen sind. Es beginnt mit: „Mein Herz verlockt in dem Herrn.“
Wenn wir im Neuen Testament nachschlagen, finden wir eine sehr junge Frau in Lukas 1, Vers 46. Maria war damals verlobt. Im Judentum vor zweitausend Jahren heiratete man ziemlich früh, weil man nicht eine so lange Ausbildung durchlief, wie das in unserer Gesellschaft heute üblich ist. Dadurch wird vieles oft weit hinausgezögert.
Damals war es ganz normal, dass ein Mädchen im Alter von zwölf bis vierzehn Jahren verlobt wurde und bald darauf heiratete. Jungen verlobten sich meist mit sechzehn und heirateten mit achtzehn. Wenn man also den üblichen Rahmen betrachtet, müssen wir uns Maria nicht als eine Dreißig- oder Fünfundzwanzigjährige vorstellen. In unserem Sprachgebrauch würde man sie als Teenager bezeichnen. Das sind Personen, die weder Kinder noch Erwachsene sind. Man sagt, Teenager können sich manchmal kindisch verhalten, nehmen sich aber gleichzeitig Rechte heraus, die eher Erwachsenen zustehen.
Diese Problematik des Teenageralters gab es in neutestamentlicher Zeit jedoch nicht. Die Zeit des Heranwachsens war viel kürzer. Man war entweder Kind oder sehr früh bereits Erwachsener und übernahm Verantwortung. Wenn man sich das vor Augen hält, ist es beeindruckend, wie Maria betet.
In Lukas 1, Vers 46 spricht Maria: „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich in Gott, meinem Heiland.“ Man merkt, dass hier Anklänge an 1. Samuel 2, Vers 1 zu finden sind. Das weitere Gebet besteht aus Verszeilen in gehobener Sprache:
„Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich in Gott, meinem Heiland, denn er hat auf die Niedrigkeit seiner Magd geschaut. Siehe, von nun an werden mich alle Geschlechter glücklich preisen, denn große Dinge hat er mächtig an mir getan, und heilig ist sein Name. Seine Barmherzigkeit gilt von Geschlecht zu Geschlecht für die, die ihn fürchten. Er hat Macht ausgeübt mit seinem Arm, er hat die Zerstreuten in der Gesinnung ihres Herzens hochmütig sind, zerstreut. Er hat Mächtige von Drohnen hinabgestoßen und Niedrige erhöht.“
Wenn wir an 1. Samuel 2, Vers 7 zurückdenken, heißt es dort: „Der Herr macht arm und macht reich, er erniedrigt und erhöht auch. Er hebt den Geringen aus dem Staub empor, aus dem Kot erhöht er den Armen, um sie bei den Edlen sitzen zu lassen, und den Thron der Ehre gibt er ihnen als Erbteil.“ Man erkennt klare Anklänge an das Gebet der Hanna.
Dieses Gebet hat über Jahrhunderte, ja über tausend Jahre hinweg geprägt – und das bis heute. Auch Maria drückt in ihrem Gebet ihre Freude aus, die sie jetzt hat. Sie sieht, wie der Herr an ihr gehandelt hat, und beschreibt, wie Gott allgemein handelt. Er stellt die menschlichen Erwartungen auf den Kopf und wendet die Dinge um.
Man hätte als menschlicher Beobachter denken können, die Gewinnerin sei Penina, und Hanna sei die Arme. Doch der Herr griff durch Gebet ein, und die Verhältnisse änderten sich ganz anders.
Was hier sichtbar wird, ist, dass sie nicht nur für sich selbst betet, sondern sich mit dem Thema „Wer ist Gott?“ beschäftigt. Sie fragt: Wie ist Gott? Wie handelt Gott in der Geschichte, in der Heilsgeschichte? Auffällig sind die Namen, die sie im Gebet verwendet. Immer wieder sagt sie „Herr“ – in der deutschen Bibel mit Großbuchstaben geschrieben, was Yahweh, den Ewigen, den Unwandelbaren, meint.
In Vers 2 nennt sie ihn „unser Gott“. In Vers 3 spricht sie von einem Gott des Wissens, von Yahweh, also dem allwissenden Gott. Schon in Vers 2 stellt sie die Einzigartigkeit Gottes dar: „Keiner ist heilig wie der Herr, denn keiner ist außer dir, und kein Fels ist wie unser Gott.“ In Vers 3 zeigt sie, dass die Allwissenheit Gottes garantiert, dass Gott die Menschen zur Rechenschaft zieht. Gott weiß alles, was in den Herzen ist.
Man denke dabei auch an Psalm 139, in dem später König David über die Allwissenheit Gottes spricht.
In Vers 4 sehen wir eine Umkehrung: Helden werden zu Verlierern, Schwache zu Siegern. Das zeigt, dass man sich nie in einer Schublade sehen darf. Ich erinnere mich, dass ich damals ziemlich jung war und einen Freund hatte, der in die Gemeinde kam. Er war sehr klein – ich meine, ich bin schon klein, aber er war noch deutlich kleiner. Er kam aus schwierigen Verhältnissen und fühlte sich in einer Schublade gefangen. Er dachte, er könne da nicht heraus, er sei eben so. Seine weitere Entwicklung war sehr traurig.
Doch genau hier lernen wir etwas anderes: Wir sind nicht in einer Schublade gefangen. Gott kann die Dinge völlig wenden und neu machen – besonders für diejenigen, die ihn suchen.
In Vers 5 begegnet uns erneut das Thema der Umkehrung: Hunger auf der einen Seite, Sättigung auf der anderen. Früher Gesättigte werden hungrig, und Hungrige werden satt. Der Herr kann die Verhältnisse völlig drehen.
Dann spricht sie sogar von der Unfruchtbaren, die sieben Kinder geboren hat. Hier durfte sie an sich selbst denken. Zwar hatte sie damals schon ein Baby, aber der Herr hatte auch da die Verhältnisse gewendet. Er hat alles in seiner Hand. Später bekam sie weitere Kinder.
Es ist jedoch nicht so, dass sie tatsächlich sieben Kinder bekam. Ich greife vor auf Kapitel 2, Vers 21: „Und der Herr wandte sich Hanna zu.“ Das geschah, nachdem der Hohepriester das Ehepaar gesegnet hatte. Der Herr wandte sich Hanna zu, sie wurde schwanger und gebar drei Söhne und zwei Töchter. Der Knabe Samuel wuchs beim Herrn heran. Insgesamt bekam sie also sechs Kinder, nicht sieben.
Im Gebet sagt sie aber ganz grundsätzlich, dass der Herr Dinge wenden kann und eine Unfruchtbare, wenn es sein muss, sogar sieben Kinder bekommen kann.
In Vers sechs geht es erneut um das Thema Umkehrung, und zwar um Tod und Auferstehung. Es wird der Gott der Auferstehung beschrieben, der Herr, der tötet und lebendig macht. Er führt hinab in den Scheol und führt wieder herauf.
Ich erinnere mich an den Religionsunterricht auf dem Gymnasium, wo ich einen Pfarrer hatte. Solche Leute nannte man früher „positive Pfarrer“. Weiß man, was das bedeutet? Die positiven Pfarrer waren gläubig und glaubten, dass Jesus Christus der Erlöser ist. Dennoch waren sie gefangen in der Bibelkritik. Für sie war die Bibel nicht das Wort Gottes. Das ist ein elender Zustand.
Dieser Pfarrer war der Meinung, dass im Alten Testament nichts von der Auferstehung bekannt gewesen sei. Wie bitte? Im Alten Testament sei die Wahrheit von der Auferstehung nicht bekannt gewesen, das komme erst im Neuen Testament. Ach was!
Schon wenn man nur das Gebet der Hanna liest, wird klar: Der Herr tötet und macht lebendig. Er führt hinab in den Scheol und führt wieder herauf. Und wie war das bei Abraham? Im Hebräerbrief Kapitel elf steht, dass er bereit war, seinen Sohn zu geben, weil er darauf vertraute, dass Gott mächtig ist, ihn auch von den Toten auferwecken zu können.
Darum sagte Abraham zu seinen Knechten: „Bleibt ihr hier.“ Er selbst ging mit seinem Sohn an diesen Ort, um dort anzubeten und zu ihnen zurückzukehren. Was? Er wusste, dass er seinen Sohn opfern sollte, und dennoch sagte er: „Wir werden zurückkehren.“ Nicht „Ich werde zu euch zurückkehren.“ Er rechnete wirklich damit, dass der Herr, der über den Tod herrscht, seinen Sohn auferwecken würde.
Schließlich hatte Gott gesagt, dass über Isaak die Nachkommenschaft kommen werde, und diese war noch nicht da. Also musste Isaak wieder auferstehen. Das ist logisch.
So können wir weitermachen: Hiob sagt, er wisse, dass sein Erlöser lebt. Am Ende wird er auf der Erde stehen, obwohl sein Körper zerstört ist. Er sagt, er sterbe, sein Körper werde ganz kaputtgehen, war damals schon pestkrank und schwarz. Doch Gott anzuschauen bedeutet, dass er seinen Körper wiederbekommt. Das ist Auferstehung.
Daniel 12 spricht von denen, die im Staub schlafen und auferstehen werden. Jesaja spricht von den Schatten der Toten, die auferweckt werden. Natürlich war die Hoffnung auf Auferstehung im Alten Testament unter den Erlösten bekannt – und das zeigt sich eben auch in diesem wunderbaren Gebet.
Wir wollen an dieser Stelle nun eine Pause machen. Morgen werde ich dann noch einmal auf die Säulen der Erde zurückkommen.
Ja, vielleicht könnte sich jemand an dem Gebet der Hanna stoßen. Sie spricht darin von Säulen, auf denen Gott den Erdkreis gegründet hat.
Morgen gibt es dazu mehr, verbunden mit hoffentlich einer kleinen Überraschung.
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