
Stellt euch vor, ein Polizist fährt Streife. Er sieht zwei Jugendliche, die mit einer Spraydose vor einem Gebäude stehen, das unter Denkmalschutz steht, und das Gebäude verunstalten. Doch der Polizist denkt sich: „Ach, Jungs werden immer Jungs bleiben.“ Er schreitet nicht ein, sondern fährt einfach weiter.
Oder stellt euch vor, ein Arzt schaut sich das MRT eines Patienten an, sieht den Befund und entdeckt einen Tumor. Der Patient braucht dringend eine Operation. Aber der Arzt denkt sich: „Ich möchte heute keine schlechten Nachrichten überbringen. Außerdem sterben wir früher oder später alle.“ Deshalb leitet er den Befund nicht weiter.
Das wäre absurd, oder? Kein Polizist würde einfach passiv bleiben, wenn er ein Verbrechen verhindern kann. Kein guter Polizist jedenfalls. Kein Arzt würde eine Krankheit verheimlichen. Kein Feuerwehrmann würde einen Notruf unterdrücken, der in der Zentrale ankommt, wenn ein Mehrfamilienhaus brennt. Da denkt sich niemand: „Lass es brennen, es geht schon von alleine aus.“
Wenn die Not da ist, wenn Gefahr droht, dann kann man nicht schweigen. Und das ist das Thema des zweiten Vortrags: Alarmstufe Rot – Wer kann da noch schweigen? Wer kann da noch schweigen?
Wir sind mittlerweile in Kapitel drei angelangt. Diesen Text, den wir uns jetzt anschauen, ist ein sehr ungewöhnlicher Text – ein ganz anderer Text. Er ist im ersten Moment schwer zu verstehen. Aber ich möchte Ihnen den Text zunächst einmal am Stück vorlesen, damit wir einen Eindruck davon bekommen. Danach gehen wir Vers für Vers wieder durch.
Da stellt Amos verschiedene Fragen: Können etwa zwei miteinander wandern, wenn sie nicht einig untereinander sind? Brüllt ein Löwe im Wald, wenn er keinen Raub erbeutet hat? Schreit ein junger Löwe aus seiner Höhle, wenn er nichts gefangen hat?
Fällt ein Vogel zur Erde, wenn kein Fangnetz da ist? Oder springt eine Falle auf der Erde auf, wenn sie nichts gefangen hat? Bläst man etwa die Posaune in einer Stadt, und das Volk erschrickt nicht? Ist ein Unglück in der Stadt, das der Herr nicht verursacht hat?
Gott, der Herr, tut nichts, ohne seinen Ratschluss den Propheten, seinen Knechten, zu offenbaren. Der Löwe brüllt – wer sollte sich da nicht fürchten? Gott, der Herr, spricht – wer sollte da nicht Prophet werden?
Das ist ein ganz schwieriger Text, oder? Was können wir daraus jetzt für uns mitnehmen? Wichtig ist zunächst, dass Amos mit diesen Fragen eine Vorbereitung startet. Die eigentlichen Hauptpunkte, die er machen möchte, kommen erst am Ende. Deshalb kommen auch meine Predigtpunkte erst am Schluss.
Zunächst sind es einige rhetorische Fragen. Ich glaube, dass Amos die Zuhörer durch diese Fragen, die er stellt, wieder fesseln möchte. Am Anfang hatte er sie, wie wir heute Morgen gesehen haben, angesprochen, als er über die Sünden der anderen gesprochen hatte – da waren alle dabei.
Doch als er den Spieß umdrehte und über die Sünden Israels sprach, kann ich mir vorstellen, dass einige Zuhörer weggegangen sind. Nun hat Amos einen neuen Ansatz. Er beginnt seine nächste Predigt mit Fragen. Die Zuhörer denken sich vielleicht: Warum diese Fragen? Aber gerade dadurch hören sie zu, und dann bringt er seine Hauptpunkte.
Es beginnt mit Wanderern in der Stadt, mit Wanderern auf dem Feld, und es endet mit Terror in der Stadt. Innerhalb dieser Fragen gibt es eine Steigerung in der Dramatik. Das ist vielleicht beim Lesen nicht sofort aufgefallen.
Die erste Frage lautet: Können etwa zwei miteinander wandern, sie seien denn einig untereinander? Dieses Wort finden wir auch im Buch Hiob, im Hebräischen ist es dasselbe, das in Hiob 2,11 erwähnt wird. Dort haben sich die Leute verabredet, miteinander zusammenzukommen. Die Frage könnte also lauten: Gehen etwa zwei miteinander, außer wenn sie sich verabredet haben? Die Antwort ist Nein. Sie gehen nur miteinander, wenn sie sich verabredet haben.
Ich weiß nicht, wie das hier in Heidelberg ist, aber bei uns in der Nähe der Gemeinde gibt es eine Endstation. In Köln gibt es ein gutes Straßenbahnsystem, sicherlich auch hier. Wenn man an der Endstation einsteigt, ist die Bahn in die andere Richtung meist noch völlig leer. Und wir Deutschen – wenn wir mal Corona wegdenken, denn jetzt gibt es ja immer Sicherheitsabstand, aber nehmen wir das mal weg, so schwer es fällt – wenn wir in eine leere Bahn gehen, setzt sich der eine Deutsche hinten rechts hin. Wenn der zweite kommt, wird er sich ja nicht einfach neben ihn setzen, oder?
Das ist wie beim Arzt im Wartezimmer: Man setzt sich nicht nebeneinander, wenn alle anderen Plätze frei sind. Wenn man in ein Wartezimmer oder eine Bahnstation kommt und zwei nebeneinander sitzen, dann kennen die sich. Das ist das, was Amos hier deutlich machen möchte. Er denkt wahrscheinlich an sein Heimatland Tekoa, eine Steppengegend, Weidelandschaft. Wenn zwei miteinander auf großer Flur zusammengehen, dann kennen die sich. Die Antwort ist so offensichtlich, dass Amos hier wohl nochmal Zustimmung von seinen Zuhörern einholen möchte – auf der allerselbstverständlichsten Ebene. Ich kann mir vorstellen, die Leute sagen: Na klar, Amos.
Dann macht er weiter und spricht jetzt über Löwen. Das ist eigentlich eine Doppelfrage zum Jagdverhalten der Löwen. Die zweite Frage lautet: Brüllt etwa ein Löwe im Wald, wenn er keinen Raub hat? Schreit etwa ein junger Löwe aus seiner Höhle, er habe etwas gefangen? Auch hier müssten beide Fragen mit Nein beantwortet werden.
Brüllt ein Löwe im Wald, wenn er keinen Raub hat? Nein, er brüllt nur, wenn er einen Raub hat. Denn wenn ein Löwe brüllen würde, obwohl er noch keinen Raub hat, wäre das ein Eigentor für ihn. Stellt euch vor, ein hungriger Löwe brüllt – alle potenziellen Beutetiere hören ihn von Weitem und laufen weg. Das wäre ein Eigentor. Wann brüllt ein Löwe? Ein Löwe brüllt nur, wenn er den Raub hat, um seine Opfer zu sichern, damit keine anderen näherkommen. Er markiert sein Revier: Es gehört mir.
Wir merken schon, die Dramatik steigert sich. Gerade waren wir beim Spaziergang: Gehen etwa zwei miteinander, sie seien denn einig? Jetzt sind wir plötzlich bei der Jagd. Die Antwort auf beide Fragen lautet Nein, auch beim jungen Löwen.
Nun kommt eine neue Komponente hinzu: Jetzt spielt der Mensch eine Rolle. Der Mensch ist der Jäger. Gerade war es nur eine Jagd innerhalb der Tierwelt – der Löwe und seine Beute. Jetzt spielt der Mensch schon eine Rolle.
Die vierte Frage lautet: Fällt etwa ein Vogel zur Erde, wenn kein Fangnetz da ist? Die Antwort ist Nein. Er fällt nur zur Erde, wenn es etwas gibt, das den Vogel gepackt hat. Hier gibt es ein Übersetzungsproblem. Ich gehe nicht im Detail darauf ein, aber ich denke, ob es sich jetzt um ein Stellholz oder eine Schlinge handelt, ist vom hebräischen Text her nicht ganz klar. Das Alte Testament wurde ja auf Hebräisch geschrieben, deshalb muss man zwischendurch prüfen, was genau dort steht. Die Übersetzungen sind unterschiedlich. Klar ist aber: Ein Vogel fällt nur in die Falle, wenn etwas da ist, das den Vogel zieht beziehungsweise lockt.
Die fünfte Frage ist auch relativ klar: Oder springt eine Falle von der Erde auf, sie habe denn etwas gefangen? Die Antwort ist auch hier Nein. Das kennen wir von unseren Mausefallen – die klappt ja nur zu, wenn etwas drin ist. Also auch hier wieder völlig selbstverständlich: Nein.
Wir sehen hier die Steigerung: Am Anfang geht es nur ums Wandern, jetzt sind wir schon bei der Jagd. Amos geht weiter und spricht nun die Städte an.
Die sechste Frage lautet: Bläst man etwa die Posaunen einer Stadt und das Volk entsetzt sich nicht? Die Antwort ist auch hier Nein. Wenn die Posaunen der Stadt geblasen werden, haben alle Angst. Warum? Damals gab es noch keine Alarmanlage. Die Städte waren zur Zeit des Alten Testaments immer mit einer Mauer umgeben. Das kennen wir von Jericho, von Jerusalem, wo unter Nehemia die Mauer wieder aufgebaut wurde. Auf der Mauer gab es einen Wächter, der eine Posaune hatte. Wenn der Feind kam, stieß er in die Posaune, um das Volk zu warnen.
Das sehen wir auch in Hosea 5,8: "Bläst die Posaune zu Gebea, ja Trompete zu Rama, ja ruft laut zum Bett-Aven! Man ist hinter dir her, da ist Gefahr." Deshalb bläst man die Posaune. Die Antwort ist hier klar: Wenn der Wächter in der Stadt die Posaune bläst, herrscht Alarmstufe Rot. Das ist das Thema: Alarmstufe Rot. Natürlich entsetzt sich das ganze Volk.
Interessant ist, dass Amos hier nur von einer Stadt spricht, aber im nachfolgenden Text ist von Samaria die Rede. Er denkt also bereits an Samaria, das Nordreich. Amos möchte deutlich machen: Es herrscht Alarmstufe Rot. Er ist der, der euch warnt, sozusagen der Wächter mit der Posaune. Es ist fünf vor zwölf.
Er macht aber erst einmal weiter, weil das Volk vielleicht noch nicht ganz so weit ist.
Jetzt kommt die siebte Frage, und diese hat es in sich. Schaut mal, was hier gefragt wird: Ist etwa ein Unglück in der Stadt, das der Herr nicht tut? Wenn wir die gleiche Logik anwenden, muss die Antwort auch hier Nein lauten. Denn jedes Unglück in der Stadt kommt von Gott.
Jetzt sehe ich plötzlich viele Fragezeichen: Kommt das Unglück wirklich von Gott? Im Hebräischen steht hier das Wort ra'a. Ich finde es interessant, wie die hebräische Sprache manchmal schon durch den Klang eines Wortes zeigt, ob es gut oder böse ist. Wisst ihr, was "töten" auf Hebräisch heißt? Harak – klingt auch so. Und hier auch das Wort ra'a. Das kann man entweder mit "böse" oder mit "Unglück" übersetzen.
Wir sind uns einig, dass das moralisch Böse nicht von Gott kommt, Amen? Das moralisch Böse kommt nicht von Gott. Jakobus sagt: Von Gott kommt nicht die Versuchung, von Gott kommt das Gute (Jakobus 1,17). Alle gute und alle vollkommene Gabe kommen von Gott. Deshalb hat Luther hier richtig übersetzt: Er hat nicht "Böse" übersetzt, sondern "Unglück".
Und das kommt von Gott. Die Strafen, die in 5. Mose 28 für Ungehorsam angedroht wurden – Pest, Verbannung in die Gefangenschaft, Hungersnot – das sind natürlich Unglücke. Diese werden von Gott geschickt, aktiv, um das Volk zur Umkehr zu bewegen. Das werden wir morgen Abend noch ausführlicher sehen.
So ist das zu verstehen. Das ist das, was Amos deutlich machen möchte: Überlegt doch mal, ihr erlebt schon Unglück in der Stadt. Das heißt, ihr müsst den Rückschluss ziehen: Es ist fünf vor zwölf, es herrscht Alarmstufe Rot.
Und damit ist Amos bei seinen Hauptpunkten angekommen. Der erste Punkt dieser Predigt lautet: Die Zuverlässigkeit der Warnung. Es handelt sich hierbei nicht um einen Fehlalarm.
Schaut mal, da heißt es in Vers 7: „Gott, der Herr, tut nichts, er offenbare denn seinen Ratschluss den Propheten, seinen Knechten.“ Das muss mit Vers 6 zusammengesehen werden. In Vers 6 heißt es: Es ist etwa ein Unglück in der Stadt, dass der Herr nicht tut. Gott, der Herr, tut nichts, er offenbare denn seinen Ratschluss den Propheten, seinen Knechten.
Das heißt, Amos macht deutlich, dass jedes Unglück, das Samaria trifft, von Gott kommt. Aber Gott warnt vorher immer. Alles, was er tun will, sagt er vorher dem Volk durch die Propheten. Es ist also eine zuverlässige Warnung. Denn hier stehe ich, Amos, und ich predige euch Gottes Warnung.
Vor einiger Zeit ist bei uns im Haus im Kinderzimmer der Rauchmelder angegangen. Wir haben Rauchmelder oben in den Kinderzimmern, und es war gerade eine Nacht, in der wir auch im Kinderzimmer waren. Wer kleine Kinder hat, weiß, man ist als Eltern auch schon mal nachts im Kinderzimmer, weil das Kind weint. Wir sind gerade oben gewesen und gucken, und in dem Moment geht der Rauchmelder an.
Ich wusste sofort, das ist ein Fehlalarm, weil hier kein Feuer im Zimmer ist. Das ist alles nicht so schlimm, es ist alles nicht so wild, es ist ja nur ein Fehlalarm. Und das ist das, was das Volk denkt: Amos, alles nicht so wild, alles nicht so wild, du übertreibst.
Das sehen wir in Kapitel 7, da wollen sie ihn wegscheuchen: „Sag nicht weiter über Sünde, wir können deine Worte nicht mehr hören.“ Aber Amos sagt: Das ist kein Fehlalarm, denn Gott hat mir das gezeigt. Gott zeigt alles, was er tun will, seinen Knechten, den Propheten.
So ist Gott immer. Gott offenbart sich. Gott ist ein offenbarender Gott. Wir glauben nicht an einen Gott, bei dem wir immer zweifeln müssen: Was will er denn? Gott offenbart sich. Gott offenbart Noah, dass die Sintflut kommen wird. Gott offenbart Abraham, dass er Sodom und Gomorra vernichten will, wenn sie so weiter handeln.
Gott kündigt sein Gericht vorher an, auch durch Jona: Noch so und so viele Tage, dann wird Ninive zerstört werden. Er kündigt es an, damit das Volk noch die Möglichkeit hat zur Umkehr.
Gottes Offenbarung ist aber zuverlässig und sollte ernst genommen werden. Leider macht es das Volk nicht.
Das führt uns zum zweiten Punkt: Amos sagt, diese Warnung ist dringlich. Die Dringlichkeit der Warnung ist hoch – es herrscht Alarmstufe Rot. Die letzten Fragen stehen an.
In Vers 8 fragt Amos: „Der Löwe brüllt. Wer sollte sich nicht fürchten?“ Die Logik dahinter ist klar: Jeder sollte sich fürchten, wenn der Löwe brüllt. Denn erinnert euch, das hatten wir schon einmal mit dem Löwen. In Vers 4 sagt Amos: „Brüllt etwa ein Löwe im Wald, wenn er keinen Raub hat?“ Und wir haben festgehalten: Nein, er brüllt nur, wenn er Beute hat.
Jetzt sagt Amos in Vers 8, der Löwe brüllt. Aber wisst ihr, was das Problem für das Volk Israel ist? Der Löwe ist nicht einfach nur ein Tier – Amos meint Gott. Gott ist der Löwe, der die Beute hat. Gott ist kurz davor, zuzuschlagen und zu richten. Damit macht Amos noch einmal deutlich: Es ist so dringend, es herrscht Alarmstufe Rot.
Mein Vater ist Pilot bei der Lufthansa. Momentan hat er nicht ganz so viel zu tun wegen Corona. Aber in all den Jahren der Fliegerei hat Gott ihn größtenteils vor brenzligen Situationen bewahrt. Ich erinnere mich, dass wir als Kinder immer abends gebetet haben: „Gott, bitte gib, dass Papa nicht abstürzt, Amen!“ Und Gott hat diese Gebete immer erhört.
Eine Situation war aber richtig brenzlig. Es war auf einem Flug von Neapel nach München, hat Papa uns erzählt. Eigentlich ein ganz normaler Flug – bis plötzlich mitten in der Luft im Cockpit die gelbe Alarmleuchte angeht. Ja, das passiert schon mal. Das ist im Flug normal, vielleicht löst ein Gepäckstück den Alarm aus. Meistens ist es ein Fehlalarm. Der gelbe Alarm ist nicht ganz so schlimm. Man drückt ihn nach kurzer Kontrolle weg und der Flug geht weiter.
Plötzlich geht aber die rote Alarmleuchte an. Auch als erfahrener Kapitän wirst du da unruhig. Die rote Leuchte ist der Masteralarm. Mitten in der Luft geht er an. Die beiden Piloten gehen die Checkliste durch, finden aber keinen Fehler. Trotzdem geht der rote Alarm weiter. Dann kommt meinem Vater die Idee, aus dem Fenster zu schauen. Er sieht ein Flugzeug entgegenkommen und kann gerade noch ausweichen.
Das ist eine wahre Begebenheit. Schaut mal: Wenn der Masteralarm angeht, dann ist es kein Fehlalarm mehr. Dann ist es dringend, dann muss gehandelt werden.
Und genau das sagt Amos: Es herrscht Alarmstufe Rot. Euch läuft die Zeit davon. Der Boden unter euren Füßen wird immer heißer. Euch kommt aber nicht ein Flugzeug entgegen – euch kommt Gott entgegen. Er ist gegen euch, weil ihr in Sünde lebt. Er wird euch richten, wenn ihr so weiterlebt.
Das ist doch genau die Botschaft für uns heute: Gott wird Menschen richten, die Jesus Christus nicht angenommen haben. Es ist den Menschen gegeben, einmal zu sterben, danach das Gericht. Und das ist kein Fehlalarm.
Ich habe den Eindruck, auch wir als Christen müssen uns dieser Dringlichkeit bewusst werden. Es wird so häufig gesagt: „Alle Wege führen in den Himmel.“ Ich glaube, die meisten hier im Raum würden sagen, das ist falsch. Es gibt nur einen Weg in den Himmel – und das ist Jesus Christus. Dazu stehe ich zu hundert Prozent, um das klarzustellen.
Aber ich frage mich: Kann es sein, dass unsere Praxis manchmal nicht mit unseren Worten übereinstimmt? Wenn man nur unser Leben anschaut, nicht die Worte, die wir sagen – „Nur Jesus bringt uns in den Himmel“ –, zeigt unsere Praxis vielleicht, dass unser muslimischer Nachbar uns irgendwie egal ist. Als ob wir insgeheim glauben: „Na ja, der wird es auch schon irgendwie schaffen.“ Wir sind uns der Dringlichkeit nicht bewusst.
Schaut mal: Wenn wir einen Menschen auf einem Bahnübergang sehen und der Zug kommt, dann sehen wir das mit unseren Augen. Wir warnen ihn und holen ihn weg von den Gleisen. Aber ich habe den Eindruck, dass wir die unsichtbare Realität manchmal aus den Augen verlieren. Denn die unsichtbare Realität ist genauso real: Menschen ohne Jesus sind auf dem Weg in die Hölle.
In Offenbarung 20, Vers 15 steht: „Wer nicht im Buch des Lebens geschrieben ist, wird in den feurigen Pfuhl geworfen.“ Ich glaube das. Aber die Frage ist: Nicken wir das einfach nur ab in frommer Rechtgläubigkeit? „Ja, wir glauben an die Hölle, das ist gut.“ Wir sollten an die Hölle glauben. Aber kann es sein, dass das gar nichts mit uns macht? „Na ja, der Arbeitskollege wird wahrscheinlich in die Hölle kommen.“ Oder sind wir uns der Dringlichkeit bewusst? Es herrscht Alarmstufe Rot. Wir müssen warnen. Wir müssen auf ihn zugehen.
Und das führt uns zum dritten Punkt: die Nötigung zur Warnung. Schweigen ist unmöglich.
In Vers 8 heißt es, das ist die letzte Frage, die Amos stellt: Gott, der Herr, redet – wer sollte nicht Prophet werden? Die Antwort ist: Jeder sollte Prophet werden, im Sinne von: Jeder sollte predigen. Wenn Alarmstufe Rot herrscht und der Herr uns sein Wort gibt, wenn der Herr uns das Evangelium überträgt, dann sollten wir reden. Dann sollten wir reden. Der Löwe brüllt – wer sollte sich nicht fürchten? Jeder sollte sich fürchten. Gott, der Herr, redet – wer sollte nicht Prophet werden? Jeder sollte predigen.
Damit antwortet Amos auf das, was sie ihm gesagt haben. Sie sagen: Wir wollen nicht, dass du predigst. Und Amos sagt: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Wenn Gott redet, dann kann ich nicht anders, als euch die Wahrheit zu sagen.
Kann es sein, dass wir manchmal schweigen? Ich stelle die Frage auch mir selbst. Vielleicht haben wir manchmal diese Dringlichkeit gar nicht vor Augen, dass Alarmstufe Rot herrscht.
Schaut mal, wenn ich mir die Propheten im Alten Testament anschaue, die hatten diese Dringlichkeit – nicht nur Amos. Ich möchte ein paar Verse aus Jeremia lesen. Jeremia ging es ähnlich. Hört gut zu: Jeremia 20,7-9. Jeremia ist völlig fertig in dieser Situation, er will eigentlich kündigen als Prophet.
Da heißt es: „Du hast mich überredet, Herr, und ich habe mich überreden lassen“, so redet Jeremia zu Gott. „Gott, ich habe mich von dir überreden lassen, dass ich Prediger werden soll. Du hast mich gepackt und mir Gewalt angetan. Nun spotten sie immerzu über mich und lachen mich aus, denn so oft ich in deinem Auftrag rede, muss ich Unrecht anprangern, Verbrechen muss ich rufen, Unterdrückung – und das bringt mir nichts als Spott und Hohn ein, Tag für Tag. Aber wenn ich mir sage, ich will nicht mehr an Gott denken und nicht mehr in seinem Auftrag reden, dann brennt dein Wort in meinem Inneren wie ein Feuer. Ich nehme meine ganze Kraft zusammen, um es zurückzuhalten – ich kann es nicht.“
Jeremia sagt also: Ich predige. Und deswegen sind die Leute gegen mich, und ich will eigentlich aufhören zu predigen, aber ich kann nicht, weil ich mir der Dringlichkeit bewusst bin. Es brennt in meinem Herzen wie Feuer.
Die Frage, die ich heute an uns habe, ist: Brennt in unserem Herzen ein Feuer für das Evangelium? Für die Dringlichkeit, dass wir gerne rausgehen – auch wenn es uns Überwindung kostet – aber dass wir die frohe Botschaft weitergeben, dass Jesus allein rettet?
Schaut mal, jetzt möchte ich wieder die Parallele im Neuen Testament aufzeigen: 1. Korinther 9,16. Paulus sagt: „Denn dass ich das Evangelium predige, dessen darf ich mich nicht rühmen, denn ich muss es tun. Und wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte!“
Und die Jünger in der Apostelgeschichte: Petrus und Johannes haben gesagt: „Ihr sollt nicht mehr predigen das Evangelium!“ Und sie sagen: „Wir können es nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben.“
Ich habe den Eindruck, wir können es als Gemeinden heute nicht schweigen. Wir können nicht schweigen.
Es geht jetzt nicht darum, einen Aktionismus zu erzeugen, so nach dem Motto: Jetzt geh raus und mach! Sondern dass wir zunächst einmal unser Herz überprüfen und sagen: Herr, brich du mein Herz für die Verlorenen neu. Mach du, entfache du in mir das Feuer!
Das muss der Herr wirken. Das können wir nicht auf Knopfdruck produzieren. Aber Herr, mach du etwas in uns, dass uns das nicht egal ist, dass die Menschen in unserem Land gerichtet werden. Zeig du uns neu, dass Alarmstufe Rot herrscht.
Ich möchte ein Beispiel von mir erzählen – ein Negativbeispiel und hoffentlich auch ein ermutigendes Beispiel. Der Herr macht uns ja immer wieder in unserem Leben auf Menschen aufmerksam, oder? Vielleicht erlebst du das auch. Vielleicht sagt er dir seit langem: „Geh doch mal zu deinen Arbeitskollegen, lade ihn und seine Frau doch mal mit deiner Frau nach Hause ein auf einen Kaffee, redet einfach miteinander, pflegt eine Beziehung.“ Dann ergeben sich Türen für das Evangelium.
Vielleicht macht es der Herr dir schon seit langem deutlich. Oder vielleicht ist es eine bekannte Person aus seinem Bekanntenkreis, die Krebs hat. Bei mir ist es der Nachbar, Moslem, zwei Häuser weiter. Er hat Krebs, wird bald sterben und ist so alt wie ich. Immer wieder macht der Herr es mir deutlich: „Andre, geh ihm nach.“
Vor einiger Zeit habe ich geklingelt und gefragt, ob ich helfen kann. Aber ich bin da noch weiter am Beten: „Herr, du musst Türen öffnen.“
Vor einiger Zeit hat Gott mir eine Person aufs Herz gelegt, eine, die schon lange nicht mehr in unsere Gemeinde kam: Natascha Thürmer. Gott hat immer wieder gesagt: „Andre, melde dich bei ihr, da läuft geistlich mächtig etwas schief.“ Ich habe mich einmal halbherzig gemeldet, einfach mal gefragt. Die Mail kam zurück, weil sie mittlerweile eine andere E-Mail-Adresse hat. Ich habe dann ihre Handynummer bekommen, weil sie bei mir in der Kleingruppe war. Das heißt, ich bin für sie zuständig, ihr nachzugehen.
Ich habe es rausgezögert und rausgezögert und mich nicht bei ihr gemeldet. Plötzlich bekam ich eine E-Mail von Heinrich Derksen: Natascha Thürmer hat sich das Leben genommen. Das hat mich sehr getroffen. Ich wusste: Herr, du hast es mir die ganze Zeit aufs Herz gelegt – „Andre, melde dich, melde dich, Alarmstufe Rot!“ Ich habe es nicht gemacht.
Jetzt kann ich nicht sagen, ob sie sich nicht umgebracht hätte, wenn ich mich gemeldet hätte. Ich habe es dem Herrn abgegeben, damit ich nicht mehr diese Schuld mit mir trage. Der Herr vergibt. Aber ich will daraus lernen.
Vor einiger Zeit, als ich noch im Berufsleben stand und meine Ausbildung machte, hat der Herr es mir so sehr aufs Herz gelegt, in der Berufsschule: „Andre, bald steht Weihnachten an. Frag den Lehrer, ob du in der Klasse eine Predigt halten kannst.“ Es waren alles Nichtchristen.
Damals war ich eher schüchtern in der Klasse. Ich habe dem Herrn gesagt: „Herr, du musst mir helfen, ich schaffe das nicht. Ich traue mich ja kaum, einen Fachvortrag vor der Klasse zu halten – jetzt eine Predigt.“
Ich kann euch sagen: Da hat der Herr mich so gepackt, ich wusste, ich kann nicht anders, ich muss jetzt predigen. Ich habe den Lehrer gefragt: „Kann ich ein paar Minuten auf der Weihnachtsfeier haben?“ „Ja, hast du.“
Ich habe das zur Ehre Gottes getan. Das Evangelium wurde gepredigt. Es war mucksmäuschenstill in der Klasse. Ich habe Handouts mitgebracht, auf denen das Evangelium noch einmal erklärt wurde.
Liebe Freunde, Schüler aus den Parallelklassen haben die Handouts mitgenommen, um sie nach Hause zu bringen. So legt uns der Herr manchmal sehr deutlich aufs Herz, was zu tun ist. Es gibt aber auch Beispiele, wo wir ungehorsam sind, wie ich gerade erzählt habe.
Ich möchte uns ermutigen, dass wir die Not erkennen und sagen: „Herr, hier bin ich, sende mich.“
Jona hat gesagt: „Herr, hier bin ich, ich gehe nicht.“ Mose hat gesagt: „Hier bin ich, schick Aaron.“ Jesaja sagt: „Hier bin ich, sende mich.“
Das Gebet möchte ich dir heute Abend mitgeben: „Herr, hier bin ich, sende mich. Zeig du mir die offenen Türen. Ich will erkennen, dass es fünf vor zwölf ist. Brich du mein Herz für die verlorenen Menschen.“ Amen.