Heute Nachmittag beschäftigen wir uns mit den fünfzehn Stufenliedern, das sind die Psalmen 120 bis 134. Sie bilden zusammen eine geschlossene Einheit. Fünfzehn Psalmen sind mit „Stufenlieder“ betitelt, oder man könnte sie auch als „Lieder der Hinaufzüge“ übersetzen. Im hebräischen Text steht immer der Ausdruck „schir ma'alot“.
Es handelt sich dabei um Gesänge, die während der drei großen Hinaufzüge nach Jerusalem gesungen wurden, nämlich zu den Festen Passa, Pfingsten und Laubhüttenfest. Nach 2. Mose 23,17 war jeder männliche Israelit verpflichtet, unbedingt zu diesen Festen in Jerusalem zu erscheinen. Für die Frauen war dies nicht verpflichtend, da sie oft mit kleinen Kindern beschäftigt waren und es dadurch umständlich war. Sie durften gehen, waren aber nicht verpflichtet.
Diese Gesänge wurden jeweils unter Flötenbegleitung gesungen, während der Reisen. Die Flötenbegleitung hat man aus Jesaja 30 hergeleitet, und das mit vollem Recht. In Jesaja 30 geht es im Zusammenhang um die Wiederkunft des Messias zum Gericht. Dort wird beschrieben, wie der Überrest Israels Freude haben wird, wenn der Messias kommt. Diese Freude wird mit der Freude verglichen, die man jeweils bei den Hinaufzügen zu den großen Festen hatte.
Ich lese Jesaja 30,29: „Gesang werdet ihr haben, wie in der Nacht, da das Fest geweiht wird, und Freude des Herzens gleich denen, die unter Flötenspiel hinziehen, um zu kommen auf den Berg des Herrn, zum Felsen Israels.“
Die Freude bei der Wiederkunft Christi, die hier ab Vers 27 beschrieben wird, wird also mit der Freude verglichen, die das Volk jeweils bei den Hinaufzügen nach Jerusalem hatte. Wenn sie gingen zum Berg des Herrn – das ist der Tempelberg in Jerusalem, der Berg Zion oder Moria – wird gesagt, nicht nur „zum Berg des Herrn“, sondern auch „zum Felsen Israels“.
Dies deshalb, weil der höchste Punkt des Tempelbergs dieser Fels ist, der sich heute in der Al-Aqsa-Moschee befindet. Darauf war das Allerheiligste gebaut, im ersten und im zweiten Tempel. Darum also die Reise zum Berg des Herrn, zum Felsen Israels. Hier wird gesagt: „Freude des Herzens gleich denen, die unter Flötenspiel hinziehen, um auf den Berg des Herrn zu kommen.“
Daher war es üblich, insbesondere zur Zeit des Herrn Jesus, zur Zeit der Evangelien, dass man diese Gesänge mit Flötenbegleitung unterstützte. Wie auf dem Blatt steht, hat der Herr Jesus von seiner Jugend an diese Lieder mitgesungen, wenn er zu diesen obligatorischen Festen nach Jerusalem hinaufreiste.
In Lukas 2 wird vom zwölfjährigen Jesus berichtet. Ich lese Lukas 2,41: „Und seine Eltern gingen alljährlich am Passafest nach Jerusalem. Und als er zwölf Jahre alt war und sie nach Jerusalem hinaufgingen, nach der Gewohnheit des Festes, und die Tage vollendet hatten, blieb, als sie zurückkehrten, der Knabe Jesus in Jerusalem zurück, und seine Eltern wussten es nicht.“
Zur Zeit der Evangelien wurde ein Jude mit dreizehn Jahren als volljährig betrachtet. Mit dreizehn Jahren machte man die Bar Mitzwa, das ist das Fest, bei dem ein Kind ein Sohn des Gebots wird. Bar Mitzwa heißt „Sohn des Gebots“ – ein großes Fest, bei dem das Kind gewissermaßen den Übergang zum Erwachsenenalter vollzieht. Noch heute, wenn in orthodoxen Familien das gefeiert wird, betet der Vater und dankt Gott, dass er nun von seiner Verpflichtung für seinen Sohn entbunden ist. Denn ab dreizehn erwartet man, dass ein Mensch aus freier Entscheidung die Gebote Gottes einhalten will.
Interessant ist das auch bei der Beurteilung unserer Teenager: Wann sind sie als verantwortlich vor Gott zu sehen? Man machte es so, dass man ab dreizehn, mit der Bar Mitzwa, verpflichtet war, an diesen Festen teilzunehmen. Es war aber üblich, schon etwas früher zu beginnen, etwa mit zwölf Jahren, um die Kinder auf diese neue Zeit einzugewöhnen.
Das ist interessant, weil wir eben in Lukas 2,41 den zwölfjährigen Jesus haben, der mit den Eltern zum Fest hinaufgeht. Verpflichtend waren zwei Tage, die zwei hochheiligen Tage der Passawoche. Danach durfte man nach Hause gehen. Aber wir sehen, der Knabe Jesus blieb in Jerusalem, weil er die ganze Passawoche fertig machen wollte – also nicht nur die obligatorischen Tage, sondern die ganze Woche. Die Eltern gingen nach Hause und kamen dann voll Sorge wieder zurück und fanden ihn im Tempel. Dort war ihr Zuhause.
Das macht deutlich: Wenn der Herr Jesus von Nazareth diese große Reise nach Jerusalem machte, hat er das Stufenliedersingen natürlich immer wieder mitgemacht. Das war üblich, alle Jahre dreimal. Wir sehen das auch sehr schön in Psalm 122, wie die Thematik um dieses Hinaufgehen kreist.
Psalm 122 ist ein Stufenlied oder ein Lied der Hinaufzüge von David. Ich lese: „Ich freute mich, als sie zu mir sagten: Lasst uns zum Haus des Herrn gehen! Unsere Füße werden in deinen Toren stehen, Jerusalem!“ Und so weiter.
Wir sehen, der Herr Jesus als Zwölfjähriger im Tempel hatte Eltern, die besorgt waren und sagten: „Was hast du uns angetan, dass du da geblieben bist? Wir waren so in Sorge.“ Dann sagte er: „Wusstet ihr nicht, dass ich in den Dingen sein muss, die meines Vaters sind?“ Er liebte das Haus Gottes. Das ist genau die Freude aus Psalm 122, Vers 1: „Ich freute mich, als sie zu mir sagten: Lasst uns zum Haus des Herrn gehen.“ Dort war er zu Hause.
Diese Stufenlieder sind nur zum Teil mit Angaben der Autoren versehen. Vier dieser Psalmen stammen ausdrücklich von David: 122, 124, 131, 133. Einer stammt von Salomo, das ist Psalm 127. Salomo hat über tausend Lieder gedichtet, das berühmteste ist das Schir ha-Schirim, das Lied der Lieder. Aber eben, er hat auch ein Shir ma'alot, ein Lied der Hinaufzüge, gedichtet, und das haben wir hier in der Bibel. Die anderen Lieder sind ohne Angabe eines Autors.
Es wird also deutlich: Die fünfzehn Stufenlieder sind zwar nicht von einem Autor verfasst, dennoch bilden sie eine Einheit, weil eigentlich ein einziger Verfasser dahintersteht – und das ist Gott selbst.
Die Gesamtthematik dieser Stufenlieder hat folgendes Ziel: Es geht letztlich um die glückliche Gemeinschaft des Volkes Gottes im Tempel zu Jerusalem mit dem Herrn und untereinander.
Nun ein paar technische Erklärungen zum Ausdruck „Stufenlieder“. Wie gesagt, es steht „Ma'alot“, das ist die Mehrzahl von „Ma'ala“ (Einzahl). Dieses Wort kann „Treppe“, „Hinaufzug“ oder in der Mehrzahl „Hinaufzüge“ bedeuten.
Der Ausdruck „Ma'ala“ in der Einzahl kommt in Esra 7,9 vor. Dort geht es um Esra, der in Babylon war und mit vielen anderen Juden nach Jerusalem, zum Berg Zion, zurückkehren wollte. In diesem Vers wird von diesem Hinaufzug von Babylon aus, dem heutigen Irak, nach Jerusalem gesprochen. Das wird mit dem Wort „Ma'ala“ bezeichnet.
So wird deutlich, dass wir „Schir Ma'alot“ nicht unbedingt mit „Treppenlied“ übersetzen sollten, sondern besser als „Lied der Hinaufzüge“ oder „Wallfahrtslied“. Wallfahrt hat für mich schlechte Assoziationen, deshalb bleibe ich lieber bei „Lied der Hinaufzüge“.
Diese Doppelbedeutung „Treppe“ ist interessant, weil im Tempel in Jerusalem zur Zeit der Evangelien, zur Zeit des Herrn Jesus, im Frauenvorhof – das war der größte der inneren Vorhöfe, gewissermaßen die Synagoge unter freiem Himmel, wo die großen Gottesdienste im Tempel stattfanden – ein Podium vorne mit fünfzehn halbkreisförmigen Treppen war.
Über diese fünfzehn Treppen kam man empor zum Israelvorhof und dann zum Priestervorhof, wo der Altar war, durch das gewaltige Nicanor-Tor. Auf diesen fünfzehn halbkreisförmigen Treppen befand sich an den Festen der Priesterchor und das professionelle levitische Tempelorchester. Dort sangen sie die Psalmen. Man hat das extra so gebaut, in Analogie zu den fünfzehn Treppen oder Stufenliedern in den Psalmen.
Eben, man kam ja hinauf nach Jerusalem, um dort diese Feste zu feiern, und die Reisemusik waren die Psalmen 120 bis 134.
Nun wollen wir uns fragen, bevor wir zu den Details gehen: Für wen sind eigentlich die Stufenlieder geschrieben?
Erstens: Sie sind geschrieben worden für die Periode des ersten und zweiten Tempels, also für die Zeit, als es in Jerusalem einen Tempel gab – das heißt circa 1000 v. Chr. Im 10. Jahrhundert baute Salomo den ersten Tempel. Bis zum Jahr 70 n. Chr. wurde der zweite Tempel von den Römern verwüstet, und seither hat das jüdische Volk keinen Tempel mehr.
In dieser Periode waren diese Stufenlieder sehr wichtig, denn es waren die Reiselieder zum Tempel.
Zweitens: Sie haben eine ganz besondere Bedeutung in der Zeit nach der babylonischen Gefangenschaft erhalten. Die babylonische Gefangenschaft dauerte von 605 bis 538 v. Chr. 538 v. Chr. wurde das babylonische Reich von den Persern und Medern erobert. Der damalige persische König Kyros, wie in Jesaja 1 beschrieben, gab den Juden die Erlaubnis, aus der Gefangenschaft zurückzukehren nach Zion.
Viele Tausende von Juden nahmen dies wahr und kehrten in mehreren Etappen aus Babylonien, dem heutigen Irak, nach Jerusalem zurück. Für diese Zeit erhielten die Psalmen eine besondere Bedeutung: der Hinaufzug aus der Gefangenschaft zurück nach Zion, nach Jahrzehnten der Entfremdung vom Tempel.
Doch heute erleben wir etwas noch Größeres: Die Rückkehr des jüdischen Volkes aus allen fünf Kontinenten ins Land der Väter und nach Zion. Für diese Rückkehr aus über 140 Ländern in unserer Zeit haben die Psalmen prophetisch erst recht Bedeutung.
Man rechnet die erste Aliyah, das hebräische Wort für Rückkehr nach Zion, ab 1882. Aliyah heißt wörtlich „Hinaufzug“. Es ist die gleiche Wurzel wie das Wort „Ma'ala“. Die erste Einwanderungswelle in der modernen Zeit fand 1882 statt, als Folge der massiven Judenverfolgung unter den letzten Zaren in Russland. Viele sagten: „Was können wir tun? Wir werden überall verfolgt, also kehren wir zurück nach Palästina.“
Es folgten weitere Aliyot, bis heute sind Millionen zurückgekehrt. Dieser Hinaufzug heute ist viel gewaltiger als der damalige nach der babylonischen Gefangenschaft.
Damit ist die Bedeutung der Stufenlieder aber nicht erschöpft. Sie haben auch eine wichtige Bedeutung für die Gemeinde Gottes, also für die Zeit der Gemeinde, der Kirche Gottes, ab Pfingsten 32 n. Chr., als in Apostelgeschichte 2 der Heilige Geist ausgegossen wurde und die Gemeinde entstand. Sie besteht bis zur Entrückung, wenn Jesus Christus wiederkommt.
Warum können wir sagen, die Stufenlieder sind für die Gemeinde geschrieben? Ganz einfach: In Römer 15,4 heißt es: „Denn alles, was zuvor geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch das Ausharren und die Ermunterung der Schriften Hoffnung haben.“
Dieser Vers zeigt die Bedeutung des Alten Testaments für Christen. Der Römerbrief richtet sich an die Gemeinde in Rom (Kapitel 1). Dort wird gesagt, alles, was zuvor geschrieben wurde, ist zu unserer Belehrung geschrieben worden.
Man kann also sagen, das Alte Testament ist unter anderem speziell für Christen geschrieben worden. Es soll uns Mut machen, auszuhalten, zu ausharren, und uns ermutigen, damit wir Hoffnung auf Gott haben. In diesem Sinn wollen wir auch die Stufenlieder anschauen: Was bedeuten sie für uns? Was haben sie uns zu sagen?
Es ist wichtig, die verschiedenen Ebenen der Bedeutung der Stufenlieder zu unterscheiden, damit wir nicht zu schnell einen Wurstsalat machen. Es ist wichtig, zu wissen, wo was hingehört.
Ein weiterer Punkt: In diesen fünfzehn Psalmen finden wir besondere Stichwörter, die gehäuft vorkommen und die wir besonders beachten sollten, weil sie uns helfen zu erkennen, worum es in diesen Psalmen eigentlich geht.
Zum Beispiel die Wörter „Segen“ oder „segnen“. Manchmal ist das Wort mit „preisen“ übersetzt, aber es ist dasselbe. Auf Hebräisch heißt es „werach“ (segnen) als Verb, oder „Beracha“ (Segen). Diese Wörter kommen zehnmal in den Stufenliedern vor.
Dann haben wir das Wort „Shalom“. Es wird manchmal mit Frieden, manchmal mit Wohlfahrt übersetzt, aber es ist immer dasselbe Wort. Ich habe auf dem Blatt genau angegeben, in welchem Psalm und Vers das Wort vorkommt.
Dazu kommt, dass fünfmal auch das Wort „Yerushalayim“ (Jerusalem) vorkommt. Wir merken, das Wort „Shalom“ steckt ja im Namen „Yerushalayim“ drin: „Jeru“ heißt Gründung, „Shalayim“ des Friedens. Dann haben wir die Wurzel „Shalam“, die mit Frieden zu tun hat.
Einmal wird der Name Salomo erwähnt, „Schelomo“, im Titel von Psalm 127. Das heißt „Mann des Friedens“ oder „der Friedliche“. Auf Deutsch ist Salomo „Fritz“, was vom Wort „Friede“ kommt. Also haben wir diese Wurzel dreizehnmal.
Das ist auffällig. Ich habe auf dem nächsten Punkt alle Stellen angegeben, wo Jerusalem, die Stadt des Friedens, in diesen Psalmen namentlich erwähnt wird.
Des Weiteren wird Zion siebenmal erwähnt. Zion ist der Name des Tempelbergs in Jerusalem. Oft hat Zion in der Bibel auch die Bedeutung der ganzen Stadt, weil die Stadt durch den Tempelberg charakterisiert ist und dadurch Bedeutung bekommt. Also alle Stellen, wo Zion vorkommt.
Auffällig sind die Gottesnamen. Es lohnt sich, beim Lesen speziell auf die Gottesnamen zu achten. In diesen Psalmen wird Gott 47-mal „Yahweh“ genannt, das ist der Herr mit Großbuchstaben, wörtlich der Ewige, der Unwandelbare. Der Name „Gott“, „Elohim“, kommt nur zweimal vor.
Das ist wichtig, denn man kann als Regel sagen: „Elohim“ ist der Name für Gott, der Schöpfer und Erhalter des Weltalls ist. Darum heißt es in der Schöpfungsgeschichte oft: „Und Gott sprach.“ Am Anfang schuf Gott, Elohim, Himmel und Erde.
Aber „Yahweh“ ist der Name, den Gott annimmt, wenn er in Beziehung zu Menschen tritt. Es ist auch der Name des Bundesgottes. Gott stellt sich Mose als „Yahweh“ vor, wenn er mit Israel einen Bund am Sinai schließen will.
„Yahweh“ ist der Name Gottes, der mit dem Menschen Gemeinschaft haben will. Darum wird in 1. Mose 2, wo die Erschaffung des Menschen beschrieben wird, Gott immer „Yahweh“ genannt. Allerdings kombiniert: „Der Herr Gott“, weil er auch der Schöpfer ist. In 1. Mose 2 ist es immer noch „Gott, Elohim“, aber weil er speziell in Beziehung zum Menschen tritt, eben „Yahweh“.
Das ist wahrscheinlich einigen bekannt: In der Bibelkritik und liberalen Theologie hat man daraus geschlossen, 1. Mose 1 sei von einem anderen Autor geschrieben worden als 1. Mose 2, und dass es nicht von Mose stamme. Das kam aber nur durch ein Unverständnis für die Bedeutung der Gottesnamen.
Hätte man das geistliche Verständnis für die Gottesnamen gehabt, hätte man gemerkt: Nein, Mose benutzt „Elohim“ in Kapitel 1, weil es um den Schöpfer und Erhalter geht, und in Kapitel 2 fügt er „Yahweh“ hinzu, weil es um die Beziehung zu Menschen geht.
Was bedeutet das? In den Stufenliedern ist es ganz wichtig: Es geht darum, dass Gott mit seinem Volk eine Beziehung haben möchte. Es geht um den Gott, der sich an all seine Versprechen erinnert, die er Israel gegeben hat und erfüllen will. Das steht im Vordergrund.
Dann sind Stichwörter wie „behüten“, „wachen“, „Wächter“ wichtig. Die Wurzel „Shamar“ kommt zwölfmal vor. Ich habe auch hier alle Stellen aufgeführt. Das Thema, dass Gott wacht und behütet, ist ganz wichtig.
Weiter ein Stichwort: Psalm 126, Vers 1, dort kommt das Stichwort „die Gefangenschaft wenden“ vor, oder besser übersetzt „das Schicksal wenden“. Es geht um das Schicksal Zions. Wenn der Herr das Schicksal Zions wendet, sind wir wie Träumende.
Der Ausdruck „das Schicksal wenden“ ist ein Fachausdruck in der Prophetie und weist immer auf die letzte Phase hin, wenn Gott Israel endgültig befreien wird, im Blick auf die Wiederkunft Christi in Macht und Herrlichkeit.
Ich habe alle Stellen aus dem Alten Testament aufgeführt, wo dieser Ausdruck vorkommt. Hier haben wir den Ausdruck „die Gefangenschaft oder das Schicksal Zions wenden“. In den Stufenliedern geht es also letztlich um die Befreiung des Tempelbergs, die endgültige Befreiung des Tempelbergs.
Das ist hochaktuell, denn womit beschäftigt sich heute die Weltpolitik? Es geht um den Tempelberg in Jerusalem. Die Palästinenser wollen absolut nicht nachgeben, und damit auch die ganze muslimische Welt von vielleicht eineinhalb Milliarden Menschen. Sie sind absolut nicht bereit, Zion den Juden zu lassen.
Die ganze Welt ist gezwungen, heute Stellung zu nehmen, und das jüdische Volk sagt: „Wir wollen Zion nicht gehen lassen.“ Die ganze Welt muss sich heute mit der Frage des Tempelbergs auseinandersetzen.
Darum ist unser Thema hochaktuell: Es geht um die Wende des Schicksals des Tempelbergs, Sion.
Wenn wir gesehen haben, dass Jerusalem eine so wichtige Rolle in diesen Psalmen spielt, müssen wir uns fragen: Warum? Und damit verbunden: Was ist die Bedeutung des Tempels in Jerusalem, dieses einen Tempels? Und was bedeutet es, wenn das ganze Volk Israel dort versammelt sein soll?
Israel hat kein Recht mehr, als einen Tempel zu haben. Das wird 21-mal im fünften Buch Mose betont: Ein Ort, den Gott ausersehen wird für die Opfer. Warum? Ein Tempel sollte als Zeugnis für den einen wahren Gott da sein.
Darum wird gesprochen über das „Haus Gottes“, nicht „die Gotteshäuser“. Psalm 122, Vers 1: „Ich freute mich, als sie zu mir sagten: Lasst uns zum Haus des Herrn gehen!“ Oder Vers 9: „Um des Hauses des Herrn, unseres Gottes willen, will ich dein Bestes suchen.“ Ein Haus als Zeugnis für den einen wahren Gott.
Weiter: In Jerusalem sollte ein geeintes Volk beieinander sein als Zeugnis für den einen wahren Gott. Das heißt, die Einheit des Volkes Gottes sollte auf den einen wahren Gott hinweisen.
Dazu Psalm 133, den kennen wahrscheinlich alle gut: „Siehe, wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!“
In Jerusalem sollte das ganze Volk versammelt sein, und diese Einheit des Volkes sollte ein Zeugnis für den einen Gott sein.
Wenn wir das neutestamentlich sehen, im Blick auf die Gemeinde: Der Herr Jesus hat in seinem Gebet in Johannes 17, als die Schatten des Kreuzes auf ihn fielen, so zum Vater gesprochen (Johannes 17,21): „Ich bitte, dass sie alle eins seien, gleich wie du, Vater, in mir und ich in dir, auf dass auch sie in uns eins seien, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.“
In Vers 22 heißt es: „Die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, damit sie eins seien, gleich wie wir eins sind – ich in ihnen und du in mir –, damit sie in eins vollendet seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie geliebt hast, gleich wie du mich geliebt hast.“
Also sehen wir: Die Einheit unter den Gläubigen soll ein Hinweis auf die Einheit in der Gottheit sein.
Schauen wir in Psalm 124, Vers 4, in Verbindung mit Psalm 122, Vers 4, beim Hinaufgehen nach Jerusalem, wohin die Stämme hinaufziehen, die Stämme des Herrn, ein Zeugnis für Israel, den Namen des Herrn zu preisen. Es sollte ein Zeugnis für das Volk Gottes sein, das mit dem einen Gott verbunden ist.
Noch etwas: Jerusalem sollte eine vereinigte Stadt sein, ein Zeugnis für den einen wahren Gott. Psalm 122, Vers 3: „Jerusalem, die du aufgebaut bist als eine fest in sich vereinigte Stadt.“
Vielleicht heißt es in der Übersetzung „in sich geschlossene Stadt“, aber besser ist „in sich vereinigte Stadt“. Der hebräische Ausdruck hat nichts mit „Schließen“ zu tun, sondern mit „Verbinden“ und „Vereinigen“.
Das ist sehr interessant für uns, denn Jerusalem ist seit dem Unabhängigkeitskrieg 1948/49 eine geteilte Stadt geworden. Die UNO wollte, dass Ostjerusalem mit dem Tempelberg internationalisiert wird und nicht dem jüdischen Volk gehören sollte. Nur Westjerusalem sollte Israel gehören.
Dann wurde der Staat Israel am 14. Mai ausgerufen. Unmittelbar danach kam es zu einer Invasion von etwa sieben Nationen mit voll ausgerüsteten offiziellen Armeen. Israel hatte damals kaum schwere Waffen, kaum eine voll organisierte Armee. Die Untergrundarmee wurde quasi zur offiziellen Armee.
In diesem Krieg eroberte Jordanien den Tempelberg und Ostjerusalem und annektierte sie, also nicht besetzte sie nur, sondern annektierte sie. Obwohl die UNO damals sagte, es solle internationalisiert werden, akzeptierten die Juden das, weil sie nahmen, was sie bekommen konnten.
Darauf wurde Jerusalem durch eine Mauer getrennt, wie Berlin. Es war verboten für Juden, auch nur besuchsweise an die Klagemauer zu gehen, um dort zu beten. Jerusalem war geteilt, bis zum Sechstagekrieg 1967.
Damals beschlossen die muslimischen Nationen, Israel endgültig zu vernichten. Das wurde im Hotel Palästina in Alexandria beschlossen. Präsident Nasser hatte die Führer der arabischen Welt eingeladen. Ich war einmal dort und habe eine Cola getrunken. Es war ein komisches Gefühl, vor diesem Hotel zu stehen und zu denken, dass dort beschlossen wurde, Israel auszulöschen.
Über die Massenmedien wurde verkündet, dass ein Blutbad entstehen würde. Israel war gezwungen, den Erstschlag zu führen, um zu überleben. Der Sechstagekrieg war ein Dreifrontenkrieg. In sechs Tagen wurden alle Feinde an allen Frontabschnitten geschlagen.
Der Tempelberg wurde erobert, die Mauer abgerissen, Jerusalem vereinigt.
Wenn man das so liest unter diesem Hintergrund Psalm 122, Vers 3: „Jerusalem, die du aufgebaut bist als eine fest in sich vereinigte Stadt“, dann hat das heute eine tiefe Bedeutung.
Doch die Weltpolitik beschäftigt sich heute damit, Jerusalem zu teilen: in einen israelischen und einen palästinensischen Teil, wobei der Tempelberg, das Herzstück, im palästinensischen Teil sein soll. Die Muslime sagen, da gibt es nichts zu diskutieren: Dieser Berg gehört uns, die Juden haben nichts zu suchen.
Unter diesem Hintergrund ist Jerusalem als vereinigte Stadt, als Zeugnis für den einen wahren Gott, etwas Hochaktuelles und Herzerfüllendes.
Wir sehen also: Ein Tempel als Zeugnis für den einen Gott, ein geeintes Volk als Zeugnis für den einen Gott und eine vereinigte Stadt als Zeugnis für den einen wahren Gott.
Nun können wir zur Pause kommen.
Die Stufenlieder sprechen viel über Israels Leiden. Im Psalm 133 wird in bildlicher Sprache über die Spaltung Israels gesprochen. Nach dem Tod Salomos ist Israel von Gott weggeführt worden und folgte ihm auf diesem Weg. Als Gericht Gottes wurde Israel in zehn Stämme im Norden und zwei Stämme im Süden zertrennt. Das war Gericht Gottes, bedeutete aber Leiden für Israel.
In diesen Psalmen wird auch über Israels Zerstreuung unter die Völker gesprochen. Bereits damals, bei der babylonischen Gefangenschaft, wurde das jüdische Volk in den Irak geführt, durfte aber nach einigen Jahrzehnten zurückkehren.
Die zehn Stämme im Norden wurden ab 721 v. Chr. nach Assyrien weggeführt und zerstreut. Noch schlimmer war das Jahr 70 n. Chr., keine 40 Jahre nach der Kreuzigung, als Jerusalem zerstört wurde und das jüdische Volk in alle fünf Kontinente zerstreut wurde – ein jahrhundertelanger Prozess.
Das Thema Zerstreuung des Volkes wird uns beschäftigen.
Dann finden wir in diesen Psalmen auch das Thema der Verfolgung Israels. Seit dem Jahr 70 sind 13 Millionen Juden umgekommen, also Verfolgung durch alle Jahrhunderte hindurch.
Dann Spott und Verachtung, wie in Psalm 123 – ein Thema, das das jüdische Volk in der Zerstreuung begleitete: ausgesprochener Judenhass, Verachtung des von Ghetto zu Ghetto wandernden heimatlosen Juden.
Besonders Psalm 130 beschäftigt sich mit der Sündenlast des Volkes Gottes und den damit verbundenen Leiden.
Jetzt gehen wir Psalm für Psalm durch.
Ich lese zunächst Psalm 120, den ich betitelt habe mit „Die jüdische Not in der russischen und arabischen Diaspora“. Diaspora ist der Fachausdruck für die jüdische Zerstreuung.
Psalm 120, ein Lied der Hinaufzüge:
„Zu dem Herrn rief ich in meiner Bedrängnis, und er erhörte mich. Der Herr, Herr, errette meine Seele von der Lippe der Lüge, von der Zunge des Truges! Was soll man dir geben und was dir hinzufügen, du Zunge des Truges? Scharfe Pfeile eines Gewaltigen samt glühenden Kohlen der Ginster. Wehe mir, dass ich weile in Mesech, dass ich wohne bei den Zelten Kedars! Lange hat meine Seele bei denen gewohnt, die den Frieden hassen. Ich will nur Frieden (Shalom auf Hebräisch), ich will nur Frieden, aber wenn ich rede, so sind sie für Krieg.“
Der Psalm beginnt mit Dank für die Rettung aus den Nöten. Die Stufenlieder beginnen also bereits mit dem Vorausblick, wie Gott Israel schließlich befreit. Hier: „Erhörte mich!“
Die Verse 2 bis 4 beschäftigen sich mit dem Problem der Lüge, wie Israel unter der Lüge seiner Feinde leidet. Die Verse 5 bis 7 behandeln das Problem des Friedenshasses und des Krieges, unter dem Israel leidet.
Die „Lügenzunge“ wird in Vers 4 mit scharfen Pfeilen verglichen, und zwar Pfeilen von glühenden Kohlen der Ginster. Die Ginster hat ein Holz, das überdurchschnittlich lange brennt, der Brennwert ist höher als der durchschnittliche Holz-Brennwert. So werden die Pfeile gewissermaßen als brennende Pfeile aus Ginsterkohlen beschrieben.
Im Vers 5 steht der Ausdruck „Mesech“: „Wehe mir, dass ich weile, wörtlich im Hebräischen, dass ich als Fremdling weile in Mesech.“ Hier ist die Zerstreuung Israels gemeint.
Was ist Mesech? Das kommt schon in 1. Mose 10,2 vor. Mesech war einer der Söhne Jafets. Die Jafetiten sind hauptsächlich nach Europa ausgewandert nach der Sintflut.
Mesech ist historisch bekannt als die Moschowiter. In der Antike war dieser Stamm bekannt als Bewohner zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer. Die Moschowiter sind einer der Stämme, die das spätere Russland gebildet haben. Auch die Tobeliter, das ist Tubal, sind bekannt aus 1. Mose 10, das sind Völker, die zu den Vorfahren der Russen gehören.
Sehr wahrscheinlich geht der Städtename Moskau (M-S-K) auf diesen Stammesnamen Mesech zurück, ursprünglich in Hebräisch ausgesprochen als Meschek, Moskau, Meschek.
Übrigens wird in Hesekiel 38 der Angriff aus dem äußersten Norden als Mesech und Tubal bezeichnet. Das sind wieder diese Stämme, die an der Wurzel des russischen Volkes liegen. Von dort wird in der Endzeit ein massiver Angriff auf Israel kommen.
Wir sehen also, dass in diesem Vers „Wehe mir, dass ich weile in Mesech“ speziell die Zerstreuung im russischen Gebiet im Visier ist.
Dabei müssen wir uns vor Augen halten, dass ein besonders großer Teil der Juden ins russische Gebiet zerstreut wurde, beziehungsweise in das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, das unter russischer Herrschaft stand. Ich habe auch erklärt, dass die erste Einwanderung, die erste Aliyah 1882, aus Russland kam.
Damals sagten viele: „Wehe mir, dass ich in Mesech weile“, wo sie dauernd Hass und Lüge über sich ergehen lassen mussten. Es wurde gelogen, dass es eine zionistische Verschwörung gebe und dass man deshalb die Juden hassen müsse.
Heute kommt der größte Teil der Einwanderung nach Israel aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Dieses Mesech hat also viel zu sagen.
Dann haben wir weiter „Kedar“: „Wehe mir, dass ich weile in Mesech, dass ich wohne bei den Zelten Kedars.“ Kedar ist ein arabischer Stamm, der von Ismael abstammt (1. Mose 25,13). Kedar steht speziell für die arabischen Völker.
Interessant ist, dass der Islam aus den arabischen Stämmen in Saudi-Arabien kommt. Muhammad betrachtete sich als Nachkomme Ismaels. Darum ist Ismael im Islam wichtig, im Gegensatz zu Isaak.
Gott hat das Land Israel Isaak zugesprochen und nicht Ismael, und damit auch den Tempelberg. Ismael möchte aber gerne den Tempelberg besitzen und gibt ihn nicht an Isaak zurück.
Interessant ist, dass im Jahr 70 n. Chr., als der Judenstaat durch die Römer zerstört wurde, Fluchtwellen von Juden nach Saudi-Arabien stattfanden. Sie siedelten sich unter arabischen Stämmen an, unter anderem in Medina, dem früheren Yathrib.
Medina war die Stadt, die für die Entstehung des Islam besonders wichtig war. Die Stadt war stark jüdisch geprägt, mit drei israelitischen jüdischen Stämmen und nur zwei arabischen.
Diese Juden wollten sich dem Islam nicht unterwerfen. Deshalb wurden die Stämme nach und nach vertrieben, und der letzte wurde brutal liquidiert: Männer abgeschlachtet, Frauen und Kinder versklavt.
So haben wir diese Not: „Wehe mir, dass ich weile bei den Zelten Kedars.“
Nicht nur im ismailitischen Gebiet selbst waren Juden zerstreut, sondern der Islam hat sich im gesamten Nahen Osten und Nordafrika schnell verbreitet und den Islam den Völkern aufgezwungen, die ihn nicht freiwillig annahmen. Damit wurde auch die arabische Sprache überall eingeführt.
Wenn man heute von Arabern spricht, heißt das nicht, dass sie alle miteinander verwandt sind, sondern dass sie alle arabisch sprechen. Sie sind bislang alle durch Ismael dominiert.
In der ganzen islamischen Welt, die durch Ismael gekennzeichnet ist und hier symbolisch durch Kedar vertreten wird, gab es eine große jüdische Gemeinschaft, die viel zu leiden hatte.
Die ersten Erfahrungen Mohammeds mit den Juden und die brutale Vernichtung der Juden in Medina haben die islamische Haltung gegenüber Juden stark geprägt.
Wenn man das so liest, hat der Vers viel zu sagen: Mesech und Kedar.
Dann sagt der Psalmist: „Lange hat meine Seele bei denen gewohnt, die den Frieden hassen.“ Der Islam ist gekennzeichnet durch Liebe zum Krieg. Es ist eine kriegerische Religion.
In der islamischen Lehre wird die Welt eingeteilt in Dar al-Islam, das Gebiet, das der Islam erobert hat, wörtlich „Haus des Islam“, und Dar al-Harb, das heißt „Haus des Schwertes“, also der Rest der Welt, der noch durch das Schwert erobert werden soll.
Als Beweis für die Richtigkeit der Religion wird der militärische Erfolg des Islam in der Vergangenheit gezeigt.
Der jüdische Psalmist sagt: „Lange hat meine Seele bei denen gewohnt, die den Frieden (Shalom) hassen. Ich will nur Frieden, aber wenn ich rede, sind sie für Krieg.“
Wir gehen weiter zum nächsten Psalm.
Psalm 121, ein Lied der Hinaufzüge:
„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, woher meine Hilfe kommen wird. Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Er wird nicht zulassen, dass dein Fuß wankt. Dein Hüter schlummert nicht. Siehe, der Hüter Israels schläft nicht und schlummert nicht. Der Herr ist dein Hüter, der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand. Die Sonne wird dich des Tages nicht stechen, noch der Mond des Nachts. Der Herr wird dich behüten vor allem Übel, er wird behüten deine Seele. Der Herr wird behüten deinen Ausgang und deinen Eingang von nun an bis in Ewigkeit.“
Wir sehen schnell, dass es sich lohnt, auf bestimmte Stichworte zu achten. Wenn man an einen Bibeltext oder Psalm herangeht, ist es wichtig, sich zu fragen, welche Wörter sich oft wiederholen. Diese Schlüsselwörter helfen, die Gesamtaussage besser zu erfassen.
In Psalm 121 ist das Thema: Israel wird von Gott behütet. Das ist ganz wichtig.
Ich habe unter Punkt zwei geschrieben: „Behüten“, „Wachen“, „Wächter“ stammen alle von der Wurzel „Shamar“ auf Hebräisch. Sie kommt sechsmal in diesem Psalm vor. Zweimal kommt das Wort „Hilfe“ vor.
Was bedeutet das? Ein Volk, das durch die Jahrhunderte hindurch Hass, Verfolgung und Leid erlitten hat, konnte und kann sich auf Psalm 121 stützen. Es gibt jemanden, der das Volk behütet.
Der Herr Jesus sagte in Matthäus 24: „Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis all dies geschehen ist.“ Matthäus 24,34.
Das meint hier nicht diese Generation. Herr Lindsay hat berechnet, dass eine Generation 40 Jahre dauert. Israel wurde 1948 gegründet, also 40 Jahre später wäre die Zeit der Wiederkunft Christi. Es ist nichts geschehen.
Das hat viele Christen enttäuscht, besonders im Studium biblischer Prophetie. Viele haben sich davon abgewandt.
Solche Berechnungen darf man nicht machen. Man soll das Wort „Generation“ nicht nur mit „Generation“ übersetzen. Das griechische Wort kann auch „Geschlecht“ im Sinne eines Volksstammes bedeuten.
Dieser Volksstamm, das Volk Israel, wird nicht vergehen, obwohl man es immer wieder versucht hat.
Man hat schon in Ägypten vor 3500 Jahren versucht, das Volk auszurotten, indem alle männlichen Knaben ermordet wurden.
Durch die ganze Geschichte hindurch, denkt man an Haman, der alle Juden von Äthiopien bis Indien vernichten wollte, und an alle Vernichtungen bis ins 20. Jahrhundert.
Aber es ist nie gelungen, denn Gott behütet Israel.
Wenn wir den jüdischen Bezug sehen, müssen wir auch an uns denken. Derselbe Gott will uns behüten und durch das Leben führen.
Interessant ist, dass dieser Psalm mit dem Blick zu den Bergen beginnt. Es kann als Frage oder Aussage übersetzt werden: „Ich erhebe meine Augen auf zu den Bergen, woher wird mir Hilfe kommen?“ oder „woher mir Hilfe kommen wird.“
Als Aussage ist das sehr bedeutsam, denn bestimmte Berge spielen in der Geschichte Israels eine große Rolle.
Wenn man nach Jerusalem hinaufgeht, auf welche Berge schaut man? Auf den Berg Zion, den Tempelberg, nach Osten auf den Ölberg und nach Nordwesten auf Golgatha, den Nachbarhügel.
Alle diese Hügel haben große Bedeutung in der Geschichte Israels.
Auf Golgatha hat der Herr Jesus durch das Kreuz Frieden mit Gott gemacht. Das ist die Grundlage für einen zukünftigen Frieden für Israel. Und die Grundlage für unsere Errettung.
Der Ölberg ist der Berg, auf dem der Herr Jesus in Apostelgeschichte 1 zum Himmel auffuhr. Dort gab er den Auftrag für die Weltmission, sein Vier-Punkte-Programm: Sie werden meine Zeugen sein in Jerusalem, in Judäa, in Samaria und bis ans Ende der Erde.
Der Ölberg ist der Berg der Weltmission.
Nach Sacharja 14,3 wird der Herr Jesus in der Zukunft als Richter der Welt dort zurückkehren.
Ich lese Sacharja 14,3: „Und der Herr wird ausziehen und gegen jene Nationen streiten, wie an dem Tag, da er streitet, an dem Tag der Schlacht. Seine Füße werden an jenem Tag auf dem Ölberg stehen, der vor Jerusalem gegen Osten liegt.“
Der Messias wird in der Zukunft als Richter der Welt kommen, um Israel aus den letzten Nöten zu befreien.
Dann geht der Herr Jesus vom Ölberg zum Tempelberg Zion.
Jesaja 31,4: „Der Herr sprach zu mir: Wie der Löwe und der junge Löwe, die gegen die Herde streiten, knurrt und sich nicht vor ihrer Stimme erschreckt, so wird der Herr der Heerscharen herniedersteigen, um auf dem Berg Zion, auf seinem Hügel, zu streiten. Er wird Jerusalem beschirmen, schonen und befreien.“
Wir sehen: Wer auf Zion kämpft, wird die endgültige Befreiung Zions bewirken.
Dieser Blick zu den Bergen hat also viel Bedeutung.
Gott wird bezeichnet als der, der Himmel und Erde gemacht hat (Psalm 121,2). Dieser Ausdruck kommt noch zweimal in den Stufenliedern vor und bezeichnet Gott als mächtigen Herrn, der den Kosmos in seiner Hand hat und darum auch Israel und uns bewahren kann.
Dann gehen wir zu Psalm 122, dem Thema Frieden für Jerusalem und den Tempel, ein Lied der Hinaufzüge von David:
„Ich freute mich, als sie zu mir sagten: Lasst uns zum Haus des Herrn gehen! Unsere Füße werden in deinen Toren stehen, Jerusalem, die du aufgebaut bist als eine fest in sich verbundene oder vereinigte Stadt, wohin die Stämme hinaufziehen, die Stämme des Herrn, ein Zeugnis für Israel, den Namen des Herrn zu preisen. Denn dort stehen die Throne zum Gericht, die Throne des Hauses Davids. Bittet um den Frieden (Shalom) Jerusalems, es gehe wohl denen, die dich lieben! Wohlfahrt (Shalom) sei in deinen Festungswerken, sichere Ruhe in deinen Palästen! Um meiner Brüder und meiner Genossen willen will ich sagen: Wohlfahrt (Shalom) sei in dir! Und des Hauses des Herrn, um des Hauses des Herrn, unseres Gottes willen, will ich dein Bestes suchen!“
Wir merken sofort, dass das wichtige Stichwort „Shalom“ (Frieden, Wohlfahrt) in den Versen 6, 7 und 8 vorkommt. Die Stadt Jerusalem wird dreimal erwähnt (Verse 2, 3, 6).
Darum habe ich als Titel gegeben: Frieden für Jerusalem. Es geht im ersten und letzten Vers ausgesprochen um das Haus Gottes, also den Tempel, Frieden für Jerusalem und den Tempel.
Vers 3 haben wir schon betrachtet: „Jerusalem, die du aufgebaut bist als eine fest in sich vereinigte Stadt.“ Ich habe schon erklärt, dass Jerusalem im Unabhängigkeitskrieg 1948 getrennt wurde, durch eine Mauer wie Berlin, aber 1967 im Sechstagekrieg wieder vereinigt wurde.
Das war dramatisch. Nicht einmal in den ersten Kriegsstunden vernichtete die israelische Luftwaffe die ägyptische und syrische Luftwaffe weitgehend am Boden, teilweise sogar im Irak.
Sie flogen im Tiefflug über die Flugplätze, wo die feindlichen Flugzeuge stationiert waren, und schossen sie ab, noch bevor die Piloten starten konnten.
Es gibt einen Film, der das zeigt. Der Westen wusste nichts davon, er dachte, das Ende Israels sei gekommen.
Nasser telefonierte von Ägypten nach Jordanien: „König Hussein, du musst in den Krieg eintreten, wir haben große Erfolge.“ Das war eine Lüge.
Hussein wurde von Israel gewarnt, dass ein Eingreifen schwere Konsequenzen haben würde. Er glaubte der Lüge und begann, von Ostjerusalem mit schweren Waffen auf die andere Seite der Mauer zu schießen.
Ein Fallschirmjägertrupp erhielt den Befehl, die Altstadt und das Tempelwerk einzunehmen.
Am dritten Tag, einem Mittwoch, drangen sie durch das Stephans-Tor in die Altstadt ein und eroberten das Tempelwerk samt der ganzen Altstadt.
Am Schabbat, am Samstag, war Ruhe.
Unvorstellbar, was das jüdische Volk empfand, als es nach 2000 Jahren zurückkehrte nach Zion.
Darum wurde 1980, als die Mauer längst abgerissen und Jerusalem vereinigt war, in der Knesset das Jerusalemer Gesetz beschlossen. Das bedeutete die Annektierung Ostjerusalems.
Es ist kein besetztes Gebiet, sondern gehört zu 100 % zu Israel, wird nie mehr zurückgegeben, und Jerusalem wurde als ewig unteilbare Stadt erklärt.
Das war 1980, jetzt sind wir im Jahr 2000.
Die ganze Welt sagt, die Stadt muss geteilt werden.
Was würden die Deutschen sagen, wenn man sagt, Berlin muss geteilt werden?
Das zeigt die Dramatik.
Der ganze Psalm geht darauf hinaus: Ich will beten und das Beste für Jerusalem suchen, damit Jerusalem echte Wohlfahrt und echten Frieden genießen kann.
Wir gehen weiter zu Psalm 123, eine weitere Stufe im Frauenvorhof.
Ein Lied der Hinaufzüge:
„Ich hebe meine Augen auf zu dir, der du thronst in den Himmeln. Siehe, wie die Augen der Knechte auf die Hand ihres Herrn schauen, wie die Augen der Magd auf die Hand ihrer Herrin. So sind unsere Augen auf den Herrn, unseren Gott, gerichtet, bis er uns gnädig ist. Sei uns gnädig, Herr, sei uns gnädig, denn reichlich sind wir mit Verachtung gesättigt, reichlich ist unsere Seele gesättigt von dem Spott der Sorglosen, mit der Verachtung der Hochfertigen.“
Dieser Psalm schließt gewissermaßen an Psalm 121 an: „Ich hebe meine Augen zu den Bergen“ und jetzt „Ich hebe meine Augen auf zu dir, der du thronst in den Himmeln.“
Hier haben wir verschiedene Schlüsselwörter. Ein Schlüsselwort ist „Augen“, das viermal vorkommt: „Meine Augen zu dir“, „wie die Augen der Knechte“, „wie die Augen der Magd“, also „unsere Augen“.
Dann haben wir das Schlüsselwort „gnädig“, das dreimal in den Versen 2 und 3 vorkommt: „Bis er uns gnädig ist“, „Sei uns gnädig“, „Sei uns gnädig“.
Das Wörtchen „bis“ kommt zwar nur einmal vor, ist aber im ganzen Psalm ein Schlüssel, um ihn zu verstehen. All das Schauen auf Gott geht letztlich darauf hin: „Bis“ der Herr gnädig wird.
Das Wort „bis“ weist auf eine bestimmte Zeit hin, in der Gott Israel endlich Ruhe geben wird.
Wann ist diese Zeit?
Schon die Jünger haben den Auferstandenen gefragt: „Stellst du in dieser Zeit Israel das Reich wieder her?“ (Apostelgeschichte 1,7)
Der Herr sagte: „Es ist nicht eure Sache, Zeiten und Zeitpunkte zu wissen, die der Vater in seine eigene Gewalt gesetzt hat.“ Er sagte nicht, wann „das Bis“ ist.
Sie wollten es wissen.
Höchst bemerkenswert ist, dass das „Bis“ in anderen wichtigen prophetischen Schriftabschnitten vorkommt.
Matthäus 23,37, wo der Herr Jesus kurz vor seiner Verwerfung und Kreuzigung über Jerusalem klagt:
„Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten und steinigst die, die zu dir gesandt sind. Wie oft wollte ich deine Kinder versammeln, wie eine Henne ihre Kücken unter ihre Flügel, und ihr wolltet nicht. Siehe, euer Haus, das ist das Tempelhaus, wird euch wüst gelassen. Denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht mehr sehen, bis ihr sprecht: Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“
Er sagt voraus, dass Jerusalem, der Tempel, verwüstet wird und sie ihn nicht mehr sehen werden, bis der Moment kommt, wo sie ihn willkommen heißen mit Psalm 118: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn.“
Dasselbe „bis“ finden wir in Lukas 13,35 (Parallelstelle):
„Sie werden fallen durch die Schärfe des Schwertes und gefangen weggeführt werden unter alle Nationen, und Jerusalem wird zertreten werden von den Nationen, bis die Zeiten der Nationen erfüllt sind. Dann werden sie den Sohn des Menschen kommen sehen in einer Wolke mit Macht und großer Herrlichkeit.“
Hier haben wir wieder das „Bis“ – die Zerstreuung der Juden unter die Völker bis zu der Zeit, wenn er die Herrschaft antritt.
Ich habe auf dem Blatt noch weitere Stellen angegeben, die man für sich selbst lesen kann, wo das „Bis“ in der Prophetie eine große Rolle spielt.
Nun zum Bild aus Psalm 123, Vers 2: Das Blicken auf die Hand des Herrn muss man aus der Kultur heraus erklären.
Früher war es so, und es gibt das manchmal noch in sehr guten Restaurants: Wenn Knechte oder Mägde nichts zu tun hatten, standen sie bereit und schauten auf die Hand ihres Herrn oder ihrer Herrin, bis sie ein Handzeichen gaben. Dann wurde sofort gearbeitet.
Man war also nicht mit irgendetwas beschäftigt, sondern wartete darauf, zu wissen, wann man etwas zu tun hat.
Das ist das Bild: „Siehe, wie die Augen der Knechte auf die Hand ihres Herrn schauen.“
So schauen wir auf dich, Herr, bis du uns gnädig bist, bis du quasi das Handzeichen gibst für die Zeit der Gnade, in der uns endgültig Befreiung zuteil wird.
In den letzten Versen wird noch darüber gesprochen, wie das jüdische Volk sich bei Gott der Not ausschüttet, über die Verachtung und den Spott, mit denen sie gesättigt worden sind.
Man denke nur an die Zeit des Dritten Reiches – das war nur ein Ausschnitt der Schimpfnamen, mit denen Juden betitelt wurden.
Sie bringen das alles vor Gott und warten, bis er gnädig eingreift.
Psalm 123 ist das Warten auf die Zeit, bis Gott gnädig wird.
Jesus und die Tradition der Stufenlieder
In Lukas 2 wird von dem zwölfjährigen Jesus berichtet. Ich lese Lukas 2,41: „Und seine Eltern gingen alljährlich am Passafest nach Jerusalem. Als er zwölf Jahre alt war und sie nach Jerusalem hinaufgingen, nach der Gewohnheit des Festes, und die Tage vollendet hatten, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem zurück, als sie zurückkehrten. Seine Eltern wussten es nicht.“
Zur Zeit der Evangelien wurde ein Jude mit dreizehn Jahren als volljährig betrachtet. Mit dreizehn Jahren feierte man die Bar Mitzwa. Das ist das Fest, bei dem ein Kind zum „Sohn des Gebots“ wird. Bar Mitzwa bedeutet „Sohn des Gebots“. Es ist ein großes Fest, bei dem das Kind gewissermaßen den Übergang zum Erwachsenenalter vollzieht.
Noch heute, wenn in orthodoxen Familien die Bar Mitzwa gefeiert wird, betet der Vater und dankt Gott, dass er nun von seiner Verpflichtung für seinen Sohn entbunden ist. Denn ab dreizehn Jahren erwartet man, dass ein Mensch aus freier Entscheidung die Gebote Gottes einhalten will.
Interessant ist die Beurteilung unserer Teenager: Wann gelten sie als verantwortlich vor Gott? Man handhabte es so, dass man ab dreizehn Jahren, mit der Bar Mitzwa, verpflichtet war, an die Feste zu gehen. Es war jedoch üblich, schon etwas früher zu beginnen, etwa mit zwölf Jahren, um die Kinder auf diese neue Zeit vorzubereiten.
Das ist interessant, weil wir in Lukas 2,41 den zwölfjährigen Jesus sehen, der mit seinen Eltern zum Fest hinaufgeht. Verpflichtend waren zwei Tage, die zwei hochheiligen Tage der Passawoche. Danach durfte man nach Hause gehen. Doch der Knabe Jesus blieb in Jerusalem, weil er die ganze Passawoche mitfeiern wollte – also nicht nur die obligatorischen Tage, sondern die ganze Woche.
Die Eltern gingen nach Hause, kamen dann voller Sorge zurück und fanden ihn im Tempel. Dort war sein Zuhause. Das macht deutlich: Wenn der Herr Jesus von Nazareth diese große Reise nach Jerusalem unternahm, nahm er selbstverständlich auch an diesem Stufenliedersingen teil. Es war üblich, alle Jahre dreimal nach Jerusalem hinaufzugehen.
Wir sehen dies auch sehr schön im Psalm 122, wo die Thematik des Hinaufgehens zum Fest thematisiert wird.
Psalm 122 und die Freude am Tempel
Psalm 122 ist ein Stufenlied oder ein Lied der Hinaufzüge von David. Der Psalm beginnt mit den Worten: „Ich freute mich, als sie zu mir sagten: Lasst uns zum Haus des Herrn gehen!“ Unsere Füße werden in deinen Toren stehen, Jerusalem! Und so weiter.
Man kann darin auch den Herrn Jesus als Zwölfjährigen im Tempel sehen. Seine Eltern waren besorgt und fragten ihn: „Was hast du uns angetan, dass du da geblieben bist? Wir waren so in Sorge.“ Darauf antwortete er: „Wusstet ihr nicht, dass ich in den Dingen sein muss, die meines Vaters sind?“ Er liebte das Haus Gottes. Das entspricht genau der Freude, die in Psalm 122, Vers 1, ausgedrückt wird: „Ich freute mich, als sie zu mir sagten: Lasst uns zum Haus des Herrn gehen.“ Dort war er zu Hause.
Diese Stufenlieder sind nur zum Teil mit Angaben der Autoren versehen. Vier dieser Psalmen stammen ausdrücklich von David: Psalm 122, 124, 131 und 133. Ein weiterer stammt von Salomo, und das ist Psalm 127. Salomo hat über tausend Lieder gedichtet. Das bekannteste ist das Schir Haschirim, das Lied der Lieder. Aber auch er hat ein Shir Ma’alot, ein Lied der Hinaufzüge, verfasst. Dieses finden wir ebenfalls in der Bibel.
Die anderen Lieder sind ohne Angabe eines Autors. Es wird also deutlich, dass die fünfzehn Stufenlieder zwar nicht von einem einzigen Autor verfasst wurden. Dennoch bilden sie eine Einheit, weil eigentlich ein einziger Verfasser dahintersteht – und das ist Gott selbst.
Die Gesamtthematik dieser Stufenlieder hat folgendes Ziel: Es geht letztlich um die glückliche Gemeinschaft des Volkes Gottes im Tempel zu Jerusalem, mit dem Herrn und untereinander.
Technische Erläuterungen zum Begriff „Stufenlieder“
Jetzt einige technische Erklärungen zum Ausdruck Stufenlieder. Wie bereits erwähnt, steht dort Ma'alot, die Mehrzahl von Ma'ala, der Einzahl. Dieses Wort kann Treppe oder Hinaufzug bedeuten, und daneben auch die Mehrzahl Hinaufzüge.
Der Ausdruck Ma'ala in der Einzahl kommt im Buch Esra, Kapitel 7, Vers 9 vor. Dort geht es um Esra, der sich in Babylon aufhielt und mit vielen anderen Juden nach Jerusalem, zum Berg Zion, zurückkehren wollte. In diesem Vers wird von dem Hinaufzug von Babylon aus, dem heutigen Irak, nach Jerusalem gesprochen. Dieser Vorgang wird mit dem Wort Ma'ala bezeichnet.
So wird deutlich, dass der Ausdruck Schir Ma'allot nicht unbedingt mit „Treppenlied“ übersetzt werden soll. Besser ist die Übersetzung „Lied der Hinaufzüge“ oder „Wallfahrtslied“. Allerdings hat der Begriff Wallfahrt für mich negative Assoziationen, daher bleibe ich lieber bei „Lied der Hinaufzüge“.
Die Doppelbedeutung von Ma'ala als Treppe ist interessant. Im Tempel in Jerusalem gab es zur Zeit der Evangelien, also zur Zeit des Herrn Jesus, im Frauenvorhof – dem größten der inneren Vorhöfe, gewissermaßen die Synagoge unter freiem Himmel – die großen Gottesdienste. Dieser Frauenvorhof hatte vorne ein Podium mit fünfzehn halbkreisförmigen Treppen.
Über diese Treppen kam man hinauf zum Israelvorhof und dann zum Priestervorhof, wo sich der Altar befand, durch das gewaltige Nikanortor. Auf diesen fünfzehn halbkreisförmigen Treppen befand sich während der Feste der Priesterchor sowie das professionelle levitische Tempelorchester.
Dort wurden die Psalmen gesungen. Die Anlage wurde extra so gebaut, dass diese fünfzehn Treppen in Analogie zu den fünfzehn Stufenliedern in den Psalmen standen. Man kam ja hinauf nach Jerusalem, um dort die Feste zu feiern. Die Reisesmusik bestand aus den Psalmen 120 bis 134.
Die Zielgruppe und historische Bedeutung der Stufenlieder
Jetzt wollen wir uns zunächst die Frage stellen, für wen die Stufenlieder eigentlich geschrieben sind, bevor wir zu den Details gehen.
Erstens wurden sie für die Periode des ersten und zweiten Tempels verfasst. Das heißt für die Zeit, als es in Jerusalem einen Tempel gab, also ungefähr um das Jahr 1000 vor Christus. Im zehnten Jahrhundert baute Salomo den ersten Tempel. Bis ins Jahr 70 nach Christus existierte dieser Tempel, doch dann verwüsteten die Römer den zweiten Tempel. Seitdem hat das jüdische Volk keinen Tempel mehr. In dieser Periode waren die Stufenlieder sehr wichtig, denn sie dienten als Reiselieder zum Tempel. Für diese Zeit wurden diese Psalmen geschrieben.
Aber nicht nur in dieser Zeit haben sie Bedeutung erlangt. Zweitens erhielten sie eine besondere Bedeutung in der Periode nach der babylonischen Gefangenschaft. Diese Gefangenschaft dauerte von 605 bis 538 vor Christus. Im Jahr 538 vor Christus wurde das babylonische Reich von den Persern und Medern erobert. Der damalige persische König Chores, wie es im Buch Esra 1 beschrieben wird, gab den Juden die Erlaubnis, aus der Gefangenschaft zurück nach Zion zu kehren.
Viele Tausende Juden nahmen diese Möglichkeit wahr. In mehreren Etappen kehrten sie aus Babylonien, Persien, nach Jerusalem zurück. Für diese Zeit erhielten die Psalmen eine ganz besondere Bedeutung: Sie begleiteten den Aufstieg aus der Gefangenschaft zurück nach Zion, nach Jahrzehnten der Entfremdung vom Tempel. In dieser Zeit bekamen die Stufenlieder eine neue Bedeutung.
Damals war die Rückkehr von einigen Tausend, einigen Zehntausend Juden aus Babylon und Persien zu verzeichnen. Doch was erleben wir heute?
Heute erleben wir die Rückkehr des jüdischen Volkes aus allen fünf Kontinenten ins Land der Väter und nach Zion. Für diese Rückkehr des jüdischen Volkes aus über 140 Ländern in unserer Zeit haben die Stufenlieder ebenfalls eine besondere Bedeutung.
Auf dem Blatt habe ich notiert, dass man ab 1882 die erste Aliyah rechnet. Aliyah ist das hebräische Wort für Rückkehr nach Zion. Wörtlich bedeutet Aliyah „Hinaufzug“. Interessanterweise ist es die gleiche Wurzel wie in dem Wort Ma'allah. Ma'allah heißt Treppe oder Hinaufzug, und Aliyah ist ein anderes Wort mit der gleichen Wurzel für den Hinaufzug nach Zion, nach Jerusalem.
Die erste Einwanderungswelle von Juden in der modernen Zeit fand 1882 statt. Sie war eine Folge der massiven Judenverfolgung unter den letzten Zaren in Russland. Die Menschen sagten sich: Was können wir tun? Wir werden überall in der ganzen Welt verfolgt, und das schon fast 2000 Jahre. Wir kehren zurück nach Palästina. Diese Bewegung führte zu einem Einwandererstrom aus dem Norden ins Land der Väter.
Dann folgten eine zweite Aliyah, eine dritte Aliyah und so weiter. Bis heute sind Millionen Juden zurückgekehrt.
Wir sehen also, dass dieser Hinaufzug in der modernen Zeit noch viel gewaltiger ist als der damalige Hinaufzug nach der babylonischen Gefangenschaft. So haben diese Psalmen prophetisch erst recht unsere Zeit im Visier, in der es darum geht, dass das jüdische Volk wieder nach Zion zurückkehrt.
Die Bedeutung der Stufenlieder für die Gemeinde Gottes
Aber damit ist die Bedeutung der Stufenlieder natürlich nicht erschöpft. Diese Psalmen haben ebenso eine wichtige Bedeutung für die Gemeinde Gottes, also für die Zeit der Gemeinde Gottes, der Kirche Gottes, ab Pfingsten 32 nach Christus. Damals, in Apostelgeschichte 2, bei der Ausgießung des Heiligen Geistes, ist die Gemeinde erst entstanden. Sie besteht hier auf Erden bis zur Entrückung, wenn Jesus Christus wiederkommt für die Gemeinde.
Warum können wir sagen, die Stufenlieder sind für die Gemeinde geschrieben? Ganz einfach, weil es in Römer 15,4 heißt: „Denn alles, was zuvor geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, auf dass wir durch das Ausharren und durch die Ermunterung der Schriften die Hoffnung haben.“
Das ist ein ganz wichtiger Vers, um zu zeigen, welche Bedeutung das Alte Testament für Christen hat. Denn der Römerbrief richtet sich hier an die Gemeinde, an die Kirche in Rom (Kapitel 1). Dort wird gesagt: Alles, was zuvor geschrieben worden ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben worden.
Man kann also sagen, das Alte Testament ist unter anderem speziell für die Christen geschrieben worden. Es soll uns Mut machen, auszuhalten und durchzuhalten. Es soll uns ermutigen, damit wir wirklich Hoffnung auf Gott haben.
In diesem Sinn wollen wir auch die Stufenlieder anschauen: Was bedeuten sie für uns? Was haben sie uns zu sagen?
Es ist wichtig, dass wir die verschiedenen Ebenen der Bedeutung der Stufenlieder unterscheiden. Dadurch vermeiden wir Verwirrung und können klar erkennen, wo was hingehört. Es ist ganz wichtig, dass wir unterscheiden, um zu wissen, wo was hinpasst.
Schlüsselwörter in den Stufenliedern
Ein weiterer Punkt: In diesen fünfzehn Psalmen finden wir besondere Stichwörter, die gehäuft vorkommen. Diese gilt es besonders zu beachten, da sie uns helfen zu erkennen, was wirklich wichtig ist und worum es in diesen Psalmen geht.
Zum Beispiel sind das die Wörter „Segen“ oder „segnen“. Manchmal wird das Wort auch mit „preisen“ übersetzt, doch es ist dasselbe. Auf Hebräisch heißt es „werch segnen“ als Verb oder „preisen“, und „Beracha“ ist der Segen. Diese Wörter kommen zehnmal in den Stufenliedern vor.
Dann haben wir das Wort „Shalom“, das manchmal mit Frieden, manchmal mit Wohlfahrt übersetzt wird. Es ist aber immer dasselbe Wort. Ich habe auf dem Blatt genau angegeben, in welchem Psalm und Vers das Wort vorkommt.
Dazu kommt, dass fünfmal auch das Wort „Yerushalayim“ vorkommt. Wir merken, dass das Wort „Shalom“ in diesem Namen steckt. „Jeru“ heißt Gründung, „Shalayim“ des Friedens. Außerdem haben wir die Wurzel „Shalam“, die mit Frieden zu tun hat.
Einmal wird auch der Name Salomo erwähnt, „Schelomo“, nämlich im Titel von Psalm 127. Das bedeutet „Mann des Friedens“ oder „der Friedliche“. Auf Deutsch ist das „Fritz“ – Fritz kommt ja von Friede, also ist das der Friedliche. Salomo entspricht also auf Deutsch Fritz.
So haben wir dieses Stichwort oder diese Wurzel dreizehnmal. Das ist wirklich auffällig. Auf dem nächsten Punkt habe ich alle Stellen angegeben, wo Jerusalem, die Stadt des Friedens, in diesen Psalmen namentlich erwähnt wird.
Des Weiteren wird Zion siebenmal genannt. Zion ist der Name des Tempelberges in Jerusalem. Oft hat Zion in der Bibel auch die Bedeutung der ganzen Stadt, weil die ganze Stadt durch den Tempelberg charakterisiert wird und dadurch ihre Bedeutung erhält. Ich habe also alle Stellen aufgelistet, wo Zion vorkommt.
Auffällig sind auch die Gottesnamen. Es lohnt sich, beim Lesen besonders auf die Gottesnamen zu achten. In diesen Psalmen wird Gott siebenundvierzigmal „Yahweh“ genannt – das ist der Herr mit Großbuchstaben, wörtlich der Ewige, der Unwandelbare.
Der Name „Gott“, „Elohim“, kommt dagegen nur zweimal vor. Das ist wichtig, weil man als Regel sagen kann: „Elohim“ ist der Name für Gott als Schöpfer und Erhalter des Weltalls. Darum heißt es in der Schöpfungsgeschichte immer: „Und Gott sprach...“ Am Anfang schuf Gott, Elohim, die Himmel und die Erde.
„Yahweh“ ist der Name, den Gott annimmt, wenn er in Beziehung zu Menschen tritt. Es ist auch der Name des Bundesgottes. Gott stellt sich ganz speziell Mose gegenüber als „Yahweh“ vor, wenn es darum geht, mit Israel einen Bund am Sinai zu schließen.
„Yahweh“ ist also der Name des Gottes, der Gemeinschaft mit den Menschen haben will. Übrigens wird in 1. Mose 2, wo die Erschaffung des Menschen beschrieben wird, Gott dort immer „Yahweh“ genannt. Allerdings kombiniert, also „der Herr Gott“, weil er ja auch der Schöpfer ist.
In 1. Mose 2 ist es immer noch „Gott“, „Elohim“, aber weil er so speziell in Beziehung zum Menschen tritt, eben „Yahweh“. Es ist wahrscheinlich einigen bekannt, dass in der Bibelkritik und liberalen Theologie daraus geschlossen wurde, 1. Mose 1 sei von einem anderen Autor geschrieben als 1. Mose 2 und stamme gar nicht von Mose.
Das kam aber nur durch ein Unverständnis für die Bedeutung der Gottesnamen zustande. Hätte man das geistliche Verständnis für die Gottesnamen gehabt, hätte man erkannt: Nein, Mose hat in Kapitel 1 den Ausdruck „Elohim“ benutzt, weil es um den Schöpfer und Erhalter geht. In Kapitel 2 hat er dann den Namen „Yahweh“ hinzugefügt, weil es dort speziell um den Menschen und Gottes Beziehung zu ihm geht.
Was bedeutet das? In den Stufenliedern ist es ganz wichtig: Hier geht es darum, dass Gott mit seinem Volk eine Beziehung haben möchte. Es geht um den Gott, der sich an all seine Versprechen gegenüber Israel erinnert und sie erfüllen will. Das steht im Vordergrund.
Dann sind Stichwörter wie „behüten“, „wachen“ und „Wächter“ wichtig. Die Wurzel „Shamar“ kommt zwölfmal vor. Auch hier habe ich alle Stellen aufgelistet. Das Thema, dass Gott wacht und behütet, ist also ganz zentral.
Ein weiteres Stichwort findet sich in Psalm 126, Vers 1: „Die Gefangenschaft wenden“ oder noch besser übersetzt „das Schicksal wenden“. Dort geht es um das Schicksal Zions: „Als der Herr das Schicksal Zions wendete, waren wir wie Träumende.“
Der Ausdruck „das Schicksal wenden“, das Schicksal Israels oder Judas wenden, ist ein Fachausdruck in der Prophetie und weist immer auf die letzte Phase hin, wenn Gott Israel endgültig befreien wird – im Blick auf die Wiederkunft Christi in Macht und Herrlichkeit.
Ich habe alle Stellen aus dem Alten Testament aufgeführt, in denen dieser Ausdruck vorkommt. Hier haben wir also den Ausdruck „die Gefangenschaft“ oder „das Schicksal Zions wenden“.
In den Stufenliedern geht es letztlich um die Befreiung des Tempelberges, die endgültige Befreiung des Tempelberges. Das ist natürlich hochaktuell.
Denn womit beschäftigt sich heute die Weltpolitik? Es geht um den Tempelberg in Jerusalem. Die Palästinenser wollen absolut nicht nachgeben, und damit auch die ganze muslimische Welt von vielleicht eineinhalb Milliarden Menschen. Sie sind absolut nicht bereit, Zion den Juden zu überlassen.
Die ganze Welt ist heute gezwungen, Stellung zu beziehen. Das jüdische Volk sagt: Wir wollen Zion nicht aufgeben. Die ganze Welt muss sich also heute mit der Frage des Tempelberges auseinandersetzen.
Darum ist unser Thema hochaktuell: Es geht um die Wende des Schicksals des Tempelberges – Zion.
Die Bedeutung Jerusalems und des Tempels
Nun, wenn wir gesehen haben, dass Jerusalem in diesen Psalmen eine so wichtige Rolle spielt, müssen wir uns fragen, warum das so ist. Damit verbunden stellt sich die Frage: Was ist die Bedeutung des Tempels in Jerusalem, dieses einen Tempels? Und was bedeutet es, wenn das ganze Volk Israel dort versammelt sein soll?
Israel hat kein Recht, mehr als einen Tempel zu haben. Das wird im fünften Buch Mose 21 Mal betont: Ein Ort, den Gott ausersehen hat für die Opfer. Warum? Ein Tempel sollte als Zeugnis für den einen wahren Gott dienen. Deshalb wird vom Haus Gottes gesprochen, nicht von Gotteshäusern. Zum Beispiel in Psalm 122, Vers 1: „Ich freute mich, als sie zu mir sagten: Lasst uns zum Haus des Herrn gehen.“ Oder in Vers 9: „Um des Hauses des Herrn, unseres Gottes, willen will ich dein Bestes suchen.“ Ein Haus als Zeugnis für den einen wahren Gott – es wird immer vom Haus gesprochen, vom Tempelhaus.
Weiterhin sollte in Jerusalem ein geeintes Volk beieinander sein als Zeugnis für den einen wahren Gott. Das heißt, die Einheit des Volkes Gottes soll auf den einen wahren Gott hinweisen. Dazu Psalm 133, den wahrscheinlich alle gut kennen: „Siehe, wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen.“ In Jerusalem sollte also das ganze Volk versammelt sein, und diese Einheit des Volkes sollte ein Zeugnis für den einen Gott sein.
Wenn wir das neutestamentlich betrachten, im Blick auf die Gemeinde, sehen wir, dass der Herr Jesus in seinem Gebet in Johannes 17, als die Schatten des Kreuzes auf ihn gefallen waren, so zum Vater sprach: Johannes 17,21: „Er bittet für sie, für die Gläubigen, auf dass sie alle eins seien, gleich wie du, Vater, in mir und ich in dir, auf dass auch sie in uns eins seien, auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.“ Und Vers 22: „Die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, auf dass sie eins seien, gleich wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, auf dass sie in Eins vollendet seien und auf dass die Welt erkenne, dass du mich gesandt und sie geliebt hast, gleich wie du mich geliebt hast.“
Wir sehen also, dass die Einheit unter den Gläubigen ein Hinweis auf die Einheit in der Gottheit sein soll.
Im Psalm 124, Vers 4 wird ebenfalls in Verbindung mit Psalm 122, Vers 4 gesprochen, wo es um das Hinaufziehen der Stämme nach Jerusalem geht – „die Stämme des Herrn“ – als Zeugnis für Israel, um den Namen des Herrn zu preisen. So sollte es ein Zeugnis für das Volk Gottes sein, das mit dem einen Gott verbunden ist.
Noch etwas: Jerusalem sollte eine vereinigte Stadt sein, ein Zeugnis für den einen wahren Gott. Psalm 122, Vers 3: „Jerusalem, die du aufgebaut bist als eine fest in sich vereinigte Stadt.“ Vielleicht heißt das in der Übersetzung auch „in sich geschlossene Stadt“, aber besser ist „in sich vereinigte Stadt“. Der hebräische Ausdruck hat nichts mit dem Schließen zu tun, sondern mit dem Verbinden, Vereinigen.
Das ist für uns sehr interessant, denn Jerusalem ist seit dem Unabhängigkeitskrieg 1948/49 eine geteilte Stadt geworden. Die UNO wollte, dass Ostjerusalem mit dem Tempelberg internationalisiert wird und nicht dem jüdischen Volk gehören soll. Nur Westjerusalem sollte Israel gehören. Am 14. Mai wurde der Staat Israel ausgerufen, und unmittelbar darauf kam es zu einer Invasion von etwa sieben Nationen mit voll ausgerüsteten offiziellen Armeen. Israel hatte damals kaum schwere Waffen und keine voll organisierte Armee. Die Untergrundarmee von vorher wurde nun zur offiziellen Armee.
In diesem Krieg hat Jordanien den Tempelberg in Ostjerusalem an sich gerissen und annektiert – nicht besetzt, sondern annektiert. Obwohl die UNO damals sagte, der Tempelberg solle internationalisiert werden, haben die Juden das damals akzeptiert, weil sie nahmen, was sie bekommen konnten. Daraufhin wurde Jerusalem durch eine Mauer getrennt, ähnlich wie Berlin.
In der weiteren Zeit war es Juden absolut verboten, auch nur besuchsweise an die Klagemauer zu gehen, um dort zu beten. Jerusalem war eine geteilte Stadt.
Erst im Sechstagekrieg 1967, als die muslimischen Nationen beschlossen hatten, Israel endgültig zu vernichten, änderte sich die Lage. Das wurde im Hotel Palästina in Alexandria beschlossen. Damals hatte Präsident Nasser die Führer der arabischen Welt zu diesem Anlass eingeladen. Ich war einmal dort und habe dort einen Cola getrunken. Es war ein komisches Gefühl, nicht wegen der Cola, sondern weil ich vor diesem Hotel stand und daran dachte, dass hier beschlossen wurde: „Jetzt schaffen wir Israel endgültig aus der Welt!“
Man verkündete über die Massenmedien, dass ein Blutbad sondergleichen entstehen werde. Israel war gezwungen, den Erstschlag zu machen, um überleben zu können. Das war der Sechstagekrieg, ein Dreifrontenkrieg, in dem in sechs Tagen alle Feinde an allen Frontabschnitten geschlagen wurden. Der Tempelberg wurde erobert, die Mauer abgerissen und Jerusalem wurde vereinigt.
Wenn man Psalm 122, Vers 3 liest: „Jerusalem, die du aufgebaut bist als eine fest in sich vereinigte Stadt“, hat das heute eine sehr tiefe Bedeutung.
Die Weltpolitik beschäftigt sich nun damit, Jerusalem wieder zu teilen – in einen israelischen und einen palästinensischen Teil. Der Tempelberg, das Herzstück, soll im palästinensischen Teil liegen. Die Muslime sagen, dass es da überhaupt nichts zu diskutieren gibt, dieser Berg gehöre ihnen und die Juden hätten dort nichts zu suchen.
Unter diesem Hintergrund ist Jerusalem als vereinigte Stadt, als Zeugnis für den einen wahren Gott, etwas ganz Aktuelles und Herzbewegendes.
Wir sehen also: Ein Tempel als Zeugnis für den einen Gott, ein geeintes Volk als Zeugnis für den einen Gott und eine vereinigte Stadt als Zeugnis für den einen wahren Gott.
Israels Leiden und Zerstreuung in den Stufenliedern
Ja, jetzt können wir zur Pause kommen. Die Stufenlieder sprechen sehr viel über Israels Leiden.
Einmal wird, wie wir noch sehen werden, im Psalm 133 allerdings in bildlicher Sprache über die Spaltung Israels gesprochen. Nach dem Tod Salomos, der am Ende seines Lebens von Gott abgefallen war, folgte Israel ihm auf diesem Weg. Als Gericht Gottes wurde Israel zertrennt in zehn Stämme im Norden und zwei Stämme im Süden. Das war ein Gericht Gottes, bedeutete aber großes Leiden für Israel.
In diesen Psalmen wird auch von Israels Zerstreuung unter die Völker gesprochen. Bereits damals, während der babylonischen Gefangenschaft, wurde das jüdische Volk nach Mesopotamien weggeführt. Nach einigen Jahrzehnten durften sie jedoch zurückkehren. Die zehn Stämme im Norden hingegen wurden bereits ab 721 v. Chr. nach Assyrien weggeführt und zerstreut.
Noch schlimmer war das Ereignis im Jahr 70 n. Chr., also keine vierzig Jahre nach der Kreuzigung. Damals wurde Jerusalem zerstört und das jüdische Volk in alle fünf Kontinente zerstreut – ein Prozess, der sich über Jahrhunderte hinzog. Das Thema der Zerstreuung des Volkes wird uns also beschäftigen.
Außerdem finden wir in diesen Psalmen auch das Thema der Verfolgung Israels. Wenn wir daran denken, dass seit dem Jahr 70 bis heute etwa dreizehn Millionen Juden umgekommen sind, wird deutlich, wie sehr das jüdische Volk durch alle Jahrhunderte hindurch verfolgt wurde.
Auch Spott und Verachtung, wie in Psalm 123 beschrieben, waren ein ständiges Thema. Diese Verachtung begleitete das jüdische Volk in der Zerstreuung und in den Verfolgungen – den ausgesprochenen Judenhass und das Leben als heimatlose Juden, die von Ghetto zu Ghetto wanderten.
Besonders Psalm 130 beschäftigt sich mit der Sündenlast des Volkes Gottes und den Leiden, die damit verbunden sind.
Psalm 120 – Die jüdische Not in der russischen und arabischen Diaspora
Jetzt gehen wir Psalm für Psalm durch. Ich lese zunächst Psalm 120, den ich betitelt habe mit „Die jüdische Not in der russischen und arabischen Diaspora“. Diaspora ist der Fachausdruck in der Geschichte für die jüdische Zerstreuung.
Psalm 120 ist ein Lied der Hinaufzüge. Dort heißt es: „Zu dem Herrn rief ich in meiner Bedrängnis, und er erhörte mich. Der Herr, Herr, errette meine Seele von der Lippe der Lüge, von der Zunge des Truges! Was soll man dir geben und was dir hinzufügen, du Zunge des Truges? Scharfe Pfeile eines Gewalten samt glühenden Kohlen der Ginster.“
Wehe mir, dass ich weile in Mesech, dass ich wohne bei den Zelten Kedars! Lange hat meine Seele bei denen gewohnt, die den Frieden hassen. Ich will nur Frieden – Shalom auf Hebräisch – ich will nur Frieden, aber wenn ich rede, so sind sie für Krieg.
Der Psalm beginnt mit Dank für die Rettung aus den Nöten. Die Stufenglieder zeigen bereits den Vorausblick, wie Gott schließlich Israel befreit: „Hier erhörte mich.“
Dann beschäftigen sich die Verse 2 bis 4 mit dem Problem der Lüge, unter der Israel durch seine Feinde leidet. Die Verse 5 bis 7 behandeln das Problem des Friedenshasses und des Krieges, unter dem Israel ebenfalls leidet.
Diese „Lügenzunge“ wird in Vers 4 mit scharfen Pfeilen verglichen, und zwar Pfeilen aus glühenden Kohlen der Ginster. Die Ginster hat ein Holz, das überdurchschnittlich lange brennt und einen höheren Brennwert hat als durchschnittliches Holz. So wird das Holz dieser scharfen Pfeile gewissermaßen als brennende Pfeile aus Ginsterkohlen beschrieben.
Im Vers 5 begegnet uns der Ausdruck Mesech: „Wehe mir, dass ich weile, wörtlich im Hebräischen ‚als Fremdling weile‘, in Mesech.“ Hier haben wir die Zerstreuung Israels vor Augen. Was ist Mesech?
Mesech kommt bereits in 1. Mose 10, Vers 2 vor. Mesech war einer der Söhne Jafets. Die Jafetiten sind hauptsächlich nach Europa ausgewandert, nach der Sintflut. Mesech ist aus der Geschichte als die Moschowiter bekannt. In der Antike wohnte dieser Stamm zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer. Die Moschowiter gehören zu den Stämmen, die später Russland bildeten. Auch die Tobeliter, genannt Tubal, sind aus 1. Mose bekannt und zählen zu den Vorfahren der Russen.
Sehr wahrscheinlich geht der Städtename Moskau, M-S-K, auf diesen Stammesnamen Mesech zurück. Ursprünglich wurde er im Hebräischen als Meschek ausgesprochen – Meschek, Moskau, Meschek.
Übrigens wird im Buch Hesekiel 38 der Angriff in der Endzeit aus dem äußersten Norden als Angriff von Mesech und Tubal bezeichnet. Das sind also wieder diese Stämme, die an der Wurzel des russischen Volkes liegen. Von dort wird in der Endzeit ein massiver Angriff auf Israel kommen.
Nebenbei bemerkt haben wir hier die Aussage: „Wehe mir, dass ich weile in Mesech.“ Damit ist speziell die Zerstreuung im russischen Volk gemeint.
Wir müssen uns vor Augen halten, dass ein besonders großer Teil der Juden in das russische Gebiet zerstreut wurde beziehungsweise in das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, das unter russischer Herrschaft stand. Ich habe auch erklärt, dass die erste Einwanderung, die erste Aliyah, 1882 aus Russland kam.
Diese Juden konnten damals sagen: „Wehe mir, dass ich weile in Mesech“, wo sie dauernd Hass und Lüge über sich ergehen lassen mussten. Die Lüge behauptete zum Beispiel, es gebe eine zionistische Verschwörung, und deshalb müsse man die Juden hassen. So wurde ständig gegen das jüdische Volk gelogen.
Wenn man heute bedenkt: Der größte Teil der Einwanderung nach Israel kommt aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Also hat Mesech es in sich.
Dann haben wir aber noch Kedar: „Wehe mir, dass ich weile in Mesech, dass ich wohne bei den Zelten Kedars.“ Kedar ist ein arabischer Stamm, der von Ismael abstammt, wie in 1. Mose 25, Vers 13 beschrieben. Kedar steht speziell für die arabischen Völker.
Dabei ist es interessant, dass der Islam aus den arabischen Stämmen in Saudi-Arabien stammt. Muhammad selbst betrachtete sich als Nachkomme von Ismael. Darum ist Ismael im Islam so wichtig, im Gegensatz zu Isaak.
Es handelt sich hier eigentlich um einen Erbstreit: Gott hat das Land Israel Isaak zugesprochen und nicht Ismael. Damit auch den Tempelberg. Ismael möchte den Tempelberg jedoch besitzen und gibt ihn um keinen Preis an Isaak zurück.
Interessant ist, dass im Jahr 70 nach Christus, als der Judenstaat durch die Römer zerschlagen wurde, Fluchtwellen von Juden nach Saudi-Arabien gingen. Sie siedelten sich dort unter den arabischen Stämmen an, zum Beispiel in Medina, das früher Yathrib hieß.
Medina war die Stadt, die bei der Entstehung des Islam besonders wichtig wurde. In Medina gab es drei israelitische jüdische Stämme und nur zwei arabische. Die Stadt war also stark jüdisch geprägt.
Diese Juden wollten sich dem Islam nicht unterwerfen, weshalb diese Stämme nach und nach vertrieben wurden. Der letzte wurde brutal liquidiert: Männer wurden abgeschlachtet, Frauen und Kinder versklavt – ganz schlimm.
So sehen wir die Not: „Wehe mir, dass ich wohne bei den Zelten Kedars.“
Aber nicht nur im ismaelitischen Gebiet selbst waren Juden in Zerstreuung. Der Islam breitete sich im gesamten Nahen Osten und Nordafrika sehr schnell aus und zwang den Völkern den Islam auf, auch wenn sie ihn nicht freiwillig annahmen. So wurde überall die arabische Sprache eingeführt.
Wenn man heute von Arabern spricht, heißt das nicht, dass sie alle miteinander verwandt sind, sondern dass sie alle Arabisch sprechen. Diese Völker wurden bislang alle durch Ismael dominiert.
In der gesamten islamischen Welt, die durch Ismael gekennzeichnet ist und hier symbolisch durch Kedar vertreten wird, gab es eine große jüdische Gemeinschaft, die durch die Geschichte hindurch viel vom Islam zu leiden hatte.
Die ersten Erfahrungen Mohammeds mit den Juden, besonders die brutale Judenvernichtung in Medina, prägten die spätere islamische Haltung gegenüber den Juden massiv.
Wenn man das vor diesem Hintergrund liest, sagt dieser Vers schon viel: Mesech und Kedar.
Der Psalmist sagt: „Lange hat meine Seele bei denen gewohnt, die den Frieden hassen.“ Der Islam ist gekennzeichnet durch Liebe zum Krieg. Es ist eine kriegerische Religion.
Darum wird in der islamischen Lehre die Welt eingeteilt in Dar al-Islam, das ist das Gebiet, das der Islam erobert hat – wörtlich „Haus des Islam“. Der Rest der Welt heißt Dar al-Harb, „Haus des Schwertes“.
Der ganze Rest der Welt ist also noch durch das Schwert zu erobern. Als Beweis für die Richtigkeit der Religion wird der militärische Erfolg des Islam in der Vergangenheit hervorgehoben.
Und da sagt der jüdische Psalmist oder der israelitische Psalmist: „Lange hat meine Seele bei denen gewohnt, die den Frieden hassen. Ich will nur Frieden – Schalom –, aber wenn ich rede, so sind sie für Krieg.“
Psalm 121 – Gottes Schutz und Bewahrung
Wir kommen nun zum nächsten Psalm, Psalm 121, ein Lied der Hinaufzüge.
„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, woher wird meine Hilfe kommen? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Er wird nicht zulassen, dass dein Fuß wankt; dein Hüter schlummert nicht. Siehe, der Hüter Israels schlummert nicht und schläft nicht. Der Herr ist dein Hüter, der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand. Die Sonne wird dich des Tages nicht stechen, noch der Mond des Nachts. Der Herr wird dich behüten vor allem Übel, er wird behüten deine Seele. Der Herr wird behüten deinen Ausgang und deinen Eingang von nun an bis in Ewigkeit.“
Schon beim ersten Lesen dieses Psalms fällt auf, besonders wenn man ihn betont vorträgt, dass es sich lohnt, auf bestimmte Stichworte zu achten. Wenn man einen Bibeltext oder einen Psalm liest, ist es wichtig, sich zu fragen, welche Wörter besonders oft wiederholt werden. Diese Wörter können als Schlüsselwörter erkannt werden, um die Gesamtaussage eines Bibelabschnitts oder Psalms besser zu erfassen.
Wenn wir also Psalm 121 durchgehen, können wir auch lernen, wie man die Bibel auslegt und wie man an einen Bibeltext herangeht. Das kann auch eine Vorbereitung für eine Bibelarbeit, einen Hauskreis oder eine Predigt sein. Das soll als Nebeneffekt Anregungen geben.
Es geht darum, dass, wie das Stichwort zeigt, Israel von Gott behütet wird. Das ist ganz wichtig. Unter Punkt zwei habe ich notiert: Behüten, Wachen, Wächter – all das kommt von der hebräischen Wurzel „Shamar“. Dieses Wort kommt sechsmal in diesem Psalm vor. Zweimal wird das Wort „Hilfe“ erwähnt.
Was sagt uns das? Ein Volk, das über die Jahrhunderte hinweg gehasst wurde und in aller Welt Verfolgung und Leid erlitten hat, durfte und darf sich nach Psalm 121 auf jemanden verlassen, der es behütet. So hat der Herr Jesus in Matthäus 24 gesagt: „Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis all dies geschehen ist“ (Matthäus 24,34).
Hier ist nicht die gegenwärtige Generation gemeint. Herr Lindsay hat berechnet, dass eine Generation etwa vierzig Jahre dauert. Der Staat Israel wurde 1948 gegründet, also wären vierzig Jahre später die Zeit der Wiederkunft Christi gewesen – und es ist nichts geschehen. Das hat bei vielen Christen große Enttäuschung ausgelöst, besonders im Studium biblischer Prophetie. Viele evangelikale Christen haben sich deshalb enttäuscht abgewandt.
Doch solche Berechnungen darf man nicht machen. Man soll das Wort „Generation“ hier nicht im engeren Sinne verstehen. Das griechische Wort kann zwar „Generation“ bedeuten, aber auch „Geschlecht“ im Sinne von Volksstamm. Damit ist das Volk Israel gemeint. Der Feigenbaum von vorher wird nicht vergehen, bis alles geschehen ist.
Diese Aussage betont, dass Israel niemals vernichtet werden kann, obwohl es immer wieder versucht wurde. Schon vor dreieinhalbtausend Jahren in Ägypten versuchte man, das Volk auszurotten, indem alle kleinen Knaben ermordet wurden. Durch die gesamte Geschichte hindurch denken wir an Haman, der alle Juden von Äthiopien bis nach Indien vernichten wollte, und an alle Vernichtungen bis ins zwanzigste Jahrhundert. Doch es ist nie gelungen, denn Gott behütet Israel.
Wenn wir den jüdischen Bezug sehen, müssen wir auch an uns denken. Derselbe Gott behütet uns und will uns durchs Leben mit all seinen Klippen hindurchführen.
Interessant ist, dass dieser Psalm mit dem Blick zu den Bergen beginnt. Man kann es als Frage oder als Aussage übersetzen: „Ich erhebe meine Augen auf zu den Bergen, woher wird mir Hilfe kommen?“ oder „woher mir Hilfe kommen wird.“
Die Aussage als Feststellung ist sehr bedeutsam, denn bestimmte Berge spielen in der Geschichte Israels im Blick auf Rettung und Bewahrung eine große Rolle.
Wenn man nach Jerusalem hinaufgeht, auf welche Berge schaut man? Auf den Berg Zion, den Tempelberg, dann nach Osten auf den Ölberg und nach Nordwesten auf Golgatha, den Nachbarhügel.
Alle diese Hügel haben eine große Bedeutung in der Geschichte Israels. Auf Golgatha hat der Herr Jesus durch das Kreuz Frieden mit Gott gemacht. Das ist die Grundlage für einen zukünftigen Frieden für Israel und dafür, dass der Überrest Israels in der Zukunft von Gott aus allen Nöten herausgeführt wird. Es ist aber auch die Grundlage für unsere Errettung – das Kreuz von Golgatha.
Der Ölberg ist der Berg, von dem der Herr Jesus in Apostelgeschichte 1 zum Himmel aufgefahren ist. Dort hat er den Auftrag für die Weltmission gegeben: „Ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem, in Judäa, in Samaria und bis an das Ende der Erde.“ Das ist der Berg der Weltmission. Von dort aus wurde die Weltmission begründet, die Millionen Menschen auf allen fünf Kontinenten durch den Glauben allein zur Rettung geführt hat.
Nach Sacharja 14,3 wird der Herr Jesus in der Zukunft als Richter der Welt auf dem Ölberg zurückkehren: „Und der Herr wird ausziehen und gegen jene Nationen streiten, wie an dem Tag, da er streitet, an dem Tag der Schlacht, und seine Füße werden an jenem Tag auf dem Ölberg stehen, der vor Jerusalem gegen Osten liegt.“
Der Messias kommt also in der Zukunft als Richter der Welt, um Israel aus den letzten Nöten zu befreien.
Dann wird der Herr Jesus vom Ölberg zum Tempelberg Zion gehen. Jesaja 31,4 beschreibt das so: „Denn so hat der Herr zu mir gesprochen: Wie der Löwe und der junge Löwe, die gegen die Hirtenmenge zusammengerufen werden, über ihrem Raub knurren, vor ihrer Stimme nicht erschrecken und sich vor ihrem Lärm nicht ergeben, so wird der Herr der Heerscharen herniedersteigen, um auf dem Berg Zion, auf seinem Hügel, zu streiten. Gleich schwebenden Vögeln wird der Herr der Heerscharen Jerusalem beschirmen, beschirmen und erretten, schonen und befreien.“
Wer auf Zion kämpft, wird die endgültige Befreiung Zions bewirken.
Dieser Blick zu den Bergen hat also eine tiefere Bedeutung.
Gott wird als der bezeichnet, der Himmel und Erde gemacht hat (Psalm 121,2). Dieser Ausdruck kommt noch zweimal in den Stufenliedern vor und bezeichnet Gott als den mächtigen Herrn, der den ganzen Kosmos in seiner Hand hält und darum auch Israel und uns bewahren kann.
Psalm 122 – Frieden für Jerusalem und den Tempel
Dann kommen wir zu Psalm 122. Hier haben wir das Thema Frieden für Jerusalem und den Tempel, ein Lied der Hinaufzüge von David.
Ich freute mich, als sie zu mir sagten: „Lasst uns zum Haus des Herrn gehen!“ Unsere Füße werden in deinen Toren stehen, Jerusalem, die du aufgebaut bist als eine fest in sich verbundene oder vereinigte Stadt. Wohin die Stämme hinaufziehen, die Stämme des Herrn, ein Zeugnis für Israel, um den Namen des Herrn zu preisen.
Denn dort stehen die Throne zum Gericht, die Throne des Hauses Davids. Bittet um den Frieden, Shalom, Jerusalems! Es gehe wohl denen, die dich lieben. Wohlfahrt, Shalom, sei in deinen Festungswerken, sichere Ruhe in deinen Palästen! Um meiner Brüder und meiner Genossen willen will ich sagen: Wohlfahrt, also Schalom sei in dir und im Haus des Herrn! Um des Hauses des Herrn, unseres Gottes, willen will ich dein Bestes suchen.
Wir merken sofort, dass das wichtige Stichwort Schalom, Wohlfahrt, Frieden in den Versen sechs, sieben und acht steht. Und dann wird die Stadt Jerusalem dreimal erwähnt, in den Versen zwei, drei und sechs. Darum habe ich als Titel „Frieden für Jerusalem“ gewählt. Im ersten und letzten Vers geht es ausdrücklich um das Haus Gottes, also den Tempel – Frieden für Jerusalem und den Tempel.
Vers drei haben wir eigentlich schon betrachtet: Jerusalem, die du aufgebaut bist, also eine fest in sich vereinigte Stadt. Ich habe schon erklärt, dass Jerusalem im Unabhängigkeitskrieg 1948 getrennt wurde, getrennt durch eine Mauer wie Berlin. Aber 1967 wurde die Stadt im Sechstagekrieg zurückerobert. Das war ganz dramatisch.
Nicht einmal in den ersten Kriegsstunden hat die israelische Armee die Luftwaffen Ägyptens und Syriens weitgehend am Boden vernichtet, zum Teil sogar im Irak. Die israelischen Flugzeuge flogen im Tiefflug über die Flugplätze hinweg. Es gibt auch einen Film, der zeigt, wie sie über die Flugplätze fliegen, wo die feindlichen Flugzeuge schön stationiert sind, eines nach dem anderen. Ein Flugzeug nach dem anderen wird vom gleichen Flugzeug abgeschossen, und Rauch steigt auf.
In dem Moment, als sie das machten, waren die Piloten unterwegs zu den Flughäfen, um als Luftwaffe aufzusteigen. Ihre Flugzeuge waren also vorher bombardiert worden, bevor sie überhaupt starten konnten. Ganz dramatisch.
Aber das wusste man im Westen nicht. Dort dachte man, jetzt kommt das Ende Israels. Nasser telefonierte von Ägypten aus nach Jordanien: „König Hussein, du musst unbedingt in den Krieg eintreten, wir haben gewaltige Erfolge.“ Das war eine Lüge. Hussein wurde von Israel gewarnt: Wenn du eingreifst, wird das schwere Konsequenzen für dich haben. Er glaubte jedoch der Lüge.
Dann begann er von Ostjerusalem mit dem Tempelberg aus, mit schweren Waffen auf die andere Seite der Mauer zu schießen. Ein Fallschirmspringertrupp erhielt den Befehl, die Altstadt und das Tempelwerk einzunehmen. Das war am dritten Tag, am Mittwoch. In einer sagenhaften Aktion drangen sie von Norden her durch das Stephans-Tor in die Altstadt ein und eroberten das Tempelwerk samt der ganzen Altstadt.
Am Schabbat, am Samstag, war dann Ruhe. Unglaublich! Was man damals im jüdischen Volk empfand, als man nach Zion zurückkehrte, nach zweitausend Jahren, kann man sich gefühlsmäßig kaum vorstellen.
Darum wurde 1980, also lange nachdem die Mauer abgerissen und Jerusalem vereinigt war, in der Knesset das Jerusalemer Gesetz beschlossen. Das bedeutete die Annektierung Ostjerusalems. Es ist kein besetztes Gebiet, sondern gehört hundertprozentig zu Israel und wird nie mehr zurückgegeben. Man erklärte Jerusalem als ewig unteilbare Stadt.
Das war 1980. Jetzt sind wir im Jahr 2000. Die ganze Welt sagt, die Stadt müsse geteilt werden. Was würden die Deutschen sagen, wenn man sagte, Berlin müsse geteilt werden? Das zeigt die Dramatik, die hier zum Ausdruck kommt.
Der ganze Psalm zielt darauf ab: Ich will beten und das Beste für Jerusalem suchen, damit Jerusalem echte, wirkliche Wohlfahrt und Frieden genießen darf.
Psalm 123 – Das Hoffen auf Gottes Gnade in der Not
Wir gehen weiter zu Psalm 123 und steigen dabei im Frauenvorhof eine Stufe höher. Es handelt sich um ein Lied der Hinaufzüge.
Der Psalm beginnt mit den Worten: „Ich hebe meine Augen auf zu dir, der du thronst in den Himmeln. Siehe, wie die Augen der Knechte auf die Hand ihres Herrn gerichtet sind, wie die Augen der Magd auf die Hand ihrer Gebieterin.“ So sind auch unsere Augen auf den Herrn, unseren Gott, gerichtet, bis er uns gnädig ist.
„Sei uns gnädig, Herr, sei uns gnädig, denn reichlich sind wir mit Verachtung gesättigt, reichlich ist unsere Seele gesättigt vom Spott der Sorglosen, von der Verachtung der Hochfertigen.“
Dieser Psalm schließt gewissermaßen an Psalm 121 an. Dort heißt es: „Ich hebe meine Augen zu den Bergen.“ Hier hingegen hebt der Psalmist seine Augen zu Gott auf, der im Himmel thront.
In Psalm 123 finden sich verschiedene Schlüsselwörter. Ein wichtiges Wort ist „Augen“, das viermal vorkommt: „meine Augen zu dir“, „wie die Augen der Knechte“, „wie die Augen der Magd“ und „also sind unsere Augen“. Ein weiteres Schlüsselwort ist „gnädig“, das dreimal in den Versen zwei und drei erscheint: „bis er uns gnädig ist“, „sei uns gnädig, sei uns gnädig“.
Das Wort „bis“ kommt zwar nur einmal vor, ist aber entscheidend für das Verständnis des Psalms. All das Schauen auf Gott zielt darauf ab, „bis der Herr gnädig ist“. Das Wort „bis“ weist auf eine bestimmte Zeit hin, in der Gott Israel endlich Ruhe geben wird.
Doch wann ist diese Zeit? Schon die Jünger fragten den Auferstandenen: „Stellst du in dieser Zeit dem Israel das Reich, das Königreich, wieder her?“ (Apostelgeschichte 1,7). Der Herr antwortete ihnen: „Es ist nicht eure Sache, Zeiten und Zeitpunkte zu wissen, die der Vater in seiner eigenen Gewalt gesetzt hat.“ Er gab ihnen also nicht preis, wann dieses „bis“ eintritt.
Bemerkenswert ist, wie dieses „bis“ in anderen wichtigen prophetischen Schriftstellen auftaucht. So in Matthäus 23, Vers 39, wo Jesus kurz vor seiner Verwerfung und Kreuzigung über Jerusalem klagt:
„Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind. Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Kücken unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt. Siehe, euer Haus, das ist das Tempelhaus, wird euch wüst gelassen. Denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht mehr sehen, bis ihr sprecht: ‚Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!‘“
Jesus sagt voraus, dass Jerusalem und der Tempel verwüstet werden. Danach werdet ihr ihn nicht mehr sehen, bis der Moment kommt, in dem er wieder erscheint und willkommen geheißen wird – mit den Worten aus Psalm 118: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn.“
Dieses „von nun an werdet ihr mich nicht mehr sehen, bis ihr sprecht“ markiert die Zeit, wenn Jesus für Israel kommt und dann willkommen sein wird.
Ein ähnliches „bis“ findet sich in Lukas 13,35, einer Parallelstelle. Dort heißt es in Vers 4: „Und sie werden fallen“, es geht um das Jahr 70, die Zerstörung Jerusalems. „Sie werden fallen durch die Schärfe des Schwertes und gefangen weggeführt werden unter alle Nationen, und Jerusalem wird zertreten werden von den Nationen, bis die Zeiten der Nationen erfüllt sein werden.“
In Vers 27 heißt es weiter: „Und dann werden sie den Sohn des Menschen kommen sehen, in einer Wolke mit Macht und großer Herrlichkeit.“ Hier sehen wir erneut das „bis“ – die Zerstreuung der Juden unter den Völkern dauert an, bis die Zeit kommt, wo Jesus seine Herrschaft antreten wird.
Auf dem Blatt habe ich weitere Stellen angegeben, die man selbst lesen kann, in denen dieses „bis“ in der Prophetie eine große Rolle spielt.
Nun zum Bild aus Psalm 123, Vers 2: Das Schauen auf die Hand des Herrn muss man aus der damaligen Kultur heraus verstehen. Früher war es so – und in manchen guten Restaurants gibt es das noch –, dass Knechte oder Mägde, wenn sie nichts zu tun hatten, bereitstanden und auf die Hand ihres Herrn oder ihrer Herrin schauten. Sobald ein Handzeichen kam, wurde sofort gearbeitet.
Man war also nicht mit irgendetwas beschäftigt, sondern immer darauf bedacht, zu wissen, wann man etwas zu tun hat. Dieses Bild finden wir im Psalm: „Siehe, wie die Augen der Knechte auf die Hand ihres Herrn gerichtet sind.“ Man schaut ständig darauf, bis man einen Wink bekommt.
So sagt der Psalmist: „So schauen wir auf dich, Herr, bis du uns gnädig bist.“ Bis du quasi das Handzeichen gibst für die Zeit der Gnade, in der uns endgültige Befreiung zuteilwird.
In den letzten Versen des Psalms klagt das jüdische Volk bei Gott über die Not, die Verachtung und den Spott, mit denen es gesättigt worden ist. Man denke nur an die Zeit des Dritten Reiches – doch das war nur ein Ausschnitt dessen, mit welchen Schimpfnamen Juden bedacht wurden.
Trotz allem bringen sie ihre Klage vor Gott und warten darauf, dass er gnädig sein wird.
Psalm 123 ist somit ein Psalm des Wartens auf die Zeit, bis Gott gnädig eingreift.
