Die Herausforderung der Nächstenliebe im christlichen Leben
Würdest du gerne jeden Menschen lieben? Wenn du Christ bist, dann sagst du hoffentlich: Ja, das will ich, weil das mein Herr Jesus von mir will. Jesus hat das an verschiedenen Stellen immer wieder betont. Er sagte, wir sollen andere Menschen lieben. Er forderte seine Jünger auf, sich untereinander lieb zu haben.
Erst letzten Sonntagabend haben wir darüber nachgedacht. In Johannes 13 gibt Jesus seinen Jüngern dieses neue Gebot. Es ist keine Empfehlung oder ein guter Ratschlag, sondern ein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe.
Jesus sprach auch über das wichtigste Gebot, als ihn jemand danach fragte. Er antwortete, das wichtigste Gebot sei: Liebe Gott und liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Das finden wir zum Beispiel in Markus. Jesus ging sogar noch weiter. Er predigte: Liebt eure Feinde, tut wohl denen, die euch hassen, segnet die, die euch verfluchen, bittet für die, die euch beleidigen.
Man kann wirklich nicht sagen, dass Jesus ein Geheimnis daraus gemacht hat, was er von uns will und wie wir mit anderen Menschen umgehen sollen. Aber ist das nicht eine riesengroße Überforderung? Was Jesus uns da sagt, ist doch schon in der Gemeinde unglaublich schwer umzusetzen.
Wir denken in dieser Hauskreis-Serie, die wir in den letzten Wochen haben, darüber nach, eine anziehende Gemeinschaft zu sein. Diese lebt davon, dass wir einander lieb haben. Ist es nicht hier schon richtig schwierig und herausfordernd?
Wie soll es denn gehen, wenn mich ein Glaubensbruder oder eine Glaubensschwester so richtig tief verletzt hat? Wenn er oder sie über das hinweggegangen ist, was mir wichtig ist, und sich noch nicht einmal dafür entschuldigt hat? Wie kann ich jemanden lieben, den ich eigentlich total seltsam finde, bei dem ich mich richtig schwer tue, weil seine Sicht auf die Welt mir sehr befremdlich ist? Wenn es mir schwerfällt, mit ihm ins Gespräch zu kommen, vielleicht weil er ein sehr schweigsamer Zeitgenosse ist? Wie soll es gehen, den wirklich lieb zu haben, wenn man schon ziemlich schnell am Ende eines Gesprächs ist?
Und wie liebt man jemanden, den man gar nicht wirklich kennt? Das ist ein großes Thema in so einer großen Gemeinde, in der wir sind. Heute Abend ist es noch ein bisschen überschaubar, aber wir sehen das am Sonntagmorgen, wenn wir zusammen sind – manchmal dreihundert Leute. Manche kenne ich ja gar nicht richtig. Wie soll ich die denn lieben?
Manche sagen, es ist am leichtesten, jemanden zu lieben, den man nicht kennt. Wenn ich ihn kennenlerne, wird es oft schwerer. Es gibt sicher kein einfaches Drei-Schritte-Programm, weil es in jeder Beziehung ein bisschen unterschiedlich aussieht, wie ich wirklich jemanden lieben kann.
Ich werde euch heute auch kein Drei-Schritte- und auch kein Zehn-Schritte-Programm geben. Aber ich möchte mit euch auf den Schlüssel schauen, auf ein Prinzip, auf das Geheimnis einer übernatürlichen Liebe. Jesus gibt uns nicht nur das Gebot zu lieben, sondern er sagt uns auch, wie das möglich ist.
Dazu finden wir einen ganz wichtigen Abschnitt im Lukasevangelium, Kapitel 7, Verse 36 bis 48. Diesen Abschnitt möchte ich heute mit euch anschauen.
Die Voraussetzung für echte Liebe: Jesus zuerst lieben
Und da sehen wir etwas, das uns vielleicht zunächst erstaunt: Wenn wir andere Menschen wirklich lieben wollen – auch die, die wir schwierig finden, auch die, zu denen wir von Natur aus keinen guten Draht haben – dann müssen wir zuerst Jesus lieben.
Und das werden wir nur tun, wenn wir wirklich davon bewegt sind. Nicht nur im Kopf, sondern tief im Herzen. Bewegt davon, was Jesus für uns getan hat und wie sehr er uns liebt.
Ich möchte mit uns diese Verse lesen: Lukas 7,36-48.
Es bat ihn, Jesus, aber einer der Pharisäer, bei ihm zu essen. Er ging hinein in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch. Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als sie vernahm, dass er zu Tisch saß im Haus des Pharisäers, brachte sie ein Glas mit Salböl und trat von hinten zu seinen Füßen. Sie weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen, um sie mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen. Dann küsste sie seine Füße und salbte sie mit Salböl.
Als aber das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt, denn sie ist eine Sünderin.
Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sprach: Meister, sag es.
Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er es beiden. Wer von ihnen wird ihn am meisten lieben?
Simon antwortete und sprach: Ich denke, der, dem er am meisten geschenkt hat.
Er aber sprach zu ihm: Du hast Recht geurteilt.
Und er wandte sich zu der Frau und sprach zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen, du hast mir kein Wasser vor meine Füße gegeben. Diese aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet. Du hast mir keinen Kuss gegeben. Diese aber hat seit ich hereingekommen bin nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt, sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt.
Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt. Wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.
Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben.
Und Vater, wir danken dir so sehr für dein Wort und dass wir es haben dürfen. Dass wir Jesus darin mehr erkennen dürfen, wer er ist und was er für uns getan hat.
Wir wollen beten, dass du uns da überführst, wo wir kalt geworden sind und lieblos. Und dass wir erkennen, wie sehr du uns zuerst geliebt hast, wie sehr Jesus uns liebt. Und aus dieser Liebe lernen, einander zu lieben. Amen.
Die Situation im Haus des Pharisäers Simon
Ich möchte kurz über die Situation nachdenken, die uns hier geschildert wird, dann über das Gleichnis, das Jesus erzählt, und schließlich über das, was es für uns bedeutet – besonders in unserem Miteinander in der Gemeinde.
Was war die Situation? Jesus war bei einem Pharisäer namens Simon zu Gast. Simon war sicher ein Mann, der ernsthaft danach strebte, ein gottgefälliges Leben zu führen. Er kannte die Bibel gut, bemühte sich, Gottes Gebote zu halten, und war vermutlich neugierig geworden. Er hatte Jesus predigen hören, ihn ein wenig kennengelernt und dachte: „Mit dem möchte ich mich doch mal austauschen.“ Deshalb lud er Jesus zu sich nach Hause ein, was damals ganz üblich war.
Es war auch normal, ein offenes Haus zu haben, in dem zwei Gelehrte miteinander über Gottes Wort sprachen. Menschen kamen herein, hörten zu und konnten vielleicht auch Fragen stellen. So ein offenes Haus, in das jeder kommen und zuhören konnte.
Aber wer dann tatsächlich kam, hatte Simon nicht erwartet – und den wollte er auch ganz sicher nicht dabei haben. Diese Frau, von der wir gleich in Vers 37 hören, war eine Sünderin. Wir wissen nicht genau, was sie getan hatte, doch es muss etwas gewesen sein, das in der Stadt bekannt war. Der Pharisäer Simon wusste davon, wahrscheinlich auch die anderen. Sehr wahrscheinlich war sie eine Prostituierte. Vielleicht konnte man das schon an ihrem Äußeren erkennen, vielleicht wirkte sie etwas anrüchig.
Man hatte sie auf der Straße gesehen, und diese Frau kommt nun herein. Sie ist bekannt als Sünderin, wirft sich Jesus zu Füßen, und die Tränen brechen hervor. Sie benetzt seine Füße mit ihren Tränen, trocknet sie mit ihren Haaren und holt ein ganz kostbares Salböl hervor. Salböl war ein Luxusartikel, sehr wertvoll. Sie nimmt es und salbt die Füße Jesu.
Und was macht Jesus? Er stößt sie nicht weg. Er fährt sie nicht an: „Was bildest du dir eigentlich ein? Frau, hau ab! Ruf nicht die Polizei!“ Nein, er lässt sie machen. Er lässt sich das gefallen.
Der Pharisäer Simon steht, sitzt oder liegt dabei – wie auch immer –, und ist empört, innerlich in Aufruhr. Er sieht die ganze Szene und kann es kaum ertragen. Er denkt sich seinen Teil, das kennen wir doch auch, oder? Er sagt nichts, spricht bei sich, wie es hier heißt, und verurteilt das, was da gerade passiert, aufs Schärfste. Dass Jesus diese Frau machen lässt, missfällt ihm sehr. Aber er sagt nichts.
Wir kennen das auch: Im Herzen verurteilen wir jemanden, sagen aber nichts. Wir behalten es für uns und schimpfen innerlich. Simon sagt sich bei sich: Wenn dieser Jesus ein Prophet wäre, dann wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn da anrührt – eine Sünderin.
Doch Jesus sieht ihm ganz tief ins Herz, so wie er jedem von uns ins Herz schaut. Er weiß, was in uns vorgeht, ganz tief. Wir können unsere Masken aufsetzen, innerlich vielleicht nur verurteilen, aber Jesus schaut tiefer. Er sieht, was diesen Simon bewegt, diesen Pharisäer.
Und auch ihm hält er keine Standpauke. Stattdessen erzählt er ihm ein Gleichnis. Er möchte ihn überführen.
Das Gleichnis von den zwei Schuldnern und seine Bedeutung
Und er erzählt ihm dieses kurze Gleichnis, das ich euch noch einmal lesen möchte, ab Vers 41. Er sagt: Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Der eine war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er es beiden. Wer von ihnen wird ihn am meisten lieben?
Simon antwortete und sprach: Ich denke, der, dem er am meisten geschenkt hat.
Er aber sprach zu ihm: Du hast Recht geurteilt.
Ein kurzes Gleichnis – ohne Simons Antwort nur zwei Verse. Zwei Verse, die aufdecken, was Simons Problem war. Zwei Verse, die verständlich machen, warum die Frau das tat, was sie getan hat. Zwei Verse, die uns die Liebe Jesu deutlicher vor Augen malen, das, was Jesus getan hat, und durch die wir verstehen können, warum es uns oft zu schwerfällt, Gott zu lieben und unseren Nächsten zu lieben.
Was war Simons Problem? Er hat seine eigene Sünde nicht klar gesehen. Er hatte eine gewisse Vorstellung, dass er ein Sünder war, dass er Schuld bei Gott hatte. Das muss ihm klar gewesen sein. Ich meine, er kannte die Bibel gut und wusste, was die Bibel über uns Menschen sagt, über den Zustand unseres Herzens. Also so eine gewisse Vorstellung hatte Simon schon. Er hat auch geopfert, ganz sicher als Pharisäer. Er wusste schon, dass es da ein Problem gibt. Aber er hat sehr klein von diesem Problem gedacht. Er hat gedacht: Na, so schlimm ist es ja nun wirklich auch nicht.
Wenn wir so in das Gleichnis schauen, sehen wir, dass jemand, der 50 Silbergroschen schuldig ist, etwa ein oder zwei Monatslöhne schuldet. Das ist schon ein bisschen was, gar nicht so wenig, ein, zwei Monatslöhne. Aber nun auch wirklich nicht die Welt. Simon hat seine Schuld nicht besonders groß gesehen, vielleicht hat er sie auch in dem Moment gar nicht gesehen.
Weil Simon so positiv von sich selbst dachte und so wenig eigentlich geschaut hat, wo seine Schuld liegt, schaute er auf andere herab, auf diese Frau zum Beispiel, die da kam. Die war doch wirklich eine Sünderin. Die hatte echte Schuld bei Gott. Die hatte wirklich nichts Gutes vorzuweisen. Jeder konnte es doch sehen, wie verkorkst, wie gottlos diese Frau lebte – so anders als Simon. Sie verdiente es ganz sicher nicht, zu Gott zu kommen, und sie verdiente es auch nicht, mit so frommen Menschen wie diesem Pharisäer und auch Jesus zusammen zu sein. Das hat sie nicht verdient. Sie musste draußen bleiben.
Dabei übersah Simon etwas ganz Entscheidendes. Bei allen Unterschieden zwischen ihm und der Frau – und es gab Unterschiede, denn er hat schon ein anderes Leben gelebt als sie, ganz sicher – hatten sie doch eine Sache gemeinsam: Sie standen beide bei Gott in der Schuld. Jesus macht es mit dem Gleichnis sehr deutlich: Sie standen beide bei Gott in der Schuld.
Ist euch das aufgefallen? Beide Schuldner hier in dem Gleichnis sitzen doch im selben Boot. Lass dich nicht von den unterschiedlichen Summen ablenken: der eine 50, der andere 500. Sie können beide nicht bezahlen. Sie sind beide in einer Situation, in der ein Gläubiger das Geld zurückhaben möchte. Beide müssen sagen: Ich kann es nicht bezahlen. Und beide können nur hoffen, dass der Gläubiger gnädig mit ihnen ist. Dass er nicht sagt: Bis du mir das bezahlt hast, wanderst du ins Gefängnis oder wir verkaufen deine Frau und deine Kinder.
Was auch immer – zu der Zeit war viel möglich, wenn man seine Schulden nicht zurückzahlen konnte. Sie sind abhängig davon, dass der Gläubiger gnädig mit ihnen ist. Und beide kriegen sie ihre Schuld erlassen. Er schenkt sie ihnen.
Vor Gott sind wir alle in derselben Situation. Ja, der eine hat mehr auf dem Kerbholz, der andere weniger. Das ist so. Menschlich betrachtet sehen wir es: Es gibt größere Sünder und kleinere Sünder. So ist es unsere Perspektive darauf, definitiv. Und doch sind wir alle in einem Boot.
Die Bibel zeigt uns das an vielen Stellen. Nur eine Stelle, um das deutlich zu machen: Jakobus schreibt es in seinem Brief, im Jakobusbrief Kapitel 2, Vers 10. Da sagt er: Wer das ganze Gesetz befolgt, aber gegen ein einziges Gebot verstößt, macht sich damit am ganzen Gesetz mit allen seinen Geboten schuldig.
Ein Gesetz zu übertreten reicht, um das ganze Gesetz zu brechen. Wir sind alle schuldig. Gott sieht unsere Schuld anders als wir selbst oft. Er nimmt sie ernster als wir selbst.
Wir sagen: Aber ich mache doch auch so viel richtig. Oder: Ich bin doch nicht wie der oder die. Und Gott sagt: Hast du ein Gebot übertreten, hast du sie alle übertreten. Du bist schuldig.
Und das kann man auch für die Gemeinde durchbuchstabieren, weil hier machen wir das genau so, oder wir sind in der Versuchung, das zu tun. Wir sehen Geschwister, die Dinge tun, die wir nicht tun, und wir vergleichen uns mit ihnen. Wir sagen: Ja, aber ich habe mich ja noch nie betrunken. Für mich ist das gar kein Problem. Das kriegt man doch hin. Ich habe noch nie schlecht über andere geredet. Ich habe mich da im Griff. Ich bin kein Lästermaul. Ich habe kein Problem mit Pornografie.
Und wir überheben uns über andere, die diese Themen haben. Es geht auch im Positiven: Wir tun Dinge und sagen, andere tun das nicht, was wir tun. Ich bin so regelmäßig und treu im Gottesdienst dabei und arbeite da auch immer mit. Viele können sich ein Vorbild an mir nehmen. Oder: Ich bin so oft am Evangelisieren auf der Straße unterwegs. Ich kümmere mich treu um andere.
Ja, ich kann sogar stolz darauf sein, wie offen und wie gut ich mit meiner Sünde umgehe. Im Gegensatz zu anderen, dass ich meine Masken ablege, während die anderen ja alle die Maske hochhalten.
Wir können uns vergleichen, auf so vielen Ebenen aufeinander herabzuschauen. Jesus zeigt dem Pharisäer, und er zeigt es auch uns: So ein Vergleichen ist völlig unangebracht. Wir stehen alle bei Gott in der Kreide, und wir können nicht bezahlen.
Die Reaktion der Frau und die Kraft der Vergebung
Das bringt uns zu der Frau. Warum hat sie das getan, was sie getan hat? Sie kam, brach in Tränen aus, warf sich Jesus zu Füßen und beschenkte ihn mit kostbarem Salböl. Warum tat sie das?
Weil sie ihre eigene Schuld wirklich erkannt hatte. Sie begriff: „Ich bin schuldig. Da ist ein riesengroßer Sündenberg in meinem Leben, der mich fast erdrückt.“ Jesus benutzt im Gleichnis das Bild von 500 Silbergroschen – umgerechnet auf heute vielleicht sechzig-, siebzig- oder achtzigtausend Euro. Wenn man nichts hat und auch nicht die Mittel, um das zurückzuzahlen, dann raubt einem das den Schlaf und macht einen fertig. Wie soll ich diese Schuld abbezahlen? Es geht nicht.
So hat sich die Frau gefühlt, das hat sie erkannt. Sie verstand es ganz genau: „Meine Schuld bei Gott ist riesengroß, und ich kann sie nicht wieder heil machen oder abbezahlen.“
Aber dann hat sie Jesus kennengelernt, wirklich kennengelernt, und sie durfte begreifen: „Mein Gläubiger, dem ich etwas schulde, erlässt mir meine Schuld.“
Wir wissen nicht genau, wie sie das erkannt hat. Vielleicht hat sie Predigten gehört oder Jesus erlebt. Doch sie durfte verstehen, wozu Jesus gekommen war. Sie erkannte, dass er bezahlt und sie frei macht. Durch Jesus wird ihre Schuld beglichen.
Deshalb wirft sie sich ihm zu Füßen. Deshalb schenkt sie ihm vermutlich das Kostbarste, was sie hatte: dieses Salböl. Sie geht zu ihm, gibt ihren Besitz her und riskiert, dass die Leute sie hinauswerfen oder sie der Lächerlichkeit preisgeben. Es ist ihr egal. Sie will bei Jesus sein, denn sie weiß: Er ist der, der ihre Schuld bezahlt.
Ihr Herz war bewegt. Das sehen wir in diesem Bericht, wie sehr sie von der Liebe Jesu berührt war – von der Tatsache, dass er ihr vergibt. Sie war zutiefst bewegt.
Das Schlüsselfvers, die Moral der Geschichte, ist Vers 47, wo Jesus sagt: „Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt. Wem aber wenig vergeben ist, der liebt wenig.“
Das lässt sich leicht falsch verstehen, als hätte die Frau die Vergebung durch ihre Liebe verdient. Sie hat Jesus das Salböl gegeben und sich ihm hingegeben, und dann hat er gesagt: „Ich vergebe dir.“ Aber so war es nicht.
Ich hoffe, das wird klar durch das Gleichnis: Zuerst hat sie gemerkt: Jesus vergibt mir. Und dann ist ihre Antwort diese Liebe, die sie Jesus schenkt.
Das ist die richtige Reihenfolge: erst die Vergebung, dann die Hingabe und die Liebe.
Man kann den Vers auch so übersetzen: „Ihre vielen Sünden sind vergeben worden.“ Das ist die bessere Übersetzung. Ihre vielen Sünden sind vergeben worden, denn sie hat viel Liebe gezeigt.
Die Liebe ist der Beweis, dass sie es wirklich erfahren hat: ihre Sünden sind vergeben.
Die Grundlage für übernatürliche Liebe in der Gemeinde
Wenn Gottes übernatürliche Liebe unter uns wachsen soll, dann geschieht das nur auf einer bestimmten Grundlage: Jeder von uns muss immer tiefer verstehen, wie sehr Gott uns liebt und wie gewaltig es ist, dass er uns unsere Schuld vergibt.
Wie diese Frau darf das jeder von uns in Anspruch nehmen. Viele haben das auch schon gesagt: „Das will ich in Anspruch nehmen. Jesus, du hast meine Schuld am Kreuz von Golgatha bezahlt, ich glaube das.“ Wir glauben, dass der Sündenberg in unserem Leben zu groß ist, um ihn selbst abzutragen. Wir können nichts dafür tun, ihn nicht wegbeten oder irgendwie beseitigen. Nur Jesus kann den Berg beseitigen und uns freimachen.
Wir wissen alle, dass wir ohne Jesus unsere gerechte Strafe von Gott erhalten würden. Wir wären ewig vom Vater getrennt, würden in die Hölle kommen und in ewigen Tod sterben. Das wissen wir, und Jesus macht uns frei. Er schenkt uns das ewige Leben mit Gott. Er stirbt an unserer Stelle, und wir sind frei, begnadigt. Die ganze Schuld ist getilgt – da bleibt kein Cent mehr übrig, alles ist weg.
Es kann sein, dass du das hörst und es dich kalt lässt – auch als Christ. Vielleicht denkst du: „Das Evangelium habe ich schon so oft gehört. Wir hören es jede Woche in der Gemeinde, morgens und jetzt auch abends. Erzähl mir eine neue Botschaft.“ Vielleicht ist deine Bekehrung schon so lange her, dass du fast vergessen hast, was Jesus dir für einen Sündenberg abgenommen hat. Im Alltag bist du dir gar nicht mehr bewusst, dass da immer noch Schuld ist, die Jesus am Kreuz getragen hat.
Es kann auch sein, dass du dich kalt fühlst, wenn du das Evangelium hörst, und dann sagst: „Na ja, wenn die Pastoren das nur ein bisschen feuriger und inspirierender predigen würden, dann würde es mich wieder bewegen.“ Ich übernehme ein bisschen Verantwortung für uns: Ja, es ist unsere Aufgabe, die beste Botschaft der Welt inspirierend und mit Leidenschaft zu predigen. Aber schiebe die Verantwortung bitte nicht ab. Schiebe sie nicht auf andere oder auf deine Umstände.
Es ist ein Problem, wenn dich das Evangelium nicht mehr bewegt. Es ist sogar ein sehr großes Problem, wenn dich diese Botschaft kalt lässt. Wenn dein Auto komisch klappert, bringst du es in die Werkstatt. Wenn in deinem Körper etwas anders ist als sonst, gehst du früher oder später zum Arzt und sagst: „Schau dir das mal an.“
Ich möchte dir sagen: Wenn dich das Evangelium nicht mehr bewegt, ist das ein Alarmsignal. Wenn du dich kalt fühlst und es dich nicht berührt, dann musst du dich damit auseinandersetzen. Es ist ein Problem in deiner Beziehung zu Gott, zum Vater, zuallererst. Und das wirkt sich ziemlich schnell aus. Wir merken das alle, und ich glaube, dass wir immer wieder Phasen haben, in denen wir geistlich krank und kalt sind.
Dann schaust du mehr auf deine Umstände und auf das, was du sonst noch im Leben brauchst. Du denkst dir: „Manches gibt mir Gott nicht.“ Ich kenne Leute, die sehr lange darüber klagen, dass sie krank sind und Gott ihnen keine Gesundheit schenkt. Manche leiden darunter, keinen Partner zu haben oder den vermeintlich falschen Partner zu haben.
Wir leiden unter vielen Dingen und sagen: „Wenn Gott mich wirklich lieb hätte, dann würde er mir diese Dinge geben. Aber er gibt sie mir nicht, also hat er mich nicht lieb.“ Dabei vergisst du, dass er dir das Größte, was er dir geben kann, schon geschenkt hat: das Allergrößte, nämlich dass er dir deine Sünden vergeben und dich freigemacht hat.
Das ist der größte Liebesbeweis Gottes. Nach Beweisen für seine Liebe darfst du nirgendwo anders suchen als am Kreuz von Golgatha. Du kannst alles dankbar aus Gottes Hand nehmen: deinen Partner, Gesundheit, einen guten Job, beste Umstände. Aber sie sind nicht in erster Linie der Beweis für seine Liebe. All das kann verschwinden oder er kann es dir auch nehmen.
Das, was am Kreuz passiert ist, nimmt er dir nie: dass er die Beziehung zu dir wiederhergestellt hat und dich freigemacht hat. Deshalb ist es so wichtig, dass wir zuallererst seine Liebe suchen und sie als seinen Liebesbeweis annehmen – ganz persönlich für uns. Und das wird uns bewegen.
Ermutigung zur persönlichen Erneuerung der Liebe zu Jesus
Ich möchte dich ermutigen: Wenn du das gerade nicht kannst, beschäftige dich trotzdem damit – wirklich so, wie jemand sein Auto in die Werkstatt bringt. So kannst du das Thema angehen und es persönlich erleben.
Es beginnt ganz einfach damit, dass du darum bittest: Herr, schenke mir ein neues Feuer für dich. Dass ich neu begreife, wie kostbar das ist, was Jesus am Kreuz für mich getan hat. Du kannst das selbst beten.
Du kannst auch zu jemand anderem gehen und im Anschluss an den Gottesdienst mit ihm beten. Wenn du sagst, „Ich bin eigentlich kalt geworden“, kannst du mit jemandem hier aus den Reihen beten. Wenn jemand sagt, „Ich bin bereit, mit dir zu beten“, kannst du zu mir kommen. Lass uns gemeinsam darum bitten, dass Gott dir neues Feuer schenkt.
Du kannst auch Bibelstellen lesen. Es gibt so viele, die uns das Evangelium wunderschön vor Augen malen. Zum Beispiel kannst du in Epheser 2 die ersten Verse lesen und sehen, was Gott Großartiges für dich getan hat.
Du kannst in den Evangelien lesen, wie Jesus sein Leben am Kreuz von Golgatha gegeben hat. Lies das einfach mal und mach dir bewusst: Er hing dort für mich, für meine Schuld.
Auch andere Gleichnisse können helfen. Mir hilft immer sehr das Gleichnis, das Jesus in Matthäus 18 ab Vers 21 erzählt. Es handelt von zwei Knechten, die unterschiedliche Schulden haben. Einer hat eine gewaltige Schuld beim König, und der König erlässt sie ihm. Doch dann geht dieser Knecht zu seinem Mitknecht, schüttelt ihn wegen einer viel kleineren Schuld und ist dabei sehr kalt und kleinherzig.
Das kann uns bewegen.
Die Auswirkungen einer kalten Beziehung zu Gott auf die Gemeinde
Es ist nicht nur ein Problem, wenn wir gegenüber dem Evangelium für unsere Beziehung zu Gott kalt geworden sind. Es wirkt sich auch auf unsere Beziehung zueinander aus.
Das sehen wir in der Geschichte, wie hart und kalt Simon, der Pharisäer, dieser Sünderin begegnet. Er sieht sich nicht auf einer Ebene mit ihr, sondern hält sich für etwas viel Besseres.
In der Gemeinde passiert es ganz schnell, dass wir vergessen, dass wir alle in einem Boot sitzen. Wir sind alle Begnadigte, die Gott zusammengestellt und zusammengefügt hat zu einer Gemeinde.
Diese Perspektive verändert etwas. Wenn ich sage, dass Jesus nicht nur für mich am Kreuz bezahlt hat, sondern dass jeder einzelne Bruder und jede Schwester hier Gott so kostbar ist, dass er seinen Sohn in diese Welt gesandt hat, um sie frei zu kaufen, dann verändert das mein Denken.
Ich möchte für uns beten, dass wir das können. Es geht nur, wenn wir auf Jesus schauen. Von dort kommt die Liebe auch zum Bruder und zur Schwester.
Gebet um neue Liebe und Gemeinschaft in der Gemeinde
Lasst uns beten. Jesus, wir danken dir von ganzem Herzen, dass du als unser Erlöser gekommen bist. Du hast uns von aller Schuld freigekauft. Wir konnten nicht bezahlen, aber du konntest es mit deinem heiligen und gerechten Leben.
Wir danken dir für deine unermessliche Liebe zu uns und dafür, dass du dich wirklich alles hast kosten lassen, um uns zu retten.
Herr, du siehst, wie kalt und undankbar wir dir oft gegenüber sind. Du weißt, wie wir oft murren und klagen über unsere Umstände und auch an deiner Liebe zweifeln. Du siehst, wie wir hart und ungerecht miteinander umgehen, immer wieder in der Gemeinde.
Wir beten, dass wir wirklich neu und noch viel tiefer begreifen, wie groß die Schuld ist, die du uns vergeben hast. Lass uns erkennen, dass uns das freisetzt, großzügig, gnädig und barmherzig miteinander zu sein.
Bitte hilf uns, darin zu wachsen – in der Liebe zu dir und in der Liebe zueinander. Amen.