Herzlich willkommen bei der Christusgemeinde Emmending! Wir machen endlich weiter mit unserer Reihe „Power in the Blood – Kraft in dem Blut“. Nach einer längeren Pause können wir nun fortfahren.
In der ersten Einheit haben wir uns mit der Frage beschäftigt: Warum ist das Sühneopfer wichtig? Ich habe eine Antwort darauf gegeben: Das Sühneopfer ist notwendig, weil Gott damit das Problem der Entzweiung zwischen ihm und uns löst. Es schafft einen Ausweg aus unserem verdammungswürdigen Zustand.
Es ging um das Problem der menschlichen Sünde und das Problem zwischen menschlicher Sünde und Gottes Heiligkeit. Diese beiden Dinge passen nicht zusammen. Deshalb ist es nicht selbstverständlich, dass wir Menschen mit Gott in Gemeinschaft treten können – auch wenn wir das vielleicht für selbstverständlich halten.
Wir haben uns angeschaut, dass laut 1. Johannes 1,5-7 im Blut Jesu die Lösung liegt. Dadurch können wir Gemeinschaft haben, obwohl Sünde in unserem Leben ist. Außerdem haben wir gesehen, dass das Blut Jesu für den Tod Jesu steht, für sein Sterben. Dieses Sterben wird im Neuen Testament als Opfertod charakterisiert.
Deshalb sind wir ins Alte Testament gesprungen, um zu verstehen, was die Opferungen bedeuten und was diese Opfer bewirken. Wir haben erkannt, dass, wenn sich der Mensch mit einem Opfer identifiziert, dieses Opfer stellvertretend Sühne erwirkt. Das heißt, es bewirkt Wiedergutmachung und Wiederherstellung für den Menschen.
Diese Identifikation bedeutet, dass die Verantwortung für die Folgen unserer Schuld von dem Opfer übernommen wird. Dadurch wird Sühne erwirkt und die Beziehung wiederhergestellt.
Das ist im Prinzip der große Bogen, warum das Sühneopfer notwendig ist.
Heute werden wir uns ansehen, inwiefern das Sühneopfer von Jesus auch Ausdruck der Liebe Gottes ist. Denn dass Jesus stellvertretend am Kreuz hingerichtet wird, ist nicht für jeden automatisch verständlich als Ausdruck von Gottes Liebe. Wie kann es Liebe sein, wenn jemand für fremde Schuld hingerichtet wird?
Wir kennen alle Johannes 3,16: „Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit wir nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben haben.“ Wer an ihn glaubt, soll nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben haben.
Wenn wir über das Sühneopfer, den Tod Jesu Christi, sprechen möchten, kommen wir nicht daran vorbei, heute wieder ins Alte Testament zu schauen. Wir vertiefen uns besonders in das dritte Buch Mose, genauer gesagt in den sogenannten Yom Kippur, den großen Versöhnungstag, der in 3. Mose 16 beschrieben wird.
Wir können keine Themenreihe über das Sterben Jesu am Kreuz machen, ohne 3. Mose 16 betrachtet zu haben. Im Yom Kippur, dem großen Versöhnungstag, sehen wir, wie zentral der Gedanke der Sühne, also der Wiedergutmachung, im jüdischen Denken verankert ist. Das ist kein Spleen einiger Weniger, sondern tatsächlich ein Teil der Identität des jüdischen Volkes.
Und dafür werden wir Folgendes tun: Um bei 3. Mose 16 anzukommen, hier in der Tabelle ganz unten, machen wir ganz kurz einen Streifzug.
Wenn du im zweiten Buch Mose bist, ganz zum Schluss, im Kapitel 40, siehst du, dass Mose endlich das Zelt der Begegnung errichtet hat. Das Zelt der Begegnung oder die Stiftshütte wird aufgebaut, damit man endlich Gott begegnen kann und Gott mitten unter seinem Volk wohnt.
Wenn du dann das dritte Buch Mose aufschlägst oder weiterblätterst, siehst du in den ersten sieben Kapiteln, bevor es zur Begegnung kommt, im Zelt der Begegnung, eine Opferordnung. Welche Opfer gibt es? Was tun diese Opfer? Wie soll man die Opfer zubereiten? Wie soll man diese Opfer bringen? Und so weiter und so fort. Das ist ziemlich lang, aber es ist entscheidend.
Das Zelt der Begegnung ist errichtet, es kommt aber noch zu keiner Begegnung. Sondern Gott ordnet erst einmal an – indem er aus dem Zelt ruft, einige können sich vielleicht noch erinnern – ordnet er Mose an, diese Opferordnung auch einzuhalten.
Erst in Kapitel 8 kommt es zur Weihung der Priester, und erst in 3. Mose 9 kommt es endlich zur Begegnung im Zelt der Begegnung.
Wenn wir an dieser Stelle kurz innehalten, merken wir: Okay, endlich ist es dazu gekommen, dass Menschen Gott begegnet sind. Jetzt könnte es eigentlich fröhlich weitergehen. Gott und Menschen sind vereint.
Aber es kommt das zehnte Kapitel, und auf einmal wird uns berichtet, wie die Söhne Aarons – wie heißen sie noch? Nadab und Abihu – mit sogenanntem fremdem Feuer kommen, die Regeln Gottes brechen und Gott sie dafür hinrichtet und straft.
Also Gott hat einen Weg zur versöhnten Gemeinschaft gezeigt, den gehen sie auch. Aber auf einmal kommen Nadab und Abihu und sie halten sich nicht an die Spielregeln Gottes. Sie wählen sich ihren eigenen Weg zu Gott.
Gott zeigt es sehr, sehr drastisch, indem er die beiden richtet. Die beiden sterben. Aaron ist im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos. Er schweigt, als er das sieht.
Das zehnte Kapitel soll uns zeigen: Wer sich auf verkehrte Weise Gott nähert, wird nicht gesegnet, sondern verflucht.
Damit haben wir es in dieser Größenordnung zu tun: Gott ist bereit, im Segen zu handeln, aber unter seinen Spielregeln, auf diese Art und Weise, wie er es weitergibt.
Sondern dann kommen wir zu den Kapiteln elf bis fünfzehn. Hier macht Gott durch Mose deutlich, dass das Volk lernen soll zu unterscheiden, was heilig und was nicht heilig ist, was rein und was unrein ist.
Dieser Abschnitt, Kapitel elf bis fünfzehn, endet mit den Worten in Vers 31: „Und ihr sollt die Söhne Israel vor ihrer Unreinheit warnen, damit sie nicht in ihrer Unreinheit sterben“ (3. Mose 15,31).
Dabei ist auch die Situation mit den Söhnen Nadab und Abihu mitgedacht. Sie haben die Wohnung Gottes, die in ihrer Mitte ist, unrein gemacht. Sie sollen nicht mit ihrer Unreinheit, also dadurch, dass sie sich nicht bereit machen, auf die von Gott vorgeschriebene Weise zu kommen, auf ihrem eigenen Weg zu Gott kommen. Deshalb gilt die Warnung, damit sie nicht in ihrer Unreinheit sterben.
Und erst jetzt, in 3. Mose 16, kommt der Versöhnungstag. Dies ist ein großes Fest der Juden. Wenn wir das Kapitel 16 aufschlagen, sehen wir, wie es an das Ende des 15. Kapitels anschließt. Dort wurde betont, dass man aufpassen soll, mit seiner Unreinheit nicht Gott zu nah zu kommen und sozusagen die Spielregeln Gottes nicht zu brechen. Man soll nicht auf Wegen handeln, die Gott nicht möchte, damit man nicht sterben muss.
Nun beginnt 3. Mose 16. Der Text knüpft an das Kapitel 10 an, also an das Vergehen von Nadab und Abihu. Der Herr sprach zu Mose nach dem Tod der beiden Söhne Aarons, die vor den Herrn traten und starben. Gott sagte zu Mose: Rede zu deinem Bruder Aaron, dass er nicht zu jeder Zeit in das Heiligtum hineingeht, also innerhalb des Vorhangs vor die Deckplatte, die auf der Lade ist. Denn wenn er das tut, wird er sterben, denn ich erscheine in der Wolke über der Deckplatte.
Einige gehen davon aus, dass die Anordnung für den Versöhnungstag in 3. Mose 16 am selben Tag geschah wie das Sterben von Nadab und Abihu. Wenn wir das lesen, denken wir vielleicht: „Boah, das ist so mühselig, ich komme nur schwer durch meinen Bibelleseplan.“ Es dauert gefühlt Wochen, das zu lesen, und manchmal vergessen wir, dass diese Dinge zusammen verfasst und zusammen gedacht wurden.
Wir können natürlich nicht mit Sicherheit sagen, dass es am selben Tag war, aber zumindest bildet es eine logische Einheit: Gott wohnt im Volk und ist zu begegnen, jedoch nicht so, wie Nadab und Abihu es in ihrer Unreinheit getan haben. Jetzt bringt Gott den Versöhnungstag, den Jom Kippur, ins Spiel und knüpft daran an. Das geschieht bereits in den ersten beiden Versen des Kapitels.
In den Versen 6 bis 10 sehen wir eine Zusammenfassung dessen, was an diesem Versöhnungstag geschieht und was das Ritual ausmacht. Wir werden heute nicht das gesamte sechzehnte Kapitel lesen, sondern nur einige Verse, die eine Zusammenfassung bieten.
Aaron soll den Stier des Sündopfers herbeibringen, der für ihn bestimmt ist, und damit Sühnung für sich und für sein Haus erwirken. Zuerst sorgt er also als Priester für seine eigene Sühnung. Anschließend soll er die zwei Ziegenböcke nehmen und sie an den Eingang des Zeltes der Begegnung vor den Herrn stellen.
Diese zwei Ziegenböcke sind, wie zuvor erklärt wurde, nicht für Aaron selbst bestimmt, sondern für das gesamte Volk. Aaron soll Lose über die zwei Ziegenböcke werfen: ein Los für den Herrn und ein Los für Azazel. Was Azazel genau bedeutet, ist in der Forschung nicht ganz klar. Wahrscheinlich steht es für „Wegschaffung“. Es handelt sich dabei um den Ziegenbock, der später in die Wüste geschickt wird. Deshalb wird angenommen, dass Azazel mit der Wüste oder der Wegschaffung zu tun hat. Eine genaue Übersetzung ist jedoch schwierig.
Auf jeden Fall ist einer der Ziegenböcke für den Herrn bestimmt. Dieser wird ins Allerheiligste gebracht. Der andere Ziegenbock, der für Azazel bestimmt ist, wird in die Wüste geschickt. Die Elberfelder Bibel hat sich entschieden, den Begriff einfach so zu übersetzen, wie er im Hebräischen steht.
Aaron soll den Ziegenbock herbeibringen, auf den das Los für den Herrn gefallen ist, und ihn als Sündopfer opfern. Der Ziegenbock, auf den das Los für Azazel gefallen ist, soll lebendig vor den Herrn gestellt werden, um für ihn Sühnung zu erwirken. Danach wird er für Azazel in die Wüste geschickt.
Am Anfang dieser Zusammenfassung sehen wir also, dass Aaron zuerst Sühnung für sich selbst und sein Haus erwirkt. Dann soll er durch das stellvertretende Schlachtopfer Sünde sühnen, indem er den Ziegenbock opfert. Gleichzeitig wird Sünde auch durch das stellvertretende Sündentragen gesühnt. Es wird also nicht nur ein Opfer geschlachtet, sondern dieser Sündenbock trägt symbolisch die Schuld davon.
Das ist natürlich eine geistliche Handlung. Sie symbolisiert, was in der geistlichen Welt geschieht, in unserer Glaubensbeziehung zu Gott. Die Handlung zeigt die Konsequenzen der Sünde auf: Etwas stirbt, um die Folgen der Sünde darzustellen. Außerdem soll der Ziegenbock aus dem Lager herausgeführt werden. Er soll außerhalb des Lagers sein, damit das Volk sehen kann, dass ihre Sünde von ihnen weggetan, hinausgezogen und aus ihrer Mitte weggeschafft wurde.
Die Verse 11 bis 28 werden wir jetzt nicht miteinander lesen. Dort findet sich eine detaillierte Beschreibung dessen, was an diesem Versöhnungstag genau geschieht. Es ist manchmal so, dass in den alttestamentlichen Texten Dinge zunächst zusammenfassend beschrieben werden, bevor sie noch einmal detaillierter erklärt werden. Das kann dazu führen, dass man beim Lesen denkt: „Das habe ich doch gerade schon gelesen.“ Tatsächlich wird das Geschehen erst als Einführung oder Zusammenfassung dargestellt, dann noch einmal von vorne begonnen und im Detail beschrieben. Am Ende gibt es vielleicht noch eine abschließende Zusammenfassung.
Die detaillierte Beschreibung des Rituals findet sich also in den Versen 11 bis 28.
Ganz zum Schluss, in den Versen 29 bis 34, lesen wir den Zweck des Versöhnungstags. Warum, wofür ist dieser Versöhnungstag eigentlich da?
Denn es werden ja schließlich immer wieder Opfer gebracht, teilweise täglich oder wöchentlich, unregelmäßig. Aber hier gibt es irgendwie so ein großes Fest. Was ist denn der Zweck, den Gott verfolgt? Das lesen wir uns noch in Versen 29 bis 34 einmal durch:
„Dies soll euch zu einer ewigen Ordnung sein: Im siebten Monat, am zehnten des Monats, sollt ihr euch selbst demütigen und keinerlei Arbeit tun – der Einheimische und der Fremde, der in eurer Mitte als Fremder wohnt. Denn an diesem Tag wird man für euch Sühnung erwirken, um euch zu reinigen. Von all euren Sünden werdet ihr rein sein vor dem Herrn. Ein Sabbat völliger Ruhe soll er euch sein, und ihr sollt euch selbst demütigen. Eine ewige Ordnung.
Und der Priester soll Sühnung erwirken, den man salben wird und dem man die Hand auflegt, damit er den Priesterdienst an seines Vaters Stadt ausübt. Er soll die Kleider aus Leinen anziehen, die heiligen Kleider, und er soll Sühnung erwirken für das heilige Heiligtum und für das Zelt der Begegnung. Und für den Altar soll er Sühnung erwirken, und für die Priester und für das ganze Volk der Gemeinde soll er Sühnung erwirken.
Das soll euch zu einer ewigen Ordnung sein, für die Söhne Israel einmal im Jahr Sühnung zu tun wegen all ihrer Sünden.“ Und er tat es ganz wie der Herr dem Mose geboten hatte.
Ein kleiner Einschub, was ich eben gerade unerwähnt gelassen habe: Der Sündenbock, der hineingeführt wird ins Allerheiligste beziehungsweise dessen Blut, soll Sühnung erwirken für das Heiligtum und auch für das Zelt. Sühnung deswegen wegen der Unreinheit des Volkes.
Also es ist eine Sühnung, eine Wiedergutmachung der Befleckung der Menschen zum einen, aber auch eine Sühnung, eine Wiedergutmachung der Befleckung, die im Heiligtum präsent ist. Es ist sehr komplex formuliert, aber da wird unterschieden.
Alles in allem ist es eine allumfassende Reinigungs- und Heiligungshandlung, wenn man das so möchte. Und hier sieht man vielleicht auch den Sinn von diesem Versöhnungstag.
Ihr könnt euch das so vorstellen, dass es eine Art grundsätzliche geistliche Inventur ist, die einmal im Jahr erfolgt. Wir kennen das aus Unternehmen: Einmal im Jahr müssen alle Mitarbeiter kommen und eine Inventur durchführen. Man soll natürlich das ganze Jahr ordentlich arbeiten, aber einmal im Jahr muss man alles mal sauber machen, so eine Art Frühjahrsputz. Das ist vielleicht ein bisschen salopp jetzt, aber so kann man sich das vorstellen.
Es muss einmal im Jahr geschehen, damit es für das nächste Jahr sozusagen gut ist. Dieser Versöhnungstag dient also der Aufrechterhaltung der Gottesnähe für das nächste Jahr und der Aufrechterhaltung des Gottesdienstes für das nächste Jahr.
Im Laufe des Jahres geschehen viele Opferhandlungen, aber einmal im Jahr soll auch das Zelt, das Heiligtum, von der Sünde gereinigt und befreit werden – und auch das Volk als Kollektiv. Es geht nicht nur darum, dass ich einfach mit meinen persönlichen Schuldopfern und Sündopfern komme.
Das ist mein Prinzip, das Denken des Jom Kippurs, was dahintersteckt. Aber das ist ein großes Thema im jüdischen Denken, im alttestamentlichen Denken – und vor allem, wenn wir dann auch auf Jesus zugehen.
Wenn man sich Jom Kippur, den Versöhnungstag, genau anschaut, findet man viele Parallelen zu dem, was Jesus Christus getan hat. Dieses Fest ist sehr zentral, ein großes, heiliges und sogar hochheiliges Fest, das jährlich gefeiert wird. Es hat somit eine bedeutende Präsenz im Leben, Denken und Glauben der Juden.
Wir verlassen nun die Mosebücher und gehen weiter vor in der Zeitschiene. Es wird immer wieder erwähnt, dass im Alten Testament Opfer dargebracht wurden. In der heutigen Zeit wird jedoch oft die Frage gestellt, ob diese Opferpraxis wirklich Gottes Willen entsprach. Man fragt sich, ob die Bibel vielleicht eine Entwicklung zeigt, in der die Opfer kritisiert und nicht mehr als Gottes Wille angesehen werden. Stattdessen könnten diese Opfer Vorstellungen von Mose und anderen sein, die innerbiblisch überwunden wurden.
Man erkennt, dass sich eine Gottesdienstform mit Opferhandlungen etablierte. Doch es stellt sich die Frage: Ist das wirklich die Art und Weise, wie Gott sich in der gesamten Schrift präsentiert? Braucht Gott solche Opfer? Oder handelt es sich eher um ein Denken, das aus den heidnischen Kulturen stammt, die um Israel herum lebten? Die Israeliten wollten offenbar mit Gott im Einklang leben und sahen in ihrer Umwelt bestimmte religiöse Praktiken. Diese haben sie für sich adaptiert. Doch innerbiblisch erkennt man, dass Gott immer mehr Licht ins Dunkel bringt und diese Praktiken dann überwunden werden.
Das geht so weit, dass bekannte deutsche Theologen wie Wilfried Herle sagen, Gott brauche kein Opfer – und schon gar kein Blutopfer. Diese Aussage steht zunächst für sich. Natürlich kann man im Kontext noch tiefer einsteigen, was er genau meint. Aber die Grundaussage lautet: Gott hat es nicht nötig, er braucht keine Opfer.
Thomas Breuer vertritt die Ansicht, dass ein Gott, der Menschenopfer fordert, nicht der gütige Vater sei, sondern eher der Gott Moloch. Moloch war im alten Israel eine Art Götze, der Menschenopfer von seinem Volk verlangte. Breuer sagt, wer in Jesus Christus ein notwendiges Opfer für Gott sieht, der verehrt nicht Jahwe, den Gott der Bibel, sondern Moloch. Das sei kein Gott, dem man vertrauen könne.
Diese steilen Thesen sind eine harte Kritik am Ursprung des Opferdenkens. Sie richten sich gegen die Vorstellung, die in evangelikalen Kreisen verbreitet wird und auf den ersten Büchern Mose beruht. Einige fragen, ob wir nicht schon bei den späteren Propheten des Alten Testaments eine massive Kritik an den Opferpraktiken erkennen. Die Propheten kamen ja nach den ersten Büchern Mose und kritisierten das, was mit den Opfern getrieben wurde, sehr deutlich.
Lesen wir gleich einige Passagen, die tief ins Eingemachte gehen, sehen wir darin einen progressiven Offenbarungscharakter der Heiligen Schrift. Diese Kritik zeigt, dass Gott sich im Alten Testament immer mehr offenbart. Über eine längere Zeitspanne hinweg wird immer mehr Licht auf Gott geworfen und man erkennt zunehmend, wie er ist.
Diese Offenbarung setzt sich bis ins Neue Testament fort, wo man Gott noch deutlicher erkennt und wo er sich immer mehr entfaltet in dem, wer er ist und was er von uns möchte.
Fällt euch eine Sache ein, die wir im Neuen Testament wissen, die Menschen im Alten Testament, vielleicht Mose, Abraham und so weiter, noch nicht wussten? Gemeinde, ja genau, es ist etwas Progressives, das sich erst später offenbart hat. Denkt zum Beispiel mal an die Dreieinigkeit: Vater, Sohn, Heiliger Geist.
Im Alten Testament wirst du niemanden gesehen haben, der gesagt hat: „Ich glaube an Vater, Sohn, Heiliger Geist.“ Sie haben an Vater, Sohn, Heiliger Geist geglaubt, weil sie an Jahwe geglaubt haben. Aber erst im Neuen Testament wurde uns das eröffnet. Es ist ein progressiver Offenbarungscharakter der Schrift, der immer mehr zutage tritt.
Und das führt zur Frage: Sind die Opferungen, die wir in den alten Büchern Mose lesen, nicht eigentlich hinfällig und eigentlich gar nicht Gottes Wille gewesen? Denn wir lesen in Psalm 51, König David: „Denn du hast kein Gefallen am Schlachtopfer, sonst gäbe ich es; Brandopfer gefällt dir nicht, kein Gefallen findest du daran.“
Auch in Jesaja 1,11 und 13 heißt es: „Wozu soll mir die Menge eurer Schlachtopfer dienen? spricht der Herr. Ich habe die Brandopfer von Widdern und das Fett der Mastkälber satt, und am Blut von Stieren, Lämmern und jungen Böcken habe ich kein Gefallen. Bringt nicht länger nichtige Speisopfer! Das Räucherwerk ist mir ein Gräuel. Neumond und Sabbat, das Einberufen von Versammlungen, Sünde und Festversammlungen ertrage ich nicht.“
In Amos 5,22 steht: „Denn wenn ihr mir Brandopfer opfert, missfallen sie mir, und an euren Speisopfern habe ich kein Gefallen, und das Heilsopfer von eurem Mastvieh will ich nicht ansehen.“
Micha 6,6-7 fragt: „Womit soll ich vor den Herrn treten, mich beugen vor dem Gott der Höhe? Soll ich vor ihm treten mit Brandopfern? Mit einjährigen Kälbern wird der Herr gefallen haben? An Tausenden von Widdern, an Zehntausenden von Bächen Öl? Soll ich meinen Erstgeborenen geben für mein Vergehen, die Frucht meines Leibes für die Sünde meiner Seele?“
Hier wird also die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser Opferhandlungen gestellt.
In Hosea 6,6 heißt es: „Denn an Güte habe ich gefallen und nicht an Schlachtopfern, und an der Erkenntnis Gottes mehr als an Brandopfern.“ Merkt ihr die Spannung? Im Alten Testament gab es viele Vorschriften zu diesem und jenem Opfer, und es musste alles richtig gemacht werden.
Jetzt kommen die Propheten und sagen: „Hey, ich will lieber Güte als ein Opfer. Wie sieht es mit eurer Barmherzigkeit aus? Lasst die Opfer sein! Ihr sollt mich repräsentieren, in meinen Qualitäten, in meinen Werten. Aber Opfer brauche ich nicht, das ist nicht das, was ich nötig habe.“
Einige gehen sogar so weit zu sagen, dass das Neue Testament diese Opferkritik der Propheten übernommen hat. Die Propheten im Alten Testament und auch die Autoren im Neuen Testament üben Kritik an den damaligen Opferungen.
In Hebräer 10,5-6 wird zitiert: „Schlachtopfer und Opfergabe hast du nicht gewollt, an Brandopfern und Sündopfern hast du kein Wohlgefallen gefunden.“
Hebräer 10,4 und 11 bringt das auf die Spitze, indem es sagt: „Denn unmöglich kann das Blut von Stieren und Böcken Sünden wegnehmen. Und jeder Priester steht täglich da, verrichtet den Dienst und bringt oft dieselben Schlachtopfer dar, die niemals Sünden hinwegnehmen können.“
Das ist komisch, oder? Wir haben eben gerade in 3. Mose gelesen, dass durch diese Opfer Sünde gesühnt wird, dass die Sünden weggetragen werden und dann futsch sind. Jetzt lesen wir aber im Hebräerbrief, also im Neuen Testament, etwas anderes.
Auch wenn du sagst: „Vom Alten Testament habe ich keine Ahnung, das Neue Testament aber schon ein bisschen, dem vertraue ich mehr als dem Alten Testament“ – es gibt so einige Christen, die sagen: „Moment mal, wie kann das Neue Testament sagen, dass unmöglich das Blut von Stieren und Böcken Sünden wegnehmen kann? Ist das nicht im Alten Testament geschehen? War das nicht ein Versprechen? Wie kann das jetzt plötzlich anders sein?“
Diese Verse lösen bei manchen ein großes Dilemma aus. Wie soll ich das Alte Testament lesen? Wie soll ich diese Anweisungen lesen? Wie soll ich das Versprechen auf Vergebung, auf Sündenwegnahme, auf Sühnung, Wiederherstellung und Wiedergutmachung der Beziehung zwischen Mensch und Gott verstehen, wenn das Neue Testament sagt, diese Dinge könnten gar keine Sühnung bewirken, sie könnten Sünde nicht wegnehmen?
So entsteht bei einigen die Frage, ob Propheten und neutestamentliche Autoren darin übereinstimmen, dass sie die Opferung als heidnisches Produkt entlarven. Dass das einfach nur eine menschliche Beschwichtigung eines rachesüchtigen Gottes sei.
Merkt ihr nicht, dass hier ein Gottesbild entsteht, dem hinterhergejagt wird? Ein Gottesbild, das total rachesüchtig ist und einfach nur kämpfen will. Und ihr versucht, ihn mit euren Opfergaben wie die Heiden ruhig zu stimmen, zu besänftigen.
Ja, ja, die würden nicht sagen, dass wir in dem Sterben Jesu keine Moral von der Geschichte haben. Jesus, Gott, macht sich eins mit dem Elend dieser Welt und setzt sich der Brutalität des Menschen aus, um zu zeigen: Ich bin nicht so wie ihr. Ich vergelte nicht Gleiches mit Gleichem, sondern die Liebe siegt über die Bosheit und den Hass dieser Welt.
Jeder, der Jesus am Kreuz sieht, wird sagen: „Das ist doch ein Vorbild, dem es sich lohnt nachzueifern.“ Und deswegen wollen wir in diesen Bund einsteigen und sagen: „Jawohl, auch so wollen wir leben. Wir wollen Liebe walten lassen und eben nichts Böses mit Bösem vergelten.“
So ist es, und ich vermute, alle, die jetzt gerade zugehört haben, würden sagen: Ja, das stimmt ja auch irgendwie, da ist ja auch etwas Wahres dran. Richtig, da ist auch etwas Wahres dran. Im Kreuz Jesu haben wir viele wahre Facetten.
Die Solidarität Jesu mit den Schwachen, Ausgebeuteten und Verletzten sehen wir im Kreuz. Wir sehen auch, dass Jesus Liebe über Hass wählt. Die Sache ist aber, dass diese Theologen dann so weit gehen, dass sie diese Dinge zwar richtig sehen, aber keine Sühne im Kreuz erkennen. Sie sehen kein Opfer im Kreuz in der Weise, dass Gott durch das Opfer wieder in Gemeinschaft mit uns kommt.
Gott vergibt, weil er vergeben will. Er braucht nichts dafür, er braucht keine Opferhandlung. Gott vergibt, weil er vergeben kann.
Es geht so weit, dass Matthias Drudowsky folgend schreibt: „So wurde und wird häufig argumentiert, infolge des Sündenfalls ist der Mensch getrennt von Gott, und nur ein vollkommenes Opfer kann die Beziehung zwischen Gott und Mensch wieder in Ordnung bringen. Hat eigentlich mal jemand gefragt, warum eine Opferhandlung dies erreichen können soll?“
„Gott vergibt, weil er ein gnädiger Gott ist, ohne dass Gott durch Töten und Blutvergießen milde gestimmt werden müsste. Um die Sünde der Menschen hinwegzunehmen, braucht es eigentlich keinen Opfer und keinen Geopferten.“
Ey, das ist so krass! Das schreibt hier ein Pastor einer Baptistengemeinde: Es braucht kein Opfer und es braucht keinen Geopferten.
In der letzten Einheit hatte ich mir sehr viel Mühe gegeben zu erklären, warum ein Sühneopfer notwendig ist, warum Jesus das Sühneopfer ist, warum Jesus der Geopferte ist und warum das lebensnotwendig ist.
Wenn jemand daherkommt und sagt, dieses ganze Denken eines Opfers ist für Gott obsolet, dessen Glaube ist obsolet. Wer das nicht glaubt, der glaubt nicht an Jahwe, der glaubt nicht an den Gott der Bibel, der glaubt nicht an das Evangelium.
Es ist eine Botschaft, die aus eigener Weisheit resultiert, aber unmöglich sich gründen kann auf das, was Jesus selbst über sich gesagt hat und was auch die Apostel über Jesus gelehrt haben.
Dennoch stellt sich die Frage, wie wir mit dem Wort im Hebräerbrief umgehen sollen, das besagt, dass die Opferung, etwa von Tieren, und das Blut auf der Stirn keine Sünden hinwegnehmen kann.
Wir müssen verstehen, dass die Opferungen nicht isoliert betrachtet werden können. Vielmehr hat Gott eine Heilsgeschichte, und im Zentrum dieser Geschichte steht das Kreuz. Wir blicken zurück auf das Kreuz. Im Alten Testament haben die Menschen auf den Messias gewartet. Alles, was sie taten, wies nach vorne auf ihn hin. Alles, was wir heute tun, zeigt zurück auf das Kreuz. Natürlich weist es auch nach vorne, in dem Sinne, dass Jesus Christus wiederkommen wird.
Unser Heil, unsere Errettung und unsere Beziehung zu Gott beruhen auf einem Ereignis in der Vergangenheit. Im Alten Testament lag der Grund für alles, was sie taten, in der Zukunft. Deshalb hat der Hebräerbrief Recht, wenn er sagt, dass das Blut auf der Stirn keine Sünden hinwegnehmen kann. Allein und isoliert betrachtet, ohne Jesus Christus als den neuen Mittler und wahren Hohenpriester, ist all das nichtig.
In den Tagen, als auch Juden lebten und wirkten und mit der Botschaft des Evangeliums konfrontiert wurden, bedeutete das: Wenn du Jesus Christus nicht glaubst und nicht annimmst, ist all dein Opferbringen damals null und nichtig. Denn alles mündet in Jesus Christus.
Die Opfer der Tiere, die im Alten Testament gegeben wurden, konnten die Sünden nicht dauerhaft, nicht vollständig und vollkommen beseitigen. Tiere können keine bleibende Sühne schaffen. Darum geht es im Hebräerbrief. Diese Opfer mussten immer wiederholt werden. Es gab kein Gefühl von Freiheit von diesem Prozedere.
Ich habe es schon an anderer Stelle gesagt: Es ist wichtig, diese Texte zu lesen, um zu verstehen, wie mühselig das alles war. Mich ermüdet und ermattet es, das zu lesen. Und das soll uns auch Freude bereiten, denn Jesus Christus hat das alles vollbracht. Das, was so mühevoll immer wieder vor Augen geführt wurde, ist in Jesus einmalig und endgültig vollbracht. In ihm sind wir absolut frei davon, weil Jesus das einmalige Opfer ist.
Darum lesen wir in Hebräer 10,1: „Denn das Gesetz hat einen Schatten der zukünftigen Güter, nicht das Ebenbild selbst.“ Es ist nur ein Schatten des Originals, aber nicht das Original selbst, das wir im Gesetz lesen. Deshalb können dieselben Schlachtopfer, die alljährlich dargebracht werden, die Gläubigen nicht für immer vollkommen machen.
Das ist der Punkt im Hebräerbrief. Wir müssen den ganzen Kontext erfassen, was der Hebräerbrief kommunizieren möchte, der übrigens absolut zentral für dieses Thema ist. Zusammen mit dem Römerbrief ist er der wichtigste Brief zu diesem Themenkomplex und hat am meisten dazu zu sagen.
Das Gesetz ist ein Schatten dessen, was zukünftig ist, aber noch nicht das zukünftige Selbst. Die Schlachtopfer, die alljährlich dargebracht wurden, können die Menschen, die zu Gott kommen wollen, nicht für immer vollkommen machen. Es ist immer wieder dasselbe, immer wieder und wieder, ohne Ruhe, ohne Sabbat.
Die Wirksamkeit der Opfer ist voll und ganz abhängig von der Rettungstat durch Jesus Christus. Jesus ist die Erfüllung aller Hoffnungen auf Vergebung. Ohne Jesus gibt es keine Hoffnung.
Deshalb ist es richtig zu sagen, dass auch Menschen im Alten Testament, die geopfert haben, allein durch Jesus Christus errettet sind, auch wenn sie ihn vom Namen her nicht kannten. Sie kannten jedoch die uralten Verheißungen.
Jesus wurde bereits im ersten Buch Mose 3,15 im Sündenfall verheißen. Dort heißt es, dass jemand kommen wird, der der Frau nachfolgt und der Schlange den Kopf zertreten wird. Das nennt man das Urevangelium. Hier wird schon angekündigt, dass jemand kommen wird.
Lass uns noch kurz in Hebräer Kapitel sieben hineinspringen. Vielleicht hast du dort noch einen Gedanken.
Der Unterschied, den ich beim letzten Mal schon versucht habe darzulegen, liegt darin, dass im Alten Testament durch die Opferhandlung niemals der Mensch versucht hat, Gott dadurch gefügig zu machen oder ihn zu überreden, in Gnade zu handeln, weil er ein makelloses Opfer bringt.
Ich habe versucht aufzuzeigen: Die Rettung kommt immer von Gott allein. Das bedeutet, Gott sagt: Hier gibt es einen Ausweg, und ich zeige dir, wie hoch der Preis für Schuld ist – Leben für Leben, Blut für Blut. Du kannst nicht einfach mit einem Einfall kommen, was du bringen könntest.
Wenn du selbst mit deinen Produkten kommst – wie es bei Nadab und Abihu der Fall war – dann hat das böse Konsequenzen. Wenn du versuchst, auf eigene Weise Gott zu nähern, funktioniert das nicht.
Stattdessen bietet Gott dir einen Ausweg, den du gehen kannst. Das zeigt, dass dieser Ausweg immer Gnade von Gott ist. Gott schafft den Weg, in den der Mensch hineingehen kann.
In anderen Religionen geht es hingegen immer vom Menschen aus. Dort versucht der Mensch mit seinen Leistungen, die er sich selbst erdacht hat, Gott gnädig zu stimmen.
Aber das ist niemals der Weg Gottes, nie! Wir können nämlich von uns aus gar nichts bringen.
Indem Gott dieses Opfersystem einführt, zeigt er, wie ihr einen Ausweg schaffen könnt. Gleichzeitig weckt er in euch die Sehnsucht nach dem Erlöser, nach dem Messias, der kommen soll.
Lassen Sie uns noch kurz in Hebräer 7 einsteigen, und zwar die Verse 18 bis 19 sowie 25 bis 27.
Denn aufgehoben wird zwar das vorherige Gebot wegen seiner Schwachheit und Nutzlosigkeit. Das Gesetz hat nichts zur Vollendung gebracht. Dieser Gedanke wird hier eingeführt, aber es wird eine bessere Hoffnung vorgestellt, durch die wir uns Gott nahen.
Hier zeigt sich der Unterschied zwischen dem alten Gebot, dem alten Gesetz, dem alten Bund und der neuen Hoffnung, die wir im Neuen Bund durch Jesus Christus haben.
Daher kann er auch völlig retten, die sich durch ihn Gott nahen, weil er immer lebt, um sich für sie einzusetzen. Ein solcher hoher Priester passt auch zu uns: heilig, sündlos, unbefleckt, abgesondert von den Sündern und höher als die Himmel geworden.
Er muss nicht Tag für Tag, wie die Hohenpriester zuerst für die eigenen Sünden und dann für die des Volkes Schlachtopfer darbringen. Könnt ihr euch erinnern? Jom Kippur – genau darauf spielt Hebräer 7 total an.
Denn dies hat er ein für allemal getan, als er sich selbst dargebracht hat. Nicht wie damals zuerst für sich selbst und dann für die anderen, sondern diesmal bringt er sich selbst endgültig dar.
Jesus Christus ist der Stellvertreter. Mein guter Freund Markus Till schreibt dazu wunderbar: Die Wirksamkeit der Opfer lag demnach in der Vorausschau auf den wirksamen Opfertod Jesu.
Genau wie heute für uns Christen das Abendmahl wirksam ist – in der Rückschau und in der Erinnerung an das von Jesus vergossene Blut.
Es dreht sich alles um das Evangelium. Das Kreuz steht im Zentrum – also das Kreuz ist geschehen, natürlich immer mitgedacht mit der Auferstehung. Denn wenn Jesus nicht auferstanden wäre, dann wären wir alle hoffnungslos verloren.
Es ist also immer mitgedacht, dass Jesus auch auferstanden ist.
Abschließend möchte ich noch aus dem Hebräerbrief, Kapitel 9, die Verse 11 bis 14 vorlesen. Hier sehen wir, wie der Autor ganz bewusst Bezug auf den Versöhnungstag aus 3. Mose 16 nimmt. Er zeigt in diesen Versen, dass Jesus dauerhafte Vergebung schafft, was die alten Schlachtopfer nicht leisten konnten.
Christus aber ist als Hoherpriester der zukünftigen Güter gekommen. Er ist durch das größere und vollkommenere Zelt hineingegangen, das nicht mit Händen gemacht ist, also nicht von dieser Schöpfung stammt. Nicht mit dem Blut von Böcken und Kälbern, sondern mit seinem eigenen Blut hat er ein für allemal das Heiligtum betreten und uns eine ewige Erlösung erworben.
Hier geht es also um die Dauerhaftigkeit und das Vollkommene. Es geht um die ewige Erlösung, die durch dieses Blut erworben wird. Deshalb ist der Hebräerbrief gerade in diesen Tagen für Juden so eindrücklich zu lesen. Es heißt: Alles andere ist nichtig, denn das Einmalige, worauf alles hingewiesen hat, ist bereits gekommen. Setzt euer Vertrauen in Jesus.
Wenn du das Eigentliche, das Original siehst, warum hältst du an dem Schatten fest? Der Schatten gab nur einen Vorgeschmack auf das, was noch größer ist. Warum gibst du dich mit dem Kleinen zufrieden, wenn du das Große haben kannst?
Denn wenn das Blut von Böcken und Stieren sowie die Asche einer Jungkuh, die auf die Unreinen gesprengt wurde, zur Reinheit des Fleisches heiligt, wie viel mehr wird dann das Blut Christi, der sich selbst durch den ewigen Geist als fehlerloses Opfer Gott dargebracht hat, euer Gewissen reinigen von toten Werken, damit ihr dem lebendigen Gott dienen könnt.
Ihr seht also, dass das, was im Alten Testament getan wurde, für den Moment eine reinigende Wirkung hatte. Doch es geschah in der Vorausschau auf Christus. Jetzt habt ihr den Christus, der nicht wie ein Stier ist, sondern der Messias selbst, der sich selbst gegeben hat. Er kann euer Gewissen völlig von toten Werken reinigen.
Und dennoch bleibt an dieser Stelle die Frage: Wenn wir sehen, dass das Neue Testament das nicht per se kritisiert, sondern sagt, es habe auf eine Erfüllung gewartet und Jesus größer sei als all diese Opferhandlungen – die Erfüllung von all diesen Dingen –, was machen wir dann mit der vielfachen Opferkritik der Propheten? Denn diese ist durchaus deutlich.
Die Propheten haben nie einfach die Opferhandlung an sich kritisiert. Rainer, bitte.
Genau darum geht es. Und das ist wichtig, wenn man solche Theorien hört, wie wir sie heute behandeln. Das ist ja für euch alles nichts Neues, mehr oder weniger, vielleicht ein paar Details. Aber ich versuche, euch nicht von etwas zu überzeugen, was ihr noch nicht glaubt. Es ist wichtig, sich mit diesen Grundlagen zu beschäftigen, weil ihr vielleicht vor und auch an meiner Rhetorik merkt: Da wird ein rachesüchtiger Gott gezeichnet. Man denkt: Oh, das ist irgendwie unangenehm, da möchte ich eigentlich nicht in diesem Bild sein, das gerade gezeichnet wird.
Vielfach geschieht Theologie auch über Rhetorik, indem mit ihr eine Abneigung oder ein Bild erzeugt wird. Die Frage ist dann: Willst du zu diesem Bild dazugehören, das gerade gezeichnet wird? Die Antwort ist oft: Nein, eigentlich nicht. Aber ich biete eine Lösung an. Man muss sich also mit der Thematik beschäftigen, um darauf Antworten zu finden.
Okay, Moment. Es gibt Kritik an den Opfern, aber wird das Opfer an sich kritisiert? Wird das Gesetz des Mose kritisiert? Nein, es ist die Herzenshaltung, genau das ist es.
Wir hatten vorhin in Psalm 51 gelesen, dass Schlachtopfer nicht gefallen. Vielleicht könnt ihr euch erinnern: Psalm 51 beschreibt, wie David überführt wurde, weil er das Gesetz gebrochen hatte, Ehebruch begangen und einen Mord geplant hatte. Er ist zerknirscht, weil er von seiner Sünde überführt ist, und sagt, mal ganz platt gesagt, dass der Gottesdienst Gott nicht gefällt.
Der Psalm endet in Psalm 51 mit den Worten, die ich jetzt nicht auf der Folie habe. David sagt dort in Vers 18: „Denn du hast kein Gefallen an Schlachtopfern, sonst gäbe ich sie dir. Brandopfer gefallen dir nicht. Die Opfer Gottes sind ein zerbrochener Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten.“
Es geht genau in die Richtung, die Rainer gerade genannt hat: Es geht um die innere Haltung, die ich an den Tag lege.
Aber der Psalm ist an dieser Stelle nicht zu Ende. Er endet mit den Worten: „Dann wirst du Gefallen haben an rechten Opfern, Brandopfern und Ganzopfern, dann wird man Stiere auf deinem Altar darbringen.“ Am Anfang gefallen die Opfer also nicht, aber wenn wir innerlich mit Gott unterwegs sind, wirst du auch Gefallen haben an all der Ordnung, die du gegeben hast.
Es besteht eine Diskrepanz zwischen einem gottlosen Leben und einem heiligen Gottesdienst. Nur weil ich Zeremonien und Rituale durchführe und denke, nur weil ich in diesem Prozedere bin und es mechanisch durchführe, bin ich nicht automatisch heil. Es muss immer mit dem Herzen verbunden sein.
Das gleiche Problem haben wir auch heute. Nur weil ich in einer Kirche in Bangkok sitze oder das Abendmahl empfange, heißt das noch nicht, dass das geistlich einen positiven Effekt auf mich hat. Es muss sich mit unserem Herzen verbinden, ansonsten ist es sinnlos.
Das ist das eine: Die Propheten kritisieren einen heiligen Gottesdienst, der ohne ein heiliges Leben oder eine aufrichtige Haltung einhergeht.
Wichtig an dieser Stelle ist, wie die Propheten damit umgehen. Wir haben in Jesaja gerade gelesen, dass die Opferung in Israel kritisiert wird. Aber Jesaja selbst ist sehr davon überzeugt, dass es ein Opfer braucht, dass ein Opfer nötig ist.
Und jetzt kommen wir zu einer entscheidenden Passage, der wir nicht ausweichen können: Jesaja 53. Dort prophezeit Jesaja von einem sogenannten Gottesknecht. Im Jesajabuch gibt es sogenannte Gottesknechtslieder, so nennt man sie in der theologischen Literatur. Darin ist von einer Figur die Rede, die heilbringend sein und leiden wird.
Jesaja 53 ist die Kardinalpassage, in der wir sehen, dass Jesaja zwar die Opfer kritisiert hat, aber zugleich ein Opfer verkündet, das noch kommen wird.
Wir werden uns jetzt diese zwölf Verse anschauen. Ich möchte euch zeigen, inwiefern diese Verse auch in Jesus Christus ihre Erfüllung gefunden haben. Denn in Jesaja 53, wo Jesaja über eine Opferhandlung spricht, sieht er ein stellvertretendes Opfer für Schuld.
Wir hatten vorhin gehört, dass ein Pastor gesagt hat, es brauche keinen Geopferten, kein Opfer für Gott. Jesaja 53 predigt das genaue Gegenteil: Es braucht ein Opfer und es braucht auch einen Geopferten.
Und wir werden sehen, wenn wir gleich durch diese Verse gehen, wie sehr Jesaja 53 mit dem Neuen Testament und der Person Jesu verwoben ist.
Wir werden jetzt die zwei Verse lesen. Dabei werde ich immer wieder kurz innehalten und auf der rechten Seite Bibelverse aufschreiben, die Zitate, Hinweise und Verbindungen ins Neue Testament enthalten.
Jesaja 53, Vers 1: Wer hat unserer Verkündigung geglaubt? An wem ist der Arm des Herrn offenbar geworden? Schon die erste Zeile „Wer hat unserer Verkündigung geglaubt?“ ist in Johannes 12, Vers 38 ein Zitat, das sich auf den Dienst Jesu bezieht – also ein direktes Zitat.
„Er ist wie ein Trieb vor ihm aufgeschossen und wie ein Wurzelspross aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und keine Pracht, und als wir ihn sahen, da hatte er kein Aussehen, dass wir Gefallen an ihm gefunden hätten.“ Diesen ganzen Passus möchte ich markieren und verweise auf Matthäus 1, Vers 23 sowie Johannes 1, Vers 46. Einige können sich hoffentlich noch an die Predigt erinnern, in der ich davon sprach, dass Matthäus sagt: „Wie geschrieben steht, wird er der Nazaräer genannt werden“ oder der Nazarener. Doch wir finden dafür kein Wort im Alten Testament.
Wir wissen jedoch durch Johannes 1, Vers 46, dass Nazareth als unbedeutend galt. Man dachte so etwa: „Was soll aus Nazareth schon Gutes kommen?“ Genau das spiegelt sich in Jesaja 53, Vers 2 wider. Dort wird beschrieben, dass diese Person wenig Ansehen hat und man denkt: „Was soll das eigentlich?“ An anderer Stelle heißt es auch, dass er Zimmermann war, dass er unter uns lebte und nichts Besonderes war.
Darum geht es hier: keine Gestalt, keine Pracht, dass wir Gefallen an ihm gefunden hätten. Er war verachtet und von den Menschen verlassen, ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut, wie einer, vor dem man das Gesicht verbirgt. Er war verachtet, und wir haben ihn nicht geachtet. Ich markiere hier den Begriff der Verachtung, der auch in Markus 9, Vers 12 verwendet wird. Dort sagt Jesus, dass der Menschensohn verachtet werden soll. Auch hier also wieder ein Link.
„Jedoch unsere Leiden hat er getragen und unsere Schmerzen hat er auf sich geladen.“ Genau dieser Vers wird in Matthäus 8, Vers 17 verwendet. Matthäus bezieht dieses Zitat auf den Heilungsdienst Jesu und sagt, dass sich dieses Wort im Heilungsdienst Jesu erfüllt hat.
„Wir aber hielten ihn für bestraft, von Gott geschlagen und niedergebeugt. Doch er war durchbohrt um unserer Vergehen willen, zerschlagen um unserer Sünden willen. Die Strafe lag auf ihm zu unserem Frieden, und durch seine Striemen ist uns Heilung geworden.“ Dass dieses Wort natürlich absolut auf die Kreuzigungsszene passt, ist klar, das muss ich nicht extra markieren. Aber ich möchte hier besonders „Durch seine Striemen ist uns Heilung geworden“ markieren, denn genau das wird in 1. Petrus 2, Vers 24 zitiert.
In der nächsten Zeile heißt es: „Wir alle irrten umher wie Schafe, wir wandten uns jeder auf seinen eigenen Weg, aber der Herr ließ ihn treffen unsere aller Schuld.“ Auch das wird zitiert in 1. Petrus 2, Vers 25.
„Er wurde misshandelt, aber er beugte sich; er tat seinen Mund nicht auf, wie das Lamm, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern, und er tat seinen Mund nicht auf.“ Ich nehme hier „und er tat seinen Mund nicht auf“ hervor. Genau das sehen wir in Markus 14, Vers 61, wo Jesus befragt wird und schweigt.
„Aus Bedrängnis und Gericht wurde er hinweggenommen.“ Diese Formulierung verwendet Jesus in Markus 2, Vers 20, wo er sagt: „Es kommt der Moment, wo der Bräutigam hinweggenommen wird, und dann werden meine Jünger fasten.“ Ihr kennt vielleicht diese Geschichte.
„Und wer wird über seine Generation nachsinnen? Denn er wurde abgeschnitten vom Land der Lebendigen.“ Ich möchte hier eine Klammer setzen für die Verse 7 und 8, denn diese werden zitiert in Apostelgeschichte 8, Verse 32 bis 33. Dort wird die Geschichte vom Äthiopier, dem Kämmerer, erzählt, der sich auf dem Weg taufen lässt. Ihr kennt diese Geschichte bestimmt. Diese Verse werden dort zitiert, und Philippus verkündigte ihm aufgrund dieser Verse das Evangelium. Philippus war also klar, dass Jesaja 53 von Jesus spricht.
„Wegen des Vergehens seines Volkes hat ihn Strafe getroffen.“ Hier haben wir das stellvertretende Leiden des Geopferten. „Man gab ihm bei Gottlosen sein Grab, aber bei einem Reichen ist er gewesen in seinem Tod, weil er kein Unrecht begangen hat und kein Trug in seinem Mund gewesen ist.“
„Bei Gottlosen sein Grab“ verweist auf Markus 15, Vers 46, wo es heißt, dass Jesus ohne vorbereitende Einbalsamierung wie ein Verbrecher begraben wurde. Er hätte eigentlich viel früher gesalbt werden müssen, nicht erst nach dem Tod, wie es bei normalen Bürgern üblich war. Jesus wurde wie ein Verbrecher behandelt.
„Aber bei einem Reichen ist er gewesen in seinem Tod.“ Hier denke ich an Josef von Arimathäa, der wohlhabend war und Jesus das Grab gab. Das wäre ebenfalls ein Link.
„Kein Trug in seinem Mund gewesen.“ Auch das wird von Petrus in 1. Petrus 2, Vers 22 zitiert.
„Doch dem Herrn gefiel es, ihn zu zerschlagen. Er hat ihn leiden lassen. Wenn er sein Leben als Schuldopfer eingesetzt hat, wird er Nachkommen sehen, er wird seine Tage verlängern, und was dem Herrn gefällt, wird durch seine Hand gelingen.“
Diese Passage zeigt, dass Gott handelt und sich ein Opfer aussucht. Es gibt einen Geopferten. Er wird Nachkommen sehen und seine Tage verlängern. Das erinnert an Johannes 10, Verse 15 und 17, wo Jesus sagt: „Ich lasse mein Leben für die Schafe, und ich werde mein Leben auch wieder nehmen.“ Hier wird das Sterben und auch das Auferstehen Jesu prophezeit.
Man merkt, auch im Neuen Testament gibt es eine progressive Offenbarung. Uns wird mehr Licht für diese Verse gegeben. Jesaja wusste vielleicht noch nicht im Detail, was das genau bedeutet. Aber hier sehen wir einen Schatten dessen, was im Evangelium klar wird.
Gehen wir weiter: „Um der Mühsal seiner Seele willen wird er Licht sehen, er wird sich sättigen. Durch seine Erkenntnis wird der Gerechte, mein Knecht, den Vielen zur Gerechtigkeit verhelfen, und ihre Sünden wird er sich selbst aufladen.“
Für mich ist das wirklich das Einmaleins. Ich verstehe nicht, warum manche das nicht verstehen können, dass das etwas mit Jesus zu tun haben könnte und mit der Sühneopfertheologie.
„Darum werde ich ihm Anteil geben unter den Großen, und mit Gewaltigen wird er die Beute teilen, dafür, dass er seine Seele ausgeschüttet hat in den Tod und sich zu den Verbrechern zählen ließ. Er aber hat die Sünde vieler getragen und für die Verbrecher Fürbitte getan.“
Hier sehen wir einige Verweise: Er ließ sich zu den Verbrechern zählen, und er tut Fürbitte für die Verbrecher. Das „Beute teilen“ bezieht sich auf Jesus und seinen Befreiungsdienst, wie er Dämonen austreibt und den Starken überwindet. Das, was er im Besitz hatte, beansprucht er für sich und teilt die Beute.
„Er ließ sich zu den Verbrechern zählen“ lesen wir in Lukas 22, Vers 37. Dass Jesus am Kreuz Fürbitte tut für die Sünder, die nicht wissen, was sie tun, lesen wir in Lukas 23, Vers 34.
Kurz im Überblick: In meinem Theologiestudium hatte ich ein Seminar über die Gottesknechtslieder im Jesaja. Das Resümee war: Wir werden wohl niemals erfahren, wer dieser Gottesknecht in Wahrheit sein soll.
Lesen wir Jesaja 53 aufmerksam und gehen wir dann ins Neue Testament, sehen wir, dass jeder Vers, manche sogar mehrfach, im Neuen Testament erwähnt werden. Immer mit direktem Bezug auf das Sterben Jesu und sein Auferstehen.
Wie man an dieser Stelle sagen kann: Gott hat nicht geplant, dass es ein Opfer braucht, und dass es einen Geopferten geben muss, bleibt mir wirklich ein Rätsel. Im Alten Testament sehen wir Opferkritik, doch die betrifft immer die Herzenshaltung.
Jesaja betont sogar, dass es dieses Opfer braucht. Er gibt schon einen Schattenhinweis darauf, dass wir irgendwann von den Opferritualen, die wir jedes Jahr bringen, und vom Versöhnungstag befreit werden. Denn dieser Gottesknecht wird kommen, und ihn wird unsere Schuld treffen. Er wird durchbohrt werden – und all das erfüllt sich laut dem Neuen Testament in Jesus in jeder Facette.
An dieser Stelle gibt es für einige ein Problem, das uns die letzten Minuten beschäftigen wird. Ich werde es gleich ansprechen.
Wenn du mit einem Juden sprichst und ihn evangelisieren willst, ist das nicht ganz einfach. Juden sind in der Regel besser mit dem Alten Testament vertraut als wir. Aber Jesaja 53 ist ein guter Einstieg. Du kannst einfach sagen: „Hier wird etwas verheißt, und ich sehe jemanden, in dem das erfüllt wurde. Ich kann nicht alle deine Fragen zum alttestamentlichen Gesetz beantworten, aber ich habe Jesaja 53. Dieses Kapitel ist in jedem Vers so wasserdicht, dass es mir Halt gibt. Vielleicht wird es auch dein Halt und dein Heil sein.“ Dann ist die Sache erledigt.
Jesus kann so ein einfaches Bekenntnis gebrauchen, um seine jüdischen Mitmenschen zu sich zu ziehen. Also keine Angst, wenn jemand vor dir sitzt, der mit dem Alten Testament sehr vertraut ist und dich herausfordert. Jesaja 53 ist ein guter Anfang.
Zu Beginn habe ich die Frage gestellt, die Thema heute ist: Jesu Sühneopfer – ein Ausdruck der Liebe Gottes. Diese Frage haben wir noch nicht beantwortet. Selbst wenn wir verstehen, dass Jesus Menschen durch sein Opfer mit Gott versöhnt, dass wir in Jesus einen Sündenbock haben und sagen können: „Das ist unser Sündenbock, wir sind frei“, stellt sich für manche, die das hören, die Frage: „Moment mal, was ist mit diesem armen Jesus? Was kann er dafür? Das ist unfair, das ist ungerecht. Gott sitzt im Himmel und sagt: ‚Dich wähle ich aus, Jesus, du machst das mal, du bezahlst für alles, was die anderen gemacht haben. Die anderen können jubeln und von der Party gehen, aber was ist mit ihm? Das ist doch nicht gerecht. Was ist das für ein Gott?‘“
Wir haben vorhin gehört: So einem Gott kann man nicht vertrauen. Es gibt auch Menschen, die sagen: „Ich kann nicht an einen Gott glauben, der seinen Sohn opfert.“ Tatsächlich ist das vor kurzer Zeit in einer Baptistengemeinde passiert. Jemand sagte: „Ich kann nicht an einen Gott glauben, der seinen Sohn opfert.“
Was ist das Problem? Es ist ja hochemotional. Da steht jemand von außen und sagt: „Du, ich wähle dich aus, du leidest.“ Das erzeugt in uns ein gewisses Unbehagen. Wir können verstehen, dass jemand damit zu kämpfen hat. Was ist das für ein Gott, der einen Menschen als Stellvertreter erwählt und dann opfert?
Aufgrund solcher Gedanken und Fragestellungen verabschieden sich einige von der ganzen Glaubenswahrheit der Sühne und predigen sie dann faktisch auch nicht. Darum müssen wir uns die allerwichtigste Frage stellen: Wen wählt Gott als Stellvertreter?
Wir wissen, dass es Jesus ist – so weit sind wir schon gekommen. Aber das reicht noch nicht, das ist die oberflächliche Antwort. Wer ist Jesus? Wenn wir auf diese Frage eine Antwort finden, wer dieser Stellvertreter eigentlich vom Wesen her ist, dann werden wir merken, dass es moralisch und ethisch nicht verwerflich ist, wenn der Herr den Messias zerschlägt und Gefallen daran hat, ihn für unsere Schuld zu zerschlagen.
Ich möchte euch kurz in Hebräer 9,15-17 entführen, weil wir dort schon einige Verse gelesen haben und auch den Vergleich zwischen Altem und Neuem Testament. Das Alte Testament konnte nichts vollenden, nichts zur Vollendung führen. Aber im Neuen Testament, der neuen Hoffnung in Jesus Christus, haben wir einen Neuanfang und, wie wir hier lesen werden, einen neuen Bund.
Der Hebräerbriefschreiber gibt uns eine Idee: Ja, Jesus ist der Stellvertreter, aber wer ist Jesus überhaupt? Hebräer 9,15-17:
„Darum ist er, also Jesus, Mittler eines neuen Bundes, damit durch seinen Tod die Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund geschehen ist, und die Berufenen die Verheißung des ewigen Erbes empfangen.“
Noch einmal: Darum ist er Mittler eines neuen Bundes, damit die Berufenen die Verheißung des ewigen Erbes empfangen.
Jesus hat etwas Neues initiiert, einen neuen Bund in seinem Blut gegründet, damit die Berufenen die Verheißung des ewigen Erbes empfangen. Durch seinen Tod ist die Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund geschehen.
Die Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund – im ersten Bund wird gesagt, was unsere Sünde bewirkt: den Tod. Deswegen haben wir allein im Alten Bund keine Hoffnung. Aber durch das stellvertretende Sterben haben wir die Erlösung von den Übertretungen und auch das ewige Erbe empfangen.
Jetzt kommt ein Vergleichsbild, das der Autor verwendet, um zu beschreiben, was hier passiert, und das uns auch einen Hinweis darauf gibt, wer dieser Jesus eigentlich ist.
Denn wo ein Testament ist, da muss notwendig der Tod dessen eintreten, der das Testament gemacht hat.
Kennt ihr dieses Prinzip? Manche warten vielleicht darauf, dass endlich Mama oder Papa das Testament freigibt, indem sie sterben. Ich hoffe, dass das niemand denkt. Aber der verlorene Sohn hat genau das eigentlich gewollt: „So, Papa, du musst eigentlich für tot erklärt sein, weil ich schon dein Erbe jetzt haben will.“
Wir wissen, es muss die Person sterben, damit das Testament in Kraft tritt. Ein Testament ist gültig, wenn der Tod eingetreten ist, denn es hat niemals Kraft, solange der lebt, der das Testament gemacht hat.
Der Autor illustriert mit diesem Bild des Testaments, dass das Vermächtnis des Testaments – ewiges Leben, Vergebung unserer Übertretungen – erst empfangen wird, wenn der stirbt, der das Testament gemacht hat.
Der alte Bund, das Alte Testament, ist von wem gemacht? Von Gott. Aber der, der das Testament gemacht hat, muss sterben.
Wer ist gestorben? Jesus.
Wer ist Jesus? Jesus ist Gott.
Also alle alttestamentlichen Hoffnungen des Alten Testaments, des Alten Bundes auf Erlösung und Ewigkeit, die Gott gegeben hat, treten erst in Kraft, wenn Gott freiwillig in den Tod geht.
Darum kann Paulus in 1. Korinther 2,8 sagen, dass jemand gekreuzigt wurde – niemand anderes als der Herr der Herrlichkeit.
Gott sucht sich nicht einfach irgendein Objekt aus und macht daraus eine leichte Nummer, die moralisch tatsächlich fragwürdig wäre. Stattdessen sehen wir den Herrn der Herrlichkeit am Kreuz.
Deshalb ist es ein Problem, wenn Pastoren so etwas sagen wie: „Ich kann nicht verstehen, wie ein Vater seinen Sohn opfert.“ Das zeigt, dass wir zu wenig Verständnis von der Dreieinigkeit haben.
Diese Vorstellung entkoppelt völlig den Sohn vom Vater. Sie sind zwar zu unterscheidende Personen, aber sie sind eins in ihrem Wesen. Sie sind beide Gott, sind alle drei Gott. Das bedeutet, der Plan der Erlösung liegt im Herzen aller drei.
Weil es der Plan Gottes ist und Jesus Christus ja selbst Gott ist, hat er denselben Wunsch, diesen Plan zu erfüllen, den der Vater hat und wozu der Vater den Sohn sendet.
Deshalb ist es wichtig, zum Beispiel diese Verse zu kennen: Philipper 2,6-8.
Jesus Christus, der in Gestalt Gottes war und es nicht für einen Raub hielt, Gott gleich zu sein.
Das bedeutet, Jesus hielt nicht daran fest, Gott gleich zu sein, als etwas, das er für sich beansprucht. Er blieb nicht einfach in seiner himmlischen Stellung, sondern entäußerte sich und nahm Knechtsgestalt an. Er wurde den Menschen gleich und wurde in der Gestalt eines Menschen gefunden. Er erniedrigte sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz.
Jesus Christus ist also nicht einfach nur ein Opfer, das unglücklich in diese Situation geraten ist und unfreiwillig darin steckt. Gott selbst hat einen Entschluss gefasst. Der Vater sendet den Sohn, der Sohn geht, und er erniedrigt sich selbst. Er will das, er handelt aktiv.
Kolosser 2,9 sagt:
„Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig.“
In diesem Jesus, diesem sogenannten Gottmensch, der sowohl vollkommen Gott als auch vollkommen Mensch ist, wird die Versöhnung bewirkt. Er stirbt am Kreuz.
Kolosser 1,19-20 sagt noch einmal:
„Denn es gefiel der ganzen Fülle, in ihm zu wohnen und durch ihn alles mit sich zu versöhnen, indem er Frieden machte durch das Blut seines Kreuzes, durch ihn, sei es was auf der Erde oder was in den Himmeln ist.“
Das Neue Testament beschreibt immer wieder, dass der Vater seinen Sohn sendet und dass der Vater seinen Sohn gibt oder hingibt. Aber Jesus sagt zugleich: „Ich bin gekommen.“ Der Vater sendet mich, aber ich bin gekommen. Der Vater gibt den Sohn, aber Jesus sagt selbst: „Ich gebe mein Leben und nehme es wieder zurück.“
Jesus ist also in einer ähnlichen Vollmachtstellung wie der Vater selbst, weil er natürlich auch Gott ist.
Darum sagt Jesus auch: „Glaub mir, dass ich in dem Vater bin und der Vater in mir ist.“ Die beiden sind verschlungen, verwoben, sie sind eins.
Sie sind natürlich nicht austauschbar – das ist das Schwierige am Konzept der Dreieinigkeit. Der Vater hing nicht am Kreuz, das war der Sohn.
Aber der Sohn und der Vater sind völlig eins in dem Entschluss, das Sühneopfer zu bringen.
Wenn wir dann einen Propheten wie Jesaja lesen, der vom Geist Christi getrieben ist und sagt, dass es dem Herrn gefällt, den Knecht Gottes zu zerschlagen, dürfen wir nicht die Vorstellung haben, dass Jesus eigentlich unwillig ist, das zu tun, oder dass Jesus irgendwie überredet werden müsste, einen rachsüchtigen Gott zu besänftigen, damit er das Opfer annimmt.
Nein, es ist der Weg, der einzige Weg zur Erlösung.
Wille, Liebe und Gnade stimmen beim Sohn und Vater überein, sie sind nicht voneinander getrennt.
Das bedeutet: In Christus nimmt Gott die Strafe auf sich, die er verhängt hat. Gott verhängt eine Strafe, die gerecht ist, aber er schuldet sie sich selbst.
Der Richter selbst übernimmt die Rolle des unschuldigen Opfers.
Deshalb ist es nicht unmoralisch, an einen Stellvertretertod zu glauben, der uns Rettung gibt.
Es ist nicht verkehrt zu sagen, dass der Vater den Sohn für uns bluten ließ. Das ist nichts Seltsames, denn der Vater leidet mit seinem Sohn mit.
Es ist etwas, das Gott betrifft, das hier am Kreuz geschieht.
Ich weiß nicht genau, wie man den Namen ausspricht – R. W. Dale sagt vermutlich:
Die geheimnisvolle Einheit des Vaters und des Sohnes machte es Gott möglich, das Strafleiden gleichzeitig zu erdulden und zu verhängen.
Also: Jesus’ Sühneopfer ist ein Ausdruck der Liebe Gottes. Gott gibt sich selbst.
Es ist wichtig, dass wir verstehen: Im Sühnegeschehen von Jesus gibt Gott sich selbst.
Gott hat sich in Christus an unsere Stelle gesetzt, und der Vater litt in den Leiden seines Sohnes mit.
Das ist nichts Isoliertes vom Vater, sondern die beiden sind eins in dem Geschehen.
Abschließend möchte ich ein Zitat von John Stott vorlesen, das wunderbar auf den Punkt bringt, warum wir wirklich sagen können, dass das Sühneopfer Jesu ein Ausdruck der Liebe Gottes ist.
Durch das göttliche Selbstopfer triumphierte die göttliche Liebe über den göttlichen Zorn. Das Kreuz war gleichzeitig ein Akt der Bestrafung und der Amnestie, der Strenge und der Gnade, der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit.
Wir haben es im Kreuz Christi mit dem Selbstopfer Gottes zu tun. Darum ist es eine überwältigende Liebe, wenn Gott, der gerecht richtet und uns gerecht bewertet und beurteilt, sagt: Ich will dich nicht verdammen, sondern ich werde ein stellvertretendes Opfer senden, das ein für allemal die Schuld aus der Welt bringen wird. Und es wird niemand anderes sein als ich selbst, der kommt und das Opfer für dich bringt.
Deshalb können wir hier wirklich von der Liebe sprechen, die Gott zu seinen Geschöpfen hat.