
Nachdem wir nun die Begrüßung in den Versen 1 und 2 betrachtet haben – und wenn ich Begrüßung sage, klingt das zunächst banal –, haben wir gesehen, dass in diesen zwei Versen eine große geistliche Tiefe steckt.
Nachdem wir dies erkannt haben, wenden wir uns nun Vers 3 zu, in dem die eigentliche Botschaft des Briefes beginnt.
Auf dem dritten Blatt sind zu jedem Vers einige Bemerkungen hinzugefügt.
Dankbarkeit trotz Besorgnis – Paulus’ Haltung zu Kolosse
Bei Vers drei drückt Paulus seine Dankbarkeit für die Kolosser aus, verbunden mit Fürbitte: "Wir danken dem Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus allezeit, indem wir für euch beten."
Paulus war dankbar für diese Kolossergemeinde. Das muss man vor dem Hintergrund des Briefanlasses sehen, der von großer Besorgnis geprägt war. Bevor er auf die Probleme eingeht, betont er, dass sie Gründe zum Danken haben.
Das ist sehr wichtig, denn es zeigt, dass man die Fähigkeit entwickeln sollte, zuerst das Gute zu sehen. Dabei geht es nicht darum, andere Dinge blauäugig zu übergehen. Wenn ich das sage, meine Frau hat blaue Augen, aber sie sieht durchaus auch die Probleme bei mir. So ist das gemeint: nicht blauäugig, sondern mit einer positiven Grundhaltung.
Bei Paulus ist das ganz klar: Er beginnt mit dem Positiven. Ähnlich ist es in Offenbarung 2 und 3, wo sieben Briefe an Gemeinden stehen, die der Herr Jesus dem Apostel Johannes diktiert hat. Viele dieser Gemeinden hatten große Probleme. Doch Jesus erwähnt immer zuerst das Gute, wo es möglich ist, und dann erst das, was aufgedeckt werden muss.
Das zeigt ein Grundprinzip: Man sollte mit einer positiven Haltung auf andere zugehen, die auch das Gute erkennen kann.
Ein weiteres Beispiel finden wir in Apostelgeschichte 11. Dort entstand die Gemeinde in Antiochia, die erste Gemeinde, die ausschließlich aus Nichtjuden bestand. Das gab Anlass zur Sorge, denn bisher waren Gemeinden meist aus Juden entstanden. Diese hatten bereits einen Hintergrund im Alten Testament und eine moralische Erziehung. Die Heiden hingegen waren oft in einem völlig unmoralischen und bis hin zu perversen Umfeld aufgewachsen.
Eine Gemeinde aus solchen Menschen ohne biblischen Hintergrund war also eine Herausforderung. Deshalb wurde in Apostelgeschichte 11 Barnabas aus Jerusalem dorthin geschickt. Antiochia liegt im Norden von Syrien. Heute gehört die Stadt zur Türkei, da Atatürk sie im Ersten Weltkrieg an die Türkei nahm. Ursprünglich wäre sie syrisch, und daran halte ich fest.
In Apostelgeschichte 11,22-23 heißt es: "Die Kunde über sie kam aber zu den Ohren der Versammlung, die zu Jerusalem war, und sie sandten Barnabas aus, dass er hindurchzöge bis nach Antiochien. Der, als er hingekommen war und die Gnade Gottes sah, sich freute."
Barnabas kam also mit Besorgnis, sah aber zuerst nicht das Problem, sondern die Gnade Gottes. Er freute sich darüber, was Gott gewirkt hatte. Danach ermahnte er alle, mit Herzensentschluss bei dem Herrn zu verharren. Er sagte den Gläubigen, dass sie trotz ihrer Bekehrung eine bewusste Entscheidung treffen müssten, täglich den Weg mit Jesus zu gehen. Das ist das Verharren mit Herzensentschluss bei dem Herrn. So könnten sie auch die problematische Situation überwinden.
Lukas erklärt in Vers 24, warum Barnabas so handelte: "Denn er war ein guter Mann." Ein guter Mann oder eine gute Frau ist jemand, der sich über die Gnade Gottes freuen kann, aber auch ermutigt und ermahnt, den Problemen entgegenzutreten.
Barnabas war "voll Heiligen Geistes und Glaubens". Das war auffällig: Der Heilige Geist wirkte beständig in seinem Leben, und sein Herz war erfüllt vom Reichtum des Glaubens.
So ist es auch bei Paulus. Deshalb sagt er: "Wir danken dem Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus allezeit, indem wir für euch beten."
Man merkt hier schon einen kleinen Hinweis auf das Problem: "Ihr seid in Gefahr, und ich bete für euch."
Glaube, Liebe und Hoffnung als tragende Säulen der Gemeinde
Vers 4
Nachdem wir von eurem Glauben an Christus Jesus und der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt, gehört haben, wegen der Hoffnung, die für euch in den Himmeln aufgehoben ist.
Er sagt also, dass er von der Situation in Kolossä nur durch Hören erfahren hat – und zwar in Bezug auf Glauben, Liebe und Hoffnung. Merken wir uns diese drei Begriffe. Ja, das sind die drei großen Hauptwörter im 1. Korinther 13, wo die Liebe Gottes so grandios im praktischen Leben beschrieben wird. Dort sagt Paulus:
1. Korinther 13,13
Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Die größte aber von diesen ist die Liebe.
Man muss darauf achten, dass man immer wieder Stellen in den Briefen findet, wo genau diese drei wunderbaren Nomen – Glauben, Liebe, Hoffnung – beieinanderstehen. Schön ist, dass er nicht nur sagt: Wir haben gehört von eurem Glauben, eurer Liebe, eurer Hoffnung, sondern er betont den Glauben an Christus Jesus. Viele Leute sagen: „Ich bin gläubig.“ Aber was ist das? Nein, es ist ein Glaube an den Messias Jesus, an den, der gekommen ist, um alle Verheißungen des Alten Testaments zu erfüllen und das Heil auf Golgatha zu erringen. Euer Glaube an Christus Jesus.
Und dann sagt er nicht nur „und die Liebe“, sondern „und der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt“. Das bedeutet nicht nur Liebe zu den gläubigen Kolossern, was oft das naheliegendste ist – die Liebe zu denen in der eigenen Gemeinde. Es ist schon schön, wenn von Liebe zu allen in der Gemeinde die Rede ist, das ist schon etwas erreicht. Aber dieser Blick für den ganzen Leib Christi, der alle Erlösten auf der ganzen Welt umfasst, ist etwas ganz anderes. Das wird hier gelehrt: „die ihr zu allen Heiligen habt“.
Ich habe gesagt, der Kolosserbrief ist eigentlich ein paralleler Brief zum Epheserbrief, und es gibt ganz interessante Parallelen. Gerade im Epheserbrief wird das „alle Heiligen“ immer wieder erwähnt. Ich zeige schnell:
Epheser 1,15
Weshalb auch ich, nachdem ich von eurem Glauben an den Herrn Jesus gehört habe, der in euch ist, und von der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt, nicht aufhöre, für euch zu danken.
Wie im Kolosserbrief hat Paulus von den Ephesern gehört und betet für sie. Dabei erwähnt er die Liebe, die sie zu allen Heiligen haben.
Weiter in Epheser 3,8 sagt Paulus:
Mir, dem allergeringsten von allen Heiligen, ist diese Gnade gegeben worden, den Nationen den unergründlichen Reichtum Christi zu verkündigen.
Das ist eine Anspielung auf seinen Namen „Paulus, der Kleine“, aber hier macht er sich noch kleiner: „mir, dem allergeringsten von allen Heiligen“. Das sieht man auch wieder als Hinweis auf „alle Erlösten der Gemeinde“, nicht nur an einem Ort, sondern alle Heiligen.
Weiter in Kapitel 3, Vers 18:
Damit ihr völlig zu erfassen vermögt, mit allen Heiligen, welches die Breite und Länge und Höhe und Tiefe sei, und so die Erkenntnis übersteigende Liebe Christi erkennt, damit ihr erfüllt seid zur ganzen Fülle Gottes.
Auch hier geht es nicht nur um die Gläubigen der eigenen örtlichen Gemeinde, sondern um alle Heiligen auf der ganzen Erde. Sie sollen zu diesem Durchblick kommen, wo man den Ratschluss Gottes in seiner Breite, Länge, Höhe und Tiefe sieht – alle Heiligen.
Und dann noch Kapitel 6, Vers 18:
Zu aller Zeit betet mit allem Gebet und Flehen im Geist und haltet dafür immerwährend an, betet für alle Heiligen und auch für mich, damit mir Rede verliehen werde, um mit Freimütigkeit das Geheimnis des Evangeliums kundzutun.
Auch hier betont Paulus die Wichtigkeit, für alle Gläubigen auf der ganzen Erde zu flehen, nicht nur für die, mit denen man direkt in Kontakt steht.
Das ist das Wichtige: Einerseits hat Gott gewollt, dass es örtliche Gemeinden gibt, wie in Kolossä, und darum wurde dieser Brief an die Gemeinde in Kolossä geschrieben. Aber wir müssen klar sehen: Die Gemeinde am Ort ist der Ausdruck, der örtliche Ausdruck des weltweiten Leibes Christi.
Interessant ist, dass nie in der Bibel eine örtliche Gemeinde als „Ihr seid der Leib Christi“ bezeichnet wird. Das wäre eine falsche Lehre, denn der Leib Christi umfasst nicht nur die Gläubigen an einem Ort, sondern alle Gläubigen auf der ganzen Erde. Das ist sehr wichtig.
Jemand könnte sagen: „Das stimmt nicht.“ Schauen wir in 1. Korinther 12, da geht es gerade um den Leib Christi. Paulus sagt dort zu den Korinthern in Vers 27:
Ihr aber seid Christi Leib und Glieder einzeln.
Aber da steht nicht: „Ihr Korinther seid der Leib Christi.“ Man muss genau lesen. Er sagt nicht: „Ihr aber seid der Leib Christi“, sondern „Ihr seid Christi Leib“ – ohne bestimmten Artikel. Das bedeutet: Ihr seid der Ausdruck des Leibes Christi. Wäre der Artikel dabei, würde es heißen, die Gemeinde Korinth ist der Leib Christi. Paulus sagt nur: Ihr seid Christi Leib, also Ihr seid Leib Christi, aber nicht „der Leib Christi“. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Er möchte auch auf Römer 12 hinweisen. Dort sagt Paulus in Vers 4, an die Gemeinde in Rom gerichtet:
Denn ebenso wie wir in einem Leib viele Glieder haben, aber die Glieder nicht alle dieselbe Tätigkeit haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, einzeln aber Glieder voneinander.
Es ist wichtig zu beachten, dass Paulus hier von „wir“ spricht – also von sich selbst und den Römern. Paulus gehörte nicht zur Gemeinde in Rom. Er schrieb als einer von außerhalb. Doch er sagt zu den Römern: „Wir, ich von außerhalb und ihr, sind ein Leib in Christus.“ Das macht klar, dass der Leib Christi überörtlich ist, nie örtlich. Die örtliche Gemeinde ist der Ausdruck dieses weltweiten Leibes Christi.
Darum ist es wichtig, den Blick auf den Ort und die Bedürfnisse sowie Nöte vor Ort zu haben, wie es im Kolosserbrief geschieht. Aber ebenso wichtig ist der weltweite Blick auf alle wahren Gläubigen. Das verhindert eine sektiererische Haltung, wenn man nur „wir und alle anderen“ denkt. Wenn wir dagegen den Blick für alle Erlösten auf der ganzen Erde haben, dann haben wir den Blick, den der Apostel Paulus hatte und den die Kolosser hatten.
Und er hat ja von ihrer Liebe gehört, die sie zu allen Heiligen haben.
Dann weiter: „wegen der Hoffnung“. Er sagt nicht nur „Hoffnung“, sondern „Hoffnung, die für euch aufgehoben ist in den Himmeln“. Sie hatten also eine himmlische Hoffnung, weil sie zum himmlischen Volk Gottes gehörten.
Israel in der Wüste hatte auch eine Hoffnung – die Hoffnung auf das Land, das wunderbare Land, das Land, das von Milch und Honig fließt. Aber das war eine Hoffnung auf der Erde.
Die Gemeinde hingegen hat ihre Heimat im Himmel und darum eine Hoffnung, die in den Himmeln aufgehoben ist.
Die Bedeutung des Evangeliums und weltweite Wirkung
Da sagt er weiter: Von der ihr zuvor gehört habt, in dem Wort der Wahrheit des Evangeliums, das zu euch gekommen ist. Ja, sie brauchten jemanden, der zu ihnen käme und diese Botschaft verkündigte, sonst wären sie nie darauf gekommen.
Darum lesen wir auch im Römerbrief, dass es unbedingt Verkündiger braucht, die diese Botschaft hinaustragen. Schlagen wir auf im Römerbrief, Kapitel 10, Vers 14:
„Wie werden sie nun den anrufen, an welchen sie nicht geglaubt haben? Wie aber werden sie an den glauben, von welchem sie nicht gehört haben? Wie aber werden sie hören ohne einen Prediger? Wie aber werden sie predigen, wenn sie nicht gesandt sind?“
Wie geschrieben steht: „Wie lieblich sind die Füße derer, welche das Evangelium des Friedens verkündigen, welche das Evangelium des Guten verkündigen“ usw.
Also sieht man hier die Notwendigkeit, dass Menschen hingehen und das Evangelium verkündigen. Darum konnten sie von dieser Hoffnung im Himmel erfahren, sonst hätten sie nie etwas gewusst. Und das war eben dieser Epaphras, der da hingekommen ist.
Gehen wir weiter zu Vers 6:
„Dieses Wort der Wahrheit ist also zu euch gekommen, wie es auch in der ganzen Welt fruchtbringend und wachsend ist, wie auch unter euch von dem Tag an, da ihr es gehört und die Gnade Gottes in Wahrheit erkannt habt.“
Hier erklärt der Apostel, dass eben dieses Wunderbare, was im Kolosserbrief geschehen ist, Menschen zum Glauben bringt. Es entsteht eine Gemeinde. Das geschieht nicht nur dort, sondern Gott hat sein Werk weltweit.
Auch das zeigt uns, wie wichtig es ist, den Blick darauf zu behalten, was Gott weltweit tut. Er sagt, in der ganzen Welt bringt das Wort Frucht und wächst, und das ist bei euch auch so seit jenem Tag, an dem ihr die Gnade Gottes in Wahrheit erkannt habt. Da seid ihr zum Glauben gekommen.
Und wir wissen bereits, Vers 7, wer das gemacht hat:
„So wie ihr gelernt habt von Epaphras, unserem geliebten Mitknecht, der ein treuer Diener Christi für euch ist, der uns auch eure Liebe im Geist kundgetan hat.“
Das war eine gute Botschaft, die Paulus bekommen hatte. Es gibt auch gute Botschaften, die nicht stimmen. Aber er konnte sagen, wer das erzählt hat – genau die Quelle Epaphras.
Und so ist es auch bei schlechten Nachrichten. Es werden so viele schlechte Nachrichten verbreitet, die nicht stimmen. Darum hat Paulus in 1. Korinther 1 schlechte Nachrichten über Korinth erhalten. Dann macht er Folgendes in 1. Korinther 1, Vers 11:
„Denn es ist mir von euch kund geworden, meine Brüder, durch die Hausgenossen der Chloe, dass Streitigkeiten unter euch sind.“
Ich sage aber dieses, das an jeden von euch gerichtet ist: „Ich bin des Paulus, ich aber des Apollos, ich aber des Kephas, ich aber Christi.“
Das sind schlechte Nachrichten über sie, aber er sagt, woher die Quelle ist: Die Hausgenossen der Chloe haben ihm das gesagt.
Also hätten die Korinther sofort die Möglichkeit gehabt zu sagen: „Da wird so etwas über uns berichtet, dabei haben wir uns so lieb in der Gemeinde, und wir haben da nicht vier Parteien.“ Das stimmt überhaupt nicht.
Jetzt gehen wir mal zu diesen Hausgenossen der Chloe. Das wäre die Konsequenz. Aber dadurch, dass Paulus die Quelle durchsichtig nennt, kann man die Dinge korrigieren.
Das Schlimme ist, dass Dinge verbreitet werden, ohne dass man genau weiß, woher sie kommen. Man sagt nicht: „Ja, ich weiß es nicht genau“, sondern es wird einfach so behauptet. Das geht gar nicht! So funktioniert Verleumdung.
Und was ist das griechische Wort für Verleumder? Das wissen viele: Diabolos! Dia heißt „durch“, bolos „werfen“.
Das Wort ist übrigens verwandt, weil Griechisch, Schweizerdeutsch und auch Hochdeutsch zu den indoeuropäischen Sprachen gehören. Es ist verwandt mit unserem Wort „Ball“.
Da denke ich gerne an einen Lederball, den man in einem Porzellanladen richtig genussvoll durchschmeißt. Ein Scherbenhaufen entsteht.
Der Verleumder ist also jemand, der solches Durcheinander anrichtet, indem er falsche Dinge und falsche Botschaften verbreitet. Das ist so verheerend, dass man nachher kaum mehr die Scherben zusammensetzen kann, weil man gar nicht weiß, woher es kommt. Man kann es nicht mehr korrigieren.
Darum ist das so etwas Teuflisches. Diabolos heißt Teufel. Das Wort „Teufel“ kommt vom griechischen Wort Diabolos, hat sich nur ein wenig verändert.
Darum lernen wir: Ihr habt von Epaphras gelernt, und er hat uns das mitgeteilt – positiv. Und ihr Korinther, wir haben von den Hausgenossen der Chloe gehört, so und so.
Dann hättet ihr die Möglichkeit gehabt, die Sache zu klären, wenn das eine Verleumdung gewesen wäre.
Fürbitte und Erkenntnis als Grundlage geistlichen Wachstums
Gehen wir weiter zu Vers 9. Deshalb hören auch wir nicht auf, von dem Tag an, da wir es gehört haben, für euch zu beten und zu bitten. Nochmals wird betont: Einst wussten wir nichts von euch. Wir haben gehört, und seitdem war das unsere Entscheidung. Wenn er „wir“ sagt, meint er Paulus und Timotheus. Jetzt beten wir für euch. Wir tragen euch auf dem Herzen.
Er spricht noch nicht von Problemen, aber so gewinnt er ihr Herz, weil er sagt: Wir haben ein echtes Anliegen für euch. Wir kommen nicht als Richter von oben herab, sondern möchten euch helfen. Wofür bittet er? Für euch zu beten und zu bitten.
Jetzt kann man sich fragen, ob man auch schon für Menschen gebetet hat in diesem Sinn: Damit ihr erfüllt sein mögt mit der Erkenntnis seines Willens. Also, dass ihr ganz klar erkennen könnt, was der Wille Gottes ist. Sagen wir vielleicht: Doch, das haben wir auch schon gebetet, dass der Herr seinen Willen zeigen möchte.
Aber es geht so weiter: Damit ihr erfüllt sein mögt mit der Erkenntnis seines Willens in aller Weisheit und geistlicher Einsicht. Also verbunden mit aller Weisheit und mit Einsicht, die durch den Heiligen Geist bewirkt ist.
Ja, wenn man denkt, wie oft heute unter Gläubigen über die Wahrheit gesprochen wird – ja, das kann man nicht so genau wissen, und ja, überhaupt, da gibt es sowieso so viele verschiedene Auslegungen. Die einen denken so, die anderen so. Also das ist alles nicht so klar.
Damit ihr erfüllt sein mögt mit der Erkenntnis seines Willens in aller Weisheit und geistlicher Einsicht.
Wenn man noch in Kapitel 2 schaut, sagt Paulus, dass er eben um sie kämpft mit dem Ziel, Vers 2: Damit eure Herzen getröstet werden, vereinigt in Liebe und jetzt kommt es: zu allem Reichtum der vollen Gewissheit des Verständnisses.
Er sagt also nicht „zur Gewissheit“, sondern „zur vollen Gewissheit“. Er sagt aber noch mehr: Er sagt nicht nur „volle Gewissheit“, sondern „zum Reichtum der vollen Gewissheit“. Aber er sagt nicht nur das, sondern „zu allem Reichtum der vollen Gewissheit des Verständnisses“.
Wie kann man das verstehen? Pah, das ist völlig anders! Wie es so üblicherweise gesehen wird: Ja, das ist nicht so klar, man kann ja nicht behaupten, man wüsste es. Aber hier steht es ganz anders: Zu allem Reichtum der vollen Gewissheit des Verständnisses.
Und dann: zur Erkenntnis des Geheimnisses Gottes, in dem verborgen sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis. Über dieses Geheimnis Gottes geht es dann im Weiteren auch im Kolosserbrief. Dort sind alle Schätze der Weisheit verborgen.
Nun sagt Paulus also, er betet nicht nur, dass sie die Erkenntnis des Willens Gottes bekommen, sondern dass es verbunden ist mit aller Weisheit und geistlicher Einsicht.
Aber da sagt einer: Wissen macht stolz. Das ist nicht gut. Viel Wissen macht stolz, und viel Bibelerkenntnis macht stolz – in dem Fall. Nun, in 1. Korinther 8 lesen wir tatsächlich, dort geht es um ein bestimmtes Thema, nämlich Götzenopfer. Paulus sagt in Kapitel 8, Vers 1, ich lese den Zusammenhang:
„Was aber die Götzenopfer betrifft, so wissen wir: Wir alle haben Erkenntnis. Die Erkenntnis bläht auf, die Liebe aber erbaut.“
Da haben wir es: Erkenntnis bläht auf.
Was tut Paulus? Er bittet um volle Erkenntnis bei den Kolossern, aber Erkenntnis kann auch wie ein Frosch sein, der sich aufbläst.
Ja, wir müssen noch ein bisschen weiter lesen. Dann sagt der Apostel: Wenn jemand meint, etwas erkannt zu haben, so hat er noch nicht erkannt, wie man erkennen soll. Wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt.
Nun macht er also klar: Es gibt die richtige Art der Erkenntnis und die falsche. Da kann jemand erkennen, aber nicht wissen, wie man erkennen soll. Das ist ganz wichtig. Es gibt zwei verschiedene Arten von Erkenntnis: Die eine macht stolz, die andere macht demütig.
Das sehen wir bei Daniel. Daniel war in seinem persönlichen Leben treu. Er wollte sich nicht mit Fleisch und Wein in Verbindung mit dem Götzenopfer in Babylon verunreinigen und entschied sich deshalb, nur noch Gemüse zu essen (Daniel 1,8).
Die Folge ist, wenn man weiterliest in Daniel 1, gab Gott ihm und seinen drei Freunden, die seinem Beispiel folgten, eine ganz besondere Weisheit. Sie übertrafen die Weisen von Babel mit göttlicher Einsicht.
In Kapitel 2 sehen wir eine neue Geschichte: Diese Weisheit machte diese vier Freunde nicht stolz. Als Probleme kamen, standen sie zusammen. Daniel brachte das vor Gott im Gebet. Dann gab Gott noch mehr Verständnis.
So sehen wir eine Spirale im Buch Daniel: Daniel erkennt richtig, wie man erkennen soll. Das bringt ihn zur Treue. Gott belohnt diese Treue mit Erkenntnis. Diese Erkenntnis führt ihn zu neuer Treue, und so geht es weiter, durch Jahrzehnte hindurch.
Denn bis in Kapitel 9 ist er bereits ein alter Mann, Jahrzehnte später. Da kommt ein Engel zu ihm und bringt ihm die Botschaft Gottes: „So wisse denn und verstehe“ (Daniel 9,25). Dann kommt diese Offenbarung über die Jahrwochen, wie man berechnen kann, wann der Messias kommt – immer mehr Erkenntnis, aber Erkenntnis, die ihn demütig und treu gehalten hat.
Das ist die richtige Erkenntnis, und die meint Paulus hier, nicht die, die stolz macht.
Ich habe das eindrücklich erlebt: diesen Stolz, gerade bei denen, die stolz sind, dass sie viele Dinge nicht wissen. Wie geht das? Sie sind stolz, dass sie wissen, welche Auslegungen es dazu gibt. Sie können aufzählen, zu einem bestimmten Bibeltext, da gibt es in der Theologie sechs verschiedene Ansichten. „Ich tendiere zu Auslegung zwei, aber mit fünf könnte ich auch leben.“
Das nenne ich einen ephanikalen Agnostizismus. Agnostiker sind Leute, die sagen: „Nein, ich bin kein Atheist, das kann man nicht so sagen, aber ich weiß einfach nicht, man kann es nicht wissen.“ Manche kennen sich richtig darin aus: „Ich bin Agnostiker, das wissen wir nicht.“
Es gibt so dumme Leute, die meinen, man wüsste, dass Gott existiert. Aber wenn man ein bisschen studiert, ist das überhaupt nicht klar.
Der evangelikale Agnostizismus sagt: Es gibt Leute, die meinen, man wisse, wie man das Kapitel verstehen muss, sagen wir erst um Viertel elf. Dabei gibt es so viele theologische Ansichten dazu. Zwei wären absolut denkbar, aber fünf geht auch. Es ist alles so unklar, keine Sicherheit.
Aber wenn man demütig ist, kann man auch sagen: Ich verstehe das nicht. Okay, natürlich. Man muss nicht sagen, das ist alles klar, wenn es einem nicht klar ist. Und man sollte eigentlich auch nicht über Dinge predigen, die einem gar nicht klar sind.
Da muss man sagen: „Über das Thema predige ich nicht, weil es mir nicht klar ist.“ Aber das ist doch nicht Demut, wenn man gerade predigt und sagt: „Ja, man weiß nicht, was es bedeutet, aber es gibt so viele Ansichten.“ Dann ist man stolz auf die verschiedenen Ansichten und eigentlich stolz darauf, dass man weiß oder meint zu wissen, dass es gar nicht klar ist.
Es ist ein anderer Geist hier, ja, dass ihr erfüllt sein mögt mit der Erkenntnis seines Willens in aller Weisheit und geistlicher Einsicht.
Das Ziel davon ist, würdig des Herrn zu wandeln, zu allem Wohlgefallen, in jedem guten Werk fruchtbringend und wachsend durch die Erkenntnis Gottes.
Es gibt viele, die sagen: „Ja, Bibelstudium und Erkenntnis in der Bibel und Zusammenhänge, das brauchen wir eigentlich gar nicht.“ Mir hat mal einer gesagt: „Das brauche ich gar nicht in einer Predigt. Wenn ich in eine Gemeinde komme, möchte ich wissen, was ich am Montag zu tun habe.“
Okay, das ist schon gut. Die Predigt soll uns ja ausrüsten für den Montag und auch für Dienstag und so weiter. Aber es ist eben so, dass Gott uns seine Pläne und Gedanken in seinem Wort aufzeigt. Das hilft uns, den Montag richtig einzuordnen.
Versteht man, was ich meine? Im Licht von Gottes Gedanken und Plänen werden plötzlich Dinge am Montag, die einen so aufregen können, zu Bagatellen.
Wir haben eine lebendige Hoffnung im Himmel. Der Herr Jesus hat gesagt: „Ich gehe hin ins Haus des Vaters und werde euch dort eine Wohnung bereiten. Und dann werde ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin.“
Wenn man diese lebendige Hoffnung hat und wie die Thessalonicher den Herrn täglich erwartet, dann werden Dinge am Montag, die einen ärgern können, im Licht der Ewigkeit, im Licht dessen, was uns erwartet, zur Nebensache.
Das hat eine gewaltige Bedeutung für unser praktisches Leben. Wenn man sieht, wie wahrhaftig und glaubwürdig das Wort Gottes ist, ermutigt uns das, es auch im Alltag umzusetzen.
Darum sagt der Apostel Paulus, würdig des Herrn zu wandeln. Wir brauchen biblisch tiefe Erkenntnis, um das praktisch anzuwenden.
Wenn der Kopf nur voll ist und die Füße ganz klein, stimmt etwas nicht. Das ist gefährlich. Ich habe nicht so einen großen Kopf, aber wenn der immer größer würde und die Füße immer kleiner, was passiert? Am Schluss ist das ganz gefährlich – einen Riesenkopf und ganz kleine Füße zu haben.
Aber das ist nicht gemeint. Es geht um die richtige Art des Erkennens, die zusammenhängt, wenn jemand Gott liebt. Wenn das Wort Gottes uns dazu führt, dass wir den Herrn mehr lieben und sein Wort mehr lieben, dann geht es in die richtige Richtung.
Wenn man merkt: Wow, ich weiß viel. Wenn die Leute nur wüssten, wie viel ich weiß. Ich weiß ja noch viel mehr! – dann ist der Absturz programmiert.
Hier sagt Paulus also, das würdige Wandeln hängt zusammen: zu allem Wohlgefallen, in jedem guten Werk Frucht bringen für Gott und weiter wachsen. Also nicht stehenbleiben, sondern zunehmen!
Wodurch? Durch die Erkenntnis Gottes. Erkenntnis bringt geistliches Wachstum, es geht nicht ohne.
Die Theorie, man müsse nicht so viel Bibel studieren, es reiche, in der Predigt zwei Verse am Anfang zu hören, und dann wird erklärt, was man am Montag tun soll – das ist gefährlich nahe an diesen Büchern.
Im englischsprachigen Raum gibt es in Buchhandlungen ganze Serien von „How to“-Büchern, zum Beispiel „How to make friends“. Da wird erklärt, wie man ganz praktisch Freunde gewinnt. Es gibt viele „How to“-Bücher mit psychologischen Tipps und Tricks, wie man im Alltag besser zurechtkommt.
Eine Predigt darf natürlich keine psychologische Unterweisung sein, um ein bisschen besseres praktisches Leben zu führen. Es geht darum, dass wir sehen, was der Herr Jesus für uns am Kreuz getan hat und dass wir als Dank dafür unser Leben ganz ihm zur Verfügung stellen.
Das ist etwas ganz anderes.
Wachsen durch die Erkenntnis Gottes, gekräftigt mit aller Kraft nach der Macht seiner Herrlichkeit. Wir sind schwach, aber er kann uns diese Kraft geben.
Wozu? Zu allem Ausharren und aller Langmut.
Das ist das Schwierige: in Situationen und Bedingungen durchzuhalten und nicht aufzugeben. Aber das hilft uns, besseres Durchhaltevermögen zu bekommen.
Wer kann von uns sagen: „Ich bin von Natur aus ein sehr geduldiger Mensch“? Es gibt Unterschiede, ja, aber niemand kann das so von sich sagen.
Ich sage: Ich bin von Natur aus gar nicht geduldig, ich will es so schnell wie möglich. Aber durch das Wort Gottes lernt man zu warten, auszuharren.
Der Apostel sagt: Zu allem Ausharren und aller Langmut – nicht mit der Faust im Sack, sondern mit Freuden.
Das führt letztlich zur Anbetung des Vaters, danksagend dem Vater, der uns fähig gemacht hat zum Anteil am Erbe der Heiligen im Licht.
Damit wollen wir uns in zehn Minuten nach der Pause weiter beschäftigen.
Vielen Dank an Roger Liebi, dass wir seine Ressourcen hier zur Verfügung stellen dürfen!
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