Einführung und Rückblick auf die hebräische Poesie
Wir kommen jetzt zum letzten Teil über das Buch der Psalmen und betrachten verschiedene charakteristische Merkmale und Besonderheiten.
Zunächst möchte ich nochmals auf die Poesie zurückkommen, die wir vor der Pause im Alten Testament behandelt hatten. Mir ist aufgefallen, dass einige Zuhörer nicht ganz verstanden haben, was „ugaritisch“ bedeutet. Das hat also nichts mit Ungarisch zu tun.
In Nordsyrien gibt es eine Stadt namens Ugarit, die archäologisch ausgegraben wurde. Dort fand man eine Keilschrifttafel mit einer Schrift, die man bisher noch nicht kannte. Es handelt sich um ein alphabetisches Keilschrift-Alphabet, das dort verwendet wurde. Auch die Sprache war völlig neu und unbekannt: ugaritisch. Dank verwandter Sprachen wie Hebräisch, Arabisch und Akkadisch konnte man die Sprache entschlüsseln und schließlich die gesamte Literatur übersetzen.
Das nur zum Ugaritischen.
Nun möchte ich ein Beispiel geben, wie hebräische Poesie klingt, und lese Psalm 1 vor. Dabei sollte man auf die Anzahl der Betonungen und auch die Taktwechsel achten. Man kann den Text auf Deutsch mitlesen:
„Und durch Hatta'im lo amad, und beim Moschaw Lezim lo yaschav, ki'im betorat Adonai Herz'o, und betorat To' jehgei Yomam wa Leila, und es war wie ein Erz, schattul al Palgei Mayim, weilehu lo jipol, wechol asher yasse yatslichach, lo chen ha-Resha-im, ki im Kamotz, asher titfenu Ruach. Alken lo yakumu Resha'im beim Mischpat, und hata'im bei Adat Zadik. Ki Judea Adonai derech Tzaddikim, wederech Reschaim Toved.“
So klingt das mit neuhebräischem Akzent.
Was zu sagen ist: Selbst wenn man die Sprache nicht versteht, merkt man, dass hier Sprache vorliegt. Das zeigt sich an der ganzen Intonation, die in der Sprachwissenschaft als Prosodie bezeichnet wird. Diese umfasst Akzent, Betonung und den Verlauf der Betonung. Man erkennt, dass es Sprache ist.
Vielleicht fällt auch auf, dass das ganz anders klingt als sogenanntes Zungenreden. Zungenreden besteht aus unverständlichen Silben und ist normalerweise nicht prosodisch geordnet. Aber hier handelt es sich um die Sprache des Heiligen Geistes. Man merkt tatsächlich, dass dies eine strukturierte Sprache ist, selbst wenn man die Wörter nicht versteht.
Man erkennt, dass jemand spricht. Das ist ein Gegensatz, wenn ich sage: „Ki Judea Adonai derech Tzaddikim, wederech Reschaim Toved“ – denn der Herr kennt den Weg des Gerechten, aber der Weg der Gesetzlosen wird vergehen.
Gut, das nur als Nebenbemerkung.
In der hebräischen Poesie finden sich natürlich auch Wortspiele und andere sprachliche Besonderheiten. Diese kommen in der Übersetzung meist nicht zur Geltung. Dennoch wird der Hauptaspekt der Poesie auch in der Übersetzung spürbar.
Darum ist es so wichtig, die Grundgedanken, wie ich sie vorgestellt habe, zu kennen und bewusst zu lernen, die Psalmen so zu lesen. Dann versteht man den Text plötzlich viel besser.
Die Bedeutung der Psalmen für die Gläubigen
Herr Präsident! Die Psalmen drücken auf einzigartige Weise die Gefühle und Empfindungen der Erlösten zu allen Zeiten der Heilsgeschichte aus. Gerade deshalb spricht dieses Bibelbuch die Gläubigen im Allgemeinen so direkt an. Sie sprechen einem förmlich aus dem Herzen. Wer hat das nicht erlebt, dass in verschiedenen Zeiten des Lebens ganz bestimmte Psalmen so richtig auf die Situation zugeschnitten waren und genau das ausdrückten, was man vor Gott ausschütten und loswerden wollte?
Das ist das Großartige daran. Auch hier zeigt sich wieder eine Besonderheit der hebräischen Sprache. Das hebräische Verbalsystem ist etwas ganz Geheimnisvolles. Erst in den vergangenen Jahren hat man in der Sprachwissenschaft einen Durchbruch erreicht, um dieses System zu erklären und zu systematisieren. Natürlich hat man das auch früher schon immer verstanden, aber so systematisch darzustellen, ist erst in den letzten Jahren gelungen.
Übrigens arbeitet Benedikt Peters an seiner Doktorarbeit über das hebräische Verbalsystem. Was ich gesehen habe, bringt er das wirklich sehr präzise auf den Punkt, vielleicht sogar bis zum letzten Detail. Das ist wirklich beeindruckend, was er da erarbeitet.
Nun zu etwas ganz Wichtigem: Im althebräischen Verbalsystem drücken die Verben in erster Linie nicht Zeiten aus, sondern Aktionen. Zum Beispiel die Grundform, die man im Hebräischen Katal nennt. Je nach Kontext wird Katal als Perfekt verstanden, also als etwas sehr Verwirklichtes. Katal bedeutet einfach eine Handlung, die als Punkt gesehen wird, als eine abgeschlossene Aktion.
Demgegenüber steht Yigdol, das eine Handlung in ihrem Verlauf beschreibt oder eine Handlung, die gewohnheitsmäßig immer wieder getan wird. Das sind die beiden Gegensatzpaare. Erst in zweiter Linie kann Katal auch eine Vergangenheit ausdrücken und Yigdol eine Zukunft. Allerdings gibt es auch Stellen, an denen Katal eine Zukunft ausdrückt und Yigdol eine Vergangenheit.
Das Grundprinzip sollte also nicht verwirren. Durch den Zusammenhang werden die Bedeutungen geklärt.
Zum Vergleich: Im Chinesischen gibt es überhaupt keine Verbformen. Das Verb ist dort ein starrer Block, der keine Unterscheidung von Personen kennt – also kein „ich bin“, „du bist“, „er ist“ – und keine Zeiten wie Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft. Trotzdem versteht man sich im Chinesischen. Nichtsdestotrotz gibt es im Westen viele Missverständnisse.
Im Chinesischen drückt man den zeitlichen Zusammenhang durch andere Wörter aus, sodass klar wird, ob es Gegenwart oder Vergangenheit ist. Mit jeder Sprache kann man alles ausdrücken, aber die Mittel sind verschieden.
Im Hebräischen ist das Grundprinzip kein Zeitsystem, obwohl man auch Zeiten ausdrücken kann. Das Grundsystem ist vielmehr, dass die Aktion oder Handlung entweder als Punkt oder als Linie gesehen wird.
Auswirkungen des hebräischen Verbalsystems auf die Psalmenübersetzung
Nun stellt sich beim Lesen der Psalmen die Frage, wie man bestimmte Stellen übersetzen soll, zum Beispiel „aschre ha-ich ascher lo halach“.
Man könnte sagen, dass „halach“ eine Vergangenheitsform ist. Dann würde man übersetzen: „Glückselig ist der Mann, der nicht wandelte im Rat der Gottlosen.“
Ein anderer würde jedoch argumentieren, dass hier kein Zeitsystem gemeint ist. Stattdessen müsse man es zeitlos ausdrücken: „Glückselig ist der Mann, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen.“
Diese Überlegung ist sehr sinnvoll. Es geht nicht um ein Beispiel aus der Vergangenheit, sondern um eine allgemeingültige, zeitlose Aussage. Glückselig, von Gott gesegnet und umgeben, ist der Mann, der im Allgemeinen nicht nach den Überlegungen der Gottlosen lebt und sich nicht vom Zeitgeist dieser Welt leiten lässt.
Diese Aussage gilt für die Zeit Davids, für die Zeit der Apostel, für unsere Gegenwart und wird auch in der Zukunft Gültigkeit behalten.
Das ist ein wunderbarer Aspekt: Wenn man in den Psalmen eine Vergangenheitsform liest, kann diese fast wie eine Gegenwartsform verstanden werden. Dabei meint sie nicht einfach die Gegenwart, sondern das zeitlos Gültige für alle Zeiten.
Deshalb sind die Psalmen eine solche Kraftquelle für die Erlösten. Sie haben zu allen Zeiten ihre Gültigkeit und bringen die Gefühle der Erlösten in den Nöten des Lebens zum Ausdruck.
Historische und prophetische Dimensionen der Psalmen
Man kann die Psalmen auf verschiedene Arten und auf unterschiedlichen Ebenen angehen.
Zum zweiten Punkt auf dem Blatt: die historischen Aspekte. Schauen wir uns den Titel von Psalm 3 an: „Ein Psalm von David, als er vor seinem Sohn Absalom floh.“ Es war eine schlimme Zeit im Leben Davids. Ein Sohn rebellierte gegen ihn und stürzte ihn vom Thron. In dieser Zeit des familiären und staatlichen Umsturzes, inmitten dieses Chaos, betet David: „Herr, wie viele sind meine Bedränger, viele erheben sich gegen mich, viele sagen von meiner Seele, es ist keine Rettung für ihn bei Gott.“
Wir können diesen Psalm also ganz klar einordnen. Er entstand in dieser chaotischen und tragischen Situation im Leben des Königs David. Doch die Psalmen haben ihre Anwendung auch für uns heute. Dieser Psalm beschränkt sich nicht nur auf die Not Davids. Das können wir aus Hebräer 13,6 ableiten. Dort lesen wir, ich zitiere ab Vers 5:
„Der Wandel sei ohne Geldliebe; begnügt euch mit dem, was vorhanden ist, denn er hat gesagt: ‚Ich will dich nicht versäumen noch dich verlassen‘, so dass wir kühn sagen mögen: Der Herr ist mein Helfer, und ich will mich nicht fürchten; was wird mir ein Mensch tun?“
Hier finden sich zwei Zitate aus dem Alten Testament. Zuerst aus Josua 1,5, ein Versprechen Gottes an Josua, und dann ein Vers aus Psalm 118,6: „Der Herr ist mein Helfer.“ Im Hebräerbrief wird die Zusage an Josua ganz selbstverständlich auf uns Gläubige übertragen.
Man könnte sagen: „Dieser Vers gilt nicht für dich, das ist an Josua gerichtet, es gilt nur für seine Zeit.“ Doch das stimmt nicht. Es galt zwar für Josua, aber Gott hat es ihm gesagt, weil die Heilige Schrift eine Ermutigung für die Gläubigen aller Zeiten ist. Darum darf ich diese Zusage ganz persönlich für mich nehmen und Gottes Wort an mich hören, zusammen mit Psalm 118.
Kann man sagen, das sei nur für die damalige historische Situation? Nein. Hebräer 13 sagt mit aller Selbstverständlichkeit: In finanziellen Belangen dürfen wir voll auf Gott vertrauen. Er hat diese Zusage gegeben: „Der Herr ist mein Helfer, ich will mich nicht fürchten.“ So wird deutlich, dass wir nie beim rein geschichtlichen Aspekt stehenbleiben dürfen. Dieser ist wichtig, denn er zeigt, dass das Wort Gottes in der Realität dieser Welt verwurzelt ist.
Doch die Bedeutung ist nicht darauf beschränkt. Wir dürfen Gottes Wort auf uns anwenden. Deshalb heißt es in Römer 15,4 im Blick auf die ganze Heilige Schrift, speziell das Alte Testament, dort mit einem Psalmenzitat:
„Denn alles, was zuvor geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch das Ausharren und durch die Ermunterung der Schriften die Hoffnung haben.“
Also ist die Schrift wirklich für uns geschrieben, und die Psalmen sollen uns ganz direkt ansprechen.
Neben dieser Anwendung für heute gilt auch die Prophetie. Denn wir haben bereits eingangs aus Lukas 24,44 gelesen, wo der Herr Jesus zeigte, was sich alles erfüllen musste in Bezug auf seine Person in den Psalmen. Die Psalmen sind also Prophetie, Prophetie auf den verheißenden Messias hin.
Die Psalmen sind nicht nur die Antwort der Seelen der Erlösten auf Gottes Reden, sondern sie sind inspirierte Gedichte mit prophetischer Bedeutung im Blick auf die Zukunft. Sie behandeln Höhen und Tiefen, Konflikte, aber auch die Triumphe des Gläubigen.
Darum endet Psalm 150 eben nicht mit einem Konflikt, sondern mit dem endgültigen Triumph Gottes in Christus. Deshalb dieser wunderbare, nicht zu überbietende Triumph in Psalm 150:
„Lobet Gott in seinem Heiligtum, lobet ihn in der Feste seiner Stärke! Lobet ihn wegen seiner Machttaten, lobet ihn nach der Fülle seiner Größe! Lobet ihn mit Schofarschall, Tierhornschall! Lobet ihn mit Harfe und Laute! Lobet ihn mit Tamburin und Reigen! Lobet ihn mit Seiteninstrument und Schalmei! Lobet ihn mit klingenden Zimbeln! Lobet ihn mit schallenden Zimbeln! Alles, was Odem hat, lobe den Herrn! Lobet den Herrn!“
Die Psalmen führen durch Konflikte und Dunkelheit, aber sie enden im Triumph des Herrn Jesus. Er wird das letzte Wort haben.
Das war auch die Hoffnung Hiobs, der in Hiob 19,25 sagte: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ Plötzlich, aus einer tiefen Depression heraus, kommt dieses Bekenntnis: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ Und als der Letzte wird er auf der Erde stehen, das heißt, er wird Wort sprechen über diese Erde.
Die Psalmen als Stütze für verfolgte Gläubige
Und so, Punkt vier, erhielten die Psalmen den Glauben der verfolgten und geprüften Gläubigen durch die Jahrtausende hindurch aufrecht. Das ist etwas Wunderbares, wenn man sich beim Lesen der Psalmen so verbunden fühlt mit Gläubigen durch drei Jahrtausende – mit den Gläubigen der Gemeinde, aber auch mit den Gläubigen im Alten Testament.
Denn das, was Gläubige vor 2500 oder 2600 Jahren in der babylonischen Gefangenschaft ermutigt und gestärkt hat, stärkt uns auch heute in unseren ganz persönlichen Problemen und Tumulten von Familie, Verwandtschaft, Arbeitsplatz und so weiter.
Ein Thema, das sich durch die Psalmen zieht, ist der Gerechte und der Gesetzlose. Das haben wir schon in Psalm 1 gefunden, der endet mit den Worten: „Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten, aber der Weg der Gesetzlosen wird vergehen.“ Der Rascha, der Gesetzlose, ist nicht einfach der Mensch, der Gott nicht kennt, sondern derjenige, der von Gott weiß und von seinem Wort, es aber bewusst ablehnt.
Dieser Mensch wird gezeigt, und der Gerechte ist nicht der, der einfach so gut lebt, weil er so gut ist, sondern der, der durch Glauben gerechtfertigt worden ist. Die Rechtfertigung durch Glauben finden wir bereits im Alten Testament ausdrücklich bei Abraham.
Nun werden diese beiden Linien im Neuen Testament weitergeführt. In 1. Johannes 3,10 sagt der greise Apostel: „Hieran sind offenbar die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels: Jeder, der nicht Gerechtigkeit tut, ist nicht aus Gott, und wer seinen Bruder nicht liebt, ist es auch nicht.“ Durch den Geist Gottes teilt sich die Menschheit in zwei Gruppen: die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels, die Gerechten, die Glaubensgerechten, und die Gesetzlosen.
2. Korinther 6,14 ermahnt Paulus, dass Gläubige und Ungläubige nicht ein ungleiches Joch eingehen sollen. Finsternis und Licht haben keine Gemeinschaft, Christus hat keinen Zusammenhang mit Satan, der dort Belial genannt wird.
In Epheser 5,8 wird gesagt: „Ihr wart einst Finsternis, jetzt aber seid ihr Licht in dem Herrn.“ Also kann aus dem Gesetzlosen durch Umkehr ein Gerechter werden.
In den Psalmen finden wir ganz besonders die Gefühlsseite des Glaubens. Der Glaube hat mit allen Aspekten des Menschen zu tun. Er betrifft den Verstand, der lernen muss, unter die Autorität Gottes gestellt zu werden. Aber wir lesen in Epheser 4, dass der Verstand der Heiden verfinstert ist. Durch die Bekehrung wird der Verstand erleuchtet.
Auch die Gefühlswelt ist durch die Sünde verdorben und wird durch die Bekehrung erleuchtet. Die Gefühlsseite ist ein ganz wichtiger Aspekt des Glaubens: die Freude im Glauben oder das Empfinden der Geborgenheit in dem Herrn Jesus Christus. Das ist etwas sehr Wichtiges.
Und genau das kommt in den Psalmen so eindrücklich zum Ausdruck – die Gefühlsseite des Glaubens. Wenn uns die Dinge Gottes nicht wirklich gefühlsmäßig ergreifen, dann haben wir sie gar nicht verstanden.
Das ist schön zu sehen bei Apollos. In Apostelgeschichte 18 wird von ihm gesagt, dass er ein inbrünstiger Mann war. Er lehrte die Dinge von Jesus sorgfältig und war inbrünstig im Geist. Er hat also verstandesmäßig die Dinge sehr verständlich, klar und strukturiert vorgetragen, aber das Ganze hat ihn ergriffen – er brannte im Geist.
Das, was wir oft als Gegensätze sehen – Verstand und Gefühl –, ist im Glauben vereint. Bei Apollos sehen wir das sehr schön. In der Musik sehen wir das übrigens bei Bach vollendet. Die Musik ist so konstruiert, dass sie verstandesmäßig sehr anspricht. Wenn man gelernt hat, auch die Struktur zu hören, bringt sie einen förmlich zum bewussten Mitgehen, Verfolgen und aktiven Hören.
Aber es wäre keine Musik, wenn die Gefühlsseite nicht vorhanden wäre. Die Musik von Bach ergreift einen gefühlsmäßig. Sie ist nicht gemacht, um in Ekstase zu versetzen, aber die gefühlsmäßige und die verstandesmäßige Seite sind dort so vollendet zusammengeführt wie kaum bei einem anderen Komponisten.
Bach war natürlich stark durch das Evangelium geprägt, wie es in der Reformation wiederentdeckt wurde. Das ist eigentlich evangelische, also evangeliumsverpflichtete Musik – so nebenbei bemerkt.
Die Gefühlsseite des Glaubens, das Echo, das die Stimme Gottes im Herzen des Menschen weckt, finden wir in den Psalmen.
Der Überrest Israels in den Psalmen und der Prophetie
Ganz wichtig: In den Psalmen finden wir den Sche'ar Israel, das ist der Überrest Israels. Wenn wir diesen Überrest nicht kennen, haben wir einen sehr wichtigen Aspekt der Bibel noch nicht entdeckt.
Ich möchte kurz aus Jesaja 10 lesen. Gott spricht dort davon, dass er in der Endzeit in Israel eine Erweckung bewirken wird. In Jesaja heißt es, dass selbst wenn die Israeliten so zahlreich wären wie der Sand am Meer, nur ein Überrest schließlich gerettet wird.
Dieser Überrest spielt in der Prophetie eine große Rolle. In den Propheten können wir Kapitel um Kapitel lesen, die von diesem Überrest Israels handeln. Ausgehend vom Neuen Testament wird dieser Überrest nach der Entrückung der Gemeinde zur Bekehrung kommen. Zuerst sind es 144.000, und dann, in der großen Drangsal, ein Drittel der Bevölkerung in Israel, während die anderen zwei Drittel ausgelöscht werden (vgl. Sacharja 13). Danach kommt der Messias.
Dieser gläubige Überrest wird in der Prophetie sehr eindringlich beschrieben. Jesaja 10,20 sagt: „Und es wird geschehen an jenem Tage, da wird der Überrest Israels, hebräisch Sche'ar Israel, und das Entronnene des Hauses Jakobs sich nicht mehr stützen auf den, der es schlägt, sondern sich stützen auf den Herrn, den Heiligen Israels in Wahrheit. Der Überrest wird umkehren, der Überrest Jakobs zu dem starken Gott. Denn wenn auch dein Volk, Israel, wie der Sand des Meeres wäre, nur ein Überrest davon wird umkehren. Vertilgung ist fest beschlossen, sie bringt ein Heerfluten Gerechtigkeit.“
Dieser Überrest wird also durch die große Drangsal hindurchgehen, die schlimmste Zeit der Menschheitsgeschichte. Die Gefühle und Empfindungen, die diese Israeliten während der großen Drangsal erleben werden, finden wir über weite Strecken im Buch der Psalmen ausgedrückt. Der Zusammenhang mit der Prophetie ist somit sehr eindrücklich.
Ich möchte noch aus Jesaja 37 lesen: „Und das Entronnene vom Hause Juda, das übrig geblieben ist, wird wieder Wurzeln schlagen nach unten und Frucht tragen nach oben; denn von Jerusalem wird ein Überrest ausgehen und ein Entronnener vom Berge Zion. Der Eifer des Herrn der Heerscharen wird solches tun.“
In der Endzeit soll also eine Erweckung geschehen – nicht im Ausland, sondern die Juden sollen zurückkehren. Das geschieht bereits seit 122 Jahren. Diese Erweckung wird von Jerusalem ausgehen, und zwar vom Berg Zion, dem Tempelberg in Ostjerusalem. Dieser Berg musste seit 1967 wieder in jüdische Hand kommen. Von dort, von Ostjerusalem, dem Kern Jerusalems, wird nach der Entrückung der Gemeinde die Erweckung ausgehen.
Die Psalmen in der Zeit der grossen Drangsal
Nun sehen wir also in den Psalmen die tiefsten Ängste, die ein Mensch überhaupt erleben kann. Der Herr Jesus sagt nämlich in Matthäus 24: Diese Zeit wird so schrecklich sein, wie es noch nie war seitdem es Menschen gibt, und auch nie wieder sein wird.
Und wenn diese Tage nicht von Gott verkürzt würden, nämlich auf 1260 Tage, würde kein Fleisch gerettet werden. Keine Seele, kein Fleisch, niemand würde überleben. Die Menschheit kommt an den Rand der Selbstvernichtung.
In den Psalmen sehen wir ganz speziell Menschen, die ihre Gefühle in der schwersten Zeit der Menschheitsgeschichte ausdrücken. Das macht sie umso eindrücklicher für uns. Denn wir können immer noch sagen: Wenn es uns ganz schlecht geht, denen wird es noch schlechter gehen. Sie werden die gleichen Worte beten und betend lesen, wie wir es tun, und trotzdem werden sie diese Hoffnung behalten in der größten Not.
Dem Gerechten geht Licht auf in der Finsternis (Psalm 112). Das war auch das wunderbare Motto der Hugenotten in dieser schweren Zeit. Nachdem sie das Evangelium entdeckt hatten, wurden sie verfolgt, weil sie daran festhielten, besonders in Frankreich. Die Hugenotten sagten sich immer wieder: Post Tenebras Lux – nach der Finsternis das Licht. Aber das sind alles Wahrheiten aus den Psalmen.
Der Scheah Israel, dieser Überrest, wird in der Zeit des Antichrists erwachen. Er wird hindurchgehen durch die große Drangsal und am Schluss gelangt er ins messianische Königreich. Also wirklich aus der größten Not in die größte Freude, aus dem totalen Chaos in die totale Ordnung, in die Ordnung Gottes hinein.
Ich kann das jetzt nicht im Detail ausführen, aber das erste Buch der Psalmen beschreibt besonders den Überrest im Land Israel. Diese wissen genau nach Matthäus 24, Vers 13: Wenn sie das Götzenbild des Antichristen an heiligem Ort auf dem Tempelplatz aufgestellt sehen, dann müssen sie fliehen auf die Berge und ins Ausland gehen.
Über diese Flucht der 144 ins Ausland, nach Jordanien, wo Gott sie durchbringen wird in der Wüste, spricht besonders das zweite Buch der Psalmen. Wir können das kurz in Psalm 42 sehen. Dort finden wir den Überrest auf der Flucht.
Vers 2: Wie der Hirsch lechzt nach Wasserbächen, so lechzt meine Seele nach dir, o Gott! Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich kommen und erscheinen vor Gottes Angesicht?
Meine Tränen sind mir zur Speise geworden, Tag und Nacht, da man den ganzen Tag zu mir sagt: Wo ist dein Gott? Daran will ich gedenken und meine Seele ausschütten, wie ich ein Herzog der Schar mit ihnen walte zum Haus Gottes, mit der Stimme des Jubels und des Lobes einer feiernden Menge.
Diese Juden, die bereits geflüchtet sind auf die Berge nach Matthäus 24, ins Ausland, erinnern sich an die schöne Zeit, als sie noch im dritten Tempel Gottesdienst gefeiert haben. Der dritte Tempel soll ja in Jerusalem gebaut werden, und dort wird Gottesdienst gehalten und geopfert werden.
Aber in Matthäus 24, Vers 13, sobald der Antichrist den Tempel durch das Götzenbild entweihen wird – wie es auch in Offenbarung 13 beschrieben ist – müssen sie fliehen. Dann denken sie zurück an die schöne Zeit im dritten Tempel. Damals gingen sie mit der feiernden Volksmenge hinauf nach Zion, nach Jerusalem. Und jetzt, wo sind sie?
Vers 6 beziehungsweise 7: Mein Gott, meine Seele beugt sich nieder in mir, darum gedenke ich deiner aus dem Lande des Jordan und des Hermon vom Berge Mizhar. Sie sind geflüchtet auf die Berge, die Berge Israels, ins Hermongebirge hinauf, auf die Berge des Westjordanlandes, um dann nach Jordanien zu gehen – prophetisch.
Psalm 43 ist die Fortsetzung: Schaffe mir Recht, o Gott, und führe meinen Rechtsstreit gegen eine lieblose Nation! Von dem Mann des Trugs und des Unheils und des Unrechts errette mich!
Israel wird sich spalten in die Gottlosen, die dem Antichristen folgen, und in diejenigen, die sich bekehren werden. So sagen sie: Schaffe mir Recht gegen eine lieblose Nation, denn der Antichrist und die Gottlosen werden die Bekehrten verfolgen. Gott soll Recht schaffen gegen den Mann des Trugs, den Antichristen.
Dann heißt es in Vers 3: Sende dein Licht und deine Wahrheit, sie sollen mich leiten und bringen zu deinem heiligen Berge und zu deinen Wohnungen. Sie wissen, dass sie wieder zurückkehren ins Land und zum dritten Tempel. Aber sie bitten: Herr, schick dein Licht, dass du uns aus dieser Verbannung ins Land zurückführst.
So findet man im zweiten Buch besonders den Überrest auf der Flucht und im Exil während der großen Drangsal.
Im dritten Buch liegt die Betonung auf Israel als Ganzem, auf dem zwölfstämmigen Volk. Im vierten Buch liegt der Fokus auf den Nationen aus aller Welt. Darum wird immer wieder gesagt: Der Herr regiert über die ganze Erde, er ist König über die ganze Erde. Der Fokus ist also nicht mehr nur auf dem Überrest Israels, sondern auf die ganze Welt und auch auf die Heidenvölker, die schließlich unter Gottes Herrschaft kommen werden.
Das letzte Buch berichtet von Gottes Heilswegen vom Anfang an bis ins tausendjährige messianische Königreich. Das fünfte Buch gibt also einen Überblick über die Wege Gottes bis zur Vollendung.
Das entspricht ganz dem fünften Buch Mose. Das fünfte Buch Mose besteht aus acht Reden, die Mose am Ende der Wüstenwanderung gehalten hat. Er blickt dabei zurück auf die Treue Gottes durch all die vierzig Jahre hindurch, bis sie zum Ziel gebracht wurden.
Messianische Bezüge und die Einheit von Messias und Gläubigen
Nun, in den Psalmen finden wir neben dem Überrest Israels auch den Messias. Seine Leiden und seine zukünftige Herrlichkeit werden beschrieben. Das erste Kommen des leidenden Messias ist in Psalm 22, Psalm 69 und weiteren Psalmen dargestellt. Seine Herrlichkeit als König in der Zukunft finden wir in Psalm 2, Psalm 45, Psalm 110 und anderen Psalmen. Auch Psalm 72 wurde diesbezüglich bereits erwähnt.
Vom Neuen Testament erhalten wir Hinweise darauf, dass bestimmte Psalmen sich auf Jesus Christus beziehen. Dann wissen wir genau, dass Christus dort spricht. Doch wenn man ein wenig weiterliest, bekommt man den Eindruck, dass es nicht Christus sein kann, der hier spricht. Es sind zwar Gläubige, aber nicht der Messias, und oft sind es mehrere Personen.
Die Psalmen sind also so gestaltet, dass wir in einem Psalm sowohl den Überrest Israels hören als auch in bestimmten Versen den Messias. Dann folgt wieder der Überrest Israels. Der Messias verbindet sich mit den Gläubigen aus Israel. Das müssen wir im Zusammenhang mit der Taufe Jesu am Jordan sehen.
In Matthäus wird berichtet, dass alle Juden, die Reue über ihre Schuld hatten, von Johannes dem Täufer getauft wurden. Plötzlich kam auch Jesus in die Nähe von Qumran zum Jordan. Johannes sagte, er könne ihn nicht taufen, da er selbst von Jesus getauft werden müsste. Doch Jesus antwortete: „Lass es so sein, denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“ Er wurde getauft, obwohl er keine einzige Sünde bekannt hatte.
Man hätte denken können, dass Jesus ebenfalls ein Sünder sei, so wie alle, die Buße getan hatten. Doch dann kam eine sogenannte „Badkoll“ aus dem Himmel – eine plötzliche, akustisch wahrnehmbare Stimme Gottes, wie sie im Judentum genannt wird. Gott sprach: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Damit sollte niemand denken, Jesus habe sich mit der Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden getauft, als hätte er selbst etwas mit Sünde zu tun.
Durch seine Taufe identifizierte er sich jedoch mit all den Sündern, die umgekehrt sind. Dies wird in den Psalmen wunderbar dargestellt: Der Messias vereinigt sich im Gebet, in der Not und im Jubel mit den Gläubigen aus Israel und im weiteren Sinne mit den Gläubigen aus allen Nationen. Mit ihnen macht er sich eins und verbindet sich mit ihnen.
Vielfalt der Inhalte in den Psalmen
Wir finden in den Psalmen Lob und Anbetung, zum Beispiel in Psalm 150. Ebenso finden wir inbrünstige Bitten, wie in Psalm 13, und Flehen, wie in Psalm 130: „Aus der Tiefe rufe ich zu dir.“
Demütigung und Bußgebete finden sich im Psalm 51. Dort ist David völlig zerbrochen wegen der Sünde des Ehebruchs. Solange diese Sünde nicht geordnet war, war Davids Gemeinschaft mit Gott wahrhaftig gebrochen. Doch mit der tiefen Reue und Umkehr, die im Psalm 51 ausgedrückt wird, kehrt ein Ehebrecher zurück in die Gemeinschaft mit Gott.
Wir haben auch Jubel. Psalm 66 ruft förmlich zum Jubel auf, zur tiefsten Freude des Glaubens. „Jauchzt, Gott, ganze Erde! Besingt die Herrlichkeit seines Namens! Macht herrlich sein Lob!“
Weiterhin finden wir Belehrungen, zum Beispiel in Psalm 32, Vers 9. Dort spricht Gott zu einem Erlösten, der umgekehrt ist: „Ich will dich unterweisen und dich lehren den Weg, den du wandeln sollst. Mein Auge auf dich richtend will ich dir raten.“
Gott sagt weiter: „Seid nicht wie ein Ross, wie ein Maultier, das keinen Verstand hat. Mit Zaum und Zügel, ihrem Schmuck, musst du sie bändigen, sonst nahen sie dir nicht.“
Gott möchte also nicht, dass wir wie ein störrisches Ross oder Maultier behandelt werden. Er möchte uns unterweisen – aber mit seinen Augen. Das geht nur, wenn wir Augenkontakt mit Gott haben. Gehorsame Kinder kann man mit Blicken, mit Liebe und klaren Augen leiten. Das funktioniert, wenn der Augenkontakt da ist. Fehlt dieser Kontakt, muss man zu Zaum und Zügel greifen oder sie „an den Latzhosen packen“.
Doch Gott möchte uns nicht so führen, sondern mit seinen Augen, während unsere Augen auf ihn gerichtet sind – auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens.
In den Psalmen sehen wir also eine große Bandbreite an Inhalten und Formen der Unterweisung.
Wir finden auch Nachsinnen. Psalm 73 zeigt, wie ein Gläubiger über das Leben nachdenkt. Er ist aufgewühlt über das, was er sieht, und sagt: „Beinahe wäre ich dabei zu Fall gekommen.“ Er beobachtet, wie es den Gottlosen gut geht, während es den wirklich treuen Gerechten schlecht ergeht.
Doch als er in die Heiligtümer Gottes hineinging, wurde ihm plötzlich klar, was das Ende der Gottlosen sein wird. Diese Erkenntnis brachte ihn zur Ruhe.
Wir finden Geschichte: Psalm 105 rekapituliert die Heilsgeschichte Israels in poetischer Form.
Wir finden Prophetie: Psalm 22 bezieht sich ganz klar Vers für Vers auf den gekreuzigten Christus.
Es ist interessant, wenn man mit Juden über Psalm 22 spricht, besonders mit solchen, die ihn gut kennen. Dann erlebt man oft die Antwort auf die Frage: „Wer hat Psalm 22 geschrieben?“ – „Melech David, unser König David.“
Die Frage „Von wem spricht dieser Psalm?“ wird oft mit „Wir wissen es nicht“ beantwortet.
Doch es gibt einen rabbinischen Kommentar aus dem Mittelalter, von Rabbati, in dem Psalm 22 auf den Messias bezogen wird, der für die Sünden der Menschheit leidet und stirbt.
Das ist interessant und sollte man bei Gesprächen als Argument parat haben.
Psalmen im Tempel und ihre liturgische Verwendung
Es gibt Psalmen, von denen wir wissen, dass sie Wochentagspsalmen im Tempel waren. Immer am Sonntag wurde durch den levitischen Chor im Tempel Psalm 24 gesungen, am Montag Psalm 48, am Dienstag Psalm 82, am Mittwoch Psalm 94, am Donnerstag Psalm 81, am Freitag Psalm 93 und am Sabbat, also Samstag, Psalm 92. In der Überschrift des Psalms steht auch der Hinweis auf den Tag des Sabbats. Diese Angaben findet man übrigens in der Septuaginta.
Von den meisten Psalmen ist dort verzeichnet, für welchen Tag sie bestimmt sind, und noch weitere Informationen. Im Talmud wird ebenfalls erwähnt, dass diese Psalmen an den jeweiligen Wochentagen in Verbindung mit dem Opfer im Tempel gesungen wurden. In den jüdischen Gebetsbüchern, den sogenannten Sitturim, findet man bis heute diese Tagespsalmen geordnet nach Sonntag, Samstag, Montag und so weiter.
Von diesem Psalm wissen wir also genau, wie er im Tempel eingesetzt wurde. Interessant wäre es, die Beziehung zu den Wochentagen der Leidenswoche des Herrn Jesus, von Palmsonntag bis zur Auferstehung, zu betrachten. Das wäre jedoch ein ganzes Nachmittagsthema und reicht nicht mehr in sechs Minuten. In meinem Buch „Der Messias im Tempel“ habe ich ausführlich dargestellt, wie jeder Tagespsalm genau inhaltlich mit dem übereinstimmt, was in der Passionswoche in den Evangelien geschieht. Das ist absolut frappierend.
Am Palmsonntag heißt es zum Beispiel: „Ihr Tore der Urzeit, hebt eure Häupter, damit einziehe der König der Herrlichkeit!“ Und genau da kommt der Herr Jesus vom Ölberg auf einem Esel reitend nach Jerusalem ein. Die Volksmenge begrüßt ihn als König und Messias. Wer ist dieser König der Herrlichkeit? Yahweh, also der Herr, mächtig im Kampf. So zieht sich das Thema durch die ganze Passionswoche hindurch bis zum nächsten Sonntag, dem Auferstehungstag.
An diesem Tag steht geschrieben, dass der Herr Jesus durch die verschlossene Grabestür hinaus als Sieger aufersteht: „Ihr Tore der Uhrzeit, hebt eure Häupter!“ Am selben Tag sind die Jünger ängstlich beieinander, die Türen verschlossen aus Furcht vor den führenden Juden. Plötzlich zieht der König der Herrlichkeit in ihre Mitte und sagt: „Shalom Aleichem“, Friede euch! Er zeigt den Jüngern seine Hände und seine Seiten, und sie freuen sich. So ist das.
Man könnte noch weitergehen bis zum Pfingsttag, der fünfzig Tage später, also wieder ein Sonntag, gefeiert wird. An diesem Tag zieht der Heilige Geist in die Herzen der Erlösten ein. Der Herr kommt gewissermaßen durch den Heiligen Geist zu ihnen zurück und zieht in ihre Herzen ein. Ganz wunderbar.
Ich wollte das hier aber nicht ausführlich behandeln. Die sechs Minuten waren kein Versehen, sondern nur eine Andeutung. Das ganze Nachmittagsprogramm soll die Freude am Psalmenlesen fördern. Das ist das Ziel, damit es uns so geht wie Spurgeon, der große Evangelist in England im 19. Jahrhundert. Er hat zwanzig Jahre an seinen vier dicken Bänden über die Psalmen gearbeitet, die „Schatzkammer Davids“.
Den Kommentar kann man auf Deutsch ganz preisgünstig beim CLV erwerben. Ich bekomme keine Tantiemen. In der Einleitung schreibt Spurgeon sehr schön, wie er nach zwanzig Jahren Arbeit an den Psalmen quasi mit wehmütigem Herzen seine Feder weglegen muss. Denn wie wunderbar war diese Zeit der Gemeinschaft mit dem Herrn, in der er sich so im Lob der Erlösten vereinen konnte. Dieses Psalmenstudium hat sein Leben förmlich geprägt.
Dann gibt es eine besondere Gruppe, die sogenannten Hallelpsalmen. Das ist die Gruppe von Psalm 113 bis 118, die auch heute noch im Judentum in Verbindung mit dem Passahfest gelesen werden. Wenn es in Matthäus 26,30 heißt, dass am Schluss des letzten Passahmahls, das der Herr mit den Jüngern gegessen hatte, als er das Abendmahl einsetzte, sie noch ein Loblied sangen – hebräisch „Hymnos“ –, dann ist damit genau diese Gruppe von Psalmen 113 bis 118 gemeint.
Sie waren bei Psalm 118 angelangt und gingen dann weiter zum Garten Gethsemane, wo die weiteren Ereignisse geschahen. Was heißt es in Psalm 118? „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden.“ Der verworfene Messias schafft einen neuen Tempel, die Gemeinde.
In diesen Hallelpsalmen finden wir auch Psalm 116, wo es heißt: „Den Becher der Rettungen nehme ich.“ Wenn man weiß, dass der Herr diese Psalmen mit den Jüngern an diesem Abend in Verbindung mit der Einsetzung des Abendmahls und des Abendmahlkelches gesungen hat, bekommt das eine ganz besondere, ergreifende Bedeutung.
Die Hallelpsalmen waren also für die Passahwoche wichtig und auch für das Laubhüttenfest im Tempel.
Es gibt auch eine andere Gruppe, die Lieder der Hinaufzüge, das bedeutet Stufenlieder. Die Psalmen 120 bis 134 tragen diesen Titel. Diese Psalmen wurden bei den Reisen nach Jerusalem gesungen, zum Passahfest, zum Pfingstfest und zum Laubhüttenfest.
Alle Männer ab dreizehn Jahren mussten aus dem ganzen Land Israel nach Jerusalem zu den Festen kommen. Den Frauen war etwas freigestellt, was mit den Kindern und den Verpflichtungen zusammenhing, aber sie durften auch mitkommen, wenn es möglich war. Auf der Reise nach Jerusalem wurden diese Psalmen immer gesungen.
Wenn man das weiß, betrachtet man zum Beispiel Psalm 122 mit einem ganz anderen Hintergrund. Der zwölfjährige Jesus, kurz bevor er dreizehn wurde, wurde schon mitgenommen. Ab dreizehn war die Teilnahme obligatorisch (Lukas 2). Jesus hat mit den Leuten von Nazareth auf dem Weg nach Jerusalem Psalm 122 mitgesungen, Vers 1: „Ich freute mich, als sie zu mir sagten: Lasst uns zum Haus des Herrn gehen! Unsere Füße werden in deinen Toren stehen, Jerusalem!“ So ergreifend.
Dann blieb der zwölfjährige Jesus im Tempel. Auch diesen Psalm hatte er auf der Reise nach Jerusalem mitgesungen. Im Tempel sagt er den erschrockenen Eltern: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“ Er liebte den Tempel, das Haus des Vaters in Jerusalem.
Diese Psalmen wurden auf der Reise mit Flötenbegleitung gesungen (Jesaja 30,29).
Es gibt auch alphabetische Psalmen, das sind Psalmen, die im Grundtext nach dem Alphabet aufgebaut sind. Psalm 9 und 10 bilden zusammen eine Einheit. Weitere alphabetische Psalmen sind Psalm 25, 34, 111, 112, 119 und 145.
Psalm 119 besteht aus 22 Strophen mit je acht Versen. Die ersten acht Verse beginnen immer mit dem ersten Buchstaben Aleph, die zweiten acht Verse mit Bet, und so geht es durch das ganze Alphabet.
Circa ein Drittel der etwa 360 direkten Zitate des Alten Testaments im Neuen Testament stammen aus dem Buch der Psalmen. Das zeigt, wie wichtig die Psalmen für das Neue Testament sind.
Die Psalmen nehmen Bezug auf die frühere Heilsgeschichte, auf 1. Mose, 2. Mose und so weiter, auf Josua, Samuel, Könige, Chronik. Das zeigt, wie die Glaubensgefühle in der Geschichte verankert waren. Es waren keine Spekulationen, sondern der gefühlsmäßige Glaube war in der Tatsache der Heilsgeschichte gegründet.
26 Mal findet man in den Psalmen den Ausdruck „glückselig“, so beginnt Psalm 1. Wenn jemand traurig ist, kann er all diese 26 Stellen nachlesen und dann erfahren, wie man glückselig wird.
Musikalische und liturgische Hinweise in den Psalmen
Noch ganz kurz zum Schluss: In manchen Psalmen findet sich in der Überschrift der hebräische Ausdruck „Lamna Zeach“. Dieser bedeutet einfach „für den Dirigenten“ und bezieht sich auf den Leiter des Tempelchores.
In manchen Psalmen begegnet uns auch das Wort „Sela“. Es bedeutet eine Pause mit musikalischem Zwischenspiel. Dabei schweigen die Sänger, und die Musik wird nur instrumental fortgesetzt. Diese Pause diente dazu, über das bereits Gehörte nachzudenken – begleitet von einer feinen musikalischen Untermalung.
Dann gibt es, wie ich bereits erwähnt habe, eine ganze Reihe von Psalmen, die im Titel das Wort „Maskil“ tragen. Das bedeutet „Lehrgedicht“. Diese Psalmen sind besonders dazu bestimmt, Einfältige verständig zu machen. Die Verständigen der Endzeit werden im Buch Daniel, Kapitel 11 und 12, als „Maskilin“ bezeichnet, also als die Verständigen.
Das Wort Gottes will uns zu solchen Verständigen machen, die mit der Heiligen Schrift verbunden sind und aus der Heiligen Schrift heraus leben.
So, das war eine kleine Einführung in das Buch der Psalmen.