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Auseinandersetzung mit Führern Israels über den Sabbat

Das Matthäusevangelium mit Roger Liebi, Teil 26/90
19.07.2020Matthäus 12,1-21
SERIE - Teil 26 / 90Das Matthäusevangelium mit Roger Liebi

Einführung und zeitlicher Zusammenhang der Ereignisse

Guten Tag, ich möchte alle herzlich begrüßen zu dieser Bibelklasse heute mit Matthäus 12, Vers 1. Wir wollen gleich einige Verse zusammen lesen.

Zu jener Zeit ging Jesus am Sabbat durch die Kornfelder. Es hungerte aber seine Jünger, und sie fingen an, Ähren abzupflücken und zu essen. Als aber die Pharisäer es sahen, sprachen sie zu ihm: „Siehe, deine Jünger tun, was am Sabbat nicht erlaubt ist.“

Er aber sprach zu ihnen: „Habt ihr nicht gelesen, was David tat, als er und die, die bei ihm waren, hungerten? Wie er in das Haus Gottes ging und die Schaubrote aß, die er nicht essen durfte, noch die, die bei ihm waren, sondern allein die Priester? Oder habt ihr nicht in dem Gesetz gelesen, dass am Sabbat die Priester im Tempel den Sabbat entweihen und doch schuldlos sind?

Ich sage euch aber: Größer als der Tempel ist hier. Wenn ihr aber erkannt hättet, was das ist: ‚Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer‘, so hättet ihr die Schuldlosen nicht verurteilt. Denn der Sohn des Menschen ist Herr des Sabbats.“

Als er von dort weiterging, kam er in ihre Synagoge. Und siehe, da war ein Mensch, der eine verdorrte Hand hatte. Sie fragten ihn und sprachen: „Ist es erlaubt, am Sabbat zu heilen, um ihn anklagen zu können?“

Er aber sprach zu ihnen: „Welcher Mensch wird unter euch sein, der ein Schaf hat und, wenn dieses am Sabbat in eine Grube fällt, es nicht ergreifen und aufrichten wird? Wie viel vorzüglicher ist nun ein Mensch als ein Schaf? Also ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun.“

Dann spricht er zu dem Menschen: „Strecke deine Hand aus!“ Und er streckte sie aus, und sie wurde wiederhergestellt, gesund wie die andere.

Die Pharisäer aber gingen hinaus und hielten Rat gegen ihn, wie sie ihn umbrächten.

Zunächst einmal bis hierhin. Was auffällt, ist, dass Matthäus hier genaue Zeithinweise gibt. Vers 1: „Zu jener Zeit“ verknüpft Matthäus 12, Vers 1 mit den Versen zuvor. Und auch die Verse davor, ab Vers 25, sind wiederum zeitlich verknüpft mit dem, was vorher ist, denn in 11,25 heißt es ebenfalls „zu jener Zeit“.

In den Versen davor, die wir letztes Mal betrachtet haben, geht es um die drei Städte in Israel, in denen der Herr am meisten Wunderwerke getan hatte. Über sie wird das Wehe ausgesprochen: über Chorazin, Bethsaida und Kapernaum (vgl. Matthäus 11,21-22). Wehe, weil sie den Messias auf ganz besondere Weise erlebt haben und ihn trotzdem abgelehnt haben.

Das Evangeliendreieck und die Haltung der Menschen

In Vers 25 wird gesagt, dass diese Zeit nach dem Wehe über drei Städte war, die wir beim letzten Mal als das Evangeliendreieck bezeichnet haben. Dieses Dreieck besteht aus Chorazin, Kapernaum und Bethsaida. Diese Städte liegen am Nordende des Sees Genezareth und sind sehr nahe beieinander. Sie bilden zusammen ein Dreieck. Diese Städte haben den Messias auf besondere Weise verworfen.

Zu jener Zeit, so heißt es in Vers 25, begann Jesus zu sprechen: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Verständigen verborgen und es Unmündigen offenbart hast.“ Der Herr Jesus preist also den Vater dafür, dass diejenigen, die sich weise und verständig vorkamen, ihn nicht erkennen konnten. Hingegen haben die Demütigen, die Unmündigen, wie Kinder, ihn erkennen können.

Wir wissen aus Kapernaum, der Stadt, die unter diesen dreien besonders hervorgehoben wird, dass sie bis zum Himmel erhöht und zugleich bis zum Totenreich erniedrigt werden wird. Kapernaum war die Stadt, in der der Herr Jesus ab Beginn seines öffentlichen Dienstes seinen Wohnsitz nahm. Dort kam auch ein Beispiel von Menschen zum Glauben, die als solche Unmündigen bezeichnet werden können.

Matthäus, der Zöllner in Kapernaum, ist ein Beispiel dafür. Im Kapitel neun beschreibt er seine Bekehrungsgeschichte, als der Herr dort am Zollhaus vorbeiging. Matthäus ist auch der Schreiber des Evangeliums.

Weiterhin hatte Petrus ein schönes Haus in Kapernaum. Petrus und Andreas, ursprünglich aus Bethsaida, stammen aus dieser nahegelegenen Stadt am Nordende des Sees Genezareth. Sie zogen aber ebenfalls nach Kapernaum.

Ein weiteres Beispiel ist der römische Hauptmann, der die Synagoge von Kapernaum gespendet hat (Lukas 7). Der Herr rühmt den Glauben dieses Nichtjuden und sagt: „In ganz Israel habe ich keinen Glauben gefunden wie bei diesem Mann.“ Dieser Mann war ein Zenturio, also ein Offizier über hundert Soldaten.

So haben wir verschiedene Beispiele von denen, die der Herr Jesus Unmündige nennt. Die anderen aber waren zu stolz. Der Herr preist den Vater dafür, dass diejenigen, die zu stolz sind, ihn nicht erkennen können.

Die Offenbarung des Vaters durch den Sohn und die Einladung Jesu

Und weiter sagt er in Vers 26: „Ja, Vater, denn so war es wohlgefällig vor dir. Alles ist mir übergeben von meinem Vater, und niemand erkennt den Sohn als nur der Vater. Noch erkennt jemand den Vater als nur der Sohn und wem irgend der Sohn ihn offenbaren will.“

Hier sehen wir, dass die Offenbarung Gottes durch den Sohn geschieht – gegenüber denen, die nicht stolz sind, sondern sich demütigen, also den Unmündigen.

Weiter sagt er als Einladung an alle Menschen, denn niemand ist prinzipiell vom Heil ausgeschlossen: „Kommt her zu mir alle, ihr Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch Ruhe geben. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen, denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“

Zweimal spricht Jesus hier von der Ruhe, die diejenigen erhalten, die an ihn glauben und ihn erkennen.

Jetzt sehen wir, warum es wichtig ist, Vers 1 in Kapitel 12 zu betrachten: „Zu jener Zeit ging Jesus am Sabbat.“ Er spricht über die Ruhe. Im nächsten Abschnitt geht es dann um den Ruhetag, den Sabbat.

Wir haben gesehen, dass dieser Abschnitt bis Vers 8 reicht. Danach folgt ein neuer Abschnitt, in dem es wieder um den Sabbat geht – und zwar in den Versen 9 bis 14. Dort wird die Frage behandelt, was am Sabbat erlaubt ist.

So gibt es zwei Abschnitte über das Thema Ruhetag.

Die Autorität des Sohnes des Menschen über den Sabbat

Und in dem Zusammenhang stellte sich Jesus vor Vers 8, 12.

Vers 8: „Denn der Sohn des Menschen ist Herr des Sabbats.“ Der Ausdruck „Sohn des Menschen“ ist nach Daniel 7,14 und auch Psalm 8 ein Titel für den Messias. Er bedeutet nicht „Sohn der Menschen“ wie wir, denn wir stammen immer von zwei Menschen ab. Darum werden wir in Vers 3 „Söhne der Menschen“ genannt.

Der Messias hingegen wird „Sohn des Menschen“ genannt, weil er von einer Jungfrau abstammen sollte, wie es in Jesaja 7,14 prophezeit wird. So sagt also der Sohn des Menschen, der Messias, dass er Herr des Sabbats ist. Das bedeutet, dass er über diesem Ruhetag steht, Autorität über den Ruhetag hat und derjenige ist, der die symbolische Bedeutung des Sabbats erfüllt.

Der Sabbat war von Anfang an, als Gott ihn Israel am Sinai gab, ein Gebot, das Israel von allen Völkern unterscheiden sollte. Er sollte auch das Zeichen des Bundes zwischen Gott und Israel sein. Von Anfang an war der Sabbat ein Hinweis darauf, dass einmal der Messias kommen wird, der uns zur Ruhe führen wird.

In diesem Zusammenhang sagt Jesus: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, und ich werde euch Ruhe geben.“ Am Schluss von Vers 29 fügt er hinzu: „Und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen.“ Damit macht er klar, dass er, der Herr des Sabbats, die wahre Bedeutung des Sabbats offenbart.

Der Sabbat hat eine messianische Bedeutung und weist darauf hin, dass der Messias den Menschen, die an ihn glauben, wirklich innere Ruhe schenken wird. Er wird keine Bürde auferlegen, die menschlich nicht zu tragen ist. Jesus sagt: „Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir.“ Er betont dabei: Nicht „mein Joch“, sondern „mein Joch“.

Von diesem Joch sagt er: „Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht“ (Vers 30). Das ist ein deutlicher Kontrast. Israel hat am Sinai das Gebot bekommen: „Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst.“ Im Lauf der Geschichte des Volkes Israel wurde im Judentum eine riesige Auslegung um dieses Gebot gemacht. Man legte Hunderte von Zusatzbestimmungen für den Sabbat fest – weit über tausend.

Im Lauf der Zeit kamen sogar weitere hinzu, auch bis in die moderne Zeit. So wurde zum Beispiel diskutiert, wie ein Aufzug konstruiert sein muss, damit man ihn am Sabbat benutzen kann. Diese Bestimmungen findet man nicht in der Bibel. Doch aufgrund von Schlussfolgerungen wurden immer neue Regeln entwickelt. Nach der Schlussfolgerung der Schlussfolgerung wurde erneut geschlossen, und so entstand die Idee, wie ein Sabbat funktionieren muss, damit er quasi akzeptabel ist.

So wurde ein riesiges System um das Sabbatgebot aufgebaut. Petrus sagt in Apostelgeschichte 15, dass dies ein Joch war, das nicht zu tragen war. Schauen wir dazu kurz in Apostelgeschichte 15, Vers 10: „Nun denn, was versucht ihr Gott“, sagt Petrus, „indem ihr ein Joch auf den Hals der Jünger legt, das weder unsere Väter noch wir zu tragen vermochten.“

All diese Zusatzbestimmungen führten zu einer enormen Bürde und verdunkelten den Blick auf die wirklich geistliche Bedeutung des Sabbats. Diese sollte darauf hinweisen, dass, wenn der Messias kommt, er uns wahre innere Ruhe und inneren Frieden schenken wird.

Der Frieden Jesu als Erfüllung des Sabbats

Um diesen inneren Frieden noch besser zu verstehen, können wir in Johannes 14 nachschlagen. Jesus sagte zu den Jüngern am Vorabend der Kreuzigung in Johannes 14, Vers 27: „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht wie die Welt gibt, gebe ich euch. Euer Herz werde nicht bestürzt und sei auch nicht furchtsam.“

Hier haben wir zwei Arten von Frieden: einen Frieden, den der Herr Jesus lässt, und einen Frieden, den er ständig gibt. Mit „Frieden lasse ich euch“ wollte Jesus sagen, dass er am nächsten Tag am Kreuz sterben würde, um Frieden zu machen zwischen uns und Gott.

Es ist der Friede, von dem in Römer 5, Vers 1 die Rede ist: „Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott.“ Jeder, der an den Herrn Jesus geglaubt hat, seine Schuld Gott bekennt und bereut, darf wissen: Zwischen Gott und mir ist alles bereinigt. Denn der Herr Jesus hat die Sünden des ganzen Lebens – aus der Vergangenheit und sogar die, die in der Zukunft liegen – am Kreuz schon längst getragen und abgeschafft.

Also, es ist Frieden mit Gott.

Doch Jesus sagt noch zusätzlich: „Meinen Frieden gebe ich euch.“ Damit meint er den Frieden, den er im Herzen genossen hat während seines Lebens – trotz aller Anfeindungen, Hindernisse, Ablehnung und des Hasses, den er auf dieser Erde von den Menschen erfahren hat. Er hatte stets diesen Frieden in der Gemeinschaft mit dem Vater in seinem Herzen.

Und er sagt den Gläubigen: „Meinen Frieden gebe ich euch.“ Im Griechischen ist das ein Durativ, das heißt, diesen Frieden gibt er euch immer wieder.

So schnell geht uns dieser Friede durch kleine Dinge verloren. Es kommt Unruhe, Unrast und Unzufriedenheit hinein. Aber der Herr Jesus will uns diesen Frieden immer wieder neu geben. Sobald wir auch die Dinge wegtun, die uns hindern, schenkt er uns diesen Frieden zurück.

Das ist eine wunderbare Verheißung.

Grundsätzlich gilt: Frieden mit Gott bleibt für alle Zeiten und kann durch nichts erschüttert werden. Den praktischen Frieden – „Meinen Frieden gebe ich euch“ – spricht der Herr Jesus aus, wenn er sagt: „Ich werde euch Ruhe geben, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen.“

Das fasst eigentlich diese beiden Arten von Frieden zusammen: Frieden mit Gott und den praktischen Frieden im Herzen. Diesen Frieden gibt der Herr des Sabbats.

Der Sabbat als Zeichen des Bundes mit Israel

Und was ich noch angetönt habe, ist ganz wichtig: Das Sabbatgebot hat Gott nur Israel gegeben, und zwar, um Israel von allen Völkern zu unterscheiden.

Wir können das kurz in 2. Mose 31,16 nachlesen. Schon davor ist vom Sabbat die Rede, aber ab Vers 16 heißt es: „Und die Kinder Israels sollen den Sabbat beobachten, um den Sabbat zu feiern bei ihren Geschlechtern. Ein ewiger Bund, er ist ein Zeichen zwischen mir und ihnen.“

Von der Schöpfung bis zum neuen Himmel und zur neuen Erde gibt es insgesamt sieben Zeitalter. Jedes Zeitalter beginnt mit einem Bund Gottes und mit Segen. Danach folgt ein Niedergang durch die Untreue des Menschen. Dieser Niedergang wird so schlimm, dass er am Ende mit Gericht und Fluch endet. Dann beginnt ein neues Zeitalter, in dem Gott einen neuen Bund schließt.

Zum Beispiel am Anfang der Bund mit Adam, dann der nächste Bund mit Noah, also bis zur Sintflut. Das ist das erste Zeitalter. Danach macht Gott einen Bund mit Noah und gibt Segen. Doch dann geht alles abwärts, bis es wieder mit Fluch und Gericht endet. Danach folgt der Bund mit Abraham, ebenfalls mit Segen, doch auch hier gibt es einen Niedergang, der mit Gericht endet. So wiederholt sich dieses Muster siebenmal konsequent durch die gesamte Heilsgeschichte hindurch.

Jeder Bund hat ein Symbol. Zum Beispiel war das Symbol des Bundes mit Adam ein Baum, der Baum der Erkenntnis. Beim Bund mit Noah war das Symbol der Regenbogen. Beim Bund mit Abraham ist es die Beschneidung, das Zeichen der Beschneidung. Und beim Bund mit Israel am Sinai ist das Symbol der Sabbat.

Wichtig ist: Dieser Bund wurde nur mit Israel geschlossen. Gott hat zwar am Anfang, nach den sechs Schöpfungstagen, aufgehört zu schaffen. Das war der Sabbat, denn Gott ruhte. Aber es heißt nicht, dass Adam ruhte. Der Schöpfungsbericht sagt, dass Gott am siebten Tag ruhte. Das ist der Tag Gottes. Erst später machte Gott diesen Ruhetag Gottes zum Ruhetag von Israel.

So wurde der Sabbat zum Gebot für Israel. Er sollte Israel als Volk Gottes hier auf Erden vorbereiten. Einmal wird der Messias kommen, und er wird euch in die wahre Sabbatruhe hineinführen.

Die Wochenstruktur und die messianische Bedeutung des Sabbats

Und so war also die Haltung Israels am ersten Tag der Woche. Welcher Wochentag ist das? Der Sonntag.

Das ist der Tag, mit dem die Bibel beginnt: „Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.“ Der erste Schöpfungstag ist also der Sonntag. Auch in der Bibel wird dieser Tag nicht Sonntag genannt, weil er nichts mit dem Sonnengott zu tun hat, sondern weil er einfach der erste Tag ist. Auf Hebräisch sagt man heute noch für Sonntag „Yom Rishon“, was „erster Tag“ bedeutet.

So beginnt der Israelit die Woche, und am Ende sieht er, dass nach all der Mühe der Woche die Ruhe kommt. Diese Haltung hatte Israel im Alten Testament: Der Messias wird einmal kommen und nach all den Mühen, Kämpfen und Nöten des Lebens wird er uns Ruhe bringen.

Und jetzt ist er da. Matthäus, einer aus Kapernaum, der den Messias erkannt hat, stellt ihn so vor: „Ich werde euch Ruhe geben, ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen.“ Er sagt außerdem: „Mein Joch ist sanft.“

Dieses Joch, das die Rabbiner mit all ihren Zusatzbestimmungen aufgebaut haben, ist, wie Petrus sagt, ein Joch, das unsere Väter und auch wir nicht zu tragen vermochten. Es ist wirklich kein einfaches Leben, ein orthodoxer Jude zu sein, wenn man sich bemüht, all diese Bestimmungen einzuhalten.

Der Alltag ist bis ins kleinste Detail geregelt – nicht nur der Sabbat, sondern auch die anderen Tage. Die Rabbiner haben gesagt: „Das muss man so machen, das so und das so.“ Alles ist bestimmt.

Das ist eine unglaubliche Würde. Und darum ist es eine große Entlastung, wenn ein orthodoxer Jude zum Glauben an den Messias kommt. Man kann sich kaum vorstellen, was das bedeutet, wenn er „lernt: Nehmt auf euch mein Joch, das ist sanft, und meine Last ist leicht.“ Etwas völlig anderes.

Die Situation am Sabbat und die Auseinandersetzung mit den Pharisäern

Und nun sehen wir also den Zusammenhang zum nächsten Abschnitt. Zu jener Zeit ging Jesus am Sabbat durch die Kornfelder. Es war eine besondere Situation, denn die Jünger waren hungrig. Und was geschah? Sie begannen, an einem Ehrenfeld Ähren abzureißen, was nach dem Gesetz Mose erlaubt war.

Das ist vergleichbar mit dem, was wir im Schweizer Gesetz unter dem Begriff des Mundraubs kennen. Mundraub bedeutet, dass man bei einem Bauern einfach einen Apfel mitnimmt, wenn man unterwegs ist. In unserem Gesetz wird das als Mundraub bezeichnet. Und Mundraub war nach dem Gesetz in Israel erlaubt. Wenn man durch die Ähren geht, durfte man pflücken. Das war also kein Problem.

Aber es war Sabbat. Die Rabbiner hatten mit ihren genauen Bestimmungen festgelegt, dass wenn man am Sabbat zum Beispiel Mundraub begeht und eine Ähre abreißt, das als Ernten gilt. Und Ernten ist verboten am Sabbat. Das heißt, wenn man diese Körner nimmt und in den Mund führt, gilt das als Sammeln in die Scheune. Das war ebenfalls verboten, denn am Sabbat durfte man nicht in die Scheune sammeln.

Nach Lukas 6, in der Parallelstelle, haben die Jünger sogar noch ein Gebot gebrochen, nämlich ein rabbinisches Gebot. Schauen wir kurz nach: Lukas 6, Vers 1. Dort heißt es: Es geschah aber am zweiten Sabbat, dass Jesus durch die Kornfelder ging, und seine Jünger Ähren abpflückten und aßen, wobei sie die Körner mit den Händen zerrieben. Das war eine Arbeit, nämlich Dreschen. Also Ernten, Dreschen, Speichern – das war am Sabbat nicht erlaubt.

Darum wurde Jesus von den Pharisäern angegangen. Sie fragten: Wie ist das möglich? Deine Jünger brechen das Gesetz, und du akzeptierst das? Du solidarisierst dich mit ihnen, denn du sagst nichts dagegen.

Jetzt erklärt Jesus seine Auslegung des Sabbatsgebotes. Hier prallen zwei verschiedene Welten aufeinander: das rabbinisch ausgearbeitete, riesige Gesetzessystem, das man grundsätzlich im Talmud findet – in der älteren Schicht, der Mischna, und den Kommentaren dazu, der Gemara, zusammen der Talmud mit vielen dicken Bänden – und die Auslegung des Messias.

Die Frage stellt sich: Wer hat Recht? Man wurde herausgefordert, sich zwischen zwei Systemen zu entscheiden. Beides zusammen funktioniert nicht.

Jesus erklärt nun in Vers 3: Habt ihr nicht gelesen, was David tat, als er und die bei ihm waren, hungerten? Er verweist auf 1. Samuel 21, die Geschichte, als David zur Stiftshütte kam und hungrig war. Es war gerade Sabbattag. Damals wurden die Schaubrote in der Stiftshütte – hier wird sie noch als das Haus Gottes bezeichnet, denn es war die Zeit vor Salomo – vom Hohenpriester David und seinen Freunden gegeben.

Die Schaubrote durften normalerweise nur die Priester essen. Doch in dieser Ausnahmesituation, weil sie so hungrig waren, bekamen David und seine Freunde diese Brote. Es waren sieben Tage alte Brote, die normalerweise ersetzt wurden.

Jesus macht klar, dass es eine Hierarchie der Gebote gibt. Das Gebot, Hunger zu stillen, steht höher als das Gebot, dass nur Priester die Schaubrote essen dürfen. Wichtig ist zu beachten, dass das Gebot, dass nur Priester die Schaubrote essen dürfen, kein moralisches Gebot ist, bei dessen Verletzung etwas grundsätzlich Böses geschieht, wie Mord oder sexuelle Sünde. Es ist vielmehr eine rituelle Anordnung.

Die Hungersituation von David und seinen Freunden wird von Gott höher gewichtet als die rituelle Anordnung. So durften die Jünger, die hungrig waren, nach Jesu Erklärung das Mundrauben am Sabbat durchführen. Das Ernten des Feldes wäre nicht erlaubt gewesen, aber das Mundrauben war gesetzlich zulässig.

Weiter argumentiert Jesus, und es fällt auf, dass er immer wieder Fragen stellt. Er sagt nicht einfach: „So ist es“, sondern stellt Fragen, damit die Zuhörer nachdenken müssen. Das macht es für sie einfacher, die Argumentation zu akzeptieren.

Das ist auch eine hilfreiche Methode, um mit Menschen zu sprechen, die anderer Ansicht sind. Oft hilft es, eine Frage zu stellen, um eine harte Konfrontation abzuschwächen.

Jesus sagt: Habt ihr nicht gelesen, was David tat? Und weiter in Vers 5: Oder habt ihr nicht im Gesetz gelesen, also in den fünf Büchern Mose, dass die Priester am Sabbat im Tempel den Sabbat entweihen und doch schuldlos sind?

In 3. Mose 24,8 und 4. Mose 28,9-10 sehen wir, wie Priester auch am Sabbat arbeiten mussten – im Tempel. Und warum durften sie das ohne zu sündigen? Weil es eine Hierarchie der Gebote gibt.

Etwas im Tempel, im Gottesdienst für Gott zu tun, steht höher als das Gebot der Sabbatur.

Das ist übrigens ein Prinzip, das ich auch aus der Musik kenne. In der Komposition gibt es genaue Gesetze, wie man Akkorde miteinander verbinden muss, um zum Beispiel einen vierstimmigen Choral im Stil von Bach zu komponieren. Doch es gibt Situationen, in denen zwei Gesetze in der Komposition in Konflikt geraten.

Man kann das nur lösen, indem man eines dieser Gesetze missachtet. Ich habe Tonsatz bei einem israelischen Komponisten studiert. Er erklärte uns, dass von zwei Gesetzen das eine für die Schönheit des Zusammenklangs wichtiger ist als das andere. Deshalb darf man eine Verbindung machen, die das eine Gesetz einhält, auch wenn man das andere missachtet.

Das ist genau das Prinzip, das Jesus hier erklärt. Dabei geht es nicht darum, dass etwas, das im Wesen böse wäre, erlaubt wird. Es handelt sich nicht um eine moralische Sünde, die durch ein anderes Gebot aufgehoben wird.

Hier geht es um die Frage, ob man am Sabbat zur Ehre Gottes im Tempel etwas tun darf oder nicht. Und die Antwort ist: Ja, das ist höher angesetzt als das Sabbatgebot. Darum müssen Priester am Sabbat opfern.

Beispiel aus Ezra und die Gewichtung von Geboten

Eine kurze Frage zum Thema Gesetze: Ich lese gerade im Buch Esra, Kapitel 9. Dort weint Esra darüber, dass sich das Volk mit Heiden vermischt hat. Das Volk entscheidet sich, heidnische Frauen und Kinder auszusondern, also sich im Grunde scheiden zu lassen, weil Gott gesagt hat, sie dürfen sich nicht vermischen.

Es gibt zwei Gebote, die miteinander in Konflikt stehen: Zum einen das Gebot, sich zu trennen, und zum anderen das Gebot, sich nicht zu vermischen. Für den Livestream wiederhole ich eine ganz interessante Frage. In Esra 9 geht es um das Problem, dass einige Israeliten fremde Frauen geheiratet haben, was ganz klar gegen die Verordnung Gottes ist. Das ist vergleichbar mit dem Neuen Testament, wenn ein Gläubiger eine Ungläubige heiratet.

Esra, der sich über diesen Missstand beugt, ruft das Volk zur Buße auf. Er sagt, sie müssen diese Frauen hinausgeben. Nun stellt sich natürlich die Frage: Wird das höher gewertet als das Verbot der Ehescheidung, die Gott hasst? Das steht im Alten Testament, im Buch Maleachi.

Diese Frauen wurden hinausgetan, um die Heiligkeit zu bewahren. Wäre das unser Thema heute, würden wir es im Detail anschauen und auch die hebräischen Wörter betrachten. Es ist aber ganz eindeutig zu erkennen, dass es hier nicht um Ehescheidung ging. Vielmehr wurden diese Frauen aus der Gemeinschaft Israels ausgeschlossen und mussten an einem anderen Ort wohnen.

Die Ehe bestand weiter, aber das Problem war, dass sie nicht das Recht hatten, in die Gemeinschaft Israels aufgenommen zu werden – und schon gar nicht, den Tempel zu betreten. Daraus entstand eine schwierige Situation: Sie mussten mit ihren Kindern einen Wohnsitz einnehmen, getrennt von der Gemeinschaft Israels. Aus dem Text geht aber klar hervor, dass die Ehe nicht aufgelöst wurde.

Das löst das Problem, das viele beschäftigt hat: Wie kann es Ehescheidung geben, ohne dass Unzucht vorliegt? Es war keine Ehescheidung, sondern eine schwierige Situation. Der israelitische Ehemann musste seine Familie weiterhin besuchen, aber es war eine getrennte Situation, getrennt von der Gemeinschaft Israels.

Dieses Getrenntsein bedeutete, dass die Männer weiterhin die volle Verantwortung für ihre Familie übernahmen und auch für die eheliche Gemeinschaft. Diese war nicht aufgehoben. Dennoch musste eine Separation, also eine Trennung, zwischen den Heiden und Israel bestehen.

Natürlich hätte es auch die Möglichkeit gegeben, dass jemand sich bekehrt und zum Judentum übertritt. Das war ja die Situation von Ruth. Im Buch Ruth sehen wir, dass sie im Volk Israel aufgenommen wurde. Diese Ehe mit Boas war kein Problem, sondern wird in der Bibel vielmehr gepriesen.

Ähnlich verhält es sich mit der Hure Rahab in Josua 2. Diese Frau kehrte um, trat zum Volk Israel über und wurde Jüdin. Sie heiratete einen Juden aus dem Stamm Juda. Deshalb wird sie im Stammbaum des Messias im Matthäusevangelium Kapitel 1 genannt.

Auch hier handelt es sich um eine Kanaaniterin, die übertrat, und Ruth, eine Moabitin, die ebenfalls übertrat. Das war möglich, aber nur mit Umkehr und Abkehr vom Götzendienst.

 Esra 9 macht deutlich, dass die Verantwortung, die man mit der Ehe eingeht, nicht einfach abgeschoben werden kann.

Die Größe des Messias und die Priorität der Barmherzigkeit

Gehen wir zurück zu Matthäus 12. Dort wird deutlich gemacht, wie es auch in der Musik der Fall ist: Ein schwerwiegendes Gesetz kann ein weniger wichtiges aufheben.

Jesus sagt in Vers 6: „Ich sage euch aber, Größeres als der Tempel ist hier.“ Er, der Messias, war größer als der Tempel. Der Tempel war ja die Stiftshütte und später der Salomontempel, dann der zweite Tempel. Diese Gotteshäuser waren symbolische Hinweise auf den Messias.

Darum heißt es in Jesaja 8, Vers 14, von dem Messias – und diese Stelle wird auch von den Rabbinern im Judentum auf den Messias bezogen – Folgendes: „Und er wird zum Heiligtum sein, aber zum Stein des Anstoßes und zum Fels des Strauchens, den beiden Häusern Israels, zur Schlinge und zum Fallstrick den Bewohnern von Jerusalem.“

Wenn Jesus also zu den Rabbinern, den Pharisäern, sagt, dass hier Größeres als der Tempel ist, konnte jeder Schriftgelehrte den Zusammenhang zu Jesaja 8 herstellen. Es ist die einzige Stelle im Alten Testament, die ganz ausdrücklich sagt, dass der Messias Gottes Tempel sein wird.

Denn in ihm, in dem Herrn Jesus, wohnt die ganze Gottheit leibhaftig (vgl. Kolosser 2,9). Das bedeutet, der dreieinige Gott war in ganz besonderer Weise den Menschen gegenwärtig in Jesus als Mensch. Er ist der Tempel Gottes.

In dieser Stelle wird außerdem gesagt, dass Israel sich an dem Messias ärgern und dadurch zu Fall kommen wird. Diese Verknüpfung ist wichtig im Zusammenhang mit Matthäus 11, wo Jesus die Städte Chorazin, Bethsaida und Kapernaum verurteilt. Jetzt, in Kapitel 12, sind es die Pharisäer, die den Herrn in Frage stellen. Das ist ein bedeutender Zusammenhang.

Jesus, der Messias, ist die Erfüllung der Symbolik des Tempels und der Stiftshütte. Er ist größer als der Tempel. Wenn die Jünger mit ihm unterwegs sind, Hunger haben und am Sabbat Ähren abreissen, ist das eine erhabene Situation – sogar höher zu bewerten als der Opferdienst der Priester am Sabbat im Tempel.

Damit wird das Sabbatgebot quasi aufgehoben. Dann folgt die Argumentation mit Hosea 6,6: „Wenn ihr aber erkannt hättet, was das ist…“ – jetzt folgt das Zitat Gottes: „Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer.“

Hier wird alttestamentlich angedeutet, dass Barmherzigkeit, wie im Fall von David, der Hunger hatte und die Schaubrote aß, höher bewertet wird als das rein rituelle Gebot, Tieropfer zu bringen.

Wenn die Pharisäer diesen geistlichen Grundsatz aus Hosea 6 verstanden hätten, hätten sie die Jünger nicht verurteilt.

Dann macht Jesus klar: Er, der Messias, der Sohn des Menschen, ist Herr des Sabbats. Er steht über dem Sabbat und ist zugleich die Erfüllung des Sabbats, denn er bringt die wahre Ruhe.

Ergänzende biblische Hinweise zum Mundraub und Priesterdienst

Ja, dann machen wir jetzt eine Pause. Ich möchte gerne noch zur Ergänzung darauf hinweisen, dass das Gebot über den Mundraub in 5. Mose 23 zu finden ist. Es steht in direktem Zusammenhang mit unserem Kapitel hier, 5. Mose 23, Vers 25:

„Wenn du in das Getreidefeld deines Nächsten kommst, so magst du Ähren mit deiner Hand abpflücken, aber die Sichel sollst du nicht über das Getreide deines Nächsten schwingen.“

Es war also nur ein minimal begrenzter Genuss vom Getreidefeld erlaubt, aber natürlich nicht in größerem Maß – darum keine Sichel.

Dann noch zum Dienst der Priester am Sabbat: In 4. Mose 28 geht es um Opfer am Sabbat. Gott hat diese so angeordnet. 4. Mose 28, Vers 9 sagt:

„Und am Sabbattag zwei einjährige Lämmer ohne Fehl und als Speisopfer zwei Zehntel Feinmehl, gemengt mit Öl, und sein Trankopfer.“

Es ist das Brandopfer des Sabbats, an jedem Sabbat, neben dem beständigen Brandopfer und seinem Trankopfer. Also eine ganz direkte Anweisung über Opfer, die am Sabbat von Priestern gebracht werden mussten, ebenso das Speisopfer. Das bedeutete auch die Arbeit eines Bäckers. Der Teig wurde aus Mehl hergestellt, gemengt mit Öl, und auch das Trankopfer wurde ausgegossen. All diese Arbeiten sollten am Sabbat erfolgen.

Dann noch Dritte Mose 24. Im Zusammenhang geht es um die zwölf mächtigen Brote des Schaubrottisches, die immer am Sabbat gewechselt wurden. Ich lese Dritte Mose 24, Vers 7:

Es geht davor um den reinen Tisch, den Schaubrottisch aus reinem Gold. „Und du sollst auf jede Schicht reinen Weihrauch legen, und er soll dem Brot zum Gedächtnis sein, ein Feueropfer dem Herrn. Sabbattag für Sabbat soll er es beständig vor dem Herrn zurichten, ein ewiger Bund vonseiten der Kinder Israel.“

Darauf baut der Herr Jesus auf und zeigt, dass das am Sabbat erlaubt war, weil Gott dieses Gebot mit den Opfern im Tempel höher wertete als das Einhalten der Sabbatruhe.

Aber es kommt hinzu: Der Messias ist größer als der Tempel. Darum gibt diese Gemeinschaft der Jünger mit dem Herrn nochmals eine besondere Situation.

Die genaue zeitliche Einordnung des Ereignisses

Und jetzt ist es so, dass wir dieses Ereignis ganz genau datieren können. Wir haben gesehen, dass es am Sabbat stattfand. Das war ungefähr zur Zeit der Ereignisse, die in Matthäus 11 beschrieben sind. Noch genauer wird es, wenn wir Lukas 6 aufschlagen, eine Parallelstelle dazu. Dort heißt es in Lukas 6, Vers 1: „Es geschah aber am zweiten Sabbat, dass er durch die Kornfelder ging, und seine Jünger pflückten die Ähren ab usw.“

Ein eigenartiger Ausdruck: Was ist der „zweite Sabbat“? Die Elberfelder Bibel hat dazu eine hilfreiche Fußnote. Die frühere Elberfelder Ausgabe erklärte diese Stelle in der Einleitung besonders. Dort heißt es, dass mit dem „zweiten Sabbat“ der zweite Sabbat nach dem Passafest gemeint ist, also der erste nach der Darbringung der Erstlingsgabe (3. Mose 23,10-12).

Können wir das mal noch aufschlagen? In 3. Mose 23,12 wird zuerst das Passafest vorgestellt, in den Versen 4 bis 8. Dort heißt es: Das Passafest ist das Fest am vierzehnten Tag des Monats Nisan. Ab Vers 9 folgt das Erstlingsfest.

Genauer gesagt, in den Versen 4 bis 5 geht es um das Passa, das Fest des Herrn. Gleich danach wird das zweite Fest der sieben Feste des Herrn in Vers 6 erwähnt. Am fünfzehnten Tag dieses Monats beginnt das Fest der ungesäuerten Brote, das sieben Tage dauert.

Das Passafest ist am vierzehnten Tag, an dem die Passalämmer geschlachtet werden müssen. Am Abend desselben Tages – im Judentum beginnt der neue Tag mit dem Abend – beginnt der fünfzehnte Tag. Dieser ist der Tag, an dem man das Passalam essen und die Passafeier durchführen musste. Das war gleichzeitig der erste Tag des zweiten Festes, das Fest der ungesäuerten Brote. Sieben Tage lang durfte man nur ungesäuertes Brot essen.

In dieser gleichen Woche, also dicht beieinander, gibt es noch ein drittes Fest: das Erstlingsfest, das in Vers 9 beschrieben wird. Dort spricht der Herr zu Mose: „Rede zu den Kindern Israel und sprich zu ihnen: Wenn ihr in das Land kommt, das ich euch gebe, und ihr seine Ernte erntet, so sollt ihr eine Gabe der Erstlinge eurer Ernte zu dem Priester bringen. Er soll die Gabe vor dem Herrn darbieten zum Wohlgefallen für euch. Am anderen Tag nach dem Sabbat soll sie der Priester darbieten.“

Man muss sich das so vorstellen: Das Passafest am 14. Nisan konnte auf jeden Wochentag fallen. Es war nicht an einen bestimmten Wochentag gebunden, sondern an ein bestimmtes Datum im Monat. Je nach Verschiebung des Kalenders konnte das ein Donnerstag, ein Freitag oder auch ein Sabbat sein.

Aber in dieser Woche gilt: Am Tag nach dem Sabbat kommt das Erstlingsfest. Dieses Fest ist also nicht an einen bestimmten Kalendertag gebunden, sondern immer am Tag nach dem Sabbat in der Passawoche. Das heißt also immer am Sonntag.

Interessant ist, dass zur Zeit der Kreuzigung Jesu die Schlachtung der Passalämmer am 14. Nisan auf einen Donnerstag fiel. Am Donnerstagabend begann im Judentum bereits der fünfzehnte Nisan, der Tag der Passafeier. Jesus feierte das Passa mit seinen Jüngern und setzte dabei das Abendmahl ein.

Am nächsten Tag, dem Freitag, fand die Kreuzigung statt. Es war aber immer noch der fünfzehnte Nisan, denn dieser Tag begann mit der Passafeier und dem Abendmahl am Vorabend und dauerte bis Freitagabend.

Freitagabend begann der Sabbat. Noch vor dem Sabbat wurde Jesus ins Grab gelegt. Er lag den ganzen Sabbat über im Grab. Am ersten Tag der Woche, also am Sonntag, ist er auferstanden – am dritten Tag, gerechnet von Freitag bis Sonntag.

Im Judentum zählt man immer einen Tag voll, auch wenn er nur angebrochen ist. Das sieht man zum Beispiel in den Büchern der Könige. Deshalb, wenn Jesus sagt, dass er drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein wird, bedeutet das drei Kalendertage.

Das Wort „Tag“ kann hier die helle Tageszeit oder auch den ganzen Kalendertag von 24 Stunden bedeuten. Wenn Jesus von drei Tagen und drei Nächten spricht, meint er drei Kalendertage – also den 15., 16. und 17. Nisan.

Der 17. Nisan war der Tag nach dem Sabbat. An diesem Tag musste man das Erstlingsfest feiern. Es war vorgeschrieben, ein bestimmtes Feld mit Gerste zu ernten und die Erstlingsgabe zum Tempel zu bringen. Erst ab diesem Moment war es erlaubt, überall im Land zu ernten. Vorher war das verboten.

Die Gerste wurde gesät, das Korn fiel in die Erde – ein Bild für das Sterben. Das Aufwachsen der Gerste ist ein Bild für die Auferstehung. Jesus wird als Auferstandener in 1. Korinther 15 als „Erstling der Entschlafenen“ bezeichnet.

So fiel dieses Fest genau auf den Auferstehungstag. In 3. Mose 23 wird weiter gesagt: „Und ihr sollt euch zählen vom anderen Tag nach dem Sabbat, von dem Tag, da ihr die Wehbegabe gebracht habt. Es sollen sieben volle Wochen sein. Bis zum anderen Tag nach dem siebten Sabbat sollt ihr fünfzig Tage zählen, und ihr sollt dem Herrn ein neues Speisopfer bringen.“ (3. Mose 23,15)

Das ist das Pfingstfest. Auch dieses Fest ist nicht an einen bestimmten Kalendertag gebunden, sondern immer an den Tag nach dem Sabbat, also den Sonntag, von dem aus man sieben Wochen zählt. Nach sieben Wochen ist dann das Pfingstfest.

Damit wird klar, dass das Pfingstfest ebenfalls auf den ersten Tag der Woche fällt. Das war dann in Apostelgeschichte 2 der Geburtstag der Gemeinde.

Nun ist es also wichtig, ab der Passawoche die Sabbattage genau zu zählen.

Kommen wir zurück zu dem schwierigen Ausdruck „zweiter Sabbat“. Das heißt, wie die Fußnote sagt, der zweite Sabbat nach dem Passafest und der erste Sabbat nach der Darbringung der Erstlingsgabe. Es gibt also zwei verschiedene Zählweisen, weshalb er „zweiter Sabbat“ genannt wird.

Damit ist klar, dass Lukas 6, Vers 1 im Frühjahr im Monat Nisan, also März oder April, stattfand – kurz nach dem Passa. Zu dieser Zeit war es bereits erlaubt, irgendwo Gerste abzureißen, weil das Fest der Erstlingsgabe vorbei war.

Das zeigt, dass es die Zeit des Passafestes ist – Frühjahr 30 n. Chr. Der Herr Jesus begann seinen öffentlichen Dienst im Frühjahr 29 n. Chr. Das Passafest, bei dem er den Tempel reinigte (Johannes 2), war Passa 29.

In Lukas 6 sind wir genau ein Jahr später. Die Bibel spricht dann über weitere Feste, besonders im Johannesevangelium, über Passa und das Laubhüttenfest. So kann man die Chronologie genau nachvollziehen.

Beim Passa 32 wurde Jesus gekreuzigt. Es sind die drei Jahre seines öffentlichen Dienstes von Passa 29 bis Passa 32. In Lukas 13, Verse 6 bis 9 spricht Jesus im Gleichnis direkt über diese drei Jahre, in denen er kam, um Frucht am Feigenbaum Israel zu suchen.

Heilung am Sabbat und die Reaktion der Pharisäer

Warum diese lange Rede? Das wird jetzt ganz wichtig für das, was als Nächstes kommt. Gehen wir zurück zu Matthäus 12. Es geht wieder um den Sabbat, Vers 9.

Als Jesus von dort weiterging, kam er in ihre Synagoge. Das zeigt, dass die Ereignisse zeitlich verknüpft sind. Es handelt sich nicht um zwei verschiedene Geschichten, die nur wegen des Themas Sabbat zusammengefügt wurden, sondern es geschah wirklich kurz danach, dass Jesus in eine Synagoge ging.

Dort wird ein Mann mit einer verdorrten Hand vorgestellt. Das bedeutet, seine Hand war unbeweglich, sie war fixiert. In der Bibel wird das als „verdorrte Hand“ bezeichnet. Dann wird Jesus gefragt, ob es erlaubt sei, am Sabbat zu heilen. Diese Frage wird klar gestellt, um ihn anzuklagen.

Jesus stellt daraufhin eine Gegenfrage. Vielleicht haben wir gelernt, dass man keine Gegenfragen stellen soll, weil das unanständig sei. Aber es gibt besondere Gelegenheiten, in denen es sinnvoll ist. Hast du das so gelernt? In Brasilien zum Beispiel darf man als Soldat keine Gegenfragen an Autoritäten stellen. Das hat schon seine Gründe.

Jesus aber stellte bei bestimmten Gelegenheiten Gegenfragen – nicht um zu provozieren, sondern um die Menschen zum Nachdenken zu bringen. Zum Beispiel wurde er in der letzten Woche vor der Kreuzigung, am Dienstag, gefragt: „In welcher Autorität tust du das, was du tust?“ Jesus antwortete: „Ich frage euch etwas: War die Taufe von Johannes von Gott oder von Menschen?“ Die Fragenden wussten genau, was sie glaubten, aber Jesus musste die Gegenfrage stellen, weil es jetzt ernst wurde.

Hier stellt er auch eine Gegenfrage auf ihre Frage: „Welcher Mensch unter euch hat ein Schaf, und wenn dieses am Sabbat in die Grube fällt, wird er es nicht ergreifen und aufrichten?“

Das war eine Debatte im pharisäischen Judentum. Dieses Judentum ist im Talmud überliefert. Die Essener waren eine andere Gruppe neben den Sadduzäern, aber die Essener sind ausgestorben. Die Sadduzäer und Pharisäer verschwanden nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n. Chr. Die Essener waren strenger als die Pharisäer. Sie sagten, wenn ein Schaf am Sabbat in den Brunnen fiel, dürfe man es nicht herausholen. Wenn es dann verendet, dann verendet es eben.

Die Pharisäer, die in ihrer Bedeutung viel wichtiger waren als die Essener, lehrten hingegen, dass man das Schaf am Sabbat retten darf. Zum Beispiel durfte man am Sabbat auch einen Esel losbinden und zur Tränke führen – das ist Arbeit, aber Esel brauchen auch am Sabbat Wasser.

So stellt Jesus eine Gegenfrage: Wie machen das die Pharisäer mit den Schafen am Sabbat? Jeder tut das. Mit dieser Frage gibt Jesus die Antwort selbst: Wo ist ein Mensch unter euch Pharisäern, der am Sabbat nicht ein Schaf retten würde?

Dann sagt er: „Wie viel vorzüglicher ist nun ein Mensch als ein Schaf!“ Das ist eine typische Argumentationsweise im Talmud, also im jüdischen Denken: Wenn etwas so ist, wie viel mehr gilt dann das andere? Wenn es also erlaubt ist, ein Schaf zu retten, wie viel mehr ist es erlaubt, einem Menschen am Sabbat zu helfen.

Darum sagt Jesus mit der Konsequenz: „Strecke deine Hand aus!“ Und was der Mann bis dahin nicht konnte, macht Jesus gesund.

Die Reaktion steht in Vers 14: „Die Pharisäer aber gingen hinaus und hielten Rat gegen ihn, wie sie ihn umbringen könnten.“ Das ist der erste Moment, an dem beschlossen wurde, dass Jesus von Nazareth sterben muss. Das war im Frühjahr des Jahres 30.

Das Los am Jom Kippur und die Verwerfung Jesu

Und jetzt wird es interessant, wenn man im Talmud liest. Das steht im Traktat Joma, der über den Versöhnungstag handelt. Joma bedeutet auf Aramäisch „Tag“. In Joma 39b heißt es, dass vierzig Jahre vor der Zerstörung des Tempels das Los nicht mehr in die rechte Hand kam und die rot gefärbte Schnur nicht mehr weiß wurde. Das muss man erklären.

Am Jom Kippur, dem großen Versöhnungstag, wurden zwei Ziegenböcke vor den Hohen Priester im inneren Vorhof gestellt. Nun musste entschieden werden, welcher Bock als Sündenbock mit der Schuld Israels beladen in die Wüste gejagt wird und welcher geschlachtet werden musste. Sein Blut wurde dann auf den Deckel der Bundeslade oder im Allerheiligsten gesprengt. Das war nicht klar.

Darum wurde dem Hohen Priester eine Box mit zwei Dosen hingehalten. Er musste unter den Deckel greifen, mit beiden Händen gleichzeitig, und je ein Los erfassen. Diese Lose waren etwa so groß, aber mit einem Deckel. Auf einem Los stand „Für den Herrn“ – das ist der Bock, der für den Herrn geschlachtet wird und dessen Blut ins Allerheiligste kommt. Auf dem anderen Los stand „Für Azazel“ – das ist der Bock, der in die Wüste gehen muss.

In 3. Mose 16 steht, dass beim Jom Kippur durchs Los entschieden werden muss, welche der zwei Böcke welche Funktion hat. Der Priester greift hinein, das Los muss sofort aus der Box kommen, und die Lose werden auf die Köpfe der Böcke gelegt. Dann wurde feierlich das Los für den Herrn geöffnet. Das war ein Grund zur großen Freude. Rechts lag das Los für den Herrn, links für Azazel.

Im Talmud wird erklärt, dass man im Judentum die Auffassung hatte: Wenn das Los für den Herrn in die rechte Hand kam, bedeutete das, dass Gott das Opfer am Jom Kippur annimmt. Darum war es immer eine Erleichterung, wenn das Los rechts war.

Dann wurde dem Sündenbock eine rot gefärbte Karmesin-Schnur um die Hörner gebunden. Nachdem der Hohe Priester die Hände aufgelegt und die Sünden Israels aus dem letzten Jahr bekannt hatte, wurde der Bock herausgeführt. Er ging durch das Osttor des Tempels, dann die Treppe hinunter, über eine Brücke ins Kidron-Tal, zum Ölberg hinauf und von dort in die dahinterliegende Wüste gejagt.

So heißt es in 3. Mose 16: Er soll die Sünden in ein wüstes Land wegtragen. Man jagte ihn, bis er über eine Klippe abstürzte und verendete.

Dann ging man hin, und in Joma 39b wird erklärt, dass die Schnur immer wieder weiß wurde. Das geschah im Gedenken an Jesaja 1,18, wo Gott zu Israel spricht, zu Jerusalem, und sagt:

„Kommt denn und lasst uns miteinander rechten, spricht der Herr: Wenn eure Sünden wie Scharlach sind, sollen sie wie Schnee weiß werden. Sind sie rot wie Karmesin, sollen sie werden wie weiße Wolle.“

Jetzt steht in Joma 39b: In den vierzig Jahren vor der Zerstörung des Tempels kam das Los nicht mehr in die rechte Hand, und die rot gefärbte Schnur wurde nicht mehr weiß.

Was bedeutet das? Gott nimmt das Opfer des Jom Kippur zur Vergebung der Sünden Israels nicht mehr an. Die Schnur blieb rot. Karmesin ist blutrot, die Farbe des arteriellen Blutes des Menschen. Blutrot – wir haben Blutschuld auf uns, und Gott vergibt nicht.

Rechnet man von Frühjahr 30 bis Frühjahr 70, hat man diese vierzig Jahre. Im Frühjahr 70, um das Passahfest, schlossen die Römer den Belagerungsring um Jerusalem. In 140 Tagen war die Stadt dem Erdboden gleich. Der Tempel ging in Flammen auf, mehr als eine Million Juden kamen ums Leben. Von da an brachte Israel keine Opfer mehr.

In den vierzig Jahren davor war jedes Jahr das Zeugnis: Gott vergibt nicht, Gott vergibt Blutschuld auf Israel nicht.

Und genau das war es, was Lukas 6 beziehungsweise Matthäus 12 beschreibt, als es um diesen Sabbat ging. Sie hielten Rat, wie sie Jesus umbringen könnten.

Das ist unglaublich. Natürlich gibt es Leute, die sagen, das sei vielleicht so eine rabbinische Erfindung. Aber das wäre das größte Eigentor aller Zeiten, wenn man so etwas erfunden hätte. Denn es gibt den klaren Beweis.

Ein Freund von mir, ein alter Freund, der als orthodoxer Jude in Zürich aufgewachsen war, kam zum Glauben, als er Zahnarztstudent war. Sein Vater teilte ihm das mit. Das war eine Katastrophe. Er wurde ausgestoßen, musste selbst sehen, wie er sein Studium finanzierte, und hatte einen Bruch mit der Familie.

Später gab es wieder Annäherung, als er eine gläubige Frau heiratete und Kinder bekam. Plötzlich können solche Wunden wieder heilen.

Dann zeigte ihm sein Vater Joma 39b und sagte: Schau, 40 Jahre vor der Zerstörung des Tempels hat Gott das Opfer nicht mehr angenommen. Dort war die Wende im Jahr 30, gewissermaßen, und nicht erst im Jahr 70.

Was ist dort geschehen? Es geht um die Verwerfung von Jesus von Nazareth, dem Messias. Ich glaube an diesen Jesus von Nazareth, dass er der Messias ist.

So etwas geht unter die Haut. Das sind wirklich hilfreiche Argumente.

Rückzug Jesu und sein Auftrag für die Nationen

Und wir werden jetzt gleich sehen: In Matthäus Kapitel zwölf wird es immer dramatischer. Wir lesen weiter in Vers 15:

Als aber Jesus es erkannte, zog er sich von dort zurück. Große Volksmengen folgten ihm, und er heilte sie alle. Er gebot ihnen ernstlich, ihn nicht offenbar zu machen, damit erfüllt würde, was durch den Propheten Jesaja geredet ist.

Er spricht – und jetzt folgt ein Zitat aus Jesaja 42,1-4:

Siehe, mein Knecht, den ich erwählt habe, mein Geliebter, an dem meine Seele Wohlgefallen gefunden hat. Ich werde meinen Geist auf ihn legen, und er wird den Nationen das Recht ankündigen. Er wird nicht streiten noch schreien, noch wird jemand seine Stimme auf den Straßen hören. Ein geknicktes Rohr wird er nicht zerbrechen, und einen glimmenden Docht wird er nicht auslöschen, bis er das Recht zum Sieg führt. Auf seinen Namen werden die Nationen hoffen.

In diesem Abschnitt, in diesem Zitat, muss man das Wort „Nationen“ ganz besonders beachten – es kommt zweimal vor. Was bedeutet das?

Jetzt wird klar: Die Führerschaft Israels hat ihn als Messias verworfen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ihn töten. Nun erklärt Matthäus, dass Jesus sich von diesen Leuten zurückzieht, die ihn töten wollen. Aber im Volk Israel gibt es große Volksmengen, die nach wie vor Interesse an ihm haben. Diese folgen ihm.

Das Zitat aus Jesaja zeigt, dass der Messias ein besonderes Anliegen für die Völker der Welt hat. Bereits hier wird angedeutet, was später im Matthäusevangelium immer mehr zum großen Thema wird: Der verworfene Messias wendet sich von Israel ab und den Nationen, den Heidenvölkern, zu.

Doch es gibt weiterhin eine große Volksmenge, die ihn will. Im weiteren Verlauf des Matthäusevangeliums und auch in den anderen Evangelien sehen wir, dass die Führerschaft, die sich entschieden hat, diesen Jesus abzulehnen, das Volk beeinflusst. Schließlich wird vor Pilatus die Volksmenge von den Führern aufgewiegelt, sodass sie fordern, Jesus solle gekreuzigt werden.

So hat die Führerschaft, die sich gegen den Herrn gewandt hat, das Volk immer mehr beeinflusst. Die große Masse hat diese Verwerfung schließlich mitgetragen. Matthäus deutet hier an, dass diese Verwerfung eine Bedeutung hat: Jesaja hat klar gesagt, dass der Messias einen Auftrag für die Nationen hat.

Obwohl er von der Führerschaft zum Tod verurteilt wird, wird er von Gott, dem Vater, genannt: „Mein Geliebter, an dem meine Seele Wohlgefallen gefunden hat. Ich werde meinen Geist auf ihn legen.“ Das haben wir bereits in Matthäus 3 gesehen, bei der Taufe am Jordan. Dort kam der Geist wie eine Taube auf ihn und hat ihn gesalbt für seinen dreijährigen Dienst.

Wir könnten nun noch das Originalwort im griechischen Text von Jesaja nachlesen. Dort finden sich weitere Details, die uns interessieren. Jesaja 42,1 lautet:

Siehe, mein Knecht, den ich stütze, mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt. Er wird den Nationen das Recht kundtun. Er wird nicht schreien und nicht rufen und seine Stimme nicht hören lassen auf den Straßen.

Das bedeutet: Der Messias wird kein Revolutionär sein. Revolutionäre gehen auf die Straßen und schreien dort. Sie werden oft von Leuten unterstützt, die Scheiben einschlagen und Häuser anzünden – so wie es momentan bei Demonstrationen in Amerika geschieht. Dort wird Lärm gemacht, Hass geschürt, Hass gegen Hass.

Der Messias aber wird nie so sein. Er wird nicht schreien, nicht rufen und seine Stimme nicht auf der Straße hören lassen. Das bedeutet nicht, dass er nicht in der Öffentlichkeit predigen würde – das wird in den Evangelien beschrieben. Aber nicht wie ein Revolutionär, der auf den Straßen herumschreit.

Dann heißt es: Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen. Wenn man an einem Teich vorbeigeht, kann man Leute beobachten. Dort sieht man oft, wie sie mit einem geknickten Schilfrohr umgehen. Manche reißen es einfach aus und werfen es weg. Andere versuchen, es zu stützen, damit es wieder wachsen kann.

Genauso ist es mit Menschen: Der Messias wird auf die achten, die irgendwo gebrochen sind. Er wird schauen, wie er sie heilen und wieder zum Wachsen bringen kann.

Es gibt Menschen, bei denen vom Glauben noch etwas da ist – ein kleines Glimmen, wie ein glimmender Docht. Und es heißt: Den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. Er versucht auch dort, wo noch eine kleine Hoffnung ist, das Beste zu bewirken, damit das Feuer wieder entfacht wird.

Er ist unser Vorbild. Wir haben gelesen in Matthäus 11: „Lernt von mir.“ So wird er wunderbar beschrieben.

Wortspiel und Bedeutung für Europa

Und genau das sehen wir in den Evangelien, wenn wir sie lesen: Wie Jesus mit den Menschen umgegangen ist, das ist genau das gewesen.

Es gibt ein Wortspiel, das jedoch nicht in allen Übersetzungen zum Ausdruck kommt. Deshalb lese ich es vor, wie es wirklich im Hebräischen steht. Ich wiederhole nochmals Vers 3:

„Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen, er wird der Wahrheit gemäß das Recht kundtun.“

Er wird nicht verglimmen und nicht knicken, bis er das Recht auf der Erde gegründet hat. Man merkt, dass die gleichen Ausdrücke jetzt auf ihn bezogen werden. Er richtet zwar die Geknickten auf, aber er selbst wird nicht knicken, bis zu dem Moment, an dem er seinen Auftrag erfüllt hat und sterben musste.

Bis dahin wird er nie knicken und nicht verglimmen. Also werden wir nie ein Kerzchen sehen, das nur noch ein bisschen glüht, bis er das Recht auf der Erde gegründet hat. Er musste seinen dreijährigen Dienst auf Erden vollständig durchführen. Erst dann konnte er sterben.

Sie hatten zwar schon nach einem Jahr beschlossen, dass er sterben soll. Sie haben es versucht, sie haben es wiederholt versucht, es ging nicht, bis zu dem Moment, wo er sagt: „Das ist eure Stunde und die Gewalt der Finsternis.“ Und der Menschensohn wurde in sündige Menschen überliefert, bis er das Recht auf der Erde gegründet hat.

Dann heißt es noch: „Und die Inseln werden auf seine Lehre harren.“ In Matthäus haben wir die freie Übersetzung, dass die Nationen auf seinen Namen hoffen.

Jetzt ist es so: Das Wort „Inseln“ heißt auf Hebräisch, das ist gewissenbekannt, „Iyim“. Das ist auch ein Wort, das ich liebe. Es kommt nämlich ganz oft im Alten Testament vor. Das erste Mal in 1. Mose 10, wo es um die Nachkommen von Japheth geht, die hinübergingen nach Europa – das heißt auf die Iyim, auf die Inseln.

Iyim kann man nachlesen im Kommentar von großen Hebräisch-Kennern des 19. Jahrhunderts, Kailon Delitsch, Kommentar über das Alte Testament, Band 1, zu 1. Mose 10. Iyin bezeichnet die Inseln des Mittelmeerraums auf der europäischen Seite, also zum Beispiel all die griechischen Inseln von Patmos bei der Türkei an, und die Küsten von Kleinasien bis nach Spanien.

Damit kann man sagen, Iyim bezeichnet ganz speziell Europa im Alten Testament. Wenn man alle Stellen durchgeht, hat man eine riesige Sammlung zum Thema Europa im Alten Testament.

Dort steht also tatsächlich, dass die Iyim auf seine Lehre harren werden, nicht einfach alle Nationen. Das ist interessant, weil Jesus ja nach seiner Auferstehung den Jüngern den Auftrag gab, das Evangelium allen Nationen zu verkündigen.

Er sagte das in Jerusalem und auf dem Ölberg im Osten von Jerusalem. Dort sind wir am Knotenpunkt der drei Kontinente Europa, Asien und Afrika. In der Apostelgeschichte sehen wir dann, dass tatsächlich ab Pfingsten das Evangelium begann, sich auszubreiten – in Asien, aber auch in Afrika und in Europa.

Das wird ausführlich beschrieben mit den Missionsreisen des Apostels Paulus. Wir reisen sozusagen in der Apostelgeschichte mit ihm. Gerade im ersten Jahrhundert wurden alle drei Kontinente bereits mit dem Evangelium erreicht.

Amerika sollte später folgen, aber diese drei Kontinente waren es. Im ersten Jahrhundert war überhaupt nicht klar, welcher dieser Kontinente besonders durch das Evangelium geformt, verändert und geprägt werden würde.

Es hätte Asien sein können, es hätte Afrika sein können oder eben Europa. Doch Jesaja sagt, die Iyim, Europa, wird ganz speziell darauf achten. Und so ist es gekommen.

Nach 2000 Jahren können wir zurückblicken und sehen: Ja, tatsächlich Europa. Heute ist Europa massiv dabei, vieles davon wieder zu verwerfen. Aber das hat der Apostel Paulus vorausgesagt. In der Endzeit, in 2. Thessalonicher 2, wird dieser große Abfall kommen.

Abfallen kann man nur von etwas, an dem man einmal beteiligt war. Das sind nicht die buddhistischen Länder in Südostasien, das sind nicht die Animisten in Afrika. Europa wurde so geformt. In der Endzeit – das ist die Zeit, wenn das Volk Israel wieder heimkehrt ins Land und den Staat gründet, also unsere Zeit – wird der große Abfall kommen.

Doch 2000 Jahre lang hat Europa einen ganz besonderen Hunger nach dem Evangelium gezeigt.

Übrigens kommt im gleichen Kapitel noch mehr vor. In Jesaja 42,10 heißt es: „Singt dem Herrn ein neues Lied, seinen Ruhm vom Ende der Erde, ihr, die das Meer befahrt, alle Inseln und ihre Bewohner.“ Hier werden Europa und seine Bewohner speziell angesprochen. Sie sollen dem Herrn ein neues Lied singen.

Interessant ist, dass die Musik vom Tempel und aus der Synagoge durch den Apostel Paulus und andere Missionare nach Europa gebracht wurde. Sie verdrängte und ersetzte in den Jahrhunderten bis etwa 400 die alte römische und griechische Musik massiv.

Aus dieser Musik entwickelte sich die europäische Musik bis hin zu Bach, dann weiter über Beethoven, Mozart und bis in die Romantik.

„Singt dem Herrn ein neues Lied“ – das ist ganz speziell hier für Europa gesagt.

Und dann weiter in Vers 12: „Man möge dem Herrn Ehre geben und seinen Ruhm verkünden auf den Iyim.“

Das wurde genau so gemacht. Wir haben also Hinweise im Alten Testament, dass Europa ein ganz besonderes Vorrecht bekommen würde.

Nachdem die Masse in Israel den Messias verworfen hatte, sollte das Evangelium zu allen Nationen gehen. Europa jedoch sollte ganz besonders der Kontinent werden, der dem Herrn ein neues Lied singt.

Ausblick auf das nächste Thema: Heilung eines besessenen Blinden und Stummen

Und jetzt gehen wir beim nächsten Mal weiter mit einem ganz besonderen Zeichen, nämlich mit der Heilung eines Besessenen, der blind und stumm ist. In diesem Zeichen wird ganz besonders die totale Ablehnung des Herrn Jesus sichtbar. Es ist kein Zufall, dass genau dieses Zeichen hier kommt.

Die Rabbiner haben gelehrt, dass Besessene geheilt werden können und dass es die Möglichkeit gibt, Dämonen auszutreiben. Aber wenn ein Besessener stumm ist, dann geht das nicht. Sie lehrten, man müsse den Namen des Dämons erfragen, ihn nennen und ihm gebieten. Wenn der Besessene aber stumm ist, ist das unmöglich.

Dieser Besessene ist nicht nur stumm, sondern auch noch blind. Man konnte also nicht einmal Zeichen über die Augen machen. Der Herr Jesus heilt ihn trotzdem. Für die Rabbiner war klar: Niemand kann einen stummen Besessenen heilen, das kann nur der Messias. Einer kann es, der Messias – und der Herr Jesus tut es hier.

Beim nächsten Mal werden wir sehen, dass diese Führer sagen, Jesus macht das durch den Teufel. Das bedeutet, sie haben den Herrn ganz bewusst und endgültig abgelehnt. Dann kommen wir zum Thema der Lästerung des Geistes. Wir werden sehen, dass das nicht einfach irgendeine Sünde ist.

Viele Leute denken, sie hätten diese Sünde vielleicht einmal begangen oder solche Gedanken gehabt. Sie geraten dadurch in eine Krise, die bis fast zur Klinik und schließlich ganz in die Klinik führen kann. Ich bin immer wieder mit diesem Problem konfrontiert worden. Das Problem ist, dass viele nicht verstanden haben, worum es hier wirklich geht.

Das Thema wird beim nächsten Mal sehr wichtig sein, weil es gerade solchen Christen hilft, die damit ein Problem haben, aus diesem Strudel herauszukommen. Besonders in den letzten Monaten bin ich ständig mit diesem Problem konfrontiert worden.

Dann sage ich: Ja, das haben auch andere. Wirklich, ich bin nicht der Einzige. Ja, das gibt es sehr oft. Und ich denke dann plötzlich: Vielleicht habe ich das damals als Jugendlicher auch gesagt. Ja, aber jetzt ist es umgekehrt. Ja, natürlich. Aber vielleicht will mich der Herr nicht mehr, weil ich das gemacht habe? Dann muss ich erklären: Nein, das hat damit gar nichts zu tun. Die Leute verstehen die Stelle falsch und verknüpfen sie mit Hebräer 6 und 10.

Wie kann man solchen Leuten helfen? Das werden wir beim nächsten Mal sehen. Man kann wirklich helfen – und das ist ganz, ganz wichtig. Es sind oft echte Gläubige, die anrufen, und wenn man es ihnen erklärt, werden sie ganz glücklich.

Dann sage ich: Das wird wiederkommen. Und dann müssen sie genau so handeln, wie ich es erklärt habe. Tatsächlich kommt zwei Tage später die nächste Frage: „Ja, aber jetzt sagen Sie mir mal, wie ist das?“ Und das passiert nicht nur einmal, sondern immer wieder.

Ja, man kann wirklich helfen. Aber jetzt müssen Sie die Sache ganz klar aus biblischen Gründen beiseiteschieben, sonst dreht man durch. Nach kurzer Zeit kommt wieder ein Anruf: „Ja, ich habe mir doch noch überlegt, vielleicht ist meine Situation doch ein bisschen anders.“ Nein, das haben andere genau so. Es ist ganz normal, dass solche Gedanken immer wieder kommen.

Aber jetzt muss man mit biblischen Argumenten klar widersprechen. Das verschieben wir auf das nächste Mal.

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