Babel
Babel, keilschriftlich Bub-ili (sumerisch Kadingirra), Pforte Gottes, womit wohl ursprünglich der Eingang zum Gottesland gemeint war (1. Mose 11,9), da man sich westlich vom Euphrat, in Chaldäa und nach Ostarabien zu, die alte Paradieslandschaft (→Eden) dachte. Der Begriff wurde aber wegen balal (aramäisch balbel = „verwirren“) auf die Sprachverwirrung umgedeutet.
Diesem alten Namen begegnen wir bereits unter Sargon von Agade (spätestens ca. 2800 v. Chr.), und zwar in Verbindung mit dem Gott Amal, einer Erscheinungsform des Ea oder auch seines Sohnes Marduk, des späteren Hauptgottes von Babel. Ein anderer, ebenfalls sehr alter sumerischer Name Babels war Tin-tir, Lebenshain, oder wie es die Babylonier selbst deuteten "Lebenswohnung".
Die Stadt wird dann weiter von den Königen von Ur als Sitz eines Patesi erwähnt und wurde um 2000 v. Chr. Residenz einer Dynastie von Stadtkönigen, zunächst noch unter südbabylonischer Oberhoheit, bis um 1900 v. Chr. der sechste Herrscher dieser Dynastie, der gewaltige Hammurapi, sie zur Hauptstadt des von ihm geeinten Babylonien machte. Von da an blieb sie die Hauptstadt des ganzen nach ihr genannten Landes, und ihr Gott Marduk wurde als Bel (Herr schlechthin) zum obersten aller Götter. Doch drohte ihr von Seite verschiedener assyrischer Könige oftmaliger Untergang. Um 1300 v. Chr. wurde Babel von Tukulti-Ninib erobert, 1110 v. Chr. von Tiglatpileser I., im 9. Jahrhundert v. Chr. drangen Salmanassar II., sein Sohn und sein Enkel bis Babel vor, bis sie endlich 689 v. Chr. von Senacherib von Grund aus zerstört wurde. Aber schon 11 Jahre später wurde sie von Senacherbis Sohn Asarhaddon wieder aufgebaut und erlebte dann bald darauf unter den neubabylonischen Königen Nabopolassar und seinen Nachfolgern (625 ff.), sogar die Zeit ihres höchsten Glanzes.
Dieses neue Babel ist hauptsächlich eine Schöpfung des großen Sohnes Nabopolassars, des Königs Nebukadrezar II., und die heutigen Ruinen, um deren Ausgrabung sich seit 1890 besonders die deutsche Orientgesellschaft in Berlin verdient gemacht hat, stellen daher vorzugsweise Bauten dieses Königs dar, während aus der Zeit Hammurapis bis jetzt keine Reste sich dort gefunden haben.
Vor allem sind es die Paläste und die Stadtmauern, die hier in Betracht kommen und von denen wir uns nach den Berichten der Bauinschriften Nebukadnezars, denen Herodots und nach dem Ausgrabungsbefund noch ein ziemlich deutliches Bild machen können. Die innere Mauer der eigentlichen, im wesentlichen auf das östliche Euphratufer beschränkten Stadt (wenigstens waren hier die wichtigsten Paläste und Tempel) hieß Imgur-bel (Bel hat sich erbarmt). Die äußere Mauer, ihr meist parallel laufende, hieß Nimitti-bel (Gründung Bels), wozu noch weiter im Osten eine zur Befestigung dienende dritte Mauer trat nebst einem Reservoir, welches dem König ermöglichte, in Zeiten der Gefahr die ganze Umgebung Babels jenseits dieser dritten Mauer unter Wasser zu setzen.
Was nun die Ruinen im einzelnen (siehe Karte III. Babylon) anbelangt, so ist zunächst die irrige Ansicht Opperts zurückzuweisen, wonach die ca. 3 Stunden abseits auf dem westlichen Euphratufer gelegene Nebostadt Borsippa (Barsip, gelegentlich auch „das zweite Babel“ genannt) mit zum Stadt- und Mauerkomplex Babels gehört hätte. Die dortige Tempelruine, von den Arabern Birs Nimrud genannt, stellt den Stufenturm des Nebo-Tempels E-Zidda dar, der den speziellen Namen "Haus der 7 Dolmetscher" oder "Orakelverkünder" (das heißt der Planeten) trug (siehe ). Der biblische Turm von Babel hatte aber nicht diesen, sondern den längst zerstörten Stufenturm des Beltempels von Babel zum Vorbild.
Wo aber nun genauer dieser berühmte Tempel des Bel-Marduk gelegen gewesen war, darüber herrscht noch keine Übereinstimmung. Das hängt direkt auch mit der Frage zusammen, ob das an der Ostseite des Kaßr (so heißen die Ruinen der zwei Hauptpaläste des Nebukadnezar) ausgegrabene, prächtig mit Stieren und Drachen geschmückte Stadttor der Istar (an der hier von Westen nach Osten laufenden Mauer) die eigentliche Stadt, in welcher jener Tempel lag, nach Norden, oder aber nach Süden zu abschloss.
In ersterem Fall müsste dann der Tempel durch die ausgedehnte Ruine Amran ibn Ali südlich vom Kaßr dargestellt, im andern Fall aber nördlich vom Kaßr noch erst zu suchen sein, falls überhaupt noch Überreste davon vorhanden sind. Es entspricht den Angaben der Inschriften besser, anzunehmen, dass südlich vom Kaßr sich die Vorstadt Schu-anna ausdehnte, in welcher außer einem von den Berlinern ausgegrabenen Ninib-Tempel (östlich von Amran ibn Ali) vor allem das sogenannte „Gebetshaus“ gelegen haben muss, ein Istar-Tempel, in welchem alljährlich zu Neujahr die Vermählungsfeier Marduks (vom 8. bis 10. Nisan, das heißt Ende März) festlich begangen wurde. Er war durch eine noch teilweise erhaltene (wiederausgegrabene) Prozessionsstraße mit dem Bel-Tempel verbunden. Diese lief im Osten der Paläste vorbei. Da, wo die Stadtmauer diese Straße schnitt, lag das genannte Istartor.
Wenn nun Amran ibn Ali, welches sicher einen alten Tempel barg, nicht der Bel-Tempel war, dann kann es nur die Stätte des Gebetshauses darstellen, welches vor der Stadt (eben in Schu-anna) lag. Das eigentliche Babel umfasste dann die Paläste und alles nördlich davon gelegene, wozu also auch der wahrscheinlich längst verschwundene Bel-Tempel gehört haben muss. Der Name dieses Tempels war E-sag-illa, das heißt Haus der Erhebung des Hauptes, und sein Stufenturm hieß E-temen-an-ki, das heißt Haus des Fundamentes Himmels und der Erde. Darin hatte auch Marduks Sohn Nebo eine gleich dem Borsippa-Tempel E-zidda genannte Kapelle, in welcher sich die heilige Monstranz des Marduk, das sogen. Parak-schimâti (Schrein der Geschicke) und das Dul-azagga (der kegelförmige „heilige Hügel“) befanden, die bei der Prozession nach dem Gebets- oder Opferhause am Neujahrsfest (s. oben) eine Hauptrolle spielten.
Noch sind zwei Ruinenhügel des Gebietes von Babel zu erwähnen, einer im äußersten Norden (noch 2 km nördlich von dem an den Kaßr sich anschließenden Trümmerhaufen Mudschélibe), an dem bis heute der Name Babil hängen geblieben ist, die Stätte eines Sommerpalastes Nebukadrezars mit einem als nâbalu (Garten?) zugerichteten Vorbau (appadânu), höchst wahrscheinlich die berühmten hängenden Gärten einschließend, und der andere, Dschimdschima, südlich von Amran ibn Ali, die Stätte des großen Bank- und Schatzhauses, wo sich tausende von Geschäftsurkunden der neubabylonischen Zeit gefunden haben, vermutlich noch zur Vorstadt Schu-anna gehörend.
In Schu-anna sowie auch in dem am westlichen Euphratufer befindlichen Teil der Stadt sind wohl auch die von Herodot erwähnten Straßen mit den drei- und vierstöckigen Häusern zu suchen, während der speziell Babel genannte Teil nur die Paläste und den Bel-Tempel enthalten haben wird.
Bei der Eroberung Babels durch Cyrus (Koresch), 538 v. Chr., blieb die Stadt selbst verschont, Darius dagegen ließ zur Bestrafung eines Aufstands 488 v. Chr. die Mauern und Türme niederreißen, und Xerxes raubte die goldene Bildsäule des Bel und die Tempelschätze. Alexander der Große ließ den wohl schon baufällig gewordenen Bel-Tempel abtragen, um ihn wieder neu aufzubauen, woran ihn aber sein frühzeitiger Tod hinderte. Doch nennt sich noch der Seleukidenkönig Antiochus der Große Wiederhersteller von E-sag-illa. Aber schon zu Plinius’ Zeiten war überall nichts als Verfall und Verödung, bis die topographische Erforschung unserer Tage die Ruinen wenigstens teilweise zu neuem Leben erweckte. Cl. James, Rich, Henry Rawlinson, Jules Oppert, Hormuzd Rassam und in letzter Zeit vor allem Robert Koldewey, der Leiter der Berliner Ausgrabungen, haben sich hierum verdient gemacht.