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Himmelfahrtsfest ist kein Abschiedsfest, sondern ein Thronbesteigungsfest. Jesus ist der Machthaber schlechthin. Die Gebetsverse Salomos bei der Einweihung des neuen Tempels klären drei Fragen, die dabei auftauchen: Wo ist seine Machtzentrale? Was ist seine Machtbefugnis? Wie ist seine Machtpolitik? - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart


Nein, liebe Gemeinde, ein lustiger Vatertag war dieser Himmelfahrtstag nun wirklich nicht, an dem ein paar Haushaltsvorstände zu einer feucht-fröhlichen Grillparty ins Grüne aufbrachen, um auf ihre Weise den Muttertag zünftig zu kompensieren. Der erste Himmel­fahrtstag war ein trauriger Abschiedstag. Elf gestandene Männer zogen mit hängenden Köpfen nach Galiläa. Genau von dort waren sie drei Jahre zuvor aufgebrochen, um mit ihrem Herrn und Meister das große, seit Jahrhunderten erwartete Licht nach Jerusalem zu tragen. Und dann gingen dort alle Lichter aus. Die Todesstunde auf der Schädelstätte löste einen Black-out aus, wie ihn die Welt bisher noch nie erlebt hatte. Die Leute saßen in rabenschwarz­er Finsternis. Jetzt zogen sie wieder von Jerusalem nach Galiläa, von der Erwartung in die Enttäuschung, von der Hoffnung in die Resignation. Wenn sie zurücksahen, sahen sie die Staatsmacht eines Pilatus, der Unschuldige den Henkern auslieferte und Barna­basse frei laufen ließ. Macht und Gerechtigkeit scheinen sich bis heute auszuschließen. Wenn sie hinuntersahen, sahen sie die Ohnmacht ihrer Hände, die bei der Gefangennahme ihres Herrn nichts ausrichten konnten. Gewalt löst nur Gegengewalt aus. Wenn sie voraussahen, sahen sie die Großmacht römischer Gottkaiser, die zur Hatz gegen die Christen aufriefen: “christianes ad leonem!”

Leiden müssen ist die Normalsituation der Christen; alles andere ist Ausnahme von der Regel. Nun aber sahen sie hinauf und sahen in jener nachösterlichen Lichtgestalt jenen Mann, der schon damals vor der Besatzungsmacht keine Furcht zeigte und dem Statthalter auf den Kopf zusagte: “Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre.” Sie sahen jenen Mann, der schon damals auf der tobenden See im Schiff gestanden und den Naturmächten sein “Schweig und verstumme!” entgegengeschleudert hatte. Sie sahen jenen Mann, der schon damals auf dem Berg der Versuchungsmacht widerstanden und dem Teufel den Laufpass gegeben hat. Die Jünger sahen über den Staatsmächten, Naturmächten, Ohn­mächten die Allmacht ihres Herrn. Jesus präsentierte sich in diesem Augenblick als der Mandatsträger himmlischer Machtfülle. Es gibt keine Gegenmacht, die ihm gefährlich werden könnte. Die Scheinmächte haben ausgespielt, bevor sie sich aufspielen. Die Macht gehört seit der Auferstehung unserem Herrn.

Warum sehen Sie zurück und bangen vor den Mächtigen dieser Erde mit ihrem politischen Ränkespiel? Warum sehen Sie hinunter und leiden an der Ohnmacht Ihrer Hände, die so wenig erreichen können? Warum sehen Sie voraus und zittern vor Krisen und Kriegen? Sehen Sie doch wieder hinauf und erkennen den, der an diesem Tag in alle Macht investiert wurde. Himmelfahrtsfest ist kein Abschiedsfest, sondern ein Thronbesteigungsfest. Jesus, der in seinem Regierungs­programm gesagt hat: “Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden”, ist der Machthaber schlechthin. Deshalb betet seine Gemeinde: “Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlich­keit”. Deshalb bekennt seine Gemeinde: “Aufgefahren gen Himmel, sitzend zur Rechten Gottes”. Deshalb singt seine Gemeinde: “Jesus Christus herrscht als König.”

Nun aber tauchen drei Fragen auf, näm­lich: Wo ist seine Machtzentrale? Was ist seine Machtbefugnis? Wie ist seine Machtpolitik? Genau darauf gehen jene Gebetsverse ein, die wir vorhin gehört haben und die der König Salomo bei der Einweihung des neuen Tempels in Jerusalem gesprochen hat.

1. Wo ist seine Machtzentrale?

Oder einfacher gefragt: Wo ist Jesus?

Anfangs wohnte er in Nazareth. 30 Jahre lang lebte er unter dem väterlichen Dach. Dann aber sagte er seinen Eltern Adieu. Nazareth ist nicht seine Machtzentrale. Dann lebte er in Kapernaum. Am Sabbat predigte er in der Synagoge und in der Woche kümmerte er sich um Kranke und Elende. Dann aber zog er mit seinen Jüngern los. Kapernaum ist nicht seine Machtzentrale. Dann wirkte er in Jerusalem. Seine Reden im Tempel erregten Anstoß. Dann wurde er mundtot gemacht. Jerusalem ist nicht seine Macht­ zentrale. Dann fuhr er auf gen Himmel. Seine Jünger schauten ihm wehmütig nach. Dann war er in der unsichtbaren Wirklichkeit ver­schwunden. Der Himmel, ist das seine Machtzentrale?

Im alten Russland lebten viele Menschen in den Weiten des Großreichs. Wenn sie litten und Hilfe brauchten, klagten sie: “Moskau ist fern und der Zar ist weit.” Wenn sie kämpften und Unrecht taten, prahlten sie: “Moskau ist fern und der Zar ist weit.” Wenn sie handelten und andere übervorteilten, lachten sie: “Moskau ist fern und der Zar ist weit.” Müssen wir nicht ähnlich sagen, wenn wir fern vom Himmel und weit von Jesus leben? Wenn wir leiden und Hilfe brauchen: “Der Himmel ist fern und Jesus ist weit.” Wenn wir kämpfen und Unrecht tun: “Der Himmel ist weit und Jesus ist fern.” Wenn wir handeln und andere übervorteilen: “Der Himmel ist weit und Jesus ist fern.”

Salomo sagt: “Siehe, der Himmel und aller Himmel können dich nicht fassen.” Irgendwo im All steht für Jesus kein Zarenhof oder Kreml oder Vatikan oder Weißes Haus. Der Himmel ist nicht seine Macht­zentrale. Er lässt sich nicht an einem Platz festnageln. Er lässt sich nicht an einem Ort einsperren. Er lässt sich nicht an einer Stätte aufsuchen. Er ist fern und nah zugleich. Er ist oben und unten gleichzeitig. Jesus ist überall. Luther hat im Abendmahlsstreit von seiner Ubiquität gesprochen und betont: “Nichts ist so nah, er ist noch näher. Nichts ist so fern, er ist noch ferner. Nichts ist so klein, er ist noch kleiner. Nichts ist so groß, er ist noch größer. Es ist ein unaussprechlich Wesen in und außer­ allem.”

Es ist nicht nötig, dass Sie eine Israelreise unternehmen und den Tempel besuchen. Es ist auch nicht nötig, dass Sie sich ins Oberland aufmachen und zur Wallfahrtskirche auf den Bussen hinaufpilgern. Es ist erst recht nicht nötig, dass Sie irgendwo an einer heiligen Stätte seine Nähe suchen. Dort, wo an ihn geglaubt und sein Name angebetet wird, gilt: “Der Herr ist nahe allen, die ihn anrufen.” Seine Machtzentrale ist überall.

2. Was ist seine Machtbefugnis?

Oder einfacher gefragt: Was tut Jesus?

Salomo sagt: “Er sitzt auf dem Thron”, das heißt in der damaligen Amtssprache: Jesus regiert. Nun regiert er nicht wie ein Bürgermeister. Der ist Chef auf dem Rathaus und trägt die Verantwortung für die ganze Stadt. Aber daneben gibt es andere Städte, in denen er keinen Sitz und keine Stimme hat. Nun regiert er nicht wie ein Landrat. Der ist Chef im Landratsamt und hat im Landkreis das Sagen. Aber daneben gibt es andere Landkreise, in denen er nichts zu sagen hat. Nun regiert er nicht wie ein Ministerpräsident. Der ist Chef im Schloss und regiert ein ganzes Bundesland. Aber daneben gibt es andere Bundesländer, die ihre eigenen Ministerpräsidenten haben. Dasselbe gilt für alle Kanzler, Bundespräsidenten, königlichen Häupter. Keiner hat allein das Sagen. Niemand hat allein das Wort. Jeder hat nur eine begrenzte Macht. Es gehört geradezu zum Wesen aller Ämter, dass sie ausschließlich eine Teilmacht besitzen. Jesus besitzt aber die Allmacht.

Er ist durch keine Wahl gewählt worden. Er ist durch keine Partei an die Spitze berufen worden. Er ist durch keine Revolution zur Beglückung der Menschheit an die Hebel der Macht gespült worden. Gott selber hat dies bestimmt und festgelegt: “Es soll nicht fehlen an einem Mann, der da sitzt auf dem Thron Gottes.” Durch göttliches Dekret ist er an die Macht gekommen. Deshalb besitzt Jesus eine umfassende Machtbefugnis und ist zuständig für alle Reiche. Kein Bereichlein kann seine Unabhängigkeit erklären und sich aus seinem Reich verabschieden. Kein Großreich kann seine Truppen marschieren lassen und sich als ewiges Reich brüsten. Jedes Reich ist auf Sand gebaut und stürzt eines Tages zusammen. Er regiert. Nun ist er zuständig für alle Gewalten. Kein einziges Kindlein unter dem Herzen der Mutter kann durch Gewalt getötet werden, ohne dass an höherer Stelle Alarm ausgelöst wird. Kein alter Mensch kann durch sanfte Gewalt der Kinder abgeschoben werden, ohne dass dies über seinen Tisch geht. Mit aller Gewalt setzen wir nichts durch. Er regiert. Nun ist Jesus zuständig für alle Mächte. Keine Sündenmacht kann mir gefährlich werden, wenn ich unter seiner Macht stehe. Keine Krankheitsmacht kann mir letztlich schaden, wenn ich diesem Mächtigen traue. Keine Todesmacht kann mich endlich fesseln, wenn ich seine Lebensmacht kenne. Alle Mächte müssen den Hut nehmen, denn “Jesus Christus herrscht als König, alles, alles, alles ist ihm untertänig.” Jesu Machtbefugnis ist unbegrenzt.

3. Wie ist Jesu Machtpolitik?

Oder einfacher gefragt: Wie regiert Jesus?

Nach all dem Gehörten besteht der berechtigte Verdacht, bei diesem Herrn könne es sich nur um einen absolutistischen Herrscher handeln, der alle bisher bekannten Herrschaften weit überragt. Ein römischer Caesar wie Gaius Julius, der die Senatoren gar nicht zur Kenntnis nahm, war dagegen eine schwache Figur. Eine englische Königin wie Maria Stuart, die nur Höflinge und Kriecher neben sich duldete, war im Vergleich eine kleine Nummer. Ein französischer Fürst wie Louis XIV., der sich mit dem Staat gleichsetzte, “Der Staat bin ich”, war so besehen ein unbedeutender Marschierer. Jesus ist der absolute Gewaltherrscher im Himmel und auf Erden und was unter der Erde ist. In seiner großen Welt­politik kann mein winziges Leben gar nicht vorkommen. Ein Niemand bin ich, eine Null, ein Nichts.

Und Salomo setzt dies Ungeheuerliche und Unglaubliche dagegen: “Herr, du hörst das Flehen und das Gebet. Herr, du hörst das Rufen und das Bitten. Herr, du erhörst deinen Knecht.” Jesus hat dies bestätigt: “Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.” Unser Herr regiert nicht wie ein Caesar oder eine Maria Stuart oder ein Louis XIV., der seine Macht­politik durchpeitschte. Jesus ist kein Pascha, sondern ein Papa, ein Abba, ein Vater, der seine Kinder hört. Er ist bereit, seinen Plan zu ändern. Er ist bereit, sein Konzept zu zerreißen und neu zu konzipieren. Er ist bereit, sein Vorhaben zu stoppen und noch einmal neu zu beginnen. So viel Wucht ist in unsere Hände gelegt.

Liebe Freunde, uns müsste doch der Atem stocken, wenn wir begriffen, dass er uns mit dem Gebet Einfluss auf seine Politik einräumt. Wir nehmen durch das Gebet teil an der Weltherrschaft Christi. Nicht mehr Nichtse und Nullen müssen wir sein, sondern Freunde und Hausgenossen, die bei ihm zählen. Warum sind Sie beim Beten müde geworden? Warum trauen Sie dem Gebet so wenig zu? Warum gibt es so viel lasche Beter? Jesus will nicht ohne Sie regieren. Jesus möchte nicht ohne Sie herrschen. Jesus räumt Ihnen Macht in seiner Machtpolitik ein.

Der italienische Mathe­matiker und Philosoph Galileo Galilei stellte durch eigene astro­nomische Beobachtungen fest, dass Kopernikus recht hatte, wonach sich die Erde um die Sonne bewegt. Dies stieß auf Widerspruch der Kirche, die ihm im Jahre 1633 den Prozess machte. Unter Androh­ung von Feuer und Folter musste er seiner Lehre abschwören und öffentlich erklären, dass die Erde feststeht. Dann verließ er den Gerichtssaal und murmelte, hörbar für seine Freunde: “Eppur si muove”, und sie bewegt sich doch.

So möchte ich gegen allen Augenschein, auch gegen alle Androhungen oder alle Besserwisserei sagen: “Und er umspannt mich doch.” Wenn ich meine, dieser Herr sei mir in meinem Leid ganz ferne gerückt, so weiß ich: “Und er umspannt mich doch.” Wenn ich meine, dieser Herr sei mir in meinen Zweifeln völlig entschwunden, so weiß ich: “Und er umspannt mich doch.” Wenn ich meine, dieser Herr sei mir in seinem Tun unfasslich und unbegreiflich: “Und er umspannt mich doch.” “Seine Macht hält mich in acht. Erd und Abgrund muss verstummen, ob sie noch so brummen.” Jesus hat alle Macht.

Amen

[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]