Einführung in die Notlage und das Vertrauen des Vaters
Liebe Schwestern und Brüder, ich grüße Sie mit dem Lehrtext für den heutigen Tag, also dem neutestamentlichen Wort im Losungsbüchlein. Der Vater des kranken Kindes schrie zu Jesus: „Wenn du überhaupt etwas kannst, dann erbarm dich über uns und hilf uns!“
Was war das Problem, dass er so verzweifelt rief? Nun, er hatte ein krankes Kind, das seit Säuglingstagen von Krämpfen geschüttelt wurde. Oft wurde es ins Feuer oder ins offene Herdfeuer geworfen, manchmal sogar in die Zisterne. Die Eltern hatten es gerade noch rechtzeitig bemerkt – das Kind war lebenslang in großer Gefahr.
Kann Jesus mit solch einer schweren Krankheit fertigwerden? Daran lag es nicht. Jesus, der die schäumenden Wogen auf dem See Genezareth stillen konnte, der Stürme zum Schweigen brachte, konnte auch schwere dämonische Krankheiten besiegen. Das war kein Problem.
Das Problem lag auch nicht, wie wir oft sagen, darin, dass der Vater des Kindes ungläubig gewesen wäre. Denn später schreit der Vater: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ In großem Zutrauen hatte er sein krankes Kind zu Jesus gebracht – ähnlich wie die vier Männer, die ihren Freund zu Jesus brachten. Als sie merkten, dass viele Leute um Jesus herum waren, ließen sie ihn durchs Dach vor Jesus’ Füße herab.
Es heißt, als Jesus ihren Glauben sah, erkannte er auch bei ihnen Glauben. Auf dem „Röntgenschirm“, den Jesus hat, sah er bei den Männern Glauben – und auch beim Vater des Kindes. Das Problem war nicht, dass der Mann ungläubig war und nur sagte: „Na ja, wir wissen es mal nicht, probieren kann man es immerhin.“ Nein, er wollte sein Kind zu Jesus bringen.
Doch Jesus war nicht da. Er war mit drei seiner Jünger auf dem Berg der Verklärung. Aber es waren noch neun andere Jünger, eigentlich Apostel, zurückgeblieben. Im Kapitel zuvor steht, dass Jesus sie ausgesandt und bevollmächtigt hatte, ihnen Macht über die unreinen Geister zu geben.
Und jetzt standen sie plötzlich ohnmächtig vor diesem kranken Kind und seinem verzweifelten Vater. Das Problem, warum der Vater schrie: „Jesus, wenn du überhaupt etwas kannst“, war die Ohnmacht der Leute Jesu. Die „Kerle“ konnten nichts. Wenn Jesus etwas tun konnte, dann sollte er ihnen helfen. Das war das eigentliche Problem.
Die ansteckende Ohnmacht und Zweifel der Jünger
Und darüber sollten wir jetzt eine Weile nachdenken. Ich habe beinahe den Eindruck, dass in dieser Geschichte mehr steckt, als wir oft wahrhaben wollen. Die Ohnmacht, der Kleinglaube und der Zweifel, die wir als Leute Jesu haben, sind ansteckend. Sie stecken sogar Menschen an, die Jesus Großes zugetraut haben.
Den Eidlingen ebenso wie in Korntal verdanken wir sehr viel Lizenziat Hans Brandenburg, der vor einigen Jahren zu Gott in seine Welt geholt wurde. In seiner Lebensbeschreibung beschreibt er, wie in den furchtbaren Jahren der Kriegsgefangenschaft nach 1945 – viele junge Leute wissen gar nicht mehr, wie das war – ganze Millionen in Gefangenschaft waren, in Hungerlager.
Und da geschah quer durch Europa die größte Männerbekehrung, die wir je in unserem Jahrhundert erlebt haben. Tausende strömten zu Gottesdiensten und nahmen das Wort Gottes auf. Lizenziat Brandenburg war einer von denen, der im Elsass in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager verkündigte. Dann überfiel ihn plötzlich der Kleinglaube.
Er dachte: „Ich war ja in Preußen angestellt, und wenn meine Frau aus der Not nochmal herauskommt, wer bezahlt denn den Gehalt? Der Berliner Oberkirchenrat gibt es nicht mehr, und wo werde ich jemals angestellt? Bekomme ich jene Altersversorgung?“ Davon erzählte er seinem Freund, dem späteren Stuttgarter Jugendpfarrer, und der sagte zu ihm: „Und du willst hier den Glauben verkündigen und zweifelst daran, dass Jesus dich auch mit einem Gehalt durchbringen kann? Mann, weg von den kleinen Sorgen!“
Unglaube ist ansteckend.
Der große dänische Theologe und Religionsphilosoph Kierkegaard hat sich einmal in Gedanken durchgespielt, wie es gewesen wäre, wenn Abraham, das Vorbild im Glauben, auch nur einen Augenblick dort auf dem Berg Moria gezweifelt hätte.
Kierkegaard schreibt so eindrücklich: Als Isaak als Opfertier festgebunden auf dem Holzstoß lag, sah Abraham, wie ein Beben durch seinen Körper lief und wie ein Zucken durch seine linke Hand ging, die sich im Zorn ballte. Eine halbe Stunde später gingen die beiden heim. Abraham hatte den Widder geschlachtet, den Gott für ihn bereitgestellt hatte.
Aber Isaak hatte den Glauben verloren.
Das ist nicht passiert, aber Kierkegaard sagt: Es sind oft die kleinen Zeichen, an denen man bei uns, die wir glauben wollen, eine Spur der Rebellion gegen Gott, der Auflehnung entdeckt. Das genügt, damit der andere Mensch sagt: „Dann will ich nichts damit zu tun haben.“
Haben wir einen ansteckenden Glauben?
Ich war vor vielen Jahren bei einem Gustav-Adolf-Fest in Esslingen. Wir Verantwortlichen haben den gastgebenden Dekan gefragt: „Was ist, wenn am Sonntag schlechtes Wetter ist?“ Er hat nicht gesagt: „Am Sonntag wird schon recht.“ Stattdessen fragte er uns: „Schlechtes Wetter?“ Später sagte Prälat Helmut Pfeifer: „Regen und Sonnenschein sind unseres Gottes gutes Wetter, und wir erwarten die Nähe Gottes.“
Verstehen Sie? Plötzlich war uns klar: Ob Regen oder Sonnenschein, das ist ganz egal. Entscheidend ist, dass Gott da ist. Das war ein Glaubensblick, ansteckend für uns. Danach hat es furchtbar geregnet, fast so schlimm wie an Pfingsten bei euch. Aber...
Die Zerstrittenheit der Jünger und die innere Leere
Für uns, die wir Besuch gemacht haben, war es eindrücklich, die Schwestern zu sehen, denen man die Müdigkeit nach den drei Tagen ansah. Ich sehe noch die Bergschuhe vor mir, verklebt mit Lehm – am Pfingstmontag. Aber das war kein Problem: weder die Kälte noch die Nässe. Vielmehr ging es darum, dass etwas für die Sache Jesu herauskommt.
Haben wir einen ansteckenden Glauben, oder ist es wie damals bei den Jüngern, deren beginnender Glaube gelähmt war? Problem Nummer eins war die Ohnmacht und der Kleinglaube der Jünger. Problem zwei lese ich gerade aus dieser Geschichte, die uns heute durch den Lehrtext besonders wichtig gemacht wurde.
Sie kamen zu den Jüngern. Jesus war mit seinen drei Begleitern vor dem Berg der Verklärung. Sie sahen eine große Menge um sich herum und Schriftgelehrte, die sich mit ihnen stritten. Jesus fragte: „Was streitet ihr mit ihnen?“
Man kann innerlich leer sein, ganz leer, und das noch kaschieren mit Diskussionen und Streitgesprächen. Man kann das überdecken und sich selbst vormachen, dass man für die Ehre Jesu vehement eintritt und für die Wahrheit des Evangeliums kämpft. Glauben Sie mir, ich habe in meinem Leben genug gestritten. Vielleicht hat Jesus das manchmal auch gebraucht. Aber so viel weiß ich: Man kann innerlich ausgebrannt sein und das noch zudecken, indem man versucht, für die Ehre Jesu einzutreten.
Damals stritten sie sich über das, was bei den Pharisäern ein beliebtes Streitgespräch war: was rein und was unrein ist.
Ach, liebe Brüder und Schwestern, manchmal überfällt mich die Angst, ob wir nicht viel zu viel Zeit und Kraft im Streit untereinander verschwenden. Der ist zu freizügig, der ist zu fundamentalistisch, der ist zu sehr für moderne Lieder, und der ist zu sehr für alte Choräle.
Wir haben solche Themen: ob Kindertaufe oder Glaubenstaufe wichtiger ist, ob der schwarze Talar gesegnet ist oder der weiße. Lesen Sie nur die ganze Diskussion auf dem Gemeindeplatz durch! Die scheinbar idiotischen Themen, die wir haben: ob die Abschaffung des Bustags schlimmer ist als die Abschaffung des Pfingstmontags. Wer mit Eidlingen verbunden ist, für den ist der Pfingstmontag viel schlimmer. Für den Brüderbund ist beides schlimm, weil die Schausteller am Pfingstmontag nicht auftreten können.
Was für Themen! Ob ein neues Gesangbuch notwendig war und wenn ja, ob genug neue Lieder drin sind oder zu wenig alte Choräle. Ob sieben Wochen ohne Alkohol genügen oder ob es nicht eigentlich 52 Wochen ohne heißen müsste. Warum eigentlich nur ohne Alkohol? Warum nicht 52 Wochen ohne Streit? Sieben Wochen ohne Alkohol kann man vielleicht durchhalten, aber 52 Wochen ohne Streit? Ich habe ja fünf Brüder gehabt, ich weiß, wovon ich rede.
Also, solche Themen. Man kann endlos streiten und dabei innerlich leer sein.
Jesus sprach zu den Jüngern, die meinten, sie würden doch für ihn eintreten und stellvertretend die Streitgespräche führen: „Oh, du ungläubiges Geschlecht! Wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen?“
Das war nicht zum Vater gesagt, sondern zu den Jüngern Jesu. Und manchmal tut es uns gut, wenn wir dieses Wort hören: Wo stehst du? Wie stehe ich vor Gott? Wie beurteilt der lebendige Gott mich?
Die fehlende Anteilnahme an der Not des Vaters
Problem zwei: Sie haben gestritten. Problem drei hängt eng damit zusammen: Sie konnten gar nicht an der Not des Vaters Anteil nehmen. Sie stritten und bemerkten nicht, dass neben ihnen ein verzweifelter Vater stand, dessen Kind schwer krank war.
Können wir heute noch wirklich Anteil nehmen an der Not der Menschen, an dem, was sie zutiefst bewegt? Wir sehen, wie Menschen hinter ihren Glastüren verzweifelt sind.
Die Erfahrung der letzten sechs Jahre in der Arbeit mit Pfarrerinnen und Pfarrern zeigt, dass viele von ihnen wahrscheinlich nie von sich aus zu einer Bibelstunde nach Eidlingen gehen würden. Doch die Erfahrung mit diesen Menschen ist, dass sie innerlich oft leerer und erschöpfter sind, als wir vermuten.
Können wir an ihnen Anteil nehmen oder sehen wir sie nur als Feinde an? Die Jünger konnten gar nicht Anteil nehmen, weil sie sich im Streit befanden. Einige waren gegen Jesus, andere wollten für Jesus eintreten. Dabei haben sie den Vater übersehen.
Jesus, wenn du etwas kannst, dann hilf uns.
Die Notwendigkeit des Betens und der geistlichen Nähe
Das vierte Problem, das die Jünger hatten, wird später deutlich, als Jesus den Jungen geheilt hatte. Die Jünger kamen zu ihm. Als Jesus heimkam, fragten ihn seine Jünger unter sich: Warum konnten wir den bösen Geist nicht austreiben? Du hast uns doch die Vollmacht gegeben, böse Geister auszutreiben. Wir haben ja auch schon erlebt, dass wir böse Geister austreiben und Menschen heilen konnten. Warum hat es diesmal nicht geklappt?
Schon kleine Dinge können einen ins Stocken bringen. Wenn ich im Frühjahr versuche, meinen Rasenmäher anzulassen, denke ich: Letzten Herbst hat es doch auch einmal funktioniert. Warum jetzt nicht? Vielleicht, weil das Öl inzwischen verkrustet ist. Vielleicht ist in unserem Glauben manches verkrustet, obwohl wir meinen, wir besitzen es. Wir denken, wir brauchen nur den Motor anzulassen, dann läuft es wieder.
Die Jünger fragten: Herr, warum konnten wir den bösen Geist nicht austreiben? Jesus antwortete: Diese Art von Geist kann nur durch Beten ausgetrieben werden. In manchen Handschriften heißt es sogar: durch Beten und Fasten. Ihr habt doch Gottesnähe nicht automatisch. Könnt ihr denn noch beten?
Die Jünger berichteten später sehr ehrlich vom Garten Gethsemane. Jesus bat sie: Wacht mit mir und betet mit mir. Doch sie schliefen ein, weil sie müde waren. Ihr Schlaf war ihnen wichtiger als das Gebet mit Jesus. Können wir noch beten?
Wir leben alle in einer Zeit der Bibeldiät, der Glaubensdiät und der Gebetsdiät. Eine Diät ist anfangs ganz gut. Die ersten zwei Kilo, die man verliert, freut man sich noch darüber. Aber wer je in seiner Familie die Not erlebt hat, dass ein Familienmitglied magersüchtig ist, weiß, dass es einen Punkt gibt, an dem man nicht mehr essen will und dann plötzlich nicht mehr essen kann – und sich dabei sogar noch wohlfühlt. Ärzte sagen, dass dabei Halluzinogene freigesetzt werden, ähnlich wie bei Drogen. Man geht kaputt und fühlt sich dabei wohl.
Ähnliches gilt für unsere Glaubensmagersucht. Unsere gesamte kirchliche Landschaft fühlt sich wohl und sagt: Man muss doch nicht so oft beten, man muss doch nicht so oft Bibel lesen, man muss doch nicht so oft zum Gottesdienst gehen.
Können Sie noch eine Predigt lang, egal wo Sie hingehen, aufmerksam bleiben und danach noch sagen, was Sie gehört haben? Können Sie es noch? Können Sie zwei Minuten ein Gebet durchhalten, bei dem Sie mindestens so aufmerksam sind wie bei einem Telefongespräch mit dem Finanzamt? Oder schalten Sie ab? Können wir denn noch beten?
Diese Art von bösem Geist fährt nur durch Beten aus. Könnt ihr denn noch beten? Die Not der Jünger war, dass sie gar nicht mehr beteten. Sie meinten, sie müssten nicht mehr beten, und sie konnten gar nicht mehr richtig beten. Sie baten Jesus: Lehre uns beten! Hilf uns zum Beten!
All das war das Problem der Jünger. Ein gläubiger Vater kommt und erwartet von Jesus und seinen Jüngern etwas. Er sagt: Ich habe euch gebeten, meinen Sohn zu heilen, aber ihr konntet es nicht. Herr, wenn du überhaupt etwas kannst, dann hilf uns!
Vier Aussagen über das Können Jesu
Was kann Jesus? Vier Aussagen
Er kann ohnmächtige Jüngerinnen und Jünger ertragen. Jesus sprach zu ihnen: „O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen?“ Ein wunderbares Stichwort: das Tragen Jesu, das Tragen. Der Ohnmächtige wird gehoben und getragen, die sich in seinem Dienst üben.
Beim VfB aus Berechtigten – wissen Sie, was VfB ist? Falls nicht, sei gesagt, man kann ihn wirklich vergessen. Es kommt immer häufiger vor, dass von den Rängen der Cannstatter Kurve, wenn das Spiel schlecht läuft – und das ist normalerweise so – die Cannstatter Kurve ruft: „Üben, üben!“ Also, ihr seid ja Anfänger. Der ohne Ende hebt und trägt die, die in seinem Dienst sich üben.
Im großen Kapitel, im großen Katalog darüber, was Jesus kann, der Liebe in Person, heißt es in 1. Korinther 13, die Liebe trägt manchmal auch Ohnmächtige. Nein, die Liebe trägt alles. Sie trägt sie mit all ihren Zweifeln, ihrer Ohnmacht, mit ihrer ganzen Lethargie und mit den ganzen Verkrustungen ihres Glaubens. Er trägt.
Wie lange? Solange wir es brauchen. In der Ewigkeit werden uns einmal die Augen aufgehen, dass das rührende Geschichtchen, das als „Spuren im Sand“ bekannt ist – „Als ich plötzlich nicht mehr konnte, wurde ich vom Engel getragen“ – ach, doch nicht mehr, bloß wenn ich nicht kann. Wir werden alle getragen.
Dadurch sind wir heute zusammengeschlossen: mehr von Jesus getragen, mit unserem Unglauben, mit unserer Gebetsohnmacht, indem wir anderen Menschen den Glauben schwer machen. Er trägt.
Die Ernüchterung der Jünger und die Grenzen menschlichen Könnens
Den Jüngern ist eine Welt zusammengebrochen. Sie hatten geglaubt, sie könnten böse Geister austreiben, Kranke heilen und als Helfer der Nation wirken – so, wie sich die Christenheit manchmal gibt. Man müsse sie nur an die Regierung lassen, dann wüssten sie schon, wie alles zu regeln sei. Dann würden sie Hunger und Ungerechtigkeit beseitigen. So fühlten sich die Jünger immer.
Schade nur, dass sie keine Bundeskanzler sind. Sonst würden sie alles richtig machen, oder? Doch dann öffnet Jesus ihnen die Augen: „O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich euch tragen? Bringt ihn her zu mir!“
Ohne Jesus können wir absolut nichts tun. Er allein kann es. Eine Christenheit, die meint, sie müsse die Welt ordnen „im Auftrag Jesu“ und sagt: „Du kannst dich ruhig zurücklehnen, wir machen das schon“, begeht die größte Vermessenheit, die es gibt. Herr Jesus, wir können nichts. Dafür hat Jesus seinen Jüngern die Augen geöffnet.
Es kann noch weitergehen: Nicht nur jener junge Mann war von einem satanischen, bösen, krankmachenden Geist besessen. Wir sind berufen, böse Geister auszutreiben. Heute stellt sich oft die Frage in der Christenheit, ob wir nicht noch viel mehr Heilungen vollbringen könnten.
Ach, wisst ihr, liebe Freunde, die Christenheit hat ihre Höhepunkte erlebt, als sie begriff, dass der böse Geist von Jesus ausgetrieben werden muss. Johann Ludwig Schneller, von dem das herrliche Lied „Jesus ist kommender starker Erlöser“ stammt, der dem gewappneten Stark ins Haus bricht, hat auch das Lied in unserem Gesangbuch verfasst: „Herr, hab Acht auf mich, töt in mir mächtig die Eigenliebe.“
Altschwester Gabriele Goseberg sagte einmal: Da war ein junger Mann, der noch nie von Schiffbuch gehört hatte, und ich dachte: Woher kommt der? Eigenliebe – töt in mir mächtig die Eigenliebe, Trägheit, Furcht, Lust und Neid. Die meisten Schwaben kommen nicht in den Himmel wegen Geldgeschäften, Neid, Menschengefälligkeit und unlauteren Trieben – was für ein Katalog!
Jesus öffnet uns die Augen, dass er den bösen Geist in Fülle aus uns austreiben muss.
Jesus als Träger, Augenöffner, Anteilnehmer und Helfer
Was kann Jesus noch? Er kann ohnmächtige Jünger tragen, er kann uns die Augen öffnen für den wahren Zustand, und Jesus kann Anteil nehmen.
Was ist hier los?, fragt Jesus, als er vom Berg der Verklärung kommt. Warum streitet ihr? Die Jünger antworten nicht lange. Stattdessen kommt der Vater und sagt: Meister, ich habe meinen Sohn zu deinen Jüngern gebracht. Er hat einen sprachlosen Geist, der ihn befällt. Wenn er ihn ergreift, reißt er ihn, er hat Schaum vor dem Mund, knirscht mit den Zähnen und wird sterben. Der Sohn wird starr. Ich habe mit deinen Jüngern gesprochen, damit sie ihn austreiben, aber sie konnten es nicht.
Jesus fragt den Vater: Wie lange ist das schon so? Der Vater antwortet: Von Kindheit an. Er wirft ihn oft ins Feuer und ins Wasser, um ihn zu töten. Aber wenn du etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns.
Bevor Jesus hilft – und er hilft danach –, fragt er weiter. Er lässt den Vater die Geschichte erzählen. Heute gibt es so US-amerikanische Mustermethoden, wie man komische oder zweifelnde Fragen nach Schema F beantworten kann. Nein! Man fragt: Wie geht es Ihnen denn? Was beschäftigt Sie? Und erwartet nicht, dass man sofort aus der Pistole geschossen antwortet.
Ich hatte einen Religionslehrer, der manchmal sagte: Das ist eine gute Frage, die will ich mir bis nächste Woche überlegen. Dann schrieb er mir einen Brief. Es ging ganz tief in ihn hinein. Man merkte, dass er sich mehrere Stunden mit meiner Frage beschäftigt hatte.
Warum sollten wir nicht sagen: Das schlaucht mich ganz gewaltig, was du mir jetzt sagst. Danke, dass du mir das gesagt hast. Ich will es vor Gott überlegen und dir einen Brief schreiben. Jetzt ist das Wort zuteil geworden. Vielleicht hilft es dir auch. Darf ich dich mal wieder anrufen? Die werden sagen: Ja. Und es gibt ein Telefongespräch, an dem sowohl die Telekom als auch Herr Jesus eine helle Freude haben, weil es lange dauert.
Natürlich kann man auch sagen: Darf ich bei Ihnen vorbeikommen? Anteilnehmen, zuhören, fragen: Wie geht es dir?
Bis in die höchsten Spitzenklassen der Funktionäre von Mercedes-Benz und IBM warten Menschen darauf, dass ein Mensch Anteil an ihnen nimmt. Nicht Freundschaftsevangelisation – also ein bisschen zierlich, ein bisschen nett sein und dann sagen: Jetzt lade ich dich zu Pro Christ ein. Da riechen die anderen schnell den Braten. Sondern wirklich Anteil nehmen an Menschen.
Jesus kann Anteil nehmen an Menschen. Er kann uns hartherzige Leute fähig machen, dass wir fleischerne Herzen bekommen. Dass wir nicht mehr steinerne Leute sind, sondern empfindsam werden für andere.
Jesus kann Anteil geben, Anteil nehmen, sodass wir hellhörig werden für Menschen. Und Jesus kann helfen.
Wenn du etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns.
Die Kraft des Glaubens und das Heilungswunder
Jesus aber sprach zu ihm: „Du sagst: ›Wenn du kannst!‹ Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ Jesus meinte damit, dass er selbst im Glauben mit Gott verbunden ist, bis zum Sterben wie ein Kind, das seinem Vater in die Hände gelegt wird.
Bei Gott sind alle Dinge möglich – ein Satz, der immer wieder in der Bibel vorkommt. Es geht dabei nicht um die Frage des Könnens oder Nichtkönnens, sondern darum, ob man mit Gott verbunden ist. „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt“, sagte Jesus.
Sogleich schrie der Vater des Kindes: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Als Jesus sah, dass das Volk herbeikam, bedrohte er den unreinen Geist und sprach zu ihm: „Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahren aus von dem jungen Menschen und fahre nicht wieder hinein!“
Jesus ergriff das Kind bei der Hand, richtete es auf, und es stand auf. Ein wahres Auferstehungswunder – Jesus kann helfen. In der Verbundenheit mit Gott, in der Abhängigkeit von ihm sind alle Dinge möglich.
Jesus als Herrscher und Vollmächtiger
Professor Martin Hengel hat darauf hingewiesen, dass kein alttestamentliches Wort in der Bibel so oft zitiert wird wie Psalm 110. Dort heißt es: "Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setz dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße lege."
Jesus ist aus dem Glauben heraus ins Schauen gekommen. Er ist beim Vater, und ihm sind alle Vollmachten anvertraut. Wir dürfen ihn auch bitten: Herr Jesus, hilf unserem Unglauben, hilf unserer Ohnmacht. Herr Jesus, trag du uns.
Wenn wir anderen Menschen zur Anfechtung werden wollen, dann trag du uns mit unserem Zweifel und mit unserer Ungeschicklichkeit. Gib uns Anteil an deinem Anteilnehmen. Mach du uns heil. Wir müssen uns als Kranke sehen und begreifen, dass Jesus helfen kann.
Die Macht Jesu, die damals in Galiläa zeichenhaft aufgeleuchtet ist, ist jetzt vollgültig in Kraft. Jesus kann. Unser Glaube und die Zukunft der Christenheit werden davon abhängen, dass wir Jesus Christus noch viel ernster nehmen als bisher. Er kann.
Schlussgebet und Bitte um Erneuerung
Der Vater des Knabens schrie: „Wenn du überhaupt etwas kannst, so erbarme dich über uns und hilf uns.“
Das wollen wir jetzt tun, Herr Jesus Christus, denn du kannst! Wir wollen es ernst nehmen, dass der Vater dich zu seiner Rechten gesetzt hat und dass du nun alle Vollmacht hast. Du kannst uns erwecken, damit wir anders in diese Welt hineingehen als deine Jünger, die oft in Ohnmacht und Glaubenslosigkeit leben und von ansteckendem Zweifel geprägt sind.
Wir wollen nicht unsere Hauptaufgabe darin sehen, zu streiten, sondern eine Sehnsucht haben, erfüllt zu werden von Gottes Gegenwart. In einer Welt, in der so viel Not, Verzweiflung, Krankheit und Aussichtslosigkeit herrscht, sollen wir diese Sehnsucht bewahren.
Herr, lass uns nicht auf andere herabsehen, obwohl es genug Anlass dazu gäbe. Lass uns vielmehr vor dir entdecken, wie wir selbst dastehen – als Bedürftige, die du ohne Ende heben und tragen musst.
Herr, wir erwarten Großes von dir. Wir bitten dich, dass du uns neu gestaltest und empfindsam machst für die Nöte der Welt. Aber auch empfindsam für das, was du in unserer Welt tun willst.
Herr, wir sind so froh, dass du durch dein Wort, das du den Aposteln und Propheten anvertraut hast, deutlich gemacht hast – schwarz auf weiß –, dass es dir um uns zu tun ist und dass du bei uns Neues schaffen willst.
Wir vertrauen auf die Vollmacht, die dir der Vater verliehen hat. Wenn mein Können und mein Verstehen nichts vermögen und nicht helfen können, dann komm, mein Gott, und hilf mir, dein Vermögen beizulegen.
Herr, darauf warten wir: dass dein Können, das, was du vermagst, uns geschenkt wird. Amen.