Ehrentitel und ihre Bedeutung im Glauben
In unserer Welt ist es üblich, dass herausragende Persönlichkeiten auch einen Ehrentitel tragen. Unter einem Stichwort kennt man zum Beispiel den „Kanzler der Einheit“. Das ist der Abgeordnete von Oggersheim. Wenn man böse sein will, sagt man „der Abgeordnete von Oggersheim“, und wenn man freundlich sein will, sagt man „der Kanzler der Einheit“.
Wir Eltern erinnern uns noch an den „Bomber der Nation“, Gerd Müller. Die Baden-Württemberger wissen noch, wer das „Cleverle“ ist. Die anderen vermutlich nicht. Dann gibt es noch den „Engel der Gefangenen“. So gab es also immer wieder schöne Ehrentitel, wie etwa die „Schwedische Nachtigall“.
Es ist eigentlich merkwürdig, dass wir, darf man das so sagen, bis in unsere Gebete hinein fast beschränkt sind, wenn wir Jesus anrufen. Meist sagen wir nur „Herr Jesus“, gelegentlich noch „du unser Heiland“ oder „du unser Erbarmer“. Schon seltener verwenden wir andere Titel. Sogar die Hilfsbedürftigen zur Zeit Jesu haben ihn mit Ehrentiteln angerufen, wie „du Sohn Davids“ oder „du Sohn des Allerhöchsten“.
Johannes der Täufer kündigte ihn als „der Stärkere“ an, der nach ihm kommt – ein großartiger Jesustitel. Die Samariterin sagte zu ihm: „Du bist der Prophet, der in die Welt kommen soll.“
Denken Sie auch an unsere Gesangbücher und die Titel, die dort vorkommen: „Wie bist du mir so innig“, „guter hoher Priester“, „du, oh Lamm Gottes unschuldig“. Warum benutzen wir nicht die Vielzahl der Ehrentitel für unseren Herrn Jesus?
Als ich vor einem halben Jahr krank war und nicht wusste, ob ich je wieder hier in Lahö zu Ihnen kommen kann, kam mir eines Tages der Gedanke: Sei dankbar für die vielen Menschen in deinem Leben. Schreib doch einmal auf, wer die Frauen und Männer sind, für die du Gott dankst, weil sie dein Leben begleitet und bereichert haben.
Ich nahm später die kleinste Schriftgröße in meinem Computer, machte drei Spalten und schreibe noch immer an dieser Liste. Man muss sich das manchmal bewusst machen. Über die Liste schrieb ich: „Gott sei Dank all die Frauen und Männer, die mein Leben reich gemacht haben – Gottes Geschenk.“ Sei dankbar für alle Dinge.
Dann kam mir der Gedanke: Jetzt schreibe ich doch einmal all die Ehrentitel auf, die es für unseren Vater im Himmel gibt. Zum Beispiel: „Du Allerhöchster“, „du Fels“, „du Boden“. Die Psalmen sind besonders ergiebig: „du Fels meiner Stärke“, „du Höchster“, „du Starker“. Ich bin jetzt auf Seite sechs mit eng beschriebenen Seiten, und ich fülle die Liste weiter.
Ebenso bei Jesus: „Du Gerechter“, „Du Geliebter des Vaters“, „Du Meister“, „Du Lamm Gottes“, „Du Löwe aus Juda“, „Du Morgenstern“. Man könnte ein langes Gebet nur damit füllen, unseren Herrn Jesus mit seinen Ehrentiteln anzurufen, die wir in der Bibel finden.
Zurzeit gebe ich den Hauskreisen den Auftrag, dass jeder bis zum nächsten Mal ein paar solcher Ehrentitel Jesu aufschreibt. Danach tauschen sie sich im Hauskreis aus und sehen, was alles zusammenkommt.
Wir sind verarmt im Blick auf das, was einst die Fülle der Ehrentitel und Würdenamen für Jesus war.
Jesus als treuer Zeuge und das Reich Gottes im Alltag
Heute Morgen beschäftigten wir uns mit einem Begriff, der uns vielleicht noch nicht bewusst war: der treue Zeuge. In Offenbarung 1,5 und anschließend in Offenbarung 3, im Schreiben an Laodizea, heißt es:
Dies sagt der Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge, der bezeugt, was er von Gott weiß und gesehen hat. Er gibt das Verstandene weckend und verständlich weiter und weckt Vertrauen – das ist die Wahrheit.
Ich habe Sie ermutigt und mich selbst ermutigen lassen, dass wir neu und nicht einfach nur oberflächlich von der Bibel oder von Bibelworten sprechen. Wir wollen es ernst nehmen, wie es in Kolosser 3 heißt: Lasst das Wort Christi reichlich bei euch wohnen.
Wir wollen uns bewusst machen, was Jesus Christus vom Vater erschlossen bekam und uns weitergegeben hat. Allein das Gleichnis vom vierfachen Ackerfeld ist doch großartig. Wir denken oft, das Himmelreich sei eine ideale Welt, in der es Gerechtigkeit, Frieden und keine Sorgen mehr gibt.
Nein, das Himmelreich ist wie ein zertretener Acker voller Unkraut und Steine, den jeder Landwirt aufgeben würde und sagen würde, das ist gut für die Müllkippe, aber nicht für den Acker. Doch dass auf diesem Acker auch noch etwas wächst, das ist das Reich Gottes.
Lassen Sie uns unsere Gemeinden, ob freikirchlicher oder landeskirchlicher Art, nicht zu schnell abschreiben. Ein Kindergottesdienst, der armselig wird, eine Gemeinschaftsstunde, die ein bisschen ausblutet und überaltert ist – das ist das Reich Gottes, weil dort etwas wächst.
Als kleiner Bub habe ich mich in Hülken, der Heimat meiner Väter, aufgeregt, dass außer uns Kindern nur noch alte Frauen da waren, so wie es für uns war. Jetzt, nach drei Generationen, sind es immer noch hauptsächlich alte Frauen, aber es sind die Großenkel der damaligen alten Frauen, die, nachdem ihr Mann nicht mehr da ist und sie hindert, in die Gemeinschaftssünde zu gehen, endlich geistlich auftanken können.
Unser Herr lässt etwas wachsen.
Nehmen Sie dieses Gleichnis auch für Israel. Wir sagen ja, es gibt ein paar messianische Gemeinden, aber sonst gibt es in Israel viel Atheismus. Ja, in Israel ist wahr geworden, was Jesus sagt: Euer Haus wird euch wüst gelassen werden. Das heutige Israel ist vor Gott eine Wüste.
Aber der Herr Jesus lässt selbst dort, wo Unkraut, Unfrieden, Hass und Parteienstimmung herrschen, etwas wachsen.
Lassen wir das Wort Christi ernst nehmen, vertrauensvoll ernst nehmen. Das war ja nicht bloß ein Titel, den Johannes, der Seher der Offenbarung, übernommen hat. Der treue Zeuge hat es aus diesem Sendungswort des Herrn Jesus an die Gemeinde in Laodizea übernommen, aber natürlich auch aus dem, was er aus den Worten Jesu wusste.
Jesus als König und Zeuge vor Pilatus
Ich bitte Sie, Johannes 18 aufzuschlagen. Es ist beeindruckend, dass Sie alle Bibeln dabei haben. In letzter Zeit halte ich so viele Bibelwochen und Bibelvorträge, bei denen die Leute oft gar keine Bibel dabei haben. Sie sind wie die guten Israeliten, die offenbar den Text auswendig können.
Ich muss immer wieder mal hineinschauen, besonders in Johannes 18. Dort findet das Verhör vor Pilatus statt. In Johannes 18, Vers 37 fragt Pilatus diesen Jesus: „Bist du dennoch ein König, obwohl dein Reich nicht von dieser Welt sein soll?“ Jesus antwortete: „Du sagst es, ich bin ein König. Dazu bin ich geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.“
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen.“ Das ist das kürzeste Weihnachtsevangelium. Darüber sollte man am Heiligen Abend predigen.
„Dazu bin ich in die Welt gekommen.“ Ist hier jemand musikalisch? „Bin dazu in die Welt gekommen.“ Woher denn? Aus der Welt Gottes in unsere Welt gekommen, dazu dezidiert gekommen, damit die Wahrheit laut wird, bezeugt wird.
Verstehen Sie, warum Johannes vom Zeugen spricht? Vom treuen Zeugen, vom verlässlichen Zeugen – das ist Jesus. Wort für Wort, bis in die Diktion hinein: „Dazu bin ich in die Welt gekommen, um Zeuge für die Wahrheit zu sein.“
Man zwingt niemandem etwas auf. Aber wer ehrlich ist vor Gott, vor sich selbst und vor den Menschen – das meint eigentlich „aus der Wahrheit sein“ – der spürt doch, dass ich die Wahrheit sage. Jesus traut es Menschen zu, die eine Antenne voll Ehrlichkeit haben, dass sie spüren, dass die Worte Jesu voll Wahrheit sind.
Die Zukunft des Christusglaubens hängt nicht bloß von patentierten Evangelisten ab, sondern davon, ob wir die Wahrheit bezeugen oder bloß Mätzchen machen und meinen, die Menschen damit zu gewinnen. Ob wir Wahrheit weitergeben und ob es noch ein paar Menschen gibt, die die Antenne für Wahrheit nicht total verbogen haben.
„Wer aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme!“ Das war das Anliegen Jesu, der treue Zeuge, der Zeuge für die Wahrheit zu sein, der Wahrhaftige, der „Amen“ heißt.
Jesus von Nazareth – ein Ehrentitel mit Geschichte
Und wenn Sie jetzt nur ein paar Spalten weiterlesen, kommen Sie zu der Bibelstelle, die uns heute Abend beschäftigt – falls Sie überhaupt noch Kraft haben: Johannes 19, Vers 19.
Es gibt Bibelstellen, die man sich gut merken kann. Johannes 19,19 lautet: Als Jesus an die Schädelstelle kam, schrieb Pilatus eine Aufschrift, ließ sie schreiben und setzte sie auf das Kreuz. Darauf stand: „Jesus von Nazareth, der König der Juden“ – auf Latein abgekürzt „Jesus Nazarenus Rex Judaeorum“, kurz INRI.
Nun könnte man denken, dass die Nachfolger Jesu nach Ostern gesagt hätten: „Entschuldigung, das ist ja ein Spott sondergleichen gewesen! Jesus von Nazareth? Der König soll doch in Bethlehem geboren werden! ‚Du Bethlehem, die du kleinste bist, aus dir soll mir kommen der große Herr.‘“ War es ein Zufall, dass Jesus in Nazareth war? Vielleicht, weil seine Mutter aus Nazareth stammte und die Verhältnisse in Judäa so schwierig waren, dass man gerade nicht dorthin gehen konnte. Aber jetzt nennt man Jesus nicht den Nazarener, das ist doch schon ein Spottname.
So wie man Präsident Carter eine Zeit lang „den Erdnussfarmer aus den Südstaaten“ nannte oder während des Wahlkampfs den jetzigen Präsidenten Bush „den Bankrotteur aus Nirgendwo“. Napoleon wurde, nachdem er seine Macht verloren hatte, „der kleine Kosen“ oder „der Stippich“ genannt. Nazareth war damals JWD – ganz weit draußen, schlimmer als wenn jemand aus Württemberg kommt. Ich wollte ja nicht Ostfriesland sagen.
Jesus hatte also schon einen Knick in seiner Biografie. Nazareth lag abseits von allen Handelsstraßen, es gab keine großen Märkte. Heute ist Nazareth von Touristen übervölkert, aber auch damals war Nazareth wirklich so, wie Nathanael, der Johannes I., berichtet: „Na ja, es kann aus Nazareth nichts Gutes kommen.“ So ähnlich wie aus Mäggebäude oder Durlesbach, also ganz weit hinten drüben.
Das war auch verächtlich gemeint in der Leidensgeschichte. Wir müssen dafür aufmerksam sein: In Matthäus 26 wird gesagt, dass Petrus auch mit „Jesus von Nazareth“ verbunden war. Ha! Es wurde nicht gesagt „mit dem großen Rabbi“ oder „mit dem Verhafteten“, sondern „mit dem von hinten drüben, der jetzt so einen kleinen Aufstand macht“.
Der Apostel Paulus berichtet in Apostelgeschichte 26,9 von seinem Wirken vor seiner Bekehrung: „Ich dachte, ich müsste viel tun gegen den Namen des Jesus von Nazareth.“ Es steht bewusst so da, nicht „gegen Jesus“, sondern „gegen den Namen des Jesus von Nazareth“. Das ist doch eine Beleidigung Gottes, wenn der sich ausgibt, Christus zu sein, und dann auch noch aus Nazareth kommt. Das geht doch nicht. Das ist eine Schmähung Gottes.
Die ersten Christen hätten sagen können: Es war mehr als ein Zufall, dass unser Herr und Meister in Nazareth wohnte. Nazareth war nur eine Zwischenstation, und die Leute von Nazareth hatten diesen Jesus sogar vertrieben. Lukas 4 berichtet, dass sie ihn vom Abhang hinabstürzen lassen wollten.
Also nennt ihn doch nicht „Jesus von Nazareth“ als Lächerlichmachung des Jesus. Diffamiert den Jesus nicht als Nazarener. Wenn es logisch wäre, hätten sie protestieren müssen – aber genau das Gegenteil finden wir im Neuen Testament.
Der Name Nazarener in der frühen Kirche
Darf ich bitten, Apostelgeschichte 2 aufzuschlagen?
Als es nach der Auferstehung Jesu darauf ankam, am damaligen Pfingstfest endlich einen entscheidenden Punkt für die Sache Jesu zu setzen, sprach Petrus, erfüllt vom Heiligen Geist, vor den Tausenden, die zuhörten. Man hätte erwarten können, dass er sagt: „Jetzt erzähle ich euch vom König Israels, vom erwählten Sohn Gottes.“
Stattdessen heißt es in Apostelgeschichte 2, Vers 22: „Ihr Männer von Israel, hört diese Worte! Jesus von Nazareth, ausgewiesen durch Taten und Wunder und Zeichen, die Gott durch ihn in eurer Mitte getan hat, wie ihr selbst wisst, den habt ihr da hingegeben.“
In Vers 32 oder 33 heißt es weiter: „Diesen Jesus hat Gott auferweckt, dessen sind wir Zeugen.“ Der Jesus von Nazareth ist auferweckt.
Im weiteren Verlauf, im Kapitel 3, wird von der Heilung des Gelähmten an der schönen Tür des Tempels berichtet. Dort spricht Petrus in Vers 6: „Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir im Namen Jesu Christi von Nazareth.“
Man ahnt kaum, was Gott aus diesem Mann von Nazareth gemacht hat – den Fürsten des Lebens.
Später, als Petrus und Johannes vor den Hohen Rat treten, kommt es zu einer Auseinandersetzung. Man sagt zu ihnen: Ihr könnt alles machen, eure eigenen Gebetszeiten abhalten, eure eigenen Opferzwecke festlegen und Versammlungen abhalten. Aber redet nicht mehr im Namen dieses Jesus von Nazareth, sonst gibt es Ärger.
Doch im Kapitel 4, Vers 10, heißt es: „So sei es euch nun und dem ganzen Volk Israel kundgetan: Im Namen Jesu Christi von Nazareth, den ihr gekreuzigt habt, den Gott von den Toten auferweckt hat, durch ihn steht dieser hier gesund vor euch. Das ist der Stein, den ihr Bauleute verworfen habt, den Gott zum Eckstein gemacht hat.“
Weiter heißt es: „In keinem anderen ist das Heil, und auch kein anderer Name ist den Menschen unter dem Himmel gegeben, durch den sie selig werden sollen als dieser Name Jesus von Nazareth.“
In dem Augenblick, in dem Petrus sich hätte von dem Vorwurf der Nazarener distanzieren können, sagt er bewusst: „Gott hat ihn zum Eckstein gemacht.“
Damit sind wir bei einem Grundwort der Bibel: Als Gott alles ansah, was er gemacht hatte – vom ersten Kapitel der Bibel bis zur Offenbarung – sagte er: „Siehe, ich mache alles neu.“ (Psalm 100).
Er hat uns gemacht und nicht wir selbst.
Das Wort an Petrus lautete: „Ich will dich zu einem Menschenfischer machen.“ Paulus bekennt: „Er hat mich stark gemacht.“
Das Entscheidende an unserem Gott ist das Machen – dass er dem ruft, was nicht ist, damit es sei.
Die einzige Hoffnung für uns armselige Existenzen ist, dass Gott aus unserem wenig scheinenden Leben etwas macht.
In meiner Krankheitszeit, als unklar war, wie es weitergeht, hat mir Peter Beierhaus geschrieben: „Ich bete für dich, dass Gott aus den Tagen der Krankheit und Schwachheit etwas macht zu seiner Ehre.“
Nicht: „Ich bete, dass du wieder gesund wirst und dass Gott dir Wunder tut“, sondern: „Dass du die Tage der Krankheit und Schwachheit benutzt, damit etwas gemacht wird.“
Das ist eine große Hoffnung.
Der Name des Nazareners steht dafür. Die Welt kann über unsere Dinge lachen, aber unser Herr macht, was er will. Er hat die Kraft zu wirken, zu gestalten, zu machen.
Für die erste Christenheit war der Begriff „Nazarener“ ein Ehrentitel.
Der Nazarener als Symbol göttlicher Erhebung
So wie Maria aus Nazaret in ihrem Lobgesang sagt: "Er erhebt die Niedrigen aus dem Staub", so hatte schon zuvor Hannah bekannt: "Du holst die Armseligen aus dem Staub und setzt sie auf den Thron der Erhabenen." Bei unserem Gott ist niemand festgelegt auf Geburt, Herkunft, Bildungsstand oder darauf, was andere Menschen über ihn denken.
Ein Gemeindeglied aus meiner ersten Gemeinde in Ulm hatte eine sehr geringe Schulbildung und stammte aus schrecklichen Verhältnissen. Sie hatte stets die Sorge, der Fluch der Väter würde auf ihr liegen. Heute ist sie im Badener Land eine gesegnete Religionslehrerin, begabt und kompetent. Meine Frau sagt immer, sie schreibt die längsten Briefe ohne einen orthografischen Fehler.
Die Bibel bildet auch bis hin zum Stil. Unser Gott kann verändern, und dafür stand der Nazarener. Das war fast eine Bekenntnisnahme: Denkt doch, was Gott aus diesem verachteten Nazarener gemacht hat.
Philipp Friedrich Hiller, der zwanzig Jahre seines Lebens als Pfarrer Sprachlähmungen hatte und nicht mehr predigen konnte, schrieb im Vorwort zu seinem Liederkästlein: "Ich traute mir nichts Besonderes zu, vor allem weil das Vorurteil dazu kam, dass ich ein Schwabe bin und überdies ein Dorfpfarrer und deshalb nichts Nützliches fertigbringen kann." Aber selbst auf dieser letzten Stufe, auch auf der tiefsten Stufe, hat er für die ganz deutschsprachige Christenheit das Loblied angestimmt: "Ich will auch auf der tiefsten Stufe glauben, reden, rufen, ob ich schon noch Pilger bin. Jesus Christus herrscht als König."
Auch ein kleiner Dorfpfarrer und ein Schwabe kann erfahren, dass Gott aus ihm etwas macht. Einer, der nicht mehr predigen kann, wird zum Prediger und Seelsorger durch seine Lieder. In meiner Krankheit habe ich immer an die Hillerverse gedacht. Daran kann man sich festhalten. Sie sind nüchtern und schenken mir den Geist des Glaubens, sodass ich mutig sterben kann – nicht fröhlich, nicht gelassen, aber mutig. Das ist doch Ermutigung.
Für mich ist das wichtig, verehrte Schwestern und Brüder: Wir sollten uns auch einmal klar machen, dass der Begriff des Nazarener nicht nur von Heinrich Heine und Friedrich Nietzsche gebraucht wurde oder von Freimaurern, die ein distanziertes Verhältnis zu Jesus haben und deshalb etwas verhüllt vom Nazarener sprechen.
Ich habe von einem Freund gelernt: Wenn man mit Leuten, die mit Jesus nicht viel anfangen können, ins Glaubensgespräch kommen will, darf man nicht sagen: „Weißt du, ich habe aus der Bibel bei Jesus gelernt.“ Dann geht bei dem sofort der Rollator runter. Aber wenn man im Gespräch plötzlich sagt: „Es ist ja nichts los, alles ist so schlecht in dieser Welt“, und dann ergänzt: „Ja, ich habe beim Nazarener gelernt, dass man auch das Positive sehen soll“, dann fragt der andere: „Wie bitte, bei wem?“ – „Na ja, bei dem Jesus von Nazaret.“ Und schon können sie eine halbe Stunde über Jesus reden, denn der hat ja nachgefragt, oder?
Die Ablehnung Jesu und die Distanzierung von ihm sind nichts Neues. Jesus von Nazareth wurde auch abgelehnt und lächerlich gemacht. Wichtig ist jedoch, was Gott aus dem verachteten Nazarener gemacht hat.
Der Nazarener als Erfüllung prophetischer Verheißungen
Jetzt ein paar Gedanken zu etwas ganz Speziellem. Sie können also jetzt fünf Minuten abschalten.
Es ist ja gleich, dass die Glauben, dass die Glauben, dass die Glauben... (An dieser Stelle scheint sich der Text zu wiederholen oder unvollständig zu sein.)
Im Matthäusevangelium wird berichtet, wie Joseph und Maria nach der Flucht nach Ägypten aus dem Exil zurückkehrten. Es gibt schöne Darstellungen, in denen Maria auf dem Esel sitzt und das Jesuskind wunderbar von Malern dargestellt wird. Unser verehrter Professor Otto Michel hat gesagt: Wer ist wohl auf dem Esel gesessen? Natürlich Josef. Im Orient sitzen die Männer auf dem „VW des Orients“ – also dem Esel – und die Frauen laufen zu Fuß.
Als sie zurückkommen, nehmen sie ihre Heimat in Nazareth wieder ein. Damit wird eine Prophezeiung erfüllt. Wie geht es weiter? Jesus soll „Nazarenus“ heißen, also „Nazoräer“. Das ist schwierig zu übersetzen. Ich erinnere mich noch an mein erstes Semester, als Professor Gerhard Friedrich in Bethel sich die Mühe gab, drei Bedeutungen zu erklären: Nazoräer waren Leute, die wie Johannes der Täufer keinen Wein tranken.
Doch Jesus hat bei der Hochzeit in Kana Wein getrunken. Später wurde er als Fresser und Weinsäufer bezeichnet, obwohl er vielleicht enthaltsam war. Nein, die ersten Nachfolger Jesu sagten: Da ist doch schon eine prophetische Weissagung auf den „Nezer-Mann“. Im Hebräischen heißt der Stamm „Nezer“, so wie „Zemach“ – Spross. Es wird ein Spross aus dem Stamm Isais kommen. Wo steht das? Sehr gut, Sie dürfen die nächste Stunde wegbleiben.
In Jesaja 11 wird gesagt, dass aus dem alten, zerfallenden Stamm Davids ein Spross wachsen wird. Am Ende des Krieges hat man, um die amerikanischen Panzer aufzuhalten, die Bäume am Straßenrand gefällt, da sie über die Straße gekippt waren. Die Amerikaner kamen und schoben sie weg. Die Bäume waren brutal gefällt, doch im nächsten Frühjahr wuchsen plötzlich solche Ruten aus den armselig gekippten Baumstämmen heraus.
Das war für mich immer ein Beispiel dafür, dass etwas, das einem wehtut – die schönen Bäume wurden gefällt – plötzlich wieder neues Leben hervorbringt. Und die ersten Christen sagten: Jetzt ist da der Spross, auf dem der Geist des Herrn ruhen wird, der Geist der Weisheit und Stärke (Jesaja 11).
In der Synagoge von Nazareth, als Jesus die Rolle des Propheten Jesaja erhielt, ist in Lukas 4 beschrieben, wie er sagte: „Heute ist diese Schrift erfüllt, weil der Geist des Herrn auf mir ist.“ Verstehen Sie das nicht? Diese „Nezer-Wurzel“, der Spross – unsere Christenheit kann viel kaputt sein, aber Gott schenkt manchmal solche verheißungsvollen kleinen Aufbrüche. Es ist nicht alles tot.
In diesem Spross Jesus steckt all das, was im Begriff „netzer“ und „Nazaräer“ enthalten ist. Deshalb immer wieder die Wurzel Davids bis hinein in die Offenbarung: der Spross aus der Wurzel Isaias. Unser Gott ist ein Gott der Hoffnung.
Die Bedeutung der Nazareter Zeit Jesu
Aber jetzt will ich noch zwei Gläschen, was soll denn das, Jansen?
Einmal, damit uns bewusst wird: Der Vater im Himmel hat seinem Sohn, als er ihn gesandt hat, die Wahrheit zu bezeugen, dreißig Jahre Vorlaufzeit in Nazaret gegeben. Ist uns das einmal bewusst? Eine Zeit, wie sie David bei seinen Schafen hatte, damit er später sagen konnte: Der Herr ist mein Hirte – nicht bloß ein netter Pilzer. Das hat er erfahren. So wie Joseph eine Vorlaufzeit hatte, Jakob, als er um Rahel und Lea diente, und Mose vierzig Jahre Vorbereitungszeit.
Der Apostel Paulus hat das einmal so formuliert: Er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht (2. Korinther 5). Jesus war doch nicht blauäugig. Er kannte unsere Welt, Nazaret von hinten bis vorne, den ganzen Mief dieser galiläischen Kleinstadt. Er kannte das normale Leben, das von einem unfruchtbaren Baum keine gute Frucht erwartet. Und wie schön die Lilien auf dem Felde sind, und dass selbst die Sperlinge Futter finden.
Er kannte aber auch die Angst der gebärenden Mütter vor der Geburt und die Freude danach. Lesen Sie einmal die Berichte über Jesus – was Jesus alles in Nazaret kennengelernt hat. Du vermagst nicht, ein einziges deiner Haare schwarz oder weiß zu machen. Ich vermag nicht einmal nach meiner Chemotherapie, dass die Haare ein bisschen schneller wachsen. Wer bei uns etwas kürzer gewachsen ist, vermag das Nachempfinden, was Jesus gesagt hat: Niemand vermag seines Lebens Länge auch nur um eine Elle zuzulegen, und das gilt auch für die Lebensdauer. Wenn Gott bestimmt hat, dass man gehen soll, dann hilft keine Therapie.
Jesus hat alles erlebt. Er hat die eigentliche Not des Menschen erlebt: dass Leute fromm sich geben und doch im Streit mit dem Bruder leben. Wenn Jesus später sagt: Dann lass deine Gabe und versöhne dich zuerst, hat er das erlebt. Er hat erlebt, welche Gier in den Augen von Menschen sein kann. Er hat erlebt, wie man überheblich beten kann, sonst hätte er das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner nicht sprechen können.
Er hat erlebt, wie fromme Leute gesagt haben: Korban – das ist Gott gegeben –, und die Mutter und der Vater hätten es brauchen können. Er hat erlebt, dass schriftgelehrte Fromme so gehandelt haben, dass er später sagte: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten, dann hat sie keinen Wert.
Das hat Jesus in Nazareth kennengelernt. Aber auch er war seinen Eltern untertan und nahm zu an Alter, so wie jeder von uns, und an Weisheit und an Gnade bei Gott und den Menschen. Schön, zunehmend an Gnade bei Gott und Menschen.
In Nazareth ist er eingeführt worden ins Wort Gottes. Wenn Jesus später sagt, auch das erfülle sich, müssen wir uns lange überlegen, welches Schriftwort es ist, wenn es nicht gerade darunter steht in unserem Luthertext. Jesus hatte den Tenach, das Alte Testament, präsent und abrufbar.
Als er als Zwölfjähriger nach Jerusalem kommt und im Tempel bleibt, bespricht er sich mit den gelehrten Rabbinen, mit Schriftgelehrten. Sie wundern sich über die Fragen und Antworten, die er gab. Da ist dann die Schrift hineingewachsen – kompetent in der Schrift.
Dieser Jesus, der sich in unser Schicksal hineinbegeben hat, der für uns zur Sünde wurde, der hat eine Vorstufe gehabt in Nazareth: dass er zuerst einer von uns wurde und doch ganz anders als wir.
Das Vorbild Jesu in Seelsorge und Gemeinschaft
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn der Nazarener uns nicht zum Vorbild für unsere Seelsorge wird, dann ist alles umsonst. Es hat keinen Sinn, Anteil an Menschen zu nehmen, wenn wir als Pfarrer nicht mehr in die Häuser kommen, in denen Krebskranke verenden. Dort, wo der Verwesungsgeruch so stark ist, dass man es kaum aushält, helfen auch keine Spruchkarten, die wir schicken.
Jesus hat den Mief dieser Welt miterlebt – die Krankheitsnöte, das Hineinbegeben in die Not. Er hat erkannt, wo die Nöte der Menschen sind. Die Schriftgelehrten wollten doch fromm sein, konnten es aber nicht. Paulus, der später große Schriftgelehrte, beschreibt es so: „Das, was ich will, das tue ich nicht, sondern das, was ich nicht will, das tue ich.“
Jesus ist nicht als Vorbereitung in die Wüste gegangen, sondern ließ sich nach Nazaret senden, in diese Vorbereitungszeit. Unsere Welt lernte in dieser Zeit kennen, auch die kleinkarierte Welt, welche Probleme wir haben: Wie unsere Herzen beschwert werden durch Fressen und Saufen und durch Sorgen um die tägliche Nahrung. Sie werden beschwert durch den Kurs von Infineon und der Deutschen Telekom, wenn wir uns gerade ein paar Aktien angelegt haben und dachten, ich hinterlasse etwas für meine Enkel.
Jesus versteht auch unsere Welt und erkennt die falsche Frömmigkeit, die geheuchelte Frömmigkeit, von der wir uns so sehr wünschen, dass sie anders wäre. Wenn jemand uns in unseren Begrenztheiten versteht, dann er. Er konnte mitfühlen mit unseren Schwachheiten.
Und er, der Nazarener, der Spross, der Nezer, der Nazarenus, wurde uns ein Vorbild darin, dass man zunehmen kann. Gott hat ja nicht nur ihn zunehmen lassen an Alter, Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen. Wenn wir mit Jesus verbunden sind, gibt es ein Zunehmen – selbst bei Senioren.
Schon der große jüdische Gelehrte Maimonides hat gesagt, Gott lege oft noch einmal im Alter eine Runde zu. Ich verstehe jetzt diese Zeit nach der Operation auch so, als eine geschenkte Runde. Er sagt, wenn die Pflichten der täglichen Arbeit für alte Menschen wegfallen und auch die Reize der Welt, die sonst ablenken, nicht mehr so stark sind, dann legt Gott diese Runde zu, damit man in der Erkenntnis Gottes noch einmal zunimmt.
Denken Sie jetzt an alle älteren Menschen in Ihren Gemeinden, Gemeinschaftsstunden und Kreisen. Ihnen legt Gott nochmals als Chance eine extra Runde zu. Hoffentlich werden wir, die das Wort auslegen dürfen, an ihnen nicht schuldig. Denn so viele alte Leute haben von Gott nochmals eine besondere Zubereitungszeit erhalten. Sie nehmen nicht nur an Alter zu, sondern auch an Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen.
Und wenn der junge Jesus, der Zwölfjährige, zugenommen hat an Alter, Weisheit und Gnade, soll das ein Hinweis für uns sein: Es gibt einen Blütenfrevel an jungen Menschen. Wie viel müssen sie jetzt schon in sich hineinschlucken, selbst wenn sie nur en passant im Fernsehen sind oder Werbesendungen sehen? Ich weiß nicht, ob ich mein Leben einigermaßen vor Gott durchgebracht hätte, wenn ich so viel Dreck in mich hätte hineinkippen müssen. Ob nicht meine Fantasie explodiert wäre.
Es gibt einen Blütenfrevel auch durch ungezügeltes Reden, durch das Neue Testament bezeichnet als Scherz und Narreteien. Man kann jungen Leuten eine fröhliche Kindheit geben, aber es ist wichtig, dass wir in der Zucht bleiben. Dass Menschen zunehmen können und niemand sagen muss: „Ich bin eben, wie ich bin, da kann man nichts machen.“
Nein, auch euer Zunehmen soll offensichtlich sein. Es dürfen alle zunehmen an Gnade bei Gott und den Menschen. Gott kann das bewirken.
Die Sekte der Nazarener und die Kraft des Glaubens
In der Verbundenheit mit dem Nazarener Jesus wussten die Christen: Das kann auch uns treffen.
Wenn der Apostel Paulus von vor seiner Bekehrung erzählte, sagte er in Apostelgeschichte 24: „Ich meinte, ich müsste viel tun gegen die Sekte der Nazarener.“ Heute gelten nicht nur merkwürdige Stundenleute oder kleine Freikirchen als Sektierer, sondern auch jemand, der regelmäßig zum Gottesdienst geht. Solch eine Person wird schnell als Überkandidat abgestempelt, als jemand, der schon halb spinnt und es offenbar nötig hat. Am Heiligen Abend zum Gottesdienst zu gehen, genügt nicht mehr. „Ich zahle doch Kirchensteuer“, hört man oft.
Dieser Hass auf die Sekte der Nazarener kann uns sehr schnell treffen. Aber was hat der Apostel Paulus daraus gemacht? In Apostelgeschichte 24 können wir es nachlesen, wenn er in seiner Verantwortung vor dem Statthalter Felix stand. In Vers 5 wird ihm vorgeworfen, er erregte Aufruhr unter allen Juden auf dem ganzen Erdkreis und sei ein Anführer der Sekte der Nazarener.
Paulus antwortet in Vers 14: „Das bekenne ich dir aber, Theoster Felix, dass ich nach dem Weg, den Sie eine Sekte nennen, dem Gott meiner Väter so diene, dass ich allem glaube, was geschrieben steht im Gesetz und in den Propheten. Und ich habe die Hoffnung zu Gott, die auch Sie selbst haben, nämlich dass eine Auferstehung der Gerechten und der Ungerechten geben wird.“
Er, der zu der Sekte der Nazarener gehört, sagt also: „Okay, ja, da habe ich früher auch mal etwas dagegen gedacht, aber ich möchte dazu gehören, denn es geht um diesen Jesus von Nazareth, den Gott auferweckt hat, aus dem Gott etwas gemacht hat.“ Wenn uns doch die Weisheit geschenkt würde!
In Gesprächen, in denen wir kritisch oder sogar angriffig angegangen werden, sollten wir nicht mit Stahl in der Stimme zurückschlagen. Sind wir dann nicht selbst die Blöden? Stattdessen können wir sagen: „Jawohl, sehr schön, gut, dann möchte ich mal etwas erzählen über den, den Sie gerade so ein bisschen aufs Korn genommen haben.“ So entsteht eine Gelegenheit, von diesem Nazarener zu reden.
Der Name Nazarener enthält ein Programm Gottes. Er wird die Niedrigen erheben, die Verachteten. Der Spross – und das ist durch Jesus von Nazareth bestätigt worden – hat sein Testsiegel bekommen. Ja, so ist es: „Ich will etwas aus dem Verachteten machen.“ Dieses Testsiegel trägt kein Verfallsdatum. Es gilt bis heute über jedem von uns.
Überall, wo der Name Jesus von Nazareth genannt wird, ist die Zukunft bis an jenen Tag offen. Deshalb sind wir nie rückwärtsgewandt, sondern progressiv nach vorne ausgerichtet. Wir sind gespannt darauf, was Gott machen wird.
Paulus durfte viele Jahre mit Professor Helmut Lamperder zusammenarbeiten. Er war Vorsitzender des Evangelischen Jugendwerks in Württemberg, und Paulus war leitender Referent. Lamperder sagte einmal zu ihm: „Rolf, ich bin gespannt auf meinen Tod, was der Jesus, der so viel in meinem Leben getan hat, da noch tun wird.“
Lassen wir uns in diesem Geist verbinden und im Namen Jesu leben. Herr Jesus von Nazareth, du Spross, du Wurzel Davids, du von Gott Erwählter, der du zugenommen hast an Gnade vor Gott und den Menschen und an Weisheit: Lass uns so mit dir eng und echt verbunden sein, dass auch an uns ein Zunehmen erkennbar wird.
Gib auch uns die Weisheit, wenn wir um deinetwillen angegriffen oder lächerlich gemacht werden, dass wir in großer Gelassenheit und Weisheit die Worte finden, die wir sagen müssen, um dich zu verherrlichen. Dass der Sohn geehrt wird, so wie der Vater geehrt wird. Amen.
Persönliche Erfahrungen und der Umgang mit Anfeindungen
In dem Büchlein, das oben aufgeklappt ist, habe ich etwas mit Gott erlebt. Es zeigt ein furchtbares Bild von mir. Ich bin ja ohnehin keine Schönheit. Wenn ich zu meiner Frau sage, dass ich mit meinem Sculpt so aussehe, sagt sie: „Es war vorher auch nicht viel.“
Aber da haben Sie das falsche Bild genommen und mir zu spät gezeigt. Das ist furchtbar. Es gibt jedoch noch Abschreckenderes in dieser Welt. Dazu möchte ich zum Abschluss eine Geschichte erzählen.
Im Jahr 1980 durfte ich, musste ich, sollte ich ins Nachtcafé mit Wieland Backes. Er sprach mit mir und sagte: „Du weißt, der Film oder die Sendung ‚Grüß Gott, wie heißt das Herr Pfarrer?‘“ Ich antwortete, dass ich keinen Fernseher habe und die Zeit für etwas anderes brauche. Die Sendung hatte ich nicht gesehen.
Er sagte, es gehe nicht um die Sendung, sondern um die Fragen des Pfarrdienstes und des Pfarrbildes. Sie brauchten mich als Gesprächspartner. Natürlich brauchte er mich als Buhmann. Das Gespräch begann sofort. Er fragte: „Herr Schepuh, was meinen Sie?“ Als er hörte, dass ich die Sendung nicht gesehen hatte, war ich schon mal abgeschrieben.
Ein Hamburger Pfarrer war auch dabei, ein landeskirchlicher Pfarrer von Sankt Pauli. Er hatte vor zwanzig Jahren propagiert, die Lesben- und Schwulenehe zu unterstützen. Dann wurde ich gefragt: „Herr Schepuh, was sagen Sie dazu, dass ja in unserer Trauordnung steht: ‚Gott schuf den Menschen als Mann und Frau und segnete sie‘?“ Das ist im Grunde genommen eindeutig nach biblischem Wortlaut.
Obwohl vorher versprochen war, dass die Sendung wie eine Originalsendung gesendet wird und nichts geschnitten wird, wurde natürlich geschnitten. Immer wenn ich einen Punkt machen konnte, wurde ich übergangen. Die anderen kritischen Stimmen wurden genommen.
Da sagte ich: „Herr Jesus, jetzt lassen wir doch die Chance, dass ich nicht nur Gedanken von mir sagen möchte, sondern dass ich ein Bibelwort sagen darf.“ Da sagte er: „Wir kommen zum Schluss der Sendung. Herr Schiffbruch, Sie sind in der Bibel bewandert, vielleicht können Sie uns ein Bibelwort sagen, mit dem wir abschließen können.“
In mir kochte Zorn hoch. Es war schon beinahe auf meiner Zungenspitze: „Die Toren sprechen in ihrem Herzen: Es ist kein Gott.“ Doch der Herr verhütete, dass ich das sagte. Stattdessen durfte ich sagen: „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben, auch in der Christenheit.“ Das war der Abschluss.
Viele Leute haben nachher gesagt, es war das klärende Wort, das ihnen geschenkt wurde. Gott kann einem Weisheit geben, wenn Zorn hochkocht, wenn wir angegriffen werden. Das nur noch einmal als Unterstreichung vom Nazarener. So.
