Die Spannung in der Kirchengeschichte zwischen Mystik und Orthodoxie
Ich schmunzle manchmal ein bisschen über Kirchengeschichte, weil ich den Eindruck habe, dass die Menschen immer auf zwei Seiten vom Pferd herunterfallen wollen – und das auch mit schöner Regelmäßigkeit schaffen. Kirchengeschichte ist wie ein Ping-Pong-Spiel, bei dem auf der einen Seite die Mystik steht. Menschen wollen Gott persönlich erleben, ihn erfahren und spüren. Auf der anderen Seite steht die Orthodoxie, die rechte Lehre, das reine Wort.
Ich habe den Eindruck, dass Kirchengeschichte immer so zwischen diesen Polen pendelt. Kaum steht ein Luther auf der Kanzel, taucht ein Thomas Müntzer auf. Das ist total witzig, oder? Kaum sagt jemand: „Predigt das Wort Gottes“, kommt ein anderer und sagt: „Aha, ich habe da etwas ganz Persönliches erfahren.“ So geht das Ping-Pong-Spiel weiter.
In dieser Spannung zwischen Mystik und Orthodoxie gibt es gerade wieder eine ganz intensive Diskussion, etwa um das „Ja der Stille“. Ich denke mir dabei: Ja, da ruft man ein „Ja der Stille“ aus. Zugegebenermaßen ist manches, was an Publikationen dazu auf den Markt kommt, vielleicht irgendwo fragwürdig.
Doch anstatt zu sagen: „Stille, Hören auf Gott hat seinen Wert“, fangen bestimmte evangelikale Kreise an, dagegen zu schießen. Stattdessen könnte man sich doch in der Mitte treffen. Aber es bleibt immer dieses Ping-Pong-Spiel. Das ist total witzig.
Kritik an einseitigen Gottesdienstverständnissen
Und wie soll ich das formulieren? Eure Antworten waren mir zu einseitig. Ich hoffe definitiv, dass ich nicht in der Gefahr bin, dass mir jemand vorwirft, ich würde das Wort Gottes nicht ernst nehmen oder nicht lieben.
Deswegen darf ich heute mal mich selbst wegrationalisieren. Ich darf einfach mal über den Nichtwert des Wortes Gottes sprechen.
Die meisten Antworten – und Max ist die wirkliche Ausnahme, dich hatte ich vergessen, dafür möchte ich mich entschuldigen, das war völlig richtig – lauteten sinngemäß: „Ja, ich bin hier, um Gottes Wort zu hören.“
Jetzt sage ich dir aus dem Wort Gottes heraus, dass diese Antwort falsch ist. Sie ist natürlich nicht ganz falsch, denn wir haben hier wieder ein Ping-Pong-Spiel. Ja, es ist dieses: „Ich bin hier, um Gottes Wort zu hören.“ Ich liege hier rechts außen am Anschlag, Orthodoxie – das Wichtigste ist eine gute Predigt.
Ich wundere mich, dass ihr hier seid, weil eure Kirche eigentlich da oben steht. Ihr wärt gute Lutheraner. Ja, ohne Scherz, sie stehen da oben. Da ist einer vorne, damit man auch sieht, dass er anders aussieht, er trägt einen Talar und so ein Dings, ja, und der sagt dann, wo es langgeht. Alle dürfen zur richtigen Zeit mal ein paar Worte sprechen, dann ist aber auch Schluss. Wortzentrierte Gottesdienste.
Ich dachte, ihr seid anders. Ich möchte auch nicht auf die andere Seite gehen, wenn man dann Gottesdienste erlebt, bei denen sehr viel passiert und sehr viel Geistgewirktes in den Raum geworfen wird, und das Wort bleibt vielleicht ein bisschen kurz und knapp. Dann denkt man: „Naja, ich hätte auch den Text auslegen können, den du da vorgelesen hast.“ Da will ich auch nicht hin.
Aber ich möchte, dass wir in der Mitte bleiben. Also das wäre zumindest mein Wunsch: Wenn wir schon Gottesdienst feiern, dann sollten wir nicht eine Vokabel in den Mund nehmen, die es nicht verdient, so genannt zu werden, nämlich Gottesdienst.
Wir reden über Dienst für Gott. Vielleicht reden wir auch darüber, dass Gott uns dient. Aber das ist ein Gedanke, den ich ein Stück weit zurückstellen möchte. Wenn ich euch jetzt zeige, was die Bibel zu dem Thema sagt – „Wo und wie treffen sich Menschen mit welcher Absicht vor Gott?“ – dann werden wir merken, dass dieses „Gott dient uns“ ziemlich in den Hintergrund tritt.
Die biblischen Grundlagen des Gottesdienstes
Menschen treffen sich, um vor Gott gemeinsam zu erscheinen. Schlagen wir einfach mal die Bibel auf, möchte ich euch sechs Punkte nennen, die im Hinblick auf „Wir begegnen Gott“ eine Rolle spielen.
Das fängt ganz, ganz am Anfang an: 1. Mose Kapitel 4. Dort lesen wir zum ersten Mal von Gottesdienst. Es war gerade alles schiefgegangen. Wir haben den Sündenfall hinter uns, Kain hat Abel schon erschlagen, und die Menschheitsgeschichte beginnt gerade erst.
In Vers 26 lesen wir: „Damals fing man an, den Namen des Herrn anzurufen.“ Also war es von Anfang an so, dass es eine Gemeinschaftsbewegung gab, Gott anzurufen. Dieses Wort „anrufen“ bedeutet anbeten, ihm mit Worten zu begegnen. Man öffnet den Mund und redet. Es ist nicht dieses stille Dasitzen und Abwarten.
Ihr werdet merken: Diese Predigt richtet sich gegen jede Form von Konsumchristentum, gegen jede Form von Christentum, die sich darauf beschränkt zu sagen, meine geistliche Gabe bestehe darin, am Sonntag von etwa zehn bis halb zwölf einen roten Stuhl zu wärmen.
Es gibt diese „Geistesgabe“ nicht. Ich mache euch gerne mal eine Reihe über Geistesgaben, und wir können uns streiten, ob es 22, 25 oder unendlich viele gibt. Aber diese Gabe wird nicht dabei sein, das kann ich euch schon versprechen.
Von Anfang an treffen sich Menschen, um Gott anzurufen und ihm hörbar zu sagen, wie großartig sie ihn finden.
Die Bedeutung von Psalm 22 für den Gottesdienst
Ein Vers, der mich vor nicht allzu langer Zeit besonders beeindruckt hat, findet sich in Psalm 22. Nein, Quatsch, ich meinte Psalm 22, Entschuldigung. In Psalm 22 haben wir einen Psalm vor uns, der auf eine besondere Weise merkwürdig ist, möchte ich sagen. Es ist der Psalm, den Jesus am Kreuz zu zitieren beginnt. Deshalb kennt man den Anfang von Psalm 22: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Wenn man Psalm 22 durchliest, stellt man fest: Hier wird ein Mensch in höchsten Todesnöten beschrieben. Ein Mensch, von dem es in Vers 19 heißt – oder ich fange mal in Vers 18 an: „Alle meine Gebeine könnte ich zählen, sie schauen und sehen auf mich herab. Sie teilen meine Kleider unter sich und über mein Gewand werfen sie das Los.“
Wenn du Psalm 22 liest und auch nur eine vage Vorstellung von Ostern hast – wenn du zum Beispiel einmal einen Jesusfilm gesehen hast – weißt du in dem Moment: Das kann ja gar nicht sein. Tausend Jahre vor Jesus, tausend Jahre bevor der Messias auch nur geboren wird, schreibt David einen Psalm. Und in diesem Psalm, inspiriert durch den Heiligen Geist, legt er die Emotionen des Messias am Kreuz, die Gedanken des Messias am Kreuz nieder.
Wir sehen Ostern, wissen aber nicht genau, wie sich Jesus am Kreuz gefühlt hat. Doch er weiß es. Und er nimmt diesen Psalm und beginnt ihn zu zitieren. Ich denke, seine Kraft reicht dann nicht mehr aus, um viel zu sprechen. Denn du hast keine Luft, wenn du am Kreuz hängst, um lange zu reden. Aber ich glaube, dass er genau das vor seinem geistigen Auge ablaufen lässt, was hier steht. Er verfolgt Stück für Stück die Gedanken, die David diesem historischen Ereignis vorausgehen lässt.
So sehe ich im Psalm 22, wie der Messias am Kreuz hängt und wie er sich fühlt. Und dann lese ich in Psalm 22 einen Wunsch, der mich mitten ins Herz getroffen hat. Ich hoffe, er trifft euch auch. Was wünscht sich ein Messias am Kreuz in seiner schlimmsten Todesnot? Wohin gehen seine Gedanken?
Das heißt in Vers 23: „Verkündigen will ich deinen Namen meinen Brüdern, inmitten der Versammlung will ich dich loben.“ Man liest über solche Verse oft hinweg. Aber da hängt jemand am Kreuz, in einer Situation, in der er an alles denken könnte. Und seine Gedanken fokussieren sich auf einen Punkt: „Verkündigen will ich deinen Namen meinen Brüdern, inmitten der Versammlung will ich dich loben.“
Fantastisch! Der Messias möchte in der bittersten Stunde seines Lebens genau eines: „Ich möchte deinen Namen, Gott, wenn wir zusammen sind, wenn wir Gottesdienst feiern.“ Und ich übersetze das einfach mal in unsere Sprache: „Ich möchte dich loben.“
Er möchte nicht voreingenommen und immer beschäftigt sein mit seinen Problemen. Und wenn du am Kreuz hängst, hättest du alle Rechte, mit deinen Problemen beschäftigt zu sein. Aber er hat eine Sehnsucht. Wenn Jesus am Kreuz hängt, wenn David, inspiriert durch den Heiligen Geist, das niederschreibt, dann muss uns eines klar sein: Für Gott hat gemeinschaftliches Gebet, das Gelobtwerden inmitten der Versammlung, einen ganz besonderen Stellenwert.
Fragt mich nicht, warum das so ist, aber vor Gott macht es einen Unterschied, ob ich alleine durch den Wald schlendere und ihn anbete oder ob ich mich in die Versammlung, in die Gemeinschaft der Heiligen, setze und vor ihm gemeinschaftlich anbetend bin. Wenn es diesen Unterschied nicht gäbe, bräuchten wir uns nicht treffen. Aber es gibt ihn.
Und Jesus hängt dort und sehnt sich danach, endlich wieder seinen Gott in der Versammlung anzubeten. Das ist das erste und tragende Element von Gottesdienst: Anbetung.
Die Feste des Herrn im Alten Testament
Deswegen sind wir hier. Ein Punkt von sechs. Zweiter Punkt: Wir schauen ins Alte Testament. Und das Alte Testament ist, was Gottesdienste angeht, von den Beschreibungen her eher schwach.
Da steht zwar, dass man den Sabbat heiligen soll und dass er irgendwie für Gott da sein soll. Aber eine genaue Beschreibung bleibt ein bisschen auf der Strecke – es sei denn, man liest 3. Mose 23.
- Mose ist das Buch, bei dem viele beim Bibellesen abbrechen. 1. Mose geht gut, 2. Mose wird am Ende etwas schwierig, weil dort zweimal die Stiftshütte beschrieben wird. Beim zweiten Mal merkt man, dass die Lesegeschwindigkeit langsam runtergeht. Aber wenn 3. Mose kommt und man sich durch die ersten Opfer durchgearbeitet hat, dann kommen all diese Tiere, die man nicht essen darf, und seitenweise Anweisungen, wie man mit Schimmel an Häusern umgehen muss.
Viele kommen nicht mehr bis zu 3. Mose 23. Aber das ist ein Kapitel, das man sich mal anschauen sollte. In meiner Bibel ist es mit „Die Feste des Herrn“ überschrieben.
Dort wird dreimal im Jahr festgelegt, dass die Gemeinde sich treffen soll – und zwar in Jerusalem. Das sind das Passahfest, das Fest der Wochen (heute Pfingsten genannt) und das Laubhüttenfest beziehungsweise der große Versöhnungstag.
Dreimal ziehen sie hin und feiern Gottesdienst. Was mich fasziniert, ist nicht, dass sie dreimal nach Jerusalem ziehen – da denke ich mir: Naja, ich gehe einmal die Woche in den Gottesdienst, das ist ja irgendwie sehr ähnlich, man geht halt irgendwo hin.
Was mich fasziniert, ist die Haltung, mit der sie dort hingehen. Diese Haltung wird für mich am deutlichsten, wenn man die Frage betrachtet: Wie viel Geld darf ich eigentlich ausgeben, wenn ich nach Jerusalem ziehe? Was darf mich der Spaß kosten?
Ist es eher so eine Sache, dass man mit Sacktuch und Asche fastend nach Jerusalem schlurft, dort ein paar Gebete macht und vielleicht eine Ziege mitbringt, damit man auch etwas hat?
Es heißt ja in 2. Mose 34,20: „Du sollst nicht mit leeren Händen vor Gott erscheinen.“
Seid vorsichtig! Man kann an dieser Stelle nicken und sich selbst zum Gericht nicken, weil das natürlich auch für uns gilt. Ich werde später fragen, was du nächste Woche zum Gottesdienst mitbringen willst – oder ich frage dich jetzt, damit ich es nicht vergesse.
Wir sollen nicht mit leeren Händen vor Gott erscheinen. Wir sollen nicht hier reinschlurfen und sagen: „Na, schauen wir mal, ob er es gut macht. Vielleicht ist ja was für mich dabei. Und wenn nicht, gibt er noch ein Mittagessen.“
Versteht ihr? Das ist eine völlig abstruse Haltung vor Gott. Wir treffen uns mit vollen Händen.
Also: Die Frage lautet, wenn ich nach Jerusalem ziehe – und ich lese euch eine Stelle vor aus 5. Mose 14,26 – wie soll ich mich verhalten?
Letzte Woche hatte ich einen Bruder, der länger gläubig ist als ich, und der kannte diese Stelle nicht. Er hat an der Stelle total geschmunzelt.
Im Alten Testament gibt es das Prinzip des Zehnten. Kurz eingeworfen: Es gibt nicht nur einen Zehnten, sondern drei. Einer wird alle drei Jahre erhoben, einer ist für die Priester, und das ist auch nochmal ein Zehnter.
In 5. Mose 14,26 heißt es: „Nimm den Zehnten“ – und dann kommt eine Einschränkung. Normalerweise, wenn man seinen Zehnten als Bauer nimmt, hat man eine ordentliche Portion Getreide oder vielleicht eine Kuh dabei, was man halt so hat.
Jetzt heißt es im Text: Wenn der Weg nach Jerusalem zu weit ist, dann mach Folgendes: Verkaufe diesen Zehnten. Dann gehst du nach Jerusalem, nimmst das Geld, den zehnten Teil deines Einkommens, und setzt den Zehnten um in Spaß.
Also: Du verkaufst das, nimmst das Geld und investierst es, um vor Gott zu feiern.
Deswegen heißt es auch „Feste des Herrn“ und nicht „Exerzitien des Herrn“ oder so etwas Ähnliches. Es heißt Feste.
Damit jetzt niemand auf den Gedanken kommt, Gott sei ein knauseriger Gott, der dir diesen Vers schreibt: „Und gib das Geld, das sind zehn Prozent deines Einkommens, in Jerusalem für alles, was deine Seele begehrt“ – und sich dann nicht traut, zu glauben, was dann kommt:
Es heißt weiter: Für Rinder und Schafe ordentlich etwas zu essen, für Wein und Rauschtrank ordentlich etwas zu trinken und für alles, was deine Seele wünscht.
Das ist Bibel, okay? Das ist nicht irgendwo anders herausgezogen, das ist Bibel.
Gott möchte, dass die Israeliten vor ihm, wenn sie zusammenkommen, feiern. Und zum Feiern gehört bei Gott nun mal, etwas zu essen und zu trinken.
Gottesdienst als Ort der Freude und des Feierns
Wenn wir in Lukas weitermachen, nach dem großen Block, den wir gerade über Prioritäten und Opposition betrachtet haben, folgt ein weiterer langer Abschnitt zum Thema: Was kommt da auf uns zu?
Wenn ihr euch die Bilder anschaut, geht es um ein großes Abendmahl, um eine Hochzeitsfeier. Es dreht sich immer darum: Der verlorene Sohn kommt nach Hause, und was wird zuerst gemacht? Es wird geschlachtet.
Wenn wir vor Gott erscheinen, wenn das Volk im Alten Testament vor Gott tritt, dann soll es Freude haben. Es soll feiern. Deshalb ist Gottesdienst ein Ort der Freude, ein Ort des Feierns.
Ich habe keine genaue Vorstellung, wie man das genau umsetzen soll. Ich bin auch ein bisschen skeptisch, ob man das eins zu eins übertragen kann. Aber von der Idee her geht es nur um die Frage: Wofür ist Gottesdienst da? Warum ist Jesus heute hier? Jesus ist hier, damit wir diesen Aspekt erleben, dass wir ihn feiern, dass wir uns vor ihm freuen.
Könnt ihr euch das vorstellen? Du bist vielleicht so ein Israelit, hast deine Sorgen, und du ziehst nach Jerusalem. Mit jedem Schritt bleibt die Sorge zurück.
Ich war dieses Jahr zum ersten Mal in meinem Leben richtig lange im Urlaub – vier Wochen. Ich habe diese Zeit gebraucht, um euch zu vergessen, all die Arbeit und all das. Dann bin ich eines Morgens aufgewacht und dachte mir: Herrlich, ja, das war gut.
Und genau das ist es, was Gott sich wünscht: Dass wir, wenn wir ihm begegnen, abschalten können, dass wir uns ein Stück weit in die Freude fallen lassen.
Dazu gehört auch, dass wir Menschen sind – das biblische Menschenbild sagt, dass wir Körper und Geist sind. Wir haben eine materielle Seite.
Ganz ehrlich: Eine materielle Seite freut sich über etwas, das man kauen kann, über etwas, das man genießen kann, über etwas, an dem man schnuppern und sagen kann: Hm, feines Bouquet. Da freut sich die materielle Seite.
Natürlich brauchen wir auch das Geistliche. Aber wir sind eine Einheit. Wir müssen aufpassen, dass wir Körper und Geist nicht voneinander trennen oder ein Extrem leben wollen, in dem wir nur noch Geistmenschen sind.
Wenn ihr das leben wollt, dann tut das, aber nennt euch dann Platoniker – denn die haben genau das gemacht.
Das allgemeine Priestertum im Neuen Bund
Okay, der erste Punkt: Wir beten Gott an. Der zweite Punkt: Wir feiern Gott.
Der dritte Punkt ist etwas komplizierter, aber ihr werdet ihn verstehen. Im Alten Testament gibt es an dem Punkt, wo man Gott begegnet, eine eigene Gruppe von Menschen, nämlich die Priester. Ich bin nach Jerusalem gezogen mit meiner Ziege, habe dort dem Priester diese Ziege überlassen, und er hat für mich diese Ziege als Opfer gebracht. Es gibt also zwischen Gott und mir einen Mittler, jemanden, der dazwischensteht und dafür sorgt, dass ich Gott richtig begegnen kann.
Schauen wir jetzt kurz in die Offenbarung, Kapitel 1. In Offenbarung 1 findet ihr einen Text, den viele alte Brüdergemeindler auswendig kennen, weil er oft gesungen wird. Er beginnt mit den Worten: „Der, der uns liebt…“ Das klingt fast wie ein Lied, aber ich will es jetzt nicht singen. Offenbarung 1, Vers 5 am Ende: „Dem, der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in seinem Blut.“ Und jetzt kommt etwas Entscheidendes. Ich brauche noch den nächsten Vers, Vers 6: „Dem, der uns liebt und uns von unseren Sünden erlöst hat durch sein Blut und uns gemacht hat zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater.“
Jesus hat uns zu Priestern gemacht. Im Neuen Bund, in dem wir leben, gibt es nicht mehr die Unterscheidung zwischen Laien und Priestern. Früher waren die Priester diejenigen, die Gott besonders nahe waren, und die Laien standen etwas weiter entfernt. Die Laien gingen zu den Priestern, um mit deren Hilfe Gott zu begegnen. Das gibt es im Neuen Bund nicht mehr, überhaupt nicht mehr. Es gibt kein Oben und Unten mehr, keinen Klerus. Jesus hat uns durch sein Blut zu Priestern gemacht.
Es gibt also weiterhin Priester im Neuen Bund, aber das nennt man das allgemeine Priestertum. Jeder ist ein Priester – du bist ein Priester oder eine Priesterin. Auf dieser Grundlage kann Petrus im ersten Petrusbrief formulieren: 1. Petrus 2,5: „Lasst euch auch selbst als lebendige Steine aufbauen, als ein geistliches Haus.“ Das ist eine Aufforderung.
Wir sind nicht nur Priester, wir sind auch der Tempel. Das ist manchmal etwas kompliziert mit den Bildern im Neuen Testament. Manchmal wird gesagt, dein Körper ist der Tempel, hier wird die ganze Gemeinde als ein Tempel betrachtet. Du bist ein Stein, aber kein toter Stein. Du bist nicht dazu berufen, hier zu sitzen und zu sagen: „Ich bin Stein, Steine bewegen sich nicht.“ Nein, du bist ein lebendiger Stein. Ich lese das nochmal: „Lasst euch auch selbst als lebendige Steine aufbauen als ein geistliches Haus.“ Also kein materielles, sondern ein geistliches Haus.
Jetzt kommen wir wieder zu unserem Thema: heiliges Priestertum. Wir sind Priester, wir sind eine Priesterschaft, und wir sind eine heilige Priesterschaft. Wir sind Menschen, die ein Ausdruck von Gottes Heiligkeit sind. Dir zu begegnen heißt, der Heiligkeit Gottes zu begegnen. Dir zu begegnen heißt, dass ein Mensch an dem Punkt steht, wo er Gott nicht mehr näherkommen kann. Ist dir das klar?
Wenn der Herr Jesus sagt: „Brecht diesen Tempel ab, und ich werde ihn in drei Tagen aufbauen“, dann wollen die Leute ihn dafür kreuzigen, umbringen, weg mit dem Kerl! Sie regen sich auf. Aber er sagt etwas völlig Richtiges: Dieser Körper, in dem Gott wohnt, ist ein Tempel. In dir wohnt Gott, du bist Tempel. Und wer dir begegnet, kommt Gott ganz nahe. Du bist nicht nur Tempel, du bist Priester.
Die Priester im Alten Testament waren nicht nur dazu berufen, Opfer zu bringen. Sie hatten ein weites Aufgabenfeld. Sie waren auch diejenigen, die das Wort Gottes verlesen – interessanterweise. Aber Petrus schreibt hier von einem heiligen Priestertum, um geistliche Schlachtopfer darzubringen.
Wenn ich jetzt das Mikrofon von dem lieben Clemens nehmen würde und durch die Reihen gehen und fragen würde: „Sag mal, wie hast du in der letzten Woche geistliche Schlachtopfer dargebracht?“ – da steht ja, dass wir es tun sollen, es ist ja nicht kompliziert. Die Auslegung ist simpel: Mach es oder lass dich dazu gebrauchen. Was heißt das?
Wir merken, solange wir den Begriff Priester nicht gefasst haben, solange wir das allgemeine Priestertum nicht verstanden haben, leben wir noch in einem Denken, wo es die da oben gibt. Da schiebst du dich dann rein, wenn du sagst: „Ich komme, um Jürgen Fischer zu hören.“ Das wäre für mich ein Grund zu kündigen – nur damit ihr das klar versteht. Wenn das jemals passieren sollte, bin ich weg, und wir haben keine Kündigungsfrist vereinbart.
Dann stehe ich halt hier unten, und du musst hochschauen und hören, was von da oben kommt. Wenn du das gut findest, ist es okay. Wenn nicht, ist es auch nicht so dramatisch, denn wir haben genug Individualismus, um das auch wegzudrücken. Aber die Idee, dass es kein Oben und Unten mehr gibt, sondern dass alle auf einer Ebene stehen, dass der nur einen anderen Job hat, in gewisser Weise ein anderes Talent bekommen hat, das ich nicht habe, und ich ein anderes Talent habe, das er nicht hat – das ist der Punkt.
Ihr müsst nur mal sehen, wie ich verzweifelt vor einem tropfenden Wasserhahn stehe. Ihr würdet sagen: „Das kann doch nicht sein!“ Ja, das ist schon ein Lacher. Ich finde es relativ einfach, eine Predigt zu halten. Aber tropfende Wasserhähne sind für mich ein Mysterium. Ich weiß einfach nicht, wie die funktionieren. Aber ich habe einen Freund, der hat das Talent, dass er tropfende Wasserhähne nur anschauen muss, mal anfassen, und sie hören auf zu tropfen. Der wird nicht auf die Kanzel gehen, das verspreche ich dir, aber für tropfende Wasserhähne ist er der Richtige.
So sind wir unterschiedlich begabt. Die Aufgabe ist nicht, hierher zu kommen und zu sagen: „Mal schauen, was uns der Klerus heute bietet.“ Ja, und Klerus, das ist dann unsere Ältestenschaft, ein paar, die hier vorne manchmal rumturnen. Und wir sitzen da, sind nur die Laien, warten, singen die Lieder mit, und wenn es hart auf hart kommt, sprechen wir auch mal ein Gebet vielleicht. Aber gemach, gemach!
Wenn ihr mit dieser Haltung kommt, lebt ihr nicht nur im Alten Testament, ihr seid eigentlich Katholiken. Also, wenn ihr dieses Wort festhaltet, gehört ihr da drüben hin. Ich weiß nicht, ob es in der katholischen Kirche heute noch so ist, aber sie haben irgendwann wieder in ihre Kirchenordnung die Trennung eingeführt, ganz bewusst, und gesagt: „Wir wollen wieder Priester haben.“ Und die unterscheiden sich in der Qualität ihres Zugangs zu Gott.
Das, was die machen, ist wertvoller. Wenn die nicht dabei sind, geht gar nichts. Wenn die dich nicht an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit salben, tut mir leid. Irgendwann später dürften sie ein paar Diakone noch haben. Aber versteht ihr, oben, unten? Mit welchem Denken bist du unterwegs?
Wenn du solche Antworten gibst oder mit der Haltung kommst: „Jürgen Fischer, bitte nicht, bitte nicht!“ – wir sind Priester, du bist Priester, du bist eine Priesterin Gottes, und zwar um geistliche Schlachtopfer darzubringen.
Wir könnten uns jetzt unterhalten, was geistliche Schlachtopfer sind. Dein Leben ist dazu da, geistliche Schlachtopfer zu bringen. Wenn du hierher kommst, weil es ein Ausdruck deines Lebens mit Gott ist, dann bist du dazu berufen, geistliche Schlachtopfer zu bringen.
Ich kann jetzt nicht so viel über dieses Thema geistliche Schlachtopfer sagen, weil ich noch zwei weitere Punkte bringen will. Aber ich zeige euch einfach mal zwei Schlaglichter. Wenn ihr heute Nachmittag noch nicht wisst, was ihr beim Kaffeetrinken besprechen könnt, wäre das ein Thema: Was sind geistliche Schlachtopfer? Was heißt das?
Apostel Paulus formuliert einen ähnlichen Gedanken in Römer 12, Vers 1: „Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Erbarmungen Gottes, eure Leiber darzustellen als ein lebendiges, heiliges, gottwohlgefälliges Opfer.“ Das wäre schon mal ein Ansatz, um weiterzudenken.
Ich bringe geistliche Schlachtopfer. Anscheinend ist das Erste, was ich bringe, mein Körper. Interessanterweise steht hier nicht „mein Intellekt“ oder so, sondern Paulus geht gnadenlos runter. Er weiß: Wenn ich deinen Körper habe, dann habe ich dich. Wenn ich deinen Kopf habe, kannst du noch viel Unsinn machen, ohne darüber nachzudenken. Aber wenn ich deinen Körper habe, habe ich dich ganz.
Ich will dich ganz auf dem Altar. Ich will dein Leben. Ich weiß nicht, ob ihr so christliche Spaßbands hört. Früher gab es „Nimm zwei“, die heißen jetzt anders, weil sie Probleme mit dem gleichnamigen Lutschbonbon-Hersteller hatten. Die haben ein Lied geschrieben: „Wir wollen nur deine Seele.“ Das ist etwas sparschig gemeint, aber eigentlich doch nicht. Sie bringen es lustig rüber, aber das ist, was Gott will: Gott will dich ganz.
Das ist das erste Opfer, das mit geistlichem Schlachtopfer gemeint ist.
Ein anderes Beispiel aus Hebräer 13, Vers 15: „Durch ihn nun lasst uns Gott stets ein Opfer des Lobes darbringen.“ Ei, schick, oder? Wenn wir hier singen, dann ist das keine Veranstaltung, bei der du denkst: „Na ja, wenn ich das Lied mag, singe ich halt mit, wenn nicht, dann nicht.“ Oder vielleicht gehst du rein und sagst: „Ich singe mit, weil die sich vorbereitet haben, nett sind und mich sehen, und es wäre blöd, wenn die da vorne stehen und ich nicht singe. Ich bewege wenigstens meinen Mund ein bisschen mit.“
Ich weiß nicht, warum du singst, aber ich kann dir eines sagen: Die Bibel sagt an dieser Stelle, dass Lob ein Opfer ist. Lob ist ein Opfer. Es ist nicht einfach nur etwas, das wir aus kultureller Gewohnheit tun, um die Zeit zwischen 10:15 Uhr und 10:32 Uhr zu füllen, bevor der Prediger startet. Damit es sich nett anhört, nennen wir es Lobpreis.
Es ist ein Opfer. Es ist Teil der Verpflichtung, die wir haben, wenn wir als Priester hier zusammenkommen.
Zum Schluss noch Vers 16: „Das Wohltun und Mitteilen aber vergesst nicht, denn an solchen Opfern hat Gott Wohlgefallen.“ Scharf gesagt: Mitteilen ist eine geistliche Gabe, die Gabe zu spenden. Eine komische Gabe, aber es ist die Gabe, gerne Geld wegzugeben.
Hier geht es aber nicht um die geistliche Gabe, sondern um das Wohltun und Mitteilen, das Freigiebigsein. Ein Opfer ist eines dieser geistlichen Schlachtopfer, die wir bringen.
Wenn der Beutel hier herumgeht – ich habe ihn heute noch nicht gesehen, ist er noch da? – dann könnt ihr ihn jetzt herumgehen lassen. Er würde jetzt gut passen, weil ich über das Geben rede. Was ihr da reinlegt, ist Ausdruck eures Priesterdienstes. Es ist ein geistliches Schlachtopfer, das ihr gebt. Es ist nicht einfach: „Na ja, ich gebe so viel, dass mein Nachbar auch was reinsteckt.“ Nein, es ist ein Opfer.
Und jetzt könnt ihr weiterdenken: Gottesdienst ist das Treffen von Priestern, die geistliche Schlachtopfer darbringen. Und da darf man sich wirklich mal Gedanken machen, was das praktisch bedeutet.
Das war der dritte Punkt.
Gemeinschaft im Gottesdienst
Anbetung, Feiern, geistliche Schlachtopfer – ein vierter Punkt. Da müssen wir in die Apostelgeschichte, Apostelgeschichte 20, Vers 7.
Am ersten Tag der Woche aber, als wir versammelt waren, um Brot zu brechen... und da höre ich schon auf. Am ersten Tag der Woche aber, als wir versammelt waren, um Brot zu brechen – Christen treffen sich, um miteinander das Brot zu brechen, um Abendmahl zu feiern. Warum bitteschön?
Das Abendmahl, das Brotbrechen, ist ein Zeichen dafür, dass wir uns daran erinnern, was Jesus für uns getan hat. Aber es ist noch viel mehr. Und dieser Aspekt, der zweite Aspekt, ist vielleicht sogar für uns der wichtigere.
1. Korinther 11: Das nächste Mal, wenn ich hier bin, werde ich kürzer predigen müssen, weil ihr noch Abendmahl habt. Ich dachte mir, dass ich vorneweg etwas über 1. Korinther 11 sage. Deswegen heute ganz kurz:
Das Problem in 1. Korinther 11 ist, dass die Christen in Korinth einmal miteinander gefeiert haben, von dem Paulus sagt: „Der Kelch der Segnung, den wir segnen, ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?“ (1. Korinther 10,16).
Das, was wir feiern, ist ein Gemeinschaftsmahl. Christen kommen zusammen, um Gemeinschaft zum Ausdruck zu bringen. Und ich werde euch über 1. Korinther 11 zeigen, dass die Strafe Gottes über die Gemeinde ergeht, die auf der einen Seite zusammen Gemeinschaft feiert, aber im Herzen getrennt ist.
Gottesdienst ist der Ort, wo wir Gemeinschaft zum Ausdruck bringen. Dort sagen wir: Egal, was wir für einen Hintergrund haben – da gibt es die Klugen und die, die nicht so klug sind, da gibt es die, die Geld haben, und die, die weniger Geld haben, da gibt es die mit den vielen Kindern und die kinderlosen, da gibt es die Verheirateten und die Geschiedenen oder Singles.
Wir sind so unterschiedlich, und wir kommen hierher, um zu sagen: Es gibt ein uns verbindendes Element, es gibt einen Bund, in den wir durch den Glauben eingetreten sind, der uns so eng miteinander verbindet, dass wir die Ewigkeit zusammen verbringen werden.
Und auf der Grundlage des Kreuzes treffen wir uns, und wir nennen uns geistliche Geschwister, weil wir eine Familie sind. Gottesdienst ist der Ort, um das zum Ausdruck zu bringen. Und dabei sind wir. Das war der vierte Punkt: Gemeinschaft.
Ermutigung und gegenseitige Verantwortung im Gottesdienst
Kommen wir zum fünften Punkt, der vielleicht wichtigste, wenn wir vom Neuen Testament her auf die Funktion des Gottesdienstes schauen. Hebräer 10,24-25 ist die Stelle, die mich persönlich am meisten herausfordert, wenn ich über Gottesdienst nachdenke.
Sie fordert mich deshalb so sehr heraus, weil hier steht, wofür Gottesdienst da ist. Wenn ich mich jemals selbst so frage, bewertend – entschuldigt – ja, Gemeindeleiter tun das, sie bewerten Gottesdienste und stellen sich die Frage: Sind wir eigentlich noch richtig unterwegs? Dann kommt mir immer dieser Vers in den Sinn. Dort heißt es: „Und lasst uns aufeinander Acht haben, um uns zur Liebe und zu guten Werken anzureizen, indem wir unser Zusammenkommen nicht versäumen, wie es bei einigen Sitte ist, sondern einander ermuntern, und das umso mehr, je mehr ihr den Tag herannahen seht.“ (Hebräer 10,24-25)
Wofür ist Gottesdienst da? Wir betreten jetzt einen ganz schwierigen Punkt. Gottesdienst ist ein Wir-machen-was-Dienst, nicht ein Vier-Fünf-machen-was-Dienst, und wenn wir noch die Küche dazuzählen, zehn-zwölf-machen-was-Dienst. Sondern wir machen was Dienst. Wenn du die Qualität deines Gottesdienstes und deines Gottesdienstbeitrags bewerten möchtest, dann ist das ein Ansatz: „Lasst uns aufeinander Acht haben, um uns zur Liebe und zu guten Werken anzureizen.“
Wenn du nach Hause gehst, hast du das? Und jetzt nicht, dass ein anderer dir das gegeben hat, sondern bist du heute hierhergekommen, um nicht mit leeren Händen vor Gott zu erscheinen? Bist du hierhergekommen mit der Idee, in deine Familie hineinzukommen, um geistliche Schlachtopfer zu bringen, Gott zu feiern, ihn anzubeten und jemand zu sein, der andere anreizt?
Es geht mir zuerst nicht um die Frage, ob hoffentlich jemand meine arme, geschundene Seele streichelt, sondern ich komme, um zu geben. Ich bin berufen und talentiert, um zu geben – das ist Gottesdienst. Wir sind hier beieinander, um uns zur Liebe und zu guten Werken anzureizen.
Ich stelle mir ganz ehrlich als Gemeindeleiter – Anführungs- und Schlusszeichen, weil ich nur halb bin – die Frage: Wie kann ich einen Gottesdienst gestalten, der das macht? Ich habe letzte Woche gepredigt, es hat mir Spaß gemacht. Ich habe kürzer gepredigt und dann auch so ein Mikrofon genommen. Ich habe jetzt drei Wochen lang über Anwendungen gepredigt, also darüber, dass man, wenn man die Bibel liest, doch bitte so lesen soll, dass man selbst davon einen Gewinn hat.
Dann habe ich das Mikrofon genommen und es herumgereicht mit der Frage: Was hat Gott euch in der letzten Woche gesagt? Es war ein Versuch, ein Testballon. Genial! Ich war total fasziniert. Plötzlich kamen fünf, acht, zehn Beiträge, was Gott durch das Wort Gottes in das Leben einzelner Menschen hineingesprochen hat. Ich war total fasziniert.
Ich dachte mir: Super! Es ist nicht so, dass einer alle zu guten Werken anreizt, sondern hier steht etwas anderes. Hier steht: „Lasst uns aufeinander Acht haben.“ Dieses „Uns“, dieser „Uns“-Gedanke.
Wenn ich jetzt ein Stück weitergehe, dann lasst uns noch kurz Kolosser 3,16 anschauen, wo dieser „Uns“-Gedanke wieder aufgegriffen wird: „Das Wort des Christus wohne reichlich in euch; in aller Weisheit lehrt und ermahnt einander.“ Betonung auf „gegenseitig“. Nicht dieses: „Und ich bin dankbar für das, was ich hier tun darf.“ Okay, ich will mich nicht wegrationalisieren, aber ich muss trotzdem diese Predigt so halten, weil es das Wort Gottes ist.
Nicht dieses: „Wir haben doch einen, der uns belehren kann.“ Mein Job ist – wenn überhaupt – von Epheser 4 auszugehen, euch reif zu machen, damit ihr euch gegenseitig belehrt. Dass ihr so viel Know-how habt, dass ihr sagen könnt: „Auf den Kerl da vorne können wir verzichten, da kommt nichts mehr Neues, das wissen wir alle schon.“ Das wäre mein Traum, und ich würde dann gerne weiterziehen.
Aber das wäre so genial, wenn Gottesdienst auch ein Ort ist, wo wir uns gegenseitig in aller Weisheit lehren und ermahnen. Stellt euch das mal vor! Und ihr merkt schon: Der wichtigere Aspekt in der Bibel beim Umgang mit der Bibel ist nicht, wie gut die Sonntagspredigt war. Super, sie war wieder ganz toll. Ich hoffe, dass Sonntagspredigten toll sind, und ich bin ein großer Kritiker von schlechten Sonntagspredigten.
Aber viel wichtiger ist: Wenn ich in der Bibel lese, was die Bibel über die Bibel und den Umgang mit der Bibel schreibt, dann heißt es da immer wieder, dass du jeden Tag lesen, sinnen und auswendig lernen sollst. Dass du reif werden sollst, bis an den Punkt, wo du sagst: „Schön, Jürgen, dass du mir das noch mal gesagt hast, aber das wusste ich schon. Super, freue mich drüber, habe ich kein Problem mit.“
Ich sage dir auch eine Sache noch mal, die du schon weißt: Petrus macht das auch, 2. Petrus 1. „Ja, ich schreibe euch das, obwohl ihr das wisst und darin gefestigt seid, schreibe ich es trotzdem noch mal.“
Ich halte gern Predigten, bei denen jeder danach rausgeht und sagt: „Haha, wusste ich schon, mache ich schon, ist so tief in meinem Herzen verankert, hättest du mir nicht mehr sagen brauchen, vielen Dank für die Erinnerung.“ Kein Problem damit.
Das Wichtigere ist nicht, wie gut die Sonntagspredigt war, sondern das Wichtigere ist, wie gut dein persönlicher Umgang in der Woche mit dem Wort Gottes ist. Was machst du aus der Sonntagspredigt vielleicht noch?
Nichtsdestotrotz glaube ich, dass irgendwo, wenn den Ältesten gesagt wird, dass sie in Wort und Lehre arbeiten sollen, und wenn es Lehre in der Gemeinde und als Gnadengabe gibt, auch die Predigt irgendwo ihren Wert hat.
Wir könnten noch einmal Apostelgeschichte 20,7 lesen. Der gute Paulus verzieht sich dann bis nach Mitternacht mit dem, was er predigt. Das werde ich jetzt nicht machen. Ich werde jetzt aufhören und am Schluss noch einmal meine sechs Punkte wiederholen.
Zusammenfassung der sechs Punkte zum Gottesdienst
Wir kommen hier zusammen und feiern Gottesdienst, erstens, um Gott anzubeten, zweitens, um ihn zu feiern, drittens, um geistliche Schlachtopfer zu bringen, weil wir alle Priester sind, viertens, um Gemeinschaft miteinander zu leben, fünftens, um uns zu Liebe und zu guten Werken anzureizen, und sechstens, hintendran geflanscht, ja, irgendwo spielt es auch eine Rolle, mal eine Predigt zu hören. Das schadet nichts. Aber es ist nicht das Zentrum, sondern eines von vielen Punkten.
Deshalb mein Wunsch für euch: Warum ist Jesus heute hier? Warum bist du heute hier? Ich würde mich freuen, wenn diese leicht einseitige Ausrichtung, die ich vielleicht jetzt durch die schusselige Auswahl der Redner durch Clemens habe, keine Ahnung, vielleicht hat Clemens einfach kein glückliches Händchen gehabt, und hier sitzen ganz viele, die sagen: „Ha, hätte ich alles gesagt!“ Vielleicht ist das so, ich habe es nur vorhin nicht gehört.
Und deswegen, weil wir in diesem Spannungsfeld stehen zwischen Wort Gottes und Geist Gottes, zwischen dem, was geschrieben ist, und dem, was ich persönlich erfahre, und weil der Weg in der Mitte durchgeht, weil wir beides brauchen und nicht nur eine Seite: Deswegen bitte ich euch, dass ihr die Spannung nicht einseitig auflöst. Dass ihr gar nicht dahin kommt, hierher zu kommen und zu sagen: „Ich bin Konsument, mal schauen, was es heute wieder Schönes gibt.“
Und das ist ein Rat: Wenn ihr Sonntag morgens aufsteht und euch auf den Gottesdienst vorbereitet – und ich sage jetzt bewusst „vorbereitet“ – dann heißt die Vorbereitung nicht, mit Ach und Krach zwei nach zehn mit wehenden Fahnen hier einzufliegen. Eigentlich beginnt Vorbereitung eine Stunde vorher, wenn man sich Zeit nimmt, für den Gottesdienst zu beten, wenn man sich Zeit nimmt, auf Gott zu hören und diese Frage an Gott stellt: „Vater im Himmel, was soll ich heute zum Gottesdienst mitbringen? Was könnte ich mitbringen?“
Ich weiß, dass ihr ein Riesenproblem habt, wenn diese Frage wirklich gestellt würde, denn wenn man diese Frage stellen würde, müsste man euren Gottesdienst ändern – und zwar die Form. Denn im Moment habt ihr gar keinen Raum dafür.
Ich glaube aber, und ich hatte einen Ältesten gefragt: „Darf ich kurzfristig etwas anderes predigen, als eigentlich vorgesehen war?“ Und er hat gleichzeitig gesagt: „Ja, macht nur!“ Ich glaube, dass ihr eine Ältestenschaft habt, die flexibel genug ist, wenn aus euren Reihen Impulse kommen, Gott mehr anzubeten, mehr zu feiern, ihm mehr geistliche Schlachtopfer zu bringen, mehr von diesem Gemeinschaftsaspekt zu leben, mehr davon zu leben, einander anzureizen zu Liebe und zu guten Werken, dass ihr eine Form finden könnt.
Und deswegen glaube ich: Gottesdienst beginnt an dem Punkt, wo wir uns die Frage stellen: „Vater im Himmel, ich möchte nicht mit leeren Händen vor dir erscheinen.“ Ich kann die Predigt nicht halten, das stimmt. Ich kann auch nicht Musik spielen, das stimmt. Aber: „Vater im Himmel, wo hast du mich begabt? Wo kann ich heute Priester sein und dich verherrlichen?“ Und dass wir darauf eine Antwort finden und dann mit diesen gefüllten Händen hierher kommen und Gott das geben, was ihm gebührt.
