Einführung in die Geschichte von Josef und seinen Brüdern
Ich habe heute eine Geschichte aus dem Alten Testament ausgesucht, und zwar die Geschichte von Josef aus 1. Mose 45. Dort geht es um Bruderliebe. „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“
Durch die ganze Not, in die Josefs Brüder hineingeraten sind, geschieht eine tiefgreifende Veränderung mit ihnen. Im Kapitel 44 wird erzählt, wie sie plötzlich wie ein Mann für ihren Bruder einstehen. Juda sagt: „Ich bin Bürge für meinen Benjamin, den lasse ich nicht los. Lieber könnt ihr mich ins Gefängnis werfen, als dass ich meinen Bruder hergebe.“
Das zeigt eine Veränderung im Herzen dieser harten Männer. Nun, in Kapitel 45, konnte Josef nicht länger an sich halten vor allen, die um ihn standen. Er rief: „Lasst jedermann von mir hinausgehen!“ Niemand blieb bei ihm, als sich Josef seinen Brüdern zu erkennen gab.
Er weinte laut, sodass es die Ägypter und das Haus des Pharao hören konnten. Dann sprach er zu seinen Brüdern: „Ich bin Josef! Lebt mein Vater noch?“ Seine Brüder konnten ihm nicht antworten, so sehr erschraken sie vor seinem Angesicht.
Er aber sagte zu ihnen: „Tretet doch her zu mir!“ Sie traten näher, und er sprach: „Ich bin Josef, euer Bruder, den ihr nach Ägypten verkauft habt. Seid nicht betrübt und denkt nicht, dass ich euch darum zürne, dass ihr mich hierher verkauft habt. Denn um eures Lebens willen hat mich Gott vor euch hergesandt.“
Man kann sicher spüren, welche Dramatik über der ganzen Josef-Geschichte liegt. Nicht nur, weil der Gegensatz so unvorstellbar ist: Ein hoher, mächtiger Herrscher in Ägypten mit all dem Luxus und der Pracht – und vor ihm stehen die dreckigen Viehhirten, Ausländer, die gekommen sind, um Getreide zu kaufen.
Das ist schon dramatisch, wie dieser hohe Herr plötzlich sagt: „Ich bin doch euer Bruder!“ Sie verstehen überhaupt nicht, was da vor sich geht. Eigentlich liegt die Spannung der Geschichte noch viel, viel tiefer.
Das weiß schon jedes kleine Kind, dem man die Geschichte erzählt. Und weil die Geschichte so lang ist, kann man die Spannung kaum noch ertragen. Da war doch eine dunkle Schuld, die zwischen diesen Viehhirten und diesem hohen Herrn steht.
Es ist, als ob in unseren Tagen irgendwo eine Zeitbombe tickt – wie bei Terroranschlägen. Da liegt eine Bombe, und man weiß nie, wann sie explodiert, wann etwas ganz Furchtbares passiert. Wie kann man diese schreckliche Bombe entschärfen? Jeder geht ganz vorsichtig darum herum.
Aber zwischen diesen beiden gibt es keinen Weg – zwischen der Gruppe der Hirten und Josef. Die Bibel theoretisiert nicht so viel, wie wir das oft im Glauben tun. Sie erzählt, wie es im Leben wirklich ist.
So erzählt sie die unheimliche Geschichte einer schrecklichen Sünde, wie sie das Leben vergiftet, wie unheimlich diese Welt wird und wie man gar nicht mehr weitermachen kann.
Das Leiden unter dem Bösen, das uns andere zufügen
Jetzt möchte ich den Text wieder gliedern, damit wir uns klarer voneinander abgrenzen können. Zunächst möchte ich darüber sprechen, dass wir alle unter dem Bösen leiden, das uns andere zufügen.
Ich weiß nicht, ob Sie sich auch schon einmal darüber geärgert haben, dass die Bibel so viel von Schuld und Sünde spricht. Vielleicht denken Sie: Das ist doch nicht die ganze Welt. Heute blühen doch Blumen, ich treffe nette Menschen, ich bin gesund und fröhlich. Wir machen heute einen Spaziergang, und trotzdem kommt die Bibel immer wieder auf dieses Thema zurück.
Manche meinen sogar, das sei eine Einseitigkeit des Wortes Gottes. Es mag sein, dass unsere heutige Generation die Bibel an dieser Stelle verfälscht und diesen Aspekt unterschlägt. Ich erschrecke, wenn ich sehe, dass in vieler christlicher Verkündigung überhaupt nicht mehr über Schuld und Sünde gesprochen wird. Man will es verdrängen und sagt: Das ist doch nicht das Thema meines Lebens. Ich bin ein erfolgreicher Mensch, ich tue viel Gutes, und in meinem Leben gibt es schöne Seiten. Es gibt zwar auch einige schlechte Seiten, aber das ist nicht das beherrschende Thema.
Doch jetzt bitte prüfen Sie sich einmal selbst: Das heimliche Thema der Weltgeschichte ist doch das Böse, das Menschen tun. Schauen Sie in die Zeitung, sehen Sie die Fernsehnachrichten – überall Schreckensmeldungen von Dingen, die von Menschen verursacht werden. Man kann es manchmal kaum ertragen, mit welcher Grausamkeit und Unmenschlichkeit das geschieht.
Das sind nicht die Medien, sondern das ist unser Herz, das sensibel empfindet. Ich merke auch in all den Gesprächen, die wir miteinander führen, dass Sie endlos erzählen können, wie es in Ihrem Leben war. Wie Sie schon in Ihrem Elternhaus unrecht behandelt wurden, wie Ihre Eltern nicht gerecht waren im Geschwisterkreis, wie Sie im Leben schwer benachteiligt wurden und immer wieder so viel Böses erlebt haben.
Und dann wissen Sie genau, wer daran schuld war. Ich habe große Sorge, dass heute in vielen christlichen Kreisen man da mitmacht und dauernd nur anklagt, Schuld anklagt. Das ist Menschenart seit den Tagen Kains: Man kann nicht vergessen und nicht vergeben, sondern wird bitter und sagt in sich selbst: Ist das auch so eine Wunde?
Das kann sogar in einer Ehe passieren, Eltern können es von ihren Kindern sagen, Kinder von ihren Eltern, in der Verwandtschaft und überall über das Böse, das man uns zugefügt hat.
Die Bibel ist das einzige Buch, das das schonungslos enthüllt: Schuld und Sünde sind die Weltgeschichte. Denn aus dieser Schuld entsteht eine fortwährende Rache.
Man bekommt ja in diesen Tagen Angst, was über Europa kommen kann, wenn das so weitergeht: Wunde, Totschlag, Rache, Vergeltung und Kampf eines gegen den anderen.
In der Bibel steht das gleich nach der Kain-Geschichte. Dort wird von einem Nachkommen Kains erzählt, mit dem Namen Lamech. Er ballt die Faust und sagt: „Ich schlage einen Tod für jede Wunde, die er mir zugefügt hat, und ich schlage einen jungen Mann tot für jede Beule, die ich bekommen habe.“
Das eiserne Gesetz der Vergeltung zerstört nicht nur Afrika in den Stammeskämpfen, sondern auch viele andere Teile der Welt und unser Leben. Denn wir können nicht vergessen, und weil Rache da ist.
Die Schuld, die uns zugefügt wird, das ist das Thema, das uns prägt.
Josef als Vorbild für Vergebung und Gnade
Jetzt überrascht uns, wie Josef völlig frei von Rache und Vergeltung handelt. Er war ein mächtiger Mann. Als seine Brüder vor ihm stehen, hätte er sie ins Gefängnis werfen oder mit Händen und Füßen binden können. Er hatte die Vollmacht dazu. Er hätte sich rächen können und sagen: „Einmal muss genug sein von all dem Unrecht, das mir zugefügt wurde.“ Doch Josef handelt anders, als es jeder Mensch tun würde.
Wenn man den Sinn der Josef-Geschichte richtig verstehen will, muss man wissen, dass die Bibel sie nicht nur erzählt, weil Josef ein besonderer Mann war. Vielmehr ist er ein Vorläufer Jesu. Was im Handeln Josefs sichtbar wird, ist das Handeln Jesu. Hier wird ein Porträt von Jesus gezeichnet. Jesus will nicht zerstören oder töten. Er will diese unheimliche Menschengeschichte an einer Stelle stoppen und zu Ende bringen – das Gesetz von Rache und Vergeltung, von bösem Tun und Bitterkeit im Herzen, von verdrängten Dingen, die immer wieder in uns wirken und böse Gedanken hervorbringen.
Dabei ist Josef wirklich schlecht behandelt worden. Seine Brüder haben ihn verkauft wie ein Stück Ware, wie ein Vieh auf dem Sklavenmarkt. All das Schwere, das wir im Leben durchmachen, ist im Vergleich dazu wahrscheinlich ein kleiner Klacks. Josef wurde von seinen eigenen Brüdern so behandelt. Und das war noch eine fromme Familie, das Haus Jakob. Die Bibel zeigt uns ganz offen, dass man auch bei frommen Leuten furchtbare Enttäuschungen erleben kann.
Dann geht die Geschichte im Haus Potiphars weiter. Josef war eine ehrliche, unschuldige Person. Trotzdem kam er völlig zu Unrecht ins Gefängnis. Er hatte nichts getan, aber man konnte es ihm anhängen. Und er öffnete nicht den Mund, um sich zu verteidigen, obwohl er zu Unrecht beschuldigt wurde.
Man könnte sagen, Christen müssen schon sonderbare Menschen sein, wenn sie sich so behandeln lassen. Im täglichen Leben ist es ja oft anders: Man muss sich wehren, mit Ellbogen oder auch mal mit der Faust auf den Tisch schlagen. Warum macht Josef das nicht? Er tut es nicht, weil er im Glauben an den lebendigen Gott gebunden ist. Er vertraut auf Gott und gehorcht ihm. Schritt für Schritt geht er mit Gott, auch durch das Schwere, das ihm widerfährt.
Heute gibt es eine gefährliche Strömung unter bibeltreuen Christen, die sagen: „Wenn du gläubig bist, passiert dir kein Leid mehr, keine Krankheit.“ Widerstehe dieser Verführung! Gerade gläubige Menschen müssen oft tief durch schwierige Zeiten gehen, Böses ertragen und können sich nicht wehren – genau wie Josef. Doch es heißt: Der Herr war mit ihm auch im Gefängnis, so wie der Herr mit jedem sein wird, der Krankheit oder Leid über längere Zeit trägt.
Der Herr war mit Josef, und was Josef tat, dazu gab der Herr Glück. Gott wandelt alles in Segen um. Oder wie ich es gern mit einem neudeutschen Wort sage: Alles Leid, alles Böse muss mir zum Heil dienen. Das ist das Wunderbare, das mit Josef begann und in seiner ganzen Größe erst mit Jesus offenbart wurde. Jesus geht durch alle Tiefen dieser Welt als das Lamm, das geschlachtet ist, und führt seine Nachfolger auf demselben Weg.
Doch die, die mit Jesus ziehen, sind keine bemitleidenswerten Gestalten. Sie sind reich beschenkt und sagen: „Oh, das ist gar kein schwerer Weg.“ Auch wenn es von außen armselig und kümmerlich aussieht, haben sie alles in Jesus Christus. Sie sind ganz reich!
So blickt Josef zurück und sagt: „Mein Leben war fortwährend erfüllt von lauter gnädigen Wundertaten Gottes.“
Die Herausforderung des Glaubens und der Vergebung
Sie müssen wissen, dass dies in Ihrem Glaubensleben sehr gefährliche Klippen sind, wenn Sie glauben, selbst handeln zu müssen oder etwas aus eigener Kraft tun zu müssen, ohne zu lernen, wirklich zu glauben. Glauben bedeutet konkret, schwere Wege im Gehorsam gegenüber Gott zu akzeptieren. Dazu gehört auch, böse Menschen in unmittelbarer Nähe und ihre gemeinen Handlungen auszuhalten, ohne bitter zu werden. Sie müssen diesen Weg gehen und dabei auf den Herrn schauen, der sie segnet.
Joseph sagt später, nachdem der Vater Jakob gestorben war, dass die Brüder Angst hatten, jetzt käme die Rache. Das ist typisch. Wir Menschen verstehen genau, wie die Gesetze der Welt funktionieren, und denken dann: „Der zahlt bestimmt später umso mehr heim.“ Das tut Josef sehr weh. Menschen können kaum glauben, dass es bei Jesus wirkliche Vergebung gibt. In der Welt gibt es sonst kaum Vergebung, das wissen Sie aus der Geschichte. Nach Jahrzehnten bleiben alte Wunden bestehen. Nur bei Jesus gibt es vollständige Vergebung.
Josef sagt: „Nein, ich will euch nicht heimzahlen für das Böse, das ihr mir antun wolltet.“ Aber Gott hat alles zum Guten gewendet. Wenn Menschen Gott gehören und im Vertrauen und Gehorsam seinen Weg gehen, gibt es in ihrem Leben kein Böses mehr. Dann kann ihnen niemand etwas anhaben.
Selbst wenn um sie herum Krieg ausbricht, Böses geschieht, Menschen sie zu Unrecht verleumden oder schlecht über sie reden, stehen sie unter Gottes Leitung und Segen. Was Gott tut, können Menschen nicht aufhalten. Meine Sorge ist jedoch, ob Sie wirklich so glauben, ob Sie Gott so vertrauen und so gehorsam sind.
Das war das Erste, was ich heute zum Thema Schuld sagen möchte. Wir leben stark unter der Schuld und leiden unter der Schuld, die uns andere zufügen. Das ist ein Thema, über das alle reden. Leider konzentriert sich auch die christliche Verkündigung fast nur noch auf die „Bösen“. Es wird diskutiert, welche Gruppierungen oder Parteien schuld seien, welches Klischee zutrifft, ob es Politiker, Wirtschaftsleute oder bestimmte Klassen sind. Sie können wählen, wen Sie verantwortlich machen wollen. Aber so entsteht das Bild vom Feind.
Die Notwendigkeit der eigenen Schuld-Erkenntnis
Jetzt sind wir beim zweiten Punkt. Meine Schuld will erkannt und vergeben sein – meine Schuld. Wir müssen immer wieder dafür sorgen, dass das, was das Wort Gottes sagt, auch zum Thema gemacht wird in unseren Versammlungen: meine Schuld.
„Ja, wir haben doch gar keine.“ So haben die Brüder Josephs lange Zeit geredet. Wenn man die Geschichte noch einmal betrachtet, muss man sagen: Genau wie wir. Sie fragen sich, warum Joseph so böse an ihnen handelt. Sie sagen, das war schwierig. Dann beschließen sie, einfach nicht mehr nach Ägypten zu gehen, um nicht ständig an die ganze Sache erinnert zu werden.
Darf ich noch einmal erzählen? Joseph war Vizekönig in Ägypten und wurde mit einer unheimlichen Macht begabt. Man könnte auch über die Person Josephs sprechen, über die kluge Politik, die er machte. Diese könnte noch heute unseren Staatsmännern als Vorbild dienen: in reichen Jahren, in Zeiten des Wohlstands, wie wir sie jetzt noch haben, Rücklagen zu bilden für kommende Zeiten. Und nicht Schulden auf Kosten der armen Generation zu machen, die nachkommt.
Aber darüber will ich heute nicht predigen. Sie sehen, Joseph war ein kluger Mann. Der Bibel geht es eigentlich nicht einmal um die politischen Erkenntnisse, die man gewinnen kann – diese sind nur ein Nebenprodukt beim Bibellesen, sodass man auch weise wird. Es geht um geistliche Handlungsweisen, nicht um politische. Josef handelt auch in seiner Machtstellung nicht fleischlich, also nicht so, wie es unserer Art entspricht.
Bei uns ist es ja so: Wenn mir einer auf die Hühneraugen tritt, reagiere ich spontan. Dann funktioniert mein „Wie du mir, so ich dir“. Das ist fleischlich, so unserer Art angepasst. Joseph handelt ganz anders. Er schlägt nicht mit der Faust zu, sondern er will bei seinen Brüdern eine geistliche Erkenntnis bewirken.
Seien Sie gewiss, er ist das Vorbild Jesu. Nicht, dass wir Menschen uns so etwas zutrauen könnten, aber in der Seelsorge müssen wir das manchmal tun. Wenn Sie oft mit Menschen reden, die nicht verstehen, warum in ihrem Leben alles so schwer läuft, hoffe ich, dass Sie alle auch in diesen Prozess der Seelsorge hineingenommen sind.
Da muss man ganz behutsam reden. Man darf dem anderen gar nicht viel sagen, er muss es ja selbst merken. In der Bibel finden Sie viele Beispiele, etwa wie Nathan David Seelsorge gab. Man muss zuerst die Augen öffnen, damit der andere überhaupt sensibel wird: „Ich habe gesündigt.“
Unsere moderne Generation ist an dieser Stelle völlig abgestorben. Wir können kaum mehr empfinden, dass bei uns etwas falsch ist. Wir brüsten uns immer im Anklagen der anderen, im Fingerstrecken. Und ich sage es noch einmal: Unter Christen ist es auch ganz selten geworden, dass wir uns beugen und sagen: „Wir haben gesündigt, wir sind schuldig geworden.“
Und wo kommt es denn bei den Brüdern zur Erkenntnis? Über dem Schweren, das sie erleben. Sie packen ihre Säcke aus, und da liegt oben der Trinkbecher von Josef drin. Sie werden geängstet, haben plötzlich Todesangst.
An dieser Stelle ist die Bibel wieder so gut, dass sie uns hier wirklich etwas Typisches enthüllt: So geht es in ihrem Leben. Erst wenn sie anfangen, die Schwierigkeiten, die Nöte, die Probleme ihres Lebens nicht bloß mit Anklagen zu beantworten, nicht bitter zu reagieren und zu protestieren und gegen Gott die Faust zu erheben, sondern wirklich zu fragen: „Was ist denn eigentlich los, dass in meinem Leben so viel querläuft? Warum habe ich so viele Schwierigkeiten zu ertragen?“
Da fällt bei den Brüdern plötzlich etwas ein – und das merkt man erst, wenn man sich selbst in Frage stellt. Jahre waren ins Land gegangen, sie hatten es nie erkannt, sie waren blind dafür. Und plötzlich leuchtet es auf: Wir haben es verschuldet. Wir haben gesündigt, wir haben nicht recht gehandelt.
Früher haben sie immer gesagt: „Wie sind sie vor Joseph aufgetreten?“ Da haben sie sich tief geneigt: „Wir sind ehrliche Leute, wir haben uns noch nie etwas zu Schulden kommen lassen.“ Das kann man sich ja wirklich einbilden, und sie glauben das auch noch. Ich bin überzeugt, dass das jeder heute glaubt, der das so vollmundig sagt.
Aber wenn Gott in unser Leben hineinscheint, dann kommt das alles zum Vorschein.
Gottes Liebe und Vergebung als Heilmittel der Schuld
Und in dem Augenblick, in dem es passiert, laufen Josef die Tränen herunter. Er stürzt auf sie zu, nimmt sie in den Arm und schreit so laut, dass es sogar jenseits der Straße die königlichen Beamten in ihren Gemächern hören.
Diese sagen: Was ist das für eine rührende, sentimentale Geschichte? So etwas gibt es in der Welt doch nie. So brennt Gott in Liebe zu ihnen.
Wissen Sie, dass Gott so vergeben will? Viele meinen immer, Gott sei im Zorn hinter ihnen her. Doch hier wird gezeigt, wie das in Jesus zusammengeht. Er muss uns alles Unrecht unter die Augen stellen, weil wir alle vom Menschengeschlecht sehr hochmütige, eingebildete und falsche Leute sind.
Aber wenn das aus einem Herzen kommt: „Herr, ich habe gesündigt“, dann wirft er sich ihnen an den Hals und sagt: „Mein Bruder, komm doch, ich habe doch auf dich gewartet.“
Warum fällt es uns so schwer, das auszusprechen? Warum können wir das nicht sagen? Es ist der Kampf zwischen der Gerechtigkeit Gottes und seiner unendlichen Barmherzigkeit.
Ich kann nicht verstehen, wenn Leute immer wieder darüber philosophieren und disputieren. Sie können das mit ihrem Kopf gar nicht begreifen.
Schauen Sie doch, wie es in Wirklichkeit ist: So brennt Gott in seiner Liebe und will alle Schuld nur vergeben und vergessen.
Leben in der Gnade Gottes als Grundlage für Freiheit
Noch ein letzter Punkt: Nur mit vergebenen Schuldgefühlen kann man leben. Josef in seinem hohen Amt ist ein Vorbild für manche unter uns, die ebenfalls ein hohes Amt begleiten. Dabei hat man sicher oft die Versuchung zu denken: „In meinem hohen Amt bin ich besonders anerkannt, ich bin das Cleverle der Familie.“
Das hat Josef nie gedacht. Er sagte nicht: „Ich bin eben der Beste und der Begabteste.“ Oft höre ich von Leuten in hohen Ämtern, dass sie nicht so handeln können, wie sie eigentlich müssten. Sie meinen, sie müssten Rücksicht auf ihr Amt nehmen. Josef hat das nie getan. Das ist so verderblich, wenn wir korrupt werden, nur um unserer Stellung willen.
Heute braucht es wieder Menschen, die vor Gott wissen: „Ich lebe nur von der Gnade Gottes.“ Josef war ein demütiger Mensch. Er wollte nie mehr sein, als er war. Er war immer nur ein von Gottes Güte wunderbar herausgerissener und geführter Mensch. Das wollen wir uns merken.
Ihm war es so wichtig, dass seine Brüder die Gnade Gottes ergreifen. Denn nur mit der Gnade Gottes kann man leben. Das ist kein bloßer Spruch, sondern die Gnade Gottes erleben sie tausendfach an einem Tag. Wenn Gott nur ein kleines Stück wegzieht, wird ihr Leben ganz furchtbar schwer. Sie müssen in der Gnade bleiben und in der Gnade leben.
Wie wunderbar ist es, wenn Menschen merken: „Ich bin angenommen.“ So wie Josef seinen Brüdern um den Hals fällt – da macht er keine Vorwürfe mehr. Er hält ihnen auch die Sünde nicht vor.
Und das ist wirklich eine Verdrehung, wenn Leute sagen: „Die Bibel redet immer von der Sünde und macht die Menschen schlecht.“ Die Bibel macht die Menschen nicht schlecht. Unsere Gesellschaft macht die Menschen schlecht mit ihren dauernden Berichten und allem.
Die Bibel spricht davon, dass der Mensch von Gott geliebt ist, dass er angenommen ist, dass er wieder Geschöpf Gottes sein darf und von der Liebe Gottes getragen wird. Alles, alles ist vergeben. Dann sagt Josef: „Das Böse, das ihr getan habt, ist gar nicht das Böse. Gott hat mich hierher geführt, und mein Leben dient euch zur Rettung.“
Es hat alles wunderbar zusammengeführt, weil Gott ein wunderbarer Gott ist, der alles Böse in Gutes umwandeln kann. Ist das nicht eine herrliche Botschaft?
Ich möchte nur, dass Sie heute begreifen: Es ist befreiend, wenn Sie Ihre Schuld bei Gott ablegen. Dann ist sie in die Meerestiefe geworfen. Sie dürfen es auch dem Seelsorger sagen – ich stehe Ihnen zur Verfügung, und andere auch. Dann ist die Schuld vergeben und für alle Zeiten vergeben.
Dann ist zwischen Ihnen und Gott die schreckliche Bombe entschärft. Und dann können Sie Liebe erfahren in ihrer ganzen wunderbaren Herrlichkeit. Sie dürfen sich freuen, wie Gott Sie trägt und wie nichts mehr Sie aus dieser Liebe Gottes herausreißen kann. Sie sind sein, und er gehört Ihnen.
