Dass du jetzt mitten unter uns bist, das ist so groß! Du bist der Herr des Himmels und der Erde, du bist der Herr unseres Lebens. Wir wollen dein Wort hören, aber so, dass es uns wieder die richtigen Proportionen zeigt – wo wir hingehören, was richtig ist, was wir brauchen. Lieber Herr, rede zu uns, wir wollen hören. Amen!
Es ist merkwürdig, ich habe vorher nicht bemerkt, wie sich der Sonntag aus dem Kolosserbrief und die Bibelstunde am Dienstag mit dem Galaterbrief eigentlich ergänzen. Aber ich bin so froh, dass immer wieder deutlich wird, dass alles, wirklich alles, auf dieses eine Thema hinausläuft.
Wir haben hier keine große Fragerunde, aber vielleicht darf ich es doch noch einmal wiedergeben. Ich wurde gefragt: Es gibt sehr viele Christen, die Angst haben vor dämonischen Gebundenheiten. Immer wieder haben entschiedene gläubige Christen Sorge und fragen sich, ob es nicht irgendwelche Mächte gibt, die sie nicht vollständig verstanden haben.
In meinem Leben gab es Fälle, wo eine Großmutter gependelt hat oder mit dunklen Dingen umgegangen ist. Doch in Christus ist das machtlos. Niemand, der in Christus ist, kann dadurch berührt werden. Oder es gibt Menschen, die einen falschen Christus haben, der nicht wirklich Herr über ihr Leben ist.
Wie Luther gesagt hat: Da können so viele Teufel wie Dachziegel in Worms sein, sie können mir nichts tun. Es ist wichtig zu wissen, dass der Sieg Jesu von niemandem weggenommen werden kann.
Die Machtlosigkeit dunkler Mächte in Christus
Während langer Zeit wohnte in einem Hochhaus in der Danningerstraße eine Wahrsagerin. Eine Frau, die direkt neben ihr lebte, sagte, dass die dunklen Mächte nicht zu ihr herüberkommen könnten. Das bedeutet: Wenn man in Christus ist, können diese Mächte einem überhaupt nichts anhaben.
Viele Menschen lassen sich die Karten legen, doch wenn sie in Christus sind, kann ihnen das nicht schaden. Da solche Lehren immer wieder kursieren, ist es wichtig, dass wir besonders die große Botschaft des Galaterbriefes hören.
Es ist etwas anderes, wenn Menschen heute aktiv mit satanischen Kräften in Kontakt kommen – zum Beispiel über das Internet. Das kann eine Sache persönlicher Buße und Umkehr sein, bei der man seine Sünden vor Jesus bereinigen lässt. Wenn junge Leute in solche Dinge geraten, ist das eine andere Situation. Wer jedoch unbewusst damit zu tun hat, braucht sich nicht zu sorgen.
Das war auch sehr amüsant: Mein Bruder war eine Zeitlang Geschäftsführer von Vileda, einem Hersteller von Putztüchern. Viele Christen hörten „Vileda“ und dachten sofort an „Veleda“ – und vermuteten, es sei okkult, ähnlich wie bei Arzneimitteln, die durcheinandergebracht wurden. Dabei handelte es sich einfach nur um ein Hausfrauenputzregiment, wie es in der Werbung hieß.
Deshalb dürfen alle, die im Licht wandeln und vor Christus stehen, wissen: Er ist ihr Herr. Nichts kann sie von der Liebe Gottes trennen – weder Gewalten, Mächte noch Fürstentümer. Sie sind in Christus geborgen. Nicht einmal die Macht des Todes kann sie von Jesus trennen.
Nun sprechen wir schon über Galater 4, das von der Befreiung vom Gesetz durch Christus handelt. Wenn noch andere Fragen auftauchen, die in diese Thematik hineinreichen, können wir sie gern noch behandeln. Wir werden heute Abend auch noch einmal eine Reihe von Fragen zum Gesetz beantworten.
Die Unmündigkeit vor der Erlösung
Vers 1 bis 7
Ich sage aber: Solange der Erbe unmündig ist, besteht zwischen ihm und einem Knecht kein Unterschied, obwohl er Herr über alle Güter ist.
Ganz einfach gesagt: Wenn jemand noch nicht volljährig ist, spielt es keine Rolle, ob es sich um ein Fürstenkind handelt oder um ein Kind aus einem einfachen Angestelltenhaus im Schloss. Diese Kinder haben noch keine freie Handlungsvollmacht. Juristisch sind sie noch nicht geschäftsfähig. Sie unterstehen Vormündern und Pflegern, bis die vom Vater bestimmte Zeit erreicht ist.
Bei uns ist die Geschäftsfähigkeit meist mit achtzehn Jahren gegeben. Das Wahlrecht ist ein Beispiel dafür, dass wir erst ab diesem Alter voll geschäftsfähig sind.
Paulus verwendet dieses Beispiel und sagt: So war es auch bei uns. Als wir unmündig waren, waren wir in der Knechtschaft der Mächte dieser Welt.
Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die erlösen konnte, die unter dem Gesetz standen. Dadurch empfingen wir die Kindschaft.
Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt. Dieser Geist ruft: Abba, lieber Vater!
So seid ihr nun nicht mehr Knechte, sondern Kinder. Wenn ihr aber Kinder seid, dann seid ihr auch Erben durch Gott.
Die Bedeutung des Gesetzes im Leben der Christen
Kurze Wiederholung für diejenigen, die bei den vorherigen Bibelstunden nicht dabei waren:
Die Galater meinten es ganz ernst. Sie wollten Gott treu und gehorsam sein. Deshalb wählten sie den Weg der Selbstverpflichtung und hielten sich an die strengen jüdischen Lebensregeln. Paulus sagte jedoch: Ihr habt Christus verraten und das Evangelium zerstört. Wenn ihr auch nur ein kleines Stück dieses Drucks und Zwangs in euer Christenleben aufnehmt, wird es falsch.
Was ist das Evangelium? Christus lebt in mir. Christus treibt mich an. Das werden wir im Kapitel 5 noch besonders kennenlernen, wenn Paulus von der Freiheit spricht und von der Frucht des Geistes, also von den Taten, die der Geist Gottes in unserem Leben wirkt.
In den letzten Bibelstunden lag natürlich auch eine Frage auf Ihren Lippen, manche haben sie auch gestellt: Du sagst immer, das Gesetz hätte keine Bedeutung. Aber Eltern stehen vor einem Problem: Ihre Kinder werden älter, sind sechzehn Jahre alt, kommen nach Hause und sagen plötzlich, sie möchten mit ihrer Freundin schlafen. Da müssen Eltern doch sagen: Schluss, das ist nicht recht, das steht im Gesetz.
Oder wenn Sie ein Kind haben und bemerken, dass es plötzlich Geld in der Tasche hat – woher kommt das? Es stellt sich heraus, dass das Kind das Geld irgendwo weggenommen hat. Dann müssen Sie dem Kind ganz klar sagen, dass das nicht recht ist, oder nicht? Das Gesetz ist doch wichtig.
Genau das habe ich beim letzten Mal gesagt: Das Gesetz hat eine Bedeutung für unser Leben. Ich nannte es in der Formulierung von Luther den politischen oder öffentlichen Gebrauch des Gesetzes. So wie unser Zusammenleben organisiert ist, darf man seinem Nächsten nicht schaden. Die Zehn Gebote sind die Grundlage, man könnte sagen, des christlichen Abendlandes, unserer europäischen Gesellschaft, auf der wir aufbauen.
Das ist zunächst ein ganz weltlicher Gebrauch des Gesetzes. Dazu gehört auch die Ordnung der Ehe. Man muss immer daran denken, dass unser Staat, besonders unter Bismarck, großen Wert darauf gelegt hat, Ehepaare zu trauen. Denn nur die Kirche traute Ehepaare. Der Staat hat diese Aufgabe übernommen. Wenn man heute wieder sagt, der Trauschein gilt nichts, muss der Staat sich überlegen, wie sinnvoll diese Ordnung noch ist.
Die Ordnung der Ehe kann man sicher erst richtig vom Evangelium her verstehen. Aber die Zehn Gebote und vieles darüber hinaus haben eine prägende Kraft für unsere Gesellschaft. Unsere Öffentlichkeit ist durchzogen von Gedanken der Liebe, des Humanismus und der Humanität. Wir helfen dem Schwachen. Unsere Gesellschaft ist vom Gedanken beseelt, dass man denen beistehen muss, die kein Geld haben. Es muss ein Ausgleich stattfinden.
All das sind Gesetze, die aus dem Christentum kommen und unsere Gesellschaft prägen. Aber hier geht es um eine viel tiefere Auslegung der Gesetze. Das haben wir unterschieden und gesagt: Wie ist es im Leben der Christen? Die Gesetze sind gültig in ihrer Aussage. Ein Christ kann nie etwas tun, was dem Gesetz widerspricht. Das ist klar.
Es kann nicht sein, dass ein Christ seine Eltern nicht ehrt. Es kann nicht sein, dass ein Christ unrechtes Geld in der Tasche hat. Es kann nicht sein, dass ein Christ treulos oder ungesetzlich lebt.
Die Unmündigkeit und die Rebellion der Jugend
Jetzt die Frage: Wie kommt Paulus denn darauf? Er sagt, die Gebote und das Gesetz haben eine Bedeutung für unser Leben, solange wir unmündig sind, also solange wir noch nicht erwachsen sind.
Was ist mit dem Wort „unmündig“ gemeint? Wann wird ein Mensch mündig? Heute sagt man, ein Mensch ist mündig fürs Geschäftsleben, wenn er 18 Jahre alt ist, wenn er wählen darf.
Der große Philosoph Kant hat einmal gesagt, dass es im Wesen des Menschen liegt, sich aufzulehnen. Denn der Weg des Menschen aus seiner Unmündigkeit ist die Auflehnung, die Rebellion. Diese gehört zum Menschen dazu.
Er lehnt sich letztlich gegen alle Ordnung auf. Das ist das Wesen eines jungen Menschen. Wenn er 14 oder 15 Jahre alt wird, kennen die Eltern das: Er rebelliert. Das ist ein ganz natürlicher Prozess.
Er rebelliert gegen die Ordnung. Was vorher gut war, ist plötzlich nicht mehr gut. Er will alles anders machen, alles auf den Kopf stellen. Das liegt im Wesen des Menschen.
Die Rebellion ist so stark, dass jede Generation gegen die vorige rebelliert. Junge Leute sagen oft, was die Alten gemacht haben, war alles falsch, war alles verkehrt. Sie rebellieren – und das ist ein Grundsatz unseres Menschseins.
Wir fragen uns am Ende: Kommen die Menschen denn wirklich zur Mündigkeit? In unserer Welt gibt es eine große Sehnsucht nach Freiheit. Wo gibt es eigentlich Freiheit?
Die jungen Leute leben heute in unserer Gesellschaft eine Sehnsucht nach Freiheit. Sie sagen: Wir wollen alle Zwänge zerbrechen. Dann werden Laternenpfähle umgedreht, Eisenbahnzüge mit Strichmännchen vollgesprüht. Sie wollen ihre Freiheit leben, ihre Gefühle ausleben.
Haben sie am Ende Freiheit? Die Älteren sagen oft: Was ich bei den jungen Leuten sehe, ist, dass sie gebunden sind an Drogen, an Egoismus. Freiheit ist eigentlich nichts anderes als das Ausleben oft ganz tierischer Gefühle. Aber frei sind sie doch nicht.
Die wahre Freiheit in Christus
Wo findet der Mensch seine Mündigkeit? Lassen Sie mich das einmal von einer anderen Seite her erklären.
Ich habe vorhin noch einmal einen dicken Schwöger in die Hand genommen, von einem berühmten Missionswissenschaftler, der eine Fülle von Beobachtungen zusammengestellt hat. Gustav Warneck hat zu Beginn unseres Jahrhunderts ein grundlegendes Werk über die Weltreligionen geschrieben, das bis heute eigentlich unerreicht ist. Er beschreibt darin den Geisterglauben und viele weitere Detailbeobachtungen.
Wenn man so ein Werk einmal in die Hand nimmt, könnte man Ihnen heute Abend stundenweise daraus vorlesen. Dabei wird deutlich, dass Menschen, die in den Religionen aufwachsen, unter enormen Zwängen stehen und eine große Sehnsucht haben, irgendwann in die Freiheit zu kommen.
Sie finden diese Freiheit jedoch nie. Sie leben in Furcht vor schwarzer Magie und dunklen Mächten. Die Riten, die sie vollziehen, die Opfer, die sie darbringen, und alle Vorschriften, die sie einhalten – sei es beim Aussäen der Saat auf dem Acker, auf den Inseln des Pazifik oder in Indien im Hinduismus – all das ist geprägt von Angst vor diesen unheimlichen, dunklen Mächten, in deren Bann sie gefangen sind.
Es fällt auf, dass Paulus ebenfalls von solchen Mächten und Gewalten spricht, die offenbar damals bei den Kolossern eine große Rolle spielten. Das haben wir im Kolosserbrief immer wieder erwähnt. Auch im Hellenismus, in der griechischen Kultur zur Zeit des Apostels Paulus, spielten diese Mächte eine wichtige Rolle. Und das ist bis heute so.
Die große Befreiung, die es gibt, finden wir bis hin zum Buddhismus und sogar im Islam, wo oft eine unheimliche Angst vor dämonischen Bindungen und der Todesgefahr des Lebens herrscht. Die Freiheit kommt immer erst in Christus durch das Evangelium. Christus hat mich frei gemacht.
Das ist eine so beglückende Sache, wenn man es auch einmal religionsgeschichtlich betrachtet. Es gibt überhaupt keine Macht, die einen Menschen in die Freiheit, in die Mündigkeit führt. Wir sind alle in einer Gesellschaft aufgewachsen, die noch vom Evangelium geprägt war. Deshalb ist es für uns ganz selbstverständlich, dass der Mensch frei ist.
Aber wir spüren schon, wie in unserer Zeit wieder Menschen Zuflucht suchen zu irgendwelchen Riten und abergläubischen Ritualen. Sie haben Angst vor Mächten, die sie gefangen halten, und kommen so nicht zur wahren Mündigkeit des Menschen.
Paulus sagt, dass auch die ganzen Ordnungen des Gesetzes – obwohl das Gesetz ja eigentlich gut und gerecht ist – dazu dienten, dass die Menschen nie zur Freiheit des Ebenbildes Gottes durchstoßen sind. Er selbst hat das im Judentum lange durchlitten.
Alle Gebote haben die Menschen nicht freigemacht, sondern sie unterjocht und in eine Zwangshaltung gebracht, in einen Druck, in dem sie gefangen waren. Die ganzen Sitten im Heidentum – und man kann sagen, das sind schlechte Sitten – gehen dort oft so weit, dass selbst extreme böse Dinge, wie Menschenfressen, zu Volkssitten werden. Das wird dann alles durch Riten abgesichert.
Paulus sagt: Merkt ihr nicht, dass alle Zwangsgebote eures Lebens euch unmündig halten? Sie halten euch unter Druck, nur damit ihr das Böse nicht tut.
Paulus hat das so klar erkannt: Wenn wir Gebote im Leben hören, erreichen sie eigentlich immer das Gegenteil. Der Mensch wehrt sich gegen die Gebote und lebt im Kampf mit ihnen. Deshalb spüren wir genau, dass das nicht zum Ziel führt.
Im Römerbrief beschreibt Paulus das sehr deutlich, besonders in Kapitel 7. Der Mensch tut nicht das, was im Gesetz steht. Er lehnt sich innerlich dagegen auf und spürt: Ich bin ein Mensch, der in der Sünde so gefangen ist, dass er das Gute gar nicht tun kann.
Jetzt sagt Paulus: Der Mensch war gefangen, bis die Zeit erfüllt war. Was ist die erfüllte Zeit? Die Zeit war reif, die erfüllte Zeit, bis Gott seinen Sohn Jesus schenkt, den Erlöser.
Die Erfüllung der Zeit und die Geburt Jesu
Im ganzen Alten Testament ist die Klage zu finden, dass niemand gerecht wurde – weder David, noch Elija, Jesaja oder Mose. Sie alle sind vom Gesetz abgeirrt. Keiner konnte das Gesetz vollständig erfüllen. Sie waren alle unter dieses Gesetz gefangen.
In der letzten Bibelstunde haben wir den Ausdruck gehört: „Das Gesetz ist ein Zuchtmeister auf Christus“ und macht uns die Sünde bewusst. Nun möchte ich Ihnen das Bild, das Paulus hier verwendet, genauer erklären.
Was bedeutet es, „als die Zeit erfüllt war“? Welche Zeit war das, als Jesus geboren wurde? Zu keiner Zeit zuvor war es gelungen, die damals bekannte Welt unter einer einzigen Regierung zu vereinen. Das war genial. Die Römer hatten die höchste Stufe künstlerischer Entfaltung erreicht. Was einst bei den Babyloniern und Ägyptern an Wissenschaft gesucht wurde, brachten die Römer zur höchsten Vollendung. Sie ließen in ihrem Weltreich Kunst und Wissenschaft aufblühen.
Gleichzeitig war es eine Zeit, in der das Elend der Menschen erschütternd sichtbar wurde. In unserer Weihnachtsgeschichte kommt das immer wieder zum Ausdruck, wenn wir Lukas 2 hören – zur Zeit des Kaisers Augustus.
Ein wenig römische Geschichte sei hier noch einmal wiederholt: Cäsar war ermordet worden. Aus den Kämpfen um die Herrschaft stieg Octavian empor. Er ließ sich als Gott, als der Erhabene verehren. Es gelang ihm, die Pforten des Kriegstempels zu schließen. Er brachte alle menschlichen Wünsche zur höchsten Entfaltung.
Für die römischen Schriftsteller war es die größte Sehnsucht, diese Welt mit Frieden zu erfüllen. Welch eine merkwürdige Welt! Augustus setzte für jeden Feind, der ermordet wurde, 25 Mark aus – für jeden Kopf, der im Tod hergebracht wurde. Er warb für seine Herrschaft und behauptete, die Menschen in die Freiheit geführt zu haben.
War es wirklich Freiheit? Die römischen Bürger hatten ihre Spiele und ihren Spaß. Es war eine Gesellschaft, die im Überfluss lebte, alle Sitten pervertierte und die Moral auf den Kopf stellte. Bei ihren Gastmählern wurden Phrasen gedroschen, was das Zeug hielt. Was für ein Leben war das?
In der gesamten Menschheitsgeschichte hat es nie eine solche Prachtentfaltung gegeben wie unter Augustus. Er war der Erhabene, der alles in seiner Herrschaft vereinen konnte – prachtvoll und groß, aber gleichzeitig eine blutige Herrschaft. Wir erinnern uns an die Feldzüge in Gallien durch Caesar und an die römischen Legionen, die auch hier in unserem Gebiet gewirkt haben.
Doch noch nie hat ein Mensch so autoritär die Herrschaft an sich gerissen. Kleopatra wurde als letzte Spitze an den römischen Kaiser herangeführt, und sie wurde an die Stille Gottes gesetzt – der letzte Triumph.
In dieser Zeit, als sich erfüllte, was der Mensch ist: im Aufruhr gegen Gott, der sein Leben selbst gestaltet und die Welt neu ordnet, wird in Bethlehem ein Davidssohn geboren – in der Krippe.
Es ist alles auf den Kopf gestellt: Der nicht herrscht, sondern dient. Das, was Jesus darstellt, steht völlig im Gegensatz zu Augustus. Dieses Gegenüber muss man verstehen. Wer zuhause das Buch von Edelbert Staufer besitzt, findet diese Gegenüberstellung genial beschrieben.
Jesus auf der einen Seite – der dient, sein Leben zum Opfer gibt und nicht sich selbst sucht. Ein Ministerpräsident, der sogar Bundeskanzler war, Kurt Georg Kiesinger, sagte einmal, er sei eigentlich kein großes Vorbild für die Jugend. Das wurde ihm natürlich übelgenommen, man nannte ihn einen Banausen und Kindskopf. Aber Kiesinger hat etwas Wichtiges erkannt: In der römischen Geschichte spielte Humanität keine große Rolle.
Sicher gab es auch große Philosophen, aber es war auch eine unheimlich blutige Geschichte. Die Geschichte Jesu steht in starkem Gegensatz dazu. Jesus suchte nicht sich selbst, wollte nicht groß sein, sondern suchte die Elenden und Gestrandeten. Ganz neue Werte wurden verkörpert.
Demut – was ist schon Demut? Augustus hat darüber gelacht. Jesus aber hat sich in die Ordnung des jüdischen Gesetzes hineingegeben, um sie zu erfüllen. Sein größtes Anliegen war es, Menschen in eine andere Freiheit zu führen – nicht die Freiheit des Herrschens, sondern die Freiheit des Dienens.
Jesus hat alle Religionen mit seinem Wort aus den Angeln gehoben: „Es gibt keinen Weg zum Vater als durch mich.“ Diese Offenbarung Jesu ist der neue Weg zu Gott. Der Vater spricht durch ihn: „Wer mich sieht, der sieht den Vater.“
Das Merkwürdige ist, dass nicht nur die jüdischen Gesetzestreuen von Anfang an einen unbändigen Hass auf diesen wehrlosen Jesus hatten. Sie sagten: „Der darf nicht mehr reden, so kann doch nichts mehr ausmachen.“ Sie hielten ihn für schwach, doch sie wussten, dass er die höchste geballte Kraft darstellte.
Die Römer, die beim Tod Jesu fast unbeteiligt blieben und das Geschehen an sich vorüberziehen ließen, setzten in kürzester Zeit – circa dreißig Jahre nach Jesu Tod – ihre ganze Militärmacht ein, um christliche Gemeinden zu zerstören und Christen zu töten.
Die Feindschaft gegen Christus und die Kraft des Evangeliums
Was hat der römische Staat hier, was hat er denn da Gefährliches entdeckt? Er sagt, das macht uns kaputt, das, was die von Christus sagen. Dabei haben diese Christen noch gar nie Macht gesucht.
Der Hass gegen Christus sagt eigentlich schon alles in dieser Offenbarung, die in Jesus sichtbar wird. Nicht nur die frommen Schriftgelehrten, sondern auch der römische Staat kämpft dagegen. Das ganze Böse der Welt läuft Sturm gegen Christus und will das nicht haben.
Was hat denn Jesus getan? Jesus hat ja gar nicht viel getan. Er hat ja gar nicht die römischen Zäsaren angegriffen, er hat nicht einmal die Finanzchefs angegriffen. Auch zu seiner Zeit hat er ja gar nichts getan. Jesus hat nur gesagt, dass in ihm das Leben sei und dass, wer zu ihm kommt, das Leben findet, indem er den Zugang zu Gott findet.
Und das, was Jesus den Menschen gab und was andere weiter erzählen: Ja, wir haben das Leben gefunden, das erfüllte Leben. Diese Botschaft wurde so heftig bekämpft. Und jetzt wissen Sie, dass das bis heute weitergeht, wie Menschen Sturm laufen in einem großen Hass.
Sie haben sich ja auch schon oft gewundert, warum ganz nette, liebenswürdige Leute plötzlich ganz arg Sturm laufen, wenn man von Jesus redet. Warum sie mit einem furchtbaren Hass und mit einer Leidenschaft dieses bekämpfen. Weil sie nicht genau spüren, dass das ihre ganze Lebensordnung auf den Kopf stellt.
Und was ist das, was Jesus bringt? Jesus sagt, man kann nicht mit Anstrengungen sein Leben ändern. Man kann nicht durch Ordnungen sein Leben erneuern. Man kann es nur als Geschenk, gratis aus der Gnade Jesu, neu empfangen und sich erneuern lassen.
Und das erregt bis heute den heftigsten Widerspruch. Das ist der Anlass vieler Feindschaft, weil die Menschen sagen: „Ich will es nicht so billig haben, ich möchte das selber machen, ich möchte mein Leben selber reinigen.“ Dann sagt er: „Tu es doch nach dem Gesetz, leb doch nach dem Gesetz.“
Jesus sagt: „Du kannst es nicht. Du kannst ringen, wie du willst, du kannst das Gesetz nicht erfüllen.“ Und darum ist die Schicksalsfrage der Menschheit die Jesusfrage: Wie stehst du zu Jesus? Dass es kein anderes Heil gibt, gar nicht anders möglich ist.
Man kann es nicht durch Rituale, nicht durch Zeremonien bekommen. Man kann nur die Vergebung bei Jesus empfangen und in diesem Augenblick ein neuer Mensch werden. Das heißt Neugeburt. Das Wort Wiedergeburt ist durch die fernöstlichen Religionen ein bisschen missverständlich.
Neugeburt heißt, eine neue Kreatur werden, ein neuer Mensch werden, weil Christus in uns Wohnung macht. Und das ist nicht das, was ich durch Prozessionen erreichen kann, ich kann das nicht durch Gebetskämpfe erreichen. Ich kann das nicht machen, wenn ich die Bibel auswendig lerne oder irgendwelche Taten vollbringe.
Ich kann das nur, indem ich bitte und sage: „Herr, erneuere du mein Leben. Ich will umkehren, so dass ich durch Buße und durch Vergebung ein neuer Mensch werden kann.“
Und da sagt hier der Paulus: „Die Kindschaft empfangen“, anders gesagt, ein Gotteskind werden. Ein Gotteskind werden, ein Eigentum Gottes, dass ich ein Mensch Gottes bin, geheiligt, gerechtfertigt, erneuert, vergeben.
Und das Gesetz kann das nicht. Also noch einmal, damit es ganz klar ist: Paulus ist nicht gegen vieles, was in der Sitte und im Gesetz gut ist und auch von Gott her gut ist. Sondern er weiß, ich kann es nicht erreichen, sondern nur durchs Geschenk empfangen.
Die Freiheit in der Nachfolge Christi
Ich habe ihm am Sonntag im Gottesdienst einige Bibelstellen gezeigt, in denen der Apostel Paulus sich davor gehütet hat, den ersten Christen einfach nur Anweisungen zu geben wie: „So und so ist es.“
Wenn ich in den Urlaub fahre, hinterlasse ich Anweisungen und sage, was getan werden muss. Vielleicht muss der Gottesdienstzettel geschrieben werden oder Ähnliches, damit nichts vergessen wird. Solche Anweisungen sind wichtig. Paulus hätte den Christen auch ganz klar sagen können: „Wenn du Christ bist, musst du erstens das tun, zweitens das und drittens jenes.“
Bei der Mission ist es ganz ähnlich. Oft stehen junge bekehrte Gemeinden in ihrer Kultur vor schwierigen Fragen. Zum Beispiel bekehrt sich ein Mann, der zwei Frauen hat. Was soll er jetzt richtig machen? Soll er eine Frau entlassen? Diese könnte dann in die Prostitution abrutschen. Im Heidentum war es üblich, dass ein Mann seine Frau verlassen durfte, wenn sie keine Kinder bekam, und eine andere nahm. Wenn er Christ wird, merkt er plötzlich selbst, dass das nicht zu Jesus passt. Er erkennt, dass er die Ordnung Jesu selbst entdecken muss.
Hier gibt es einen großen Raum, so wie Sie sagen: „Ich muss herausfinden, was für mich richtig ist. Wie lebe ich richtig für Jesus in meinem Alltag, zum Beispiel im Geschäft?“ Daher wird uns Weisheit und Verstand gegeben, damit wir unser Leben im Sinne Jesu ordnen können.
Es ist nicht so, dass wir einfach im Buch nachschlagen und sagen: „Paragraph 793 gilt jetzt.“ Vielmehr wollen wir durch den Geist Gottes geleitet sein und erkennen, was Recht und richtig ist. Natürlich müssen die Gebote mit Leben erfüllt werden, aber ich lebe nicht aus den Geboten heraus, sondern aus der Freude der Kindschaft.
So wie ein Kind nicht morgens aufstehen muss und denkt: „Ich bin Kind meiner Eltern, also darf ich meine Mutter unhöflich behandeln.“ Das ist eine spontane, natürliche Haltung, die aus Liebe und dem Verhältnis zu den Eltern kommt. Paulus sagt, Christen leben aus der Liebe, aus der Kindschaft und haben das neue Leben empfangen.
Die wahre Bedeutung des Christseins
Bis heute ist in unserer Gesellschaft das Christentum nach wie vor umstritten, obwohl es anerkannt wird. Wenn Sie jetzt Gespräche führen, würden viele Leute sagen: „Ja, ich erkenne, was es heißt, Christ zu sein.“ Dann würden die meisten Menschen antworten, dass man nach den Zehn Geboten lebt. Das ist jedoch nicht richtig. Vielmehr bedeutet Christsein, zu wissen, dass ich nur durch die Gnade Jesu gerettet werden kann.
Mein Leben ist ein Geschenk, und ich kann nur unverdient durch das Opfer Jesu zu Gott kommen. Das ist der Kern des christlichen Glaubens. Viele Christen haben dies jedoch nie wirklich entdeckt. Sie haben die Freude eines Christen noch nie erlebt. Es ist in der Tat Unsinn, wenn man vielen Menschen zwangsweise eine sogenannte christliche Ordnung überstülpt, die sie alle einhalten müssen.
Das ist die Not unserer Kultur, dieser sogenannten christlichen Kultur: Die Kraft und die Freude des Evangeliums werden nicht mehr verstanden. Das zeigt sich auch im Humanismus, der zwar sehr edel ist und viele Werte hat, aber nicht begreifen kann, was wir vom Kreuz Jesu haben.
Wie kürzlich in einem Streitgespräch mit Oberbürgermeister Schuster in der Zeitung stand: Ein Interviewer sagte zu ihm, man wolle doch nicht pietistisch und miesepetrig sein. Nein, das wollen wir auch nicht. Aber so kann eine Welt das Evangelium nur verstehen.
In all den Jahren habe ich bei Ihnen eigentlich nie das Wort Pietismus gebraucht, weil es das schlimmste Schimpfwort ist, das mit Sachlichkeit nichts zu tun hat. Wir wollen zum Evangelium Jesu zurückkehren. Dabei müssen wir wissen, dass ein Christ nur der sein kann, der verstanden hat: Ich kann nur aus unverdienter Gnade gerettet werden.
Meine Anstrengungen können mir nichts erkaufen. Wenn ich etwas Gutes tue oder den Feiertag heilige, dann tue ich das nicht, um mir etwas zu verdienen. Wenn ich mein Geld oder Gut nicht wegnehme, dann tue ich das, weil es mir keinen Spaß macht, Sünde zu tun. Sünde befriedigt nie, und der Teufel vergütet nie richtig. Er zahlt immer Falschgeld. Sie werden nie glücklich, denn keine Sünde bereichert Ihr Leben.
Sünde ist nur eine Verführung und Blödsinn. Das können Sie nur verstehen wie ein Kind. So wie Ihr Kind weiß: „Ich werde doch nicht so blöd sein, wenn meine Eltern weglaufen. Ich werde nichts tun, denn meine Eltern wollen nur das Beste für mich. Warum soll ich also weggehen?“
Deshalb sagt Paulus: „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau, unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöst, damit wir die Kindschaft empfingen.“ (Galater 4,4-5)
Die Freude der Gotteskinder gibt es nicht dort, wo das Gesetz gelehrt wird. Gesetzliches Christentum ist der Feind einer evangelischen Gemeinde. Eine evangelische Gemeinde lebt davon, dass das Evangelium vom Kreuz Jesu, seiner Liebe zu uns und seinem Retterwillen immer im Mittelpunkt steht.
Wer Gesetze lehrt, Ordnungen aufstellt und Menschen in Verpflichtungen drängt, verfehlt das Evangelium. Ich habe Ihnen beim letzten Mal gesagt, dass es heute sehr häufig vorkommt, auch in sogenannten modernistischen Predigten, dass man den Menschen sagt, was wir politisch oder sozial tun müssen. Das hält die Menschen unmündig.
Vor 30 Jahren musste man alle revolutionär sein: Mit der Achtundsechzig-Bewegung kam die ökologische Welle und die Friedenswelle. Alle mussten die Hand halten und Friedensketten bilden. Das galt als Ausweis des Christentums. Doch wenn man die Kirchengeschichte wirklich betrachtet, war es genau umgekehrt.
Menschen, die die Vergebung Jesu empfangen hatten, lebten plötzlich voller Liebe. Wenn man im Remstal von Ort zu Ort geht, entstanden im letzten Jahrhundert in jedem Ort diakonische Werke. Dort wurden Rettungsanstalten für Kinder gegründet. Frauen wie Christine Kranz sammelten Kinder und gründeten Kindergärten in Großheppach und anderen Orten.
Diese Menschen waren von der Liebe Jesu angerührt. Sie hatten plötzlich Ideen, nicht weil sie im Gesetzbuch geblättert hatten, sondern weil es ihnen eine Lust und Freude war. Das wollen wir auch so praktizieren.
Sie sollten immer sagen: Sie müssen nie gezwungen sein, in ein Opferbecken etwas hineinzuwerfen. Gehen Sie nicht daran vorbei, weil Sie den Eindruck haben, heute will mir jemand etwas aufzwingen. Laufen Sie ganz demonstrativ vorbei und sagen: Heute gebe ich nichts hinein.
Aber wenn Sie geben, dann geben Sie aus Freude. Es muss Ihnen eine Lust sein. Ich bin froh, wenn ich etwas für den Herrn tun kann. Es ist keine Pflicht. Wenn Sie im Chor singen, dann hoffentlich aus Freude, dass Sie mit Ihren Gaben Gott dienen können, nicht aus Pflichtgefühl.
Im Bürgertum wurde uns durch den Kanz so eingebläut, dass man alles aus Pflichtgefühl tun muss. Das Evangelium aber bedeutet Freude im Leben. Natürlich müssen Sie sich manchmal selbst einen Ruck geben. Sonst wären Sie heute Abend nicht in die Bibelstunde gekommen – wegen Ihrer Trägheit. Das ist Ihr eigenes Problem.
Manchmal müssen Sie sich selbst einen Rüffel geben, sonst versumpfen Sie. Das ist etwas anderes. Oder Sie kommen morgens schwer aus dem Bett. Das sind Ihre Privatprobleme. Aber das hat nichts mit dem Gesetz zu tun, sondern mit der Kindschaft und der Freude.
Ich darf mich ganz auf die Liebe Jesu verlassen und bin sein Kind. Lassen Sie sich beschenken.
Die Freiheit und Freude im Glauben
Es war immer wieder beeindruckend, besonders in der Reformation und in der Erweckungsbewegung, wie die Neuentdeckung des Evangeliums vom gekreuzigten Jesus die Menschen ungemein befreit hat. Jesus stirbt für mich und schenkt mir seine ganze himmlische Herrlichkeit kostenlos.
Das waren Zeiten, in denen Aktivität spürbar war. Aus Dankbarkeit haben die Menschen Gott gedient. So steht es auch im Konfirmandenbüchlein: Warum tun wir etwas? Die Antwort lautet: aus Dankbarkeit gegenüber den Geboten.
Wenn ich in meinem Leben mit den Gaben Gottes noch etwas tun will, kann das sehr schwierig sein. Man kann sich den Kopf darüber zerbrechen und fragt sich: Wie kann ich überhaupt etwas tun? Dann wird man froh sein, wenn man im Laufe des Tages irgendwo Menschen Liebe geben kann und sagen darf: Ich darf da etwas Gutes tun mit den Gaben, die Gott mir anvertraut hat.
„Weil ihr nun Kinder seid“ – Vers 6 sagt, dass Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt hat, der ruft: Abba, lieber Vater! Woran erkennt man Kinder? Am Beten.
Beten sie? In unserer Gebetsgruppe waren früher nur drei Männer. Das ist eine tolle Gemeinde, die Hofacker-Gemeinde, aber nur drei Männer hatten Zeit für die Gebetsgruppe. Beten sie wirklich? Ich muss ja nicht in eine Gruppe kommen, aber ich weiß nur, ob sie wirklich so viel beten.
Wir sollten uns ganz an die Gebete gewöhnen, so dass wir unsere Sorgen und Nöte Gott sagen dürfen. In dieser Freiheit erhört uns der Vater im Himmel, und wir dürfen alle unsere Nöte vor ihm offenbaren. Das Tolle daran ist, dass es gar nicht auf unsere formulierten Sätze ankommt.
Die Kindschaft zeigt sich im Beten mit dem Vater. Dann sind wir nicht mehr Knechte, die unter der Peitsche stehen, sondern Kinder und Erben, weil Gott uns seine Liebe schenken wollte.
Pädagogische Impulse aus dem Evangelium
Ich möchte Ihnen jetzt noch zwei Dinge zeigen und sagen. Zwei Menschen, die dieses Evangelium als eine ganz besondere neue Lebensart begriffen haben, waren Pädagogen.
Der eine war Pestalozzi. Wenn Sie ein wenig über ihn lesen, erfahren Sie, dass er seine Ausbildung eigentlich nie richtig abgeschlossen hat. Dennoch nahm er sich Straßenkindern an und entdeckte, dass man diese Kinder nicht mit der Peitsche erziehen kann, sondern mit Liebe.
Ähnlich verhielt es sich bei Johann Albrecht Bengel. Wenn Sie seine pädagogischen Grundsätze lesen, werden Sie feststellen, dass sie aus der Freiheit heraus entstanden sind. Das ist ein völlig falsches Zerrbild, das man häufig von Pietisten hat. Für sie kommt alles, was nicht aus der Freude heraus geschieht, ohne Wert.
Pestalozzi scheiterte bis zu seinem Lebensende mit seinem Experiment, doch heute ist seine Pädagogik anerkannt. Er sagte, dass alle Gaben in einem Menschen geweckt werden müssen. Das Kind steht bei ihm ganz hoch im Ansehen.
Der andere Pädagoge, den ich hier noch einmal erwähnen möchte und den wir auch in unserem Buch beschrieben haben, ist Amos Comenius von den Böhmischen Brüdern, den tschechischen Hussiten. Er war durch die schrecklichen Kriegsereignisse gezwungen, Schullehrer zu werden. Aus der empfangenen barmherzigen Liebe Jesu heraus, in der Zeit des Mittelalters, war das eine völlig revolutionäre Tat.
Er hat von Jesus gelernt, die Kinder als seine eigenen zu sehen. So nannte er sie selbst seine lieben Brüderlein und Schwesterlein und nahm sie ernst. Von Philipp Melanchthon lernte er, dass er, wenn er die Schulklasse betrat – vor den frechen Kindern von etwa zehn oder zwölf Jahren – den Hut abnehmen musste. Das ist bemerkenswert: Ein Erwachsener zieht vor Kindern den Hut und grüßt sie als künftige Doktoren, Pastoren, Superintendenten, Bürgermeister, Kanzler und Magister.
Comenius sah in den Kindern das, was Gott aus ihrem Leben machen kann. Er erkannte, was sie von der Schöpfung Gottes her sind. Er wusste, dass Kinder ein Ebenbild Gottes sind. Bei ihnen ist dieses Ebenbild noch nicht so besudelt und zerstört wie bei den Erwachsenen.
Er sagte, wir müssen die Kinder richtig führen, indem wir sie nicht hart anfassen. Wir dürfen sie nicht wie wilde Tiere, rohe Bestien oder unbehauene Holzblöcke behandeln, sondern sollten sie liebevoll locken und in gütiger Weise erziehen.
Je träger und schwächer jemand von Natur aus ist, desto mehr braucht er Hilfe. Es gibt keine so unglückliche Geistesanlage, die durch Pflege nicht verbessert werden könnte.
Schon damals betonte Comenius, wie wichtig es sei, die alten Menschen zu verstehen. Das Schlimmste sei, ihnen den Müßiggang zu überlassen und ihnen keine Arbeit mehr zu geben. Das haben wir heute völlig verkannt.
Ich finde es großartig, wenn ältere Menschen wenigstens im Haushalt noch eine Aufgabe bekommen, etwa beim Kartoffelschälen zu helfen. So war es bei der alten Frau Wörz, die mit über neunundachtzig Jahren noch glücklich war, wenn sie wenigstens beim Kartoffelschälen helfen konnte.
Deshalb ist es wichtig, dem Menschen wegen seiner Würde eine Aufgabe zu geben, damit er sein Leben richtig gestalten und auf das Fest seines Alters hin reifen und sich weiter vervollkommnen kann.
Comenius betonte auch, dass es nicht sein kann, Frauen von der Bildung auszuschließen. Frauen müssen dieselben Bildungschancen haben wie Männer. Damals war die Schule nichts anderes als ein Kinderschreck und eine geistige Folter.
Er sagte, wir müssen in der Schule aufhören, die Kinder zu überfordern. Bildung bedeutet nicht, ihnen Wissen aufzudrängen, sondern dass Kinder spielerisch Zusammenhänge entdecken und verstehen. Man muss das Wasser nicht zwingen, einen Abhang hinabzufließen.
Comenius schuf die Didactica Magna, eine große Erziehungslehre, die auch die Naturwissenschaften mit einbezog. Er sagte, in der Schule dürfen die Kinder nicht nur mit dem Kopf erzogen werden, sondern sie müssen auch ihre Hände gebrauchen können. Ebenso sollen sie ihre musischen Fähigkeiten entfalten.
Dazu gehören Schneiden, Binden, Zusammenlegen, die Förderung der Sprache, der Sitten und der Frömmigkeit.
Hier wird deutlich, dass man wirklich begriffen hatte, dass der Mensch in Jesus einen ganz neuen Wert hat. Das hat Auswirkungen auf unsere Pädagogik und Erziehungsarbeit.
Zum Abschluss möchte ich Ihnen noch zeigen, was Paulus sagt. Er ist doch nicht gegen das Gesetz, sondern zeigt, dass aus der neuen Sicht, die Christus gibt – ich bin Ebenbild Gottes –, ein ganz neues Verständnis für das Leben entsteht.
Die Bedeutung von Erziehung und Lebensgestaltung
In dem ganzen Chaos damals, während des Dreißigjährigen Krieges, inmitten großer Not, hat er seine Kinder verloren, seine Frau starb, und er musste sich lange Zeit im Wald verbergen. Er war heimatlos, und die Brüderunität wurde damals völlig ausgelöscht. Dennoch hat er dieses Sterbelied, das Vermächtnis, das Testament der sterbenden Mutter der Brüderunität, geschrieben. Erst Zinzendorf hat diese Brüderunität wieder aufgenommen.
Dabei sagte er noch einmal: „Meine Methode dient dazu, dass die Tretmühle Schule, die nur Wort ist, in Spiel und Vergnügen verwandelt wird.“ Das will heute kaum jemand verstehen. Den freien Geist behandeln sie geradezu wie einen Sklaven, sogar im Adel.
Die Lehrer stützen ihre Autorität auf eine strenge, finstere Miene, harte Worte und sogar auf Prügel. Aber das kann doch nicht sein. Wir müssen den Menschen wieder dorthin bringen, wo wir ihn von Gott her erziehen können und ihm etwas zeigen. Dort, wo wir ihm lehren, die Welt und das Leben zu verstehen, und wo sich für ihn das ganze Leben ausbreitet.
„Ja, in deiner Nähe leben, Besseres kann ich nichts erstreben. Doch du selbst musst mich erfassen, Leben in mich fließen lassen. Ach, ich bitte in deinem Namen, lass es doch geschehen, Amen.“
„Mit dir kann ich sicher schreiten, auch wenn Schmerzen mich begleiten. Du bewahrst mich aller Orten, führst durch Tod und Höllenpforten. Nur mit dir, Herr, will ich gehen, nur mit dir kann ich bestehen. Niemals will ich von dir weichen, bis ich das Ziel erreichen. Ja, ich bitte dich, Herr, führe mich durch deine Himmelstüre!“
Um diese ganz neue Lebensschau geht es dem Paulus nicht. Er kämpft gegen das Gesetz und das, was das Gesetz ist, was kümmerlich ist. Es war ein Vormund und hat seinen begrenzten Dienst getan. Aber wer Christus erkannt hat, der hat eine neue Weltschau. Er kennt auch die Gerechtigkeit, und dessen Herz wird brennen für das Gute und für die Liebe.
Ich hoffe, dass Ihnen etwas deutlich wurde, auch wenn Sie sagen, es bleiben noch Fragen. Aus der Nähe von Christus heraus möchte ich mein Leben gestalten. Auch heute will ich in der Freiheit mit Jesus in die Nacht und in die kommenden Tage gehen. Ich will mich freuen in der Dankbarkeit für das, was Gott mir schenkt, und fröhlich sowie zuversichtlich meinen Weg gehen.
