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Christine Barner

16.10.1996

Herr, wir danken dir, dass du uns heute in deine Gemeinde stellst und uns durch die Jahrhunderte hindurch begleitest.

Wir sind dankbar, dass du uns Impulse gibst durch die Schwestern und Brüder, denen du deine Gaben geschenkt hast. Amen!

Einführung und historische Verankerung

Liebe Freunde,

vielen Dank, dass Sie trotz Regen und Kälte gekommen sind. Einer der besterhaltenen Grabsteine auf dem alten Friedhof ist der Grabstein von Christine Banner. Während wir sonst dem verehrten, lieben Bruder Traub verdanken, dass wenigstens einige der Grabsteine noch lesbar sind, ist es wahrscheinlich der Grund, dass bei Christine Banner vor etwas mehr als hundert Jahren ihre Tochter Sophie, verheiratete Mundle, gestorben ist.

Sophie Mundle war sozusagen die Urgroßmutter des Pfarrers Gottlob Lang, der ebenfalls bei Ihnen gelebt hat. Er stammt aus der großen Mundle-Lang-Familie. Bei dieser Gelegenheit hat man den Grabstein ganz neu gemacht – ein wenig unverhältnismäßig größer als die anderen.

Als Ersatz für all die vielen nicht mehr lesbaren Grabsteine der Frauen und etwas Vernachlässigten ist Christine Banner hier besonders herausgestellt.

Herzlichen Dank für die Möglichkeit, dass ich einiges aus den Anfängen von Korntal erzählen kann, in dem meine Frau und ich so eine Heimat gefunden haben. Ebenso danke ich dem verehrten Kuder Roth, der mir mit all den Unterlagen geholfen hat. Wir sind dankbar, dass wir so einen Historiker in der Gemeinde haben.

Lebensumstände und Glaubensreichtum in Hülben

Wenn man sich in diese Zeit hineinversetzt, merkt man, dass dort eine für uns unvorstellbare Armut herrschte – und zugleich ein beneidenswerter Glaubensreichtum. Diese Spannung prägte das Leben von Christine Barner, geborene Kullen. Sie wurde 1795 geboren und starb 1837 im Alter von 42 Jahren.

Unvorstellbare Armut gab es auch in ihrer Heimat Hülben. Wenn man hinauffährt, sieht man an den Steinbrüchen, wie dünn die Erdkrume ist, und darunter kommt der Kalkfels zum Vorschein. Dort wuchs nicht viel. Die kleinen, aus Lehm gestampften Häuschen drückten sich eng an die alte Hüle oder Hülbe.

Es gab nicht viel zu nagen und zu beißen. Wenn in dem etwas reicheren Dettingen-Erms jemand „vergandet“ wurde, also bankrott gemacht wurde, musste er nach Hülben ziehen. Dort war der Ort der Bankrotthöre. Die Hülbener Kinder wurden noch bis zu Beginn unseres Jahrhunderts zum Betteln in die reicheren Dörfer geschickt, nach Grabenstätten, Hengen und bis hin zur Laichinger Alb.

Im Ort herrschte eine unvorstellbare Trunksucht, weil die Not so groß war. Pfarrer Fricker, einer der großen Erweckungsprediger unseres Landes, war zweiter Pfarrer in Dettingen-Erms, und Hülben war die Filiale. Der Gottesdienst wurde alle vierzehn Tage morgens um sechs Uhr gehalten, denn der Pfarrer musste um acht Uhr wieder zum Frühgottesdienst in Dettingen sein.

Fricker sagte, der ganze Ort sei finster, und am finstersten sei der Schulmeister Johann Wilhelm Kulln – das war der Großvater von Christine.

Erweckung und geistliche Erneuerung

Die meisten von Ihnen kennen die Geschichte, wie Gott mitten in der Finsternis sein Licht aufstrahlen ließ. Die stolze Schulmeistersfrau Anna Katharina Kulln, verwitwete Buck, geborene Schiller, fragte den Erweckungsprediger Frieger etwas spöttisch: „Wenn wir in Hülben ein Leben haben wollen, wie es offenbar in Dettingen entstanden ist – dort hat man es ja nüchterner betrachtet –, was müsste ich tun?“

Er antwortete ihr: „Frau Schulmeisterin, lesen Sie den Römerbrief.“ Sie tat es und las Kapitel eins, in dem steht, dass Gott die Menschen dahingegeben hat in Ohrenbläserei und Lüge und alles, was nicht taugt. Daraufhin schlug sie die Bibel zu.

Als Frieger sie fragte, wie es beim Römerbrief gegangen sei, antwortete sie: „Der Römerbrief ist etwas für die Dettinger, nicht für uns Hülbener.“ Daraufhin sagte er: „Dann lesen Sie die Römer-Epistel noch einmal.“

Nun ging ihr auf, wie sie, die stolze Schulmeistersfrau, in ihrem Herzen scheinheilig war und ihre eigenen Fehler nicht sah. Sie war dankbar, dass auch darin steht: „Wer wird mich erlösen von diesem elenden Leibe? Ich danke Gott durch Jesus.“

Frieger sagte daraufhin: „Jetzt ist ihr und dem Ort ein Licht aufgegangen.“

Seitdem war im Schulhäusle – ich habe dort vorne einige Schriften und Bilder ausgelegt – der Geist Gottes eingekehrt. Es war noch nicht das große, heutige alte Schulhaus, sondern ein kleines Schulhäusle. In diesem Schulhäusle wurde viel gelesen. Man sagte: „Wir werden es nicht mehr erleben, dass der Heiland Großes tut – aber vielleicht unser Jakob Frieder.“

Familie und Erziehung in großer Armut

Jakob Frieder war der Vater von Christine. Als Christine 1795 geboren wurde, herrschte im Schulhaus und in ganz Hülten große Armut. Jakob Frieder hatte manchmal Angst vor seiner Frau. Gelegentlich nahm er einen Brotleib und stellte ihn vor die Haustür für die hungrigen Kinder. Diese machten sich darauf her wie ein Rudel Ratten.

Wir können uns kaum vorstellen, wie bitterarm diese Zeit war. Johannes Kulln, der älteste Sohn von Jakob Frieder und seiner Frau und älterer Bruder von Christine – nach ihm ist die Johannes-Kulln-Straße benannt – sagte später einmal zu seinen Eltern: „Euer ganz großer Reichtum sind eure Schulden. Sonst wärt ihr noch im irdischen Geist gefangen und hättet nur danach gestrebt, noch mehr zu besitzen.“

Wir wissen aus unserer Zeit: Je mehr man hat, desto mehr denkt man, man müsse noch mehr haben. Jakob Frieder Kullen, ein bewährter Schulmeister, hatte damals keine Lehrbildungsseminare besucht. Er war ein bis zwei Jahre bei einem anderen Lehrer als Lehrling mitgelaufen.

Er ließ seine Tochter Christine ins Übungsheft schreiben: „Gott gebe euch erleuchtete Augen, dass ihr erkennen möget die Hoffnung, zu der ihr berufen seid.“ Er diktierte dazu, und Christine schrieb es in schöner Schrift nieder. Es ist Gottes Gabe, diese Hoffnung zu haben, dass Gott uns die Augen öffnet für das, was er schaffen kann.

Man las die Schriften von Bengel und achtete darauf, was Gott in seiner Heilsgeschichte quer durch die irdische Geschichte tut. Es war eine Zeit, in der man gerade wegen der großen Armut und der Zersplitterung Deutschlands in viele kleine Fürstentümer große Erwartungen an die Weltveränderung durch Napoleon hatte.

Napoleon verkörperte die erste großeuropäische Konzeption vom Atlantik bis nach Moskau. Auch die deutsche Philosophie und die gesamte Aufklärungsphilosophie fielen darauf herein. Einer der großen deutschen Philosophen sagte, als er Napoleon auf dem Pferd vorbeireiten sah: „Ich habe den Weltgeist auf dem Pferd gesehen.“ Damit meinte er die Inkarnation des Göttlichen, des Weltgeists.

Kriegserfahrungen und Verbindungen zur Mission

Die Frommen unseres Landes waren sehr zurückhaltend. Es herrschte eine Not im Schulhaus in Hülten. Zuerst diente der Sohn Wilhelm bei den Leibhusaren, bei den Württembergischen. Er musste mit den Heeren Napoleons nach Russland ziehen und ist dort verschollen, als Napoleon vor Moskau umkehren musste.

Auch der älteste Sohn Johannes, der Korntaler Institutsvorsteher, wurde als junger Mann eingezogen. Allerdings reichte es ihm mit der württembergischen Armee, die letzten Reste von Napoleon zu bekämpfen. Somit haben beide auf zweierlei Fronten mit württembergischen Heeren gedient.

Übrigens, für Sie als Korntaler wichtig: Damals, vor Hüningen, also vor den Toren Basels, begegnete dieser Johannes Kulln, der später Korntal mitgeprägt hat, Christian Friedrich Spittler. Spittler war der große Pionier von Weltmission, Bibelverbreitung und Diakonie in Basel und Umgebung.

Damit wurde eine erste Brücke geschlagen vom schwäbischen Pietismus hinüber zur Schweizer Erweckung. Diese brachte zahlreiche Impulse für Diakonie, Bibelverbreitung und Weltmission.

Soziale Not und pädagogische Initiativen

Der Niedergang Napoleons hat die Armut und Not in Europa nur noch vergrößert. Die zurückflutenden Armeen brachten Seuchen mit sich, die die Bevölkerung stark trafen. Es zogen Bettlerbanden aus weißen Kindern durch die Lande, und viele Dörfer verfielen in Armut.

In Baden, im Elsass, in der Schweiz, in Württemberg und in Bayern konnte sich kein Dorf mehr einen Dorfschulmeister leisten, obwohl es den Dorfschulmeistern ohnehin schlecht ging. Heute kennen wir noch das Lumpenlied vom armen Dorfschulmeisterleinen. Doch selbst diese Dörfer konnten sich keinen Lehrer mehr leisten – nicht einmal Wilhelm Busch, der Humorist, konnte Essen bezahlen.

Busch hatte jedoch recht, wenn er fragte: Wer soll dann die Kinder unterrichten, die Wissenschaft fördern, den Glauben und die Moral stärken, wenn keine Lehrer mehr da sind? Die Lehrer ersetzten an vielen Orten sogar den Pfarrer, lasen die Predigt und übten Seelsorge aus.

In dieser Situation trat Christian Friedrich Spittler in Württemberg hervor. Als er in Basel Sekretär der Christentumsgesellschaft war und bereits die Basler Mission gegründet hatte, ebenso die Basler Bibelanstalt, das erste Diakonissenhaus in Riehen und die Taubstummenanstalt in Riehen, sagte er: Wir müssen etwas für diese verarmten Kinder tun.

Vor den Toren Basels stand die verlassene Ordenskomturei des Deutschritterordens. Wer wäre der richtige Pädagoge, um hier zu helfen? Christian Heinrich Zeller, ein Schüler von Pestalozzi, kam in Frage. Doch Zeller war kein Christ. Spittler sagte zu ihm, er solle sich bekehren. Er gab ihm einen Predigtband eines Herrnhuter Bischofs und betete für ihn.

Tatsächlich bekehrte sich Zeller durch die Predigt dieses Herrnhuter Bischofs. Zuvor war er ein großer Aufklärer gewesen. Danach sagte Spittler: Jetzt übernehmen wir die Ordenskomturei als Rettungsanstalt. Zeller hatte sofort die Idee, dass dies nicht ausreiche. Er wollte dort junge Lehrer ausbilden, die bereit sind, wie Missionare nach Asien und Afrika, in die verarmten württembergischen, badischen und elsässischen Dörfer zu gehen. Dort sollten sie für einen Hungerlohn als Lehrer tätig sein.

Im Rettungshaus wurde daher eine Armen-Schullehrer-Anstalt eingerichtet. Der erste Gehilfe dort war Andreas Banner aus Auenteck, der zuvor Hilfslehrer in Metzingen gewesen war. Dort war er auch Johannes Kullen begegnet.

Man stößt immer wieder auf ein Netzwerk. Deshalb ist es wichtig, dass wir im Volk Gottes einander kennen. Gott schafft seine Geschichte durch Netzwerke – nicht durch Organisationen, sondern durch persönliche Kontakte.

Die Idee der Rettungshäuser wurde zuerst in Korntal aufgenommen, das gerade gegründet worden war, durch den Gründer Wilhelm Hofmann aus Wilhelmsdorf. Auch in Tempelhof bei Greilsheim und Lichtenstern entstanden solche Einrichtungen. In Württemberg gab es etwa zwanzig Rettungshäuser. Die Idee verbreitete sich über Sachsen, Thüringen und Brandenburg bis nach Mietau in Estland.

Innerhalb von zehn Jahren entstanden 51 solcher Rettungshäuser. Der Staat gab keinen Pfennig dazu; alles wurde durch das Schärflein der armen Witwe finanziert.

Heute wünschte man sich wieder solche Ideen und Fantasien, um diakonische Notstände im Nahbereich aufzugreifen und zu helfen.

Persönliche Hingabe und Vorbilder im Rettungshaus

Andreas Barner war mit vollem Herzen im Ersten Rettungshaus in Beugen bei Basel engagiert. Wenn Sie einmal dort sind, sollten Sie es besuchen. Er hat gesagt, dass er den Christian Heinrich Zeller fast abgöttisch verehrte. Zeller lebte nach dem, was in unserem Gesangbuch steht: „Zeige deines Wortes Kraft an mir, armem Wesen!“ Erziehen kann nur derjenige, dem die Kinder abspüren, dass er sich täglich selbst von Gott erziehen lässt. Das waren tolle Ideen! Sie öffneten neue Wege in der Pädagogik.

Fast noch mehr als Zeller selbst verehrte Andreas Barner aus Bowen – oder wie man württembergisch sagt, Auen – dessen Frau, Sophie Zeller-Siegfried. Sie war eine Schweizerin. Er schrieb: Wenn man Zellers unvergleichliche Gattin unter diesen armen Kindern wirken sieht, dann sieht man ein Christentum, wie es in der Bibel enthalten ist.

Im Arbeitszimmer von Zeller stehen drei Bettleinen für die schwächsten und kränksten Kinder der Anstalt. Diese Kinder machen meist nachts auch nur das Bett nass. Doch Frau Zeller steht auch nachts auf, denn tagsüber sind die Kinder ihre Hauptsorge. Bald nimmt sie einen Kamm und reinigt einem nach dem anderen die Haare, weil sie es selbst nur oberflächlich erledigen können.

Dann kniet sie einen ganzen Tag auf dem kalten, oberen Dachboden und sortiert die Schmutzwäsche. Sie verbindet einem Kind den Finger, einem anderen den Kopf. Unzählige Male rennt sie tagsüber die vielen Treppen auf und ab, vom oberen Stock in den Keller, nur um die Bedürfnisse eines jeden zu befriedigen. Natürlich hat sie auch Mägde, aber sie selbst ist überall vorne dran und tut das, was andere nicht tun wollen oder nicht tun können.

Dies alles tut sie, als ob sie nichts täte – voller Demut und Bescheidenheit, die sich nicht einmal würdig achtet, dies alles tun zu dürfen. Wenn man solche Maßstäbe an eine Rettungshausmutter anlegt, dann war es zwar schön, dass Andreas Barner in das von Hoffmann neu gegründete Waisenhaus oder Rettungshaus gerufen wurde, aber wo ist die Frau dafür?

Er hat in Beugen begriffen: Das kann man nur mit einer Frau machen, die die Seele des Ganzen ist. Nicht hinter jedem einigermaßen brauchbaren Mann steht eine starke Frau, sondern wir Männer sind nichts ohne unsere Frauen. Was soll ich für ein Rettungshausvater sein, wenn nicht die Seele des Hauses da ist?

Verbindung von Christine Kullen und Andreas Banner

Er kam hierher mit dem Segen von Zeller, und ihm fiel sofort Christine Kullen ins Auge. Die Schwester seines Freundes Johannes Kullen war ebenfalls eine besondere Geschichte. Das junge Kerntal leitete sofort pädagogische Initiativen in die Wege.

Johannes Kullen hatte in Metzingen eine Privatschule aufgebaut. Hofmann sagte zu ihm: „Komm zu uns, bring deine zwölf Schüler mit und baue das zu einem Knabeninstitut aus.“ Johannes kam und erklärte, dass er wenig Geld habe und nicht heiraten könne. Trotzdem ließ er seine beiden Schwestern, Sophie und Christine, aus Hülben zu den Jungen aus vornehmen Häusern kommen. Das tat den Mädchen gut.

Am Anfang waren sie erschrocken, denn sie sprachen das raue Elblerisch. Hier lernten sie erst das Stuttgarter Schwäbisch und auch das Benehmen mit den vornehmen Jungen aus den besten Stuttgarter Häusern. Das war Hoffmann auch wichtig: Er wollte Kinder aus den besten Häusern gewinnen, um nebenbei etwas Geld zu bekommen, auch wenn man sie zu guten Bürgern dieser Welt erziehen wollte.

Kullen sagte: „Ich kann nicht heiraten, wir haben kein Geld. Wir sind froh, wenn wir einigermaßen durchkommen.“ Aber Christine und Sophie halfen ihm, den Haushalt zu führen. Auch Christine hatte eine stille Liebe zu Andreas Barmer. Es ist eine rührende Geschichte. Sie erzählte nur ihrem Bruder in Hülben, dass sie eine verzehrende Liebe zu Barmer hatte. Wenn Barmer das gewusst hätte, hätte er wohl schnell geheiratet. Doch beide wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten.

Christine hatte zuvor ihre schwerstkranke Schwester Sophie gepflegt, die 1824 starb. Christine war praktisch veranlagt und sagte zu Johannes: „Du musst jetzt heiraten. Schau mal, da in Schaffhausen gibt es eine Krankenschwester, Therese Hurter, die noch heiraten könnte.“ Jeder vernünftige Bruder tut, was seine Schwester sagt – das tat er auch.

Im gleichen Jahr, 1825, konnte Andreas Barmer seine Christine Kullen heiraten, und Johannes Kullen heiratete seine Therese Hurter.

Herausforderungen und Alltag im Rettungshaus

Große Not

Beim Einzug der Therese Hurter sind die Kinder von der Knabenanstalt so an der Kutsche hinaufgesprungen und wollten auf dem Trittbrett mitfahren. Dabei ist ein Kind unter die Räder geraten. Es war Christine Kullen, damals noch ein Kind, die das verletzte Kind auf den Armen nach Hause getragen hat. Doch das Kind starb in ihren Armen.

Christine war eine Rettungshausmutter, wie sie eigentlich vorgebildet war, im Ideal von Sophie Zeller-Siegfried.

Der Ehestand von Andreas und Christine Banner war nicht bloß eine Zweckehe. Solche Ehen gab es auch. Meine Urgroßmutter war zweimal verheiratet, jeweils als dritte Frau, beide Male in Rettungshäusern – einmal in Barmen, in einem Harthaus. Zu beiden Ehen wurde sie befohlen: „Geh hin und heirate den, dem schon die zweite Frau gestorben ist.“ Und es wurden sehr glückliche Ehen.

Doch bei Andreas Banner und Christine war von vornherein Liebe da. Zwölf Jahre später, als Christine Banner gestorben war, klagte Andreas Banner in einem Brief nach Hülben: „Oh, die liebe, teure Christine! Wie war ich so glücklich durch Sie? Ich habe mein Glück nicht immer so erkannt und geschätzt, wie es recht gewesen wäre. Aber Christine hatte so viel Raum in meinem Herzen, dass sicher mein Gott und Heiland nicht genug Platz bei mir hatte.“

Oberlin sagte, als seine Frau starb: „Lieber Gott, gib mir meinen Lebtag nichts als Kartoffelhauten zu essen und Wasser aus einer Pfütze zu trinken, aber lass mir meine Frau!“

Newton sagte: „Die Leute waren gebildet, die aber gewusst werden, wer Newton ist. Die englische Bank ist zu arm, um meinen Verlust zu ersetzen.“

So geht es auch mir, dabei hatten diese beiden Männer ihre Frauen doch viel länger als ich – zwölf Jahre.

Wirkung und Erneuerung in Korntal

Durch die enge Verbundenheit der beiden Eheleute Andreas und Christine wurde die Brücke, die bereits zwischen Beugen, Basel auf der einen Seite und dem schwäbischen, korntaler, kullenschen Pietismus auf der anderen Seite bestand, noch weiter gefestigt.

Basel hatte stets gehofft, dass Korntal die entscheidenden Spenden für all die Unternehmungen bereitstellt, die Spittler neu ins Leben gerufen hatte. Mit Andreas und Christine Banner kam erneut ein frischer Elan in die von Wilhelm Hoffmann gegründete Rettungsanstalt.

Bisher war die Rettungsanstalt nur ein Heim für verwahrloste, verwaiste und verlassene Kinder gewesen. Banner sagte sofort: „Wir müssen eine Schule angliedern.“ Die Kinder sollten nicht in die allgemeine örtliche Schule gehen, sondern eine Schule im Heim erhalten, damit sie besser betreut werden können.

Anfangs waren es 70 Kinder, später wurden es über 100, die von den beiden Heimeltern betreut wurden – und das unter großen finanziellen Sorgen.

Ich lese zwei Briefe: Einmal von Christine: „Die ganze Haushaltungslast ist wieder auf mich gefallen. Ich habe gemeint, ich könnte es nicht mehr leisten. Wisst ihr, was das heißt? Aushalten. Dazu die Menge Arbeit, die uns nie fertig werden lässt. Aber ich bin vergnügt unter meinen Kindern und schätze mich glücklich, dass Gott mir einen so schönen und wichtigen Beruf anvertraut hat.“

Dann folgt ein Brief von der Bräuningerin und Drieslerin und von dem jungen Burschen. Jedes einzelne Kind war ihnen wichtig.

Andreas Banner schrieb nach Hülben den Bittbrief: „Heuer fehlen uns ziemlich die Erdbirnen, also Kartoffeln. Zwar hat es bei uns auf unseren vier Morgen mehr gegeben, als wir erwarten konnten, nämlich 80 Säcke, aber davon haben wir schon seit eineinhalb Monaten gegessen. Vor einem Jahr hatten wir 200 Säcke, die wir überzählig von Geschwistern, von Gemeinschaftsgeschwistern, bekamen. Trotzdem fehlten uns am Ende des Jahres noch ungefähr 40 Säcke, um den gesamten Verbrauch zu decken, denn hauptsächlich haben wir Kartoffeln gegessen.“

Was anderes gäbe es nicht. Könntest du nicht mit den Brüdern in der Hülbener Konferenz sprechen? Jeden Monat findet eine Hülben-Brüder-Zusammenkunft, eine Konferenz, statt. Wir sind geneigt, den Fuhrlohn zu zahlen. Am besten wäre es, wenn ihr das auch noch übernehmen würdet, nicht? Aber wir wollen niemanden zum Gutes tun nötigen oder jemandem zu nahe treten.

Persönliche Herausforderungen und geistliche Reflexionen

Christine hatte ein besonderes Geschick im Umgang mit Kranken. Das zeigte sich bereits bei der Pflege ihrer schwerkranken Sophie. Die Briefe nach Hülten sind voller Schilderungen einzelner Krankheiten. Auch Christine selbst musste immer wieder schwere Krankheiten durchstehen.

Die sieben Lebendgeburten, die sie hatte, fielen ihr nicht schwer. Doch zwei Fehlgeburten belasteten sie seelisch und körperlich lange. Am meisten litt Christine jedoch darunter, wenn sie sich beim Reden vergaloppierte.

In einem Brief von 1833 heißt es: „Gestern habe ich mich an einem unserer Leute versündigt. Ich habe ihm einen Fehler vorgehalten, aber ich wollte ihn nicht beleidigen. Nachher sah ich, dass die Person weinte, da war mir’s arg. Ich war recht im Jammer und erzählte es meinem Mann. Er riet mir, es im Gebet dem Heiland zu sagen.“

So bekannte Christine dem Heiland nicht das, was sie gesagt hatte, sondern das, was ihr aufgedeckt wurde: dass ihr schon lange die Liebe zu dieser Person gefehlt hatte. Sonst hätte sie nicht so unweise gehandelt.

Man merkt, wie der Mensch sich vor Gott geprüft hat. Es gibt noch andere Wurzeln des Handelns. Wie groß war für sie die Freude, als plötzlich die beleidigte Person zur Nebentür hereinschaute und wieder mit ihnen redete! Ihr Herz war voll Lob und Dank gegenüber Gott, weil er so geholfen hatte.

Spannungen und Ausgleich in der Gemeinde

Aber die allergrößte Not war im Jahr 1838. Da müssen wir noch ein bisschen forschen, wenn wir können. Es ist ja insgeheim interessant und für unsere verehrten Geschwister im Brüdergemeinderat, für die Vorsteher und für die Verwaltung vielleicht wichtig.

Ich habe den Eindruck, dass Hoffmann, der Gründer von Korntal, sorgfältig darauf bedacht war, dass das Gewicht zwischen Hanern und Altpietisten ausgeglichen war. So sollte doch sogar Michael Hahn Vorsteher der Gemeinde werden. Und jetzt plötzlich war Kullen da. Die Kullen sind nicht bloß Nullen, sondern sie haben manchmal auch harte Köpfe. Ein Wissenschaftler aus der Schweiz hat gesagt, dass Johannes Kullen sich manchmal benommen habe wie ein kleiner Papst, schon in Metzingen. Und er hat sich plötzlich als der Altpietist hoch fünf hier in Korntal eingenistet.

Ich habe den Eindruck, aber es ist bloß meine Vermutung, dass der Gottliebe Wilhelm Hoffmann gesagt hat: „Ich muss das ein bisschen ausbalancieren. Jetzt wäre es ideal, wenn wir den tollen Pädagogen, den Lehrer Meier, der im Augenblick in Isny ist und ein Hahner ist, hierher bekämen.“ Die Mehrzahl der Brüder im Brüdergemeinderat hat gesagt, das können wir nicht verkraften, auch noch Lehrerzahlen.

Es wäre doch viel einfacher, wenn der Berner auch pro forma die öffentliche Schule am Ort übernimmt. Dann stellen wir einen Provisor ein und zahlen nur den halben Gehalt. Der Berner passt ein bisschen auf, dass der Provisor richtig schafft, und er hat schon die Hälfte gespart.

Und Hoffmann – also das war ich – wollte 1831, dass der Meier, der dann später hierher kam und im Segen wirkte, durchgesetzt wird. Hoffmann hat das schon richtig gesehen. Hoffmann wollte das durchdrücken. Barner hat zu ihm gesagt: „Ich würde nicht so schnell im Brüdergemeinderat auf Abstimmung drängen.“ Aber Hoffmann wollte es durchziehen und ist unterlegen.

Die Mehrzahl im Brüdergemeinderat hat dafür gestimmt, dass der Berner die Gemeindeschule auch noch mit übernimmt. Und sie haben sogar den Berner im gleichen Atemzug noch in den Brüdergemeinderat nachgewählt. Das hat Hoffmann als eine Kränkung empfunden.

Jetzt schreibt der Berner – das heißt, seine Frau schreibt: „Mein Mann kam heim und hat bloß geklagt: ‚Ach Mutter, ach Mutter!‘ Vor lautem Jammer konnte er lange nicht sagen, was passiert war. Zuerst dachte ich, mein Bruder Johannes sei gestorben. Aber dann erzählte er mir die ganze Geschichte, wie plötzlich Hoffmann ergrimmt sei, aufgesprungen sei und erklärt habe, er werde sein Vorsteheramt niederlegen. Und dann habe er über Johannes Kullen all seinen Grimm ausgegossen, den er seit zwölf Jahren gegen ihn angesammelt hatte.“

Sehen Sie, warum der Kapf später gesagt hat: „In Korntal, tun Sie Brüderles, aber mit dem Brüdersein ist es nicht so arg.“ Gleich dem lieben Vorsteher Hoffmann einen Zettel zu schreiben und durch ein Kind hinbringen zu lassen: „Ich bat ihn aufs allerbeweglichste, doch nichts nachzutragen.“

Dass es zu einem überaus herzlichen Miteinander zwischen Johannes Kullen, Hoffmann, Barner und nachher Meier kam, hatte seinen Auslöser in dem kleinen Zettel der Christine und in den Gebeten, die diese Botschaft begleitet haben.

Die Gabe der Christine war nicht bloß, Spannungen zu erspüren, sondern auch zu entschärfen – die große Gabe der Frauen, das, was wir Männer nicht können: Spannungen entschärfen und einen Weg nach vorne finden.

Frömmigkeit und Trost in schweren Zeiten

In ihrer ganzen Frömmigkeit lebte Christine ganz in der Tradition des älteren Pietismus. Sie sagte: „Ich will mich vor Gott prüfen lassen, wie er über mich denkt.“ Neben der Bibel hielt sie sich an die vielen Chorele und geistlichen Lieder, besonders auch in Tagen großer Not.

Innerhalb von vier Jahren sind bei Johannes Kullen zwei Frauen mit kleinen Kindern gestorben, nicht aber sein Bruder. Es war eine Seuche ausgebrochen, die nicht nur im Kinderheim, sondern auch in der Knabenanstalt wütete. Diese wurde dann auf die Solitude evakuiert, wobei der König geholfen hat. Die Menschen litten unter Nervenfieber. Es gab Krankheiten neben all der Armut. Christine holte ihren Trost in Chorelen und der Bibel.

Wie liebevoll konnte sie ihren Nichten und Neffen schreiben, besonders den Patenkindern. Deshalb war die Nachricht vom Tod der 42-jährigen Christine eine große Erschütterung – nicht nur in Korntal, sondern in einem weiten Familien- und Freundeskreis. Nach einer Totgeburt, die eigentlich eine Fehlschwangerschaft war, ging sie plötzlich zu sterben.

Im Sterberegister, dem Auszug aus dem Totenbuch, steht einige Tage vor ihrem Tod: Mutter Christine, Vater Andreas. Wahrscheinlich war es ein Kind, das nicht lebensfähig war. In der Nacht wurde ihr Bruder Johannes Kullen zu ihr geholt, obwohl er selbst körperlich schwer angeschlagen war.

Er überlegte vor Gott: Darf ich nicht bitten, dass die Schwester am Leben bleibt – für die Anstalt, für Korntal, für ihre sieben Kinder? Doch dann hatte er das Empfinden, dass der Herr Jesus ein solches Gebet nicht zulässt. Er sagte zu seiner Schwester: „Schwester, du bist reif für die Ewigkeit und wirst jetzt heimgehen. Mach dich von allem los, leg deine Kinder und deinen Mann dem Herrn hin. Sie sind in der Korntaler Gemeinde, und wir wollen für sie tun, was wir nur können. Aber du schicke dich zum Heimgehen zum Herrn.“

Das war alles andere als unsensibles oder uneinfühlsames Geschwätz. Johannes Kullen wusste, wie es ist, wenn Gott auch Ehefrauen, an denen man hängt, zu sich holt. Er kannte das vom Sterben seiner beiden Frauen: der Wilhelmine, geborene Dietrich, seiner ersten Frau, und der Therese Hurter. Er hatte erlebt, wie Korntal Trauernden beistehen kann – nicht durch Geschwätz, sondern durch Fürbitte und Begleitung.

Vermächtnis und Hoffnung für die Kinder

An den Kindern, die die sterbende junge Frau zurücklassen musste, wurde der Liedvers wahr, den sich Christine immer wieder auf dem Sterbelager vorsagen und vorsingen ließ. Immer wieder den Vers: "Den Armen und Elenden will er zum Segen wenden, was ihnen schwer will sein." Es gehe, wie es gehe, so weiß der in der Höhe schon Rat und Hilf für alle Pein.

Den Armen und Elenden will er zum Segen wenden, was ihnen schwer will sein. Dieser Vers wurde auch zum Segen für die sieben unmündigen Kinder, die im August 1837 neben dem gebrochenen Ehemann und dem fast noch mehr gebrochenen Bruder Johannes am Grab standen.

Es war der elfjährige Gottlob, später Pfarrer in Barmen, die zehnjährige Christine, die Stammmutter der Pfarrer- und Dekanefamilien Lips, Reber, Conrad, vor allem in der Pfalz. Die neunjährige Sophie, später verheiratet mit dem Korntaler Rettungshausvater Mundle und damit Stammmutter all der weitverzweigten Familien Mundle bis hin zum Professor Wilhelm Mundle und Gottlob Lang, Heinrich Lang, Hoforganist, Stiftsorganist Lang bis hin zum Dekan Langenfreudenstadt. Die siebenjährige Gottliebin, Stammmutter der Theologenfamilien Vosswinkel und Schäfer, der fünfjährige Johannes, Präzeptor, der ledig blieb, der vierjährige Christian, der jung verstarb, und der erst zweijährige Andreas, später Hoforganist in Karlsruhe und Stammvater des badischen Dekane-Geschlechts Barner, Kühlewein.

"Den Armen und Elenden kann er zum Segen wenden, was ihnen schwer will sein." Aber nicht nur an diesen sieben leiblichen Kindern zeigte sich die Frucht des in Liebe tätigen Glaubens der Mutter Christine.

Six Karl Käppf, der damals vorhin in Korntal war und später Prälat wurde, schrieb als Prälat die Geschichte Korntals und Wilhelmdorfs. Er berichtet dort auch vom Auszug, den Bruder Roth ihm gab: Christine Banner, die sich zur Armut und Niedrigkeit der armen Schulanstalt so vorzüglich eignete, steht mit ihrem Mann so der Anstalt vor, dass wir am äußeren und inneren Gedeihen der Kinder gesegnete Früchte ihrer Arbeit deutlich wahrnehmen.

Schlusswort: Dank und Ermutigung

Gott gebe erleuchtete Augen eurer Hoffnung, die unvorstellbare Armut und den unauslotbaren Reichtum in der Gegenwart Jesu erkennen lassen. Er zeigt, was er mitten in Armut und menschlicher Schwachheit wirken kann.

Ein lebendiges Beispiel dafür ist: Seid fest, unbeweglich und nehmt immer zu im Werk des Herrn, weil ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist, da Jesus da ist.

Herr, wir danken dir, dass du in unserem schwachen Leben das wahrmachen kannst, was du vollbringst. Wir danken dir, dass du dies an den Nachkommen der Christine wahrgemacht hast und dass du dich um Menschen kümmern kannst.

Wir wollen dir all die Menschen anvertrauen, um die wir uns sorgen, auch die Einrichtungen von Korntal und die vielen diakonischen Werke und Aufgaben. Gib denen, die darin wirken, Geduld und Zuversicht, dass du auch heute noch da bist.

Amen.