Einführung in die Frage der Versuchbarkeit Jesu
Gott wird Mensch – Leben und Lehre des Mannes, der Retter und Richter, Weg, Wahrheit und Leben ist. Episode zweiundsiebzig: Konnte Jesus sündigen?
Diese Woche beschäftigen wir uns mit der Versuchung Jesu in der Wüste. Die Versuchung Jesu wird üblicherweise mit der Frage verbunden, ob der Herr Jesus überhaupt sündigen konnte. Diese Frage ist besonders interessant, weil im Jakobusbrief steht: „Niemand sage, wenn er versucht wird, ich werde von Gott versucht. Denn Gott kann nicht versucht werden vom Bösen, er selbst aber versucht niemand“ (Jakobus 1,13).
Die Versuchung zum Bösen, also zur Sünde, ist eine Versuchung, die niemals von Gott kommt. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Gott prüft unseren Glauben. Er erschafft Situationen oder lässt sie zumindest zu, in denen wir uns als Gläubige beweisen müssen. Solche Situationen offenbaren ganz klar, wie wir geistlich stehen.
Die Wüstenwanderung ist zum Beispiel eine solche Situation. Der Generation, die ins verheißene Land Kanaan einzieht, wird gesagt: „Und du sollst an den ganzen Weg denken, den der Herr dein Gott dich diese vierzig Jahre in der Wüste hat wandern lassen, um dich zu demütigen, um dich auf die Probe zu stellen und um zu erkennen, was in deinem Herzen ist, ob du seine Gebote halten würdest oder nicht“ (5. Mose 8,2).
Gott ist ein Gott, der uns auf die Probe stellt.
Unterschied zwischen göttlicher Prüfung und Versuchung durch den Teufel
Ich weiß, dass sich eine Prüfung Gottes und eine Versuchung durch den Teufel auf der Ebene des Erlebens sehr ähnlich anfühlen können.
Während der Versucher jedoch unser geistliches Leben zerstören will, sind die Prüfungen, die Gott uns zumutet, immer etwas Gutes. Auch der Herr Jesus prüft den Glauben seiner Jünger. So heißt es in Johannes 6,5-6: „Als nun Jesus die Augen aufhob und sah, dass eine große Volksmenge zu ihm kommt, spricht er zu Philippus: ‚Woher sollen wir Brote kaufen, dass diese essen?‘ Dies aber sagte er, um ihn zu prüfen; denn er selbst wusste, was er tun wollte.“
Der Herr Jesus prüft also den Glauben von Philippus. Gott prüft unseren Glauben, damit wir einen bewährten, einen starken Glauben bekommen.
Gott versucht niemanden zum Bösen, wie Jakobus schreibt. Er tut das nicht, weil er selbst nicht vom Bösen versucht werden kann. Gott ist in seiner Heiligkeit immun gegen Sünde – und zwar in dem Sinn, dass Sünde seiner Natur komplett widerspricht.
Da der Herr Jesus Gott in Menschengestalt ist, wird daraus geschlossen, dass auch er unfähig war zu sündigen.
Argumente gegen die Unfähigkeit Jesu zu sündigen
Ich glaube das nicht, und deshalb erlaube ich mir an dieser Stelle ein paar Einwände.
Ich beginne mit Jakobus 1,13. Wenn man sich bei seiner Argumentation auf diesen Vers stützt, heißt es dort: "Niemand sage, wenn er versucht wird, ich werde von Gott versucht. Denn Gott kann nicht versucht werden vom Bösen, er selbst aber versucht niemand."
Hört ihr, wie Jakobus das formuliert? Gott kann nicht vom Bösen versucht werden. Bei Jesus ist das jedoch ganz klar anders. Der Mensch Jesus kann vom Bösen versucht werden.
Was für Gott gilt – und meines Erachtens auch für Gott vor seiner Menschwerdung galt –, nämlich dass er nicht vom Bösen versucht werden kann, gilt nicht für die Zeit nach der Inkarnation.
Im Philipperbrief 2 lesen wir, dass der Herr Jesus sich mit seiner Menschwerdung seiner Gottgleichheit entleerte oder entblößte. Eine Sache, die sich dadurch ganz klar änderte, war, dass er als Mensch vom Bösen versucht werden konnte, obwohl das vorher unmöglich war.
Die Menschlichkeit Jesu und die Möglichkeit der Sünde
Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir im Blick auf Jesus seine Menschlichkeit ernst nehmen und ihn in unserem Denken nicht zu einem Halbgott machen. Weil Jesus ganz Mensch war – mit allen Einschränkungen und eben auch versuchbar – gehe ich davon aus, dass er auch sündigen konnte.
Ich möchte euch dazu fünf ergänzende Gedanken geben.
Erstens: Wenn Jesus nicht sündigen konnte, dann besitzt er in moralischen Fragen keinen freien Willen und ist weniger frei als andere Menschen. Wenn es um Moral geht, würde er dann auf der Stufe von Tieren stehen, die ebenfalls nicht fähig sind, eine moralische Entscheidung zu treffen. Aber wie kann Jesus dann als der letzte Adam bezeichnet werden? Denn auch wenn der Sündenfall total traurig ist, ist die Fähigkeit zum Sündigen genau das, was den ersten Adam ausmachte.
Zweitens: Wenn Jesus nicht sündigen konnte, dann ist sein Sieg über den Satan – und damit der Sieg Gottes über den Satan – keine große Sache. Es wäre dann nur eine logische Konsequenz, so wie wenn ich mit meinem kleinen Enkel um ein Kuscheltier balge. Ich werde immer gewinnen, einfach immer.
Drittens: Wenn Jesus nicht sündigen konnte, dann war die Versuchung in der Wüste keine wirkliche Versuchung. Wenn ich etwas Böses nicht tun kann, dann ist die Versuchung zu diesem Bösen keine Versuchung – jedenfalls nicht in dem Sinn, wie wir Menschen den Begriff Versuchung verstehen. Ein Beispiel: Für mich ist es keine Versuchung, irgendwen mit Polonium zu vergiften. Polonium ist giftig, das wissen wir spätestens seit 2006, als Alexander Litwinenko damit vergiftet wurde. Trotzdem ist es für mich keine Versuchung, jemanden mit Polonium zu vergiften. Warum? Weil ich wirklich keine Idee habe, wie ich an Polonium herankommen soll – überhaupt keine. Das meine ich mit: Wenn ich etwas Böses nicht tun kann, dann ist die Versuchung zu diesem Bösen keine Versuchung.
Viertens: Wenn Jesus nicht sündigen konnte, dann wurde er auch nicht in gleicher Weise wie wir versucht. Aber genau das steht in der Bibel, Hebräer 4,15: „Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitleid haben könnte mit unseren Schwachheiten, sondern der in allem in gleicher Weise wie wir versucht worden ist, doch ohne Sünde.“ In gleicher Weise wie wir – doch ohne Sünde. Der Unterschied von Jesus zu allen anderen Menschen besteht nicht darin, dass er nicht sündigen konnte. Er wurde versucht wie wir. Der Unterschied besteht darin, dass er nicht sündigte, obwohl er versucht wurde. Ganz Mensch und doch ohne Sünde – das ist das Wunder. Ein zweiter Adam, der im Angesicht der Versuchung nicht versagt, obwohl er grundsätzlich hätte versagen können.
Fünftens: Wenn Jesus nicht sündigen konnte, dann konnte er als Mensch auch nur sehr eingeschränkt Gott lieben. Das klingt vielleicht auf den ersten Moment komisch, aber Gottes Liebessprache ist Gehorsam. „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt“, so kann der Herr Jesus im Blick auf sich formulieren. Gebote haben und halten ist ein Ausdruck von Liebe. Aber warum ist das so? Weil im Halten der Gebote die Entscheidung zum Glauben beziehungsweise zur Nähe steckt. Diese Entscheidung wird motiviert von der Liebe, die ich für Gott empfinde. Wenn Gehorsam für mich aber keine Entscheidung ist, sondern Instinkt – ja, ich bin gehorsam, weil ich nicht anders kann – dann ist Gehorsam auch kein Ausdruck meiner Liebe zu Gott mehr.
Schlussgedanken und Einladung zum Dank
Soweit meine Gedanken zu der Frage, ob der Herr Jesus in der Wüste hätte versagen können. Ich denke tatsächlich, dass er sündigen hätte können.
Nimm dir ein paar Minuten Zeit, um dem Herrn Jesus dafür zu danken, dass er für dich Mensch wurde. Das war ein wirklich großes Opfer.
Das war's für heute. Wenn du die Frogwords App noch nicht hast, besorge sie dir doch. Der Herr segne dich, erfahre seine Gnade und lebe in seinem Frieden. Amen.