Herr Präsident! Das Thema wurde so formuliert, und es wurde gewünscht, dass ich über Rettung, Heilsgewissheit und Heilssicherheit spreche. Dem Programm habe ich entnommen, dass man sich an einem Buchtitel orientiert, der hier Bezug nimmt.
Ich habe vor einigen Jahren, etwa vor zehn Jahren, ein Buch geschrieben mit dem Titel „Wo hört die Gnade Gottes auf?“ Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich damals lange überlegte, welchen Titel ich für dieses Buch wählen sollte. Da fiel mir mein alter Volksschullehrer ein. Er pflegte zu sagen, wenn er ganz außer Fassung war: „Jetzt hört doch alles auf. Also jetzt hört alles auf.“
Irgendwie gab mir das den Gedanken, die Frage zu stellen: Hört die Gnade Gottes auch irgendwo und irgendwann einmal auf? So kam ich zu diesem Titel: „Wo hört die Gnade Gottes auf?“ Ich versuchte darin zu zeigen, dass Gottes Gnade nie aufhört und dass darin unsere Gewissheit begründet liegt.
Ich bin im Grunde noch immer einverstanden mit dem, was ich in diesem Buch schrieb. Gestern suchte ich, weil Rainer mich fragte, ob ich 20 oder 30 Exemplare mitbringen könnte. Ich habe aber keine mehr und fand nicht einmal ein persönliches Exemplar. Das war nicht böse gemeint, ich erwähnte es nur so.
Ich bin also weiterhin von dem überzeugt, was ich dort schrieb. Aber etwas würde ich jetzt ändern: Ich würde den Titel des Buches ändern. Das wird man gleich zu Beginn meines Vortrags bemerken.
Die Frage, die wir vorher stellen müssen – noch vor der Frage „Wo hört die Gnade Gottes auf?“ – lautet nämlich: Wo fängt die Gnade Gottes an? Wir müssen eigentlich dort anfangen, denn nur von diesem Punkt aus können wir die zweite Frage beantworten: Wo hört die Gnade Gottes auf?
Grundlegende Überlegungen zur Gnade Gottes
Nun habe ich die Absicht, das Thema anders zu entfalten als in jenem Buch. Dort bin ich von Hebräer Kapitel 10 ausgegangen, wo der Schreiber des Hebräerbriefes ganz deutlich macht, dass die Errettung am Willen Gottes liegt. Das ist eigentlich der richtige Aufhängepunkt. So habe ich das Buch auch begonnen – bei der Rettung, die mit Gottes Willen beginnt.
Heute möchte ich jedoch anhand des Römerbriefes versuchen zu zeigen, wie Paulus dort das Evangelium lehrt. Natürlich können wir den Römerbrief nicht gemeinsam im Detail studieren. Dennoch will ich in meinen vier Beiträgen folgende Schwerpunkte setzen, und zwar in der Reihenfolge, in der Paulus selbst argumentiert.
Erstens: die Herrlichkeit Gottes. Hier habe ich mich verschrieben. Es sollte nicht Römer 1,1-7 heißen, sondern Römer 1,1-17.
Zweitens erörtert Paulus sehr ausführlich den Zorn Gottes, und zwar in Römer 1,18 bis 3,20.
Drittens entfaltet Paulus die Gnade Gottes, und zwar in Römer 3,21 bis 8,39.
In meiner Übersicht habe ich zwar drei Kapitel ausgelassen, und zwar Römer 9 bis 11. Das liegt nicht daran, dass diese Kapitel unwichtig wären. Dort steht ganz Wesentliches. Für unsere Fragestellung können wir jedoch diesen heilsgeschichtlichen Einschub darüber, wie das Evangelium Gottes Israel als Nation betrifft, auslassen.
Der vierte Punkt ist die Forderung Gottes, die Paulus in Römer 12,1 bis 15,13 beschreibt.
Je länger ich darüber nachgedacht habe – ich war an einer Konferenz in Berlin zu Ostern, bei der das Thema „Das Evangelium Gottes“ behandelt wurde – desto mehr wurde ich von der inneren, geradezu zwingenden Logik der Entfaltung der Gedanken im Römerbrief überzeugt. So entstand diese Aufstellung.
Die Logik der paulinischen Evangeliumsverkündigung
Als Erstes muss Gott selbst stehen. So beginnt Paulus die Lehre über das Evangelium – er beginnt mit Gott.
Als Nächstes kommen jedoch nicht, wie wir vielleicht denken würden, die Bedürfnisse des Menschen. Stattdessen kommt der Zorn Gottes. Dieser Zorn richtet sich nicht darauf, weil der Mensch ein so armer und sinnentleerter ist, sondern weil der Mensch böse ist. Das Problem des Menschen ist also nicht seine Sinnentleerung, sondern seine Bosheit.
Paulus stellt als Zweites Gottes Zorn dar und argumentiert dies sehr ausführlich. Er zeigt den Menschen von allen Seiten so in die Enge getrieben, dass an ihm nichts Gutes mehr bleibt – gar nichts. Auch keine Hoffnung mehr, nichts, null, fertig. Er zertrümmert alles.
In der Philosophiegeschichte wurde Kant oft als der „Alleszermalmer“ bezeichnet, weil er alle bisherigen philosophischen Systeme auf den Kopf stellte. Doch wir können Kant hier vergessen. Was der gute Evangelist tut – und Paulus ist ein von Gott befähigter Evangelist – ist Folgendes: Nachdem er Gott an den Anfang gestellt hat, zermalmt er alles. Er zermalmt den Menschen.
Er zeigt, dass der Mensch unter Gottes Zorn steht – und zwar von allen Seiten. Er begründet auch, weshalb das so ist. Außerdem zeigt er, dass der Mensch keine Möglichkeit, keine Fähigkeit und auch kein Recht hat, diesem gerechten Zorn Gottes zu entkommen.
Diese Erkenntnis bereitet den Menschen erst darauf vor, Gottes Gnade zu verstehen. So kommt als Drittes die Gnade Gottes ins Spiel. In Römer 3,21-39 finden wir wunderbare, großartige und erstaunliche Aussagen über Gottes Gerechtigkeit, Gottes Gnade, Gottes Heiligkeit, Gottes Liebe, Gottes Weisheit und Gottes Macht.
Dort wird beschrieben, wie Gott dem schuldigen Menschen, der verdienterweise unter seinem Zorn steht, ewiges Heil bereitet.
Aus der Gnade Gottes ergibt sich viertens ganz zwingend die Forderung Gottes: ein Leben der bedingungslosen, vollständigen Hingabe an diesen Gott.
Wir sollten das Evangelium als eine geschlossene Botschaft ansehen. Es ist niemals richtig, die Errettung allein als ein Werk Gottes und als ein sicheres Werk losgelöst darzustellen. Vielmehr müssen wir immer sehen, dass ein unverzichtbarer Teil des Evangeliums das ist, was ab Römer 12 bis zum Schluss gelehrt wird: ein Leben für den Gott aller Gnade.
Dies ist ein Teil der Errettung und nicht ein freiwilliger Zusatz für besonders Willige.
Deshalb bin ich ganz einverstanden und sehr dafür, dass wir von Jüngerschaft sprechen und auch Jüngerschaft anleiten. Dennoch habe ich immer ein wenig Sorge, dass sich bei manchen Leuten der Gedanke festsetzt, es gäbe ein Christenleben, in dem man zunächst Christ ist und gerettet wird, und danach gäbe es für besondere Leute noch Jüngerschaft.
Die Bibel kennt diese Unterscheidung eigentlich nicht. Sie ist künstlich.
Ein Geretteter ist ein Jünger. Wer durch Gottes Gnade errettet ist, der ist zugleich durch Gottes Willen unterworfen und lebt fortan nach Gottes Willen.
Das ist eine ganze Sache. Und wir sollten das, was Gott zusammengefügt hat, auch hier nicht scheiden.
Einführung in das Evangelium nach Römer
Gut, ich beginne jetzt mit dem ersten grundlegenden Argument: die Herrlichkeit.
Jetzt lesen wir miteinander Römer 1, die Verse 1 bis 17.
So, jetzt habe ich wieder versäumt, wie fast immer, auf die Uhr zu schauen, wann wir angefangen haben. War es fünf nach zehn? Denn ich darf höchstens, soweit ich weiß, fünfundvierzig bis dreiviertel Minuten reden. Danach ist die Kassette voll. Deshalb muss ich auf die Uhr achten und spätestens um zehn vor elf aufhören.
Römer 1,1-17:
Paulus, Knecht Jesu Christi, berufener Apostel, abgesondert zum Evangelium Gottes, das er zuvor durch seine Propheten in den heiligen Schriften verheißt hat, über seinen Sohn, der aus dem Samen Davids gekommen ist, dem Fleische nach, und als Sohn Gottes in Kraft erwiesen wurde, dem Geist der Heiligkeit nach durch die Auferstehung von den Toten: Jesus Christus, unseren Herrn. Durch ihn haben wir Gnade und Apostelschaft empfangen, um seinen Namen zum Glaubensgehorsam unter allen Nationen zu bringen, unter denen auch ihr seid, die Berufenen Jesu Christi.
Allen Geliebten Gottes, Berufenen Heiligen, die in Rom sind, sei Gnade und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
Zuerst danke ich meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle, dass euer Glaube in der ganzen Welt verkündet wird. Denn Gott ist mein Zeuge, dem ich im Geist diene im Evangelium seines Sohnes, wie ich unablässig an euch denke und allezeit in meinen Gebeten für euch flehe. Nun hoffe ich endlich, durch den Willen Gottes, so glücklich zu sein, zu euch zu kommen.
Denn ich sehne mich sehr danach, euch zu sehen, um euch eine geistliche Gnadengabe mitzuteilen und euch zu stärken. Dabei möchte ich mit euch getröstet werden, jeder durch den Glauben des anderen, sowohl euer als auch mein Glaube.
Ich will aber nicht, dass euch unbekannt bleibt, Brüder, dass ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen, aber bisher verhindert wurde. Ich möchte auch unter euch Frucht bringen, so wie unter den übrigen Nationen.
Ich bin sowohl Griechen als auch Barbaren, sowohl Weisen als auch Unverständigen ein Schuldner. Ebenso bin ich bereit, euch, die ihr in Rom seid, das Evangelium zu verkündigen. Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist Gottes Kraft zum Heil für jeden, der glaubt, sowohl für den Juden zuerst als auch für den Griechen.
Denn darin wird Gottes Gerechtigkeit offenbart, die aus Glauben zum Glauben führt, wie geschrieben steht: Der Gerechte wird aus Glauben leben.
Das Evangelium als lebendige Kraft Gottes
Paulus lehrt hier das Evangelium auch für Gläubige. Das soll uns zeigen, dass es beim Evangelium um mehr geht als nur um das bloße Wissen um die Botschaft, die uns rettet. Es ist auch eine Wahrheit, die die Gläubigen unterweist und stärkt.
Er schreibt: „Ich will euch, die ihr in Rom seid, das Evangelium verkündigen.“ Da er selbst nicht reisen kann, tut er dies durch diesen Brief. In ihm lehrt er das Evangelium.
Wie stellt Paulus sich hier vor? Er nennt sich einen Knecht Jesu Christi und sagt, er sei abgesondert zum Evangelium Gottes. Diese beiden Ausdrücke zeigen uns, dass das Evangelium oder Gott durch das Evangelium Dinge an uns tut, die wir von Natur aus nie täten.
Niemand will ein Sklave sein. Niemand wählt das einfach so. Die Menschen, die Sklaven der Sünde sind, können nicht anders. Sie haben zwar die Sünde gewählt, sie lieben die Sünde und wählen sie, doch sie halten sich für frei. Sie sind frei zu sündigen, frei das Böse zu tun, und deshalb sind sie Knechte.
Niemand aber wählt bewusst, ein Knecht zu sein. Wir wollen alle unabhängig sein.
Zweitens: Das hätten wir noch verstehen können. Aber das Zweite begreifen wir noch weniger: abgesondert zum Evangelium. Hier sagt Paulus, ein anderer hat seine Aufgabe für ihn bestimmt. Das ist etwas, das uns überhaupt nicht behagt. Wir wollen doch selbst unser Leben einrichten und uns aussuchen, was uns liegt, was uns gefällt.
Doch Paulus sagt: Ein anderer hat über mich verfügt und mich abgesondert. Das sagt er nicht nur hier, sondern auch an anderen Stellen. Im Galaterbrief sagt er, dass Gott ihn aussonderte für diesen Dienst, bevor er geboren war. Gott hat ihn nicht einmal gefragt, ob er damit einverstanden sei, sondern ihn vorher schon dazu ausgesondert.
Warum sage ich das? Warum lege ich so viel Gewicht darauf? Um uns bewusst zu machen, dass das Evangelium tatsächlich Gottes Kraft zur Rettung für den Glaubenden ist. Hier tut Gott Dinge an Menschen, die natürlich nicht zu erklären sind und die kein Mensch sich ausgedacht oder gewünscht hätte.
Das Evangelium kommt von Gott. Es geht von Gott aus, und im Evangelium geht es um Gott. Er offenbart sich hier, es ist sein Werk.
Das müssen wir mit besonders starkem Nachdruck betonen, seitdem sich das Denken vollständig durchgesetzt hat, dass der Mensch die Mitte der Welt sei, mündig sei, seines eigenen Glückes Schmied sei und die Hauptsache und das Wichtigste sei.
Das hat natürlich auch das Denken und Urteilen der Christen beeinflusst, sodass viele von uns denken, beim Evangelium gehe es darum, dass es dem Menschen gut geht, dass er zufrieden und glücklich wird und Frieden bekommt.
Nein, nicht der Mensch ist die Hauptsache, sondern Gott. Das Evangelium geht von Gott aus, und Paulus nennt es deshalb „das Evangelium Gottes“ (Römer 1,1). So nennt er es.
Er nennt es nicht „das Evangelium von der Wohlfahrt des Menschen“ oder „das Evangelium vom Glück des Menschen“, sondern „das Evangelium Gottes“.
Als Zweites nennt er es „das Evangelium Jesu Christi“, das Evangelium des Sohnes Gottes (Römer 1,9).
Die unerwartete Begegnung mit Jesus Christus
Wilhelm Busch, der Jugendpfarrer Wilhelm Busch, hat in seiner sehr farbigen Art ausgedrückt, wie das Evangelium ihn ergriff. Das gefällt mir besonders, weil Wilhelm Busch ein Evangelist war. Wir denken bei Evangelisten oft an Menschen, die einfach darauf aus sind, andere vom Glauben an Jesus Christus zu überzeugen. Das stimmt auch, denn genau das tun sie.
Doch Wilhelm Busch war davon überzeugt, dass nicht er Gott, den Herrn, gesucht hat, sondern dass Gott ihn gesucht hat. Nicht er hat Jesus Christus gesucht, sondern Jesus Christus hat ihn gefunden. Er sagte sehr drastisch, dass Jesus ihm in den Weg getreten sei – ganz ähnlich wie bei Paulus. Ich zitiere aus einem schmalen Bändchen von Wilhelm Busch mit dem Titel „Freiheit aus dem Evangelium – meine Erfahrungen mit der geheimen Staatspolizei“. Dort heißt es einleitend: „Irgendwann in meinem Leben, als ich ein junger Mann war, bin ich auf Jesus gestoßen wie ein Auto, das nicht mehr ausweichen kann und gegen eine Mauer fährt.“
Manche von uns denken vielleicht: Das stimmt doch gar nicht, ich habe doch selbst gewählt, ich habe mich doch entschieden, das kam doch alles von mir aus. Doch Busch stellt es ganz anders dar. Er sagt: „Ich bin auf Jesus gestoßen wie ein Auto, das nicht mehr ausweichen kann und gegen eine Mauer fährt.“ Und das ist ja weder gewünscht noch erwünscht.
Paulus ging es ganz ähnlich. Er war nicht darauf aus, Christ zu werden. Im Gegenteil: Er verfolgte die Christen und wollte ihren Glauben ausrotten. Doch dann ist ihm der Herr einfach in den Weg getreten. Der Aufprall war so heftig – wirklich wie ein Autounfall. Paulus wurde niedergeschmettert. Der Anblick, der sich ihm bot, war furchtbar. Er war drei Tage blind, was entsetzlich war. So ist ihm der Herr einfach in die Quere getreten.
Das geschah bei Paulus auf besonders drastische Weise. Aber es ist ganz ähnlich, was Wilhelm Busch beschreibt: Er konnte nicht mehr ausweichen, wie ein Auto, das in eine Mauer fährt. Und da wurde der, der am Kreuz für die Welt gestorben ist, sein Herr.
Diese Erfahrung verändert das Leben so vollständig, dass man geschieden ist von denen, die Jesus nicht kennen. Ja, so heißt es: Das Evangelium Gottes ist eine Botschaft, die von Gott ausgeht. In ihr wirkt Gott, und es geschehen Dinge, die Menschen sich selbst nicht ausgedacht oder ausgesucht hätten. Menschlich sind sie auch gar nicht zu erklären. Es ist keine menschliche Botschaft.
Durch das Evangelium offenbart sich Gott, sein Wesen und sein Charakter. So sagt es Paulus am Schluss des ersten Abschnittes, den wir gelesen haben, in Römer 1,17: „Denn Gottes Gerechtigkeit wird darin geoffenbart.“ Das Evangelium offenbart Gottes Wesen und Gottes Herrlichkeit. Paulus nennt das Evangelium an anderer Stelle „das Evangelium der Herrlichkeit“.
Die vielfältigen Bezeichnungen des Evangeliums
Ich habe hier alle Bezeichnungen aufgelistet, die das Neue Testament für das Evangelium verwendet. Am häufigsten wird einfach „das Evangelium“ genannt, dann „das Evangelium Gottes“ – eine Reihe von Stellen, im Römerbrief zweimal. Weiter gibt es das „Evangelium der Herrlichkeit des seligen Gottes“, das offenbart also Gottes Wesen.
Dann das „Evangelium seines Sohnes“, das den Sohn Gottes offenbart, wer er ist und was er getan hat. Ebenso das „Evangelium Jesu Christi, des Sohnes Gottes“, das „Evangelium unseres Herrn Jesus Christus“, das „Evangelium des Christus“ und das „Evangelium der Herrlichkeit Christi“. Hier merken wir, wo der Schwerpunkt bei all diesen Bezeichnungen liegt.
Außerdem gibt es das „Evangelium des Reiches Gottes“. Es geht um seine Herrschaft, dass er regiert. Dann das „Evangelium der Gnade Gottes“, das „Evangelium eures Heils“ und das „Evangelium des Friedens“. Drei Bezeichnungen, die nur einmal verwendet werden, zeigen uns, was der Mensch dabei empfängt: Heil, Frieden und Gutes.
Die erdrückende Mehrheit der anderen Bezeichnungen zeigt uns, dass Gott die Hauptsache ist. Ich befürchte, dass wir die Sache auf den Kopf gestellt haben, so wie das Evangelium heute oft präsentiert wird und was sich in den Köpfen der Leute festsetzt. Irgendwie wird das Evangelium als eine geniale Methode dargestellt, damit man glücklich wird im Leben und gut leben kann.
Das ist aber eine ganz untergeordnete Sache, so wie das Neue Testament das Evangelium darlegt. Das ist eine Folge, aber nicht das Herz des Evangeliums. Überhaupt nicht gehört das zur Botschaft selbst, sondern ist eine Folge der Botschaft.
Ich habe das dann so gegenübergestellt: das Evangelium der Herrlichkeit Gottes oder die frohe Botschaft von der Würde des Menschen. Was ist das? Ich habe hier A, B, C aufgeschrieben, so wie meistens argumentiert wird.
A: Der Mensch hat Probleme. Meistens beginnt man mit der Not des Menschen. Man erklärt seine Ratlosigkeit, Hilflosigkeit, Kriege, Ungerechtigkeit – all solche Dinge geschehen in der Welt. Der Mensch hat Probleme.
B: Die Sehnsucht des Menschen. Jeder Mensch will zufrieden sein, Frieden haben, Geborgenheit erfahren. Also kommen die Bedürfnisse des Menschen als zweites.
C: Dann baut man immer auf die Fähigkeiten des Menschen. Das ist ein reiner Gedanke der Aufklärung. Man muss den Menschen nur genügend unterweisen und unterrichten, und danach wird er von selbst das Richtige tun.
Die Schlussfolgerungen, die man dann bei der Präsentation des Evangeliums sieht, sind eben:
a) Der Mensch hat Probleme, ihm muss geholfen werden.
b) Der Mensch braucht Geborgenheit, Anerkennung und so weiter, das muss ihm angeboten werden.
c) Der Mensch muss dazu gebracht werden, Gottes Angebot zu hören und zu verstehen, dann wird er von selbst danach greifen.
Das klingt alles menschenfreundlich und gut. Aber wenn wir einmal das Neue Testament daraufhin untersuchen, merken wir, dass das Neue Testament die Gewichte ganz anders setzt. Keiner der Apostel und auch der Herr haben das Evangelium unter diesen Voraussetzungen und in dieser Weise gepredigt – überhaupt nicht.
Am Anfang stellt Paulus dar: Es ist das Evangelium Gottes, es ist das Evangelium seines Sohnes. Es geht im Evangelium um Gottes Kraft, Gottes Wirken (Vers 16), Gottes Gerechtigkeit, seine Wesenheit und seinen Charakter. Allein am Römerbrief können wir am Evangelium Gottes Treue und Wahrhaftigkeit, Gottes Gerechtigkeit, Gottes Liebe, Gottes Güte und Erbarmen, Gottes Gnade, Gottes Weisheit, Gottes Kraft und Gottes Souveränität ablesen.
Das Evangelium enthüllt uns Gottes Wesenheiten, eben Gottes Herrlichkeit. Gedanken und unsere Herzen werden in Gottes Wesen selbst verankert – wer Gott ist und wie Gott ist. Erst von dort können wir auch Gewissheit bekommen in der Frage, die uns heute beschäftigt: Heilsgewissheit, Heilsicherheit.
Das muss von daher beantwortet und ins Licht gestellt werden – von Gott her. Erst in Gottes Licht sehen wir das Licht (Psalm 36,10). „Bei dir ist der Quell des Lebens, in deinem Licht sehen wir das Licht.“
Gott steht also am Anfang. Er ist der Urheber des Evangeliums. Paulus bekräftigt das gleich in der Einleitung durch einen eingeschobenen Vermerk. Er kommt später am Schluss, nachdem er das ganze Evangelium dargelegt hat, in Römer 8, seinem ersten großen Höhepunkt, und erinnert dort daran, dass das Evangelium ja mit Gott beginnt, nicht mit uns.
In Römer 1,2 schiebt Paulus in einer Klammer diese Bemerkung ein. Wir fragen uns: Warum sagt er das? Sicher hat er mehrere Gründe, aber ein Grund ist folgender:
Römer 1,1-2: „Paulus, Knecht Jesu Christi, berufener Apostel, abgesondert zum Evangelium Gottes, welches er durch seine Propheten in heiligen Schriften zuvor verheißene hat.“
Hier dieses Wort „zuvor“. Gott hat das Evangelium zuvor verheißene. Das Evangelium begann nicht mit uns, also nicht mit unserer Not oder unserem Verlangen, gerettet zu werden. Das Evangelium war von Gott längst beschlossen, längst verheißene, längst angekündigt, bevor ein einziger Mensch, der durch dieses Evangelium errettet werden sollte, das Licht der Welt erblickt hatte.
Gott erfüllt also bei der Errettung von Menschen Verheißungen, die er ausgesprochen hatte, bevor diese Menschen existierten. Das ist ein zunächst für uns fremder und für viele sogar beängstigender Gedanke, weil er die ganze Sache so vollständig aus unseren Händen nimmt und uns zeigt, dass wir in Gottes Hand sind.
Dagegen sträubt sich in unserer Natur instinktiv etwas, weil wir ja immer die Herren unserer selbst sein wollen und die Hebel in der Hand haben wollen.
Parallelen zwischen Römerbrief und Zweitem Mosebuch
Nun gibt es ein alttestamentliches Buch, das die Errettung ganz ausführlich und gründlich erörtert. Das ist das Zweite Mosebuch, das alttestamentliche Buch der Errettung. Zwischen dem Römerbrief und dem Zweiten Mosebuch bestehen sehr auffällige und zahlreiche Parallelen.
Das Zweite Mosebuch beginnt mit einer zunächst fast immer von uns allen unbeachteten Verweisung darauf, dass die Rettung nicht mit der Not der Israeliten beginnt. Vielmehr nahm die Rettung dieser Israeliten ihren Ursprung viel, viel früher.
2. Mose 1 beschreibt die Knechtschaft und die Bedrohung der Ausrottung, unter der das Volk Israel steht. Doch davor steht etwas, das wir meist überlesen. Wir lesen oft die Verse eins bis sieben schnell durch und denken dann ab Vers acht: Hier beginnt der eigentliche Inhalt. Aber die Verse eins bis sieben haben eine sehr wichtige Funktion, die wir oft erst im Nachhinein erkennen, vielleicht beim zweiten Lesen des Buches.
In 2. Mose 1,1-7 werden die Namen der Söhne Israels genannt, die mit Jakob nach Ägypten kamen – jeder mit seinem Haus. Dann werden sie gezählt. So macht der Schreiber des Zweiten Mosebuches deutlich, dass die Errettung dieses Volkes nichts anderes war als die Ausführung und Verwirklichung uralter Verheißungen.
Die Israeliten, die in Ägypten litten und geknechtet wurden und dann herausgeführt wurden, waren die Söhne Jakobs, also die Söhne Isaaks und damit die Söhne Abrahams. Gott hatte Abraham, Isaak und Jakob Verheißungen gegeben – schon bevor sie lebten. Er sagte ihnen, dass sie sich sehr vermehren würden, dass sie geknechtet werden würden und dass sie errettet und herausgeführt werden würden.
All das wurde bereits Abraham, Isaak und Jakob zugesagt. Wenn wir 2. Mose in diesem Licht lesen, erkennen wir, dass die Befreiung aus Ägypten Gottes Erfüllung dieser längst gegebenen Verheißungen war. Die Rettung Israels aus Ägypten begann mit alten Verheißungen und Gottes Vorsatz – nicht mit der Not der Israeliten.
Daran will uns Paulus mit seiner eingefügten Bemerkung in Klammern erinnern: Das Evangelium Gottes, das Gott längst zuvor verheißene hatte. In Römer 8 kommt er darauf zurück. Dort steht dreimal das Wort „zuvor“, um dies besonders deutlich zu machen, nachdem er das Evangelium und die Rechtfertigung durch den Glauben erklärt hat.
Römer 8,28-29: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken, denen, die nach Vorsatz vor der Zeit berufen sind. Denn welche er zuvor erkannt hat, die hat er auch zuvor bestimmt.“
Ich will jetzt nicht im Einzelnen auf diese Verse eingehen, aber uns hier bewusst machen, dass Paulus darauf zurückkommt: Die Sache beginnt mit Gott. Er war vorher da. Zuerst war Gottes Vorsatz da.
Dasselbe erinnert Paulus auch die Leser des Titusbriefes. Titus wird diesen Brief in Kreta in den Gemeinden vorgelesen haben, wo er diente. Die Kreter freuten sich, das Evangelium gehört zu haben, zum Glauben gekommen zu sein und ewiges Leben zu besitzen. Und sie freuten sich zu Recht.
Dann hören sie den Brief, wie er vorgelesen wird. Titus 1,1-3: „Paulus, Knecht Gottes, aber Apostel Jesu Christi, nach dem Glauben der Auserwählten Gottes und nach der Erkenntnis der Wahrheit, die nach der Gottseligkeit ist, in der Hoffnung des ewigen Lebens, welches Gott, der nicht lügen kann, vor den Zeiten der Zeitalter verheißene hat. Zu seiner Zeit aber hat er sein Wort offenbart durch die Predigt, die mir anvertraut worden ist nach Befehl unseres Heilandes Gottes.“
Man kann sich gut vorstellen, wie die Zuhörer da saßen und plötzlich dämmert es ihnen: Die ganze Sache begann nicht erst, als Paulus kam und predigte, und nicht erst, als ich im Glauben angenommen habe. Nein, die Sache geht viel weiter zurück. Meine Errettung und das ewige Leben, das ich jetzt in Christus habe, wurden schon vor den Zeiten der Zeitalter verheißt.
Das heißt: Bevor die Welt war, sogar bevor die Propheten lebten. Nun stellt sich die Frage: Wem hat Gott das Leben damals verheißt? Wie sollen wir das verstehen? Bevor die Schöpfung war, da war nur Gott – nicht einmal Engel gab es, nur den dreieinigen Gott.
Es bleibt uns eigentlich keine andere Erklärung, als dass Gott seinem Sohn das ewige Leben all denen verheißt hat, die er durch sein Blut für Gott erkaufen würde.
In Johannes 17 bekommen wir einen Einblick in diese Wahrheiten. Der Sohn spricht von den Seelen, die der Vater ihm gegeben hat, und wie er diese erlöst, bewahrt und vollendet.
Die Errettung beginnt also mit Gott, mit Gottes Vorsatz und mit Gottes Willen, zu erretten.
Die Gewissheit der Errettung durch Gottes Vorsatz
Nun, ich habe vor vielen Jahren in der Schweiz in einer Sommerbibelschule über das Zweite Mosebuch zwei Wochen lang in einer Kurzbibelschule Vorträge gehalten. Ich habe die Unterlagen noch. Das habe ich dort schon hingeschrieben.
Ja, das war ungefähr um 1980 herum. Da war unsere älteste Tochter, die jetzt einundzwanzig ist, noch ganz klein. Dort habe ich von Hand hingeschrieben über das erste Kapitel: Weil die Errettung von Gott ausgeht, führt sie auch ganz sicher zu Gott. Das ist der Grund der Heilsgewissheit.
Ich wiederhole das jetzt: Hier haben wir den Anker, hier ist der Anker. Ich hoffe, ihr kennt dieses wunderbare Lied von Rothe. Ja, er hatte drei Vornamen, und es ist immer schwierig, sich diese drei Vornamen der barocken Größen zu merken. Man bringt dann Johann, Georg und Friedrich durcheinander – also Rote. Johann hieß er auch irgendwo, einer seiner drei Vornamen. Er hat ein wunderbares Lied geschrieben: „Ich habe nun den Grund gefunden, der ewig meinen Anker hält. Wo anders hat ihn Jesu Wunden? Da lag er vor der Zeit der Welt.“ Das ist der Anker.
Einer der feurigsten und unbändigsten Prediger des Evangeliums, den es je gegeben hat, war der Schotte John Knox. Die Schotten sind ja Kelten, und die Kelten sind leidenschaftliche Leute, nicht so schwerblütig wie die Germanen. John Knox hat durch seine Predigt wirklich Schottland der Reformation und dem biblischen Glauben zugeführt.
Als John Knox auf dem Sterbebett lag, sagte er zu seiner Frau: „Lies mir noch einmal jenen Abschnitt, wo ich damals zum ersten Mal meinen Anker warf.“ Welchen meinte er? Johannes 17. Das hohe priesterliche Gebet des Sohnes an den Vater, in dem uns deutlich wird: Die ganze Sache der Errettung ist eine Transaktion zwischen dem Vater und dem Sohn.
Der Vater gab dem Sohn die Seelen, die der Sohn erretten sollte. Der Sohn hat sie mit seinem Blut für Gott erkauft und erworben. Und der Sohn wird sie vollenden. Das ist der Anker meiner Seele. Von da geht die Errettung aus, und da beginnt das Heil.
So sagt Paulus im Zusammenhang mit der Errettung in Römer 11 am Schluss, nachdem er dargelegt hat, wie das Evangelium auch Israel erretten wird – das gleiche Evangelium, das gleiche Evangelium Gottes, das gleiche Evangelium des Sohnes Gottes, das gleiche Evangelium der Gnade Gottes –, wird auch Israels Volk gerettet, kein anderes Evangelium.
Nachdem er das dargelegt hat, sagt er zum Schluss in Römer 11, und ich kann diese Verse gerade noch lesen, dann machen wir eine kurze Unterbrechung: Römer 11,33-36: „Tiefe des Reichtums sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes! Wie unausforschlich sind seine Gerichte und unausspürbar seine Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Mitberater gewesen? Wer hat ihm zuvor gegeben, und es wird ihm vergolten werden? Denn von ihm und durch ihn und für ihn sind alle Dinge.“
Hier redet Paulus von Errettung: Errettung von Juden, Errettung von Heiden. Über die ganze Errettung können wir diesen Satz schreiben: Von Gott, durch ihn und für ihn sind alle Dinge. Denn alles beginnt mit Gott, alles geschieht durch ihn und führt auch ganz sicher zu ihm. Das ist der Grund der Gewissheit der Errettung.