Einblick in die Realität biblischer Familiengeschichten
I. Mose 38 überspringen wir meist, aber ein paar Worte dazu möchte ich dennoch sagen. Die Bibel verherrlicht nicht die Schicksale frommer Familien. Wer in einem christlichen Haus aufgewachsen ist, weiß, dass dort auch sehr weltlich zugeht. Und das war in der Bibel immer so. Es war nicht nur das Elternhaus von Isaak und Rebekka, in dem viele Schwierigkeiten herrschten, sondern auch im Hause Judas, später im Elternhaus Davids und bei seinen Kindern.
Die Geschichte von Juda zeigt das deutlich. Wenn Sie sie selbst lesen, erkennen Sie, dass es hier um dasselbe Thema geht, das wir bereits bei Ruth hatten: die Leviratsehe. Der Schwager war verpflichtet, wenn er noch nicht verheiratet war, die verwitwete Frau zu heiraten.
Das Schlimme an Onan war, dass er sich dieser Pflicht entzogen hat. Er wollte keine Verpflichtung eingehen. Dann folgt von Tamar eine erschütternde moralische Wendung: Die Frau wird verstoßen. Sie handelt jedoch klug und sagt: „Du bist doch der Mann!“ Sie zeigt das Siegel und die Schnur und fragt, welcher Mann bei ihr war. Der Vater will sie verstoßen. Stolz, wie die Bibel sagt, antwortet sie: „Du wirst ein uneheliches Kind bekommen.“ Er erwidert, er werde zeigen, von welchem Mann das Kind sei – und zeigt das Siegel. Dann stellt sich heraus, dass es der Vater selbst war.
Das ist erschütternd. Deshalb möchte ich hier nicht viel mehr sagen, denn eigentlich muss man nichts hinzufügen. Jesus sagt ja: „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ Bei allen Sünden ist es so, dass uns die Bergpredigt zeigt, dass niemand ohne Sünde ist – weder beim Streit, unreinen Gedanken, beim Reden oder sonstwo. In meinem Herzen kommen all diese Dinge vor.
Nun geht es weiter mit Kapitel 39, in dem die Geschichte Josefs fortgesetzt wird. Kapitel 38 habe ich überschrieben mit „Schuld und Sünde innerhalb des auserwählten Gottesvolkes“. So muss man es sehen.
Oft habe ich gehört, dass Leute fragen, warum solche Geschichten, solche „Schmutzgeschichten“, in der Bibel stehen. Es ist interessant, dass gerade diejenigen, die sonst leidenschaftlich Geschichten im Fernsehen oder Video anschauen, dies kritisieren. In der Bibel stehen diese Geschichten nicht, um sich als Voyeur daran zu ergötzen, sondern um uns die Erschütterung über die Sünde des Menschen vor Augen zu führen.
Gottes Segen trotz widriger Umstände
Und jetzt kommt Joseph. Er wurde hinab nach Ägypten geführt zu Potiphar, einem ägyptischen Mann. Das Wort „Kammer“ wird hier von Luther pädagogisch sinnvoll übersetzt; es bedeutet „Eunuch“, also der Entmannte, Kastrierte. Im Hebräischen steht dieses Wort tatsächlich so.
Potiphar war der oberste der Leibwache. Er kaufte Joseph von den Ismailitern, die ihn nach Ägypten gebracht hatten. Der Herr war mit Joseph, sodass er ein Mann wurde, dem alles gelang. Joseph war im Haus seines Herrn, des Ägypters, und sein Herr sah, dass der Herr mit ihm war. Denn alles, was Joseph tat, ließ der Herr in seiner Hand gelingen.
Joseph fand Gnade vor seinem Herrn, und sein Herr machte ihn zu seinem Diener. Er setzte ihn über sein Haus und alles, was er besaß. Von der Zeit an, als er ihn über sein Haus und alle seine Güter gesetzt hatte, segnete der Herr das Haus des Ägypters um Josefs Willen.
Es war lauter Segen des Herrn in allem, was Potiphar hatte – zu Hause und auf dem Feld. Deshalb ließ er alles unter Josefs Händen, was er besaß, und kümmerte sich um nichts, außer um das, was er aß und trank.
Das ist natürlich amüsant: Essen musste Joseph noch selbst zubereiten, denn das konnte ihm niemand abnehmen. Die Bibel erzählt so originell, dass Potiphar ihm eigentlich alles übergab. Das Einzige, was er noch selbst tun musste, war essen und trinken. Super!
Versuchung und Standhaftigkeit
Und Josef war schön an Gestalt und hübsch von Angesicht. Es begab sich danach, dass die Frau seines Herrn ihre Augen auf Josef warf und sprach: "Lege dich zu mir."
Jetzt knistert schon die Spannung. Das wird eigentlich schon gegen Ende von Vers 6 beschrieben, mit der Schönheit, die vorher nirgendwo erwähnt wurde, wo der Hirtenjunge war. Hier merken wir schon, dass es eine Betrachtungsweise gibt, die in sich wahnsinnig erotisch aufgeladen ist – im schlechtesten Sinn.
Die Situation spitzt sich zu, als die Frau des Herrn ihre Augen auf Josef richtet und spricht: "Lege dich zu mir." Doch er weigerte sich und antwortete ihr: "Siehe, mein Herr kümmert sich nicht um das, was im Haus ist. Alles, was er hat, hat er unter meine Hände getan. In diesem Haus ist niemand größer als ich, und er hat mir nichts vorenthalten außer dir, weil du seine Frau bist."
Das ist eine ganz herrliche Beschreibung dessen, was die Bibel unter dem Ehebund versteht. Es gibt eine Exklusivität, die nicht aufgelöst werden kann. Die Bibel ist dabei das beste Aufklärungsbuch für junge Leute, wenn sie wissen wollen, wo die Grenzen liegen und wo die Schönheit zu finden ist.
Josef fragt sich: "Wie sollte ich denn nun so etwas Großes Übles tun und gegen Gott sündigen?" Dennoch bedrängte sie ihn mit solchen Worten täglich. Aber er gehorchte ihr nicht, legte sich nicht zu ihr und blieb fern.
Eines Tages, als Josef in das Haus ging, um seine Arbeit zu tun, geschah die entscheidende Situation.
Man weiß, es gibt Situationen, die sind besonders tückisch. Und diese Situation ist typisch: Ausgerechnet an diesem gefährlichen Mittag war kein Mensch unterwegs. Die Bibel schreibt, dass kein Mensch vom Gesinde des Hauses dabei war.
Rettung hätte nur bedeutet, wenn Josef gesagt hätte: "Gleich kommt jemand." Doch sie erwischte ihn bei seinem Kleid. Er sprach noch einmal: "Lege dich zu mir." Aber er ließ das Kleid in ihrer Hand, floh und lief zum Haus hinaus.
Falsche Anschuldigungen und ihre Folgen
Als sie nun sah, dass er sein Kleid in ihrer Hand ließ und hinaus entfloh, rief sie das Gesinde ihres Hauses und sprach zu ihnen: „Seht, er hat uns den hebräischen Mann hergebracht, damit er seinen Spott, das heißt seinen Mutwillen, mit uns treibe. Er kam zu mir herein und wollte sich zu mir legen, aber ich rief mit lauter Stimme: ‚Lass mich! Ich dulde das nicht!‘“
Das hat sich durch die Weltgeschichte oft wiederholt. Und als er hörte, dass ich ein Geschrei machte und rief, da ließ er sein Kleid bei mir und floh hinaus. Sie legte sein Kleid neben sich, bis sein Herr heimkam. Dann sagte sie zu ihm eben dieselben Worte und sprach: „Der hebräische Knecht, den du uns hergebracht hast, kam zu mir herein und wollte seinen Mutwillen mit mir treiben. Als ich aber ein Geschrei machte und rief, da ließ er sein Kleid bei mir und floh hinaus.“
Und als Sklaven an Fremde verkauft wurden, muss man sich vorstellen: Die Ismaeliter haben nicht einmal den Sklavenpreis für Josef bezahlt. Sie wussten genau, was der Sklavenpreis war. Er betrug dreißig Silberlinge. Das war eine Haftpflichtversicherungssumme, was bei Jesus ganz wichtig ist und im Gesetz genannt wird.
Die dreißig Silberlinge sind in der Bibel eine ganz wichtige Sache. Das war die Versicherungssumme, wenn ein Mensch verunglückt war und man Ersatz leisten musste. Für Sklaven wurden diese dreißig Silberlinge bezahlt. Das war ihr Wert.
Josef wurde für zwanzig Silberlinge verkauft, nicht einmal der volle Preis. Er hatte keinen Wert. Man muss sich vorstellen, wie er auf dem Sklavenmarkt gehandelt wurde, wie die Ismaeliter ihn dort verkauften. Die Leute gingen vorbei und sagten: „Ach, das ist doch nichts, dann soll ich den kaufen und den da probieren, so wie der Muskeln hat.“ So wurde der Mensch zur Ware entwürdigt.
Wenn Josef dort sieht, was sein Leben wert ist, ist er jetzt wirklich den Menschen preisgegeben. Das ist das Schlimmste, was einem passieren kann: in die Hände der Menschen zu fallen. Das hat David einmal gesagt. Es ist die schlimmste Strafe, die ihm passieren kann: in menschliche Hände zu fallen.
Niemand ist so grausam wie Menschen. Wenn man ihnen ausgeliefert ist, ist das das Allerschlimmste. Es ist schrecklich, wenn man das heute im Fernsehen sieht, etwa im Bürgerkrieg in Liberia oder im jugoslawischen Bürgerkrieg, was Menschen einander antun können. Es ist alles so irrational und unsinnig.
Da ist Josef drin, und niemand ist mehr da, der für ihn eintritt. Es gibt keine Menschenrechte und keine Würde. Es gibt kein Gesetz mehr, das für ihn da ist.
Die unerschütterliche Geborgenheit in Gott
Eines nimmt dieser Joseph mit, das möchte ich Ihnen heute Abend sagen: den lebendigen Gott. Ein Mensch, der zu Gott gehört, ist so geborgen, dass es kein noch so böser Mensch ihm wegnehmen kann.
Und wenn Tausende und Abertausende Menschen alles tun – sie können ihn quälen, sie können ihn foltern – sie können den Frieden Gottes nicht rauben. Ist Gott für uns, wer kann dann noch gegen uns sein?
Wir haben nur die Angewohnheit, dass wir immer die Nähe Gottes ableiten wollen und sagen: „Dann muss es doch auch mir gut gehen.“ Das ist eine Gefahr, da müssen wir aufpassen. Man kann nicht sagen: Wenn es mir materiell gut geht, dann ist Gott bei mir.
Der Predigttext am Sonntag lautet: Ich freue mich schon darauf. „Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen, alle!“ Aber auch das Schwere. Und die Bibel sagt nicht, dass das im Durchschnitt so ist oder im Großen und Ganzen, sondern grundsätzlich: Wer Gott liebt, dem muss alles, auch das Schwere, zum Besten dienen.
Das Wunderbare bei Joseph ist zu sehen, dass ihm der Frieden Gottes niemand rauben kann. Der Herr war mit Joseph. Selbst der Weg der Erniedrigung, selbst der Weg, auf dem die Menschen ihn demütigen, quälen und ihm Böses zufügen, kann Joseph keinen geistlichen Schaden zufügen.
Sie können ihn quälen, sie können ihm äußerlich Schaden zufügen, sie können ihm sogar das Leben nehmen – aber sie können ihn nicht aus der Hand Gottes reißen. Krasser kann man es eigentlich nicht darstellen.
Aber wir haben in der Bibel viele Beispiele, wo es ähnlich ging. Wir haben es beim Daniel ganz ähnlich: Sie konnten Daniel in die Löwengrube werfen, aber der Herr war mit ihm. Gott hat ihn nicht vor dem Wurf in die Löwengrube bewahrt.
Gott hat ihn auch nicht vor dem Wurf in den Feuerofen bewahrt – oder seine Freunde Sadrach, Mesach und Abednego, die in den Feuerofen geworfen wurden. Aber der Herr war mit dabei.
Oder bei Stephanus: Stephanus kam sogar um. Es kann sein, dass Gott das zulässt. Aber mitten in der Steinigung, im Sterbeaugenblick, sieht Stephanus den Himmel offen und weiß sich geborgen im lebendigen Gott.
Menschen können furchtbar gemein sein, aber das, was die Bibel zeigt, ist: Der Herr hält Menschen auch noch im Leiden, auch noch im Sterben und gibt ihnen diesen Frieden. Das ist menschlich überhaupt nicht erklärbar.
Denn in solchen Augenblicken würden bei uns alle Nerven durchdrehen und wir könnten es gar nicht mehr aushalten.
„Ich bin bei euch alle Tage bis an das Weltende“ – das ist eine Zusage. Wenn Sie sie heute Abend wieder für sich selbst in Ihrem schweren Lebensweg hören, dann nehmen Sie sie für sich an und sagen: Ich darf wissen, auch wenn ich es nicht sehe, auch wenn es so aussieht, als würde ich gerade durch eine ganz furchtbare schwere Zeit gehen – der Herr ist bei mir.
Josephs Stellung im Haus Potiphar
Joseph, der in Gott geborgen ist. Er kommt in das Haus eines hochgestellten Hofbeamten, der im hebräischen Text Potiphar heißt – was so viel bedeutet wie „ein Oberster der Schlechter“. Das war in Ägypten eine Kombination aus Schlachthauswesen und der gesamten Gerichtsbarkeit. Denn die Todesstrafe hing eng mit dem Schlachten zusammen. Potiphar war somit ein Superminister, ein ganz hohes Tier in der Justizmaschinerie.
Joseph kommt jedoch als Sklave in dieses Haus. Er wurde von den Ismaeliten gekauft – ein reiner Geschäftsvorgang. Kaum betritt Joseph das Haus, stellt sich die Frage, wie man sich verhalten würde. Ich kann Ihnen sagen: Wenn ich hineingegangen wäre, hätte ich vielleicht gedacht, ich müsste Opposition leisten, mich auflehnen und Potiphar spüren lassen, dass mir Unrecht widerfahren ist. Dass unsere Bitterkeit herauskommen muss.
So geht es uns oft, wenn wir Leid erfahren oder Unrecht erleiden: Wir platzen heraus, erzählen unsere Lebensgeschichte, wie gemein alles ist, oder lassen die Menschen spüren, wie bitter das Leben ist. Wir wollen, dass sie es wissen. Dabei ist uns oft egal, wenn wir dabei mit untergehen.
Heute gibt es eine merkwürdige Tendenz in der Christenheit, die meint, Christen hätten die Aufgabe, wie Guerillakämpfer gegen die Welt anzutreten. Die Bibel sagt jedoch etwas anderes: Man soll sich unterordnen. Das gilt auch im Neuen Testament. Paulus rät nie, dass Sklaven kämpfen sollen, sondern dass sie von innen heraus durch die Gegenwart Gottes die Unrechtsordnung der Sklaverei aushöhlen sollen.
Joseph ist Sklave und beugt sich dieser Ordnung. Die Bibel ist praktisch und hilfreich für uns, wenn wir gedemütigt werden und von anderen Menschen verletzt. Es ist oft sehr schwer, seine Würde zu bewahren. Ein Sklave hatte keine Würde mehr. Doch auch wenn sie zertreten wird, kann Gott bei ihnen sein.
Und dann geschieht das Unbegreifliche: Gott macht das wahr. Plötzlich erlebt man Joseph, wie man ihn vorher nicht kannte. Bei den Menschen Gnade zu finden, also dass sie einen annehmen, ist ein Wunder Gottes. Joseph hatte bei seinen Brüdern erlebt, wie sie ihn geärgert und beneidet haben – ohne dass er es wollte.
Im Haus Potiphars schenkt Gott ihm jedoch, dass die Menschen ihm freundlich begegnen. Gnade bei den Menschen wünsche ich auch Ihnen. Jesus hatte Gnade bei Gott und den Menschen. Das hatte Joseph nun auch. In einem Haus, in dem ihn jeder wie einen räudigen Hund ansah, wie ein Nichts, öffnen sich plötzlich Herzen und Türen.
Das ist es, was uns oft fehlt. Die Geschichte von Joseph ist für Kinder das Allertollste, was sie hören können – die Geheimnisse zu verstehen. Was bedeutet es, wenn sich vor uns plötzlich die Herzen von Menschen öffnen, die uns bisher schwierig gegenüberstanden? Die uns nicht ernst genommen, vielleicht verachtet oder gequält haben?
Der Herr war mit Joseph. Er gab ihm Weisheit, führte seine Worte, schenkte ihm gutes Benehmen. So war der Herr auch mit ihm, dass die Menschen ihn ganz anders sahen. Wir sollten die Geheimnisse des Lebens mehr begreifen. Das Leben besteht aus lauter Wundern. Gott schenkt durch ganz einfache, menschliche Dinge, dass ein Mann wird, dem alles gelingt.
Ich habe gesagt: Man muss Joseph holen, wenn es darum geht, ein Blumenarrangement zu machen oder etwas in Ordnung zu bringen. Joseph weist den Weg. Alle sagten: Wenn Joseph kommt, ist Atmosphäre da. Das waren doch die Ägypter, die Antisemiten waren. Später wird deutlich, was sie von den Hebräern hielten – ein Schimpfname war „Hebräer“.
Doch Joseph gab der Herr Glück. Und noch einmal: Ich meine nicht, dass das in seiner Natur lag. Ganz bestimmt nicht. Sonst hätte es im Geschwisterkreis nicht so viele Spannungen gegeben. Darum darf man beten: Herr, gib mir, dass die Menschen freundlich gesinnt sind.
Das kann Gott tun, wenn Sie mit schwierigen Menschen zu tun haben – ob schwierige Chefs, schwierige Kinder oder schwierige Nachbarn. Sie müssen nur beten. Dann merken Sie, dass Sie sogar in das Schwierigste des Charakters eingreifen können. Oft erleben Sie Gebetswunder, bei denen Ihnen die Sprache wegbleibt.
Sie haben vielleicht Angst vor einer Begegnung mit einem Menschen. Aber was war dann? Sie erkennen den Menschen nicht wieder. Was Gott geschenkt hat, ist ein Wunder: Wie Sie plötzlich mit ihm reden konnten. Ein Wunder!
Gottes Segen als sichtbare Realität
Und der Herr war mit Joseph, sodass er ein Mann wurde, dem alles gelang. Er war im Haus seines Herrn, des Ägypters, und sein Herr sah, dass der Herr mit ihm war.
Das hat auch der Pharao bemerkt. Er fragte: „Was ist mit dir los?“ Es gibt immer wieder Menschen, die das demonstrativ leben wollen. Dabei habe ich große Zweifel, denn oft täuscht man sich selbst und lebt in Selbstgefälligkeit.
Doch es gibt tatsächlich gottlose Menschen, die etwas von der Gegenwart Gottes spüren. Das Problem entsteht erst, wenn jemand selbst daran glaubt, weil er sich im Spiegel sieht und sich selbst betrachtet. Andere müssen es merken, so wie Potifars Herr es merkte.
Es gibt viele schöne Geschichten dazu. Ich höre auch von unseren jungen Leuten oder von einem unserer jungen Mitarbeiter, der es so schön erzählt hat. Dietmar Höhne berichtet von seinem Chef, der sagte: „Ich bin selbst kein Christ, aber ich habe Herrn Peter gefragt, ob er nicht jemanden hat.“ Erstaunlich, wie oft Menschen etwas wollen und suchen. Das ist eine gefährliche Sache, bei der man den Atem anhält und hofft, dass alles gut geht.
Man muss wissen: Wir sind fehlbare Menschen. Deshalb sind wir Christen, weil wir ständig Vergebung brauchen. Die Leute sollen uns nicht als heilig ansehen. Darauf wollen wir gleich eingehen, wenn wir sagen: „Ich mache viel falsch.“ Aber das Empfinden von Vertrauen hat man oft erlebt.
Ganz ähnlich ist es bei Daniel. Seine Geschichte ist wunderbar. König Nebukadnezar und die anderen im babylonischen Reich wussten genau: „Da sind sie, die haben etwas, und die brauche ich.“ Alles, was Daniel tat, ließ der Herr gelingen. Gibt es so etwas überhaupt?
Es beginnt mit unseren Prüfungen und unserer Berufsleistung. Darüber darf man beten. Es ist ein ganz praktischer Text. In der Geschichte von Joseph wird nicht viel gepredigt, und doch ist sie voller wunderbarer Glaubenserfahrung.
Joseph wird nun zum persönlichen Assistenten, zum Leibdiener. Er wird sogar zum Chefbutler im Haus Potifars. Ihm wird alles anvertraut: die Untergebenen, die Küchenzettel, die Besorgungen und Einkäufe – alles, was dazugehört. Sicher war es ein Haushalt mit mehreren hundert Sklaven und Hausangestellten.
Die Organisation lag in Josephs Händen. Das war eine Gottesgabe, denn es lag nicht in seinem Naturell. Das Gelingen unserer äußeren Arbeit ist ein Wunder des Herrn. Er muss uns die Gnade geben, damit es gelingt.
Wunderbar ist, dass der Ägypter sofort spürte: Wenn Joseph da ist, kommt der Segen Gottes in mein Haus. Es ist etwas Wunderbares, den Segen Gottes so zu sagen. Man kann es in der Bibel ablesen: bis zu ihrem Kontobuch, bis zu ihrer Speisekammer, bis zu den Gerichten, die sie zubereiten, bis zu allem, was sie tun – sogar bis zum Sprit, den ihr Auto braucht.
Der Segen des Herrn ist eine Realität, die sich in den irdischen Dingen verwirklicht. Und so kam es immer wieder um Joseph. Es war lauter Segen des Herrn in allem, was er hatte – zu Hause und auf dem Feld, in dem, was er anbaute und was da war.
Alles gab man ihm in die Hand. Er musste sich nicht mehr kümmern. Er hatte ein großes Vertrauen um sich.
Die Stellung der Auserwählten Gottes in der Welt
Jetzt wissen Sie bereits, dass die Josefsgeschichte sich nicht nur auf diese Lebensweisheit beschränkt. Schon das ist ein wichtiges Ergebnis. Gleichzeitig zeigt die Josefsgeschichte ein Grundgesetz des Reiches Gottes, der Auserwählten Gottes.
Diejenigen, die mitten in der Welt leben, sollen so leben wie Josef in der Fremde. Sie haben einen schweren Platz erwählt. Nirgendwo wird uns gesagt, dass das Christsein in der Welt leicht ist. Manche von ihnen haben zudem schwierige Eheverhältnisse und weitere Herausforderungen mit ungläubigen Menschen, der Familie und anderen Bereichen in der Zukunft.
Wie Paulus später sagt: Der ungläubige Ehegatte ist durch die gläubige Frau mitgeheiligt. So ist auch durch Josef etwas in die gottlose Familie hineingetragen worden. Der Sklave wird zum Segensträger.
Darum hatte die Bibel nie die Idee, die Sklaverei mit großem Aufwand abschaffen zu müssen. Die Bibel war immer gegen Sklaverei, hat sie aber auch nie verteidigt. Dennoch gilt: Auch wenn du Sklave bist, bleib in deiner Stellung, aber sei ein gesegneter Gottesmann. Sei jemand, der in diese trostlose Welt den Frieden Gottes hineinträgt.
Dann kommt es vor, dass die anderen sagen: „Was hast du?“ Sie erhöhen dich und geben dir plötzlich Verantwortung. Am Ende wird sichtbar, wie die Welt die Gottesleute mit großer Hochachtung ansieht. Die Welt hat ein Gespür für Menschen, die mit Gott leben. Allerdings gefällt es sich nicht darin, weil viel Scheinheiligkeit existiert.
Am Ende steht: „Und Josef war schön an Gestalt und hübsch von Angesicht.“ Zuvor war nie erwähnt worden, wie er bei seinen Brüdern lebte, dass er schön war. Das deutet darauf hin, dass unser Verhältnis als Auserwählte Gottes, die in der Welt leben, ein ganz schwieriges Verhältnis sein wird.
So wie es bei Josef schwierig war, wird es auch für uns schwierig. Die Welt möchte mit uns in ein Verhältnis treten – und das können wir nicht.
Versuchung und die Bedeutung der Augen
Zuerst wollen wir die Geschichte ganz sachlich im reinen Ablauf betrachten. So ist sie passiert, so wollen wir sie hören. Dabei ist sie auch eine schöne Beschreibung einer Versuchung.
Die Sprache der Bibel, die in der deutschen Übersetzung längst nicht mehr so viel ausstrahlt wie im hebräischen Original, ist hier bemerkenswert. „Sie warf ihre Augen“ – die Frau warf ihre Augen. Das ist sehr eindrucksvoll beschrieben. Was Blicke bewirken können, hat Jesus richtig erkannt: Wer eine Frau ansieht, um sie zu begehren, begeht schon eine Sünde.
Viele Sünden beginnen mit den Augen. Die Augen sind ein ganz kritischer Punkt, gerade heute. Viele Männer sind durch das, was ihnen heute über Filme, Magazine und anderes geboten wird, gefangen. Das ist eine sehr gefährliche Sache. Die Augen können einen gefangen nehmen.
Wir kennen das Beispiel von Simson: „Sie gefällt meinen Augen“, sagt er zu seinen Eltern, als sie fragen, ob das ein Mädchen für ihn sei. „Sie gefällt meinen Augen, eine prächtige Frau, schau dir das mal an!“ Das ist ein Argument, das junge Menschen oft bringen. Mit jungen Menschen müssen wir darüber reden und ihnen klarmachen, dass es töricht ist, nur auf die Augen zu achten, wenn das die ganze Begründung ist.
Nun zur Sünde mit der Frau Potifar: Sie sagt zu Josef: „Lege dich zu mir.“ Die Frau Potifar befand sich in einer großen Notlage. Ihr Mann war entmannt, und sie konnte nie ehelich mit ihm zusammen sein. Wenn man heute über solche Problemfälle des Lebens diskutiert, hätte man sagen können: Dem Mann fehlt doch nichts. Warum sollte die Frau nicht auch ein Empfinden haben? Und bei einem Sklaven sei das doch nichts Verwerfliches.
Die Bedeutung von Ehe und Treue
Achten Sie einmal darauf, wie groß die Bibel nicht nur die Ehe nimmt, sondern auch das, was vor der Ehe liegt – vorausgesetzt, wir lassen es wissen.
Vor zwanzig Jahren hatte ich viele junge Leute, die immer wieder kamen. Ich war hier und dort unterwegs, und danach hieß es oft, in der Bibel sei das Thema vorehelicher Geschlechtsverkehr nicht klar geregelt. Ich kann das verstehen. Wir haben dann oft die entsprechende Stelle gelesen. Wahrscheinlich wollen Sie später auch noch ein paar Bücher von Hosea sehen, in denen sogar bis zur Todesstrafe darauf hingewiesen wird. Ich sage das nicht, um Sie heute Abend zu bedrücken, sondern nur, weil die Bibel uns vor viel Not bewahren will, durch die man oft durchgeht.
Deshalb ist es völlig deutlich – selbst in dieser Extremsituation –, dass es sich um einen kastrierten Mann handelte. Das war damals an den ägyptischen Höfen teilweise üblich. Deshalb datiert man das gern auf die Hyksos-Zeit. Es gab eine ganze Reihe kastrierter Männer in Israel. Wir finden das zum Beispiel auch später beim Kämmerer aus dem Morgenland in der Apostelgeschichte 8 wieder. Deshalb durfte der Kämmerer als Eunuch nicht in den Tempel hineingehen. In der Lutherbibel ist das beides Mal schön kaschiert, aber wer ein wenig Griechisch kann oder eine neuere Übersetzung hat, sieht, dass es in Ägypten ein Brauch war, der an den Höfen praktiziert wurde. Damit die Harems für den Herrscher frei blieben, wurden die Männer dieser grausamen Prozedur unterzogen.
Nun war es natürlich für diese Frau Potiphar ihr Recht, als Frau zu fragen: Warum darf ich das nicht haben? Und Joseph widersteht ihr. Seine Argumentation ist besonders schön, wie er es begründet. Man könnte ja sagen, damals waren die Zehn Gebote noch gar nicht verkündigt. Er argumentiert von einem Naturempfinden her. Das ist eigentlich fast eine heikle Sache, ob man das so machen kann. Er sagt: „Schau, dein Mann ist so fair zu mir. Ich wäre ein fieser Schuft, wenn ich ihm etwas tun würde, was das Licht vor ihm scheut.“ Ganz einfach.
Das ist überhaupt eine wunderbare Argumentation für viele unserer Taten. Ein Mensch, der mir Vertrauen entgegenbringt, den möchte ich nicht hintergehen, auch wenn ihm gar nichts abgeht. Der Teufel ist ein Meister darin, uns etwas einzureden, nämlich dass wir dem anderen gar nichts wegnehmen würden. Das kann man auch auf Geld übertragen. Wenn man zum Beispiel sagt: „Ja, der Staat ist ein Betrüger, die Steuer ist sowieso ungerecht, und es gibt sogar hundert Milliarden Steuerbetrüger.“ Ich weiß nur nicht, wer das je gezählt hat, weil man Steuerbetrug gar nicht kennt oder erfassen kann. Aber so kann man sich trösten und sagen: „Dann brauche ich meine Steuer auch nicht gerecht zu zahlen.“ Dabei vergisst man aber, dass man den Segen Gottes verliert. Der Herr war mit Joseph.
Um diesen Punkt geht es ja. Das kann ich auf alle Bereiche des Lebens übertragen. Das war auch wichtig in Luthers Auslegungen. Schön ist es jetzt in der Konfirmation, auch die Auslegung der hinteren Gebote zu hören. Das ist ja so wichtig, was Luther sagt. Was heißt „Wahrheit sagen“? Dass wir den anderen entschuldigen und Gutes von ihm reden. Oder was heißt „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus, deines Nächsten Knecht“? Ein Christ kann einem anderen nicht einfach Mitarbeiter abwerben. Das heißt: Die Headhunter heute, die Kopfjäger, die gehen außen suchen. Ich kann aber nicht dem Bruder einen guten Mitarbeiter wegnehmen. Dann muss ich zum Bruder gehen und fragen: „Kannst du deinen Mitarbeiter entbehren?“ Ich darf nicht abspannen, abdrängen oder abwerben. Und viele solcher Dinge zeigt Luther sehr klar an den Geboten.
Es gibt natürlich eine wunderbare Ethik Gottes, wenn man das hier sieht, wie es ganz einfach ist: Ich darf dem Potiphar nicht so eine Schufterei antun. Er hat mir alles unter meine Hände getan. Er ist in diesem Hause nicht größer als ich. Er hat mir nur eins vorenthalten: dich. Und darum ist ein Schutzzaun darum herum.
Wir leben heute in einer verrückten Zeit, in der man einfach meint, unsere Sexualität sei so etwas Ähnliches wie das morgendliche Frühstücksbrötchen. Viele kennen ihr eigenes Menschsein nicht. Nirgendwo sind wir so verwundbar, und zwar das ganze Leben lang. Das kann eine Belastung sein bis zur psychischen Belastung. Man muss nicht alles durchmachen. Joseph wusste: Hier gibt es eine Grenze, und das hat Gott so gefügt. Darum ist ein Schutzaun drumherum – außer dir, weil du seine Frau bist.
Und das ist nicht, weil eine Eheschließung stattgefunden hat oder weil ein Trauschein dazwischen ist, sondern weil es eine Treue gibt. Liebe fordert immer Treue, selbst im Heidentum Ägyptens. Übrigens wissen alle Naturvölker das. Glauben Sie nur nicht, was in schiefen Illustrierten steht: In allen Naturvölkern ist das völlig klar. Es gibt keinen Zuhälterkreis, in dem nicht Eifersucht herrscht. Denn das ganz natürliche Empfinden eines Menschen ist, dass er Liebe will – Ausschließlichkeit. Selbst in den schlimmsten Genfer Kreisen.
Das ist ein Wissen jedes Menschen: Man will keinen zweiten dabei haben. Diese schrecklichen Dinge, die heute mit vielfältigen Beziehungen ablaufen, sind grausam und zerstören die Seele der Menschen. Das kann gar nicht gutgehen. Ein Mensch wird dabei nie glücklich, weil Liebe die Ausschließlichkeit sucht. Darum die klare Formulierung.
Dann kommt aber Josephs Hauptargument, in meiner Bibel dick unterstrichen: „Ich kann doch nicht wieder Gott sündigen.“ Woher wusste er, dass Gott das nicht will? Das weiß jeder Mensch. Als ich nach meinem Abitur bei Daimler gearbeitet habe, waren das raue Sitten im Automatensaal. Ich habe erst dort erfahren, wie die jungen Kerle lebten. Da war ein Gruppenleiter, den ich „edelkommunistisch“ nannte, und es gab dort wilde Kerle. Wenn sie abends auf dem Volksfest waren, haben sie laut getönt. Als einer nachstieg, kam der Gruppenleiter rüber – bestimmt ein völlig ungläubiger Mensch – und sagte: „Bevor du heute Abend gehst, versprich mir, wenn die Jungfrau es nicht will, Finger davon.“
Die Welt weiß doch genau, was los ist. Das war für mich als junger Mensch ein ungeheurer Eindruck. Dieser Gruppenleiter hatte von Gott keine Ahnung, aber jeder Mensch hat ein Wissen, wo Sünde anfängt und wo Unrecht beginnt. Deshalb ist es oft albern, dass wir heute darüber bis ins Detail diskutieren. Ich glaube, wir müssen die Probleme gar nicht so weit treiben. Ja, es gibt Situationen, und man kann in der Situation alles Mögliche sagen, bis man gar nicht mehr weiß, wo die Maßstäbe liegen.
Joseph hatte eine ganz klare Position. Aber das Bedrängen geht weiter, die Versuchung bleibt. Die Frau bedrängt ihn täglich und setzt ihn unter Druck. Das heißt doch, Joseph hat ein fleischliches Empfinden. Er steht schon vierzig zu sechzig, dass er sagt: „Einmal ist kein Mal.“ Er ist auch verletzlich. Welcher Mensch ist nicht verführbar, wenn die Situation so weit abgebaut ist, dass keine Hemmnisse mehr da sind? Das ist das Schreckliche.
Es ist ein heißer Tag, niemand ist da, die Situation ist günstig, und dann liegt im Grunde alles da. Deshalb ist es wichtig, dass man sich nicht in solche Situationen bringt, egal in welchem Bereich des Lebens. Es gibt viele Bereiche, in denen man versucht wird. Gott treibt es manchmal bis an die Grenze, auch bei seinen Auserwählten. Joseph konnte ihr täglich widerstehen, bis zu dem einen Tag, an dem sie ihn noch packt und festhält. Er konnte nur noch die Notbremse ziehen und davonlaufen.
Das war ihm sicher. Nackt durch den Palast zu laufen, war sicher das Letzte, was er wollte. Er wusste einfach nicht mehr, was los war. Es war die letzte Verzweiflungstat eines Menschen, der sich retten wollte. Auch das ist für unsere jungen Leute oft eine große Hilfe. Es gibt viele schwierige Situationen, nicht nur für Mädchen, sondern auch für junge Männer.
Und dann lief er davon und entfloh.
Die zerstörerische Kraft zerbrochener Liebe
Jetzt müssen Sie sich noch einmal in die Frau Potifa hineinversetzen, die Josef wirklich geliebt hat. Dabei sehen Sie, wie die Liebe etwas ganz Schreckliches sein kann, wie ein Pudding. Ich möchte die Liebe nicht schlechtmachen, denn sie ist etwas Herrliches, so groß, dass ich es kaum in Worte fassen kann.
Auf der anderen Seite kann Liebe aber auch etwas Falsches sein, das bei der Frau Potifa im nächsten Moment in den allerschlimmsten Hass umkippt. Ähnlich ist es später bei der Kinderfamilie von David, wo einer seine eigene Schwester vergewaltigt hat. In dem Augenblick, in dem es passiert war, hasste er sie sofort. So wie er sie liebte, so hasste er sie nun.
Dann merken Sie, wie der Teufel gerade an unseren empfindlichsten Stellen ganz, ganz böse uns betrügt. Es ist mir immer ein Rätsel, warum der Teufel nicht wenigstens dann ein Glücksgefühl schenkt, ganz großen Ausmaßes oder so. Stattdessen bezahlt er nie das, was er verspricht.
Die Frau Potifa hat gesagt: „Jetzt lass es halt, dann freue ich mich an dem jungen Mann, wenn er nicht weiterkommt oder so.“ Aber stattdessen hasst sie ihn und ruht nicht, bis sie Josef, der gerade noch ihre große Liebe war, ruiniert und sein ganzes Leben zerstört hat.
Dann wissen Sie alles: Das ist so schrecklich. Wo Liebe einmal zerbricht, auch in Ihrem Leben, wird es ganz schwer. Ich kann jetzt eigentlich nicht mehr darüber reden, weil ich mitleide. Oft wird aus zerbrochener Liebe ein maßloser Hass. Man überlegt planmäßig, wie man dem anderen, dem geschiedenen Ehepartner, noch mehr Leid zufügen kann.
Da ist ein Wesen in dieser Liebe, das so sehr man sich geliebt hat, umso mehr ins Gegenteil umschlägt. Ich will das nur beschreiben, weil die Bibel uns Menschenkenntnis verleiht.
Dann holt sie das Gesinde hinzu. Sie hat natürlich ein tüchtiges Beweismittel: den Rock. Wieder ist es ein Rock. Vorher war der Rock zum Vater gewachsen – das ist eine sehr interessante Linie. Aber es sind alles wahre Geschichten, einfach und das Leben so gezeigt, wie man es nur von Gott her durchsichtig machen kann.
Sie sagt zum Gesinde, so interessant, wie man die Sachen verschieden darstellen kann: „Guckt mal her, ein Jude, wer soll es sonst sein, so etwas machen nur Juden, ein Hebräer!“ Und sie stichelt gegen ihren Mann: „Schau, alte Frauenwaffe, bei den Männern ähnlich, er hat den Hebräer zu uns reingebracht, mein Mann, guck, so etwas wird mir zugemutet.“
Es wird ja so verlogen und so falsch. Ziehen Sie sich nur zurück und probieren Sie gar nie, bei Ehestreitigkeiten zu schlichten. Sie werden im Sumpf untergehen. Es findet gar kein Mensch mehr, wo etwas gewesen ist, was da geredet wird.
Er kam zu mir, er wollte sich, aber ich rief: „Hahaha, so etwas lasse ich mit mir nicht passieren!“ Und sie muss noch den Zeugen wegschaffen und ihre Unschuld beweisen.
Seien Sie vorsichtig: In unserer Welt gibt es sehr viel moralisches Geschwätz über die schlechte Zeit heute. Vieles davon dient nur dazu, die eigene Schuld zuzudecken. Gläubige Christen können da nie mitsprechen, weil sie wissen: In meinem Herzen ist alles drin, von vorne bis hinten an Schuld.
Und wie der Mann heimkommt, sagt sie natürlich noch einmal anders. Bei den Mitarbeitern sagt sie: „Der hat mit euch Sport treiben wollen, der hat mit euch Michel Wörsch ganz ungerecht.“ Beim Mann sagt sie: „Er hat mit mir ... ich bin doch deine liebe Frau, du guckst mich doch so gern an, und jetzt hast du ihn mir hergebracht.“
Sie weiß genau, wo sie jeden reizen kann, um den Hass zu wecken. Und das soll uns noch einmal zeigen, worum es bei der Geschichte eigentlich geht: Christen in der Welt, übertragen auf das Gottesvolk, haben immer Schwierigkeiten, ihren Platz zu finden.
Die Welt wird eines Tages begeistert loben. Ich kann ja manchmal mein blödes Geschwätz nicht lassen, aber ich habe schon zu manchen Leuten gesagt, die gesagt haben: „Ah, wunderbar, wie Sie Prediger sind, kommen Sie aus Begeisterung zu drei Gottesdiensten“, und dann schimpfen sie auf mich.
Man muss einfach wissen: Wenn es zu keiner wirklichen Bekehrung kommt, sind das alles Geschwätz, Begeisterungen, Ablehnungen. Wenn man merkt, man kann niemanden willfährig machen, es kommt nicht zur Weltverbrütung, wir können uns nicht in der Welt anpassen.
Es ist ganz schlimm. Als ich am Samstag den Artikel des Stückter der Zeitung im Lokalteil teilgelesen habe, habe ich mich riesig gefreut. Journalisten haben immer wieder so einen klaren Durchblick, dass die Kirche sich zu allen weltlichen Problemen anmaßt, ein albernes Wort zu sagen.
Ich habe mich gefreut, wenn es die Journalisten wieder sagen: Christen haben doch gar kein Wissen in den Weltproblemen, wie wollen sie denn immer die Ratgeber sein? Aber die Journalisten haben es doch jahrelang gemacht: Die Kirche, ihr müsst uns beraten, und dann kommen wir und machen und helfen euch und so weiter.
Wenn wir nicht mehr wissen, bleibt der Christ ein Fremdling in der Welt. Wir wollen deshalb keine Schranken aufrichten, gar nicht. Wir sind doch Bürger der Welt, wir leben mittendrin, aber wir können bei verschiedenen Dingen nicht mitmachen.
Wir wollen es ja gar nicht sagen. Josef hat ja nirgendwo gesagt: „Frau Potifar, Sie sind aber ein böser Mensch.“ Er ist ganz, ganz vornehm. Er erträgt die Versuchung. Aber wenn Sie es wissen, wurden die meisten Christen auf dem versuchlichen Weg in die Welt hineingerissen.
Sie sind nie vom Unglauben überwältigt worden, sondern immer verführt, vom materiellen Besitz, vom Geld, auch vom Unrecht und vom Ungehörsam. Dann konnten sie gar nicht mehr beten, und dann haben sie das Wort gar nicht mehr geliebt, weil das Wort ihnen fremd war.
Da müssen wir wissen: Die Stellung des Christen in der Welt ist eine ganz komplizierte. Und die Stellung der Gemeinde Jesu in der Welt ist immer schwierig. In Russland sehnen sich heute die Christen wieder nach der Verfolgung, weil sie sagen: „Da war es wenigstens klar. Heute wissen wir überhaupt nicht mehr, wie wir uns verhalten sollen.“
Das ist die Situation mit der Frau Potifa, die übertragen ist auf die Stellung der Christen in der heutigen russischen Gesellschaft.
Nun geht die Geschichte weiter: Der Herr bleibt mit Josef. Er hat gar nichts verloren, im Gegenteil, sein Leben geht zur Herrlichkeit, wenn er treu die Demütigung Gottes mitträgt.
Sie wissen auch, dass Gott zweierlei tun kann: Gott kann uns demütigen, und Gott kann uns in die Höhe führen. Aber nichts ist für die Gemeinde Jesu und für die Auserwählten Gottes schwerer zu ertragen als die Erhöhung. Die ist gefährlicher, denn da kommen wir plötzlich in meinen „Haarheim“. Wir haben ja alles in unserer Tasche. Da hat Josef Sachen, Mensch, jetzt hört alle auf mich, habe ich es nicht geschafft, den Anstoß zu vermeiden, jetzt kann ich die Welt stillschweigend zu Füßen legen.
Es war oft bei den Christen und bei der Kirche eine Meinung im Mittelalter – schlimmste Versuche. Da wäre viel darüber zu sagen in dieser Josefs-Geschichte. Aber es steht ganz zweifellos dahinter, dass man lernen kann, wie wir in einer versuchlichen Welt stehen und wie wir heute leben.
Es wird auch heute wieder ganz wichtig sein, dass wir in einer Zeit, in der man keine Verfolgung leidet und keine Feindschaft hat, den Verlockungen nicht erliegen. Wir sollen unseren Weg gehen in der ganzen Liebe, so wie Josef, aber aufpassen, dort nicht wieder gegen Gott zu sündigen. Das darf nicht sein.
