Einstimmung auf die Adventstagung und das Ziel der Stille
Das war gestern Abend etwas Besonderes. Wir wurden den ganzen Tag über darauf eingestimmt, dass meine Seele still zu Gott ist. Ich ringe danach, dass auch ihr still seid. Das ist unser Wunsch für diese Adventstagung: dass wir aus dem Getriebe um uns herum in die Stille zu Gott kommen.
Dietrich Bonhoeffer hat in seinem großen Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ den schönen Ausdruck „Gib das unsere aufgescheuchten Seelen“ verwendet. Damit meint er, dass die aufgescheuchten Seelen, die durch das, was uns persönlich umtreibt und was unsere Welt bewegt, zur Ruhe kommen sollen.
Über diesen Adventstagen steht die Losung: „Das Warten der Gerechten wird Freude werden.“ Das große Ziel der Freude, das Gott für sein Volk bestimmt hat, wird in der Bibel mit der Gottesstadt beschrieben – freudig laut Jerusalem.
Warum kommt da immer Jerusalem vor? Das Ziel, das eigentlich David gewollt hat, war eine Stadt mit festen Mauern, eine sichere Stadt. So heißt es auch beim Propheten Jesaja: In der Mitte soll das Heiligtum stehen, und Gott soll in ihr wohnen.
Unter Salomo wurde gesagt: „Herr, du willst im Dunkeln wohnen, sollte dies Haus dich fassen.“ Doch das war auch der Keim des Untergangs. Die Propheten bis hin zu Jesus mussten sagen, dass kein Stein auf dem anderen bleiben wird.
Die Gottesstadt als Sehnsuchtsort und geistliches Ziel
Wie oft habe ich dich versammeln wollen, Jerusalem, wie eine Glucke ihre Küken unter ihre Flügel versammelt. Aber ihr habt nicht gewollt.
Es kommt der Tag, da auch ihr singen werdet: Gelobt sei! Wir haben ja gerade auch im Lied schon wie eine Vorankündigung gesungen: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn. Das wird erfüllt, weil das Sehnen nach der Gottesstadt groß ist. Gott wird bei ihr wohnen und wird ihr Gott sein. Sie bedarf nicht der Sonne, noch des Mondes, noch irgendeiner Leuchte, weil Gott selbst sie erleuchtet.
Von dieser Gottesstadt hat Otto Riedmüller, der ein großer geistlich begabter Führer evangelischer Jugendarbeit war, vor allem in der Mädchenarbeit, immer wieder gesungen. Sein Lied war: Herr, wir gehen Hand in Hand, Wanderer nach dem Vaterland.
Und dann auch das Lied, das ich Ihnen jetzt auf dem Liedzettel ausgeteilt habe: Nun gib uns Pilgern aus der Quelle der Gottesstadt den frischen Trank. Lass über der Gemeindehelle aufgehen dein Wort zu loben. Danke.
Otto Riedmüllers Vermächtnis und sein Bekenntnis zur Gottesstadt
In seiner letzten Predigt, bevor er im Alter von 49 Jahren verstarb, äußerte Otto Riedmüller seinen Wunsch, auf dem Uffriedhof in Stuttgart-Bad Cannstatt beerdigt zu werden. Er bat darum, dass Johannes Busch, der damals als Blutjunge Führer der evangelischen Jugend war, die Beerdigung hält.
Johannes Busch schloss die Beerdigungsansprache mit der Strophe:
"Himmel anwalt neben dir,
Alles Volk des Herrn trägt im Himmelsfurchtmark hier
seine Lasten gern, oh schließ dich an!
Ziel der Gottesstadt."
In seiner letzten Predigt hatte Otto Riedmüller gesagt: „Wir wollen entschlossen und mutig den Weg einschlagen, zur Heimat bei Gott, zur Geborgenheit in seiner Stadt.“ Dieses Thema lag ihm sehr am Herzen.
Es war damals, im Jahr 1938, nicht ganz ungefährlich, von der Gottesstadt zu predigen. Im Hitlerregime war gerade aufgekommen, dass man von München als der Stadt der Bewegung sprach, Nürnberg war die Stadt der Reichsparteitage, und Stuttgart galt als die Stadt der Auslandsdeutschen. Die Städte erhielten alle einen nationalsozialistischen Charakter.
Otto Riedmüller betonte: „Wir wollen uns nicht von der Begeisterung unserer Tage mitreißen lassen, sondern wir wollen gegründet sein im alten Evangelium und nach der Gottesstadt Ausschau halten.“
Die biblischen Grundlagen der Lieder Otto Riedmüllers
Ich möchte heute Morgen in den kurzen Minuten unserer Bibelstunde auf drei Begriffe Wert legen, die sich in der ersten Zeile des Liedes finden. Die Zeile lautet: „Nun gib uns Pilgern aus der Quelle der Gottesstadt.“
Zunächst der Begriff „nun gib uns Pilgern“ und dann „aus der Quelle der Gottesstadt den frischen Trank“. Diese Begriffe sind biblische Zentralthemen. Auch bei Otto Riedmüller ist es so, dass seine Lieder „gespeist sind aus der Bibel“. Er wollte ein neues Singen unter der evangelischen Jugend beginnen. Er sagte, es sei eine Irrlehre und eine Gotteslästerung, wenn wir das Lob Gottes nach der Melodie von Gassenhauern singen.
Diese Lieder haben eine Würde, sie sind Lieder Gottes. Geistliche Lieder müssen aus der Bibel gespeist sein. Wir wollen nichts anderes bringen, keine eigenen Ideen, sondern biblische Kost.
Ich darf Ihnen gerade noch zwei Sätze von Riedmüller sagen. Als er die beiden Liederbücher „Der helle Ton“ und „Das neue Lied“ geschaffen hat, war das in einer Zeit, als die Parolen des Nationalsozialismus wichtig waren. Zuerst begann er mit der Losung für die evangelische Mädchenarbeit: „Der Herr ist unser Richter, der Herr ist unser Meister, der Herr ist unser König, der hilft uns.“
Dann führte er die Monatssprüche ein, die wir heute noch haben, sowie die Wochensprüche. Es war ihm wichtig, dass junge Menschen in der Bibel gegründet sind. Wir dürfen die Bibel nicht verlieren.
Damals gab es auf billigem Papier gedruckte Monatssprüche, die von der evangelischen Jugend aufgehängt wurden. „Deine Fahnen ziehen voran“ – in einer Zeit, als Fahnen eine große Rolle spielten, war ihm dieser Satz wichtig: „Deine Fahnen ziehen voran, auch für uns nach deinem Plan.“
Jetzt lassen Sie uns die vier Strophen singen: „Nun gib uns Pilgern“. Danach wollen wir versuchen, uns in der Bibel hineinzufinden in das, was Otto Riedmüller wichtig gemacht hat.
Das Symbol der Gottesstadt und die biblische Vision aus Offenbarung 21
Nun also zu den Begriffen, die Otto Riedmüller aus der Bibel schöpfte und die ihm wichtig waren. Sie kennen vielleicht das Abzeichen der evangelischen Jugend, das über lange Jahrzehnte verwendet wurde: die Weltkugel mit dem Kreuz Jesu darüber. Otto Riedmüller war nicht nur ein Architekt und großer Fotograf. Er entwarf auch die Südkirche in Esslingen als Künstler. Darüber hinaus schuf er dieses Zeichen, das jetzt auf seinem Grab im Ufrudorf steht: das Kreuz auf der Weltkugel als Bekenntnis, dass Jesus Christus als König herrscht.
Kommen wir nun zum Begriff der Gottesstadt. Wir schlagen einmal die Offenbarung 21 auf. Dies ist das grundlegende Wort, das uns beschäftigen soll. Dort wird das Warten der Gerechten zur Freude beschrieben.
Offenbarung 21: Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Eine unvorstellbare Welt.
Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, das von Gott aus dem Himmel herabkommt, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme vom Thron her. Jetzt wird plötzlich in die Vision hinein gesprochen, was er gesehen hat – was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und was in keines Menschen Herz gekommen ist, was keine menschliche Fantasie sich ausdenken kann. Er hört etwas, damit Klarheit entsteht:
Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen. Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein.
Der Cherub steht nicht mehr vor der Tür. Gott sei Lob, Ehr und Preis! Nicht mehr Trennung von Gott, sondern er wird bei uns wohnen. Das Herabkommen Gottes zu unserer Welt.
Und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen. Der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein. Dieses Erste ist vergangen – das, was zu unserer Welt gehört: Leid, Schmerz, Tod, Abschied, Heimweh.
Und wer auf dem Thron saß, der lebendige Gott, sprach zu mir: Siehe, ich mache alles neu! Und er sprach: Schreib es auf schwarz auf weiß, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss.
Er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.
Und gib uns Pilgern aus der Quelle der Gottesstadt den frischsten Trank!
Die Bedeutung der Gottesstadt für Menschen heute
Gottesstadt – das war nicht nur eine Vision. Die Stadt ist für uns Menschen wie ein Magnet. Wenn Menschen nach Asien oder Afrika schauen, strömen sie aus den Krals und Dörfern in die Stadt. Obwohl man sagen kann, dass dort das große Unheil und das Verbrechen beginnen, fühlen sie sich doch magisch angezogen.
Dort sind wir aufgehoben, dort sind die anderen. Was die Städte unserer Welt, der vergehenden Welt, nicht bieten können, das will einmal die Gottesstadt bieten: die Bergung und Gemeinschaft der Heiligen, mit den vollendeten Gerechten. Das sind lauter Begriffe der Bibel. Schon hier ist etwas Großartiges spürbar, wenn wir Verbundenheit mit Glaubensgeschwistern fühlen.
Besonders schön ist das auf internationalen Tagungen, wenn man Christen entdeckt, die durch Hautfarbe und Sprache getrennt sind. Trotzdem ist man zutiefst verbunden mit dem lieben Bruder aus Tansania, mit der Schwester aus Kenia oder mit der kleinen Gemeinde in Ruanda.
Was wird das einmal sein vor dem Thron Gottes, wenn aus allen Nationen, Völkern und Zungen Menschen versammelt sind? Der Gottesstaat, wo die Tore offenstehen, heißt es in der Offenbarung. Und die Könige der Welt werden ihren Glanz in diese Stadt bringen.
Die prophetische Verheißung Jerusalems bei Jesaja
Schon bei den Propheten Gottes spielt das kommende Jerusalem eine große Rolle. Besonders eindrücklich ist dies beim Propheten Jesaja. Ich möchte Ihnen dazu einige Ausschnitte zeigen, damit Sie einen Eindruck davon bekommen, dass Gott dieses Jerusalem schon lange vorher angekündigt hat. Es ist keine bloße Vision oder ein Traum von Menschen, sondern eine Verheißung Gottes.
Wir schlagen nun Jesaja 59 auf, ab Vers 20: „Für Zion wird Gott als Erlöser kommen. Und für die in Jakob, die sich von der Sünde abwenden, spricht der Herr: Dies ist mein Bund mit ihnen. Mein Geist, der auf dir ruht, meine Worte, die ich in deinen Mund gelegt habe, sollen von deinem Mund nicht weichen.“
Weiter geht es mit Kapitel 60: „Mach dich auf, werde Licht, denn dein Licht kommt. Die Herrlichkeit des Herrn geht über dir auf. Siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und verdunkelt die Völker, aber über dir geht der Herr auf, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Die Heiden werden zu deinem Licht ziehen, und Könige zum Glanz, der über dir aufgeht. Von Seba werden sie alle kommen, Gold und Weihrauch bringen, die Herden aus Keda sollen kommen. Ich will das Haus meiner Herrlichkeit zieren.“
In Vers 10 heißt es: „Fremde werden deine Mauern bauen, Könige werden dir dienen. Denn in meinem Zorn habe ich dich geschlagen. Kein Stein wird auf dem anderen bleiben“, hat Jesus gesagt, „aber in meiner Gnade erbarme ich mich deiner. Deine Tore sollen offenstehen.“ Hier ist klar die Rede von Jerusalem, vom kommenden Jerusalem.
In Vers 14 steht: „Es werden zu dir kommen, die dich unterdrückt haben. Alle, die dich gelästert haben, werden zu deinen Füßen niederfallen und dich nennen: Stadt des Herrn, Zion des heiligen Gottes.“
So geht es weiter in Vers 19 von Kapitel 60: „Die Sonne soll nicht mehr dein Licht sein am Tag, der Glanz des Mondes soll nicht mehr über dich leuchten, sondern der Herr wird ein ewiges Licht sein.“
Im Kapitel 62 heißt es: „Um Zions Willen will ich nicht schweigen, um Jerusalems Willen will ich nicht innehalten, denn die Heiden sollen deine Gerechtigkeit sehen. O Jerusalem, ich habe Wächter auf deine Mauern gestellt, die den ganzen Tag nicht schweigen sollen.“
Es geht also um Jerusalem – nicht mehr um das alte Jerusalem, sondern um das kommende. „In meinem Zorn habe ich dich geschlagen, habe ich dich dahingegeben“, heißt es, „aber ich habe noch etwas vor mit der Gottesstadt.“
Die himmlische Stadt als endgültige Heimat
Nun sieht der prophetische Seher Johannes die Stadt Gottes vom Himmel herabkommen. Diese Stadt ist nicht von Menschen erbaut, nicht als ein tausendjähriges Reich oder als Fantasiestadt, sondern sie kommt von Gott aus dem Himmel herab. Aus dem neuen Himmel und der neuen Erde.
Es wird wahr, was Jesus gesagt hat: Wer mein Wort hält, bei dem wird mein Vater kommen, ich werde zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen. Wir sind dann daheim beim Herrn.
Wir sind oft sehr beschäftigt mit Gedanken, denn wir haben alle Angst vor dem Sterben. Wir werden von der Frage beherrscht: Wie geht es nach dem Moment des Todes weiter? Bin ich dann gleich bei Jesus?
Die Bibel lehrt uns, dass für unsere ganze Welt, für den Kosmos und das Universum ein ganz neues Ziel bestimmt ist, das das erste Paradies sogar übertreffen wird. Gott wird bei den Menschen wohnen. „Ich mache alles neu“, heißt es, und es wird noch mehr gelten: „Siehe da, alles sehr gut.“
Der Traum der Grünen und Ökologen – dass die Verseuchung der Erde aufhören muss – wird weit übertroffen. Die neue Welt, in der Gerechtigkeit wohnt, wird Wirklichkeit.
Dieses Sehnen wurde von den Zeugen des Neuen Testaments aufgenommen. In Galater 4 wird von Jerusalem gesprochen, das droben ist, und im Hebräerbrief heißt es: Wir sind gekommen zur Stadt – nicht bloß zum Berg Zion – sondern zur Stadt des heiligen Gottes, zur Versammlung der vieltausend Engel, berufen zu dieser unvorstellbaren Heimat Gottes, die auch unsere Heimat sein soll.
Das war das Gegengift, das Otto Riedmüller in eine Zeit nationaler Begeisterung und Verführung geben wollte. Er sagte: Wir warten noch einmal auf ein ganz neues Reich, auf das Reich Gottes, auf die Stadt Gottes.
Die verlorene Sehnsucht nach der himmlischen Stadt
Ist uns das eigentlich verloren gegangen? Unsere Vorfahren haben gern gesungen: „Jerusalem, du hochgebaute Stadt, wollt Gott, ich wäre in dir.“
Mitten in einer Notzeit hat dieser Rektor Maifart von Coburg das gedichtet. In Coburg steht das Schloss der Sachsen, Coburg, Gothaleuten, die Ehrenburg. Deshalb der Vers: „O Ehrenburg, sei nun gegrüßet mir.“
All das, was er vor Augen sah an irdischer Pracht, hat er hochgesteigert. Doch die eigentliche Ehrenburg kommt erst, wenn ich zuletzt im schönen Paradies angelangt bin. Von höchster Freude erfüllt wird dann der Sinn.
Haben wir das verloren, diese Sehnsucht? So bleibe denn mein Angesicht stracks gegen dieses Stadtgericht gerichtet. Oh, dass ich doch als Bürger käme ins himmlische Jerusalem!
Ein Tag sagt dem anderen: Mein Leben sei ein Wandern zur großen Ewigkeit! All die Ewigkeitslieder zeigen, dass es bei uns immer noch wichtig ist, wie es nach dem Sterben weitergeht.
„Jesus, meine Zuversicht, ist alles recht und gut. Ich habe von ferner her deinen Thron erblickt und hätte gerne mein Herz vorausgeschickt.“
Wie wird es sein, wenn ich ziehe in Salem ein, in die Stadt der goldenen Gassen? Herr, mein Gott, ich kann es nicht fassen. Haben wir diese Freude, diese Sehnsucht verloren?
Das Warten der Gerechten soll Freude werden. Lasst mich gehen, lasst mich gehen, dass ich Jesus möge sehen!
Dort vor dem Thron im himmlischen Land sehe ich die Lieben, die ich einst gekannt habe. Doch Jesus und Jesus allein wird Grund meiner Anbetung und Freude sein.
Die Hoffnung auf das endgültige Heil und die Gemeinschaft mit Gott
Man kann sich als Ausleger des Evangeliums, wenn man sich von der Bibel bereichern lässt, manchmal an Formulierungen festhaken. So schwach ist unser Geist, dass man gern immer wieder alte Ausdrücke benutzt. Meine Kinder und besonders meine liebe Frau lächeln schon, wenn ich etwas sage wie: „Das wird noch einmal etwas ganz anderes sein.“
Sie wissen, dass das öfter vorkommt. Es ist etwas Großes, wenn wir hier im Abendmahl unter dem Zuspruch von Geschwistern hören: „Dir sind deine Sünden vergeben.“ Aber das wird noch einmal etwas ganz anderes sein, wenn wir überkleidet mit dem weißen Kleid der Gerechtigkeit vor Gott stehen dürfen, ohne eine Macke der Sünde.
Es ist groß, das habe ich vorher schon gesagt, wenn wir hier zusammenkommen können mit anderen Christen aus der Gemeinschaft des weltweiten Volkes Gottes. Aber das wird noch einmal etwas anderes sein, wenn wir zusammen mit den Engeln und Erzengeln, mit den Propheten, mit den Zeugen Gottes, mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.
Schon groß ist es, wenn wir hier erleben, dass der Herr uns Aufschub der Krankheit schenkt, Heilung, wenn wir noch einmal mit dem Köfferchen aus dem Krankenhaus gehen dürfen. Aber das wird noch einmal etwas anderes sein, wenn kein Leid, kein Geschrei, kein Schmerz mehr sein wird.
Und zum Ziel der Gottesstadt, Herr, wir gehen hoffentlich Hand in Hand als Wanderer nach dem Vaterland.
Der Begriff des Pilgers und seine Bedeutung heute
Aber nun zum zweiten Begriff: Pilgern. Heute verstehen junge Leute unter Pilgern oft etwas anderes. Für sie ist der Begriff veraltet. Das ist schade, denn Pilgern ist ein Begriff aus der Bibel.
Der Apostel Petrus ermahnt euch als Pilger und Fremdlinge. Ihr seid in dieser Welt Fremdlinge. In der modernen Evangelisation gibt es die Tendenz, sich den Menschen so anzupassen, dass sie sagen: „Wenn Christen so sind, ist das Phantasie.“ Nein, nein! Ihr seid Fremdlinge. Ihr stoßt auf Widerstand. Wir müssen uns nicht besonders bemühen, um anzuecken. Wir ecken mit unserer Botschaft an. Wir sind Fremdlinge, Außenseiter, nicht Zeitgenossen, sondern Geländegänger.
Das ist ein biblischer Begriff: die Pilger. Christian Friedrich Spittler, der Gründer der Basler Mission, des Diakonissenhauses in Riehen, der ersten Rettungsanstalt in Beugen und von 50 verschiedenen diakonischen Einrichtungen, Einrichtungen der Bibelmission und der Weltmission, war Mitbegründer der Basler Mission. Er hatte ein Ziel: Er wollte eine Handwerkermission. Nicht toll ausgebildete Leute, sondern Pilger sollten es sein.
So gründete er die Pilgermission St. Chrischona. Es mussten ganz normale Handwerker sein, die in die Türkei und nach Ägypten gingen, ihren Beruf lebten und nebenbei Menschen, Nachbarn, sammelten und ihnen von Jesus erzählten.
Pilgermission – Pilgerreise zur seligen Ewigkeit. Das Buch von John Bunyan, auf gut Deutsch „Pilgerreise zur seligen Ewigkeit“, spielte eine große Rolle in Europa und Amerika, geistlich. Die ersten Siedler in Amerika nennt man heute noch „the Pilgrim Fathers“, die Pilgerväter. Das ist ein Begriff, der in der Geschichte verankert und angepasst ist.
Warum wehren wir Christen uns gegen den Begriff Pilger? „Nur mit Jesus will ich Pilger wandern“ war ein Lieblingslied meines Vaters. Er sang diese Pilgerlieder gern. „Mein Leben ist ein Pilger im Land“ – viele ältere Leute kennen und lieben das Lied „Der Pilger aus der Ferne zieht seiner Heimat zu“ von Christian Gottlob Barth, dem großen Missionspionier.
„Näher, mein Gott, zu dir, schließt dann mein Pilgerlauf, schwinge ich mich freudig auf, näher, mein Gott, zu dir.“ Heimatland, Heimatland, ach, wie schön bist du! „Nur mit Jesus will ich Pilger wandern.“
In unserer großen schwäbischen Nationalhymne „Jesus Christus herrscht als König“ heißt der Schlussvers: „Ich auch auf der tiefsten Stufen, ich will glauben, reden, rufen, ob ich schon noch Pilger bin. Bin erst unterwegs zum großen Ziel.“
Wir müssen uns nicht so auf dieser Welt einrichten, dass das Sterben bedeutet, mit allen Fasern herausgerissen zu werden, schmerzhaft. Diese Welt ist eine Zwischenstation, auf der wir mit leichtem Gepäck leben dürfen und müssen. Es geht der Heimat entgegen.
Wenn Sie unser schönes blaues Liederbuch aufschlagen, steht auf Seite 420, glaube ich, wo die Zusammenstellung der Themen ist, unter dem Buchstaben P „Pilgerlieder“ – Lieder der Fremdlingschaft, der Sehnsucht nach der himmlischen Heimat. Dort sind dreißig, vierzig Lieder genannt.
Nehmen Sie das Liederbuch mit auf Ihr Zimmer, schlagen Sie die Lieder auf und merken Sie, was wir verloren haben. Manche Lieder kennen wir noch ein bisschen im Anklang, aber sie bewegen uns nicht mehr.
Otto Riedmüller hatte den Mut, in eine junge evangelische Jugend hineinzurufen: „Nur mit Jesus will ich Pilger wandern, nun gib uns Pilgern aus der Quelle der Gottesstadt den frischen Trank.“
Das Bild vom breiten und schmalen Weg und die Quelle des Lebens
Vielleicht spielte das Andachtsspiel, das hier in Süddeutschland in vielen Häusern hing, eine Rolle. Es zeigt das Bild vom breiten und schmalen Weg. Die Stuttgarter Kaufmannsfrau Charlotte Reilen beauftragte einen Künstler, dieses Bild zu malen. Es stammt aus der Bergpredigt und behandelt das Thema vom breiten und schmalen Weg.
Beim schmalen Weg ist oben das Ziel, die Gottesstadt, nur angedeutet. Am Eingang vor der engen Pforte steht eine Person, die noch unschlüssig ist. Es ist ein Pilger, richtig mit Reisesack. Hinter der Pforte sieht man als Erstes eine Quelle. Eine Frau kniet vor der Quelle und trinkt den frischen Trank.
Vielleicht hat dieses Bild, das auch im Haus Riedmüller in Cannstatt hing, Otto Riedmüller so geprägt, wie es viele Menschen geprägt hat. So dichtete er das Lied: „Nun, gib uns Pilgern aus der Quelle der Gottesstadt den frischen Trank!“ Er kam auf dieses Bild, das Nummer drei zeigt: Gottesstadt, Pilger, der frische Trank.
Das lebendige Wasser als Antwort auf den Lebensdurst
Das Erstaunliche in Offenbarung 21, wie wir es uns zuvor eingeprägt haben, ist Teil des großen Ziels dieses Abschnitts: Es wird kein Leid, kein Geschrei, kein Schmerz mehr geben. Alles wird neu sein.
Nun schließt der redende Gott vom Thron Gottes ab: „Ich will dem Durstigen geben vom Brunnen, von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“ So hat schon der Herr Jesus eingeladen: „Wer da dürstet, der komme zu mir.“
Selig sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.
Mein früh verstorbener Bruder Albrecht, ein begnadeter Jurist, hat immer gesagt, dass es in der deutschen Sprache eigentlich immer eine Entsprechung gibt: schwarz – weiß, hell – dunkel, hungrig – satt. Nur bei „durstig“ gibt es keine Entsprechung. Er sagte, er wünsche sich ein Wort, das man verwendet, wenn man genug getrunken hat – so wie man „satt“ sagt, wenn man genug gegessen hat. In der deutschen Sprache muss man immer „durstig“ verwenden, denn man ist immer durstig.
Wenn Sie Enkel und erst recht Urenkel haben, müssen Sie viel Sprudel und Säfte bereitstellen. Die hören gar nicht mehr auf zu trinken. Ich weiß gar nicht, wohin das alles bei denen mit dem Durst führt.
Und wenn Sie Schwerkranke erleben, ist oft das Wort, das Sie hören, „Durst“. Dort, wo man nur noch die Lippen befeuchten kann, ist Durst eine Lebenssehnsucht.
Als ich nach Schorndorf kam, zu meinem Dienst als Pfarrer und Dekan, war der Erste, der auftauchte – wir saßen noch auf den Umzugskisten –, ein Mann, der sagte: „Ich möchte herauskommen aus dem Ganzen. Dem Teufelskreis von Saufen und Rauchen.“
In meiner Unbedarftheit sagte ich: „Na, trinken Sie doch mal einen guten Saft.“ Er antwortete: „Sie wissen nicht, was das für ein Durst ist, den ich habe. Der lässt sich nicht mit Flüssigkeit stillen. Es ist ein Lebensdurst.“
Vor wenigen Wochen war es für mich sehr bewegend, dass wir das dreißigjährige Jubiläum unserer Suchtberatungsstelle feiern durften, die wir damals begonnen haben. Der große Saal im Martin-Luther-Haus war bis auf den letzten Platz gefüllt mit Leuten, die frei wurden von der Sucht. Sie haben etwas anderes bekommen: den Trank der Gottesstadt.
Dr. Rieth vom Rinkenhof in Wilhelmsdorf, der Entziehungsstelle, sagt: „Freiwerden vom Alkoholismus schaffen nur Leute, die mit Jesus neu anfangen.“
Das ist der Durst, der mit Jesus gestillt wird: „Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers.“
Die Einladung aus Offenbarung 22 und Jesaja 55
Und wenn Sie noch einmal umblättern auf die nächste Seite, bleibt das Thema bei der Offenbarung – bis in die letzten Verse hinein, Kapitel 22, Vers 17: „Und der Geist und die Braut sprechen: ›Komm!‹ Und wer es hört, der spreche: ›Komm!‹ Und wen dürstet, der komme; und wer will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“
Schon der Prophet Jesaja durfte im Auftrag Gottes einladen. In Jesaja 55 heißt es: „Kommt doch zur Quelle, kommt doch und nehmt umsonst Milch und Wasser, nehmt den Trank, ihr dürstenden Menschen!“
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie älter werden. Man denkt oft: Ich hätte doch noch diese und jene Reise machen wollen. Bei mir ist es so, dass ich gerne noch einmal Antiochien in Pisidien gesehen hätte, wo der Apostel seine große Predigt gehalten hat (Apostelgeschichte 13). Wir waren mal nahe dran. Aber man hat so Wünsche, was man noch alles erleben möchte.
Nicht, dass meine Enkel sich verheiraten – das machen sie selbst. Aber es gibt manche merkwürdige Sehnsüchte, was man noch gern geschafft hätte. Nehmen wir doch jetzt schon vom Wasser des Lebens umsonst, so heißt es in einer Liedstrophe, die den Durst auf ewig stillt.
Die Sehnsucht nach Frieden und das Tor des Friedens
Jetzt müssten wir eigentlich den anderen Liedstrophen nachgehen, aber ich möchte Ihnen dies wieder als Suchrätsel mitgeben. Worum geht es bei der Liebe? Lichtgedanken: Mach, woran Leib und Seele kranken, durch deine Wunderhand gesund. Schließ auf, Herr, Überkampf und Sorgen das Friedenstote Ewigkeit!
In meiner Jugend war ich begeisterter Posaunenbläser. Wir standen auf dem Stuttgarter Prenzlauer Haus und haben über das zerstörte Stuttgart die Choräle weggeblasen – gerade jetzt in der adventlichen Zeit. Dabei haben wir gesehen, wie die zerstörte Synagoge von Stuttgart wieder aufgebaut wurde.
Dann konnte ich meine ersten Hebräischkenntnisse anwenden bei der Inschrift, die über dem Eingangstor stand: Patachu – öffnet die Tore des Friedens, das hineingeht, ein gerechtes Volk. (Jesaja 26,6)
Die Sehnsucht Israels, dass die Tore aufgehen zur wirklichen Gottesstadt, und alles, was Israel bis heute bewegt – die Sehnsucht nach dem heiligen Land. Das heilige Land der Väter ist bloß ein Vorgeschmack, eine erste Sehnsucht auf das Eigentliche, zu dem auch wir berufen sind: Wer da dürstet, der komme.
Die Einladung zum Leben und das Bekenntnis zum Glauben
An meiner amerikanischen Universität, an der ich ein Jahr studieren durfte, bevor ich eine Gemeinde in Amerika übernehmen konnte, wurde einmal gerade in der Adventszeit ein eindrucksvoller Eindruck aufgeführt.
Der große Chor, der sonst wunderbar gesungen hat, rief eindrücklich: „Come, come, come, if you would live!“ – Komm doch, wenn du leben willst, „if you would live abundantly“ – wenn du wirklich im Überfluss leben willst, komm! Dann folgte eine Pause, und eine einzelne Stimme sagte: „Jesus, I come.“
Das ist das eigentliche Thema unseres Lebens: ob wir das sagen können, „Ich komme“. „Kommet und nehmt für euren giftigen Schaden aus dieser Quelle die ganze Fülle Gottes.“ Immer wieder wird das aufgenommen. Der Schlussvers zeigt uns dein königliches Walten.
Der Herr Jesus hat seinen Jüngern gesagt: Propheten und Gerechte wollten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen, aber ihr dürft sehen. Bringt Angst und Zweifel selbst zu dir, du wirst allein ganz Recht behalten.
Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir die Bibel aufschlagen, will uns Gottes königliches Walten gezeigt werden. Es wurde von den Propheten angekündigt, von der Schöpfung der Erde bis zum Ziel. „Ich bin das A und das O, ich führe es durch.“ Zeige uns dein königliches Walten!
Wir müssten viel mehr Mut haben, uns nicht für unseren Glauben zu entschuldigen, sondern auch davon zu erzählen. Auch von diesen Tagen, die wir hier erleben – etwas ganz Großartiges erleben. Wenn die Leute fragen, was du mal lesen darfst vom Ziel der Gottesstadt, dann sind die Worte Gottes viel wichtiger als das, was wir sagen. Menschen werden begreifen: „Ich bin doch ein Dürstender, zeig uns dein königliches Walten!“
Bringe Angst und Zweifel, Angst auch davor, den Namen des Herrn Jesus zu bezeugen, ganz zur Ruh. Du wirst allein ganz Recht behalten. Und jetzt kommst du wieder mit der Stille, wie gestern: „Herr, mach uns still und rede du!“
Herr Jesus, vielen Dank, dass du mit uns redest durch das Wort deiner Apostel, deiner Zeugen, durch dein gutes Wort. Du speist uns, die wir auf dem Pilgerweg sind, aus der Quelle deiner Gottesstadt. Schon jetzt gibst du den Kranken, die uns erquicken und wieder Mut geben für die Reise.
Du weißt, was hier Geschwister bewegt mit ihren Kämpfen und Sorgen. Schließe, Herr, über diesem Kampf und Sorgen dein Friedenstor der Ewigkeit, damit wir wissen, bis in den Tod hinein, bei dir sind wir geborgen, zum Kampf gestählt, zum Dienst bereit. Amen.
