Einleitung: Die Frage nach dem Befinden und Dankbarkeit
Wie geht es dir?
In der Predigt am letzten Sonntag, aus Psalm 33, habe ich einen guten Freund zitiert. Er antwortet auf diese Frage oft mit den Worten: „Besser, als ich es verdient habe.“ Wäre das auch für dich eine passende Antwort? Oder denkst du gerade in dieser Zeit: „Nein, mir geht es nicht besser, als ich es verdient habe. Mir geht es schlecht.“
Wenn das so ist, dann bleibt wenig Platz für wirkliche Dankbarkeit und für wahrhafte Anbetung unseres Herrn. Er hat ja letztendlich alle Dinge im Griff, auch unsere Lebensumstände. Wenn es dir so geht, dann kann dir unser heutiger Predigttext eine große Hilfe sein.
Durch unseren heutigen Predigttext gibt uns der Herr Einblick in die Familienchronik seines eigenen Volkes. So zeigt er uns, dass sein Volk – und auch wir – jeden Grund haben, ihm zu danken, ihn anzubeten und anzuerkennen, dass es uns wahrhaftig viel besser gehen darf, als wir es verdient hätten.
Kontext und Rahmen der Predigtserie
Unser heutiger Predigttext steht im ersten Buch Mose, Kapitel 34. Damit setzen wir unsere Predigtserie fort, die wir bereits seit einiger Zeit halten.
Aufgrund der aktuellen Corona-Krise haben wir uns entschieden, diese Predigtserie nicht mehr sonntags fortzusetzen, sondern als separate Online-Predigten anzubieten, die wir ins Internet stellen.
Diese Entscheidung hatte zwei Gründe: Zum einen wollten wir sonntags gezielt die aktuelle Situation ansprechen. Deshalb haben wir in den letzten beiden Wochen Texte aus den Psalmen betrachtet und werden auch weiterhin einige Texte auswählen, die uns in besonderer Weise Hoffnung in dieser Zeit geben sollen.
Zum anderen war das Unterbrechen der Serie auch durch den heutigen Predigttext begründet. Wir hoffen, mit den Online-Predigten momentan ganze Familien anzusprechen, einschließlich kleiner Kinder. Außerdem möchten wir viele kirchenferne Menschen erreichen.
Die Herausforderung des Predigtextes
Der heutige Predigttext erschien uns nicht besonders geeignet für einen Erstkontakt mit der FWG München-Mitte, da es sich um einen sehr herausfordernden Text handelt, der sich gezielt an Christen richtet.
Das bedeutet nicht, dass auch Nichtchristen von dieser Predigt profitieren können, wenn sie sie hören oder sehen. Dennoch spricht der Text ganz bewusst Christen an. Heute möchte ich deshalb gezielt uns Christen ansprechen.
Die Herausforderung bei solchen Online-Predigten besteht darin, dass gerade herausfordernde Predigten dazu verleiten können, einfach auszuschalten, wenn es zu schwierig wird. Das ist oft leichter, als während eines Gottesdienstes aufzustehen und den Saal zu verlassen. Dort ist die Hemmschwelle größer, aber kurz auszuschalten, ist einfach.
Ich möchte dich ermutigen, das nicht zu tun. Lass Gottes Wort zu dir sprechen und dich von seinem heiligen Wort herausfordern.
So möchte ich beten, dass der Herr uns durch sein Wort wirklich anspricht und verändert. Er möge uns hinführen zu dankbarem Lobpreis. Ich möchte dafür beten und dann Gottes heiliges Wort vorlesen.
Gebet vor der Schriftlesung
Himmlischer Vater, wir danken dir für dein Wort, durch das du uns schonungslos zeigst, wer wir sind. Gleichzeitig offenbart es, wer du bist und wie du bist. So führst du uns zu wahrem Lobpreis.
Herr, ich bete, dass du durch diese Predigt zu uns sprichst und unsere Herzen bewegst. Lass uns dich ehren, wie es dir gebührt, und unsere ganze Freude sowie Zuversicht in dir finden.
Das beten wir in Jesu Namen. Amen.
Ich lese uns nun aus Gottes heiligem Wort.
Lesung aus 1. Mose Kapitel 34: Die Schändung Dinas und die Reaktion der Familie
Die Tochter Leas, die Jakob geboren hatte, ging hinaus, um die Töchter des Landes zu sehen. Dabei sah sie Sichem, den Sohn des Heviters Hamor, der Herr des Landes war. Er nahm sie, legte sich zu ihr und tat ihr Gewalt an.
Doch sein Herz hing an ihr, und er liebte das Mädchen. Er redete freundlich mit ihr. Sichem sprach zu seinem Vater Hamor: „Nimm mir das Mädchen zur Frau!“
Als Jakob erfuhr, dass seine Tochter Dina geschändet worden war, waren seine Söhne mit dem Vieh auf dem Feld. Jakob schwieg, bis sie zurückkamen.
Hamor, der Vater von Sichem, ging zu Jakob hinaus, um mit ihm zu reden. Inzwischen kamen die Söhne Jakobs vom Feld zurück. Als sie hörten, was geschehen war, wurden sie sehr zornig. Es war eine Schandtat an Israel begangen worden, und bei Jakobs Tochter war Unrecht geschehen. Denn so etwas durfte nicht geschehen.
Hamor sprach zu ihnen: „Das Herz meines Sohnes Sichem sehnt sich nach eurer Tochter. Gebt sie ihm doch zur Frau! Verschwägert euch mit uns, gebt uns eure Töchter und nehmt unsere Töchter. Wohnt bei uns! Das Land ist offen für euch. Bleibt, treibt Handel und werdet ansässig!“
Sichem sprach zu ihrem Vater und zu ihren Brüdern: „Lasst mich Gnade bei euch finden! Was ihr mir sagt, das will ich geben. Fordert nur getrost von mir Brautpreis und Geschenk. Ich will geben, was ihr verlangt. Gebt mir nur das Mädchen zur Frau!“
Da antworteten Jakobs Söhne dem Sichem und seinem Vater Hamor hinterhältig, weil ihre Schwester Dina geschändet worden war: „Wir können das nicht tun, dass wir unsere Schwester einem unbeschnittenen Mann geben. Das wäre uns eine Schande. Doch wir wollen euch zu Willen sein, wenn ihr uns gleichwerdet und alles Männliche unter euch beschnitten wird. Dann wollen wir unsere Töchter euch geben und eure Töchter nehmen. Wir wollen bei euch wohnen und ein Volk sein.“
„Wenn ihr aber nicht einwilligt, euch beschneiden zu lassen, so wollen wir unsere Schwester nehmen und davonziehen.“
Diese Rede gefiel Hamor und seinem Sohn Sichem. Der Jüngling zögerte nicht, dies zu tun, denn er hatte großen Gefallen an der Tochter Jakobs. Er war mehr angesehen als alle in seines Vaters Hause.
Nun kamen Hamor und sein Sohn Sichem zum Tor ihrer Stadt und redeten mit den Bürgern der Stadt: „Diese Leute sind friedlich bei uns. Lasst sie im Land wohnen und Handel treiben! Das Land ist weit genug für sie. Wir wollen ihre Töchter zu Frauen nehmen und ihnen unsere Töchter geben. Aber nur dann wollen sie uns zu Willen sein, wenn sie bei uns wohnen und ein Volk mit uns werden, wenn wir alles Männliche unter uns beschneiden, gleichwie sie beschnitten sind.“
„Wird nicht ihr Vieh und ihre Güter und alles, was sie haben, unser sein? So wollen wir ihnen nun zu Willen sein, damit sie bei uns wohnen!“
Alle, die zum Tor der Stadt aus- und eingingen, gehorchten Hamor und Sichem, seinem Sohn. Sie beschnitten alles Männliche, das in die Stadt hinein- und herausging.
Doch am dritten Tag, als sie Schmerzen hatten, nahmen die zwei Söhne Jakobs, Simeon und Levi, die Brüder der Dina, jeweils ein Schwert. Sie überfielen die friedliche Stadt, erschlugen alles Männliche und töteten auch Hamor und seinen Sohn Sichem mit der Schärfe des Schwertes.
Sie nahmen ihre Schwester Dina aus dem Haus Sichems und gingen davon.
Die Söhne Jakobs kamen über die Erschlagenen und plünderten die Stadt, weil man ihre Schwester geschändet hatte. Sie nahmen Schafe, Rinder, Esel und alles, was in der Stadt und auf dem Feld war. Alle ihre Habe, Kinder und Frauen führten sie gefangen weg und plünderten alles in den Häusern.
Jakob sprach zu Simeon und Levi: „Ihr habt mich ins Unglück gestürzt und den Ruf bei den Bewohnern dieses Landes, den Kanaanäern und Perisiter, ruiniert. Ich habe nur wenige Leute. Wenn sie sich nun gegen mich versammeln, werden sie mich erschlagen. So werde ich samt meinem Hause vernichtet.“
Sie antworteten: „Sollte man denn mit unserer Schwester umgehen wie mit einer Hure?“
Analyse des Berichtes: Sünde, Versagen und menschliche Schwächen
Was will uns dieser Bericht lehren? Wir waren gerade am Ende von Kapitel 33 an einem Punkt angekommen, an dem scheinbar alles gut wurde. Nach einer langen Zeit, in der Jakob fern vom gelobten Land in Haran war und viele Konflikte mit Esau sowie mit seinem Onkel und Schwiegervater Laban hatte, kehrte er endlich zurück. Er konnte wieder ins gelobte Land kommen.
Zuerst war er nach Sugod gekommen, kurz vor dem gelobten Land, und jetzt war er im gelobten Land, in Sichem. Am Ende von Kapitel 33 hatten wir gelesen, wie er dort einen Altar baute, Gott anbetete und ihn als seinen Gott anerkannte. Dabei gab er sich den Namen Israel, den Gott ihm schon zuvor gegeben hatte, als er mit Jakob am Fluss Jabok gerungen hatte.
Doch dann folgt Kapitel 34. Plötzlich lesen wir nicht von einem Happy End, nicht alles ist gut. Nein, wir lesen von einem fürchterlichen Verbrechen. Der lokale Prinz Sichem sieht Jakobs Tochter Dina, die damals bestenfalls ein Teenager war, und nimmt sie sich. Er vergewaltigt sie. Noch schlimmer: Er lässt sie nicht gehen, sie bleibt in seinem Haus.
Das klingt nur an, wenn die Brüder später bei der Verhandlung sagen: „Wir holen unsere Schwester von dir.“ Als sie dann die Stadt überwältigen, nehmen sie Dina aus seinem Haus. Sie war gefangen bei ihm.
Angesichts dieses schrecklichen Verbrechens ist die Reaktion der Söhne Jakobs in Vers 7 sehr gut nachvollziehbar. Dort heißt es: „Als sie es hörten, verdross es die Männer, und sie wurden sehr zornig, dass er eine Schandtat an Israel begangen und bei Jakobs Tochter gelegen hatte.“ Richtig wird ergänzt: „Denn solches durfte nicht geschehen.“
Doch Sichem und sein Vater Hamor scheinen kein großes Unrechtsbewusstsein zu haben. Sie gehen zu Jakob und verhandeln mit Dinas Brüdern. Sie wollen nur den Brautpreis festlegen – als ob das Ganze schon in Ordnung wäre und man es nun nur noch juristisch regeln müsste.
Wir können es natürlich nicht genau wissen, aber es scheint fast so, als ob es fast ein bisschen normal war, dass ein Stammesfürst sich einfach eine junge Frau nahm und ihr Gewalt antat. Das ist fürchterlich und schlimm.
Spätestens seit der MeToo-Kampagne wissen wir, dass so etwas nicht nur damals vorkam. Auch heute noch missbrauchen Menschen mit Einfluss und Macht ihre Position, um Frauen gefügig zu machen und ihnen Gewalt anzutun.
Das ist schlimm und darf nicht sein. Solches durfte nicht geschehen, und solches darf auch heute nicht geschehen.
Die Sündhaftigkeit aller Beteiligten
Ohne jeden Zweifel sind die Heiden – die Menschen in der Stadt Sichem, Sichem selbst und sein Vater Hamor – schwere Sünder. Ohne jedoch die offensichtliche Schuld Sichems zu relativieren, sollten wir uns fragen, inwieweit das, was Jakob und seine Söhne taten, zu rechtfertigen ist. Wir müssen anerkennen, dass auch sie Sünder waren, mitten unter Sündern.
Das beginnt schon damit, dass Jakob sein Gelübde nicht hält. Er hatte Gott damals zu Beginn seiner Flucht, als er vor Esau fliehen musste und das gelobte Land verlassen hatte, in Bethel gelobt, dass er, wenn der Herr ihn, wie versprochen, zurückbringen würde, ihm dort ein Gotteshaus bauen würde.
Der Herr war treu, er brachte Jakob zurück, segnete ihn reichlich, war bei ihm und führte alles gut. Doch Jakob geht erst gar nicht ins gelobte Land, sondern bleibt einige Jahre in Sukkot. Als er schließlich doch ins gelobte Land zieht, geht er nicht bis Bethel, um dort das versprochene Gotteshaus zu errichten, sondern nur bis Sichem, einer heidnischen Stadt. Dort kauft er ein Stück Land direkt vor der Stadt und baut einen Altar.
Das bedeutet, Jakob hält seine Gott gegenüber gemachten Zusagen nicht ein.
Weiterhin müssen wir sehen, dass Jakob seine Vaterpflichten vernachlässigt. Er führt seine Familie vor die Tore dieser heidnischen, sündigen Stadt. Hier lesen wir von seiner jüngsten Tochter Dina. Dina war die jüngste Tochter Leas. Lea war die Frau, die Jakob nach sieben Jahren in Haran heiraten durfte. Sie gebar ihm vier Söhne und konnte dann eine Zeit lang keine Kinder mehr bekommen. Das haben wir in Kapitel 29 und 30 gelesen. Nach einigen Jahren gebar sie wieder Kinder, zwei weitere Söhne, und schließlich Dina, ihr siebtes Kind.
Das heißt, Dina war zum Zeitpunkt der Rückkehr aus Haran vielleicht drei, vier oder fünf Jahre alt – ein ganz kleines Kind. Wahrscheinlich war sie einige Jahre älter, als sie nach Sichem kam, doch wir können sicher sein, dass Dina bestenfalls ein junges Teenager-Mädchen war.
Und dieses junge Mädchen lässt der Vater einfach allein in diese heidnische Stadt gehen, um sich umzuschauen. Dann geschieht die Katastrophe: Sie wird vergewaltigt. Jakob hört davon, seine Tochter kommt nicht nach Hause, sondern bleibt im Haus des Mannes, der ihr Gewalt angetan hat.
Was tut Jakob? Nichts. Seine Tochter ist vergewaltigt worden und gefangen im Haus des Täters, doch er unternimmt nichts.
Stattdessen ergreifen Dinas Brüder die Initiative. Obwohl ihr Zorn sicher gerechtfertigt ist, handeln auch sie sündhaft. Wir lesen in Vers 13, wie sie auf das Angebot von Sichem und Hamor reagieren, einen Brautpreis zahlen zu wollen.
Dort heißt es: "Da antworteten Jakobs Söhne dem Sichem und seinem Vater Hamor hinterhältig, weil ihre Schwester Dina geschändet war, und sprachen zu ihnen: Wir können nicht zulassen, dass wir unsere Schwester einem unbeschnittenen Mann geben, denn das wäre uns eine Schande. Doch wir wollen euch zu Willen sein, wenn ihr uns gleich werdet und alle männlichen unter euch beschnitten werdet."
Die Söhne hatten offensichtlich gut von ihrem Vater gelernt. Jakob hatte zeitlebens gelogen und betrogen, und so handeln auch seine Söhne hier. Anstatt den Täter offen zu konfrontieren und zu sagen: "So nicht, das muss gestraft werden", täuschen sie vor, bereit zu sein, ihre Schwester unter bestimmten Bedingungen zur Frau zu geben.
Dabei missbrauchen sie ausgerechnet die Beschneidung, den von Gott gegebenen Ritus, der sein heiliges Volk kennzeichnet.
Am dritten Tag, wenn die Schmerzen am schlimmsten sind, gehen zwei der Brüder Dinas, Levi und Simeon, los und schlagen die ganze Stadt nieder.
Schließlich sehen wir, wie Jakob auf all das reagiert. Er, der passiv geblieben war und das Geschehen einfach zugelassen hatte, äußert sich in einer Rede gegen seine Söhne. Ein Wort zieht sich durch: "Ich, ich, ich" – es geht ihm nur um sich selbst.
Jakob spricht zu Simeon und Levi: "Ihr habt mich ins Unglück gestürzt und den Ruf bei den Bewohnern dieses Landes, den Kanaanäern und Perisiter, ruiniert. Ich habe nur wenige Leute. Wenn sie sich gegen mich versammeln, werden sie mich erschlagen, und ich werde samt meinem Haus vernichtet."
So egoistisch und nur auf sich bedacht.
Dieses Kapitel ist voller Sünde, voller Sünde! Nur eines fehlt: Gott wird in diesem ganzen Kapitel nicht ein einziges Mal erwähnt – fast so, als wäre Gott mitten in diesen finsteren Sünden vollständig in Vergessenheit geraten.
Gottes Wort als Spiegel der menschlichen Sündhaftigkeit
Ich denke, die Worte aus Römer 3, ab Vers 10 sind eine sehr treffende Zusammenfassung dessen, was wir hier lesen.
Dort schreibt der Apostel Paulus: „Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer. Da ist keiner, der verständig ist, da ist keiner, der nach Gott fragt. Sie sind allesamt abgewichen, allesamt verdorben, da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer. Ihr Rachen ist ein offenes Grab, mit ihren Zungen betrügen sie, Otterngift ist unter ihren Lippen, ihr Mund ist voll Fluch und Bitterkeit, ihre Füße eilen, Blut zu vergießen. Auf ihren Wegen ist lauter Schaden und Jammer, und den Weg des Friedens kennen sie nicht, und es ist keine Gottesfurcht bei ihnen.“
Die Bedeutung des Berichtes für Israel und uns heute
Aber was will uns dieser Bericht nun sagen? Warum hat Gott dafür gesorgt, dass in seinem Heiligen Buch dieses finstere Kapitel der Familienchronik seines Volkes nicht verschwiegen wird, sondern uns überliefert wurde? Warum?
Ich denke, es soll dem Volk Israel ein für alle Mal jede Illusion nehmen, dass sie irgendwie besser wären als alle anderen Völker. Israel ist Gottes erwähltes Volk, aber nicht, weil sie es verdient hätten oder besser wären als die Sünder um sie herum. Nein, Israel ist Gottes erwähltes Volk, einfach weil Gott es erwählt hat – obwohl sie genauso sündig sind wie alle anderen Menschen.
Israel musste das immer wieder hören: Ihr seid nicht besser, ihr habt keinen Grund, euch selbst auf die Schulter zu klopfen. Ihr habt jeden Grund, euren Gott zu loben, zu preisen und ihm zu danken für seine Erwählung.
Nun, wie ist das mit uns? Können wir uns zurücklehnen und über Jakob und seine Söhne den Kopf schütteln? Oder hält uns dieser Bericht nicht vielmehr einen Spiegel vor, in dem auch wir herausgefordert werden, uns selbst zu hinterfragen?
Ähnlich wie Jakob machen wir doch auch immer wieder Gott Versprechungen, die wir nicht halten. Viele moderne Lobpreislieder sind voll von solchen Versprechen, die mein Gott macht und nie hält. Aber auch unsere persönlichen Gebete sind oft ähnlich. Wir sind überführt von etwas und versprechen Gott hoch und heilig etwas, vergessen es aber und halten es nicht ein. Ich kann mich da nicht ausnehmen. Ich weiß nicht, wie es bei dir ist.
Wir sehen zum anderen hier, dass Jakob sich und seine Familie in Gefahr bringt, weil er dahin geht, wo die Sünde ist – weil er zu den Heiden geht. Wie ist das mit uns? Setzen wir uns nicht auch immer wieder den Sünden der Welt aus, obwohl das nicht nötig wäre?
Ich meine damit keine Weltflucht. Nein, wir leben in dieser Welt, und das sollen wir auch tun. Und doch stellt sich die Frage, ob wir nicht auch in bestimmten Bereichen Schritte gehen in eine Richtung, in die wir nicht gehen sollten: Filme anschauen, in denen sexuelle Sünde als gut und schön beschrieben wird. Das macht etwas mit unseren Gedanken, das macht etwas mit unserem Herzen.
Vielleicht gehen wir mit zu Partys, wo viel zu viel getrunken wird, wo Unmoral herrscht, und wir gehen mit, anstatt wegzubleiben. Wir gehen dahin, wo Kollegen im Flur oder am Zaun des Nachbarn lästern, und wir gehen nicht weg, sondern bleiben dabei.
Immer wieder bringen auch wir uns in Situationen, in denen wir uns der Sünde aussetzen, uns unter Sünder begeben und selbst in Versuchung geraten, zu sündigen.
Ähnlich wie Jakob sind auch wir oft viel zu passiv, wenn wir Sünde erleben, anstatt denen zu helfen, denen Unrecht und Leid angetan wird. Wir nehmen traurig zur Kenntnis, wenn wir von Unrecht hören. Wir gewöhnen uns an Nachrichten und tun nichts mehr.
Wir werden nicht aktiv, wenn in unserer Gesellschaft Unmoral gut genannt wird, wenn Abtreibungen legalisiert werden. Wir nehmen das traurig zur Kenntnis, anstatt aufzuschreien, anstatt auf unsere politisch Verantwortlichen zuzugehen und sie zu bedrängen, diesem Unrecht ein Ende zu machen.
Ähnlich wie Jakobs Söhne ist uns der Lug und Trug nicht ganz unbekannt. Wir lügen, weil wir Angst davor haben, was passieren würde, wenn wir die Wahrheit sagen. Oder wir lügen, weil es einfach bequemer ist. Wir betrügen, weil wir uns davon einen gewissen Vorteil erhoffen. Wir lassen bestimmte Wahrheiten weg oder übertreiben.
Aber ähnlich wie Jakobs Söhne sind auch wir immer wieder maßlos – gerade wenn es darum geht, uns zu revanchieren, wenn uns Unrecht getan wurde. Anstatt die andere Wange hinzuhalten oder bestenfalls Gleiches mit Gleichem zu vergelten, sind auch wir Christen immer wieder Teil von Auseinandersetzungen, die eskalieren.
Und ähnlich wie Jakob sind auch wir oft mehr auf uns selbst bedacht als auf das Unrecht, das geschieht. Egoistisch wie Jakob.
Die universelle Sündhaftigkeit des Menschen
Euer Lieben, die Worte, die ich uns eben aus Römer 3 gelesen habe, sind nicht nur die Beschreibung von Jakob und seinen Söhnen sowie den Menschen in Sichem. Nein, Paulus schreibt in Römer 3,10 Worte, von denen er sagt, dass sie für alle Menschen gelten. Sie gelten auch für dich und mich.
Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer. Da ist keiner, der verständig ist, da ist keiner, der nach Gott fragt. Sie sind alle abgewichen und allesamt verdorben. Da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer.
Ihr Rachen ist ein offenes Grab, mit ihren Zungen betrügen sie, Otterngift ist unter ihren Lippen. Ihr Mund ist voll Fluch und Bitterkeit, ihre Füße eilen, Blut zu vergießen. Auf ihren Wegen ist lauter Schaden und Jammer, und den Weg des Friedens kennen sie nicht. Es ist keine Gottesfurcht bei ihnen.
Das ist die Beschreibung eines jeden Menschen, wenn Gott nicht eingreift und unsere Herzen verändert. Das beschreibt dich und mich, oder zumindest das, was du und ich einst waren und was wir zumindest teilweise auch heute noch sind.
Ich gebe zu, das ist keine besonders ermutigende Botschaft, aber es ist wahr. Es ist gut und richtig, davon nicht die Augen zu verschließen. Denn gerade wenn wir das klar vor Augen haben, dann werden wir in Staunen kommen über Gott, über Gottes Gnade.
Gottes Gnade trotz menschlicher Schuld
Ich denke, das ist der Grund, warum dieses Kapitel in der Bibel zu finden ist. Es soll Gottes Volk zum Staunen bringen über seine erstaunliche Gnade. Gott möchte seinem Volk Israel vor Augen führen, dass er jeden Grund gehabt hätte, sie zu verwerfen. Doch was geschieht? Was tut Gott nun nach diesem Kapitel?
Das Allernächste, was wir nach diesem Kapitel lesen, steht in Kapitel 35, Vers 1. Dort ruft der Herr Jakob und fordert ihn auf, nach Bethel zu ziehen und ihm dort einen Altar zu bauen. Gott gibt Jakob nicht auf, er bleibt an ihm dran. Er ruft ihn und erinnert ihn an sein Versprechen.
Dann erscheint der Herr Jakob noch einmal und sagt ihm erneut zu, dass er nun wirklich Israel heißen soll. So lesen wir in 1. Mose 35,10 folgende Worte: „Du heißt Jakob, aber du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel sollst du heißen.“ Und so nannte er ihn Israel.
Gott sprach zu ihm: „Ich bin der allmächtige Gott, sei fruchtbar und mehre dich. Ein Volk und eine Menge von Völkern sollen von dir kommen, und Könige sollen von dir abstammen. Das Land, das ich Abraham und Isaak gegeben habe, will ich dir geben und will es deinem Geschlecht nach dir geben.“
Ist das nicht erstaunlich? So ist unser gnädiger Gott diesem Mann, diesem Volk, dieser Familie gegenüber, die eben noch so fürchterlich gesündigt hat. Gott erscheint erneut und wiederholt sowie bestätigt seine Verheißung, seine Zusagen, seine großartigen Versprechungen. Die Segenslinie von Abraham soll über Isaak weitergehen, über Jakob, der nun Israel heißt, und hin zu seinem Sohn.
Doch das ist noch nicht alles. Die Verheißung, die der Herr Jakob hier gibt, sollte letztendlich in einem großen König, im größten aller Könige, ihre Erfüllung finden.
Im nächsten Kapitel sehen wir, dass nicht Jakobs Erstgeborener der Erbe der Verheißung wird. Ruben wird eine schlimme Sünde begehen und mit der Frau seines Vaters liegen. So ist er disqualifiziert.
In unserem Kapitel lesen wir auch von Levi und Simeon und dem, was sie getan haben. Am Ende des ersten Buches Mose hören wir aus Jakobs Mund, dass auch sie deshalb nicht die Erben der Verheißung sein sollen. Das heißt: Sünde hat echte Konsequenzen.
Doch der vierte Sohn, Juda, ist derjenige, von dem dann die Könige Israels abstammen sollen. Aus dem Geschlecht Judas stammt der König schlechthin: Jesus, der Sohn Gottes.
So wie der Sohn Jakobs wurde auch der Sohn Gottes Gewalt angetan. Doch anstatt zurückzuschlagen, wie es die Brüder Dina taten, war er bereit, am Kreuz für die zu beten, die ihm Gewalt antaten.
Sein Leiden führte nicht dazu, dass viele unschuldige Menschen gerichtet wurden, wie im Fall Dina. Durch sein Leiden und seinen Tod nahm er die Schuld vieler, die wirklich schuldig sind, auf sich, sodass diesen schuldigen Menschen vergeben werden kann.
Und das ist der Grund, warum alle, die an ihn glauben – an den stellvertretend für Sünder gekreuzigten und siegreich über Tod und Sünde am dritten Tage auferstandenen Retter und Herrn Jesus Christus – bei Gott Gnade finden können.
Gnade bei Gott finden Sünder, die auf Jesus vertrauen, der gekommen ist, um das Lösegeld zu zahlen, damit Sünder mit Gott versöhnt sein können. So groß ist die Gnade Gottes.
Schlussappell: Die Erinnerung an Gottes Gnade und die Berufung zum Lobpreis
Lieber Christ, ich möchte dich an Gottes Gnade erinnern. Ich glaube, genau das tut dieser Text. Er hält uns unsere Sündhaftigkeit vor, die Sündhaftigkeit seines erwählten Volkes. Damit nimmt er dem Volk alle Illusion, etwas von Gott zu verdienen außer Gericht.
Gleichzeitig zeigt er seinem Volk Gnade. Deshalb möchte ich dich fragen: Wie geht es dir? Ich hoffe, du kannst sagen, dass es dir besser geht, als du es verdient hättest.
Manchmal ist es gut, wenn Gott uns Menschen durch sein Wort ganz direkt mit unseren Sünden konfrontiert. Gerade dann können wir seine Gnade erkennen und in dankbarem Lobpreis durchdringen.
Ich bete, dass genau das diese Predigt, dieser schwierige und herausfordernde Text, in deinem Herzen bewirkt. Nicht damit du weiterhin sündigst und auf billige Gnade vertraust, sondern damit du Gott lobst und preist.
Und das tust du in einem Leben, in dem du dich mehr und mehr ihm zuwendest – mit dankbarem Herzen, im Vertrauen auf sein Wort. Du willst immer mehr so leben, wie er es dir sagt.
Denn das ist die Berufung von uns Christen: ein Leben hingegeben für Gott, ein Leben, das ein Lobpreis Gottes ist – aus einem dankbaren Herzen.
Dafür bete ich zum Schluss.
Schlussgebet
Himmlischer Vater, wir wollen dir danken, dass dein heiliges Wort uns auch solche finsteren Kapitel zeigt. Danke, dass du uns in deinem Wort zeigst, wie wir wirklich sind. Es gibt keinen Raum mehr für die Illusion, dass du uns erwählt und errettet hast, weil wir irgendwie bessere Menschen sind als andere.
Wir sehen Assan, Jakob und seine Söhne. Wenn wir ehrlich sind, erkennen wir dasselbe, wenn wir in unsere eigenen Herzen blicken: Wir sind Sünder, vollkommen abhängig von deiner rettenden Gnade.
Du hast uns Gnade erwiesen in Jesus Christus, deinem geliebten Sohn, den du in diese Welt gesandt hast, damit er unsere Schuld auf sich nimmt. So können wir befreit von aller Schuld vor dir bestehen.
Herr, wir rühmen und preisen dich dafür. Zugleich wollen wir dich um Vergebung bitten, weil wir so oft nicht dankbar sind und oft denken, wir hätten mehr verdient. O Herr, wir erhalten so viel mehr von dir an Gutem und Segen, als wir jemals verdient hätten.
Dafür preisen und loben wir dich in Jesu Namen. Amen.