Einführung in die Mission und persönliche Vorstellung
Die Jumiko lebt davon, dass Bibelarbeiten und Seminare gehalten werden. Außerdem werden Zeugnisse von Missionaren gegeben. Zwischen den Veranstaltungen steht eine Missionsausstellung zur Verfügung, bei der man sich über Missionen informieren kann.
Vielleicht fragt sich der eine oder andere, wer hier gerade vorne steht. Mein Name ist Detlev Gabers. Ich bin Öffentlichkeitsreferent der deutschen Missionsgemeinschaft und war bis vor kurzem acht Jahre als Missionar in der Türkei tätig – wobei man das dort nicht so sagen darf.
Ich freue mich besonders, dass wir heute Einblicke in das Leben von Missionaren bekommen. Menschen, die sich aufgemacht haben und alles gewagt haben, um das Evangelium im wahrsten Sinne des Wortes bis an die Enden der Erde zu tragen.
Besonders freue ich mich, dass wir jetzt Gerald Müller hören werden. Ich nenne nur einige Stichworte, und wir wissen sofort, in welchem Land er tätig ist: Die Stadt, deren Name mir vorher noch gesagt wurde, habe ich immer noch nicht gelernt auszusprechen. Dort gilt die sogenannte Ein-Kind-Politik. Im Sommer fanden dort die Olympischen Spiele statt. 1,3 Milliarden Menschen leben in diesem Land. Es gibt etwa 80 bis 100 Millionen Christen.
Gerald war mit seiner Familie über acht Jahre als Fachkraft bei Christian Fellowship International (CFI) tätig. In China gibt es die Ein-Kind-Politik – Familie Müller hat sieben Kinder, von denen etliche auch in China geboren sind.
Ich bin gespannt, Gerald, was du uns jetzt weitergeben wirst.
Gerald Müllers Bericht über den Dienst in China
Guten Morgen, mein Name wurde bereits genannt: Gerald Müller aus Gießen. Gemeinsam mit meiner Frau Lilian war ich fast zehn Jahre lang in China tätig – für christliche Fachkräfte international.
Wie bereits angedeutet, waren von unseren sieben Kindern drei beim Ausreisen mit dabei, und vier sind vor Ort in China geboren worden. So viel zum Thema Ein-Kind-Politik in China.
Heute soll es aber nicht um unsere Kinder gehen, sondern darum, wie der Herr mich persönlich neu herausgefordert hat. Die Jugendmissionskonferenz trägt in diesem Jahr den Titel „Denk an deinen Nächsten“. Der nächste Vortrag von Theo Lehmann heute Morgen wird ebenfalls so heißen. Und in letzter Zeit hat der Herr auf ganz neue Weise zu mir gesprochen.
Unser Einsatz in China bestand darin, Deutsch zu unterrichten. In den zehn Jahren von 1999 bis Sommer 2008 durften wir einen großen geistlichen Aufbruch erleben, der heute in China stattfindet. Das war für uns ein großes Vorrecht.
Trotz aller Härten – wir waren in einem klimatisch und sonstigen Aspekten schwierigen Teil Chinas – konnten wir erleben, wie sich dieses Land für das Evangelium öffnet. Die „große Mauer“, die auch in den Köpfen der Menschen gegen diese Religion aus dem Westen existiert, bricht zusammen. Die Menschen suchen nach ewigen Wahrheiten, nach bleibenden Dingen.
Wir waren in diesen Jahren mit dabei und haben erlebt, wie sich dieses Volk für Christus als Herrn öffnet, für Gott, der seinen Sohn als Retter gesandt hat.
Wie ich bereits angedeutet habe, endete dieser Einsatz für uns als Familie im Juli letzten Jahres. Aus verschiedenen Gründen sind wir zurückgekehrt. Seit August wohnen wir in Stuttgart.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn man in Deutschland lebt – und wir sind jetzt ein halbes Jahr hier – und man den geistlichen Aufbruch in China mit den unzähligen Bekehrungen vergleicht, die wir dort erlebt haben, auch im persönlichen Umfeld und in unserer Arbeit, dann fragt man sich: Was ist hier los?
Wir tragen das Evangelium im Herzen und möchten es gerne weitergeben. Aber wie komme ich an die Menschen in meinem eigenen Volk heran? Die Nachbarn, die Schulkollegen, die Studienkollegen in der Stadt, die Menschen, denen wir begegnen – wie geht es hier mit dem Evangelium weiter?
Alles wirkt, verzeiht mir die Offenheit, aus meiner Sicht relativ kalt. Die meisten geistlichen Dinge, die man zu vermitteln versucht, sind für die meisten Menschen gleichgültig. Sie sind unnahbar.
An diesem Punkt hat der Herr mich ganz neu gepackt. Das war in der Zeit der Weihnachtseinkäufe. Ich war in der Stuttgarter Innenstadt unterwegs, auf dem Weihnachtsmarkt, und lief durch die Gassen. Plötzlich kam ich zu einer Ecke, die ich vorher nicht kannte: dem Rotebühlplatz. Dort stand ich vor einem Kaufhaus mit drei Stockwerken. Es war ein chinesisches Kaufhaus in Stuttgart.
Ich ging mit zwei meiner Kinder hinein, und wir liefen durch dieses „Wunderland“. Wir sagten: „Ach, ist das schön, alles wie bei uns in China früher!“ Wie kleine Kinder dankten wir dem Herrn Jesus. Hier gab es all den Ramsch, den wir früher drüben gekauft haben. Wir freuten uns einfach, die vertrauten Sachen wiederzusehen.
In diesem Kaufhaus gibt es auf der zweiten oder dritten Etage auch große Bilder. Eines oder mehrere davon zeigen den Herrn Jesus – großformatig, nicht A3, sondern Poster in A2- oder A1-Größe.
Darüber kam ich mit einer Verkäuferin ins Gespräch. Ich fragte sie: „Glaubst du an den Mann, der da auf dem Poster abgebildet ist?“ Sie antwortete: „Nee, nee.“ Ich sagte: „Ja, das ist Jesus Christus, der Retter, von Gott gesandt für dich.“ Sie meinte, das habe mit ihr nichts zu tun.
Und jetzt kommt der schwierige Teil für mich: In dem Moment stand ich da und hatte kein chinesisches Traktat in der Tasche, keinen Einladungszettel für die chinesische Gemeinde in Stuttgart.
Da hat der Herr mich gepackt und gesagt: „Gerald, ein Schriftgelehrter hat den Herrn Jesus gefragt: ‚Wer ist denn mein Nächster?‘“ – davon werden wir heute noch mehr hören.
Dann sagte er zu mir: „Gerald, das ist jetzt dein Nächster.“ Es geht nicht darum zu jammern. Damals in China gab es viele Bekehrungen, Gemeindewachstum, und wir waren dabei.
Jetzt bist du in Deutschland. Mach dich bereit für eine neue Ernte, bei der ich dich sehen will. Mach dich bereit, das Evangelium hier zu verkünden, wo ich dich mit deiner Familie hingestellt habe.
Du trägst dieses Evangelium im Herzen, und ich möchte euch einladen: Wir tragen so viele Taschen mit uns herum – Jackentaschen, Aktentaschen, Schulranzen, Handtaschen, Rucksäcke. Packt einige Seitentaschen voll mit chinesischen Traktaten, türkischen Traktaten, deutschen Traktaten.
Träumt nicht davon, „Ich könnte ja mal Missionar in China werden“ oder „Ich könnte das Evangelium in die Türkei tragen“. Der Herr hat Menschen aus diesen Völkern als Gäste und Mitbewohner hierher geschickt. Füllt eure Taschen und gebt das Evangelium weiter.
Das ist die Einladung, die ich euch heute geben möchte. Der Herr hat mich gepackt und gesagt: „Gerald, der Nächste ist jetzt und hier, derjenige, der dir gegenübersteht. Mach dich bereit für diese Ernte!“
Zum Abschluss möchte ich euch eine E-Mail vorlesen, die ich am 28. Dezember aus China erhalten habe. Nur zwei Sätze daraus:
„Lieber Herr Müller, kennen Sie mich noch? Ich war eine Deutschstudentin an Ihrer Universität in China. Vielleicht haben Sie mich schon vergessen, ich trage eine weiße Brille.“
Dann schreibt sie weiter und ganz beiläufig: „Am 25. Dezember habe ich mich taufen lassen. Ich bin froh.“
Ich bin auch froh. Die Erntearbeit in China geht weiter, auch ohne uns.
Ich möchte euch und mich heute herausfordern, in der Erntearbeit hier in Deutschland an eurem Nächsten zu stehen – im Dienst am Nächsten, in der Liebe Gottes, mit dem Evangelium von Jesus Christus.
Wenn ihr in eine türkische Dönerbude oder ins China-Restaurant geht, ist es gut, Literatur dabei zu haben. Ich habe mit einem Ehepaar in Hannover zusammengearbeitet, die missionarisch Chinesen hier in Deutschland erreicht haben – beim Essen gehen.
Diese Initiative wurde gegründet, um Chinesen, die stunden- und tageweise in Restaurantküchen arbeiten und kaum herauskommen, mit dem Evangelium zu erreichen.
Unter den Chinesen in Deutschland sind Gemeinden entstanden und entstehen weiterhin. Dafür können wir dankbar sein.
Bericht von Bettina Bauer über den Dienst auf Haiti
Wenn die Familie Müller sich schlafen gelegt hat, sind gerade Bettina und Kai Bauer aus ihren Betten gekrochen – und umgekehrt.
Nun machen wir einen Sprung auf die andere Halbkugel dieser Erde. Bettina, ich darf dich jetzt nach vorne bitten. Du warst mit deinem Mann für drei beziehungsweise sechs Jahre auf Haiti, ebenfalls als Fachkraft mit CFI. Du bist Lehrerin von Beruf, und wir sind gespannt, was du auf Haiti erlebt hast.
Einen wunderschönen guten Morgen auch von mir. Warum drei und sechs Jahre? Da steige ich doch gleich ein. Ich bin eher quer in die Mission eingestiegen, einfach indem ich gesagt habe: Ja, ich will. Ich habe einen Mann geheiratet, der schon drei Jahre in Haiti ein Aufforstungsprojekt geleitet hat. So kommt man also auch in die Mission.
Ich bin dann als mitreisende Ehefrau nach Haiti gegangen und habe erfahren, dass ich dadurch die Freiheit hatte, auf Gott zu hören und zu schauen: Herr, was hast du für mich dort vorbereitet? Wo willst du mich haben? Gott hat auch nicht lange auf sich warten lassen. Es gab viele Anfragen, aber er hat immer gesagt – mit dem zweiten Timotheusbrief hat er immer zu mir gesprochen: „Und du aber bleib bei dem, was du gelernt hast.“
Ich habe gelernt, Erzieherin zu sein, und habe noch eine Lehrerausbildung für geistig und körperbehinderte Kinder gemacht. Ich dachte: Na ja, dann bin ich mal gespannt, Herr, was du für mich hast. Und er hatte etwas für mich – ein Projekt für behinderte Menschen in der Stadt, in der wir gewohnt haben. Das war sehr außergewöhnlich.
Dort sollte ich in einer Schule mitarbeiten, für junge körperbehinderte Frauen, die dort wie in einem Internat leben. Es ist eine kleine Schule, wir haben neu angefangen mit einer Klasse von zwölf jungen Frauen. Ich möchte euch kurz etwas erzählen, damit ihr einen Einblick bekommt, wie Menschen dort aufwachsen können.
Eine junge Frau kam, Marie Jo, beide Beine über dem Knie amputiert. Das ist mit sieben Jahren passiert. Sie ist im schlimmsten Slum von Haiti aufgewachsen, in Cité Soleil – das heißt eigentlich „Stadt des Lichts“. Dort wurde sie mit sieben Jahren von einem Zug überfahren. Ihr Leben konnte nur gerettet werden, indem man beide Beine amputierte.
Oder Miros: Sie ist als Kind ins Feuer gefallen. In Haiti kocht man noch mit offenem Feuer. Sie erlitt Verbrennungen und musste an mehreren Stellen amputiert werden. Die Nase konnte ich ihr zum Glück in Amerika noch einmal richten lassen.
So kamen zwölf junge Frauen auf mich zu. Ich sollte die Freizeitgestaltung übernehmen, Bibelarbeit machen und darauf achten, dass das soziale Miteinander in der Gruppe funktioniert. Dabei habe ich tolle Sachen gelernt, wie Rollstuhl-Basketball oder wie man aus einer Kokosnuss Schmuck herstellen kann. Das hat mir riesigen Spaß gemacht.
Doch die Priorität war die Bibelarbeit mit den jungen Frauen. So habe ich angefangen, ihnen Gott nahezubringen durch die ersten Bibelarbeiten. Und es geschah etwas Wunderbares: Es war ein Geschenk von Gott, wie eine Ernte. Ich durfte eine Ernte einfahren. Fünf junge Frauen bekehrten sich, später noch eine weitere. Man konnte an ihrem Gesicht die Veränderung sehen, die passiert war, weil Jesus in ihr Leben gekommen war.
Trotzdem habe ich gespürt, dass der Heilige Geist immer seinen Finger darauf legte. Bettina, Versöhnung ist ein ganz wichtiges Thema für diese Frauen, ebenso Vergebung.
Wenn man in der gleichen Straße lebt wie sein Vater, aber bei der Tante aufwächst, während der Vater drei Häuser weiter wohnt und nichts mehr mit einem zu tun haben will, dann sind Versöhnung und Vergebung große Themen – und auch nicht leicht.
Ich wusste aber immer nicht, wie ich es anpacken sollte. Dann kam in der Bibelarbeit das Thema Vergebung zur Sprache. Eine der jungen Frauen sagte: „Ja, ich will, dass Jesus mir vergibt, aber dem und dem kann ich nicht vergeben.“
Daraufhin haben wir mehrere Bibelarbeiten zu dem Thema Vergebung gemacht: sich versöhnen und dem Nächsten vergeben. Wir boten auch Einzelgespräche an, um Dinge loszuwerden. Die Frauen waren so offen, dass sie es dann auch in der Gruppe machen konnten. Sie sprachen Vergebung aus – für Menschen, die sie verletzt hatten, die sie an den Rand gedrängt hatten, und auch für ihre Erfahrungen mit ihrer Behinderung.
Das habe ich als Schlüssel erlebt: Zum einen, dass sie selbst Heilung erfahren konnten – an ihrer Seele, an ihrem Geist. Zum anderen, was mich sehr berührt hat, war, dass sie zum Dienst berufen wurden.
Ihr Anliegen war dann: Ich bin nach Hause gefahren, unser Dienst war dort vorbei. Bevor wir gegangen sind, kamen die Frauen auf mich zu und baten: „Bitte bete noch einmal für mich, dass ich, wenn ich jetzt nach Hause fahre in die Sommerferien, ein Zeugnis sein kann in meiner Familie. Dass ich meinem Bruder ein Zeugnis sein kann, dass ich mit meiner Mutter besser klarkomme, dass ich meiner Familie von Jesus erzählen kann.“
Sie wollten wirklich für Jesus auch in ihrer Familie einen Dienst tun und Jesus bekannt machen. Das hat mich sehr berührt.
Ich bin jetzt seit über einem Jahr mit meinem Mann wieder in Deutschland. Ich merke, dass Versöhnung und Vergebung hier ein wichtiges Thema sind. Es ist für mich hier in Deutschland ein ganz großes Thema geworden – ganz neu für mich selbst.
Ich musste Kirsten einfach zum Telefonhörer greifen und meine Schwester anrufen, um mit ihr noch einmal etwas zu klären, bevor ich hier überhaupt über Versöhnung und Vergebung reden kann.
Das wünsche ich euch und mir: dass wir da weiter auf dem Weg sind. Vielen Dank.
Theo Lehmanns Zeugnis und Gedanken zu Vergebung und Glaubensmut
Ganz herzlichen Dank, Bettina! Vergebung und Versöhnung – das ist auch das Stichwort, das mich dazu führt, jetzt Theo Lehmann hier nach vorne zu bitten. Bruder Lehmann, wir begegnen uns hier zum ersten Mal, wobei ich Sie schon aus der Ferne erlebt habe.
Während der DDR-Zeit haben Sie, und das habe ich in Ihrem Buch „Freiheit wird dann sein“ gelesen, das sich jedem nur empfehlen kann, Ihr Zeugnis über Christen in der DDR gegeben. Sie haben nicht nur die DDR erlebt, sondern sie auch erlitten. Die Staatssicherheit hat Sie bis ins Studierzimmer hinein verfolgt – im wahrsten Sinne des Wortes. Christen wurden in der DDR verfolgt. Wie haben Sie es geschafft zu vergeben? Denjenigen, die Sie verraten und bespitzelt haben?
Das ist gar nicht so leicht gewesen. Ich hatte einen Fall in meiner Gemeinde, wo ein Junge, den meine Frau und ich wie unseren eigenen Sohn liebten, bei uns lebte, weil seine Mutter gestorben war. Dann stellte sich heraus, dass gerade der, der mein allerengster Vertrauter war, für die Stasi gearbeitet hat. Ich habe mich damals von ihm getrennt, und ich muss sagen, es hat fast zwanzig Jahre gedauert, bis wir wieder zusammengekommen sind.
Gott hat uns später wieder zusammengeführt. Dann haben wir uns angenähert und irgendwann ein Gespräch unter vier Augen geführt. Jetzt ist alles wieder okay. Wir sind heute gute Freunde und machen zusammen unseren Bierabend. Aber ich sage euch: Das mit der Vergebung ist nicht so leicht, auch nicht für einen Pfarrer. Es geht nicht mit einem Fingerschnipsen, einfach so fortzumachen.
Ich habe sehr, sehr viel Zeit gebraucht, um diese Verwundung heilen zu lassen und ihm die Hand geben zu können. Das hat sehr lange gedauert. Aber ich bin froh, dass es überhaupt möglich geworden ist.
Mit manchen anderen bin ich gar nicht mehr in Kontakt gekommen. Die hat Gott vorher schon aus dieser Welt genommen, und sie müssen sich vor Gott verantworten. In vielen Fällen bin ich sogar froh, dass ich mit manchen das gar nicht mehr aushandeln muss.
Eine persönliche Frage: Sie werden älter, Sie sind Jugendpfarrer, aber aus Ihrer Biografie kann man entnehmen, dass Sie dieses Jahr den 75. Geburtstag feiern. Ich habe viele ältere Menschen kennengelernt, die Säulen der Gemeinde waren und sind. Gerade in letzter Zeit haben mir einige gesagt – einer mit 85 –, mit 85 habe er den Eindruck, der Glaube werde immer stärker umkämpft und angefochten, wie er es früher nicht erlebt habe.
Erleben Sie das auch so?
Nein, das kann ich eigentlich nicht sagen. Bei mir persönlich ist das nicht so, und mein Eindruck ist: Ich sehne mich manchmal geradezu nach den Zeiten zurück, in denen der Glaube angefochten wurde – in der Form, dass wir uns miteinander gestritten und diskutiert haben. Das ist ja alles weggefallen.
Heutzutage macht jeder, was er will, und keiner streitet sich mehr mit uns. Das finde ich geradezu schade. Manche Anfechtung, die uns herausgefordert hat und uns dazu genötigt hat, unseren Glauben verständlich zu formulieren, ist einfach weggefallen. Das finde ich schlimmer.
Wer macht denn das denn wieder? Dieses allgemeine Schweigen, dass man sich gar nicht mehr in Gefahr begeben muss, sondern wir machen unser Ding und die Welt macht ihr Ding – das finde ich sehr, sehr schade.
Mut zum Bekenntnis und Einladung zur Bibelarbeit
Das letzte Mal, dass ich Sie live erlebt habe, war vor 21 Jahren in Nürnberg, Christeville 1988. Sie standen damals etwas weiter von mir entfernt vorne auf dem Podium. Ja, ich habe Sie nicht gesehen. Das kann ich mir gut vorstellen. Ihre Botschaft werde ich aber nie vergessen: Gott will alle!
Auch was ich gelesen habe – ich selbst habe Theologie studiert – hat mich immer wieder von Ihrer Leidenschaft beeindruckt, diese Botschaft weiterzugeben: Gott will alle, und Gott will dich ganz. Menschen brauchen Freiheit, die sie aber nur in Jesus finden können.
Deshalb wird auch der Titel Ihres Buches „Freiheit“ sein. Mit der Perspektive als Blues-Liebhaber haben Sie die Hoffnung auf die himmlische Herrlichkeit, auf den Himmel. Das spüre ich Ihnen ab.
Wir im vereinigten Deutschland haben, ich würde nicht mehr sagen alle Freiheiten, aber doch viele Freiheiten, das Evangelium weiterzuverkündigen. Ein weiteres Stichwort ist das Bekennen. Was brauchen wir Christen in Deutschland, im wiedervereinigten Deutschland, um uns klar auf die Seite Jesu zu stellen und für die Freiheit in Christus einzutreten?
Jedenfalls ein bisschen Mut, mal die Klappe aufzumachen. Gerade in Chemnitz haben wir ja jetzt „pro Christ“ dieses Jahr, und viele Schulen haben Christen, die lernen, den Mund aufzumachen. Das ist das große Problem, das wir in den Gemeinden haben: Sie sind treu und brav, aber sie haben es nie so richtig gelernt, ihren Glauben nach außen zu bezeugen.
Wir brauchen aber viele Menschen, die zum Beispiel andere einladen. Das ist jetzt ein Prozess, der bei uns in Gang gekommen ist, und wir hoffen, dass wir wenigstens einen Teil der Menschen dazu bringen, ihren Mund zu öffnen und diese Gelegenheit wahrzunehmen, andere Menschen zumindest einmal zu einer Veranstaltung einzuladen.
Unsere Christen haben das meistens gar nicht gelernt. Es gibt zwar viele Kurse und Bücher, was man alles machen kann, aber ich merke, dass ganz wenige es schaffen, einem Fremden wenigstens eine Einladung zu einer Veranstaltung zu überbringen. Das ist ja noch gar nicht der Schritt, mit dem man überhaupt über den Glauben selbst spricht.
Die ersten Christen, als sie das erste Mal das Redeverbot erteilt bekamen – Petrus und Johannes –, haben genau das Gleiche gemacht. Sie haben es der Gemeinde weitergegeben, und die Gemeinde hat darum gebetet, dass wir Mut haben (Apostelgeschichte 4), uns weiter zu Jesus zu bekennen und diese Freiheit einfach auch zu nutzen.
Ich freue mich jetzt, dass wir nach dem Lied die Bibelarbeit über den barmherzigen Samariter hören. Ich möchte dann auch noch ein Gebet sprechen:
Herr Jesus Christus, ich möchte dir danken für Theolemann, dass du ihn in vielerlei Weise gebraucht hast, um dein Evangelium nicht nur in der DDR, sondern auch im vereinigten Deutschland zu verkündigen. Ein Mann, der uns auch als Vorbild dient, damit wir den Mut haben, uns zu dir zu bekennen, die Freiheit, die wir haben, zu nutzen und dafür einzutreten.
Ich möchte dich jetzt auch bitten, dass du ihn für dein Reden bevollmächtigst und unsere Herzen und Ohren öffnest, damit wir dich hören. Amen!
Die wichtigste Frage des Lebens: Was muss ich tun, um ewiges Leben zu haben?
Liebe Freunde,
die meisten Menschen interessiert nur eine Sache: Was muss ich tun, damit ich etwas vom Leben habe? Klar, jeder will etwas vom Leben haben – ich auch. Die Frage ist durchaus wichtig, aber sie ist nicht die wichtigste Frage.
Denn das Leben, das wir haben wollen, endet irgendwann. Egal, wie weit du es im Leben bringst, am Ende liegst du in einer bescheidenen Holzkiste. Dann geht es schnell zu den Würmern oder ins Krematorium, Asche zu Asche, Staub zu Staub, Erde zu Erde.
Ich habe gelesen, dass 1980 122 Millionen Kinder geboren wurden. Im Jahr 1981 waren schon viele dieser Kinder gestorben. Verhungert. Und spätestens in 80 oder 90 Jahren ist keiner mehr von uns hier auf der Erde, der jetzt hier sitzt. Wir sind dann alle schon gegangen.
Trotz dieser Vergänglichkeit des Lebens hat jeder von uns die Chance auf das ewige Leben. Dieses Leben endet nie, und es wird auch durch den Tod nicht zerstört. Das hast du, wenn du Jesus hast. Erst wenn du das ewige Leben hast, hast du wirklich etwas von diesem Leben. Dann beginnt die Freude an diesem Leben erst richtig.
Deshalb lautet die wichtigste Frage nicht: Was muss ich tun, damit ich etwas vom Leben habe? Sondern: Was muss ich tun, damit ich das ewige Leben habe?
Mit dieser Frage kommt jemand zu Jesus. Im Lukas-Evangelium, Kapitel 10, steht, dass dieser jemand fragt: „Lehrer, was muss ich tun, damit ich das ewige Leben habe?“ Die Frage ist gut. Schlecht ist nur, dass sie gar nicht ernst gemeint ist. Der Mann, der so fromm fragt, ist nicht ehrlich.
Erstens kennt er die Antwort schon, und zweitens ist er nicht bereit, sie zu akzeptieren. Er fragt nicht, um eine Antwort zu bekommen, sondern um sich ein bisschen zu unterhalten. Wer möchte nicht einmal mit dem berühmten Rabbi Jesus ein schönes Gespräch führen? So kann er später seiner Umwelt ein paar beeindruckende Geistesblitze mitteilen.
Also einer von den frommen Schwätzern, wie sie heute in vielen kirchlichen Kreisen anzutreffen sind. Es gibt Menschen, die diskutieren über alles, stellen alles in Frage und kommen nie zu einem Ergebnis. Die Bibel schreibt über solche Leute: Sie haben die Seuche der Fragen und der Wortklauberei. Sie haben zerrüttete Sinne, den Schein von Frommen, aber die Kraft wirklicher Frömmigkeit kennen sie nicht. Sie lernen pausenlos und kommen doch nicht zur Erkenntnis der Wahrheit.
So ein Typ kommt also zu Jesus. Man merkt ihm an, dass er sich darauf einbildet, ein hochgebildeter Mensch zu sein, tief religiös und spirituell angeregt. Also jemand, der erkennen lässt: „Ich spreche nicht über die Plattheiten des Alltagslebens, ich interessiere mich für höhere Werte, für das ewige Leben.“
Solche Leute gibt es auch unter uns. Sie bilden sich etwas ein, sie sind etwas Besseres als andere, nur weil sie einen Glauben haben oder zu einer Gemeinde gehören. Manche fühlen sich den „platten Materialisten“ überlegen, weil sie sich mit etwas Höherem beschäftigen.
Solchen Leuten kann man nur helfen, indem man sie von ihren Höhen herunterholt, auf den Boden der Tatsachen – dorthin, wo es um Taten geht. So macht es Jesus mit diesem Gesprächspartner. Als der gerade zum geistlichen Höhenflug ansetzt, zwingt Jesus ihn zu einer theologischen Bauchlandung.
Der Mann fragt: „Meister, was muss ich tun, damit ich das ewige Leben habe?“ Jesus fragt zurück, wie zu einem Schuljungen: „Was steht in deiner Bibel geschrieben? Was liest du da?“
Der Mann, der nur in der Konferenzstunde gut aufgepasst hat, spult jetzt brav herunter: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, mit ganzem Gemüt und ganzer Seele und deinen Nächsten wie dich selbst.“
„Bravo“, sagt Jesus. „Das hast du fein gemacht, du kriegst eine Eins in Religion. Du bist in Ordnung, deine Antwort stimmt genau so.“ Dann sagt Jesus: „Tu das, und du wirst leben.“ Damit ist für Jesus das Gespräch beendet.
So einfach ist es für ihn. Die Antwort auf die wichtigste Frage des Lebens ist ganz einfach: Liebe Gott und deinen Nächsten. Das ist alles. Das kann jeder verstehen, das kann jeder tun.
Aber gerade davor, vor dem Tun, will sich unser Mann drücken. Deshalb flüchtet er sich in die Diskussion. Er weiß ganz genau: Solange noch diskutiert wird, braucht man noch nichts zu tun. Das ist ja das praktische Amt der Diskussion.
Also fragt er nach und beginnt, die einfache Antwort, die Jesus ihm gegeben hat, zu problematisieren. Er sagt: „Ja, im Thema Nächstenliebe sind wir uns natürlich einig. Klar, Nächstenliebe muss sein, selbstverständlich.“
Aber jetzt kommt seine Frage: „Wer ist denn mein Nächster?“ Mit dieser Zusatzfrage fühlt er sich mächtig schlau, weil er Jesus zu einer neuen Diskussionsrunde zwingt.
Doch Jesus ist nicht auf den Kopf gefallen. Er lässt sich nicht auf die Schippe nehmen und in eine Diskussion über das Thema „Wer ist mein Nächster?“ hineinziehen. Stattdessen erzählt Jesus einfach eine Geschichte.
Die Geschichte vom barmherzigen Samariter als Antwort auf die Frage nach dem Nächsten
Das ist die Geschichte vom barmherzigen Samariter, eine der bekanntesten Erzählungen in der ganzen Bibel. Jesus begann zu erzählen: Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho. Unterwegs überfielen ihn Räuber. Sie nahmen ihm alles weg, schlugen ihn zusammen und ließen ihn halbtot liegen.
Zufällig kam nun ein Priester denselben Weg. Er sah den Mann liegen, machte einen Bogen um ihn und ging vorbei. Genauso handelte ein Levit. Er sah den Verletzten ebenfalls und ging weiter.
Schließlich kam ein Mann aus Samarien. Als er den Überfallenen sah, hatte er Mitleid. Er ging zu ihm hin, behandelte seine Wunden mit Öl und Wein und verband sie. Dann setzte er ihn auf sein eigenes Reittier und brachte ihn in das nächste Gasthaus. Dort kümmerte er sich um ihn.
Am nächsten Tag gab er dem Wirt zwei Silberstücke und sagte: „Pflege ihn, und wenn du noch mehr brauchst, will ich es dir bezahlen, wenn ich zurückkomme.“
Jesus fragte: „Was meinst du, wer von den Dreien hat an dem Überfallenen als Nächster gehandelt?“ Der Fragesteller antwortete: „Der, der ihm geholfen hat.“ Jesus erwiderte: „Dann geh und mach es genauso.“
Die Frage ist also nicht: „Wer ist mein Nächster?“, sondern vielmehr: „Wem bin ich der Nächste?“ Wenn du fragst: „Wer ist mein Nächster?“, wirst du immer Menschen finden, von denen du sagst: „Nein, das sind keine Nächsten, das sind keine Mitmenschen. Das sind Untermenschen oder Unmenschen, oder unwichtige Menschen – vorbestraft, faul, ungewaschen, versoffen, stinkend, selber schuld. Die haben keinen Anspruch auf meine Mitmenschlichkeit.“
Um zu verhindern, dass du irgendeinem Menschen dieser Welt sagst, „der ist nicht mein Nächster“, dreht Jesus die Frage einfach um. Es geht nicht darum, wer dein Mitmensch ist, sondern wem du Mitmensch bist, wem du der Nächste bist.
Du selbst bist der Nächste – das ist das Ergebnis dieser Geschichte. Du kannst nicht in deinem Leben so dasitzen wie in einem Wartesaal, auf deinem Stuhl, und dir die Leute ansehen, die einer nach dem anderen hereinkommen, um zu prüfen, ob vielleicht irgendeiner dir sympathisch ist, sodass er dein Nächster sein könnte.
Mit dieser Geschichte reißt Jesus die Tür zum Leben auf und ruft: „Der Nächste bitte!“ Er erwartet von dir, dass du aufstehst, losgehst und handelst. Jetzt bist du dran! „Der Nächste bitte, du bist dran!“
Die Straße zwischen Jerusalem und Jericho gibt es heute nicht mehr in Israel. Sie führt quer durch die ganze Welt, quer durch Stuttgart, quer durch unser Leben. Wir sind alle unterwegs auf dieser Straße zwischen Jericho und Jerusalem, auf dem Weg nach Glück, nach Wohlstand, unterwegs in eine neue, schöne und heile Welt.
Aber diese Straße ist gesäumt von Opfern, die unter die Räuber gefallen sind. Jesus hat einmal gesagt, dass alle, die vor ihm gewesen sind, Räuber und Diebe waren. Damit meinte er die Menschen, die andere überfallen mit ihren Forderungen, die sie überfordern, die sie mit ihren Parolen totschlagen, die sie mit ihren Versprechen ausbeuten.
Falsche Propheten und Sektenführer rauben den Menschen durch Gehirnwäsche ihre Persönlichkeit. Sie unterdrücken ihre Meinung, demontieren ihr Gewissen, stehlen ihre Zeit und treten ihre Menschenrechte mit Füßen – vor allem das oberste aller Menschenrechte: von Gott zu erfahren.
Genau das ist die Aufgabe von uns Christen: den Opfern menschenverachtender Ideologien und Religionen in Wort und Tat zu bezeugen, dass Jesus der einzige Weg in den Himmel ist.
Diese Jugendmissionskonferenz hat nur ein einziges Ziel: junge Menschen zu finden und zu motivieren, die sagen: „Jawohl, an dieser Rettungsaktion will ich mich beteiligen.“
Ich appelliere heute Vormittag nicht an eure Gefühle, an eure Retterliebe oder euer Mitleid für andere Menschen. Jesus hat das, wenn es um die Mission ging, auch nicht getan. Er war stocknüchtern, wenn es um die Mission ging, und erteilte einen Befehl – genau wie hier am Ende: „Geh los und mach es!“
Freunde, einem Befehl gegenüber gibt es nur eine einzige richtige Reaktion: Gehorsam.
Deshalb weise ich euch lediglich darauf hin, dass es bei der Liebe zu Gott und zum Nächsten um einen Befehl geht. Die Bibel sagt, es handelt sich um das höchste Gebot überhaupt: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben und deinen Nächsten.“
Das müssen wir uns jetzt einmal genauer ansehen.
Das höchste Gebot: Liebe zu Gott und zum Nächsten
Diese berühmten Sätze gelten für viele Menschen als eine Art Zusammenfassung oder sogar als die beste Zusammenfassung des Evangeliums. Dabei sind sie jedoch gerade kein Evangelium, sondern nach der lutherischen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium Gesetz.
Die Formel „Gesetz und Evangelium“ bedeutet, kurz gesagt: Evangelium ist das, was Gott für uns getan hat, Gesetz ist das, was wir für Gott zu tun haben. In dem Bibelwort „Du sollst lieben Gott von ganzem Herzen usw.“ geht es, so sagt die Bibel, um das höchste Gesetz, das höchste Gebot im Gesetz.
Im Neuen Testament kommt dieses Liebesgebot an drei Stellen vor: hier die Stelle, über die wir reden, Lukas 10, dann noch Markus 12 und Matthäus 22. In allen drei Fällen handelt es sich um ein Zitat aus dem Alten Testament. Dabei wurden zwei Bibelstellen aus dem Alten Testament zusammengefügt: Erstens war das Grundbekenntnis Israels aus dem fünften Buch Mose, „Höre, Israel, der Herr, dein Gott ist ein einziger Gott“, und zweitens aus dem dritten Buch Mose, „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“.
Viele Ausleger sind der Meinung, dass die Zusammenstellung dieser beiden Sätze aus dem Alten Testament die besondere große Leistung von Jesus ist. Nun stimmt das schon: Diese beiden Schriftstellen, die Jesus hier zusammengefügt hat, liegen im Alten Testament mehrere Bücher weit auseinander. Kein Rabbiner vor Jesus hat diese beiden Schriftstellen miteinander kombiniert, kein urchristlicher Schriftsteller hat das so gemacht. Die Schriftgelehrten hatten damals ohnehin Bedenken, das Gesetz in einem einzigen Satz zusammenzufassen, weil sie befürchteten, wenn man nur von diesem einen Gebot redet, dass dann die anderen Gebote unter den Tisch fallen.
Man muss sich vorstellen, dass das Judentum in den Mosebüchern 613 Gebote festgelegt hatte: 365 Verbote und 248 Gebote. Dazu kamen noch tausende sogenannte Zusatzbestimmungen, ein Wust von Geboten und Gesetzen, dem sich der Mensch gegenüber sah. Wer das studieren wollte, von dem sagte man, dass er das Joch des Gesetzes auf sich nimmt.
Jesus hat das so beschrieben und gesagt: Diese Torallehrer, die das so machen, binden schwere Lasten und legen sie auf die Schultern der Menschen. Wenn Frömmigkeit ihren Irrsinn übersteigt und weder Gott noch die Menschen etwas davon haben, stellt sich von selbst die Frage: Was ist denn nun eigentlich die Hauptsache an dem biblischen Glauben?
Auch das Judentum hat sich dieser Frage gestellt. Es gibt Belege, wo das Gebot der Gottesliebe und der Menschenliebe miteinander gekoppelt worden ist, aber nur in außer-rabbinischen Kreisen. Das älteste Beispiel stammt aus dem Jahr 100 vor Christus, kommt aus solchen Kreisen, und der jüdische Philosoph Philo hat 50 Jahre nach Jesus ebenfalls die beiden zusammengebracht. Man kann also nicht sagen, dass dies die einzigartige Idee von Jesus gewesen ist.
Immerhin hat Jesus durch die Kombination dieser beiden alttestamentlichen Schriftstellen Gottesliebe und Nächstenliebe in besonderer Klarheit zusammengebracht: „Höre, Israel, Gott ist allein der Herr, und neben ihm gibt es keinen Gott. Ihn sollst du von ganzem Herzen, mit ganzer Seele, deinem ganzen Verstand und deiner ganzen Kraft lieben.“ Ebenso wichtig ist das andere Gebot: „Liebe deine Mitmenschen, so wie du dich selbst liebst.“ Es gibt kein anderes Gebot, das lebenswichtiger ist als diese beiden.
Lebenswichtig, das Wichtigste im Leben, der Sinn des Lebens – das sind natürlich schwere Brocken. Über diese Frage kann man dicke Bücher lesen, sich den Kopf zerbrechen, intellektuelle Erwägungen anstellen und komplizierte Vorträge anhören. Bei Jesus ist das ganz einfach. Einfach heißt nicht leicht. Um zu verstehen, was Jesus sagt, braucht man kein Abitur, und um das zu tun, was er sagt, braucht man keine besondere Qualifizierung.
Die Frage ist: Was ist die Hauptsache im Leben? Liebe Gott und deinen Nächsten – das ist alles. Das kann jeder, und das soll jeder.
Die Bedeutung von Liebe als Gebot und der Unterschied zu Gefühlen
Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben. Das ist ein Gebot. Und hier entsteht sofort ein Problem, wenn wir die Worte „Gebot“ und „Liebe“ hören, weil sie nach unseren Vorstellungen nicht zusammenpassen.
In unserer deutschen Sprache gibt es für das Wort „Liebe“ nur ein einziges Wort. In der Bibel hingegen gibt es verschiedene Ausdrücke für unterschiedliche Arten von Liebe. Deshalb entsteht in unseren Köpfen oft ein Durcheinander, wenn wir hören: „Du sollst lieben.“ Dann fragen wir uns: Wie ist das möglich? Man kann doch Liebe nicht einfach anordnen. Wenn der normale Mensch von Liebe hört, denkt er an seinen Freund oder seine Freundin, und schon wird ihm ganz weich in den Knien. Jeder kennt doch dieses Gefühl, wenn man schon mal richtig verknallt war.
Das Gefährliche am Verliebtsein ist aber, dass einem dabei nicht nur in den Knien, sondern auch im Gehirn und in der Birne etwas weich wird. Wir sollen Gott mit ganzem Verstand lieben, aber Verliebte sind oft nicht bei ganzem Verstand. Ein besonders boshafter Mensch hat mal gesagt: „Liebe ist hormonell bedingtes Irrsein.“ Ich habe gelesen, dass es sogar bei Regenwürmern so ist. Da war ein Regenwurm, der sich in eine andere Regenwurm-Dame verliebt hatte. Die war aber spröde und wollte ihn nicht erhören. Da hat er ihr einen Heiratsantrag gemacht und gesagt: „Wenn du heute nicht ja sagst, dann werfe ich mich vor das nächste Huhn.“ So reden Leute, die wahnsinnig verliebt sind.
Aber du sollst Gott nicht lieben wie ein Wahnsinniger, sondern wie ein Verständiger – mit deinem ganzen Verstand. Die Liebe, von der Jesus redet, hat mit der sentimentalen oder sexuellen Spielart von Liebe überhaupt nichts zu tun. Du kannst Gott nicht so lieben wie deinen Freund oder deine Freundin. Natürlich ist das Gefühl in der Beziehung zu Gott nicht ausgeschlossen, aber es ist keineswegs die Hauptsache oder die Grundlage. Gott zu lieben ist eine Sache des Gehorsams, nicht des Gefühls.
In der Bibel steht: „Das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten.“ Man muss sich das mal vorstellen – was für eine nüchterne Aussage das ist! „Das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten.“ Jesus sagt: „Wenn ihr meine Gebote haltet, dann bleibt ihr in meiner Liebe.“ Gott zu lieben heißt also, seinen Willen zu tun.
Natürlich stellt sich sofort die Frage: Woher weiß ich denn, was Gott von mir will? Wie erfahre ich den Willen Gottes? Wer nach dem Willen Gottes fragt, muss sich auch fragen lassen, ob er bereit ist zu gehorchen. Die Gehorsamsbereitschaft ist die Grundlage dafür, Gottes Willen zu erfahren. Du erfährst ihn aus der Bibel, wenn du mit anderen Christen über dein Problem sprichst und wenn du mit Gott selbst darüber redest.
Das Problem ist, dass bei vielen Menschen die Frage „Wie erfahre ich Gottes Willen?“ nur ein Vorwand ist, um sich vor dem Handeln zu drücken. Also, mach es nicht immer so kompliziert im Leben. Lies deine Bibel, mach deine Augen auf, schau nach, wer in der Welt dich braucht, und los geht’s.
Wir sind eine richtige Diskutierkirche geworden. Seit Luthers Zeiten wird in der Theologie, vor allem in Deutschland, darüber diskutiert, ob Menschen dieses Liebesgebot halten können oder nicht. Der Höchste hat uns doch das höchste Gebot nicht gegeben, damit wir darüber diskutieren, sondern damit wir gehorchen: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst und deinen Gott. Und wir sollen das von ganzem Herzen tun. Das heißt, Gott will dich ganz.
In der christlichen Verkündigung gibt es ein paar Punkte, bei denen du mit absoluter Sicherheit mit Widerspruch rechnen kannst. Einer dieser Punkte ist das Wort „ganz“. Solange man den Menschen Angebote macht und erklärt, dass der Glaube im Leben hilfreich ist, dass man Kraft und Hoffnung empfängt, gehen sie einigermaßen bereitwillig mit. Aber sobald man sagt: Du kannst diese Hoffnung und Kraft nur haben, wenn du dich Gott ganz und gar unterstellst, dich bekehrst, Jesus dein Leben schenkst und er die Nummer eins in deinem Leben wird – da beginnt der Widerspruch.
Dann heißt es, das sei radikal, einseitig, Vereinnahmung, und überhaupt: Warum nur Jesus? Geht nicht auch ein bisschen Buddha? Ein bisschen 99 machen manche mit, aber alles zusammen ist für viele Menschen zu viel.
Aber Freunde, es hilft nichts. Unser Bibelwort und ein Blick in die Konkordanz zeigen uns, dass Gott nicht nur mit Halbsachen unzufrieden ist, sondern Halbheiten verabscheut. Jede Halbheit, also alles, was nicht ganz gemacht wird, verurteilt er in ganz besonderer Schärfe. Auf den Halbheiten liegt Verurteilung.
Ihr kennt die Geschichte von Lot’s Frau. Sie war gerettet, aus dem Flammeninferno raus, aber sie schaute sich nochmal um, aus Sehnsucht nach ihren neuen Möbeln oder was auch immer. Da war es zu spät. Sie ist nicht ganz gegangen und musste zurückbleiben. Auf der ganzen Hingabe liegt die Verheißung.
„Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet“, heißt es in der Bibel, „dann will ich mich von euch finden lassen.“ Oft schlägt die wohlwollende Anerkennung Gottes in Widerspruch um, wenn ein Mensch begreift: „Der will mich aber ganz.“ Das wird besonders deutlich bei der Taufe, vor allem auf dem Missionsgebiet.
Solange ein Hindu in Indien nur mit dem Christentum sympathisiert, hat niemand etwas dagegen. Gandhi war ein fanatischer Hindu, hat aber das Neue Testament gelesen und sich anerkennend über Jesus geäußert. Das hat niemand ihm übel genommen. Aber wenn sich in Indien ein Hindu taufen lässt, also öffentlich anerkennt: „Ich unterstelle mich und mein Leben ganz Jesus Christus“, dann ist die Toleranz zu Ende. Er wird aus der Familie ausgestoßen, enterbt, und der Kampf beginnt.
In unserer volkskirchlichen Praxis besteht diese Gefahr bei der Taufe kaum, auch weil fast niemand diese Forderung nach ganzer Lebensübergabe stellt. Statt die steile Forderung Gottes zu bezeugen, dass es darum geht, Gott mit ganzem Herzen zu folgen, beschränken wir uns darauf, die biblische Forderung nach ganzheitlicher Hingabe zur Pflege sogenannter christlicher Werte zu verdampfen und so im Religionsunterricht ein paar christliche Werte in öffentliche Diskussionen einzubringen.
Freunde, der größte Wert für unsere immer gottloser werdende Gesellschaft sind nicht Menschen, die einen gewissen Respekt vor vergoldeten Kirchturmspitzen haben, sondern Menschen, die Gott von ganzem Herzen und von ganzer Seele lieben. Von ganzer Seele heißt: Es geht um eine Ganzhingabe, die ein Leben lang dauert, immer – nicht nur, wenn alles gut läuft, auch wenn du krank bist und kaputt, wenn du Gott nicht verstehst und nicht verspürst.
Und mit deinem ganzen Verstand – das heißt, du sollst als Christ deinen Verstand nicht abschalten, sondern einschalten. Heute wollen uns viele Leute einreden, zum Beispiel durch die immer so schönen Artikel im Spiegel aus Hamburg, dass das Denken des Menschen erst zur vollen Reife kommt, wenn man sich von Gott verabschiedet hat. Denn wer an Gott glaubt, der dürfe ja nicht denken.
Das stimmt aber überhaupt nicht. Im Gegenteil: Denken ist bei Gott geboten. Er verlangt ausdrücklich: Um an Gott zu glauben, musst du nicht deinen Verstand abschalten, sondern deinen Widerstand aufgeben. Wer seinen Verstand nicht benutzt, ist selber schuld, wenn er Gott und die Welt nicht versteht.
Früher hatten wir in der DDR eine besondere Art von Witzen, zum Beispiel über Volkspolizisten. Da standen zwei am Straßenrand, und ein Autofahrer fragte sie: „Do you speak English?“ „Nee.“ „Boruski?“ „Nee.“ „Italiano?“ „Nee.“ „Espanol?“ „Nein.“ „Parle-vous Francais?“ „Nein.“ Da drehte er die Scheibe hoch und fuhr weiter. Der eine sagte zum anderen: „Hast du das gemerkt? Das war ein Genie, der konnte fünf Sprachen.“ Der andere: „Und hat’s denn was genützt?“ Leuten, die sich weigern, ihren Verstand zu gebrauchen und sich dann noch auf ihre Dummheit etwas einbilden, ist schwer zu helfen.
Gott will aber, dass allen Menschen geholfen wird. Deswegen ist bei Gott Dummheit verboten. Du sollst Gott lieben mit allen deinen Kräften, auch mit deinen intellektuellen Fähigkeiten – schon damit du nicht jeden Blödsinn glaubst, den die Leute dir erzählen.
Die Behauptung, wer an Gott glaubt, dürfe nicht vernünftig denken, ist Blödsinn und unlogisch. Ich sehe doch ganz deutlich, dass noch der Kopfloseste unter euch auf seinem Hals eine Kugel sitzen hat – eine Birne. Das ist nicht nur Abstandhalter für die Ohren, sondern da hat Gott viele niedliche kleine graue Zellen installiert. Na wozu? Natürlich, damit du sie benutzt.
Sonst hätte Gott Material einsparen und eine Rübe viel kleiner machen können. Warum sollte Gott dir so etwas Praktisches wie einen Verstand schenken und dir dann verbieten, ihn zu gebrauchen? Das ist unlogisch. Im Gegenteil, bei Gott ist das Denken befohlen.
Deinen Verstand kannst du übrigens erst richtig benutzen, wenn du an Gott glaubst. Das hat schon Pater Braun erkannt. In seinen Detektivgeschichten sagt er als erste Folge davon: „Wenn ihr nicht mehr an Gott glaubt, verliert ihr euren gesunden Menschenverstand.“ Die Bibel sagt im Alten Testament: „Der Anfang der Weisheit ist die Furcht des Herrn, und den Heiligen erkennen, das ist Verstand.“
An Gott zu glauben ist also das Vernünftigste, was du tun kannst. Du sollst es mit allen deinen Kräften tun – nicht lustlos, lahm, schlaftrunken, sondern mit Volldampf, mit Pfiff, mit Aufmerksamkeit. Dein ganzes Denken, Handeln, Planen, Studieren, Urteilen, Leiden und Entscheiden muss von Gott bestimmt, an ihm orientiert und von ihm normiert sein. Alles muss darauf ausgerichtet sein, seinen Willen zu tun. Und nichts und niemand darf dir wichtiger sein.
Eine solche totale Hingabe kann nur Gott verlangen. Dieses Recht hat nur Gott allein, kein Mensch, keine Ideologie, kein Staat, keine andere Menschengruppe. Nur Gott hat dieses Recht, weil er dein Schöpfer ist. Verstehst du? Gott hat ein Recht auf dich und auf deine Liebe, denn er hat dich zuerst geliebt. Bevor du geboren wurdest, hat er schon an dich gedacht. Seit du geboren bist, begleitet er dich in Liebe.
Deshalb hat er ein moralisches Recht, von dir Liebe zu fordern. Auch Diktatoren fordern Liebe von ihren Untertanen. Ich kenne eine Geschichte aus der DDR: Ein Diktator besucht einen Freund, der zeigt ihm einen Raum voller Geschenke, die ihm seine Untertanen gemacht haben. Der Freund sagt erstaunt: „Das haben die dir alles geschenkt? Die müssen dich aber lieben.“ Der Diktator antwortet: „Ja, die müssen mich lieben.“
Freunde, Gott ist kein Diktator, er ist unser Vater. Er beutet uns nicht aus, sondern bietet uns etwas an: Vergebung. Obwohl er uns kennt, mit allem, was hinter uns liegt, und obwohl er schon weiß, was vor uns liegt, liebt er uns trotzdem. Das ist das große Wunder.
Er liebt dich, ist ganz verrückt vor Liebe nach dir und macht etwas, worauf du als Mensch nie gekommen wärst: Er schlüpft in unsere Haut, kommt als Mensch in unser Leben und gibt sein Leben für uns hin. Wenn dein Leben zu Ende ist, will er dich auch bei sich haben – für immer. Er sagt, er hat viele Wohnungen vorbereitet, und wer will, kann einziehen.
So ist Gott wie ein Vater zu seinem Kind. So lieb hat Gott dich. Verstehst du, dass er deshalb auch ein moralisches Recht hat, von dir Gegenliebe zu fordern? Er ist nicht irgendwer, er ist dein Schöpfer. Du bist auch nicht irgendwer, du bist sein gewolltes Geschöpf.
Nun gibt es Leute, die verzückt die Augen verdrehen, wenn man so etwas sagt und von Gott redet, aber sie verschließen Augen, Ohren und Hände, wenn der Kollektenbeutel kommt oder es um den Nächsten geht. Sie schaffen es, sonntags in den Gottesdienst zu gehen und am Montag ihre Nachbarin zu übersehen.
Um diesen frommen Heuchlern den Saft abzudrehen, erklärt Jesus: Genauso wichtig wie die Liebe zu Gott ist die Liebe zum Nächsten. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Weil diese beiden Gebote zusammengehören, sprechen manche von einem Doppelgebot der Liebe.
Das kann aber zu einem Missverständnis führen. Manche denken, wenn Menschen sich gegenseitig lieben, lieben sie automatisch auch Gott. So ist es aber nicht. Der russische Dichter Tolstoi schrieb eine Geschichte mit dem Titel „Wo Liebe ist, da ist Gott.“ Das stimmt aber nicht, das ist unbiblisch.
Es ist vielmehr so, wie aus dem ersten Gebot alle anderen Gebote folgen, so folgt das Gebot der Nächstenliebe aus dem Gebot der Gottesliebe. Weil Gott uns zuerst geliebt hat, können wir ihn und andere Menschen lieben.
Ich will noch etwas zum Begriff „Nächster“ sagen. Dieser Begriff kommt außer in den Bibelstellen, die ich schon genannt habe, nur noch in wenigen weiteren Stellen im Neuen Testament vor. Überall dort hat Jesus ihn aus dem Alten Testament zitiert. Jesus selbst sprach kaum vom Nächsten; sein Thema war das Reich Gottes, die Vergebung usw. Nur in dieser zitierten Form finden wir im Neuen Testament den Begriff „Nächster“.
Die Nächstenliebe ist eine schwierige Sache, weil uns unsere Mitmenschen oft unsympathisch sind und wir bei Liebe immer an Gefühle denken. Aber, wie gesagt, Nächstenliebe hat mit Gefühlen, Sympathien oder Antipathien nichts zu tun, sondern ist eine Sache nüchternen Gehorsams.
Wenn es um Gefühle ginge, würde wohl kein junger Christ in ein Altersheim gehen, um alten Leuten den Hintern abzuwischen. Das ist keine angenehme Tätigkeit, im Gegenteil, es ist eklig. Gott verlangt ja nicht, dass wir für die ungewaschenen Füße alter kranker Menschen schwärmen, als ob das ein Wohlgeruch wäre. Aber er verlangt, dass wir diese Menschen waschen, pflegen, uns um sie kümmern – eben sie lieben.
Das ist der Befehl. Die Überwindung des Ekelgefühls ist Nächstenliebe. Segnet die, die euch fluchen – das ist der Befehl. Die Überwindung des Rachegefühls ist Nächstenliebe. Liebt eure Feinde – das ist der Befehl. Die Überwindung des Hassgefühls ist Nächstenliebe.
Nächstenliebe spricht meist gegen das eigene Gefühl. Gott verlangt nicht, dass ich Leute sympathisch finden soll, die mich anstinken. Es gibt Typen, von denen Udo Lindenberg gesungen hat: Bei ihrem Gesicht sagen die Mütter: „Kind, der hat eine Fresse zum Reinschlagen.“ Es wäre Heuchelei, für solche Typen oder Feinde Sympathie zu empfinden.
Man kann sich Gefühle nicht befehlen. Ich kann mir nicht befehlen: „Ab sofort findest du deinen Vorgesetzten sympathisch.“ Aber ich kann mir befehlen: „Ab sofort nennst du deinen Vorgesetzten nicht mehr Rindvieh.“ Verstehst du? Wenn Gott uns Liebe befiehlt, will er nicht, dass du etwas fühlst, sondern dass du etwas tust.
Es geht bei Gott nie um Gefühle, sondern um Taten. Gott zeigt seine Liebe auch nicht durch Gefühle, sondern durch Taten. Er hat nicht vom Himmel Liebesbotschaften abgelassen. Das wäre nett, aber nutzlos gewesen. Was nützt uns ein Gott, der hinter Wolken sitzt und Liebesbriefe abschickt?
Nein, er ist selbst zu uns gekommen – in unsere Erde, unsere Haut, unser Schicksal. Er hat hier Taten vollbracht, die seine Liebe beweisen. Er ist für dich am Kreuz gestorben – der größte Beweis seiner Liebe.
Und denke nicht, dass es Jesus leicht gefallen ist. Er ist nicht aus Liebesgefühlen ans Kreuz gegangen, im Gegenteil. Die Bibel berichtet nüchtern, dass er in Gethsemane Gott angefleht hat. Vor Angst vor dem Tod hat er geblutet und gesagt: „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen!“ Aber dann sagte er: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“
Er hat gegen sein Gefühl gehandelt und aus Gehorsam die größte Liebestat der Menschheit vollbracht: Der Sohn Gottes stirbt für unsere Schuld am Kreuz. In der Bibel steht über Jesus: „Er war gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz.“
Deshalb sage ich noch einmal: Gottes Liebe zu dir besteht nicht aus Gefühlen, sondern aus Taten. Und deshalb verlangt er auch von dir, dass deine Liebe zu ihm nicht aus Gefühlen besteht, sondern aus Taten.
Du sollst Gott lieben, deinen Herrn, und deinen Nächsten wie dich selbst. Die Worte „wie dich selbst“ wurden oft falsch verstanden. Viele machen aus dem Doppelgebot der Liebe ein Dreifachgebot und lesen hier eine Aufforderung zur Selbstliebe und Selbstannahme heraus.
Das ist grundsätzlich richtig: Erst muss ich mich selbst angenommen haben, damit ich andere lieben kann. Manche haben ganze Bücher und Theorien dazu geschrieben. Aber von dieser Bibelstelle steht kein Wort davon.
Hier steht nicht: „Du sollst deinen Nächsten lieben, nachdem du dich selbst geliebt hast.“ Sondern: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Die Selbstliebe wird hier nicht befohlen, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt.
So wie Paulus im Epheserbrief schreibt: Niemand hasst sein eigenes Fleisch, sondern jeder hegt und pflegt es. Das ist normal. Leute, die sich durch Magersucht zu Tode hungern, sind nicht normal. Niemand muss uns in Sachen Selbsterhaltung etwas befehlen. Schon der Säugling saugt, wenn es etwas zu trinken gibt, zuckt vor Licht zurück, schließt das Augenlid vor einer Fliege – diese natürliche, oft unwillkürliche Selbstfürsorge fasst Paulus im Ausdruck „lieben wie sich selbst“ zusammen.
So ist es auch hier bei Jesus gemeint. Die Bedürfnisse des Nächsten sollen uns nicht ferner liegen als die eigenen. Selbstliebe wird also nicht verurteilt und nicht verlangt, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt.
Jesus ist ein Realist. Er weiß genau: Jeder liebt sich selbst am meisten. Jeder beurteilt alles danach, ob es ihm nützt. Jeder denkt zuerst an sich. Erst komme ich, der Rest kommt später. So ist der Mensch.
Jesus sagt nur: Nimm diese Wirklichkeit ernst. Nimm den anderen genauso ernst, wie du dich selbst nimmst. Gönne ihm, was du dir gönnst, leiste für ihn, was du dir leistest, tu für ihn, was du für dich tust. Liebe ihn wie dich selbst.
Das hast du schon tausendmal gehört. Dass du deinen Mitmenschen lieben sollst, weißt du längst. Du weißt, dass Nächstenliebe gut ist und für das Zusammenleben wichtig. Und du weißt, dass sie von Gott befohlen ist. Na also, dann tu es doch!
Und wenn du noch Fragen hast, zum Beispiel: Wie macht man das? Geh los und tu es!
Jetzt beten wir vielleicht. Himmlischer Vater, ich möchte dir danken, dass du zu uns redest, dass du ein Gott bist, der redet. Herr, ich danke dir, dass du uns ein Ohr gegeben hast, damit wir deine Worte hören können.
Ich danke dir, dass du uns den Verstand gegeben hast, damit wir dich erkennen, und dass du uns geboten hast, dich von ganzem Herzen, mit all unserem Sinn und Verstand zu lieben.
Himmlischer Vater, ich danke dir, dass du deine Liebe in Taten bewiesen hast, sichtbar im Leben, Sterben und Auferstehen deines Sohnes Jesus Christus.
Herr Jesus, ich bitte dich, dass unsere Nachfolge und unser Glaube an dich diese Liebe zum Ausdruck bringt, die du uns geboten hast. Dass wir sie in die Tat umsetzen und hinausgehen zu den Menschen, um ihnen deine Liebe zu bezeugen. Amen.
